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Fünfzig-Pfund-Kraniche

von
Koautor:  Seki

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Teil 2: Wichte

„Ich möchte an dieser Stelle noch einmal zu Protokoll geben, dass ich weitaus lieber meinen brüderlichen Pflichten nachgekommen wäre, Monopoly zu spielen.“ Murphy marschierte Joanne hinterdrein, als sie – eine frische Tasse warmen Kaffees in der Hand – zum Eingang der Bank ging, wo Owen bereits auf sie wartete.

Auch wenn Murphy aktuell die Gestalt eines knapp dreißig Jahre alten Mannes mit strohblonden Haar zur Schau trug, erkannte Owen ihn offenbar an der Stimme. „Du hast den Jungen mitgebracht?“

„Ich sollte mir langsam das Upgrade zum 'jungen Mann' verdient haben“, kommentierte Murphy noncharlant. Es stimmte eigentlich: Er war 25 Jahre alt. Dennoch bevorzugte er es die Gestalt eines Jungen kaum älter als 18 zu tragen.

Owen beachtete ihn nicht. Stattdessen schenkte er Joanne einen fragenden Blick.

„Ich dachte, es wäre eventuell praktisch, würden wir Mr. Blackburn von einer etwaigen Erklärung überzeugen müssen“, erwiderte sie.

„Ich fühle mich benutzt.“

„Ich weiß, ich weiß“, antwortete sie und tätschelte seine Schulter. Er beschwerte sich gerne – meistens noch immer, um später mit einem großen Becher Schokoladeneis kompensiert zu werden. Etwas, das Amy begann sich abzuschauen.

Owen seufzte. „Nun, du erklärst es Blackburn. Er ist noch immer nicht begeistert davon, dich allein hier zu lassen.“

„Habe ich mir gedacht“, erwiderte sie und lächelte. „Na, wo ist den der Herr Oberbanker?“

„Drin“, meinte Owen. „Wartet. Wenn du so nett wärst: Kümmer du dich doch um ihn.

„Dann schauen wir mal.“ Sie klopfte dem Mann auf die Schulter und ging an ihm vorbei in den Vorraum der Bank. Natürlich war die Tür zur Haupthalle bereits verschlossen, doch sie klopfte und nach vielleicht zwei Minuten näherte sich eine Gestalt, die als Schatten hinter dem zugezogenen Vorhang zu erkennen war. Ein Schalter wurde betätigt und die Schiebetür öffnete sich.

„Sie sind da, Mrs. Anderson“, stellte Blackburn griesgrämig und wenig begeistert fest. Sein Blick wanderte zu Murphy, der sich interessiert in der alten Halle umsah.

„Ganz schön pompös.“

„Wer ist das?“, fragte Blackburn.

„Mein Sohn“, antwortete Joanne. „Er wird mich unterstützen.“ Sie stieß Murphy an, damit er seinen Ausweis zeigte, der ihn ebenfalls als Konsutant der Polizei auswies.

Blackburn sah sich die Karte an und hob eine Augenbraue. „In Ordnung.“ Er seufzte und holte dann widerwillig einen Schlüsselbund aus seiner Tasche hervor. Daran fanden sich gesamt fünf Schlüssel und eine Schlüsselkarte. „Das ist das wichtigste. Seien sie sich nur dessen bewusst, dass normale Sicherheitskräfte weiterhin hier sind.“

„Davon bin ich ausgegangen“, antwortete Joanne. Glaubte er wirklich, sie würde eine Bank ausrauben wollen?

Eine ferne Stimme flüsterte in ihr Ohr: „Glaubt der wirklich, du brauchst dafür einen Schlüssel?“ Offenbar hatte er noch immer Langeweile. Oh Gott, das würde eine anstrengende Nacht werden.

Sie würde zwischen Murphy und Wukong sitzen und sich zulabern lassen. Wahrscheinlich würden die beiden es auch noch schaffen, den vermeintlichen Einbrecher zu vertreiben.

„Gut.“ Blackburn musterte sie und Murphy.
 

Zwanzig Minuten später hatten Blackburn und Owen die Bank verlassen. Sie war mit Murphy gemeinsam, kaum, dass Blackburn sie nicht mehr beobachtet hatte, in den Astralraum gewechselt. Denn wenn würde der Einbrecher wohl hier eindringen.

So saß sie hier nun, missmutig, da ihr Kaffee noch immer in der physischen Ebene stand. Sie hatte einen Stuhl etwas entfernt von dem kleinen Durchgang, der nur im Astralraum existierte, an der Wand aufgestellt und behielt den Tunnelausgang im Auge.

Murphy hockte im Schneidersitz auf einem der Schreibtische an einem Beratungsplatz. Er war nackt und trug eine Gestalt, die an seine reale Gestalt – ein afrikanischer, junger Mann, der jedoch ebenfalls zu jung aussah – da er noch immer keinen Sinn darin sah Kleidung an sich zu binden. Zumindest sagte er es so. Was er meinte war, dass er es viel lustiger fand Leute mit seiner Nacktheit aus dem Konzept zu bringen.

Er wippte mit dem Oberkörper ein wenig vor und zurück.

Auch Wukong war da, wie sie schon vorher erkannt hatte. Er hing kopfüber von der Balustrade der Galerie, die sich über die Nordseite der Halle erstreckte und beobachtete sie.

„Weißt du, Jojo, ich verstehe ja wirklich nicht, warum du den Jungen immer mitnimmst“, kommentierte er. „Sicher, er gibt deinem Charakter eine etwas weichere Seite, aber wirklich viel macht er ja nicht.“

„Weißt du, Mum“, kam es prompt von Murphy, „ich weiß ja nicht, warum du den Affen immer tolerierst. Sicher, er hält sich für einen Gott, aber wirklich viel macht er ja nicht.“

„Ach, das kleine Vögelchen hält sich für besonders helle“, meinte Wukong.

„Ach, der große Affe hält sich für wirklich klug“, meinte Murphy.

Joanne verdrehte die Augen. Wukong hatte normal eigentlich Respekt vor Murphys schneller Zunge. Murphy war immer von Wukong genervt. Wenn sie beide weitermachen lief, würden sie das die ganze Nacht durchziehen. „Es ist nicht so, als wärst du eine besonders große Hilfe, wenn es darum geht, Banker von normalen Erklärungen zu überzeugen, Wu.“ Sie sah zu dem Affengott.

„Das wäre ja auch nur halb so interessant.“ Der Gott grinste sie Kopfüber an und zeigte dabei seine raubtierhaften Zähne. „Ich fände es viel amüsanter, würdest du dem Herrn Waldbrand deine Kräfte zeigen. Keine Ahnung. Schlag ein Loch in seinen Tresor oder so.“

„Du weißt, dass das so nicht möglich ist.“

„Möglich ist es schon“, flötete der Affengott. „Du willst es nur nicht. Du hältst dich noch immer viel zu sehr an die Regeln. Wie langweilig.“

Noch einmal verdrehte sie die Augen. „Buhu.“

„Wirklich, Jojo! Ich bin hier, um mich zu amüsieren. Soweit ist diese Sache wirklich sehr, sehr langweilig.“ Auf einmal hellte sein Gesicht sich auf. Er schwang sich nach vorne und katapultierte sich aus dem Sprung heraus auf das Geländer. Dann drehte er sich um. „Oh, ich habe eine tolle Idee.“

Es war klar, was für eine Idee das war. „Nein, ich habe gerade keine Zeit gegen einen Drachen zu kämpfen.“

„Aber …“

„Wukong. Lass mich meine Arbeit machen.“ Das schlimmste war, dass sie ihn am Ende nur bitten konnte. Meistens respektierte er ihre Wünsche, doch technisch gesehen konnte er sie jeder Zeit sonstwohin katapultieren, um sonstwasfürein Monster zu bekämpfen. Es war nervig, doch sie hatte sich damit abgefunden. Sie hatte im Tausch dafür Kräfte bekommen, die ihr halfen, andere Dinge zu vollbringen, Leute zu beschützen. Auch wenn sie ihn nie darum gebeten hatte.

„Besonders kreativ bist du ja nicht, Affenhirn“, meinte Murphy. „Alles was ich höre sind Drachen hier, Drachen da. Ziemlich langweilig. Findest du nicht?“

„Murphy!“, rief Joanne aus. Das letzte, was sie gebrauchen konnte, war, dass er Wukong auf neue Ideen brachte. Langsam wusste sie zumindest, wie man mit Drachen umging.

„Was ist denn?“, fragte er und lehnte sich zurück.

Sie seufzte. „Du weißt genau was ist.“

„Es ist halt langweilig“, meinte Murphy. „Hier passiert ja nichts.“

Wukong nickte. „Da stimme ich ihm zu.“

„Und es wird auch nichts passieren, wenn ihr mit eurem Gelaber unseren Einbrecher verschreckt!“

„Aber …“, setzten beide einstimmig an.

„Kid, ich lad' dich morgen zum Essen ein, wenn du jetzt ruhig bist“, bot sie Murphy an.

Der Junge sah sie über seine verschränkten Arme hinweg an. Er zog einen Schmollmund, seufzte dann aber schwer. „Oookay.“

Wukong sah empört auf sie hinab. „Und was bekomm' ich?“

Sie schenkte ihm einen unbeeindruckten Blick. „Reicht es nicht, dass du mich in regelmäßigen Abständen entführst, um Götter und Monster für dich zu bekämpfen?“

„Nein.“

Natürlich nicht. Sie wartete auf eine konkrete Forderung.

„Aber ich weiß was.“

„Aha?“

„Du hilfst mir bei meiner Arbeit.“ Der Affengott grinste breit.

„Tue ich das nicht, wenn ich deine Monsterchen bekämpfe?“, fragte sie mit einem Seufzen.

„Nein, nein. Ich meine die langweilige Arbeit.“

Meinte er Papierkram? Wahrscheinlich meinte er Papierkram. Der thaoistische Pantheon hieß ja nicht umsonst „himmlische Bürokratie“. Sie seufzte. „Du weißt, dass ich kein Chinesisch kann.“

„Brauchst du nicht. Ich schwöre.“ Der menschengroße Affe machte das Zeichen eines Pfadfinderehrenwortes – und kreuzte dabei fraglos die Finger der linken Hand hinter dem Rücken.

Ach, zur Hölle. „Von mir aus.“

„Oookay“, kam es daraufhin vom Affengott, auf dieselbe unenthusiastische Art, wie von Murphy zuvor.

Stille. Wunderbare Stille senkte sich über den Astralraum, während Murphy demonstrativ Däumchen drehte und Wukong still über die Balustrade turnte, Grimassen schnitt und zwischenzeitlich seinen magischen Stab durch die Gegend schleuderte, nur um ihn in der Luft zu überholen und aufzufangen.

Kindsköpfe. Alle beide.

Aber bei Murphy hatte sie gewusst, dass es so sein würde, als sie sich entschlossen hatte, ihn mitzunehmen. Wukong … Mit ihm hatte sie nicht gerechnet. Normal scherte er sich nur um ihren Alltag, wenn sie sich dabei mit einem zu starken Gegner anlegte. Normaler Weise sah sie ihn nur alle paar Wochen einmal. Aber was war schon normal?

Die Zeit verging. Fünf Minuten, zehn Minuten, elf Minuten, zwölf Minuten …

Holz schabte über den Boden. Das Trappeln kleiner Füße, die schnell über den Boden huschten, war zu hören.

Joanne sah sich um. Ihre Augen brauchten einen Moment, um im seltsamen Dämmerlicht, das den Astralraum zu jeder Zeit erfüllte, die kleine Gestalt auszumachen, die von einer Zuflucht zur nächsten huschte, von einer vibrierenden, grünlichen Aura umgeben.

Das Wesen war, ganz wie sie erwartet hatte, nur knapp zwölf Zentimeter groß. Sein Kopf war unter einem dunklen Umhang versteckt, wie auch der Rest seines Körpers. Doch dem Geräusch nach, das seine Füße auf dem Steinboden erzeugten, besaß es Hufe. Dünne, kleine Hufe.

Es huschte unter einen der Schreibtische und lugte darunter hervor. Dann huschte es zu einem Regal hinüber und verschwand unter dem untersten Brett. Dann ging es weiter zum nächsten Schreibtisch. Immer und immer näher tastete das Wesen sich so an die hintere Wand und damit der Tür zum Keller heran. Aus jedem Versteck heraus, sah es nach vorne, sah sich um, zögerte, sah dann weiter, den Blick immer in die Richtung seines Ziels gewandt. Und das war sein Fehler.

Denn so bemerkte der kleine Wicht Joanne nicht, als sie sich vorsichtig von hinten näherte. Gerade flitzte er unter einem Schreibtisch hervor, als sie ihn mit einer einzigen, flinken Bewegung vom Boden aufhob und an seiner Kapuze festhielt. Sie war vorsichtig, ihm nicht zu sehr weh zu tun.

„He-he-hey!“, rief das Männchen erschrocken auf und strampelte mit seinen winzig kleinen Ziegenfüßen. „L-lass mich runter, du Wicht!“

„Wicht?“ Sie hielt ihn hoch genug, um ihn genauer beobachten zu können. Er hatte die Gestalt eines winzig kleinen, jungen Mannes mit lockigem Haar, dessen Farbe sie im Astralraum nicht genau ausmachen konnte. Sein Körper war neben dem Umhang von einer Robe verhüllt, die ihm bis über die Knie reichten, die von dicken, zotteligen Fell überzogen waren.

„Ja! Wicht!“, rief er aus. „Elendiger Wicht! Lass mich runter! Ich bin auf einer wichtigen Mission!“

„Der Mission eine Bank auszurauben?“ Sie hob fragend eine Augenbraue und betrachtete den Jungen.

Murphy war aufgestanden und kam zu ihr hinüber, um den kleinen Mann genauer in Augenschein zu nehmen. Er schwieg, wahrscheinlich um einen Punkt daraus zu machen, dass sie ihm zuvor den Mund verboten hatte.

„Ich habe nichts geraubt!“

„Du hast nur fremder Leute Eigentum durcheinander gebracht, hmm?“, meinte sie.

„Eigentum? Eigentum? Wessen Eigentum!“ Der Wicht strampelte noch immer. Wenn sie nicht irrte, hatte sie es hier mit einem Puck zu tun. Einem Feenwesen der Wiesen und Pilze.

„Das Eigentum der Leute, die die Schließfächer gemietet haben zum Beispiel.“ Sie setzte ihn auf dem nächsten Schreibtisch ab, hielt ihn aber bei seinem Umhang fest, um sicher zu gehen, dass er ihr nicht zu schnell entkam. „Zum Beispiel das Geld, was du zu Kranichen gefaltet hast.“

Mit vorgeschobener Verständnislosigkeit sah er sie an. „Geld?“ Er war kein guter Lügner.

„Du weißt, wovon ich spreche.“

„Und du weißt nicht, wovon du sprichst! Ich bin auf einer wichtigen Mission!“

„Was für einer Mission denn?“, fragte sie.

Schnaubend sah das Männchen sie an. Dann verschränkte es demonstrativ die Arme. „Das geht dich nichts an. Wicht!“

„Dann fürchte ich, dass ich dich den Special Department der MPD überlassen muss.“

„Dem was?“

Nun konnte Murphy sich doch nicht beherrschen. „Der Polizei. Das sind gewaltätige Menschen, die nur so darauf warten, einen kleinen Feenmann zu foltern und ihm die Geheimnisse …“

„Kid.“ Sie sah ihn von der Seite an.

Murphy kicherte. „Ich sage die Wahrheit“, versicherte er. Anders als der Feenmann war er ein guter Lügner.

„Nein, sagst du nicht.“ Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Puck zu. „Warum hast du das Geld gefaltet?“

Verschränkte Arme. Schmollmund. Wie kindisch. „Ich sage nichts.“

„Dann muss ich dich mitnehmen.“ Sie wartete für einen Moment, hob ihn dann wieder hoch.

„Nein!“, rief er aus.

„Aha?“, fragte sie und sah ihn an.

Stille. Der Schmollmund wurde noch weiter verzogen. Dann: „Ich bin auf einer wichtigen Mission. Ich muss ein heiliges Ritual zu Ende bringen!“

„Ein Ritual?“

Der Puck nickte mit ernstem Blick und funkelte sie an. „Ja. Ein Ritual.“

Natürlich wusste sie, wovon er sprach. Sie hatte es nachgeschaut und ihre eigenen Schlüsse gezogen. Er redete wahrscheinlich von den tausend Kranichen, die man laut japanischer Legende aus Origami faltete, um einen Wunsch erfüllt zu bekommen oder jemanden zu heilen – je nachdem, wen man fragte. Hazel hätte ihr wahrscheinlich mehr dazu erzählen können, doch sie war – wie so oft in letzter Zeit – mit Raksha fort gewesen. Wohin auch immer die beiden verschwunden waren. Joanne hatte nicht mehr wissen müssen.

„Was für ein Ritual?“, fragte sie.

„Ein enorm wichtiges!“, meinte der Puck. „Und jetzt lass mich runter!“ Er schrie bei diesen letzten Worten, auch wenn seine Stimme dennoch nicht mehr als ein Piepsen war.

„Sag mir, was für ein Ritual es ist“, forderte sie grob.

„Ich rate dir, auf sie zu hören, denn was sie sonst tut …“

„Murphy!“

„Was?“

Unglücklich und mit zitternder Nase sah der Puck sie an. Er holte tief Luft. „Wenn ich das Ritual nicht zu Ende bringe, dann wird ein Freund sterben! Also lass mich runter, du elendiger Wicht!“

Joanne seufzte. So etwas hatte sie sich schon gedacht. „Du willst also jemanden heilen?“

Verschränkte Arme. Misstrauischer Blick. „Ja.“

„Und deswegen willst du tausend Kraniche falten?“

Ein tiefer Atemzug. „Ja.“

„Und warum benutzt du dafür Geld?“ Sie musterte den Kleinen.

„Na, weil der Zauber stärker ist, wenn dem Papier ein größerer Wert beigemessen wird!“ Der Puck sah sie an, als wäre das vollkommen natürlich, was es vielleicht auch war.

Schließlich wussten viele Feen und auch einige Menschen, dass Gegenstände, denen ein metaphorischer, emotionaler oder symbolischer Wert inne lag, oft bessere Zauberfoki abgaben, als etwaige wertlose Gegenstücke. Es war nicht ungehört und wurde oftmals bedacht – gerade von Schamanen. Was es allerdings dennoch nicht okay machte, fremder Leute Geld dafür zu verwenden.

„Warum hast du keinen Heiler gesucht?“, fragte sie.

Noch immer hatte der Puck die Arme verschränkt. Mutlos kickten seine Beine in der Luft. Er hatte schon lange aufgegeben zu entkommen. „Weil ich keinen Heiler kenne.“

„Du hättest dennoch einen Heiler suchen können, bevor du in die Bank einbrichst.“

„Wieso? Ich habe doch nichts weggenommen.“

„Weil du nicht einmal weißt, ob das Ritual so funktioniert“, kommentierte Joanne und musterte ihn. „Und weil du bisher ja nicht erfolgreich warst, oder?“

Der Blick des kleinen Feenwesens sah aus, als würde es sie persönlich dafür verantwortlich machen, dass seine bisherigen Faltversuche fehlgeschlagen waren. „Erika sagte, dass es funktioniert.“

„Aber vielleicht funktioniert es nur, wenn du denselben Göttern folgst, wie sie.“

Die Lippe schon wieder zu einem Schmollmund hochgezogen, wandte der kleine Mann den Blick ab.

Murphy, der neben ihr stand, verdrehte die Augen. Wahrscheinlich verkniff er sich nur gerade so einen Kommentar zu der Situation.

Schließlich seufzte Joanne. „Ich kenne einen Heiler.“

Der kleine Puck sah sie an. Misstrauisch funkelten seine Augen. „Ach ja?“

„Ja. Mein Mann ist ein Heiler. Also wenn du mir sagen würdest, was eigentlich das Problem ist, können wir sicher schauen, dass wir deinem Freund“ – oder nicht eher Freundin? – „helfen können.“

Er sah sie an und schien für einen Augenblick wirklich über ihr Angebot nachzudenken, doch dann verschränkte er wieder die Arme. „Nein!“

Was zur Hölle war sein Problem? „Warum nicht?“

„Du willst mich sicher nur in eine Falle locken, und dann zusammen mit Erika gefangen nehmen!“

„Wenn ich dich gefangen nehmen wollte, würde ich es einfach so tun und dann könntest du Erika nicht helfen. Warum sollte ich sie Gefangen nehmen wollen?“

„Weil du ein Mensch bist und Menschen böse sind.“

Murphy ließ ein leises Lachen hören, was ihm einen entgeisterten Blick von ihr einbrachte. Auch wenn sie genau wusste, warum er lachte.

„Magst du das vielleicht übernehmen?“, meinte sie süffisant und sah ihn an.

„Du hast gesagt, ich soll den Mund halten“, entgegnete Murphy.

Sie seufzte. „Damit du den Einbrecher nicht verscheuchst und wir ihn fangen können.“

„Aha!“, rief der Puck aus.

Sie sah ihn an. „Damit wir ihn befragen können“, fügte sie dann mit Nachdruck hinzu. Dann wandte sie sich wieder Murphy zu. „Jetzt, da wir ja mit ihm reden, könntest du ihn davon überzeugen, zu kooperieren.“

„Und was bekomme ich dafür?“

Tat heute denn niemand mehr etwas nur des Helfens willen? „Einen extra großen Schoko-Erdbeer-Becher?“

Murphy tat, als müsse er länger darüber nachdenken, streckte dann aber die Hand aus. „Deal.“

Anstatt seine Hand zu ergreifen, setzte sie den Puck, der so leicht seinen Namen wohl nicht verraten würde, darauf ab.

„Bleib von mir fern!“, protestierte der Puck und machte Anstalten von Murphys Handfläche zu springen.

„Jetzt mach aber mal Halblang“, meinte Murphy. Er zeigte seine grün leuchtenden Faeaugen. „Wie du siehst, bin ich kein Mensch. Also hör mir einmal zu.“ Als der Puck ansetzte, um zu protestierten, redete Murphy einfach weiter, wie er es so gerne tat. „Wie ich das sehe, hast du keine großartige Wahl. Du warst nicht vorsichtig genug und wurdest aufgespürt und musst daher nun die Konsequenzen tragen. Die Konsequenzen sind, dass du entweder der Polizei ausgehändigt wirst und dieser dann Rede und Antwort stehen musst, ehe sie dich in ein tiefes Loch werfen, wo man dich garantiert verhungern lassen wird und du niemanden mehr helfen kannst.“

„Murphy“, knurrte Joanne.

Der Junge fuhr unbeirrt fort. „Oder du zeigst dich Kooperationsbereit und bringst meinen Dad zu deiner Freundin, damit er ihr helfen kann, anstatt ein Ritual zu versuchen, das du ohnehin nicht ganz verstanden hast, und damit auch noch die Menschen auf deine Existenz aufmerksam zu machen, was auf Dauer den Magiern und den Werwölfen fraglos missfallen wird und dir noch ganz andere Probleme einbringen wird. Kurzum hast du eine Wahl, aber ich weiß, welche Möglichkeit ich wählen würde, wenn ich du wäre. Das ist nämlich die zweite, wo du wahrscheinlich ungeschoren davon kommst und deiner Freundin geholfen werden kann. Siehst du das nicht auch so?“

Der Schwall der Wörter wusch förmlich über den Puck hinweg, der mehrfach Anstalten machte, zu protestieren und auf andere Art zu widersprechen, jedoch nie wirklich dazu kam. Am Ende saß er nur auf Murphys Hand und öffnete mehrfach den Mund, nur um ihn jedes Mal wieder zu schließen. Er brauchte einige Minuten, ehe er sich davon erholt hatte. Schließlich holte er tief Luft. „Woher weiß ich nicht, dass das eine Falle ist?“

„Das kannst du nicht wissen“, meinte Murphy süffisant und lächelte. „Aber deine Auswahl ist zwischen sicherem Verderben und einer Chance, die eventuell kein Verderben mit sich bringt. Also: Was soll es sein?“

Der kleine Feenmann verschränkte seine Arme und sah Murphy schmollend an. „Von mir aus. Dann gehen wir halt zu dem Heiler. Aber ich sage euch, wenn das eine Falle ist, dann werde ich euch verfluchen, dass euch Hören und Sehen vergeht. Jawohl.“

Joanne seufzte. „Ist gut.“ Sie sah Murphy an, der ihr ein selbstüberzeugtes Grinsen schenkte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Taroru
2017-12-20T12:57:31+00:00 20.12.2017 13:57
ach gott... na das ist ja ein gespann XD
eigentlich da nur chaos enstehen oder? mir sind die beiden jedenfalls sehr sympatisch, auch wenn es mit ihnen echt anstrengend sein muss *lach* XD
die erklärung hat mir gefallen, warum der kleine puck unbedingt die kraniche falten muss usw. erscheint mir hier echt so weit logisch :-)
freu mich auf mehr ^^


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