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Hundstage

Kein Hund wie jeder andere
von

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Fehler


 

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in interessanter Abend im angesagten „Billionaire“, in einem der Amüsierviertel Tokios, ging zu Ende. Hier begegneten sich Youkai und Menschen gleichrangig, dafür sorgte schon der enorme Beitrag des Clubs, ohne dessen Mitgliedschaft man die elitären Räumlichkeiten nicht betreten konnte. Hier traf sich vor allem der Nachwuchs der High Society, wurden Ehen ebenso gegründet wie Firmen. Zumeist bekannt für die ungezwungene und dennoch diskrete, unterhaltsame, Atmosphäre boten einige Räume auch Platz für diverse Spiele, oft genug wechselte eine Menge Geld dabei den Besitzer.

Ein junger Youkai im schwarzen Anzug, dessen fast knielanges weißes Haar selbst für jemanden seiner Art ebenso auffiel wie die weiße Boa um seine Schulter, schritt gelassen zum Ausgang. Respektvoll wurde ihm Platz gemacht, ehe vor der Tür ein eilig herbeilaufender Bediensteter mit einer tiefen Verneigung seinen Mantel überreichte.

„Wer ist das?“ erkundigte sich daher ein, offenbar ausländischer, menschlicher Gast bei seinem Geschäftsfreund, der ihn heute mit hierher genommen hatte, um den neu abgeschlossenen Vertrag auch gebührend zu feiern.

„Sesshoumaru,“ erwiderte dieser. „Der Sohn des Inu no Taishou. Dem gehört die Taishou Holding, falls Sie schon davon gehört haben. Überdies ist er so genannter Berater der Regierung, wenn es um dämonische, oder eher, Youkai-Belange geht. Diplomatischer Status. Er hat auch die Verträge zwischen Menschen und Youkai vor fast siebzig Jahren ausgehandelt. Man sagt, für alle Youkai sei er der Herr – und das ist sein einziger Sohn.“

„Er kam dort aus dem Raum – hören Sie das?“ Er bezog sich auf das seltsam klingende Wimmern, das aus dem Raum drang, den Sesshoumaru eben verlassen hatte.

„Äh, ja.“

Die beiden Herren schlugen den schweren, grünen, Samtvorhang eines Kabinetts zurück und starrten entsetzt auf den Anblick, der sich ihnen bot. Ein menschlicher Mann lag auf dem Boden, den rechten Arm unnatürlich verrenkt, der schwarze Anzug zerrissen und das, was man darunter sah, war auch nicht schöner Natur, als sei eine aggressive Säure über den Oberkörper geflossen. Die rund um den kleinen Raum hängenden Samtteppiche bewegten sich nicht.

„Um Himmels Willen!“ sagte der Gast zu seinem Geschäftspartner und eilte zu dem Verletzten. „Rufen Sie einen Arzt! Was für ein kaltblütiger Hund! Bringt jemanden um und geht dann einfach!“

Hund im wahrsten Sinne des Wortes, ein Inuyoukai, dachte der Angesprochene, aber er wandte sich hastig um, um einen Arzt zu rufen. Das würde eine Menge Ärger geben, wenn ausgerechnet der Sohn des Herrn der Youkai einen Menschen umbrachte und damit die Regeln der Verträge brach.

 

In einem der vornehmen Viertel der Hauptstadt in einer großen, altmodischen, Villa, saß ein Mann Mitte der Sechzig im Geschäftsanzug, vor sich ein Tischchen, das zeigte, das er soeben gefrühstückt hatte. Er trank gerade den letzten Schluck seines Bancha, als er ein wenig irritiert aufsah, denn die Tür wurde mit gewissem Schwung beiseite geschoben. Onigumo no Gumo war ein sehr reicher Mann und somit nicht gewohnt, dass Leute ohne Anmeldung seine Mahlzeiten störten. Noch ein wenig irritierter erkannte er seinen Sohn, der, offenbar noch im Ausgehanzug, hereinkam, sich jedoch höflich verneigte. Das war mehr als ungewöhnlich.

„Naraku? Ist etwas geschehen?“

„Ja, aber ich denke, es wird Sie erfreuen, Vater.“ Der junge Mann, der wie um die Zwanzig wirkte, nahm auf den Wink hin gegenüber des Hausherrn Platz. „Ich komme soeben aus dem „Billionaires“ und wollte es Ihnen sagen, ehe es in allen Medien steht. Es wird einen netten Skandal geben, Presse und Polizei und alles, was dazu gehört. Sesshoumaru hat einen menschlichen Mann verletzt, wenn nicht getötet.“

Onigumo setzte seine Teeschale ein wenig zu fest ab. „Sesshoumaru? In der Tat, das gibt einen Skandal. Hoffentlich wird er festgenommen. Noch etwas?“ Er kannte seinen Sohn. Naraku kam etwas nach seiner dahingeschiedenen Mutter, einer Spinnenyoukai, die noch im Kindbett verstorben war. Onigumo war froh, dass das von den Ärzten als Kindbettfieber und dem Austragen eines Hanyou geschuldet verbucht worden war. Tatsächlich hatte er ein wenig nachgeholfen, als er nachgelesen hatte, dass der unstillbare Appetit einer Spinnendame nach der Geburt der Kinder mehr denn je ausbrach. Und er hing an seinem Leben. Allerdings wusste niemand viel über Hanyou, so selten wie sie vorkamen, und er hatte seinen Sohn auch entsprechend streng erzogen, solange er das in seiner Kindheit vermochte. Das Ergebnis war ein cleverer junger Mann, der ihm in allem nacheiferte. Aber Onigumo war zu welterfahren, um nicht zu wissen, dass die Balance zwischen Anlernen und Vertrauen nicht überschritten werden durfte. Naraku war im Geschäft mit vielerlei Dingen betraut, konnte alles mögliche allein entscheiden, aber er war nicht in alles eingeweiht. Vorsicht war besser. Onigumo bezweifelte, dass ein Hanyou mehr Skrupel haben würde als er selbst. Bei der Kleinen war in dieser Richtung sowieso alles besser. Sie war ein reiner Mensch, gut erzogen, fast ein wenig altmodisch, jedenfalls bereit dazu in einem großen Haus die Herrin zu sein. Nach ihrem Abitur, das Izayoi werbewirksam an einer öffentlichen Schule abgelegt hatte, lebte sie nun hier, lernte Fächer zu schwenken, die Kimono anzuziehen und anderes. Er hatte sich extra eine Dame kommen lassen, die gewöhnlich hochbezahlte Geishas ausbildete. Diese Investition würde sich auszahlen. Es gab nur wenige junge Damen in der Highsociety, die so gar nicht mit der Moderne liebäugelten – und die potentiellen Schwiegereltern mochten darauf achten. Einige Familien waren begütert und gern altmodisch.

Naraku zuckte die Schultern, sah jedoch zu Boden. „Sesshoumaru hat entweder nicht bedacht, was er da tut, oder er war sich sehr sicher. - Jedenfalls hörte ich dem Streit zu. Und ich könnte, wenn notwendig, selbst vor Hundeyoukai vor Gericht beschwören, was ich hörte.“ Diese wurden gern als lebende Lügendetektoren eingesetzt, witterten sie doch jede Regung.

Onigumo blickte auf. „Interessant.“ Er wartete ab.

„Dieser gute Takazen hat ihn beleidigt. Betrüger und Falschspieler waren noch das Harmloseste. Ich hörte es zufällig, da ich aus einem anderen, dahinter liegenden, Raum durch das grüne Kabinett das Billionaires verlassen wollte. Natürlich blieb ich stehen und hörte zu.“

„Natürlich. Und niemand sah dich.“

„Da bin ich mir sicher. Ich verließ den Raum dann erst, nachdem die Sanitäter da waren.“

„Einen Entlastungszeugen für seinen Sohn könnte der Taishou mutmaßlich sehr gut brauchen. Du hast ausgezeichnet mitgedacht.“ Natürlich müsste der Herr der Youkai dafür irgendwie entgegenkommen. Onigumos Gedanken flogen.

„Äh, Vater, es gibt nur ein Problem.“

Der Herr der Gumo-Bank und eines förmlichen Finanzimperiums starrte seinen Sohn an, aus den kühnsten Phantasien gerissen. „Was ist? Was hast du getan?“ Er kannte Naraku. So schuldbewusst sah der nur aus, wenn etwas wirklich Schwerwiegendes passiert war, für das selbst der kluge Junge keine Lösung wusste.

„Ich brauche bis Ende der Woche zwanzigtausend US-Dollar oder deren Gegenwert,“ gestand Naraku kleinlaut.

Onigumo holte tief Atem. „Ich halte diese Spielerei um Geld für töricht, aber ich habe nichts dagegen, solange du gewinnst. Wie konntest du gegen einen Menschen verlieren? Deine Schnelligkeit als Hanyou täuscht doch das Auge.“

„Es ... es war kein Mensch.“ Und das war gegen die Abmachung mit seinem Erzeuger. „Ich kann das Geld unmöglich aufbringen, Vater.“

Onigumo schüttelte ein wenig den grauen Kopf. „Ich auch nicht, Naraku. Zwanzigtausend! An wen hast du verloren?“

„Ryuukossusei.“ Naraku sank in sich zusammen. Er musste seinen Vater überzeugen ihm das Geld zuzuschießen. Jeder wusste schließlich, was der Herr der Drachen mit Leuten tat, die ihm Geld schuldeten. Wenn er verlor, zahlte er durchaus pünktlich, aber wenn ihn jemand hinhielt, konnte der gebrochene Beine als Glücksfall buchen. Prompt kam auch die Bemerkung, die er fürchtete.

„Mein lieber Sohn.“ Onigumo verschränkte die Finger. „Ich meine mich zu entsinnen, dass ich dir nicht nur einmal gesagt habe, du kannst deine Spiele gern spielen, aber nur mit Menschen. Was in aller Welt trieb dich dazu, stattdessen nicht nur mit einem Youkai, sondern mit Ryuukossusei zu spielen? Bist du vollkommen verrückt geworden?“

„Er forderte mich auf, Vater. Und ein Nein hört er nicht gern. Ich befürchtete Nachteile, nicht zuletzt für unse … Ihren Konzern. Und mein gewöhnliches Falschspiel brauche ich unter solchen Augen nicht einmal versuchen. Bitte, geben Sie mir die Zwanzigtausend.“

„Unmöglich.“

Naraku starrte seinen Vater an. „Wissen Sie, was das bedeutet? Für mich bedeutet? Es ist für Sie doch keine Mühe … Oder doch?“

Onigumo sah kurz auf sein Tischchen, ehe er behutsam die Flamme im Stövchen ausblies. „Ich kann dir keine zwanzigtausend US-Dollar bis zum Ende der Woche geben, weil ich sie nicht habe.“

„Ja, aber die Bank …?“ Der Sohn atmete tief durch, als ihm die entsetzliche Wahrheit dämmerte.

„Die Bank und alle Firmen sind verschuldet, selbst das Haus hier ist bis zur Grenze belastet,“ gestand Onigumo. „Ich hatte mit einigen Spekulationen schlicht großes Pech. Momentan schiebe ich seit Wochen bereits reinkommende Gelder an die wichtigsten Auszahlungen. Kurz zusammengefasst: wir sind pleite, wenn uns nichts besonders Gutes einfällt.“

„Etwas Gutes?“ Naraku starrte seinen Vater an. „Und das Erbe meiner Halbschwester? Das sind drei Millionen! Oder sind die auch schon weg?“

„Nein, die sind da. Bedauerlicherweise hat ihr mein verehrter, verstorbener, Schwiegervater jedoch sein Erbe unter einigen lästigen Bedingungen hinterlassen. Izayoi erhält es nicht vor ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag, es sei denn, sie würde nach ihrem einundzwanzigsten Geburtstag heiraten. Bis dahin habe ich keinerlei Zugriff, ja, nicht einmal die Möglichkeit es zu beleihen.“

Naraku presste die Lippen zusammen. „Sie ist doch einundzwanzig. Dann muss sie doch heiraten können.“

„Kaum innerhalb einer Woche.“ Onigumo richtete sich auf und legte die Hände an die Oberschenkel. „Schön, Naraku. Ich werde ins Büro fahren. Ziehe dich um und komme dann nach. Und wir werden uns beide überlegen, wie wir die Zwanzigtausend an Ryuukossusei zahlen können, die Firmen retten. Jeder einen Plan. Um zwölf Uhr besprechen wir das.“

„Danke, Vater.“ Naraku war zufrieden. Das bedeutete ja auch, dass Onigumo no Gumo dem Schicksal seines Sohnes Priorität vor dem seiner Tochter einräumte. Immerhin etwas. Das mit dem finanziellen Fiasko der Firmen war freilich eine mehr als unangenehme Überraschung gewesen. Auch da musste Izayoi die Lösung sein. Ein in sie verliebter Mann sollte doch bereit sein, ihrer Familie unter die Arme zu greifen.

 

Pünktlich um Zwölf ließ sich Naraku im Büro seines Vaters anmelden.

Onigumo winkte ihm sich niederzulassen. „Dein Plan?“

Natürlich. Der Chef des Gumo-Clans ließ sich nie aus der Reserve locken. „Um die Zwanzigtausend an Ryuukossusei zahlen zu können, werde ich heute Abend wieder spielen. Gegen Menschen. Und verlieren.“ Naraku bemerkte das Stutzen des Konzernherrn. „Ich habe da zwei Männer an der Hand, reich, menschlich, die mich zu einem Spiel eingeladen haben. Verliere ich heute, werden sie morgen mit mir wieder spielen – und ich werde … nun, gewinnen.“

Onigumo neigte etwas den Kopf, durchaus zustimmend. „Natürlich. Und sie können diesen großen Gewinn deinerseits nur der Tatsache zuschieben, dass sie zu gierig waren, nicht wahr? Ein guter Plan. Weiter.“

„Danke, mein Vater. - Was die Bank und die Finanzcenter betrifft – ich habe keine Ahnung, wie viel Geld Sie benötigen. Aber der sicherste Punkt, zumindest die Gläubiger zum Stillhalten zu bewegen, ist der Inu no Taishou. Er ist sowohl reich genug als auch einflussreich genug.“

„Deine positive Aussage über Sesshoumaru.“

„In der Tat.“

„Daran dachte ich auch. Dem guten Taishou sollte es etwas wert sein, seinen einzigen Sohn vor dem Gefängnis zu bewahren. Oder Ärgerem. Denn nach den Verträgen, die der Taishou mit den Menschen aushandelte, bedeutet der tödliche Angriff eines Youkai auf einen Menschen, dass er ihn richten muss. Und solche Morde werden unter Youkai mit der Todesstrafe geahndet.“

„Ja, dessen bin ich mir bewusst.“ Naraku lächelte etwas. „Ein fataler Fehler des Junior. Nur, wie wollen Sie den Taishou dazu bekommen zu bezahlen? Erpressen lassen wird er sich kaum.“

„Nein, keine Erpressung, da hast du recht. Aber eine Heirat deiner Schwester mit Sesshoumaru.“

„Verzeihen Sie, Vater, wenn ich nicht verstehe.“ Aber Naraku hatte gelernt, dass sein Vater meist weitreichende Pläne hatte. Und, dass er ihn langsam, aber sicher, einholte. Umso wichtiger war es, weiter zu lernen.

„Ein Bündnis. Der Taishou erhält deine Aussage, damit das Leben oder zumindest die Freiheit seines Sohnes, und eine Million Mitgift für Izayoi. Hinzu kommt, dass sie nicht gerade hässlich aussieht und gelernt hat, wie man ein vornehmes Haus führt. Sie würden sich mit ihr so nicht blamieren – nur, sie ist ein Mensch und das dürfte Sesshoumaru nicht passen. Aber, das wird sich höchstens auf seine künftige Ehefrau auswirken, nicht wahr? Und Izayois Probleme interessieren mich weniger als deine.“

„Danke, verehrter Vater.“ Aber Naraku erlaubte es sich eine Augenbraue zu heben. Da Onigumo den Kopf neigte, fragte er: „Es ist nicht so, dass ich meine Halbschwester liebe. Aber, eine Million, um sie loszuwerden – und wie viel bringt das für die Rettung des Konzerns?“

„Zwei. Das bringt immerhin einen Monat, dazu die Ankündigung der Hochzeit … das sollte reichen. Wie gesagt, ich habe mich verspekuliert, aber ich bin erfahren genug, um auch wieder zu gewinnen. Das Problem sind die Monate dazwischen. Und Izayoi ist ein Mädchen, gedankenlos, behindert durch kleinliche Skrupel. Wir werden ihr erzählen, dass diese Ehe notwendig ist, um uns beide vor dem rituellen Selbstmord aufgrund der Pleite zu retten. Sie darf sich als Heldin fühlen, wir sind sie los. Ich habe sie lange genug durchgefüttert.“

Naraku hob plötzlich überaus interessiert den Kopf. Nach dem Tod seiner eigenen Mutter hatte ihn sein Vater großgezogen, nach einigen Jahren eine menschliche Frau geheiratet.

Onigumo bemerkte die gewisse Anspannung. „Nun, wie du ohne Zweifel weißt, habe ich deine Mutter sehr gern gehabt, so gern, um mich über die unsichtbaren Rassenschranken und die Gefahr, die deine Mutter nun einmal mit sich brachte, hinweg zu setzen. Bei meiner zweiten Frau zählte ihre Familie dann deutlich mehr. - Du bist ein Hanyou, du lebst deutlich länger als ich und du kannst es dir erlauben auf Zeit zu spielen. Damals suchte ich einen uralten Baum im Wald auf, von dem es hieß, er berate auch den Taishou. Der war sicher, dass du wie ein Mensch alterst, bevor du in die Pubertät kommst, dann jedoch wie ein Youkai. Nun, seine Vorhersage stimmte bislang. Aus all dem würde ich doch vorschlagen, wenn unsere Lage ein Opfer erfordert, dass das Izayoi sein wird. Oder hast du etwas dagegen?“

Naraku dachte an den Drachen, seine Spielleidenschaft und sein Erbe. „Nein, Vater.“

 

 

Eltern verzeihen ihren Kindern am Schwersten die Dinge, die sie ihnen selbst anerzogen haben.

Marie von Ebner-Eschenbach.

 

 

 
 

Der Herr der Hunde

I see the pale moon rising,

I see trouble on the way,

 

Creedance Clearwater Revival: Bad moon rising

 

 
 

Sesshoumaru bog den Kopf zurück. Eine der Erfindungen der Menschen, die er in den letzten Jahren tatsächlich schätzen gelernt hatte, war dieses Duschen mit warmem Wasser. Nur jetzt noch kurz hier entspannen, dann umziehen und in die Konzernzentrale fahren. Vater würde ihn sicher pünktlich erwarten. Um neun begann dort sein Arbeitstag. Nun ja, als so starker Youkai brauchte er keinen Schlaf, oder wenn, dann äußerst selten.

Er stellte die Dusche ab und drückte das Wasser etwas aus seinem Haar und der Boa, die sich um seine Schulter schlang. So durchnässt sah er nicht sonderlich elegant aus, befand er, aber ein wenig Youki, dämonische Energie, würde ihn rasch trocknen lassen.

Moment. Er spannte sich unmerklich an. Unter der Dusche war es ihm entgangen, aber nun war er sicher, dass sich dort drüben, im Wohnzimmer der Stadtwohnung, die seinem Vater gehörte, ein Youkai aufhielt. Ein mächtiger noch dazu. Vater? Kaum ein anderer käme hier herein. Wie lange wartete dieser schon da? Schlimmer, auf ihn? Das konnte der als unhöflich auslegen – und er kannte lebenslang die ausgeprägte Meinung des Inu no Taishou zu diesem Thema, die kaum von seiner eigenen abwich.

Hastig eilte er hinüber, ohne sich noch die Zeit zu nehmen ein Handtuch um zu wickeln oder seine Haare zu trocknen.

Bei seinem Anblick flirrte das Youki im Raum förmlich empor, ließ die Temperatur im Zimmer ebenso deutlich fallen, und der Junior hielt es für erklärlich besser sich vor seinem Vater, der fast nachlässig in einem Sessel lehnte, niederzuknien und höfisch gedrillt zu Boden zu blicken. Was war denn nur los? Ein wenig fasziniert betrachtete er, wie sich auf dem Teppichboden, der sich unter ihm anfeuchtete, unter der stark abgesunkenen Gradzahl im Raum etwas wie Raureif bildete. Vater war überaus aufgebracht, so sehr, dass sogar dessen beiden Schulterfelle unter seiner Energie wehten. Wegen dieses törichten Menschen, der ihn selbst beleidigt hatte, vor wenigen Stunden? Er hatte den doch nur ein wenig zur Ordnung gerufen. Vor einem Jahrhundert noch wäre der so etwas von tot gewesen …

„Ich bin mir nicht sicher, Sesshoumaru, ob du impulsiver bist, als es einem Youkai deines Standes gebührt, oder törichter, als ich es von meinem Sohn erwarte,“ sagte der Herr der Hunde ebenso kalt wie die Zimmerluft.

Was sollte er dazu sagen? Sesshoumaru schwieg lieber, musterte aber aus den Augenwinkeln, wie er hoffte, verstohlen, wie sich auf seiner feuchten Boa langsam Eiskristalle bildeten. Er war sicher, dass das auch mit seinem Haar geschah. So etwas war ihm vor Jahrhunderten passiert, als er zur Strafe stundenlang in einem Gletscherbach baden musste. Aber das eigene Youki ansteigen zu lassen, um sich zu trocknen und aufzuwärmen, würde sein verehrter Vater als unverschämte Herausforderung auffassen. Man verglich die eigene Energie nur mit der eines Daiyoukai, wenn man ebenfalls in dieser Liga spielte – und es auf ein Duell anlegte. Wer nur war unverzüglich losgelaufen und hatte den Zwischenfall in dem Club Vater berichtet? Und, ja, erkannte er, wenngleich etwas spät, Menschen zu verletzen war seit siebzig Jahren, seit den Verträgen, jedem Youkai verboten. Dann musste man vor ein menschliches Gericht und es ging um Geldstrafen und Schadensersatz. Schlimmer wurde es, wenn man einen Menschen tötete, denn dann musste man vor Vaters Gericht. Und unter Youkai gab es zwei Regeln: schuldig bedeutete den Tod, nicht schuldig, das Leben. Au weia. Dem Jugendlichen dämmerte, dass unter Umständen dieser Narr von Tere ... irgendwas gestorben sein könnte. Das wäre ein guter Grund für Vaters Zorn. Er selbst hatte einen schweren Fehler begangen.

„In den Verträgen sagte ich den Menschen meinen Schutz vor allen Youkai und Drachen zu. Du hast somit mein Wort gebrochen. Und das schätze ich keineswegs, wie du wissen solltest.“

„Er lebt also noch?“ entfuhr es dem jungen Youkai, durchaus erleichtert. Allerdings, wenn er vor einem menschlichen Gericht erscheinen musste, wäre das auch ein Gesichtsverlust, für ihn und seinen verehrten Vater. Kein Wunder, dass dieser so erbost war und an seiner, Sesshoumarus, Selbstbeherrschung zweifelte. Dabei hatte er doch nur geglaubt, ein wenig … hm … Nachhilfe könne bei den Gedanken eines Menschen nicht schaden. Fehler, dachte er zerknirscht. Fataler Fehler, der wohl auch Vater mit hinein ziehen würde.

Der Taishou atmete tief durch. „Ja. - Unser Privatflugzeug wird demnächst nach Sibirien starten. Wie du dich gewiss erinnerst, warten dort Verhandlungen mit den Schneefüchsen und vor allem Väterchen Frost, dem Herrn der dortigen Dämonen. Du wirst diese Aufgabe übernehmen. Jaken fährt dich unverzüglich zum Flugplatz. Ein Kopie der Akte liegt im Wagen. Du kannst sie auf dem Flug nach Irkutsk sicher genau studieren. In zwei Wochen endet dieser offizielle Besuch. - Ich hoffe, bis dahin hat man deine … hm … Kneipenschlägerei vergessen.“

Das Wort traf den Jugendlichen in seinem Stolz und er sah ruckartig auf. „Er hatte mich beleidigt, verehrter Vater!“

Der Taishou hob eine Augenbraue.

Sesshoumaru neigte eilig den Kopf. Nur ein König der Narren würde selbst seine Strafe erhöhen. Vater wäre in der Lage ihn wochenlang in Sibirien sitzen zu lassen – von anderem ganz zu schweigen. Und immerhin bedeutete das, dass sich der Herr der Hunde um die Folgen des unbedachten Verhaltens seines Sohnes hierzulande kümmern würde. „Ja, verehrter Vater.“ Zu seiner gewissen Erleichterung sank der Spiegel des Youki und damit stieg die Temperatur.

Der Taishou erhob sich. „Du hast eineinhalb Stunden, ehe das Flugzeug starten soll. Das Auto wartet unten. - Du solltest Selbstbeherrschung zeigen. Väterchen Frost ist nicht so langmütig wie ich.“

„Ja, verehrter Vater.“

 

Vor dem eleganten Hochhaus in der Innenstadt warf der Inu no Taishou nur einen kurzen Blick auf das Auto mit dem wartenden Chauffeur. Hinten saß ein Kappa, Jaken, der Sekretär Sesshoumarus, der ihm einen unbehaglichen Blick zuwarf, allerdings die Akte zu den russischen Dämonen fest in den kleinen Klauen hielt. Sein Sprössling würde diese also erhalten. Der Herr der Hunde zog unbewusst ein wenig sein Haarband zurecht, dass seine weißen, langen, Haare zu einem Zopf zusammenhielt, ehe er etwas auf seinem rechten Schulterfell spürte. „Nun, Myouga?“

Der alte, kleine, Flohgeist war bereits seit langen Jahrhunderten mit dem mächtigen Daiyoukai zusammen und kannte dessen Launen nur zu gut. Allerdings war er auch der treueste Diener, den sich ein Fürst nur wünschen konnte, diskret und loyal. Nur seine Feigheit hatte in früheren Zeiten manchmal zu Missstimmungen zwischen dem Heerführer und seinem Berater geführt. In diesen modernen Zeiten war das keine Ursache mehr. Myouga verschränkte seine vier Arme, denn auch ihn hatte die niedrige Temperatur mitgenommen. Allerdings war das im Fell eines Daiyoukai deutlich angenehmer als frisch aus der Dusche. „Sie waren sehr streng zu Sesshoumaru, oyakata-sama.“

„Das muss ich sein.“ Der Taishou wartete, bis sein eigener Chauffeur den Wagenschlag vor ihm öffnete. Erst, als er saß, fuhr er dort: „Er wird eines Tages mein Nachfolger sein und muss lernen sich zu zähmen. Er ist momentan in einem sehr rebellischen Alter. Er hat ungestüm, impulsiv, gehandelt, und die Folgen nicht bedacht.“

„Von seiner Mutter hat er das nicht,“ behauptete der kleine Flohgeist mehr ehrlich als durchdacht und fand sich prompt zwischen zwei spitzen Klauen wieder. „Sehen Sie, oyakata-sama!“

Der Daiyoukai gab ihn auch unverzüglich frei. „Dennoch – er mag noch jung sein, aber er ist alt genug um zwischen Leichtsinn und Risiko unterscheiden zu können. Und, du weißt es sehr wohl, er wird eines Tages stark genug sein um mich herauszufordern. Ich mag dabei verlieren, aber ich möchte weder, dass mein Sohn noch mein Lebenswerk dabei zerstört werden, auch, wenn ich sterbe. Ach, Myouga, sieh mich nicht so an. Du kennst die Regeln unter Daiyoukai. Sesshoumaru kann erst die Nummer eins werden, wenn er seinen eigenen Vater besiegt. Allerdings sollte es dir auch verständlich sein, dass ich diesen Zeitpunkt hinaus schieben will. Und ihn bis dahin beschützen. - Was gibt es Neues im Büro?“

„Äh, einen Moment.“ Myouga wischte sich eine Schweißperle von der Stirn und zog ein winziges, seiner Größe angepasstes, Handy heraus. „Eine Meldung, dass das Flugzeug startklar ist, es kann wie geplant in eineinhalb Stunden starten. - Onigumo no Gumo bittet um ein privates Gespräch mit Ihnen, so rasch wie möglich. - Das ist der Bankier, oyakata-sama. - Es gehe um Ihre beiden Söhne.“

„Gumo? Ja, aber das war doch nicht sein Sohn, der verletzt wurde. Ich dachte, das ist ein Hanyou.“

„Ja, der heißt Naraku, Mutter war eine Spinnenyoukai. - Keine weiteren Neuigkeiten.“

„Gut. Gib ihm einen Termin heute Nachmittag oder Abend. Und besorge mir bis eine halbe Stunde zuvor eine Akte über ihn. - Ich bin neugierig, ob das mit dem Fehler meines Sohnes zu tun hat. Oder es nur ein Vorwand ist. Immerhin ist sein Sohn ein Hanyou. Womöglich hofft er auf Protektion.“ Der Taishou sprach die letzten Sätze mit sich selbst, ehe er aufsah und die Sprechanlage vor sich drückte. „Wie lange brauchen wir in die Zentrale?“ fragte er den Chauffeur.

„Bei dem jetzigen Verkehr zwanzig Minuten, oyakata-sama,“ erwiderte dieser, ein Katzenverwandter, der zugleich die Aufgabe eines Leibwächters versah. Der Postion des Herrn der Youkai geschuldet, denn niemand bezweifelte, dass der Daiyoukai in der Lage wäre sich allein zu verteidigen.

Der Konzernchef nickte nur. Hoffentlich wäre er rechtzeitig dort, bevor die Polizei Sesshoumaru aufsuchen wollte. Sein Plan würde nur dann funktionieren.

 

Die Zentrale der Taishou-Holding lag, nur für Fremde eigenartig, inmitten eines Parks in Tokio. Die Quadratmeterpreise hier waren allgemein in den letzten Jahren utopisch geworden, so dass enge Bebauung und Hochhäuser notwendig gewesen waren. Mit dem Anwachsen der riesigen Stadt vor allem in den letzten Jahrzehnten hatte es der Taishou allerdings bevorzugt sein ehemaliges Schloss hier zu räumen und einen modernen Wolkenkratzer errichten zu lassen. Sein neues Schloss lag weit draußen, fast hundert Kilometer entfernt, am Rande eines Naturschutzparks, den er vor Jahrhunderten gekauft hatte. Damals natürlich unter einem menschlichen Namen, irgendein Titel, den er schon längst wieder vergessen hatte. Da die Steuern kamen und keine Aufstände zu erwarten waren, hatten sich Kaiser und Shogune mit dieser Regelung abgefunden und irgendwann war es Tradition geworden. Nach den Verträgen, als er als Youkai offen agieren konnte, hatte er das geschützte Gebiet für sich reklamiert, aber es als Wildnis belassen, schon, um selbst ab und an in dunkler Nacht den Sternenhimmel sehen zu können oder in seiner wahren Form rennen zu können. Überdies lebten dort auch Youkai, denen ein Wechsel in eine andere Region schwer gefallen wäre, aus welchen Gründen auch immer. Einer davon war sein wahrlich ältester Freund, ein Magnolienbaum namens Bokuseno. Und, das gab er gern zu, er liebte die Natur, war er doch ein Mononoke, ein Tiergeist, ein Wesen, dessen Kraft aus der Umwelt stammte.

 

Der Inu no Taishou saß in seinem Büro im obersten Stock der Zentrale, hinter seinem Schreibtisch im westlichen Stil, den er hier schon wegen seiner internationalen Kontakte bevorzugte. Er lehnte in seinem Stuhl etwas zurückgelehnt und beobachtete die beiden Türen ihm gegenüber mit der nachlässigen Gespanntheit eines Jägers. Früher oder später würde die Nachricht kommen. Entweder von rechts, der Tür, die in sein menschliches Vorzimmer führte, das er für seine Kontakte mit dieser Art hielt, oder von Myouga und den anderen Youkai, die dort arbeiteten.

Er blickte etwas irritiert auf, als sein Telefon schnurrte. An der Kurzwahl erkannte er den Anrufer. So nahm er ab. „Kouga?“

„Das Flugzeug mit Sesshoumaru-sama hat russisches Gebiet erreicht, oyakata-sama,“ meldete der junge Wolf.

Der Taishou nickte. Kouga stammte aus einer adeligen Wolfsfamilie und diente ihm in diesen modernen Zeiten als eine Art Verbindungsoffizier zu der Informationsabteilung und der EDV. Zum Glück gab es tatsächlich Youkai, die sich, neben Menschen, mit diesen Neuerungen gern befassten. „Gut.- Kouga, schicke doch jemanden in das Amida-Hospital und bekomme heraus, wie es Herrn Takazen geht, der heute morgen eingeliefert wurde. Überaus unauffällig. Niemand soll erfahren, dass sich Youkai für ihn interessieren.“

„Ja. Wünschen Sie unverzüglich Nachricht?“ Kouga dachte bereits an einen Menschen, den die Informationsabteilung schicken würde. Aber, das war die Sache von deren Leitung. Er vermittelte zwischen dem Konzernherrn und diesen, da der Taishou es zeitsparender fand, nur einen Ansprechpartner zu haben.

„Ja.“ Der Daiyoukai legte auf. Seine feinen Ohren hatten das leise Klopfen an der Tür vernommen. „Suzuki-san?“

Eine ältere, menschliche, Frau im dunkelblauen Kostüm kam herein und verneigte sich. „Der Empfang meldet, dass zwei Herren von der Polizei dort sind, die mit Sesshoumaru-sama sprechen wollen. Er ist allerdings nicht in seinem Büro.“

„Bitten Sie die Herren zu mir. - Und kochen Sie bitte einen Tee für sie.“

Frau Suzuki verneigte sich erneut und ging. Sie arbeitete seit vielen Jahren für den Taishou und wusste seine stetige Ruhe und Höflichkeit zu schätzen. Überdies hatte er nie auch nur eine Andeutung gemacht sie als Leiterin seines „menschlichen“ Vorzimmers durch eine Jüngere ablösen zu lassen oder ihr zu verstehen gegeben, dass sie doch endlich heiraten sollte. Nun, sie war geschieden und ihr Gehalt hier ermöglichte ihr ein gutes Leben ohne Ehemann, ihr und ihrer jetzt achtzehnjährigen Tochter. So blickte sie draußen nur zu ihren Assistentinnen. „Miu, bitte holen Sie am Empfang die beiden Herren, die nach Sesshoumaru-sama fragen, Natsumi, kochen Sie Tee.“

 

Nur kurz darauf brachte die Assistentin den Tee in das Büro des Konzernherrn, der sich erhob. „Stellen Sie ihn links auf den Besuchertisch.“ Er würde seine unwillkommenen Besucher mit Absicht dort in der westliche eingerichteten Ecke empfangen, nicht auf den Matten. Youkai galten oft als altmodisch und er wollte Moderne und damit Aufgeschlossenheit subtil zeigen. Schließlich wollte er die beiden Polizisten von etwas überzeugen.

Als Frau Suzuki seine Besucher hereinführte, verneigten sich diese höflich, wie es sich gegenüber einem Ranghöheren ziemte.

„Bitte, meine Herren, setzen wir uns.“ Der Taishou nahm bereits Platz. „Ich habe das Vergnügen mit...“

„Kommissar Watanabe und das ist Inspektor Kasai,“ erwiderte der Ältere unverzüglich. „Wir danken Ihnen, werter Taishou. Allerdings hofften wir Ihren Sohn anzutreffen.“

„Sesshoumaru befindet sich im Moment in Russland.“ Er erkannte das prompte, unwillkürliche, Misstrauen. „Nun, ich hörte von einem Zwischenfall heute morgen, den mein Sohn aber offenkundig als weniger bedeutsam einstufte als unseren von langer Hand geplanten Staatsbesuch. Er flog mit unserem Privatjet, aber das können Sie gern nachprüfen lassen, um halb zehn ab.“ Er legte die Hände auf den Tisch und verschränkte sie etwas. Er wusste aus jahrzehnte- , ja, jahrhundertelanger Erfahrung mit Menschen, dass diese beim Anblick seiner Klauen instinktiv unruhig wurden. „Es handelt sich doch nur um einen kleinen Zwischenfall, nicht wahr?“

„Nun ja.“ Kommissar Watanabe warf einen flüchtigen Blick auf die Hände. Trotz des schwarzen Designeranzugs, der sicher mehr kostete als er in einem Monat Gehalt bekam, verrieten die seltsamen Fellteile an den Schultern und das viel zu lange Haar, wie auch diese Klauen, dass sein Gegenüber eben der anderen Art angehörte. Und auch, wenn die Menschen und die Youkai seit siebzig Jahren friedlich zusammenlebten, so gab es doch immer noch Unterschiede. Das war nicht zuletzt der Grund ihres Hierseins. „Für einen Youkai, möglicherweise. Es wurde jedoch ein Mensch verletzt, das wäre ein Bruch der Verträge. Sie sind Regierungsmitglied, Sie wissen das natürlich.“

„Wie schwer ist denn diese Verletzung?“

„Heute morgen hieß es, der Arm sei gebrochen, aber schwerer wiegt wohl die Säure. - Wir müssen Ihren Sohn unverzüglich sprechen.“

„Ich verstehe. Und sein Abflug erscheint Ihnen nun wie eine Flucht, nicht wahr? - Moment.“ Der Taishou nahm ein kleines Gerät, dass seine Besucher fast an eine Mundharmonika erinnerte, ehe sie erkannten, dass es sich um ein Sprechgerät handelte, sicher neu und sicher High-Tech: „Suzuki-san, bringen Sie doch bitte die russische Akte herein. Danke. - Nun, meine Herren, ich kann Ihnen versichern, dass es reiner Zufall ist, dass dieser Zwischenfall heute geschah. Seit fast fünf Jahren stand ich stets in brieflicher Verbindung mit Väterchen Frost, dem Herrn der russischen Youkai. Zuerst auf der unteren Ebene, dann wir persönlich. Es dauerte bis vergangenes Jahr, bis wir uns überhaupt auf die Modalitäten eines Treffens einigen konnten, an dem dann weitere Dinge, wie Heiraten, Handel und so weiter besprochen werden sollten. - Ah, danke.“ Er nahm die Akte. „Natürlich muss ich Sie bitten keine Staatsgeheimnisse zu enthüllen, aber werfen Sie ruhig einen Blick auf die Daten am Anfang. Vor einem halben Jahr erhielten wir dann für heute die Fluggenehmigung. Es ist nicht ganz einfach für einen Privatjet so etwas zu erhalten. Hier. Blättern Sie nur und Sie werden verstehen, dass man einen solchen, so lange vorbereiteten, Plan nicht einfach fallen lässt.“

Kommissar Watanabe schob die Akte prompt zu seinem Mitarbeiter, der zu blättern begann. Währenddessen meinte der dienstältere Polizist: „Nun ja, das mag sein, werter Taishou. Ich darf Ihnen jedoch eine Frage stellen: wenn dieses Treffen mit Väterchen Frost so wichtig ist, warum sind Sie nicht geflogen, sondern Sesshoumaru?“

Eben aufgrund des Zwischenfalls, aber das konnte und wollte er den Menschen nicht sagen. Lügen widersprach jedoch eindeutig seiner Ehre. So hob der Daiyoukai etwas die Hand, während er sich scheinbar lässig zurücklehnte. „Gut, ich erkläre Ihnen etwas über Strategie. Väterchen Frost ist vom Charakter her ein wenig aufbrausend, sehr schnell beleidigt. Er weiß aber auch, dass diese Verträge für unser beiden Seiten wichtig sind. Würde ich einen subalternen Mitarbeiter schicken, wäre er zurecht beleidigt. Würde ich selbst gehen, würden wir beide an höchster Stelle verhandeln. Eine Korrektur eines Ergebnisses wäre dann nicht mehr möglich, selbst, wenn einer oder wir beide einen Fehler erkennen würden. Reist mein Sohn, mein einziger Sohn, wie ich in diesem Fall hinzufügen möchte, deutet das meinerseits auf Respekt hin. Und ich kann einen Fehler korrigieren, den mein Sohn in … jugendlichem Leichtsinn angenommen hat.“ Er selbst hätte nie einen Abschluss bei den ersten Verhandlungen akzeptiert oder vorgeschlagen.

Der Kommissar warf einen Blick neben sich. Inspektor Kasai zeigte ihm die Fluggenehmigung – ein halbes Jahr alt. „Ich danke Ihnen für Ihre Zeit, werter Taishou. Ich bin mir bewusst, dass Sie ein vielbeschäftigter Mann sind. - Wäre es möglich, diese Papiere zu kopieren, es würde die Fluggenehmigung und das erste Anschreiben genügen. Damit kann ich gewiss meine Vorgesetzten überzeugen, dass es nur sinnvoll ist, mit der Befragung Sesshoumaru zu warten, bis er wieder kommt. Flucht wäre so auszuschließen. Wann ist dies vorgesehen?“

Der Taishou hatte eigentlich gehofft, dass die Polizei so schon zufrieden wäre. Hoffentlich bekam er bald mitgeteilt, wie schwer sein Sohn diesen Takazen verletzt hatte, damit er entsprechend reagieren konnte. „In knapp zwei Wochen. Es sind auch einige Ausflüge vorgesehen, Empfänge, die dem Kennenlernen dienen, Politik unter Youkai, eben. - Wenn Sie Frau Suzuki Ihre Karte geben, wird sie sie meinem Sohn weiterleiten, damit er sich bei Ihnen melden kann, sollte es dann noch erforderlich sein.“ Was er wahrlich nicht hoffte. Sesshoumaru vor einem menschlichen Gericht wäre nicht nur für diesen unangenehm, sondern würde auch zu einem Gesichtsverlust seinerseits führen, unter Umständen sogar zur Missachtung seiner Autorität. Youkai waren nur durch Stärke zu führen – und Respekt.

 
 

Die Falle


 

D

er Inu no Taishou brach eine Videokonferenz mit Europa fast unhöflich hastig ab, als er sah, dass Kouga versucht hatte ihn zu erreichen. So meldete er sich bei seinem Verbindungsmann, ohne weiteren Gruß. „Was ist mit diesem Takazen?“

„Er wurde ins künstliche Koma versetzt, oyakata-sama,“ erwiderte der junge Wolf vorsichtig. „Er ist nicht ansprechbar. Die genaue Diagnose herauszufinden dauert noch.“

„Hat das ein Mensch ermittelt?“

„Ja, wie Sie wollten, unauffällig.“

„Danke.“ Der Daiyoukai legte auf. Auch das noch. Sesshoumaru musste diesen Takazen schwerer verletzt haben als zunächst gedacht. Das war verhängnisvoll. Er selbst hatte gehofft das Opfer dazu bewegen zu können, dass es die Beleidigungen, die sein Sohn angesprochen hatte, bestätigte. Das machte den Verstoß gegen die Verträge nicht ungeschehen, aber würde zumindest eine demütigende Verhandlung vor einem menschlichen Strafgericht verhindern. Natürlich müsste Sesshoumaru auch in einem Zivilprozess Schadenersatz zahlen, aber das wäre aus den Medien zu halten. Nun jedoch, wenn das Opfer gar nicht in der Lage war, eine Aussage zu machen … Das sah nicht gut aus. Gar nicht. Er brauchte einen Plan, eine Taktik, aber welche? Sesshoumaru hatte es geschafft, dass sich die Verträge, die sein eigener Vater einst ausgehandelt hatte, nun gegen sie beide zu richten drohten. Immerhin war der Junge jetzt erst einmal für zwei Wochen in Sicherheit. Bis dahin musste ihm etwas eingefallen sein. Hm. Wie schwer war dieser Takazen nun verletzt? Würde der innerhalb dieser Frist aussagen können, und, vor allem, auch die Wahrheit sagen wollen?

 

Er blickte ein wenig unwillig auf, aber da er Myouga mit einem größeren Youkai hereinkommen sah, der eine Akte in der Hand trug, hatte sein kleiner Berater nur auf seinen Befehl hin agiert. Das war wohl der Bericht über seinen Besucher am Nachmittag. „Onigumo no Gumo?“

„Ja, dazu die Bank und seine Familie,“ erwiderte der kleine Flohgeist und hüpfte auf den Schreibtisch. „Bitte, die Akte.“

Der Youkai überreichte sie wortlos.

Der Taishou nahm sie: „Danke.“ Er wartete, bis der Mann sein Büro verlassen hatte. „Kurzfassung, Myouga, das ist umfangreich.“

„Onigumo no Gumo stammt aus einer alten, menschlichen, Familie. Er ist inzwischen über Sechzig. Aus einer Finanzberatung seines Vaters machte er eine ganze Kette, dann auch eine Bank. Kunden waren zunächst nur Menschen, nach seiner Heirat mit Sachi, einer Spinne, also, einer Youkai, aus dem Norden, kamen auch Youkai dazu. Sie starb nach der Geburt ihres Sohnes Naraku, offenbar an den Beschwerden einen Hanyou geboren zu haben.“

„Hm. Ich hätte geglaubt, dass das nur menschliche Mütter bei Hanyou betrifft, aber diese eine, die Mutter von Jinenji, dem Gärtner, lebt ja auch noch. - Jedenfalls ist Herr Gumo kein Feigling. Von allen Youkai sich eine Spinnendame zu suchen ...“ Deren Nahrungsgewohnheiten waren für ihre Liebhaber nicht nur bisweilen final.

„Er liebt das Risiko, sagt man, ja, oyakata-sama. In zweiter Ehe heiratete er Prinzessin Miharu, die Tochter von Fürst Toko. Von ihr hat er ein Mädchen, Izayoi.“

„Was weißt du über die beiden Kinder?“

„Naraku ist scheinbar zwanzig. Er ist ein Hanyou, alterte zunächst wie ein Menschenkind, schlägt aber immer mehr in die Youkairichtung. Er arbeitet in der Bank seines Vaters, hat auch Wirtschaft studiert, oder ist dabei. Seine Hauptleidenschaft ist allerdings das Spiel. Er spielt viel und gern, auch um sehr hohe Beträge. Neulich scheint er sich mit Ryuukossusei angelegt zu haben und hat verloren, zwanzigtausend Dollar, aber er gewinnt auch häufig ähnliche Beträge.“

„Er liebt wie sein Vater das Risiko.“

„So scheint es. Izayoi dagegen blieb nach dem Abitur zuhause, man sagt, sie würde eine Geisha als Lehrerin haben, Teezeremonie lernen und so etwas. Onigumo möchte seine Tochter in hohen Kreisen verheiraten. Und, es heißt, sie bekäme eine gute Mitgift, schon von ihrem verstorbenen Großvater, Fürst Toko. Sie wird demnächst zweiundzwanzig.“

„Und die Bank?“

Myouga sah zu seinem Herrn auf. „Sie wissen natürlich, dass ich in dieser Zeit nicht alles bekommen konnte. - Das Haus, in dem die Gumos wohnen ist jedenfalls mit Hypotheken belastet, ebenso das Haus der Bank. Aber natürlich ist es üblich, dass man, wenn man an der Börse makelt, auch Sicherheiten hinterlegen muss. Das besagt nicht unbedingt etwas.“

Der Daiyoukai stützte einen Ellbogen auf den Tisch und bettete sein Kinn auf seiner Handrückseite. „Man sollte annehmen, dass er seinen Familienwohnsitz in Sicherheit hält, aber gut. Du sagtest, er liebe das Risiko. Und er war recht erfolgreich damit in den letzten dreißig oder vierzig Jahren. - Der Sohn.“

„Naraku?“

„Ja. Gumo sagte, es gehe um unsere beiden Söhne. Was hast du noch über den, außer, dass er gern spielt? Mädchen? Menschen oder Youkai?“

„Weder noch. Er flirtet gern, aber so war nichts besonderes herauszufinden. Er ist nicht verheiratet, nicht verlobt, aber er hat wohl gewisse Probleme als Hanyou.“

„Leider,“ gab der Herr der Hunde zu. „Ich habe selbst mich schon bei gewissen Vorurteilen ertappt, obwohl ich außer Jinenji eigentlich keinen persönlich kenne. Für Youkai ist das edle Blut mit Minderem vermischt, für Menschen sind sie nicht mehr rein. Wir sollten lernen sie als Zeichen der Zukunft zu sehen. Bedingt, denn ich kann mich nicht entsinnen, dass auch nur ein einziger Hanyou je Nachwuchs bekam.“ Was natürlich auch daran liegen konnte, dass bis vor siebzig Jahren jeder Youkai jeden Hanyou als Freiwild betrachtete und umbrachte. Hatte er eigentlich in den Verträgen mit den Menschen damals die Hanyou auch nur erwähnen lassen? Wohl kaum. Er hatte sie vergessen und die Menschen wohl auch.

„Äh, ja, oyakata-sama,“ murmelte Myouga, der aus langer Erfahrung erkannte, dass nicht zu ihm gesprochen worden war. „Die Bank hat einen guten Ruf soweit, zumal seit der Heirat Onigumos mit der Prinzessin Toko gelangte er auch gesellschaftlich in die höchsten Ebenen. Sein Schwiegervater, natürlich. Dadurch kamen auch er und Naraku in den Billionaire-Club. Geld haben sie, und die Einladung verschaffte ihnen wohl Fürst Toko.“

„Vermutlich. Ich bin sehr selten dort.“ Auch, wenn er Sesshoumaru ermuntert hatte dorthin zu gehen, selbstverständlich in der Hoffnung, sein Sohn würde sich dort auch etwas verträglicher zu Menschen stellen. Nun, nach den Erfahrungen des letzten Tages war das wohl eine vergebliche Hoffnung gewesen. „Der jetzige Fürst Toko ist dann wohl Izayois Cousin. Der alte Fürst starb vor zehn Jahren oder so.“ Und dessen Vater war bei den Verhandlungen um die Verträge mit am Tisch gesessen. Die Zeit verging für Menschen viel schneller.

„Ja, genau, oyakata-sama.“ Myouga blickte auf das Sprechgerät, das neben ihm auf dem Schreibtisch lag, und nun aufblinkte. „Ich vermute, Ihnen wird Onigumo no Gumo angekündigt.“

„Wahrscheinlich.“ Der Daiyoukai wusste, dass sein kleiner Mitarbeiter beim besten Willen die Akte nicht mitnehmen konnte, nahm sie und schob sie in eine Schreibtischschublade. „Ermittle weiter. Und, nur so aus Interesse: sage mir später, was auch immer an Schulden der Bank oder auch privat der Gumos auf dem Markt ist.“ Dann nahm er das Gerät. „Suzuki-san?“

Die Chefsekretärin antwortete eilig. „Der Empfang meldete, dass Onigumo no Gumo eingetroffen ist. Ich habe ihn bereits heraufbitten lassen, da Sie einen Termin erwähnten.“ Sie klang ein wenig nervös.

Der Taishou blickte sich in seinem Büro um, ehe er antwortete: „Ja, danke. Und sorgen Sie für Tee.“ Wenn Onigumo seine Tochter altmodisch erziehen ließ, sich für Teezeremonie interessierte, war wohl die japanische Ecke besser. Nur, was zur Hölle wollte der von Sesshoumaru? Und was sollte er selbst von Naraku wollen? Er ließ sich auf die Matte nieder. Gesehen hatte er Onigumo no Gumo schon, vermutlich auch mit ihm gesprochen. Es gab gewisse gesellschaftliche Zwänge, denen man sich nicht entziehen konnte. Aber, wenn er herausfinden wollte, was dieser Mann von ihm oder genauer, von Sesshoumaru, wollte, musste er mit ihm reden. Er sah zur Tür, als diese geöffnet wurde und seine Chefsekretärin den Bankier hereinführte, der sich höflich verneigte. Er trug den dunklen Geschäftsanzug, wie er üblich war, eine gemusterte Krawatte in mattem Grün. Nun ja, dachte der Daiyoukai, seine rote fiel stets auf, aber etwas von seinen alten Farben hatte er auch in die Moderne mitnehmen wollen. Rot war die Farbe des Westens, seines heimatlichen Fürstentums. „Willkommen,“ sagte er höflich. „Bitte, nehmen Sie Platz. Tee wird sofort gebracht.“

„Danke, werter Taishou.“ Onigumo no Gumo ließ sich nieder und betrachtete sein Gegenüber. Natürlich kannte er ihn, direkt und aus den Medien, aber nie zuvor war er mit ihm allein gewesen. „Sehr freundlich, dass Sie die Zeit gefunden haben mit mir zu sprechen.“

„Nun, wir beide sind Väter und Sie erwähnten unsere Söhne. - Ah, der Tee.“ Der Herr der Hunde wartete, bis seine Sekretärin dem Gast Tee eingegossen hatte und wieder gegangen war. „Sie verstehen natürlich, dass man als Vater sich stets um die Kinder sorgt.“

„Oh ja, das kann ich nur bestätigen.“ Onigumo bemerkte sehr wohl, dass sein Gastgeber nichts zu sich nahm. Youkai, eben. „Ich vermute, Sie hörten bereits von dem kleine, unerfreulichen Zwischenfall heute morgen im Billionaire. Der junge Takazen ist auch bemerkenswert ungeschickt, das kann wohl jeder bezeugen, zumal, wenn er betrunken ist.“ Aha, der Köder saß, denn der Taishou spante sich etwas an. „Erzählte mir jedenfalls Naraku, mein Sohn, der heute morgen ebenfalls dort war.“ Er trank einen Schluck, schon, um sein triumphierendes Lächeln zu verbergen und sich etwas zu sammeln, um möglichst sachlich fortzufahren: „Wie Sie daraus entnehmen können, bekam mein Sohn den Streit des jungen Takazen mit Sesshoumaru mit. Er mischte sich freilich nicht ein, sondern blieb verborgen stehen. Er ist ein Hanyou, und als solcher zurückhaltend bei einem Streit zwischen Youkai und Menschen. Im Zweifel landet er stets auf der falschen Seite, Sie verstehen.“

Der Taishou verstand durchaus. „Das bedeutet, er war Zeuge, ein Zeuge, den jedoch niemand sah.“ Und das bedeutete, dass niemand von ihm wusste oder die Polizei ihn finden konnte. Sogar, wenn er selbst nun auf ihn zeigen würde, würde das jeder für eine Schutzbehauptung des Herrn der Youkai für seinen Sohn halten. Er konnte förmlich spüren, wie sich eine Schlinge um den Hals seines Einzigen legte.

„In der Tat. Naraku ist jedoch bereit, eine eidesstattliche Erklärung abzugeben, wenn es sein muss, auch vor Gericht und anderen Inuyoukai zu beschwören, dass Takazen Sesshoumaru schwerst beleidigt hat. Naraku sagte zu mir, er habe sich noch gedacht, wenn dieser Youkai, er meinte damit Ihren Sohn, nur einen Tropfen Blut in den Adern hätte, würde er ihn, also Takazen, ermorden.“

Der Herr der Hunde blieb kühl. „Das klingt sehr schön, nur, warum kommen Sie damit zu mir? Die Polizei wäre gewiss ein sinnvollerer Platz.“

„Ich hoffte, Sie könnten zwischen mir und Ihrem Sohn ein wenig … vermitteln.“ Onigumo lächelte verbindlich.

Erpressung, also. Wie verächtlich. „Mein Sohn befindet sich momentan außer Landes und kehrt nicht vor zwei Wochen zurück. Sie werden schon daher mir sagen müssen, was Sie, oder Ihr Sohn, für diese Aussage wollen. Ich nehme kaum an, dass Sie das verschenken wollen.“

Der Bankier neigte etwas den Kopf. Natürlich. Der Herr der Hunde war lange Feldherr gewesen, Strategie und Taktik lag ihm. Sesshoumaru außer Landes zu schaffen war eine erste, wichtige, Reaktion gewesen, vermutlich auch noch so, dass niemand etwas von Flucht behaupten konnte. Nun gut. „Das mag sein, aber ich würde ein gewisses Bündnis vorschlagen. - In zwei Tagen ist der Chrysanthemenball. Sie waren die letzten Jahre gemeinsam mit Ihrem Sohn dort, aber ich nahm an, Sie würden auch dieses Jahr erscheinen.“

„In der Tat.“ Was wollte der Mistkerl? Das sah nicht nach gewöhnlicher Erpressung aus. Nun, Geld hatte Onigumo ja wohl genug. Der Chrysanthemenball war die größte Wohltätigkeitsveranstaltung des Jahres, alles, was Rang und Namen hatte, erschien dort. „Allerdings eben ohne meinen Sohn.“

„Ich würde, wenn Sie gestatten, Ihnen dort gern meine Tochter Izayoi vorstellen. Wie gesagt, ich dachte an Sesshoumaru, aber womöglich könnten Sie mir diesen kleinen Gefallen tun.“ Onigumo lächelte wieder.

Der Taishou richtete sich unmerklich auf. „Nur dieses?“

„Bevor eine Verlobung ausgesprochen wird, sollte man die Braut kennen, nicht wahr?“

„Ein Bündnis, sagten Sie.“ Früher wurde so etwas oft durch Heirat geschlossen, aber dieser Bankier konnte doch nicht davon ausgehen …

„In der Tat. Ich sehe für Ihre Seite nur Gewinn: Sie erhalten die eidesstattliche Aussage unverzüglich nach der Heirat, Sie erhalten übrigens eine hohe Mitgift im Wert von einer Million Dollar, in diversen Anlagen, Sie erhalten eine junge, schöne, Ehefrau, die sanft und gehorsam ist und überdies alle alten Sitten beherrscht.“ Onigumo nahm seine Teeschale. „Und ich war mit einer Youkai verheiratet, werter Taishou. Ein Menschenleben ist ein Nichts im Vergleich zu Ihrer Lebensspanne. Sie wären sie, nach Ihren Maßstäben, bald wieder los.“

Das stimmte alles durchaus. Gab es keine andere Möglichkeit an die Aussage zu gelangen? „Nun, ich verfüge zum Glück über genug eigenes Geld. Aber, gestatten Sie mir die Nachfrage, worin der Vorteil für Sie und Ihre Kinder besteht?“

„Izayoi erhält einen Ehemann, der sie standesgemäß unterhalten kann. Naraku, so will ich doch hoffen, wird als Ihr Schwager, werter Taishou, etwas mehr gesellschaftliche Anerkennung ernten, Hanyou hin oder her. Und ich erhalte die andere Hälfte der Mitgift in dem Moment, in dem Izayoi heiratet. Es handelt sich um das Erbteil meines Schwiegervaters, der offenbar sicher gehen wollte, dass ich Izayoi bis zu ihrer Eheschließung angemessen unterhalte. Fürst Toko.“ Onigumo nickte ein wenig. „Ich habe mir übrigens die Freiheit genommen Naraku bereits die Eidesstattliche Versicherung abgeben zu lassen. Sie liegt im Tresor eines Notars. In dem Umschlag befindet sich allerdings auch ein Text, dass bei einem plötzlichen Verschwinden seinerseits oder gar seines Todes Sie der Hauptverantwortliche sind. Es ist natürlich überflüssig, ich weiß, dass Sie ein kluger Mann sind, aber ich wollte es dennoch erwähnt haben.“

 

Dieser Mistkerl war verdammt schlau und vorsichtig. Und er und seine missratenen Sprösslinge hatten genau gesehen, wie sie sich durch den Zufall, dass Naraku den Streit mitbekommen hatte, Vorteile verschaffen konnten. Nun gut. Das Spiel konnte man auch anders herum spielen. Heiratete er eben diese Izayoi, die bestimmt ebenso hinterlistig war wie ihr Vater – und schob sie nach einigen Monaten in den Westen ab. Dort konnte sie ihr Leben in einem Schloss mit menschlichen Dienstboten verbringen, abseits gelegen. Aber er musste seinen Sohn schützen, das war klar. Sesshoumaru hatte einen törichten Fehler begangen, aber deswegen sein eigenes Lebenswerk, den Frieden mit den Menschen, die Einigkeit aller Youkai zu zerstören, war es sicher nicht wert. Er war nicht Heerführer, später Fürst und Herr über alle Youkai geworden, ohne zu wissen, wann es besser war nichts zu tun. Jetzt galt die Priorität seinem Sohn.

Später würde er sehen, was er mit seiner aufgezwungenen Ehefrau und deren Familie anstellen konnte. Sesshoumaru kehrte in zwei Wochen zurück, bis dahin musste zumindest die Strafverfolgung einigermaßen ruhig gestellt sein. Ohne Schadenersatz würde es nicht abgehen, ein gewisser Skandal stand zu erwarten, aber dann wäre nicht sein Lebenswerk in Trümmern. Und bald schon würde es einen anderen Skandal geben, andere in den Medien Vorrang bekommen. Diese Zeit war äußerst schnelllebig. So sagte er nur kühl: „In der Tat, wie überflüssig. Nun, ich werde auf dem Chrysanthemenball sein. Sofern Ihre Tochter Ihrer Beschreibung entspricht, wäre ich allerdings dafür die Verlobung und die Hochzeit an einem der folgenden Tage durchzuziehen.“ Bevor Sesshoumaru wieder in Japan war.

 

Onigumo war das klar, aber es passte zu seinen eigenen Intentionen. Am Monatsersten musste er über Geld verfügen, und das bekam er schnell nur über Izayois Mitgift. Natürlich war die eine Million, die er dem Taishou anbot, nur ein Drittel, aber davon brauchte der nichts zu wissen, ebenso wie von der Tatsache, dass sein Schwiegervater ihm nichts hinterlassen hatte. Nun gut, Fürst Toko hatte ihn bereits großzügig bei seiner Eheschließung mit der Prinzessin versorgt. „Wie Sie wünschen, werter Taishou. Haben Sie einen Anwalt, dem Sie den Ehevertrag anvertrauen mögen?“

„Ja.“

„Danke. Dann sehen wir uns auf dem Ball. Und ich bin sicher, Izayoi wird Sie, aber ich bin da vielleicht parteiisch, entzücken.“ Ihm war gerade noch eingefallen, dass ein bisschen Werbung sicher nur positiv für ihn selbst gesehen würde.

Der Taishou ließ ihn nicht aus den Augen, bis der unbeliebte Besucher sein Büro verlassen hatte, ehe er sich eine ärgerliche Handbewegung erlaubte. Aber den Mistkerl einfach in Stücke zu reißen, war definitiv keine Lösung. Leider. Plötzlich konnte er seinen Sohn heute Morgen verstehen.

 

Auf dem Besucherparkplatz stieg Onigumo in einen dunklen Wagen, dessen Fahrer seitwärts blickte. „Nun, Vater?“

„Er wird sie heiraten.“ Der Bankier schnallte sich an. „Ein guter Plan, Naraku.“

„Ich bin sicher, die Nachrichten aus dem Krankenhaus haben mitgeholfen.“ Der Jüngere ließ den Motor an. „Es wäre erstaunlich, wenn sich Sesshoumaru nicht über den Zustand seines Opfers informieren wollte.“ Er war heute Morgen im Krankenhaus gewesen und hatte es als falscher Arzt vermocht Takazen laut Patientenakte ins Koma versetzen zu lassen. Er neigte, das gab er stolz auf sich zu, zu noch peniblerer Planung als sein Vater. Natürlich würde das bald bemerkt und korrigiert werden, aber die Nachricht war erst einmal draußen.

„Da irrst du. Sesshoumaru ist irgendwo im Ausland. Der Taishou reagiert schnell, das muss man ihm lassen. Nein, er selbst wird Izayoi heiraten.“

„Wie schön für sie. Fürstin.“ Naraku lächelte ein wenig zynisch. „Wenn man bedenkt, wie der Gute mit seiner ersten Frau umsprang und die war eine Youkai ...“ Es gab Gerüchte, dass sie sofort nach der Geburt ihres Sohnes verbannt worden war.

„Sie lebt auf einem Schloss. Natürlich könnte es sein, dass er nun ein wenig … zornig auf unsere Familie ist. Aber Izayoi wird das schon regeln. Sie ist jung und eine Frau. Und so oder so – es ist dann ihr Problem. Solange wir saniert sind ...“ Er zuckte die Schultern.

„Jetzt müssen Sie ihr nur noch sagen, dass Sie sie mit einem Youkai verlobt haben.“

„Dabei werde ich deine Hilfe haben, mein Sohn. Es handelt sich auch um deine Zukunft. Denk daran, wir müssen ihr glaubhaft machen, dass sie eine Heldin ist, wenn sie das Opfer auf sich nimmt.“

„Hm, eigentlich müssen wir doch die Opfer sein. Wir müssen uns doch ins Schwert stürzen, wenn sie nicht eine milliardenschweren Konzernchef heiratet.“

Vater und Sohn blickten sich lächelnd an und beide verstanden sich vollkommen.
 

Izayoi


 

I

zayoi bürstete ihre Haare nachdenklich. Sie waren ebenso lang wie die ihres Halbbruders, ebenso schwarz, aber viel dichter, und bedurften der Bürste mehrmals am Tag.

Irgendetwas stimmte nicht im Haus, da war sie sicher, selbst, wenn Vater ihr gesagt hatte, sie würden auch dieses Jahr wieder auf den Chrysanthemenball gehen. Allerdings hatte er ihr auch die Anweisung erteilt den Kimono des letzten Jahres zu tragen, eigentlich unmöglich. Ihre Ausbilderin war vor vier Wochen entlassen worden, ebenso wie andere Hausangestellte. Nur noch zwei Hausmädchen und ein Koch waren neben dem Gärtner für das Gumo-Anwesen verantwortlich. Etwas war anders, unangenehm, das wusste sie. Sie war nicht töricht und die Ausbildung an einer öffentlichen Schule hatte ihr gemeinsam mit ihrer Neugier doch einiges mehr an Weltkenntnis mitgegeben, als ihrer Familie wohl recht gewesen wäre.

Nun gut, dass Vater gemeint hatte, sie solle endlich auf dem Ball zusehen, dass sie eine vornehme, reiche, Familie für sich begeistere, die sie als Schwiegertochter wollte, war nur zu normal. Das kannte sie seit vier Jahren. Und, das gab sie zu, in der Schule hatte sie manchmal die einfachen Mädchen beneidet, die einen Beruf erlernen konnten, Jungen kennenlernten, ein normales Leben führten, das ihr und anderen Mädchen ihres Standes verwehrt war. Sie war eben die Enkeltochter eines Fürsten und sie wusste, dass Vater, der mit der Heirat mit ihrer Mutter einen Fuß in die Tür zur wirklich hohen Gesellschaft erhalten hatte, hoffte, sie würde ihm diesen Aufstieg sichern, ihm und ihrem Halbbruder.

Der Chrysanthemenball. Sie sollte sich wohl darauf freuen, wenige Menschen erhielten dort Zutritt, nun ja, auch wenige Youkai, aber da war sie nicht böse darum. Natürlich lebten Menschen und Youkai seit Jahrzehnten beisammen und man sah diese Wesen oft genug auf der Straße, in Geschäften oder auch an der Schule, aber ihr fielen eben immer zuerst die Unterschiede auf. Sie besaßen Klauen statt Hände, spitze Ohren oder sahen sogar noch eigenartiger aus. Auf dem Ball hatte sie sich stets mehr an Menschen gehalten, was Vater ja auch nicht getadelt hatte. So würde sie es auch diesmal halten.

Sie sah auf, da es klopfte. „Ja?“

Naraku schob die Tür auf. „Schwesterchen, unser Vater will mit uns reden.“ Sie saß wirklich hoheitsvoll da, wobei er zugab, dass der breite Obi und das Kissen im Kreuz des Kimono kaum eine andere Haltung zuließen. Aber diese Kleidung war Vaters Wunsch, seit sie aus der Schule war, ließ er sie nichts anderes mehr kaufen.

„Wegen des Balls?“ Sie stand auf. Sie mochte ihren Halbbruder nicht sonderlich, aber er war eben ihr Bruder. Und sie war zu empfindlich, vermutlich. Er war jedoch ein Hanyou, seine Mutter war eine Youkai gewesen, und Izayoi wusste seit Kindertagen um das spinnenförmige Muttermal auf seinem Rücken, das diese Herkunft anzeigte.

„Auch. Komm schon.“

 

Der Herr des Hauses wartete in seinem Arbeitszimmer auf seine Kinder. „Naraku, setze dich doch neben mich. Izayoi ...“ Er deutete vor sich.

Irgendwie erweckte das in dem Mädchen eine ungute Ahnung. Oder war das nur, weil sie mit dem Kimono doch auch etwas mehr Platz benötigte? Sie ließ sich jedoch gehorsam nieder.

Onigumo holte etwas Atem, ehe er sagte: „Dir ist kaum entgangen, Izayoi, dass uns in den letzten Wochen einige Leute des Personals verlassen haben. Das hatte einen schlichten Grund: ich musste ihnen kündigen, da ich sie nicht mehr bezahlen konnte. Wir, die Familie, die Bank, stecken in finanziellen Problemen. Schwerwiegenden. Das Einzige, was mich, uns, kurzfristig aus der Sache retten könnte, wäre deine Heirat mit einem reichen Mann, der in die Bank investiert.“

Izayoi starrte ihren Vater und Halbbruder an, ehe sie bemüht sachlich fragte: „Der Chrysanthemenball?“

„Äh, auch.“ Manchmal war dieses Mädchen klüger als es gut für sie war. „Nein. Ich habe dich verlobt.“

Izayoi spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. „Darf ich fragen mit wem?“ Irgendwann hatte das kommen müssen, aber so? Plötzlich und einfach hingeworfen? Und was bedeuteten diese finanziellen Probleme?

„Mit dem Inu no Taishou. Ihm gehört die Taishou Holding.“

Sie wäre um ein Haar rückwärts gefallen und stützte sich gerade noch mit einer Hand ab. Ihr Gesicht war starr geworden.

„Was ist?“ Onigumo klang ungeduldig. „Er ist ein sehr reicher Mann von hohem Stand.“

„Er ... er ist doch ein Youkai!“ Sie brachte es kaum heraus. Sie hatte Bilder gesehen, ihn selbst des öfteren getroffen, wenngleich natürlich nie persönlich mit ihm geredet. Er war ein Youkai! Ein Mononoke, ein Tiergeist! Er hatte Fellteile an den Schultern und Klauenhände!

„Auch Narakus Mutter war eine Youkai, und, wenn ich mich so angestellt hätte, wärt ihr beide jetzt nicht hier.“

„Verzeihen Sie, Vater,“ griff Naraku lieber ein, ehe die Sache noch schief ging. „Izayoi, unser verehrter Vater hat dir einige wichtige Punkte verschwiegen. Jetzt und auch schon seit Monaten. Er wollte uns, dich vor allem, schützen. Die Geschäfte laufen seit geraumer Zeit so schlecht, dass er gezwungen war, Gelder von Kunden an andere Kunden auszuzahlen, immer in der Hoffnung, es würde besser werden. Die Bank ist verschuldet, das Haus hier gehört ihm nur noch auf dem Papier. Kurz, wir sind pleite. Es gibt nur noch zwei Möglichkeiten. Entweder du heiratest den Taishou – oder wir verlieren alles. Natürlich könnten Vater und ich unsere Ehre mit einem rituellen Selbstmord wieder herstellen, aber, was würde dann aus dir? - Das Leben mit einem Milliardär dürfte nicht so hart sein, wie ohne alles dazustehen, kein Haus, keine Bank.“

„Es ... es bleibt mein Erbe von Großvater,“ brachte Izayoi irgendwie hervor.

Intelligent war sie ja, gaben die beiden Männer zu. Onigumo sah fast hilfesuchend zu seinem Sohn, der es bereits schon vermocht hatte, die Lage so schön dramatisch darzustellen.

Naraku schüttelte mit sichtbarem Bedauern den Kopf. „Ja, Schwesterchen, da hast du Recht, aber das würde, als Eigentum einer Gumo, in die Konkursmasse fallen, das wäre auch weg. - Übrigens, keine Sorge, es ist bislang nur eine Verlobung. Du wirst ihn auf dem Chrysanthemenball treffen. Allerdings sind reiche, unverheiratete, Männer, die uns unterstützen wollen, nicht gerade dick gesät. Und, auch, wenn ich mich wiederhole: Izayoi, es geht um uns alle, Vaters und mein Leben, deine Zukunft. Du solltest deine Vorurteile fallen lassen. Youkai hin oder her, er ist reich, sieht nicht unbedingt schlecht aus. Und er hat einen fast erwachsenen Sohn von einer Youkai, sonst würde er dich nie in Betracht ziehen. Weißt du, Menschen haben Vorurteile gegen Youkai, aber andersherum ist es auch so. Nur Vater und wenige andere sind so tolerant.“

Onigumo nickte betont. Ach ja, er konnte förmlich sehen, wie das Mädchen schwankte. Naraku konnte wirklich geschickt mit Worten umgehen. Er sollte den Jungen öfter mit zu Verhandlungen nehmen, wenn alles wieder glatt lief. „Die Hochzeit wäre dann in den nächsten Tagen. Natürlich in überaus kleinem Kreis.“

Izayoi, jetzt auch noch in all ihren geheimen, romantischen, Träumen verletzt, starrte ihn fassungslos an.

Der Vater missfiel dem Sohn. Naraku hätte eine andere Strategie für ratsamer gehalten und war froh, dass er jetzt reden konnte. Vater war einfach zu voreilig geworden im Alter. Wenn das Vermögen gerettet war, sollte er es irgendwie schaffen den zu überzeugen in den Ruhestand zu gehen. „Izayoi, Vater wird ihn dir auf dem Chrysanthemenball vorstellen. Vielleicht ein Spaziergang, zu mehr bist du erst einmal nicht verpflichtet. Ich möchte dich jedoch inständig bitten daran zu denken, dass an deiner Empfindlichkeit unser Leben hängt. Du kannst uns retten, die Bank, das Haus hier, auch Teile deiner Mitgift.“

Das Mädchen nickte geschockt. Ob sie ihren Vater anflehen sollte … Aber wozu? Er würde sein eigenes Leben und das Narakus doch über ihre Empfindlichkeit stellen, wie sie es nannten. Aber einen Youkai heiraten? Oder den Ruin vor Augen?

„Denk darüber nach,“ meinte Onigumo begütigend, den sein Sohn fast anfunkelte. „Es ist natürlich eine böse Überraschung für dich, aber, wie Naraku schon sagte, ich wollte doch nichts erzählen, um euch nicht zu beunruhigen. Du darfst gehen.“

 

Izayoi gehorchte, noch immer fassungslos. Erst in ihrem Zimmer war sie soweit, dass sie in Tränen ausbrach.

Ein Monster heiraten? Sich von diesen Klauen berühren lassen? Nie!

Aber es gab ja keine Alternative. Sogar, wenn sie sagen würde, dass sie ihre Pflicht gegen Vater und Bruder vernachlässigen würde, die sich ruhig umbringen sollten, was natürlich undenkbar wäre, – was sollte sie selbst tun, ohne Geld? Sie hatte das Abitur, ja, jedoch keine Berufsausbildung, sah man davon ab, dass sie Herrin eines Hauses sein sollte. Und sie war nicht so naiv und unerfahren, dass ihr nicht bewusst gewesen wäre, dass sie höchstens als Aushilfe oder Küchenmädchen Arbeit finden würde. Ihren Cousin, Fürst Toko, um Hilfe bitten? Das hatte Vater vermutlich schon getan – und der fürstliche Clan sah auf Vater und seine Kinder herab. Sie würden höchstens zufrieden sein, dass Vater ihnen seine Unfähigkeit bewies.

Aber einen Mononoke, einen Tiergeist, heiraten?

Sie hatte durchaus in der Schule über Youkai und ihre strikte, auf Befehl und Gehorsam ausgelegte, Gesellschaft etwas gehört. Diese war im Mittelalter stehengeblieben, es gab sogar Mehrehe. Verfehlungen wurden hart bestraft, oft mit dem Tod. Der Herr und Richter über alle Youkai war der Inu no Taishou.

Oh, warum nur wollte er sie heiraten? Weil er Vater helfen wollte? Unwahrscheinlich bei einem Ungeheuer. Wollte er einfach mal eine Menschenfrau …

Hier konnte sie nicht einmal weiterdenken und brach erneut in Tränen aus.

 

Mühsam nahm sie sich zusammen. Naraku hatte ja recht. Es ging nur um eine nicht offiziell gemachte Verlobung, von der man ebenso still sich wieder zurückziehen konnte. Womöglich gefiel sie dem Inuyoukai auch gar nicht und er lehnte sie ab? Dann sollte sie allerdings zusehen, dass sie auf dem Ball sich einigen anderen, wichtigen, Leuten in äußerst positives Bild stellte. Menschen, bitte! Es musste doch einfach auch einen jungen Erben unter den Menschen geben, der bereit wäre, Vater zu helfen.

Und sie sollte auf dem Ball gut aussehen und sich perfekt zu benehmen wissen. Leider, wurde ihr bewusst, würde genau das auch dem mächtigen Youkai gefallen. Daiyoukai, nannte man das wohl.

Oh du je, in was war sie nur geraten? Aber sie konnte doch auch nicht zulassen, dass sich Vater und Bruder zu ihrer Ehrenrettung umbringen mussten, nur, weil sie zu feige war?

 

Nach einer durchwachten Nacht und einer fast zehnminütigen kalten Dusche wagte sich Izayoi aus ihrem Zimmer. Hoffentlich waren Vater und Naraku schon weg. Früher oder später müsste sie sie allerdings sehen und sie fürchtete sich jetzt schon vor der Frage, ob sie ihre Pflicht tun würde.

Ja, dachte sie, würde sie. Im Notfall, dazu hatte sie sich heute Nacht entschlossen, würde sie das Monster heiraten – und sich in der Hochzeitsnacht selbst umbringen. Dann wären Vater und Bruder gerettet, und sie gewissermaßen auch, da sie sich nicht vorzustellen wagte, was ein Youkai mit ihr tun würde. Sie kannte ja nur das menschliche Verhalten, das sie in der Schule gelernt hatten. Aber davon sollte sie Vater nichts sagen. Er hatte so lange geschwiegen um sie zu schützen, das konnte sie ihm andersherum auch vergelten.

 

Am Tag des Chrysanthemenballs stand Izayoi in ihrem Zimmer. Sie hatte sich mit Hilfe eines Hausmädchens den mehrlagigen Kimono angezogen, jedoch, wie ihr einst ihre Mutter geraten hatte, darauf verzichtet sich die Haare empor stecken zu lassen. Dazu waren die ihren bei weitem zu lang und schwer. Lieber zeigte sie sich so als Mädchen, als sich dadurch lächerlich zu machen, dass nach keiner Stunde ihre Frisur zerbröckelte. Es war der gleiche, obere, Kimono, den sie vergangenes Jahr getragen hatte. Sie hoffte zwar, dass niemand sich so genau erinnern würde, hatte sich jedoch eine Ausrede parat gelegt. Die meisten Anwesenden heute würden in der traditionellen Tracht kommen. Sie hatte bereits die Kleidung ihres Bruder gesehen, blau in blau gehalten, und war froh, dass sie orange wie die herbstlichen Chrysanthemen trug. Vater hatte sich sicher wieder in gelb mit weißer Hose gewandet, seine Kleidung bei Festlichkeiten. Aber bei Männern sah auch niemand darauf, wie oft sie was trugen.

Es klopfte.

„Ich komme, ich bin fertig,“ sagt sie eilig und schlüpfte in die traditionellen Getas.

Naraku öffnete. „Du siehst bezaubernd aus.“

„Oh, danke.“ Sie wurde rot. Noch nie hatte ihr Bruder das zu ihr gesagt.

Auch Onigumo, der draußen stand, musterte kurz seine Tochter. Doch, sie hatte sich Mühe gegeben und würde sicher auf den Inu no Taishou nicht so abschreckend wirken, dass der, eidesstattliche Versicherung hin oder her, einen Rückzieher machte. Das wäre fatal. Aber das Mädchen schien entschlossen sich zu opfern. Braves Kind.

 

Der Ball fand in einer von Youkai erbauten Halle unterhalb des großen Turms statt, der Tokyos Silhouette neben den Hochhäusern beherrschte. Draußen waren dämonische Wachen und menschliche Polizei, aber auch drinnen bevölkerten die reichsten Wesen beider Arten die Halle. Im Hintergrund war bereits ein Buffet aufgebaut, auf einer Empore spielte leise ein traditionelles Orchester.

Onigumo sah sich prompt nach dem Taishou um, aber, wie er fast vermutet hatte, war dieser noch nicht da. Er kam stets protokollgerecht direkt vor dem kaiserlichen Prinzen, der dieses Jahr die Veranstaltung leitete. Leider entdeckte er jemanden, auf den er gut und gern hätte verzichten können. „Fürst Toko und seine bezaubernde Gemahlin ...“ Er verneigte sich, Naraku und Izayoi folgten diesem Beispiel.

Während Fürst Toko etwas huldvoll seiner Cousine zulächelte, aber weiterging, blieb seine Ehefrau noch einen Moment stehen. „Hübscher Kimono, liebe Izayoi. Aber, kommt der mir nicht bekannt vor?“

„Das ist gut möglich,“ erwiderte das Mädchen mit allem Stolz, der ihr zu Gebote stand. „Diese Farbe ist die der Chrysanthemen im Herbst, liebe Cousine. Übrigens auch der Dekoration dort am Buffet.“

Die Fürstin musterte sie nur noch kurz, ehe sie weiterging.

Naraku grinste seine sonst so ungeliebte Halbschwester an. „Das war richtig gut. So eine Hexe.“

Er war so nett zu ihr heute, dachte Izayoi. Vermutlich wusste zumindest er das Opfer zu schätzen, das sie auf sich nehmen sollte. Sie hatte nur noch Frist bis der Inu no Taishou eintraf. Vielleicht sollte sie sich durch den Saal bewegen? „Gehen wir ein wenig?“ Vielleicht traf sie in letzter Sekunde noch den Retter?

„Natürlich, Schwesterchen.“ Naraku begleitete sie zu diversen Bekannten der Familie, stellte sie auch Menschen vor, die er kannte. Vater würde ein Auge darauf haben, wann der Daiyoukai eintraf. Es wäre allerdings nicht schlecht, gar nicht schlecht, noch einen Plan B zu haben, wenn der Taishou, aus welchem Grund auch immer, trotz der riskanten Lage seines Sohnes vor einer Heirat mit Izayoi zurückschreckte. Vater neigte immer mehr zu einseitigen Planungen, womöglich durchaus ein Grund, warum die Finanzen derart schlecht standen. Zumindest er hatte seinen Teil erfüllt und Ryuukossusei seine Schulden bezahlt. Hm. Im Hinblick auf den Drachenherrn wäre der Taishou als Schwager auch nicht schlecht. Damit könnte er sich bei künftigen Herausforderungen bei Ryuukossusei entschuldigen – das etwas angespannte Verhältnis der Zwei war schließlich bekannt. Und wer wollte schon den Herrn der Hunde verärgern? Das tat nicht mal der sonst so bedenkenlose Drache. Es liefen Gerüchte, dass da früher, vor Jahrhunderten, etwas vorgefallen sei, aber es war kaum ratsam auch nur einen der Beteiligten zu fragen.

 

Onigumo erkannte, dass der Inu no Taishou die Halle betreten hatte und verbindlich von diversen Regierungsmitgliedern, Menschen, begrüßt wurde, sich mit denen und den, sich vor ihm höflich tief verneigenden, Youkai auf eine kleine Plauderei einließ. Er würde und sollte ihm Izayoi erst vorstellen, wenn der offizielle Teil vorbei war, das Buffet gegessen und die Tänze eröffnet waren. Nun ja. Er vermutete nicht, dass ein Youkai tanzen würde, das hatte er noch nie gesehen. Während die Menschen tanzten, unterhielten sich die Wesen der anderen Art zumeist nur. Durchaus auch mit Menschen, die kein Interesse an den langsamen Bewegungen hatten, die den Damen im Kimono eben möglich waren.

 

Izayoi hatte allerdings bemerkt, dass ihr potentieller Verlobter gekommen war, und packte ihren Halbbruder am Ärmel. „Das … ist er?“ flüsterte sie hektisch.

Der Daiyoukai trug feinste, weiße, Seide als Hose, ein aufwendig blau besticktes Oberteil aus eben diesem Material und jene seltsamen Fellteile, die von seinen Schultern über den Rücken fielen. Seine seidene Schärpe hing perfekt gebunden fast ebenso tief an seiner Vorderseite herab. Sein weißes, fast silbrig glänzendes, Haar war zu einem Zopf emporgezogen, wie er unter Menschen seit geraumer Zeit aus der Mode gekommen war. Blaue Zackenbänder zierten seine Wangenknochen. Er sah so fremd aus, dachte sie, als sie seine Hand musterte. Nein, eine Klaue. Er musste bemerkt haben, dass sie ihn unhöflicherweise angestarrt hatte, denn er wandte etwas abrupt den Kopf um sie anzusehen und sie blickte eilig zu ihrem Halbbruder. Diese so seltsam leuchtenden, gelben, Augen … Nein, kein Mensch.

„Ja,“ erwiderte Naraku derweil. „Das ist der Inu no Taishou, einige Milliarden schwer, Regierungsmitglied und Herr der Youkai. Du wirst zugeben, dass er für einen Youkai recht menschlich aussieht.“

Genau dies fand Izayoi nicht und sie schluckte schwer. Ihr Hals schien wie zugeschnürt zu sein. Nur nicht mehr dort hinsehen, lieber zur Tür, wo soeben die Kaiserlichen Hoheiten den Raum betraten.

 

Das war Naraku, dachte der Inu no Taishou, dann musste die junge Dame neben ihm seine Halbschwester sein, die ihm selbst aufgezwungene Braut. Sie sah beileibe nicht hässlich aus, immerhin, und sie schien bemerkt zu haben, dass sie eine Unhöflichkeit begangen hatte, denn sie wurde sichtbar verlegen. Nun ja. Gut erzogen und ein netter Anblick. Er würde sie für die wenige Zeit, die er der Form halber mit ihr verbringen musste, erdulden können, ehe er sie in den Westen schickte. Was ihm absolut nicht gefallen konnte, war die Tatsache, wie freudig sie sich bereit erklärt hatte ihn durch Erpressung zu heiraten. Geld und Macht waren ein Anreiz, das wusste er nur zu gut, aber er war nicht willens, das jemandem durchgehen zu lassen. Zudem: sei es Onigumo oder Naraku, je mehr Nachforschungen er anstellen ließ, umso weniger verdienten sie den Respekt eines ehrlichen Kriegers. Und Izayoi passte wohl nur zu gut in diese Familie. Aber er musste an seinen eigenen Sohn denken. Zuerst Sesshoumaru beschützen und sein eigenes Werk, dann Vergeltung. Er kannte einen menschlichen Spruch darüber, und er fand ihn passend: Rache ist ein Gericht, das nur kalt genossen schmeckt.
 

Heirat


 

I

zayoi kam sich wie im Traum vor. Es konnte doch unmöglich Realität sein, dass sie hier lächelte, plauderte – und innerlich zitternd darauf wartete, dass ihr Vater sie ihrem Bräutigam vorstellen würde. Einem Youkai, noch dazu. Genauer, dem Herrn aller Youkai. War es, was sie fühlte, das, was Menschen fühlten, die man zum Tode verurteilt hatte? Dieses einfache Nicht-Wahrhaben-Wollen? Sie spürte einen Griff am Oberarm und zuckte zusammen.

Naraku sah sie tadelnd an. „Träumst du? Vater winkt uns schon zum zweiten Mal und der Inu no Taishou steht neben ihm. Benimm dich, bitte.“ Er sollte sie beruhigen, wenn nicht der gesamte Plan in die Binsen gehen sollte. Ein paar freundliche Worte waren da ein geringer Preis.

„Entschuldigung,“ flüsterte sie automatisch und ging an seiner Seite durch die plaudernde Menge, in der Diener Getränke herumreichten. Sie sollte ruhig bleiben, ermahnte sie sich. Noch war nichts entschieden, vielleicht lehnte der Inuyoukai, der Hundedämon, sie auch ab? Aber, was wäre dann mit der Familie? Heirat oder Ruin. Dennoch starrte sie wie hypnotisiert auf die Fliesen auf dem Hallenboden. Nun ja, das war sicher auch höflich. Sie durfte jetzt keinen Fehler begehen, alles hing von ihr ab. Nur heute, noch die Hochzeit, dann wäre alles vorbei. Alles … Sie hörte, wie ihr Vater sie vorstellte. Ohne aufzublicken verneigte sie sich protokollgerecht vor einem Fürsten, denn das war der Taishou ja wohl, so als Herr der Youkai.

 

Dieser betrachtete sie. In dieser Menge wurden durch die unterschiedlichen Gerüche und Geräusche seine Sinne malträtiert, aber das war eben so. Preis des Lebens mit Menschen. Dennoch konnte er nun bei seiner mutmaßlichen Verlobten zwei Dinge wittern – sie benutzte ein weiches Parfüm von Lotus, das ihr sehr gut stand, und sie war fürchterlich aufgeregt. „Ich freue mich Sie kennenzulernen,“ antwortete er in langer Übung. „Begleiten Sie mich ein wenig?“

„Ja, natürlich, vielen Dank für die Ehre.“ Hatte sie das wirklich gerade gesagt? Nun gut, es war eine Ehre und Vater wäre bestimmt zufrieden und … Wohin ging der Youkai?

Der Taishou blieb in einer Fensternische stehen, die weit genug weg von der Musik lag, und ein wenig Intimität bot. Natürlich konnte sie jeder hier sehen. „Ich vermute, Sie wissen warum Ihr Vater uns heute vorstellte.“

„Ja,“ hauchte sie rot werdend. „Ich erhielt den Befehl ...“

Den Befehl? Der Taishou stutzte und sah sie an. Sie war aufgeregt, zitterte und starrte fast verbissen auf den Boden. Das war kaum der Höflichkeit geschuldet. War sie mit dieser Ehe nicht so einverstanden, wie er angenommen hatte? Aber, das war gleich. Er benötigte um Sesshoumarus Willen diese eidesstattliche Erklärung. Und er würde sie erst nach der Unterzeichnung des Heiratsvertrages erhalten. Dennoch sollte er einmal bedenken, dass es womöglich zwei Variationen gab – sich gegen eine Intrigantin zu wehren oder ein Opfer vor sich zu sehen. Er sollte diese Izayoi unter Beobachtung halten. „Ich wäre für eine Heirat in zwei Tagen,“ sagte er jedoch kühl. „Bis dahin sind auch Ihre neuen Räume in meinem Schloss bezugsbereit.“

„Ihr Schloss?“ Izayoi hob ruckartig den Kopf, schaffte es jedoch gerade noch ihn nicht anzusehen. Das wäre doch gegenüber einem altmodisch denkenden, vornehmen, Youkai extrem unhöflich. Dabei stellte sie zum ersten Mal fest, dass sie ihm kaum bis zur Schulter reichte. Schloss, wie konnte sie nur so töricht sein? Hatte sie nicht zuvor noch gedacht, er sei ein Fürst? „Verzeihung, ja.“ Mit einem müden Lächeln ergänzte sie ehrlich: „Ich war nur noch nie in einem.“ Wieder fiel ihr Blick auf seine so entspannt herabhängenden Hände. Krallen, Klauen, dachte sie und spürte erneut den Schauder. Vor den Verträgen hatten Youkai Menschen gejagt und getötet, hatte sie in der Schule gelernt. Und, dass sie Menschen an Kraft haushoch überlegen waren. „Wegen der Heirat, bitte sprechen Sie mit meinem Vater.“ Das war doch bestimmt so korrekt. Nur jetzt keinen Fehler machen, sie allein konnte die Familie retten.

„Das werde ich tun. Vermutlich auch wegen Ihres Nadelgeldes.“ Das war doch aller Voraussicht nach das, was jemand aus dieser habgierigen Familie am Meisten interessierte.

„Meines …?“ Sie war verwirrt.

Der Taishou fühlte sich trotz der unangenehmen Lage etwas amüsiert. War sie dermaßen aufgeregt oder wusste sie es nicht anders? Jedenfalls schien sie an Geld nicht unbedingt interessiert. „Ihr Taschengeld, sagt man heutzutage wohl. Das Geld, das Sie von mir bekommen, für alle Dinge, die über den Lebensunterhalt hinausgehen.“

„Oh.“ Sie wurde erneut rot. Sie musste ja fürchterlich naiv wirken. „Bitte, verzeihen Sie, an so etwas habe ich noch überhaupt nicht gedacht.“

„An was haben Sie denn gedacht?“ fragte er in ehrlicher Neugier.

DAS konnte sie ihm kaum sagen. Aber eine Antwort ziemte sich. Immerhin hatte er auch noch nicht einmal den Versuch gemacht sie zu berühren. „Ich … gibt es viele Ehen zwischen Menschen und Youkai?“

„Einige,“ erwiderte er ruhig. „Es werden langsam mehr.“ Er sollte gerecht bleiben und seinen Zorn auf ihren Vater nicht auf sie übertragen. Prüfen, dann entscheiden.

„Sie haben schon einen Sohn?“

„Ja. Sesshoumaru.“ Sie interessierte sich für seine persönlichen Verhältnisse? „Seine Mutter lebt in einem Schloss weit weg. Sie werden sie kaum kennenlernen. - Ihr Vater kommt.“ Er wandte den Kopf. Anscheinend war Onigumo begierig herauszufinden wie die Sache stand. Oder, der Bankier wollte verhindern, dass seine Tochter einen Fehler machte. Nun, gleich. „Setzen wir die Trauung auf übermorgen an.“

„Natürlich, werter Taishou, wie es Ihnen beliebt.“ Onigumo warf einen Blick zu seiner Tochter. Sie schien verlegen, aber das ziemte sich für jede junge Braut. Immerhin war alles korrekt abgelaufen, jeder hatte gesehen, dass die Beiden miteinander sprachen. So würde es keine Probleme mit Gerede geben. „Izayoi, gehe zu deinem Bruder und habe noch ein wenig Spaß auf dem Ball.“

Spaß, dachte das Mädchen. Aber sie verneigte sich gut erzogen vor Vater und Bräutigam, ehe sie gehorchte.

Der Taishou sah ihr nach. Dermaßen langes, schwarzes Haar … nun, sie war eindeutig ein hübscher Anblick. Immerhin etwas.

 

Auf dem Weg zurück in das Schloss griff der Daiyoukai zum Telefon und suchte den Chef der Finanzabteilung der Holding. Kiyoshi war ein Kitsune, ein Fuchsdämon, und er kannte ihn seit Jahrhunderten. „Wie sieht es aus mit den Aufkäufen der Schulden der Gumos?“

„Oyakata-sama! - Ich wollte Sie bereits anrufen, vermutete Sie aber noch auf dem Chrysanthemenball. Es gibt ein Problem.“

„Sie sollten meine Probleme dabei lösen. Was ist los?“

„Die Schulden der Gumo-Bank und privat übersteigen schlicht die momentane Barkasse der Holding. - Würden Sie lieber die Bankschulden oder die privaten aufkaufen?“

Der Taishou atmete tief durch. „Das bedeutet, sie sind ruiniert?“

„Kann man so sagen. Gut versteckt, aber wenn Onigumo no Gumo am nächsten Ersten nicht alle Zinsen zahlen kann, wird es offiziell.“

Darum also die plötzliche Heirat Izayois. Hatte Onigumo nicht erwähnt, dass er in diesem Fall mehr als eine Million ausbezahlt bekäme? Das war notwendig, um Zeit zu gewinnen für den Kampf um die Bank. „Kaufen Sie überwiegend die privaten Schulden von Vater und Sohn. Die Tochter hat wohl keine gemacht?“

„Nein. Gut, ich werde es veranlassen. Narakus Spielschulden auch?“

„Die vor allem. Oh, Kiyoshi, lassen Sie doch jemanden mal das Testament des verstorbenen Fürsten Toko einsehen. Was hat er Izayoi Gumo hinterlassen und was ihrem Vater und unter welchen Konditionen.“ Wenn er in den vergangenen Tagen etwas über Onigumo gelernt hatte, dann, dass der meist um die Ecke herum dachte.

„Ja, oyakata-sama.“ Das konnte ein wenig schwierig werden. „Wie lange haben wir Zeit?“

„Zwei Tage.“ Es wäre günstiger bereits bei der Vertragsunterzeichnung Onigumo aushebeln zu können.

Der Kitsune seufzte ein wenig. „Ja, oyakata-sama.“

„Und richten Sie ein Konto ein, privat, für Izayoi. Startkapital, nun, ich weiß nicht, was man heutzutage so als Brautgeschenk gibt. Danach monatliche Überweisungen für sie.“

„Brautgeschenk?“ echote der Finanzchef, beherrschte sich jedoch. Das ging ihn nichts an. „Ich werde mich erkundigen. Die monatlichen Überweisungen – so hoch wie die für die erste Gemahlin?“

„Nein. Izayoi lebt bei mir und muss weder ein Schloss noch Wachen unterhalten.“

„Danke.“ Das bezog sich auf die Erklärung. Ein Befehl musste nicht erläutert werden. „Dann ist es wohl angebracht Ihnen zu gratulieren.“

„Vielleicht, Kiyoshi.“ Der Taishou legte auf.

 

Izayoi weinte schon wieder. Sie war einfach zu weich, dachte sie dann und wischte ihre Tränen energisch weg. Zu weinen, weil sie realisierte, dass es keine Verlobungsfeier geben würde, auf der sich die Familien gegenseitig vorstellten und Geschenke austauschten? Es würde auch kein weißes Hochzeitskleid für sie geben, keine Feier, kein Segen in einem Schrein – nur eine Unterschrift auf einem Vertrag, nüchtern, sachlich. Das war doch sogar besser. Sie heiratete ein Monster um ihre Familie zu retten.

Ein Scheusal und das Ende ihrer Hoffnungen und Träume, ihres Lebens. Sie sollte sich wirklich ablenken. Morgen schon war der Tag der Entscheidung.

Sie stand von ihrem Bett auf und ging zu dem Regal, in dem sie ihre DVDs aufbewahrte. Romantische Liebe … Fast wütend warf sie „Titanic“ zu Boden. „Die Schöne und das Biest“? Warum nicht. Vielleicht entsprach nichts ihrer Lage besser. Der Film immerhin ging gut aus. Daran würde sie denken können, die Kraft finden können morgen zu lächeln und zu unterschreiben, sich von den beiden Männern zu verabschieden, an denen zwar nicht ihr Herz hing, die aber dennoch ihre einzige Familie darstellten. Und, die sie einer Bestie vorwarfen.

 

Als sie am folgenden Morgen zum Familienfrühstück erschien, war sie korrekt angezogen, wirkte aber blass. Ihr Spiegelbild hatte es ihr verraten, aber sie hatte keinen Grund gesehen sich künstlich aufzuhübschen.

Naraku sah sie an. „Aufgeregt, Schwesterchen? Nun, man heiratet auch nicht jeden Tag.“ Nur noch kurz aufmuntern, dachte er, dann war er sie los und Vater hatte zwei Millionen mehr, genug, um sich die Blutsauger erst einmal vom Leib zu halten. In einem Monat mochte alles schon anders aussehen. Er musste sich noch einmal diese Lebensversicherung anschauen, die er vor Jahren abgeschlossen hatte.

„Hast du deinen Koffer gepackt?“ erkundigte sich Onigumo väterlich, ebenfalls bemüht, die Tochter bei der Stange zu halten.

Koffer? Izayoi musste einen Moment lang überlegen, ehe ihr bewusst wurde, dass das wohl sinnvoll war. „Ich habe angefangen,“ log sie.

„Gut. Um elf fahren wir zum Rathaus.“

„Ja, danke.“ Sie würde ihre Lieblingsbücher und DVDs einpacken, andere Dinge, an denen sonst niemand Interesse hatte, einige Kimono zusammenlegen. Sie besaß auch zwei Jeans und T-Shirts, die würde sie ebenfalls einpacken. Auch, wenn Youkai als altmodisch galten, vielleicht dürfte sie sie anziehen. Vater hatte es in den letzten Jahren ja verboten.

Eine Stunde später hatte sie den Koffer geschlossen und war abfahrbereit. Noch einmal sah sie sich in dem Zimmer um, das bislang ihre Heimat gewesen war. Einige Andenken an ihre Mutter hatte sie ebenfalls eingepackt. Vater machte nicht den Eindruck als ob er sie aufheben würde. Nun ja, die Ehe ihrer Eltern war nicht immer gut gelaufen, aber Mutter hatte sich stets mit einem Lächeln arrangiert und ihr versichert, dass es ärgere Ehen gäbe. Immerhin habe Vater sie nie betrogen. Vielleicht sollte sie das als Vorbild nehmen. Es wäre nur eine kurze Zeremonie, keine Stunde … und dann? Sie wusste ja nicht einmal, ob sie dann in das Schloss fahren sollte oder es in Flitterwochen gehen würde oder … Ruhig bleiben, mahnte sie sich. Sie wollte nicht sich oder ihre Familie blamieren, wenn sie bei der Zeremonie in Tränen aufgelöst war. Immerhin war der Herr der Hunde bei ihrem kurzen Gespräch kühl, aber nicht unfreundlich, gewesen. Das besagte nur leider nicht, wie er wäre, wären sie verheiratet und er mit ihr allein. Sie machte sich keine Illusionen. Er war der Herr der Youkai und es war sein Schloss – falls sie um Hilfe rufen würde, würde sie sie nie bekommen. Sie war ihm ausgeliefert.

 

Sie hätte niemandem sagen können, woher sie die Selbstdisziplin fand mit einem Lächeln hinter ihrem Vater das Standesamt zu betreten, wo sich der Daiyoukai im dunklen Anzug, die offenkundig unvermeidbaren Fellteile über dem Rücken, bereits mit dem Beamten unterhielt, sich jedoch höflich umdrehte und tatsächlich den Kopf etwas neigte. Vor ihr, begriff sie, nicht vor ihrem Vater. Das machte ihr soweit Mut, dass sie an dem Bankier vorbei trat und sich ebenfalls, wenngleich deutlich tiefer, verbeugte.

„Ich bin erfreut Sie wiederzusehen, Izayoi,“ sagte der Taishou formell. Sie war aufgeregt, wieder, aber das war verständlich bei solch einer Entscheidung. Sie hatte deutlich mehr zu verlieren als er. Falls sie an dem Komplott unbeteiligt war, selbstverständlich nur. Oder dann erst recht. Leider sah sie ihn noch immer nicht an. Sie hielt das wohl für höflich. Gut, war es, aber die eigene Ehefrau sollte einen doch ansehen. Das war sie allerdings noch nicht. Und er sollte diese lästige Zeremonie hinter sich bringen. Allein die Tatsache, dass er mit Onigumo und Naraku in einem Raum stand, brachte sein Youki in Wallung. „Sind Sie bereit?“

„Ja, danke, werter Taishou.“ Izayoi hörte selbst, dass ihre Stimme schwankte. Aber er war so höflich ... Wie lautete eigentlich sein Vorname?

Während der recht kurzen Ansprache des Standesbeamten schielte sie auf den Vertrag vor sich. Ihr Name und … ja, da stand nur Inu no Taishou. War das etwa der Vorname oder hatten Youkai ganz andere Namenssitten? Nein, sein Sohn hieß Sesshoumaru, das hatte er doch selbst gesagt, und sie auch bei ihren Recherchen gefunden. Aber auch im Internet war nie ein Vorname angegeben worden. Gleich. Sie musste ihn fragen, wie sie ihn ansprechen durfte. Oh, sie musste ihn vermutlich viel fragen, wollte sie nicht bestraft werden.

„Bitte unterschreiben Sie, Gumo-san,“ wiederholte der Standesbeamte und hielt ihr einen Füllfederhalter hin.

„Oh.“ Izayoi nahm ihn mit zitternder Hand. Sollte sie nicht eigentlich erst den Vertrag durchlesen? Aber Vater hatte ihn doch für sie abgeschlossen, das würde schon seine Richtigkeit haben. Während sie ihren Namen auf das Papier setzte, fiel ihr Blick auf zufällige Worte in dem Vertrag: „Treue und Gehorsam“, „angemessener Unterhalt“ und „unterliegt den Gesetzen der Youkai“. Sollte sie jetzt beruhigt oder panisch sein? Sie spürte, dass ihr der Standesbeamte den Füller aus der Hand nahm und dem Taishou reichte.

Der setzte nur zwei Zeichen, ehe er ihn zurückgab.

„Vielen Dank, werter Taishou.“

„Izayoi?“ fragte der Daiyoukai, da seine nunmehrige Ehefrau wie in Trance den Vertrag anstarrte. Sie wandte sich ihm zu und er zog eine Schachtel aus der Innenseite seines Anzugs. „Wenn Sie mir Ihre Linke reichen?“

Sie gehorchte, ohne zu wagen zu ihm aufzusehen. Natürlich, ein Ring, wie hatte sie das vergessen können. Er berührte ihre Finger ohne ihr wehzutun, wie sie erleichtert feststellte. Die Hand, die ihre hielt, war warm und fest, der Ring mit dem Diamanten bestimmt kostbar, die Krallen berührten sie nicht. Seltsame Kleinigkeiten. Ihre Welt schien sich in einem Mosaik aufgelöst zu haben. Der Daiyoukai ließ ihre Hand los. Was sagte Vater da?

Onigumo zog einen Umschlag aus dem Jackett. „Nun, werter Schwiegersohn, Sie haben Ihr Wort gehalten, hier das meine. Die Aussage.“

Der Taishou nahm den Umschlag und schob ihn wortlos ein.

Naraku hatte den Preis des Eherings seiner Halbschwester abgeschätzt. Hm. Es wäre nur zu gut an das Geld des Taishou zu gelangen. Vielleicht würden Familienbesuche die Bande stärken? „Vielleicht sollten wir noch ein wenig … essen gehen? Es ist Mittagszeit.“ Er fand sich ignoriert.

Der Daiyoukai wandte sich erneut seiner Ehefrau zu. „Haben Sie Gepäck dabei?“

Sie nickte. „In ... in Vaters Wagen.“

„Holen Sie es, Onigumo.“

Dieser wollte protestieren so herumkommandiert zu werden, aber etwas in den Augen des Inu no Taishou jagte ihm Furcht ein. Dieser Mann hatte sich zu der Ehe erpressen lassen, aber er wollte seine Revanche. Nein, das wäre kein törichter Schwiegersohn, den er ausnehmen könnte. Nun gut. Aber zwei Millionen hatte er so immerhin gewonnen. „Natürlich. - Wollen Sie sofort nach Hause mit meiner Tochter?“

„Mit meiner Frau,“ korrigierte der Daiyoukai prompt. „Ich habe, was ich wollte, und Sie das, was Sie wollten. Das Handeln ist vorbei.“

„Ja, natürlich.“ Oh oh, da war jemand wütend.

Das dachte auch Izayoi furchtsam. Der Handel war vorbei und sie hatte anscheinend den gleichen Wert wie der Umschlag, den ihr nunmehriger Ehemann eingeschoben hatte. Was würde er nun mit ihr machen? Er hatte, was er wollte, damit hatte sie doch jeden Wert für ihn verloren, oder?

 

Auf dem Parkplatz öffnete Onigumo seinen Kofferraum. Naraku nahm den großen Trolley. Für einen Hanyou war er leicht zu tragen, aber er wusste, das sein Vater an körperlicher Kraft verlor. Wortlos folgte er dem Taishou zu dessen Sportwagen. Kein Chauffeur, stellte er dabei fest. Wollte der Herr der Hunde diese Eheschließung verheimlichen? Das konnte nichts Gutes für die Braut bedeuten. Nun ja, das war jetzt Izayois Problem. Allerdings, falls sie unerwartet starb, könnte sich eine neue Möglichkeit ergeben.

Während ihr Halbbruder ihren gesamten Besitz in den Kofferraum ihres Ehemanns legte, sah sich Izayoi um. Weniger, weil sie annahm fliehen zu können, als aus einem uralten Instinkt, einer gefährlichen Situation zu entkommen. Sie hatte verstanden, dass Vater nicht nur sie, sondern auch den Taishou zu dieser Heirat gebracht hatte – und dass dieser alles andere als erfreut darüber war.

Der Daiyoukai schlug den Deckel zu. Er hatte durchaus die Fluchtbereitschaft bemerkt. Und er stellte fest, dass seine Ehefrau ihn, seit er sie kannte, noch kein einziges Mal angeblickt hatte. Er wusste die Farbe ihrer Augen nicht einmal. Ein Kontrast zu Youkaidamen, selbst die höfisch erzogenen schielten hinter ihrem Fächer hervor, um einen Blick in sein Gesicht zu erhaschen. Galt diese übertriebene Höflichkeit dem Ehemann oder dem Youkai?

Onigumo war nachgekommen. „Dann, viel Spaß, mein Kind. Ich hoffe, wir hören bald voneinander. - Werter Taishou, ich stelle fest, dass Ihnen meine Tochter gefällt, wenn Sie es so eilig haben mit ihr nach Hause zu kommen.“ Er lächelte verschmitzt.

Der Taishou öffnete die Beifahrertür. „Izayoi.“

Sie hatte keine Wahl. Vater würde sie kaum mehr bei sich dulden. So setzte sie sich und schwang sich mit gewisser Übung auf den Autositz. Der Schlag fiel zu, aber sie hörte durchaus, wie ihr Ehemann zu ihrem Vater sagte:

„Ich will ihre Augen.“

 

 

 


 

Einzug


 

I

zayoi wurde es eiskalt. Ohne weiter nachzudenken versuchte sie panisch die Autotür wieder zu öffnen. Sinnlos, denn trotz ihres Rüttelns hielt der Taishou mühelos diese verschlossen. Mit Tränen in den Augen versuchte sie zu ihrem Vater zu sehen, aber Onigumo nickte ihr nur zu.

Dann erst meinte er zu seinem Schwiegersohn: „Ich fürchte, Sie haben Izayoi erschreckt. Nun ja, sie wird sich sicher an die Gebräuche der Youkai gewöhnen.“ Und, wenn nicht, so war das auch ihr alleiniges Problem. Er hatte ihr doch wirklich eine gute Erziehung angedeihen lassen, da sollte sie sich in ihre Lage einfinden können. Er ging.

Naraku schloss sich ihm an. „Ihre Augen?“ erkundigte er sich.

„Frag mich nicht. Das muss sie ihm schon ausreden. Nicht unsere Sache. Wir gehen jetzt zum Anwalt und legen ihm den Ehevertrag vor. Dann bekommt der Taishou unverzüglich seine Million und wir die zwei. Damit sind wir für einen Monat gerettet.“

 

Der Taishou wandte erst jetzt den Kopf und bemerkte, wie sich seine neue Ehefrau hektisch die Hände vor das Gesicht schlug. Was war denn los? Onigumo war ein intriganter Narr, aber ein Mensch. Hatte er selbst etwa Izayoi wirklich erschreckt? Er ließ die Tür los. Bevor die entsetzte Braut das auch nur bemerkte, saß er neben ihr auf dem Fahrersitz. Er konnte ihre Tränen riechen, hörte, wie sie mit den Zähnen klapperte, soweit er wusste ein Zeichen von Angst. Ja, er hatte sich wohl für Menschen irgendwie unglücklich ausgedrückt. „Beruhigen Sie sich,“ meinte er daher sachlich. „Ich weiß nicht, was Sie über Youkai denken. Wir leben seit siebzig Jahren mit Menschen und haben die Verträge. Überdies sind Sie als meine Gemahlin meinem Schutz anvertraut.“

Ihn nur nicht weiter ärgern, war der einzige Gedanke, der durch ihre Panik drang. Die Strafe würde grässlich. „Sie... wollen … meine Augen ...“ würgte sie in reinem Überlebensinstinkt hervor.

„Ja, ich würde Ihnen gern einmal in die Augen sehen.“ Oh, dämmerte es ihm dann. Sie hatte doch nicht wirklich geglaubt, er wolle sie blenden? Wenn sie so über Youkai dachte, wilde Bestien, warum hatte sie sich bereit erklärt ihn zu heiraten? Des Geldes wegen? Hatte Onigumo sie etwa gezwungen? „Nehmen Sie doch die Hände herunter.“ Irgendetwas wie Mitgefühl ließ ihn ungewohnt ergänzen: „Bitte.“

Izayoi gehorchte zögernd, ehe sie ihrem Ehemann das Gesicht zuwandte. „Danke,“ flüsterte sie, doch irgendwie beruhigt. Was sollte sie sonst auch schon sagen. Es waren nur Worte, was er wirklich wollte musste sich zeigen, aber immerhin schien er bemüht sie zu beschwichtigen. Vielleicht auch nur, weil sie hier in der Öffentlichkeit vor dem Rathaus saßen?

„Sie haben sehr schöne, dunkle, Augen. Ich hoffe, ich sehe sie auch einmal ohne Tränen.“ Er drehte den Zündschlüssel. Noch immer etwas bewegt darüber, was sie ihm zutraute, meinte er: „Wir fahren in das Schloss. Es liegt ungefähr hundert Kilometer entfernt. Ich werde Ihnen Ihre Räume zeigen und Ihre Dienstboten vorstellen.“

„Dienstboten.“ Reden, beschwor sie sich. Sie musste einfach herausbekommen, was er wollte. Immerhin schien das erste große Missverständnis schon hinter ihnen zu liegen. Vorsichtig zog sie Taschentücher aus dem Kimonoärmel. „Sie haben mir mehrere zugewiesen?“

„Ja. Eine ältere Menschenfrau namens Misako als Ihre Zofe und persönliche Bedienstete, und eine jüngere Menschenfrau namens Akiko. Sie ist mit einem Youkai verheiratet und kann Ihnen sicher gewisse Dinge erklären.“

„Das ist sehr ... rücksichtsvoll von Ihnen.“ Noch immer schwankte ihre Stimme etwas.

Der Daiyoukai bog auf die Schnellstraße. „Izayoi, vergessen Sie eines nicht: Sie sind meine Frau. Ich habe Sie geheiratet, widerwillig, aber ich habe es getan. Und ich stehe zu meinem Wort und zu meiner Tat.“

Sollte sie gern wissen wollen, mit was Vater ihn zu dieser Heirat gebracht hatte? Lieber nicht. „Darf ich Sie etwas fragen?“

„Ja.“

„Wenn ich etwas falsch mache ... ich meine, Sie verärgere, dürfen Sie mich strafen?“

„Ja.“ Er warf einen Blick seitwärts und stellte fest, dass seine Ehrlichkeit nicht sonderlich gut aufgenommen worden war. Das konnte schwierig werden, wenn sie so ängstlich war. Immerhin sollte sie auch die Hausherrin sein. Und sein eigener Ruf unter Youkai würde leiden, wenn er so ein Rühr-mich-nicht-an als Ehefrau anbrachte. Er hatte eine Stunde um sie zu beruhigen. „Was auch immer Sie darunter verstehen. Ich werde Sie nicht schlagen, wenn Sie das meinen.“

Ja, das hatte sie gemeint. „Ich weiß wenig von Youkai,“ gab sie zu. „Nur, was ich in der Schule hörte. Und da waren auch ein oder zwei an der Schule, ja.“

„Das habe ich mir gedacht. - Sie werden, zumindest in der ersten Zeit, nicht im Schloss wohnen, sondern im Jade-Pavillon, einer kleinen Villa daneben. Im Schloss leben praktisch nur Youkai. So können Sie sich eingewöhnen. Natürlich können Sie, wenn Sie wollen, in das Schloss umziehen, aber ich vermutete, das sei Ihnen lieber.“

„Danke.“ Wieder so rücksichtsvoll. Vielleicht ging es doch gut? Aber sie brauchte nur auf die Klauen am Lenkrad sehen, um den Schauder wieder zu spüren. Er war ein Monster, freilich in menschenähnlicher Form. Und als er gelächelt hatte, waren da spitze Eckzähne entblößt worden, Fangzähne. Sie musste behutsam sein. Er war bestimmt stärker als sie, mächtiger auch in der Politik und Finanzwelt. Sie konnte ihm nicht entkommen. Sicher, er hatte gesagt, dass er sie nicht schlagen würde – aber es gab bestimmt auch andere Strafen. Und selbst wenn nicht: sie musste sich jetzt von diesen Klauen berühren lassen, sich diesem raubtierhaften Gebiss nähern, und das alles möglichst ohne Angst oder Widerwillen zu zeigen. Wie sollte sie das nur anstellen? Wenn sie an „Die Schöne und das Biest“ dachte, half es vielleicht? Vielleicht entpuppte sich auch der Daiyoukai als wenigstens passabler Ehemann? Sie wusste von ehemaligen Schulfreundinnen, die standesgemäß über die Eltern verheiratet worden waren, die es ganz unterschiedlich getroffen hatten. Und das waren doch alles Menschen.

Der Taishou war schon erst einmal zufrieden, dass sie nicht mehr weinte. Später, heute Abend, würde er mit ihr noch einmal unter vier Augen reden, womöglich hatte sie sich dann weiter beruhigt. „Übrigens – in Ihrem Kleiderschrank befinden sich bereits einige Kimono, die ich anfertigen ließ. Sollten sie nicht passen, müssten Sie es Misako sagen, damit die Schneiderin sie ändern kann.“

„Ich habe ...“

Er klang bestimmt. „Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen widerspreche, Izayoi. Ich bin sicher, dass Sie Kimono besitzen, aber kaum welche, die für eine Fürstengemahlin geeignet sind.“

„Das stimmt, danke.“ Er war eindeutig großzügig – und dachte mit. Wieder fasste sie etwas Hoffnung, die erstarb, als sie seine Finger betrachtete. „Ich werde für Sie repräsentieren, wenn Sie das wünschen.“

„Ja, das wünsche ich. - Falls Sie andere Dinge benötigen, werden Ihre Dienerinnen das Ihnen besorgen. Oder Sie lassen sich in die Stadt fahren.“

„Das darf ich?“

Sie klang so hoffnungsfroh, dass er beiseite blickte und fast amüsiert antwortete: „Die Tore des Schlosses sind nicht mit Ketten versperrt. Sie sind nicht meine Gefangene. - Der Chauffeur ist allerdings ein Youkai, der auch bei Ihnen dann die Funktion des Leibwächters übernimmt.“

Ja, natürlich. Ein so reicher und mächtiger Mann musste gewiss auch vor Entführung auf der Hut sein. Izayoi atmete durch. „Entschuldigen Sie. Ich weiß wohl sehr wenig über die Youkai. Ich habe nur gelesen, es gäbe eine sehr strikte Hierarchie. Und Sie sind der Herr.“

„Ja.“

„Dann dürfen Sie jeden Youkai in Japan bestrafen?“

„Wenn er gegen die Regeln verstößt, ja.“

Das bedeutete im Umkehrschluss – ihn konnte niemand zur Rechenschaft ziehen. Sie sollte behutsam sein und viel lernen. „Ist Ihr Sohn im Schloss?“

„Nein, er befindet sich auf einer Auslandsreise.“ Wusste sie oder wusste sie nicht von der Erpressung ihres Vaters und Bruders? Ganz eindeutig war sie nicht begeistert ihn geheiratet zu haben, etwas, womit er mutmaßlich diverse Damen beider Arten im Lande in Enthusiasmus versetzt hätte. Ausgenommen ausgerechnet die zwei Frauen, die er tatsächlich geheiratet hatte. Immerhin weinte sie nicht mehr. „Sie werden ihn erst in einer Woche kennen lernen.“ Das gäbe sowieso noch eine Unterhaltung mit seinem Sprössling. Der kam da ganz nach seiner Mutter, für die die schwächere Art auch die minderwertige war. Sesshoumaru sollte mit Kritik allerdings überaus vorsichtig sein – erstens war es dessen Fehler gewesen, der letztendlich diese Hochzeit ausgelöst hatte und zweitens: Mensch oder nicht, Izayoi war seine Frau. Und er beschützte das, was ihm gehörte.

 

Izayoi bemerkte ein wenig verwundert, dass die Fahrt nicht nur an den Stadtrand ging, sondern durch die eng zusammengewachsenen großen Städte, immer weiter nach Westen. Die Häuser wurden kleiner und die Gärten größer. So etwas hatte sie zuletzt bei Schulausflügen gesehen. Der Taishou bog von der Schnellstraße ab und lenkte das Auto auf eine kleinere, hielt jedoch immer noch den westlichen Kurs.

„Wir sind bald da,“ meinte er.

„Danke.“ Was sollte sie schon sagen? Er bemühte sich, das gab sie zu, aber wenn sie BALD da waren, sie BALD in ihrem Zimmer war – nun ja. Dann kam wohl nur zu BALD der Zeitpunkt, an dem er das wollte, was ihm nach jedem Recht als Gatte zustand. Sie hatte panische Angst davor, wenn sie nur die Klauen betrachtete. Bissen Youkai? Kratzten sie? Wie sollte sie das überstehen? Vielleicht gab es eine Möglichkeit ihn mit Worten von sich abzuhalten? Kraft gegen Kraft zu setzen brauchte sie gewiss nicht. Die Straße schlängelte sich nun links an Teefeldern vorbei, rechts an einer hohen Mauer aus Ziegelsteinen, ungewöhnlich. Sie fragte zögernd nach.

„Ja, das ist der Schlosspark. Hier hinten trainieren allerdings meist die Krieger, darum die Mauer. Weiter vorn, näher am Schloss, befindet sich auch ein Garten, in dem Sie spazieren gehen können, zur Meditation, aber auch mit Wasser.“

Die Krieger. Youkai-Krieger. Natürlich, Taishou war ein Heerführer. Izayoi schluckte etwas. Nein, entkommen war unmöglich. Wohin hätte sie auch sollen? Ihr Vater hatte sie praktisch verkauft, der Taishou hatte sie gekauft. Sie war das Opfer und alle waren zufrieden. Sie musste nur irgendwie … überleben? Sie warf einen Blick auf die beiden Fellteile, die von seinen Schultern gewöhnlich mit seinem Zopf über den Rücken fielen, jetzt jedoch rechts und links über den Autositz. Ob das echtes Fell war oder nur ein Statussymbol? Hundedämon, Inuyoukai … Bedeutete das, dass er sich in einen Hund verwandeln konnte? Oh ihr Götter, nein, das wollte sie nicht sehen. Diesen Beweis, dass er ein Monster war … Das da war das Schloss? Sie starrte das hohe Gebäude an. Sie kannte von Schulzeiten her diverse große Paläste, nicht zuletzt von einem Ausflug nach Kyoto, aber das kam dem recht nahe. Mehrstöckig, mit geschwungenen Dächern und Türmen, davor altmodisch gekleidete Menschen, nein, Youkai, die beiseite wichen, als das Auto die Auffahrt förmlich empor-sprang und vor dem eigentlichen Schlosshof hielt. Falls sie je daran gezweifelt hätte, dass ihr neuer Gemahl ein sehr mächtiger Mann war, so waren diese Zweifel beseitigt.

 

Ein Youkai riss ihm die Tür auf. „Willkommen, oyakata-sama.“

Izayoi blieb regungslos sitzen, da niemand ihre Tür öffnete. Sollte sie das allein tun? Aber da stand schon der Taishou neben ihr und öffnete, bot ihr die Hand. „Kommen Sie, meine Liebe.“

Ah, dachte sie, dann war das richtig gewesen.Aber sie zögerte ihre Hand auf die Klaue zu legen, bis ihr siedendheiß einfiel, dass sie ihn in diesem Fall vermutlich vor seinen Leuten blamieren würde – und er das durchaus an ihr auslassen könnte. So tat sie es zitternd, ließ sich aus dem Auto helfen. Es war bequemer, zumal im Kimono, ja. Er lächelte etwas. Hatte er ihr Zögern bemerkt? Ihre Hand wurde jedenfalls freigegeben.

„Kommen Sie, meine Liebe, ich zeige Ihnen den Pavillon. - Bring das Gepäck hinüber.“

 

Der so genannte Jade-Pavillon befand sich im Garten, in Sichtweite des Schlosses, aber von dichten Hortensienbüschen umstanden, deren blaue Blüten sich zu öffnen begannen. Wie auch das Schloss war er im mittelalterlichen Baustil erbaut – und eindeutig größer, als sich Izayoi vorgestellt hatte. Zwei Frauen knieten vor der Tür und verneigten sich tief. Das mussten also Misako und Akiko sein.

 

Der Taishou bestätigte das. „Ich darf Ihnen, meine Liebe, Misako und Akiko vorstellen. Diese Beiden sind nur für Sie und Ihre Wünsche da. Am Haustelefon befinden sich Knöpfe, mit denen Sie sie rufen können. Aber kommen Sie. Ich zeige Ihnen den Pavillon.“

„Danke.“ Sie wusste noch immer nicht, wie sie ihn anreden sollte, hatte aber durchaus festgestellt, dass er sie nicht mehr mit ihrem Vornamen ansprach, sondern mit „meine Liebe“ eine höfliche Anrede der Ehefrau. Sie würde wohl lieber bei Heerführer bleiben – Taishou, bis er anderes erlaubte.

Auf einen kleinen Vorraum folgte ein deutlich größerer, dessen Einrichtung verriet, dass es sich um den Hauptaufenthaltsraum handelte, mit Matten und einem kleinen Tischchen, auf dem bereits Tee köchelte. „Hier können Sie auch essen“, erklärte der Taishou. „Misako wird es Ihnen aus der Schlossküche für Menschen besorgen. - Hier drüben ist ein Arbeitszimmer.“ Es schob die Tür beiseite. Hier war der westliche Stil eingehalten worden. „Wenn Sie keinen Laptop haben, müsste man Ihnen einen zukommen lassen.“

„Ich habe einen im Koffer, danke, werter Taishou. Man müsste ihn nur anschließen.“

„Misako.“ Damit war für den Hausherrn die Sache erledigt. „Hier hinten befindet sich Ihr Schlafzimmer. Von dort aus geht es in das Bad und Ihr Ankleidezimmer. - Misako und Akiko übernachten hinter dem Schloss in den Wohnungen der Menschen, aber Sie können unbesorgt schlafen. Tag und Nacht patrouillieren die Krieger.“

„Danke.“ War das eine dezente Warnung vor einem Fluchtversuch? Dieser Pavillon war nett, neue Kimono und Dienstboten bezeugten, dass ihr Ehemann nicht nur Geld besaß, sondern es auch für sie ausgeben würde – und sie hätte zu gern alles hergeschenkt, wäre nur eine andere Frau bereit sich in der Nacht in sein Bett zu legen. Was sagte er da gerade?

„Richten Sie sich ein wenig ein, die beiden Frauen werden gewiss Fragen und Wünsche beantworten. Ich werde Sie nach dem Abendessen aufsuchen. Sagen wir, um halb neun?“

Izayoi neigte zustimmend den Kopf, mit einer vielleicht etwas zu tiefen Verbeugung, um ihr Gesicht nicht sehen zu lassen. Das also war die Frist, die sie noch erhielt? Immerhin war es noch eine. Da der Daiyoukai wortlos ging, wandte sie sich an die beiden ihr fremden Frauen. Sie durfte ihre Angst, ihre Unsicherheit, nicht zeigen, das wusste sie nur zu gut. „Ich würde allerdings gern etwas trinken, und mir dann die vorhandene Garderobe ansehen, ehe ich meinen Koffer auspacke.“

„Natürlich, Izayoi-sama,“ erwiderte Misako. „Was möchten Sie trinken? Tee, Cola, Limonade?“

„Oh, einfach Mineralwasser.“

„Natürlich. Ich hole es Ihnen sofort. Akiko kann Ihnen derweil ja den begehbaren Kleiderschrank zeigen, und die wirklich wundervollen Kimono, die die Schneiderin da brachte. Nun ja, sie arbeitet bei den Stickereien mit den Spinnen zusammen, das sieht man. Ich denke, kein Mensch bekäme solch filigrane Muster hin.“ Sie eilte weg.

„Spinnen – das sind auch Youkai,“ fragte Izayoi scheinbar desinteressiert Akiko, aber sie musste an Naraku denken.

„Ja. Es sind nur relativ wenig Menschen hier, Izayoi-sama. Wenn ein Mensch für den Herrn arbeitet, dann meist in der Konzernzentrale. Ich lebe hier, weil mein Mann ein Youkai ist. Er ist in der Wache. Misako wurde dagegen für Sie extra gestern eingestellt. Sie hat gute Referenzen als Zofe einer Fürstin Nayako, die verstarb. - Bitte, folgen Sie mir.“

 

Der Inu no Taishou wurde kurz vor seinem Arbeitszimmer von Myouga abgefangen: „Nachricht von Kiyoshi, oyakata-sama!“

„Endlich.“ Der Daiyoukai setzte sich auf die Matten und griff zum Telefon. „Kiyoshi.“ Der hatte ihm die Nachricht doch heute morgen schon liefern sollen.

„Es dauerte, weil ich es lieber noch einmal überprüft haben wollte, oyakata-sama,“ entschuldigte sich der Kitsune prompt. Er kannte den Inu no Taishou seit Jahrhunderten und diese kleine Veränderung in der Betonung seines Namens besagte nichts Gutes. Auch, wenn er selbst die Grenze zu einem Daiyoukai übersprungen hatte und der Ranghöchste aller Füchse Japans war – sogar zwischen Dämonenfürsten gab es Machtunterschiede. Sich dem Inu no Taishou auf eine Schwertlänge gegenüber zu stellen, war eine der törichsten Selbstmordvarianten, die man nur wählen konnte. „Das Testament des verstorbenen Fürsten Toko beinhaltet kein Legat an Onigumo no Gumo. Es handelt sich insgesamt um drei Millionen in Wertpapieren und Grundstücken, alles fällt an seine Enkeltochter Izayoi an ihrem fünfundzwanzigsten Geburtstag. Sollte sie zwischen einundzwanzig und fünfundzwanzig heiraten, fallen die drei Millionen an ihren Ehemann.“

„Onigumo!“ Der Taishou knurrte es förmlich zwischen den zusammengepressten Fangzähnen hervor. Sein Youki stieg abrupt an. Das Telefon in seiner Hand knirschte.

 

Myouga flüchtete sich vorsorglich schon einmal in das weiße Fell auf der Schulter. Eiwei. Das sah so aus, als ob es Ärger geben würde. Soweit der kleine Flohgeist das abschätzen konnte, hatte dieser Onigumo die Unverschämtheit besessen den Herrn zu einer Heirat mit seiner Tochter zu nötigen, um Sesshoumaru aus seiner Patsche zu holen. Zu allem Überfluss hatte er ihm dafür eine Million an Mitgift geboten – obwohl nach diesem Testament dem Herrn drei zustehen würden. Kurz, Onigumo hatte ihn nicht nur erpresst, sondern auch noch betrogen.

 

Der Herr der Hunde nahm sich zusammen. „Weiter, Kiyoshi. Wie sieht es mit den Schulden aus?“

Der Kitsune war etwas erleichtert, dass kein Tadel kam. „Narakus Spielschulden scheinen alle in der letzten Zeit bezahlt worden zu sein, es sind keine auf dem Markt, oyakata-sama. Ich ließ die privaten Schulden Onigumos kaufen, die er mit seinem Haus gesichert hat, aber das waren nur kleine Kredite bei diversen Banken. Alle anderen liefen über die Gumo-Bank und sind dort mit Hypotheken abgesichert. Ich ließ kaufen, was für die Holding verfügbar war. Alles in allem an die zwanzig Millionen, die nun dem Unternehmensverbund gehören. Wie gewünscht wurde unter verschiedenen Firmen gekauft und alles intern gehandelt, das Ihnen jetzt zur Verfügung steht. Er sollte es nicht ohne Weiteres nachvollziehen können, selbst, wenn er Verdacht schöpft.“

„Gut, Kiyoshi, danke. Machen Sie für heute frei, Ihr Sohn wird schon warten.“ Der Kitsune hatte vor zwanzig Jahren seine Frau unter mysteriösen Umständen verloren und zog seither den kleinen Shippou allein mit Hilfe einer Amme auf. Der war noch ein Baby. Erst in über hundert Jahren wäre der schulreif. Der Taishou legte auf und dachte nach. Kurz zusammengefasst hatte Onigumo gerade zwanzig Millionen bei ihm Schulden. Daraus ließe sich doch etwas machen, so knapp bei Kasse wie die Gumos waren. Allerdings sollte er zuvor klären, wie das mit Izayoi aussah. Es wäre nachgerade lächerlich, wenn er ihren Vater in den Ruin treiben würde, und sie den dann mit ihrem Taschengeld, das sie ja von ihm erhielt, durchfüttern. Wusste sie von der Erpressung und hatte mitgespielt, um an Rang und Geld zu kommen? Oder hatte Onigumo sie dazu ebenso genötigt wie ihn selbst, mit Zuckerbrot und Peitsche? Gleich. Er würde diesen Mistkerl in die Knie zwingen, auch, wenn das Monate dauern sollte. Er hatte Zeit.

Nun ja, er sollte jetzt wohl besser duschen und sich in ein Seidengewand werfen. Trotz allem war das schließlich seine Hochzeitsnacht.

 
 

Hochzeitsnacht


 

I

zayoi hatte Schluck um Schluck das Mineralwasser getrunken, sich dabei bei ihrer neuen Zofe erkundigt, was eigentlich deren Aufgabe wäre. Zeit gewinnen, hatte sie unwillkürlich gedacht. „Ich hatte bislang keine,“ hatte sie zugegeben. Sie saß an dem kleinen Tischen im Wohnzimmer, die beiden Dienerinnen knieten an der Tür. Sie hatten versichert, dass dort ihr Platz wäre und oyakata-sama alles andere als Missachtung seiner Gemahlin auslegen könnte. Izayoi lag nichts ferner als die Zwei einer ungewissen Strafe auszuliefern und hatte zugestimmt.

„Oh, dann binden Sie allein den Kimono?“ Misako hatte den prompt gemustert.

„Nein, eben das Hausmädchen. Sie und ich lernten es von Takeshi-sama. Mein Vater hatte sie angestellt, damit sie mir beibringen solle, wie ... nun, wie man sich unterhält und Tee zubereitet.“

„Ah, dann wird Ihnen das Teehaus im Garten gefallen, Izayoi-sama.“ Akiko lächelte. „Ich war ja noch nie drinnen, aber von außen sieht es reizend aus. Man geht durch ein Tor, durch den Garten, über einen Bach.“

Misako nickte kurz. „Ich verstehe, was oyakata-sama an Ihnen fand. Es gibt nicht viele moderne Mädchen, die das können, schön sind und wohl auch Mitgift haben. Die meisten modernen Mädchen haben Dummheiten im Kopf, Fernsehgucken und so etwas.“

Das klang mehr nach Erzieherin als nach Dienerin und Izayoi beschloss ihre DVDs erst einmal im Koffer zu lassen.

„Misako!“ Akiko hatte einen Blick auf die Armbanduhr geworfen. „Es ist schon halb sechs Uhr!“

„Es wird Zeit, ja. - Izayoi-sama, was möchten Sie essen?“

Die junge Dame hatte seit dem Frühstück nichts zu sich genommen, aber das Wechselbad der Gefühle heute war auch nicht danach gewesen ihren Appetit anzuregen. Allerdings sollte sie wohl höflich sein. „Nur eine Kleinigkeit. Ich … ich bin sehr aufgeregt.“

„Ich werde Ihnen eine Schüssel Ramen besorgen, sättigend und leicht.“ Die Zofe erhob sich. „Es ist normal, dass Sie aufgeregt sind, Izayoi-sama.“

Sie ging und Akiko sah ihre neue Herrin an. „Sie sind aufgeregter als Sie es bei einem Menschen wären, nicht wahr?“

„Verständlich, oder?“ Izayoi entsann sich, dass Akiko mit einem Youkai verheiratet war. „Warst du das auch?“

„Nein, aber das war auch mehr … spontan. Ich hatte meinen Mann schon öfter gesehen, abends am Strand. Er sah so gut aus und ich hatte mich in ihn verliebt. Wir hatten uns schon öfter unterhalten, und eines Abends … naja.“ Akiko wurde etwas rot. „Wir haben später geheiratet, aber seine Familie war mit einem Menschen nicht so ganz einverstanden. Deswegen leben wir hier, bei oyakata-sama. Er war schon immer sehr tolerant gegenüber Menschen. - Sie sind eine junge Dame, sicher sehr behütet erzogen, aber ich denke doch Sie wissen aus der Schule oder dem Internet ungefähr wie es abläuft.“

Izayoi zögerte. Sollte sie fragen, was sie befürchtete? Aber Akiko klang so ehrlich verliebt in ihren Mann, so gar nicht verschreckt. So erkundigte sie sich: „Ist dein Mann auch ein Inuyoukai, wenn er hier in der Wache ist?“

„Nein, eine Fledermaus.“ Sie sah den Blick ihrer jungen Herrin und lachte auf. „Ja, so gucken alle immer. Ich habe ihn noch nie fliegen sehen. Nur seine Eltern. In Menschenform sieht er wirklich nur wie ein Mensch aus. - Essen Sie und dann machen Sie sich ein wenig frisch. Ich bin sicher, dass oyakata-sama um halb neun hier sein wird. Er hält stets sein Wort.“

 

Izayoi hatte nicht gewusst wie groß ein Teller Ramen sein konnte, aber unter den besorgten Blicken ihrer neuen Dienerinnen zwang sie sich jede Nudel mit den Stäbchen einzusammeln, den Rest zu trinken. Zugegeben, danach war ihr wärmer und sie fühlte sich besser. „Ich gehe dann duschen,“ verkündete sie, als ihr etwas Grässliches einfiel. „Oh, ich Närrin! Ich habe vergessen mir Nachtkleidung einzupacken!“

„Es liegt einiges im Ankleidezimmer,“ beruhigte Misako sofort. „Ich werde Ihnen etwas in das Bad bringen, nachdem ich Ihnen mit dem Kimono geholfen habe.“

Eine Zofe zu haben war ein Vorteil, dachte Izayoi. Misako beherrschte diese Bewegungen ebenso gut wie Takeshi-sama, vermutlich konnte man sie um drei Uhr nachts wecken und sie würde noch immer keinen Fehler begehen. Der Taishou war wirklich großzügig gewesen. Sogar an Nachtkleidung hatte er gedacht. Und das, obwohl er doch, wie er selbst gesagt hatte, widerwillig in diese Ehe gegangen war. Immerhin hatte auch Akiko gemeint, dass er menschenfreundlich sei. Vielleicht würde er ihr nicht so arg wehtun? Sicher, er hatte gesagt, er würde sie nicht schlagen, aber, was wusste sie schon von den abartigen Sitten, die Youkai bei der Paarung haben mochten? Inuyoukai, zumindest, wenn Akiko nicht gelogen hatte und ihr Fledermausmann nicht so grässlich war? Bissen sich Hunde nicht ins Genick oder so etwas? Vielleicht hatte der Taishou Akiko auch nur herbestellt, um mit dieser Erzählung seine Braut ruhig zu stellen, dass sie nicht davon lief? Wohin hätte sie denn sollen?

 

Sie drehte das warme Wasser mit einem inneren Seufzen ab, da sie hörte, dann Misako bereits wieder neben der Dusche stand. „Was ist?“ Sie öffnete die Augen und suchte durch die beschlagene Glasscheibe nach der anderen Frau.

„Es ist Zeit, Izayoi-sama, wir müssen Ihre Haare noch föhnen, und, so wundervoll sie auch sind, ich denke, das dauert.“

Das stimmte freilich, aber irgendwie stieß es die junge Braut ab, dass sie so perfekt gemacht werden sollte. Nicht um ihretwillen, das war wohl am Schlimmsten. Sie langte hinaus und fühlte sofort ein Handtuch an sich gedrückt, um sich geschlungen. Nun ja, es half ja wohl nichts. Wenn sie sich ihrem Ehemann nicht als Vogelscheuche präsentieren wollte, ihn damit möglicherweise verärgern wollte, musste sie sich wohl Misako überlassen. „Eine Creme?“

„Keine Creme. Und, wie Sie vielleicht bemerkt haben, auch kein Parfüm im Duschgel oder Haarwaschmittel. Youkai mögen intensive Gerüche nicht so. Das ist im gesamten Schloss verboten.“

„Er … er hatte nichts zu meinem Parfüm gesagt.“ Aber das sollte sie dann wohl weglassen. Izayoi entdeckte jetzt auf einem Hocker das bereit gelegte Nachthemd aus hauchfeiner Spitze. „Oh nein, das … das ziehe ich nicht an! Es muss doch etwas anderes geben? Suche etwas … etwas Besseres. Ich föhne mich inzwischen.“

„Nicht so durchsichtig, meinen Sie, Izayoi-sama?“ Aber die Zofe ging. Sie hatte schwer vermutet, dass der Hausherr genau für diese Nacht an dieses Gewand gedacht hatte, aber wenn die Dame nicht wollte … Es gab auch ein Seidennachthemd, das der anscheinend recht keuschen Izayoi eher gefallen würde. Schön, wenn es noch altmodisch erzogene Mädchen gab, die Anstand, Moral und Sitte kannten. Es hatte schon seinen Grund gehabt, warum sie sich in einen fürstlichen Haushalt der Youkai beworben hatte, auch, wenn es sie zugegeben überrascht hatte, dass die neue Herrin ein Mensch sein würde.

 

Genau zehn vor halb neun stand Izayoi in ihrem Schlafzimmer, bis fast zu den Füßen und den Handgelenken in einen weißen, seidenes Hemd gehüllt, das lange, schwarze Haar glänzend gebürstet. Ihre Dienerinnen verneigten sich.

„Wir gehen nach Hause. Oyakata-sama wird gleich kommen,“ verhieß Misako, ehe die Beiden verschwanden und die Tür zuzogen.

 

Für die junge Braut hörte sich der leise Laut der Schiebetür wie der eines Tors an. Ja. Er würde gleich kommen. Und dann, dann war sie mit ihm allein und …? Sie unterdrückte mühsam ihre Tränen. Hatte sie nicht gedacht, sie würde sich eben in der Hochzeitsnacht umbringen? Nur wie? Es gab in diesen so wohl aufgeräumten, altmodischen, Räumen nichts. Selbst dieser Ausweg war ihr versperrt. Es lag allein an ihr. Vielleicht gelang es ihr ihn mit Worten zu besänftigen, ihm klar zu machen, dass sie sich fast zu Tode fürchtete, vor ihm, vor den Youkai, vor der neuen Situation?

Vielleicht musste sie sich auch damit trösten, dass wenigstens Vater und Bruder noch ihre Ehre behalten hatten, das Haus, die Bank, aber sie musste auch daran denken, als heute Mittag, auf dem Parkplatz vor dem Rathaus, der Taishou gesagt hatte, er wolle ihre Augen, und sie sich so gefürchtet hatte, weil sie ihn missverstanden hatte, Vater und Naraku gegangen waren. Sie hatten nicht einmal nachgefragt. War es ihnen so gleich gewesen? Oder hatten sie gewusst, dass es sich um einen Irrtum handelte?

Ihr Blick fiel auf den Wecker auf dem Nachttisch. 8.27.

Hörte sie IHN schon?

In jäher Panik flüchtete sie hinter einen Stuhl, der, wie sein Pendant an einem kleinen Tischchen stand, ohne dass sie darin einen Sinn begriff. Lächerlich, geradezu, das würde keinen Youkai, erst recht keinen Daiyoukai, aufhalten, aber es war der einzige, jämmerliche, Halt, den sie noch hatte, und so umklammerte sie fest die Lehne.

 

Der Inu no Taishou schritt langsam vom Eingang des Schlosses hinüber zu dem kleinen Pavillon. Er wusste, dass sich alle Youkai höflich zurückgezogen hatten. Nun ja, er hätte es auch keinem durchgehen lassen ihn zu bespannen, und auch den Pavillon zur Tabuzone erklärt.

Er spürte, dass er noch immer zornig auf Onigumo war, aber er sollte das zurückdrängen, Selbstbeherrschung wahren. Izayoi war dessen Tochter, aber sie war jetzt auch und vor allem seine Ehefrau.

Wieder eine Hochzeitsnacht. Nun, er war älter und würde hoffentlich nicht mehr den gleichen Fehler begehen, für den er dann so bestraft worden war.

Brennend stieg die Erinnerung auf, an eine wunderschöne Inuyoukai auf ihrem Lager.

„Tun Sie mit mir, was Sie wollen,“ hatte sie gesagt. Und er war jung und unerfahren genug gewesen zu glauben, das sei ein interessantes Angebot für den frischgebackenen Herrn der Hunde. Narr, der er gewesen war. Es war ihr Vater gewesen, den er getötet hatte, ihr Schloss, das er erobert hatte, sie, die er zur Heirat gezwungen hatte. Sie hatte genau getan, was sie gesagt hatte. Er konnte kommen, sich nehmen, was er wollte, und wieder gehen.

Das war alles. In dieser Nacht und allen folgenden.

Sie bewegte sich nie. Er wurde stumm, mit geschlossenen Augen, erduldet, erlitten.

Als er das verstand, begriff, dass sich das nie wieder ändern würde, hatte er ihr geschworen, dass seine Besuche mit einer Schwangerschaft aufhören würden und sie nach der Geburt eines Sohnes sich zurückziehen könnte, wohin auch immer. Endlich hatte sie sich etwas entspannt, wenngleich noch immer nicht bewegt.

Nach Sesshoumarus Geburt hatte er sie gehen lassen, offiziell verbannt. Er hatte einen Ruf zu wahren. Sie waren allerdings tatsächlich zu einer Art Freunden geworden.

Aber diese Beschämung seines männlichen Stolzes brannte noch immer in ihm und die Umarmungen hundert anderer hatten das nicht auslöschen können.

Jetzt hatte er wieder eine Ehefrau. Es ging um gemeinsame Jahre, Jahrzehnte, selbst mit einem Menschen. Und er hatte gelernt, dass eine Vergewaltigung ein verdammt schlechter Anfang war.

 

Izayoi zuckte zusammen. War das nicht die Tür draußen gewesen? Jetzt die zum Wohnzimmer? Behutsam aufgeschoben und wieder geschlossen. Sonst lautlos näherte er sich, unaufhaltsam wie das Schicksal. Ihre Schlafzimmertür wurde beiseite geschoben. In dem Tränenschleier vor ihren Augen konnte sie nur eine weiß gekleidete, weißhaarige Gestalt entdecken. Instinktiv wich sie zurück an die Wand, presste ihre Hände dagegen. Am Liebsten wäre sie darin verschwunden.

Der Taishou musterte sie. Ein Kaninchen, das sich in einer Falle gefangen hatte – oder eine in die Enge getriebene Ratte? Was wusste sie von den Machenschaften ihres Vaters? Auf jeden Fall sollte er sie erst einmal beruhigen, für den Fall, dass sie unschuldig war. Er benötigte zu diesem Thema eine klare Antwort. Und die würde er jetzt bekommen. „Guten Abend, Izayoi.“

Sie hob abwehrend die Hände, als ob diese Verteidigung ihn auch nur aufhalten würde. „Bitte nicht, bitte, tun Sie mir nicht weh!“

Er sah sich kurz um, nahm dann den anderen Stuhl und setzte sich, demonstrativ Meter von ihr entfernt. „Schön, dann reden wir. Hier kann uns niemand zuhören, hier sind nur wir beide. Ich denke doch, wir haben einiges zu bereden. Setzen Sie sich. Und erklären Sie mir, warum ich Ihnen wehtun sollte. Ich habe Ihnen doch mein Wort gegeben, dass ich Sie nicht schlagen werde.“

Er saß Meter weg von ihr. Wie ein ängstliches Tier nahm sie es als Zusage, dass er ihr für den Moment wirklich nichts tun wollte, nicht ahnend, dass er sie auch auf diese Distanz mit einer Bewegung töten könnte. So löste sie sich von der Wand und setzte sich, noch immer zitternd, auf den Stuhl und verschränkte die Hände im Schoss um sich zu beruhigen, atmete tief durch.

„So ist es besser,“ meinte der Taishou, der wittern konnte, dass sie von vollständiger Panik zur Furcht zurückgekehrt war. „Nun, wie kommen Sie auf die törichte Idee, ich würde Sie verletzen wollen? Weil ich ein Youkai bin? Ein Mann? Oder hat das einen anderen Grund?“

„Einen anderen Grund, nein,“ stammelte sie verwirrt. Dann fiel ihr ein, dass ihr Vater ihn wohl zu dieser Ehe getrieben hatte. Vermutete der Taishou etwa, sie habe Angst, er wolle sich an ihr rächen? Ach, es ging doch bestimmt nur um etwas Geschäftliches. „Ihre Hände,“ gestand sie dann verlegen. Sie sollte ihn nicht anlügen.

Er hob die Klaue. „Glauben Sie mir, ich kann damit sehr feinfühlig handeln. Und weiter? Ich dachte, in diesen modernen Zeiten wissen auch junge Frauen, was körperliche Liebe ist.“ Zumindest hatten seine letzten menschlichen und dämonischen Geliebten es behauptet. Ein Vergnügen, das er sich versagen würde, solange Izayoi lebte.

Sie wurde rot. Doch er bemühte sich offensichtlich freundlich zu sein, sie zu beruhigen, da sollte sie ihn nicht verärgern. Aber, das war so peinlich. „Ich weiß, wie es bei Menschen geht … Ich meine, Sie sind ein Inuyoukai.“

Er blinzelte etwas, um sie nicht durch ein Lächeln zu kränken, als ihm bewusst wurde, auf welches Körperteil sie vermutlich anspielte. „Ich verstehe. Bei einem Menschenmann wären Sie aufgeregt, aber nicht ängstlich?“

„Ich … ich denke, ja.“ Hoffentlich fragte er nicht weiter.

„Warum haben Sie in diese Ehe eingewilligt, wenn Sie solche Angst vor Youkai haben?“

Izayoi starrte auf ihre Hände. Was sollte sie dazu sagen?

„Ich werde auf einer Antwort bestehen.“ Es klang sanft, war aber eine eindeutige Drohung.

So gab sie nach. „Mein Vater, mein Bruder ...“

„Sie stecken in einer finanziellen Klemme, ich weiß,“ half er.

„Sie sagten, wenn ich heirate, würden sie die Zeit überbrücken können, bis wieder Geld da ist. Sonst müssten sie rituellen Selbstmord begehen, um die Familienehre zu retten.“

„Und Sie sollten stattdessen das Opfer sein?“ Sie hatten sie also emotional erpresst.

„Mein Großvater war Fürst Toko. Er … er hinterließ mir einiges Geld, das zum Teil ja Sie bekommen, zum Teil meine Familie. - Können Sie meinem Vater nicht helfen die Bank zu halten?“ Sie sah zu ihrem Ehemann hinüber und begegnete einem goldenen, und doch so eisigem, Blick, der sie schaudern ließ. „Ich frage nicht mehr,“ beteuerte sie. „Bitte, verzeihen Sie mir.“

Der Taishou streifte seinen Zopf und die Fellteile über der Stuhllehne gerade, ehe er langsam bemerkte: „Sie haben da etwas nicht ganz verstanden, meine liebe Izayoi. Ihr Vater ist offenbar dabei betrügerischen Konkurs zu begehen, eine Straftat, für die man im Gefängnis landet. Ihr Halbbruder spielt um hohe Geldsummen, die natürlich auch irgendwo der Firma abgenommen werden müssen. Um sich beide aus diesen Problemen zu befreien, nehmen sie Sie, ihr eigen Fleisch und Blut, und werfen es einem Youkai vor. - Die Gegenfrage, warum ich Sie heiratete, ist einfach. Ihr Vater erpresste mich mit einer Aussage Ihres Bruders. Um meinen Sohn zu retten, ja, die Verträge, musste ich zustimmen. Wie ich Ihnen bereits sagte: ich habe Sie geheiratet, ich werde Sie beschützen und für Sie sorgen. Aber erwarten Sie nicht, niemals, dass ich Ihrer Familie das verzeihe. Auch nicht die Ängste, die Sie heute und wohl auch gestern durchgestanden haben, übrigens.“

Sie hob ruckartig des Kopf, als ihr der letzte Satz ins Bewusstsein drang. Er meinte das wirklich ernst. Sie war seine Ehefrau und er würde sie beschützen, gegen jeden. Nein, er würde ihr nichts tun, nicht sie schlagen, vermutlich nicht einmal gegen ihren Willen in ihr Bett gehen. „Danke,“ war die einzig richtige Antwort darauf.

Endlich einmal diese dunklen Augen ohne Tränen zu erblicken freute ihn Aber er sah sich zu einer Warnung gezwungen. „Ich möchte Sie daher dringend ersuchen, wenn Sie in der Stadt einkaufen oder sich mit Freundinnen zusammenfinden, sich nicht ohne meine Kenntnis mit Ihrer Familie zu treffen oder gar das Haus oder die Bank zu betreten.“ Nun, nicht, bis beides ihm gehörte, aber wozu sie wieder erschrecken. Aus diesem Wirtschaftskrieg sollte er sie heraushalten.

Izayoi atmete tief durch. Nun, das war keine Bitte, das war ein klarer Befehl. Aber, wenn es stimmte, was er eben gesagt hatte, und sie sah keinen Grund daran zu zweifeln … So sachlich wie möglich antwortete sie mit geradem Rücken: „Ich kenne jetzt Ihre Ursache für unsere Heirat. Und ich werde Ihnen keine Veranlassung geben meine Loyalität zu Ihnen in Frage zu stellen, Taishou. Ich habe Ihnen Gehorsam und Pflichterfüllung im Vertrag zugesagt und das werde ich halten. Ich werde außer dem Leibwächter auch stets eine der Damen mitnehmen.“ Vater hatte diesen Mann mit seinem Sohn erpresst sie zu heiraten? Es war beeindruckend, dass der Daiyoukai das nicht sie entgelten ließ. Ihre Angst hätte einen guten Grund gehabt, hätte sie das gewusst. Und sie hatte sich ausgenutzt gefühlt?

Der Inu no Taishou erlaubte sich ein leises Lächeln. „Sie sind schön, klug und ehrlich, Izayoi. Ich frage mich gerade wirklich, wie ein Mann wie Onigumo das in die Welt setzen konnte. Ich hätte gern Ihre Mutter kennengelernt. Prinzessin Miharu Toko, nicht wahr?“

„Ja.“ Natürlich hatte er sich über sie vor der Eheschließung erkundigt. Sie sah ihn an. Er lehnte da nachlässig auf dem Stuhl, diese seltsamen Fellteile und den Zopf hinter sich, ohne Zweifel elegant, selbstbewusst. Aber er wirkte auf sie nicht mehr bedrohlich. Sie war sicher, dass er Ehre besaß und sich an sein Wort halten würde. So lächelte sie ihn an, wenngleich etwas zögernd.

 

Der Herr der Hunde sah es zufrieden. Sie war unschuldig und kam etwas näher. Gut. Weiter sollte er wohl heute nicht gehen. Er stand auf und bemerkte gleich, dass sie instinktiv zusammenzuckte. „Nun, Sie hatten einen langen Tag voller Aufregungen, meine Liebe. Ich würde Sie daher gern schlafen lassen.“ Wie sie sofort aufatmete. „Es gibt nur ein kleines Problem – der ewige Klatsch der Dienstboten. Beide Arten, muss ich leider sagen. Es würde meinem Ruf und dem Ihrer Schönheit schaden, fände Misako morgen kein Blut in Ihrem Bett. Ich werde dafür sorgen.“ Er ging hinüber und schob sich den Ärmel empor.

„Warten Sie!“ Izayoi erhob sich, bemüht zu helfen, als sie verstand, dass er wieder vorhatte, diesmal sie beide, zu beschützen. „Ich meine, ich weiß, dass die Frau dabei verletzt wird. Aber, man kann doch das Blut eines Youkai und eines Menschen unterscheiden?“

Er sah sie etwas erstaunt an. „Ja, Youkai sicher. Aber ich werde Ihnen nicht wehtun. Und ein Youkai sollte hier nicht hereinkommen.“

Sie musterte ihn kurz, dann streckte sie entschlossen den Arm aus. „Nehmen Sie mein Blut. Das ist wirklicher. Niemand kann dann etwas behaupten.“

„Sie sind tapfer.“ Der Taishou dachte eine Sekunde nach. „Sie haben überdies Recht, meine Liebe. Neugierige Hundenasen könnten auf Ideen kommen. Warten Sie.“ Er schlug die Decke zurück. „Legen wir uns gemeinsam hier hin. Und dann, wenn Sie noch den Mut haben, geben Sie mir Ihre Hand.“

Izayoi zögerte kurz. War das nur ein Mittel gewesen, um sie in ihr Bett zu bringen? Nein, entschied sie dann couragiert. Das wäre eine überaus komplizierte Methode. Aber sie legte sich von der anderen Seite hin, ehe sie ihm ihren linken Arm reichte. „Tun Sie, was Sie wollen.“

In dem Daiyoukai stieg abermals die bittere Erinnerung an eine andere Hochzeitsnacht auf. Nur mühsam verdrängte er sie. Er durfte nicht erneut versagen. So sagte er, bemüht ruhig: „Ich werde, wenn Sie gestatten, Ihre Hand küssen. Das wird Sie ein wenig von dem, sehr kurzen, Schmerz ablenken. Das Blut muss hier auf das Laken. Einverstanden?“

„Ja,“ hauchte Izayoi, von den Gefühlsumwälzungen der letzten Minuten mitgenommen und zugleich fasziniert, als sie spürte, wie er behutsam ihre Hand etwas drehte, dann warme, weiche Lippen an ihrem Handgelenk. Ein scharfer, jäher, Schmerz an ihrem Unterarm ließ sie aufstöhnen.

„Es ist vorbei.“ Er gab sie frei. „Schlafen Sie gut, meine Liebe. Ich sage, dass Sie nicht geweckt werden sollen. Später am Nachmittag wird ein Flohgeist namens Myouga zu Ihnen kommen. Er ist mein engster Vertrauter und Berater und ich hätte gern, dass Sie ihn entsprechend behandeln. Er wird Ihnen einiges über Ihre Pflichten als Hausherrin erklären. Sie sollten sich allerdings etwas einfallen lassen, um Ihrer Zofe den Riss an Ihrem Arm zu erklären.“

Izayoi betrachtete den Kratzer. „Ja, danke. Gute Nacht, Taishou.“ Was für eine Gefühlsachterbahn an Hochzeitsnacht!
 

Es beginnt


 

A

ls der Inu no Taishou in der Früh sein Schloss verließ, um in die Konzernzentrale gefahren zu werden, ahnte er nicht, dass seine Weisung, Izayoi-sama ausschlafen zu lassen, zu wilden Gerüchten führte. Die meisten Youkai nahmen an, dass eben eine schwache Menschenfrau von einem Daiyoukai überfordert gewesen sei, bei den Menschen herrschte mehr Mitleid vor, zumal bei Akiko und Misako, die die Furcht der jungen Frau am Abend zuvor miterlebt hatten.

Die beiden Dienerinnen hielten sich an die Weisung, warteten aber zunehmend besorgt im Wohnzimmer, bis Akiko aufhorchte. „Ich glaube, sie duscht, Misako.“

„Elf Uhr. Nun gut.“ Die Zofe erhob sich. „Komm mit.“ Im Schlafzimmer warf sie einen Blick auf das Bett, betrachtete ein langes weißes Haar auf dem dunklen Kopfkissen, einen Blutfleck. „Nach dem Frühstück, Akiko, geh du doch ein wenig mit Izayoi-sama und zeige ihr das Schloss und den Garten. Ich werde derweil das Bett beziehen.“ Und sie kannte sich bei Weitem noch nicht aus, arbeitete sie doch erst zwei Tage hier.

„Ja, gute Idee. Ich werde das Frühstück in der Küche bestellen.“

„Und ich unserer Herrin beim Duschen helfen.“

 

Izayoi erschrak, als sie einen Schatten vor der Dusche entdeckte, beruhigte sich aber sofort, als Misako sich eilig vorstellte. Sie musste sich wohl daran gewöhnen eine Zofe zu haben. So drehte sie das Wasser ab und blickte durch die angelaufene, sonst klare, Glasscheibe. „Guten Morgen, Misako, ich hatte nicht gehört, dass du hier hereingekommen bist.“

„Kann ich Ihnen helfen, Izayoi-sama?“ Diese sah nicht verschreckt aus, ja, weitaus ruhiger als gestern Abend. Was auch immer der Herr getan hatte – er schien behutsam gewesen zu sein. Ihre letzte Gebieterin hatte nach der Hochzeitsnacht vollkommen verweint und verquollen ausgesehen. Und Fürstin Nayako hatte einen Menschen geheiratet.

Eine Zofe, ja. „Äh, ja. Was kann ich heute anziehen?“

„Ich würde höchstens zwei Lagen Kimono vorschlagen. Akiko würde Ihnen später den Garten und das Schloss zeigen, damit Sie alles kennenlernen, da genügt das.“

„Ja.“ Was sollte sie schon sagen. Nahm sie eben Stoffe, die ihr ihr Ehemann zur Verfügung gestellt hatte. Ihren eigenen Koffer sollte sie dann freilich auch auspacken, ehe die teure Seide Schäden davontrug. Allerdings stellte sie fest, als Misako ihr die Kleidung hinlegte, dass das wohl nicht mehr nötig war, handelte es sich doch um ihre eigene Unterwäsche, ihre eigene Kleidung. Schön. Mit gewissem inneren Seufzen wurde ihr klar, dass sie von nun an zwar umsorgt werden würde, aber auch unter steter Beobachtung stand. Sie musste wahrlich aufpassen, nicht sich und damit ihren Ehemann zu blamieren. Der Taishou hatte gestern Abend Recht gehabt. Wäre heute kein Blut im Bett, wäre das hauptsächlich auf ihn zurückgefallen. „Oh, der … der Taishou, ich meine, oyakata-sama, erwähnte gestern noch, dass heute Nachmittag ein gewisser Myouga zu mir käme, sein Berater, um mir einige Dinge zu erklären.“

„Ich werde es Ihnen mitteilen, wenn er sich melden lässt.“ Der wachsame Blick der Zofe glitt von einer erkennbar frischen Schramme am linken Unterarm über den Körper ihrer neuen Herrin. Da das aber die einzige sichtbare Verletzung war, fragte sie nur: „Soll ich den Kratzer desinfizieren?“

„Das brauchst du nicht. Es heilt ja schon ab.“ Mit einem Lächeln packte Izayoi die Nicht-ganz-Lüge aus, die sie sich ausgedacht hatte. „Oyakata-sama ist menschliche Körper nicht gewohnt.“

Das konnte sich Misako vorstellen. Immerhin hatte der Herr offenkundig dann deutlich besser aufgepasst. Und die junge Dame schien es ihm auch nicht nachzutragen.

 

Der Finanzchef der Taishou-Holding kniete seinem Fürsten in der japanischen Ecke in dessen Büro gegenüber Wie verlangt hatte Kiyoshi alle Berichte mitgebracht, die sich auf den neuen Schwiegervater des Taishou bezogen – und dessen neue, zwanzig Millionen hohen, Schulden bei dem Herrn der Hunde. „Einige Beträge beziehen sich auf das Privatvermögen, beziehungsweise sind durch Hypotheken auf die Villa gesichert. Mehrere allerdings auch auf das Grundstück und Gebäude der Bank oder einer Finanzagentur.“

Der erfahrene Heerführer dachte nach. „Was sind jeweils die beiden niedrigsten Kredite, deren Sicherung auf das Haus, beziehungsweise auf das Grundstück der Bank, lauten?“

„Hier, oyakata-sama.“ Die Überraschung des Kitsune lag nicht in seiner Stimme. Nur seine acht Schwänze hinter ihm zuckten etwas. „Hunderttausend auf das Grundstück der Bank und fünfhunderttausend auf die Villa. Beides Hypotheken.“

„Man kann sie doch für fällig erklären, auch, wenn bislang alle Zinsen gezahlt wurden.“

„Ja, natürlich. Aber es handelt sich um relativ kleine Summen. Entweder die Gumo-Bank zahlt sie sofort zurück, oder sie nutzen die Gelegenheit und machen gleich eine große Umschuldung. So sind es doch viele kleine Beträge, die wohl immer wieder aufgelaufen sind.“

Um den Mund des Taishou zuckte ein winziges Lächeln, das jedoch genügte, seinem Finanzchef einen Schauder über den Rücken zu jagen. Früher hatte das ausgesagt, dass jemand sterben würde, genauer, bereits tot war und es nur noch nicht wusste. „Sie haben vollkommen Recht, Kiyoshi. Es handelt sich um relativ kleine Summen. Wenn man liquide ist. - Wir werden sehen, was sich Onigumo einfallen lässt. Achten Sie nur darauf, dass es möglichst keine Verbindung zwischen diesen beiden Partien gibt.“

„Ja, oyakata-sama. Die anderen Hypotheken bleiben unangetastet?“

„Ja. Ich möchte doch mal sehen, wie die Gumos ihre Zinsen bezahlen.“ Selbst mit dem Geld, das Onigumo aus Izayois Mitgift unterschlagen hatte, würde es eng werden. Dazu noch die zwei kleinen Hypotheken gekündigt – ja, der Bankier würde sich winden. Bezahlte der die Hypotheken nicht und gelang keine Umschuldung, konnte die Zwangsvollstreckung, ja, Versteigerung, des Hauses und der Bankgebäude eingeleitet werden. Das würde Onigumo unter allen Umständen verhindern wollen.

 

Nach dem Frühstück wurde Izayoi von Akiko im Schloss und dem so genannten Meditationsgarten herumgeführt, der von menschlichen Gärtnern im alten, japanischen, Stil gehalten wurde. Sie stellten das Harken der Kiesfläche ein, als sie erkannten, wer sich näherte, und verneigten sich höflich vor der neuen Hausherrin. Auch, wenn sie sie noch nicht gesehen hatten – eine junge Dame mit Begleitung hinter sich war unverkennbar. Auch am Beginn des Gartens, wie eigentlich überall im Schloss, erkannte Izayoi Youkai, oft bewaffnet. Sie fragte Akiko danach.

„Ja, es ist so. Sie stammen alle aus viel kriegerischen Zeiten als wir es zum Glück heutzutage haben. Mein Mann sagte, ohne Schwert fühle er sich so hilflos. Das stimmt vermutlich. Überdies ist das natürlich auch der Stellung des Herrn geschuldet. Er ist ein Fürst, nein, DER Fürst der Youkai. - Oh, es ist Zeit. Das Mittagessen wird gleich in den Pavillon gebracht. Kommen Sie, bitte, Izayoi-sama.“

„Was liegt dort drüben?“

„Der äußere Garten. Er ist mehr ein Landschaftspark. Aber dort liegen auch die Trainingsplätze der Krieger. Sie können vielleicht später oder morgen dorthin. Das Essen wird gleich serviert.“

 

Ein strikter Tagesablauf, dachte Izayoi. Und sie hatte angenommen, sie würde sich womöglich langweilen? Dieser Myouga sollte ihr ja auch noch sagen, was sie als Hausherrin tun solle. Das konnte tatsächlich in Arbeit ausarten. Sie stellte seltsamerweise jedoch fest, dass sie sich freute, etwas Nützliches machen zu können. Bei ihrem Vater hatte sie das ja nicht dürfen, obwohl sie doch zu einer öffentlichen Schule gegangen war, hatte er ihr sowohl verweigert in seiner Bank lernen zu dürfen, als auch die Pflichten einer Hausherrin zu übernehmen.

Ein Flohgeist, hatte der Taishou gesagt. Sie hatte noch nie so ein Wesen gesehen und war neugierig, wie der wohl aussah. Sie wandte sich um und kehrte zum Pavillon zurück, gefolgt von der, ja, wohl Hofdame, denn sie war ja jetzt anscheinend eine Fürstengemahlin. „Akiko, weißt du, ob der ..“ Nein, sie musste gegenüber Dienstboten die Schicklichkeit wahren: „Oyakata-sama auch mit dem Schwert kämpfen kann?“

„Können, gewiss. Ich sah ihn noch nie, aber er trainiert manchmal mit den Kriegern, sagte mein Mann. Er ist ein Youkai, noch dazu ein Daiyoukai, Kampf liegt ihnen im Blut.“

Und sie waren altmodisch. Sie hatte beim Rundgang durch das Schloss im ersten Stock einen Seitenflügel nicht betreten dürfen, da dort die Privaträume des Hausherrn und seines Sohnes lagen. Akiko hatte ihr allerdings den gegenüberliegenden, vollkommen leerstehenden, Frauentrakt gezeigt, der offenbar bei dem Neubau des Schlosses mit geplant worden war – mit durchaus modernen Bädern, Strom und fließend Wasser, nur unbewohnt. Akiko hatte ihr erklärt, dass im Winter geheizt wurde, um die Bausubstanz zu erhalten, aber noch nie eine Frau in den vergangenen dreißig Jahren hier gelebt hatte.

Izayoi musste daran denken, dass ihr ihr Ehemann angeboten hatte, sie könne jederzeit in das Schloss umziehen, wenn sie sich eingewöhnt hatte. Aber, was sollte sie mit so vielen Räumen? Im Pavillon besaß sie ja schon vier. Zum ersten Mal wurde ihr bewusst, dass der Trakt vermutlich für mehrere Frauen, oder eine Frau mit Kindern ausgelegt war. Ja, natürlich. Youkai hatten ihre Sitten noch aus dem Mittelalter und Mehrehe war in Japan ja erst seit der amerikanischen Invasion verboten. Und irgendwann würde sie auch herausbekommen, was aus der Mutter dieses Sesshoumaru geworden war.

 

Als Misako ihr Myouga vorstellte, musste Izayoi an sich halten um nicht aufzulachen. So ein winziger, alter, Herr war Berater des Taishou? Aber sie neigte den Kopf. Immerhin hatte ihr Ehemann ihr ausdrücklich gesagt, sie solle den Gnom höflich behandeln. Er wusste vermutlich, wie der auf Menschen wirkte. Andererseits sollte sie sich zusammennehmen. Wenn der Berater eines Fürsten der Youkai war, war er bestimmt ein kluger Kopf. So meinte sie: „Ich freue mich Sie kennenzulernen.“

„Danke, Izayoi-sama.“ Myouga hatte die junge Dame bereits gesehen, und, soweit er den Herrn einschätzen konnte, zürnte der zwar ihrem Vater, jedoch nicht ihr. Da war es nur klug behutsam zu sein. „Wenn ich Sie in Ihr Arbeitszimmer bitten dürfte? - Misako, es kommen gleich mehrere Männer mit Kisten, schicke sie auch dorthin.“

In dem Arbeitszimmer, dem ersten Raum, der aus dem Wohnzimmer führte, wenn man zur Tür des Pavillon hereinkam, entdeckte Izayoi, dass nun ihr Laptop aus dem Koffer auf den Schreibtisch gewandert war.

Der Flohgeist sprang darauf und deutete auf die leeren Regale. „Die Männer bringen gleich Ordner mit den sozialen Projekten, die der Herr begonnen hat. Sie sollen die Verwaltung übernehmen, das ist die Tradition der Fürstengemahlin. Im Konzern gibt es dazu auch eine Abteilung, die dies verwaltet, aber die werden ab heute bei neuen Projekten zunächst, dann auch bei anderen, nichts mehr ohne Ihre Zustimmung tun. Diese Leute werden Ihnen nächste Woche vorgestellt. Es handelt sich um Menschen und Youkai. Des weiteren bekommen Sie einen Ordner über das menschliche Personal hier im Schloss. Einstellungen, Kündigungen und auch Schlichtung bei Streitfragen obliegen Ihnen.“ Myouga schwieg einen Moment, dann, als er sah, dass keine Antwort kam, fragte er vorsichtig: „Haben Sie Fragen dazu, Izayoi-sama?“ Er konnte kaum fragen, ob sie damit überfordert sei. Der Herr hatte ja gemeint, das würde schon gut gehen, sie sei schließlich in eine Schule der Menschen gegangen, aber davon hielt der alte Floh wenig. Menschenschule! Sie war noch so jung, dazu keine geborene Prinzessin mit entsprechender Ausbildung.

Izayoi setzte sich an den Schreibtisch um ein wenig Zeit zu gewinnen. In der Tat, das klang nach Arbeit. „Ich werde mir diese Ordner ansehen,“ erwiderte sie. „An wen darf ich mich wenden, wenn ich danach Fragen habe?“

„Natürlich an oyakata-sama oder bei den Sozialprojekten auch an die Abteilung ...äh...156Z. Diese Leute arbeiten für Sie.“

„Wie sieht es aus, wenn oyakata-sama Gäste hat?“

Aha, sie sah also durchaus die Punkte. Immerhin schien sie als Hausherrin zu taugen. „Menschliche Gäste obliegen zukünftig Ihnen, da sollten Sie mit der Küche die Speisen bereden und auch mit der Schlossverwaltung sich mit Gästezimmern absprechen. In einem der Ordner finden Sie alle Telefonnummern und mail-Adressen aller notwendigen Mitarbeiter.“ Myouga musterte sie nochmals. Sie schien überrascht, aber nicht überwältigt. Schaffte sie das wirklich? Der Herr war manchmal ein ziemlich optimistischer Hund. „Äh, ja, und Youkai-Gäste benötigen in aller Regel nichts. Wobei der Herr erwähnte … wo ist denn Ihr Kalender?“

„Ich habe keinen.“

Der kleine Flohgeist pumpte wie ein Maikäfer. „Misako!“ Er blickte tadelnd zu der Zofe, die soeben hereinkam, gefolgt von vier menschlichen Männern, die Kästen mit Aktenordnern trugen.

„Ich habe einen im Laptop,“ erklärte Izayoi eilig, die die ältere Frau schützen wollte. Nicht, dass sich der Ratgeber des Taishou bei diesem über ihre Zofe beschwerte. „Wenn Sie kurz vom Computer gehen würden, Myouga-san? - Und stellen Sie bitte die Kästen auf den Boden. Ich werde sie mir später ansehen und sortieren. Danke.“

Myouga sprang schon weg. Höflich war sie ja – und selbstbewusst genug, die Rolle einer Fürstengemahlin spielen zu können. Sie wirkte jetzt ganz anders als zu dem Zeitpunkt an dem sie mit ihrem Vater auf das Standesamt gekommen war, ruhiger, erwachsener. Er wäre neugierig gewesen, was der Herr da getan hatte – aber fragen würde den zu diesem Thema nur ein masochistischer, volltrunkener, Lemmingsyoukai. Einmischung in seine Ehen und Affären hatte der Taishou stets als Affront betrachtet. Davon sang vermutlich heute noch der unglückliche Kater ein Lied in der Unterwelt, der ihm einst die Geliebte ausspannen wollte. Dessen letzte, überaus schmerzhafte, Viertelstunde wurde heute noch jungen Kriegern im Schloss zur Abschreckung erzählt. Und der Taishou hatte allen klar gemacht, dass er ein, auch nur einigermaßen, unhöfliches Benehmen gegen seine neue Gemahlin ebenso persönlich nehmen würde. „Haben Sie den Kalender gefunden, Izayoi-sama?“

„Ja. Oh, Myouga-san, könnte jemand den Laptop an das Internet anschließen?“

„Natürlich.“ Der Flohgeist funkelte erneut die Zofe an. Musste er denn alles tun? Wozu war sie eingestellt worden?

Misako neigte daher eilig den Kopf. „Ich werde Akiko unverzüglich in die Schlossverwaltung schicken.“ Sie selbst kannte schließlich noch nicht alle ihre Ansprechpartner, und auch, wenn sie Akiko nichts zu befehlen hatte, so hatten sie doch ihre Arbeitsteilung, zumindest für die erste Zeit, abgesprochen.

„Gut.“ Besänftigt blickte Myouga wieder zu der jungen Dame, zwei seiner vier Arme verschränkt. „Nächste Woche, Donnerstag, das ist doch der 29?“ Da Izayoi nickte: „Es kommen vier hochrangige Youkai her, offiziell, um zur Hochzeit zu gratulieren, aber es geht natürlich vor allem um Geschäfte. Dennoch wünscht der Herr Sie denen vorzustellen. Sie beherrschen die Teezeremonie? Gut. Um siebzehn Uhr im Teehäuschen. Sobald alle Herren ihren Tee in der Hand haben, können Sie sich verabschieden.“

Izayoi tippte es etwas aufgeregt. Ein Termin gleich mit hochrangigen Youkai? Ihr Ehemann schien sicher, dass sie ihn nicht das Gesicht verlieren lassen würde. Das Vertrauen musste sie rechtfertigen. Und eines war ihr jetzt schon klar - Youkai hin oder her, charakterlich stand er über ihrem Vater. Er war zu einer Ehe mit ihr erpresst worden, aber er ließ es sie nicht entgelten, sondern hielt sich an das, was er gesagt hatte – sie war seine Gemahlin. „Ich habe es. Noch einen Termin, Myouga-san?“

„Äh, nein, die müssten Sie dann in den jeweiligen Ordnern suchen und eintragen. Für hier. Im Büro führen natürlich die Sachbearbeiter die Terminlisten, je nach dem, um was es geht. Aber hier konnte ja noch kein Abgleich stattfinden. Das kommt dann noch.“

„Sie sagen doch, ich solle diese Leute nächste Woche kennen lernen?“ erinnerte sie, schon um zu zeigen, dass sie aufmerksam war.

„Äh, ja, so sagt es oyakata-sama, aber er sagte noch keinen Termin.“ Myouga strich sich über die schütteren Haare. Ja, Izayoi war nicht gerade dumm, da hatte der Herr schon irgendwie recht. Mal sehen, wie sie sich mit den ganzen Papieren schlug. „Haben Sie noch Fragen?“

Izayoi warf unwillkürlich einen Blick über ihre Schulter zu ihrer Zofe. „Ich weiß leider nicht, wie es unter Youkai üblich ist. Soll ich stets hier bleiben oder soll ich oyakata-sama im Schloss erwarten? Ich meine, wenn er aus der Arbeit kommt?“

Überfordert blies Myouga die Backen auf, nahm sich jedoch eilig zusammen. „Wenn der Herr Ihnen noch nichts dazu sagte, bleiben Sie nur für sich. Sie sollen sich ja wohl erst ein wenig eingewöhnen.“ Da sie nickte, fuhr er erleichtert fort: „Ich werde ihn aber fragen, ja? Vielleicht kommt er auch noch zu Ihnen.“

„Ist er schon hier?“ erkundigte sich Izayoi fast erschrocken sofort. Natürlich, wenn der kleine Berater hier war, würde auch sein Herr da sein.

„Ja.“ Der Flohgeist nickte. „Er wünschte ein wenig Schwertkampf zu üben.“

 

Naraku starrte den Lebensversicherungsvertrag in seiner Hand an. Fünf Millionen für ein Leben. Er war großzügig gewesen, als er volljährig wurde, das gab er jetzt zu. All die Jahre hatte er das bezahlt, Monat für Monat. Die finanzielle Misere der Familie ließ diesen Spielraum kaum mehr zu. Hm. Er las den Vertrag nochmals. Bei Unfalltod sogar die doppelte Menge, bei vorzeitiger Kündigung alles aufgelaufene Kapital als Rückzahlung. Ja, er war wirklich großzügig gewesen. Nun, gleich. Das sollte er noch in der Hinterhand behalten. Dieser Anwalt hatte zugesagt das durch die Hochzeit freigewordene Geld so schnell als möglich zu überweisen. Immerhin etwas. Damit waren zumindest die dringendsten Zinsen abgedeckt, wenn möglich sogar mehr.

Wieso sollte man eigentlich keine ordnungsgemäße Umschuldung machen, einen großen Kredit nehmen und bezahlen, die ganzen kleinen loswerden? Die Zinsen waren seit Jahren fast gleichgeblieben, das sollte doch machbar sein. Oder gab es noch eine Kleinigkeit, die Vater ihm nicht gesagt hatte? Im äußersten Notfall musste Izayoi dafür sorgen, dass der Taishou bürgte. Wenn sie die Nacht überlebt hatte, wovon er doch ausging. Der Herr der Hunde war zu klug und zu sehr an den Verträgen interessiert, als dass er eine menschliche Gemahlin umgebracht hätte. Natürlich, andere Strafen mochten seine Halbschwester getroffen haben, aber sie war doch jung, eine Frau und, soweit er das einschätzen konnte, ein hübscher Anblick, das sollte sie schon hinbekommen haben. Wichtiger war, dass der Taishou sie nicht nach dem Beispiel seiner ersten Frau in irgendein Schloss in die Pampa schickte, von wo aus sie garantiert keinen Einfluss mehr auf ihn bekommen konnte.

Hoffentlich hatte Vater dran gedacht mal im Schloss anzurufen und zumindest so zu tun, als würde ihn das Schicksal seiner Tochter interessieren. Sonst würde ja auch der dümmste Hund stutzen. Und der Inu no Taishou war alles, aber nicht töricht.
 

Youkai


 

Z

wei Stunden später hielt es Izayoi nicht mehr aus. Sie hatte jetzt mehrere Ordner durchgeblättert, sich den mit den Namen und Adressen der wichtigsten Mitarbeiter für morgen zum Übertrag in den Laptop auf den Tisch gelegt – und dabei ihre Neugier wachsen gefühlt, ob der Taishou oder ob er nicht nach ihr sehen würde. Trainieren wollte er, hatte doch der Flohgeist gesagt? So wandte sie sich um. Die Tür ihres Arbeitszimmers stand offen, und draußen knieten ihre beiden Dienerinnen. „Akiko, gehen wir noch ein bisschen spazieren. Ich denke, das hier werde ich morgen nach dem Frühstück alles gründlich durcharbeiten müssen. Misako, wecke mich doch um sieben.“ Damit konnte sie niemand der Faulheit zeihen. Ihre Zofe hatte schon wieder so missbilligend dreingesehen, die Miene hellte sich jetzt merklich auf. So fügte sie ergänzend hinzu, da sie keine Ahnung hatte, ob die Frauen dem Taishou Bericht erstatten mussten: „Es ist eine ziemliche Menge, aber ich sollte alles durchgelesen und verstanden haben, ehe ich den Mitarbeitern im Konzern vorgestellt werde. Und ab morgen werde ich versuchen meine zugewiesene Arbeit ordnungsgemäß und pünktlich zu erledigen. Es können dann auch Termine bei mir ausgemacht werden.“

„Da haben Sie recht, Izayoi-sama.“ Akiko, die sich schon gelangweilt hatte, erhob sich.

„Äh, nicht ganz. Natürlich wird Izayoi-sama das Personal vorgestellt, nicht anders herum.“ Misako korrigierte die sichtlich unwissende Fürstengemahlin behutsam.

Izayoi lächelte rasch dankend. Sie würde wohl noch einige Fehler begehen, hoffentlich keine schwerwiegenden. Die Teezeremonie vor lauter hochrangigen Youkai, die das sicher seit Jahrhunderten kannten, bot einen guten, oder eher schlechten, Anlass dafür. Sie sollte sich zuvor die Räumlichkeiten ansehen und üben. „Misako, welche Kleidung ist denn für eine Teezeremonie geeignet? Wie gewöhnlich? Die Gäste am Donnerstag sind sehr hochrangig.“

„Ich fürchte, das ist ein offizieller Empfang und Sie werden um die zwölf Lagen nicht herumkommen. Wir werden Sie allerdings bis vor das Häuschen begleiten und Ihnen helfen.“

Zwölf Lagen kostbare Seite, steif, schwer, dazu der Obi und das Kissen, möglichst aufgetürmte Haare. Das klang hart. Zum Glück war es nicht zu lange. Myouga hatte doch gesagt, sie sollte sich zurückziehen, wenn die Herren alle ein Schälchen Tee in der Hand hatten. „Dann werde ich mir das Teehäuschen einmal angucken. - Jetzt, komm, Akiko, ich möchte mir noch gern den äußeren Garten ansehen.“

Izayoi, die sich noch immer unsicher und angespannt fühlte, war damit zufrieden, dass beide Dienerinnen sich kurz verneigten, Akiko vor ihr die Tür öffnete und Misako offenkundig zu überlegen begann welche Kleidung für diese Zeremonie vorhanden wäre. War es wirklich so einfach? Sie sagte, was sie wollte, und die Frauen gehorchten? Natürlich vermutlich nur, solange es im Rahmen ihrer Rolle als Hausherrin war, aber sie war froh, dass es klappte. Sie war sich doch so unsicher. Mit ein Grund, warum sie ihren Ehemann gern gesehen hätte. Er war recht nett gewesen in der Nacht und sie hoffte auf einige weitere Anleitungen, zumal, wenn es sich um Youkai handelte.

 

Akiko blieb stehen. „Der äußere Garten umfasst einige Hektar, Izayoi-sama. In dieser Richtung grenzt er sogar an das Naturschutzgebiet mit einigen hundert Quadratkilometern. Ich vermute jedoch, Sie interessieren sich für die Übungsplätze ...?“

„Ich habe noch nie einen Schwertkampf gesehen.“ Das klang verteidigend, fand Izayoi, und sie wurde etwas rot. War es so leicht zu erraten, dass sie neugierig war, ob der Taishou selbst kämpfen würde?

Prompt erwiderte die menschliche Hofdame: „Wenn der Herr übt, zumeist dann dort, bei den Leibwachen. Gehen wir ein wenig hinüber. Oh, und nutzen Sie ruhig Ihren Fächer. Es ist nicht üblich, dass andere Männer einfach so Ihr Gesicht sehen dürfen.“

Izayoi gehorchte. Mittelalter, in der Tat. Aber sie wollte auch keinen Mann einer möglichen Strafe aussetzen, nur, weil sie keine Ahnung von den Sitten der Youkai hatte. Etwas krächzte ihren Namen. Irritiert blickte sie sich um, entdeckte dann den kleinen Flohgeist auf ihrer Schulter. Durfte der das? Sie wiederholte die Frage laut.

Myouga brach der Schweiß aus. Er hatte es getan, wie er es bei seinem Herrn stets tat, aber es war nicht unbedingt gesagt, dass der eine derartige Annäherung an seine Gemahlin schätzte. „Ich bitte Sie, Izayoi-sama,“ erklärte er hastig. „Wenn ich vor Ihnen auf dem Boden stehe, sehen Sie mich nicht oder hören mich nicht. Ich bin auch gleich wieder weg. Oyakata-sama wünscht Sie später aufzusuchen, so lautet meine Anweisung. - Wollen Sie noch spazieren gehen? Es dauert sicher noch, denn der Herr möchte trainieren.“

„Wo?“ erkundigte sich die junge Dame prompt. „Zeigen Sie uns den Weg. Und bleiben Sie ruhig auf meiner Schulter, da verstehe ich Sie wohl wirklich besser.“

Immerhin konnte er gegenüber dem Taishou ehrlich schwören, dass Izayoi ihm das gestattet hatte. Puh. Myouga wischte sich über die Stirn. „Dort links hinüber.“

„Wir sollten jedoch hinter den Büschen stehen bleiben, Izayoi-sama,“ mischte sich Akiko ein. „Soweit ich von meinem Mann weiß, wird dort auch mit Youki geübt – das kann Menschen verletzen. Diese Rhododendren schirmen den Bereich sichtbar ab, bis zu dem man sich als Mensch vorwagen darf. So ist es doch, nicht wahr, Myouga-san?“

„Ja.“ Daran hatte er natürlich nicht gedacht. Er begleitete keine Menschen, in aller Regel.

„Was ist Youki?“ fragte Izayoi interessiert. „Ich weiß nur, dass das alle Youkai haben, daher der Name. Aber dämonische Energie?“

„Youki, dämonische Energie, und Genki, göttliche Energie, ist das, was magische Wesen von Menschen unterscheidet, Izayoi-sama.“ Myouga war angetan, einmal jemanden zu haben der interessiert zuhörte – und ihn nicht weg schnippen wollte. „Natürlich gibt es innerhalb dieser Sorten erhebliche Energieunterschiede. Omikami Amaterasu verfügt über viel mehr Energie als, sagen wir, der Gott eines kleinen Sees. Ebenso verfügt über oyakata-sama über mehr Energie als ein Wurmyoukai.“

„Und je mehr Youki, desto mehr Macht über andere.“

„Ja, Izayoi-sama.“

„Und wie äußert sich das in einem Kampf?“

Der Flohgeist wand sich ein wenig. „Unterschiedlich. Vielleicht sehen wir es, vielleicht geht es auch nur um Kampftechnik, das wird stets ohne Youki getan, um das Gegenüber nicht zu verletzen. Es gibt jedenfalls Techniken mit und ohne Youki. Und ich kann Ihnen versichern, wenn der Herr sein eigenes Schwert schwingt, mit aller Kraft, die er besitzt …. sollte man nicht im Weg rumstehen.“

„Wir haben keinen Krieg.“ Izayoi fügte augenzwinkernd hinzu, da sie den winzigen Flohgeist doch irgendwie nicht ernst nehmen konnte: „Aber wenn, dann werde ich mir Ihren Ratschlag merken, Myouga-san.“

Dieses Augenzwinkern, dieses Lächeln ... hm. Es sah wirklich nicht so aus, als ob sich die junge Dame vor Youkai im Allgemeinen und dem Herrn im Besonderen fürchtete. Was war da nur letzte Nacht abgelaufen? Aber dem kleinen Flohgeist war bewusst, dass er um sein liebes Leben willen nicht den Taishou fragen durfte. Und falls er Izayoi zum Plaudern brachte und der Herr das auch nur aus Versehen erfuhr ... Nun, vertraut mit dem Heerführer oder nicht, dann bräuchte er nicht einmal ein Grab geschaufelt haben, da es nichts mehr geben würde, was man hineinlegen konnte. Nun gut, ihr Bruder war ja ein Hanyou, vielleicht kam das daher. So murmelte er lieber: „Sehen Sie dort, Izayoi-sama.“

Sie blieb stehen, spürte sofort, wie Akiko, durchaus neugierig, aufschloss, allerdings den geforderten halben Schritt hinter ihr blieb. Dort befand sich eine Sandfläche, sicher so groß wie ein Fußballfeld. Youkaikrieger standen drum herum, in Rüstung und bewaffnet, wobei sie auch einige offenbar weibliche Exemplare entdeckte. Da war der Taishou. Er trug Seidenkleidung, weiße Hakama, oben einen blau bestickten, weißen Haori, eine Schärpe um die Hüften. Das war wohl privat seine Lieblingskleidung. Sie fand das Blau des Haori passte zu seiner seltsamen, blitzförmigen, Zeichnung im Gesicht. Nur, warum war er im Gegensatz zu den Anderen, unbewaffnet und schutzlos? Wollte er doch nur beobachten, bewerten? War das eine Prüfung? Immerhin konnte sie ihn sehen, die einzige, ihr einigermaßen vertraute, Person hier. Ein Youkai in Rüstung verneigte sich tief vor ihm. Auf diese Distanz konnte sie nicht hören, was dieser sagte, aber der Taishou nickte etwas.

 

Myouga hätte ihr erklären können, dass der Anführer der Leibgarde sich für eine Lehrstunde bedankt hatte. Aber er bemerkte, wie sich die ersten Köpfe wandten. „Ah, man weiß, dass Sie hier sind, Izayoi-sama. Ich würde vorschlagen, dass Sie nach einigen Minuten weitergehen.“

„Woher wissen sie das?“

„Ihre Witterung. Es sind einige Inuyoukai dabei.“

„Oh. Dann weiß es ... oyakata-sama auch?“ Aber der hatte noch nicht zu ihr gesehen.

„Sicher. Aber es ziemt sich nicht Neugier zu zeigen. - Ja, um Himmels Willen! Dieser Bengel!“

„Was ist denn, Myouga-san?“ erkundigte sich Izayoi deutlich leise.

DAS würde er ihr garantiert nicht sagen. Dieser junge, dumme, Pantheryoukai hatte offenkundig vergessen, wer da heute in Hörweite herumstand. Der Taishou würde wenig geschmeichelt darüber sein, dass seine Gemahlin als „sexy Frauenzimmer“ bezeichnet wurde. Der Blick des Herrn der Hunde wandte sich auch nur sehr langsam und betont dem Übeltäter zu, dessen Kollegen schon mal vorsorglich etwas zurückwichen. Anscheinend dämmerte auch dem jungen Panther, dass er soeben einen Fauxpas begangen hatte.

In der absoluten Stille, die auf dem Übungsplatz jetzt herrschte, hörte man die Stimme des Taishou ganz klar selbst für menschliche Ohren, bis zu dem Ort, wo Izazoi und Akiko standen. „Tetsuya, dieser junge Mann scheint noch ein wenig der Übung zu bedürfen, wenn er seine Gedanken auf anderes als das Training zu lenken vermag. Gib mir dein Schwert.“

Der Anführer der Leibgarde gehorchte prompt und überreichte seine Waffe mit einer Verneigung. Der Daiyoukai nahm es und war mit einem Satz am anderen Ende des Platzes, wo er sich umdrehte und seinen jungen Gegner erwartete.

„Was wird das, Myouga-san?“ flüsterte Izayoi. Was war das für ein Sprung gewesen! Kein Mensch würde je soweit springen können. Allerdings auch wohl wenige Youkai, gab sie dann ehrlich zu, als der junge Mann, der also irgendeinen Fehler begangen hatte, deutlich langsamer auf den Sand kam und seine Klinge zog. Die Kraft, die sie bei ihrem Ehemann ja schon vermutet hatte, war in viel größerem Ausmaß da, als sie auch nur geahnt hatte. Youki? Fürst der Youkai? Um wie viel nachsichtiger war er dann zu dem unbedeutenden Menschenmädchen gewesen, das ihm aufgezwungen worden war.

„Straftraining, Izayoi-sama. Gehen wir lieber, Sie werden erschrecken. Aber es ist für Youkai etwas anderes.“

„Aber er hat keine Rüstung an!“

Myouga stieß den Atem aus, als ihm zweierlei bewusst wurde: sie hatte keine Ahnung – und wer außer ihm machte sich denn Sorgen um einen Daiyoukai? „Izayoi-sama, der Herr ist ein sehr geschickter Fechter und verfügt über gehöriges Youki. Eine Rüstung trug er im Krieg, um Hinterhalten auszuweichen. Nicht gegen einen vorlauten Bengel. Ich glaube, bei Menschen gibt es Ohrfeigen. Das ist nur die Methode eines Youkaikriegers. Kommen Sie, gehen wir. - Nein?“ Er seufzte. „Aber seien Sie bitte still, sonst werden Sie den Herrn bloßstellen.“

„Ich verspreche es.“ Izayoi war neugierig. Ohrfeige nach Youkaiart? Sie war manches Mal von ihrem Vater geschlagen worden, aber mit Schwertern sah das doch anders aus.

 

Der junge Pantherkrieger trug den Namen Takeru. Er entstammte einer stolzen Familie an Kriegern und er wusste, sein Vater setzte viele Hoffnungen in ihn. Wegen eines solchen dummen Fehlers womöglich aus der Leibwache entlassen zu werden, würde ihm nur Verachtung einbringen. Er musste jetzt, Straftraining hin oder her, dem Herrn beweisen, dass er es drauf hatte, nur für einen Augenblick unbeherrscht gewesen war. So stürzte er sich mit einem wilden Schrei auf den Taishou, der ihm etwas entgegengekommen war, dem Schlag mit einer leichten Drehung scheinbar völlig unbeeindruckt auswich. Statt dessen traf seine Klinge mit der flachen Seite den Hinterkopf des Panthers, schmerzhaft, aber bei weitem nicht tödlich. Der fuhr herum und versuchte den nächsten Angriff – mit ähnlichem Erfolg. Das wiederholte sich einige Male, wurde zu einem immer schneller werdenden Tanz.

 

Izayoi konnte fast nicht unterscheiden, was wer tat, aber sie stellte fest, das ihr Ehemann unglaublich schnell war. Eindeutig war er dem jungen Panther überlegen, der jetzt allerdings erneut zuschlug. Sie holte rasch Atem, als sie feststellte, dass der Stahl mitnichten den nur mit Seide umhüllten Oberkörper des Taishou getroffen hatte, sondern dessen abwehrende Klinge.

Im nächsten Augenblick allerdings flog der Jüngere in hohem Bogen durch die Luft und prallte in den Sand, besaß aber offenbar schon genügend Ausbildung oder Instinkt, um sich sofort abzurollen und sein Schwert emporzureißen. Der Hieb des Taishou wurde damit gerade noch abgefangen.

 

Takeru spürte den stechenden Schmerz im Handgelenk, als der harte Aufprall seinen Arm durchzitterte, aber er wusste auch, dass er von Glück sagen konnte, käme er aus diesem Training nur mit Stauchungen und blauen Flecken heraus. Instinktiv handelte er, drehte seine Klinge und schaffte es den Druck soweit zu mindern, dass er seitwärts rollen und aufspringen konnte. Sofort griff er erneut an. Und schlug wieder ins Nichts. Er spürte, dass er langsam hörbar Atem holte, als sei er ein jämmerlicher Mensch. Aufgeben, noch dazu unter den Augen seiner Kameraden, die ihn wegen des Straftrainings mit dem Fürsten schon genügend aufziehen würden – nie.

So versuchte er andere Tricks, die er gelernt hatte, Finten. Irgendwann wich er einmal lange genug zurück, um den Blick von der Klinge seines Gegners in dessen Augen lenken zu können. Es war eindeutig. Der Daiyoukai atmete noch immer vollkommen ruhig und gleichmäßig, der hatte sich bislang noch nicht einmal angestrengt. Von auch nur einen kleinen Verletzung ganz zu schweigen. Ihn selbst hatte davor nur einige Male seine Rüstung bewahrt – Prellungen würden zu sehen sein, und sich Tage bemerkbar machen, sein Hinterkopf schmerzte. Am Ärmel hatte er wohl auch irgendwelche kleinen Schnitte. Der Herr spielte mit ihm wie mit einem Katzenkind!

Er griff wieder an.

 

„Der Junge ist müde,“ murmelte Izayoi. „Er hat weniger Youki?“

„Ja.“ Myouga wartete eigentlich nur darauf, dass der Taishou die Sache beendete.

 

Kaum dass der alte Berater das dachte, flog dem jungen Pantherkrieger seine Waffe aus der Hand. Ein Faustschlag mit der Linken des Herrn der Hunde in sein Gesicht brachte ihn rückwärts zu Boden. Für einen Augenblick blieb Takeru orientierungslos liegen. Der Schlag eines Daiyoukai hatte es in sich. Dann realisierte er die einwandfrei geschärfte Spitze einer Klinge an seinem Kehlkopf. Er hatte einmal gehört, der Taishou könne mit einem Schwert dermaßen perfekt umgehen, dass er ein Haar als Ziel treffen könnte. Das wäre jetzt sehr schön, hoffte Takeru nur. Es war eine Sache so etwas zu hören, und eine zweite, eben diese Klinge, diesen Krieger, buchstäblich am Hals zu haben.

Der Taishou nahm das Schwert weg und reichte es dem Anführer seiner Leibwachen, der eilig heran gelaufen war. „Danke, Tetsuya. Der junge Mann hier ist zu schnell im Angriff und bedenkt die Verteidigung zu wenig. Achte darauf. Er sollte heute vielleicht das noch etwas üben.“

„Ja, danke, oyakata-sama.“ Tetsuya bemerkte sehr wohl, dass der Daiyoukai vor ihm sich nicht einmal das Haarband zurecht zog, sondern nur ein wenig sein Oberteil, seinen Haori, zupfte. „Weitere Wünsche?“

„Das überlasse ich dir.“ Dort drüben stand sie also immer noch. Mit Hofdame und Myouga. Warum nicht? Es wäre wohl nur zu höflich seine eigene Frau zu begrüßen, wenn sie dermaßen Interesse an ihm zeigte. Das freute ihn zugegeben, dass sie ihre Panik, ihre Furcht, die sie gestern Abend nur zu deutlich gezeigt hatte, ablegen konnte.

 

Als er näher kam, verneigte sich Izayoi und Akiko tat es ihr gleich. Myouga hatte sich wohlweislich auf ein Rhododendronblatt in der Nähe begeben.

„Guten Tag, meine Liebe. Ihnen gefallen die Gärten?“

„Sie sind bezaubernd, Taishou.“ Sie richtete sich auf. „Ich gebe allerdings zu, dass ich hörte, Sie wären hier.“

„Schmeicheln Sie mir etwa?“ Aber er war amüsiert über ihre Ehrlichkeit. Und angetan.

Izayoi ergänzte rot werdend eilig: „Ich hätte einige Fragen an Sie, und hier, Myouga-san, sagte mir erst auf dem Weg hierher, dass Sie mich sowieso aufsuchen wollten.“

„Das ist wahr. Also, gehen wir ein wenig gemeinsam und Sie stellen mir Ihre Fragen. - Myouga, Akiko, ihr könnt gehen.“ Er bot ihr die Hand.

Sie zögerte. Das war eine Klaue, er hatte soeben damit ein Schwert geführt …

„Bringen Sie mich nicht vor meinen Kriegern in Verlegenheit.“

Das war eine deutliche Mahnung. „Verzeihen Sie, das war nicht meine Absicht.“ Sie legte ihre Finger auf die angebotenen, dennoch bemüht die Krallen zu meiden. „Dieses Straftraining ist Erziehung bei Youkai?“

„Ja.“ Er ging los und sie folgte ihm, dabei feststellend, dass er genau wusste, wie schnell oder eher langsam man mit diesen Getas unter dem Kimono gehen konnte.

„Haben Sie das auch schon mit Ihrem Sohn gemacht?“

„Natürlich. Sesshoumaru ist ein Krieger und mir unterstellt wie alle anderen. Allerdings kann er sich noch zusätzlichen Ärger einhandeln, denn er ist mein Sohn und Erbe.“

„Dann wird er nicht geschont, wie ..“

„Wie Ihr Bruder? Nein.“ Er hatte sowieso schon den Verdacht gehabt, dass Naraku als Sohn und Erbe nicht nur mit seiner Spielerei um große Beträge weitaus mehr Freiheiten erhalten hatte als Izayoi. „Nun, was sind Ihre Fragen?“

„Darf ich ein eigenes Telefon haben? Ich meine, ich bekomme morgen einen Internetanschluss, aber ...“

„Möchten Sie mit Ihrer Familie reden?“

„Weniger,“ sagte Izayoi und es klang etwas hart. „Ich bin mir bewusst, was Vater Ihnen antat, und ich bin mir sehr wohl bewusst, was Sie mit mir machen könnten, würden Sie sich an mir rächen wollen. Aber ich habe drei Freundinnen aus Schulzeiten, Menschen, die auch schon verheiratet sind. Ich würde mit ihnen gern reden, dass wir uns vielleicht einmal auf ein Eis treffen können in der Stadt oder so.“

„Myouga wird Ihnen morgen ein Mobilphone besorgen.“

„Danke.“ Sie lächelte ihn an. Er war wirklich großzügig, wenngleich streng, wie sie mit dem Jungen da gesehen hatte. Aber das musste man bei Youkai als deren Fürst vermutlich auch sein. Und so lange sie ihn nicht das Gesicht verlieren ließ, hoffte sie, dass er ihr gegenüber sachlich-freundlich blieb.

Sie lächelte ihn an. Rücksichtnahme schien sich wahrlich auszuzahlen. „Ich sagte Ihnen bereits, dass die Tore des Schlosses nicht mit Ketten versperrt sind. Laden Sie Ihre Freundinnen auch hierher ein. In Ihren Pavillon. Ich muss nur darauf bestehen, dass Ihre offiziellen Termine Vorrang haben.“

„Oh, natürlich, danke.“ Sie war auf diese Idee gar nicht gekommen. „Ja, zu diesem Thema habe ich auch noch eine Frage. Wann wird mir das Personal im Konzern vorgestellt, das mit mir zusammenarbeiten soll?“ Sie hatte sich Misakos Redeweise gut gemerkt. Vermutlich konnte sie von der eine Menge lernen.

„Mittwoch. Bis dahin können Sie sich einlesen.“

„Ich habe bereits angefangen.“ Und sie war über die Vielzahl an Projekten erstaunt gewesen – und die Unsummen, die dabei flossen. „Ich soll dann ab Mittwoch auch Auszahlungen unterschreiben?“

„Ja. Die Vollmacht liegt momentan noch in der Rechtsabteilung, aber bis Mittwoch ist sie da.“ Sie war sachlich und wollte sich einarbeiten. Gut, perfekt, geradezu. Es war wirklich vernünftiger gewesen mit ihr zu reden statt sie gleich abzuschieben. „Das Meiste wiederholt sich Jahr für Jahr, und, da sich das Jahr jetzt bald dem Ende neigt, werden auch die Spenden für das christliche Weihnachten erwartet. Wie jedes Jahr.“ Er wollte sie beruhigen. „Wobei mir gerade einfällt, morgen oder die nächsten Tage wird Ihre Kreditkarte kommen. Damit können Sie dann Kleidung besorgen oder sich anderes kaufen. Das Geld darauf ist Ihr Taschengeld, das Ihnen nach dem Vertrag für private Dinge zusteht.“

„Danke, aber Sie waren sehr großzügig. Ich wüsste im Augenblick nichts, was ich benötigen würde.“ Hielt er sie für eine Verschwenderin?

„Außer einem Mobilphone.“

Sie sah ihn etwas erschreckt an, ob das doch zu viel gewesen sei, erkannte dann jedoch ein geradezu schelmisches Zwinkern in den so seltsam goldenen Augen. So lächelte sie ihn ehrlich und ohne Angst an. „Außer einem Mobilphone.“
 

Überlegungen


 

W

ährend Izayoi sich in den folgenden Tagen dem strikten Tagesplan unterwarf und fleißig Akten las, bekam sie das Gefühl einen Mann mit zwei Seelen geheiratet zu haben. Nun, ihr gegenüber war er von gleichbleibender Höflichkeit, ja, Freundlichkeit, aber sie hatte nur zu gut bemerkt, dass der Geschäftsführer im schwarzen Anzug und der Youkaifürst in Haori und Hakama auch anders reagierten – obwohl es doch ein und dieselbe Person war.

Obwohl, sie musste wohl mit dem zufrieden sein, was sie hatte. Sie hatte ein neues Aufgabengebiet mit ziemlichen Freiheiten, sie bekam ein großzügiges Taschengeld – sie hatte die Höhe ihres Kontostandes wirklich verblüfft -, sie wurde weder eingesperrt noch misshandelt, ja, er verlangte von ihr definitiv nicht einmal das, was ihm nach Recht der Menschen und Youkai als Ehemann zustand.

Jetzt, nach einigen Tagen ohne größere Angst, bedachte sie zum ersten Mal, dass das wohl auch daran liegen mochte, dass ein Youkai ebenso ungern einen Menschen umarmte wie umgekehrt. Sollte sie das Akiko fragen? Aber die war ja eindeutig glücklich mit ihrem Fledermausmann. Nein, da sollte sie lieber den Mund halten. Und irgendwann, wenn es sich so ergab, ihren eigenen Gatten fragen. Er hatte bislang jede ihrer Fragen beantwortet. Überdies besaßen sie beide ja gerade diesbezüglich ein gemeinsames Geheimnis.

 

Onigumo no Gumo saß in seinem Arbeitszimmer in der Bank und tobte nur innerlich vor Zorn. Das würde kein schönes Wochenende werden. Und das, wo sich die Woche mit Izayois Hochzeit am Dienstag doch gut entwickelt hatte. Er sah auf, als sich ohne Ankündigung die Tür öffnete. „Ah, mein Sohn, ich wollte dich sprechen. Setz dich.“

Naraku nahm Platz. Natürlich gab es Ärger, sonst hätte Vater ihn nicht hergerufen. „Wie geht es Izayoi?“

„Ich denke, gut.“

Der Jüngere erlaubte es sich eine Augenbraue zu bemühen. „Ist es möglich, dass Sie nicht angerufen haben, um sich nach der Gesundheit Ihrer Tochter zu erkundigen?“

„Nein, ich hatte keine Zeit. Er wird sie schon nicht umgebracht haben. Diese Briefe hier, das ist interessant.“

Naraku stellte für sich fest, dass er recht hatte. Sein Vater begann sich immer nur auf eine Sache zu konzentrieren. Das war nicht nur als Bankier fatal. „Verzeihen Sie, wenn ich mir erlaube Sie auf etwas aufmerksam zu machen. Der Taishou könnte uns nützlich sein. Im besten Fall, bei einer glücklichen Ehe, ist er ans Schürzenband gefesselt und wird uns finanziell gute Dienste leisten. Im schlechteren Fall, wenn er Izayoi misshandelt, kann man die Scheidung einreichen und Unterhalt sowie Schadenersatz fordern. Natürlich ist sein Image ramponiert.“

Onigumo stellte fest, dass sein Sohn an alles dachte. Er kam eben nach ihm. „Da hast du recht. Ruf an. Diese Briefe hier ...“

„Neue Zahlungen?“

„Zwei Fälligkeitserklärungen winziger Hypotheken.“

„Ist das legal?“

„Ja, leider.“

„Wie hoch sind die Schulden?“

„Einmal hundert- , einmal fünfhunderttausend.“

„Gehören sie zusammen?“

„Nein, nein, natürlich nicht. Ich war stets vorsichtig. Eine Hypothek läuft auf die Bank, eines auf unser Haus. Es sind kleine Beträge – und zwei kleine Banken in Amerika und Europa. Ich vermute eher, dass sie gegen Ende des Jahres die Bücher bereinigen wollen und annahmen, wir auch. Solche Summen kann normalerweise eine Bank aus der Portokasse zahlen.“

Normalerweise, dachte Naraku. „Die großen Hypotheken sind unberührt.“

„Ja. Aber die Zinsen des nächsten Monats sind am Montag fällig. Wenn ich das hier zahle, können wir das nicht vollständig zahlen.“

„Wie lange haben wir Zeit für die Umschuldung?“

„Sechs Wochen.“

„Nun, dann ist die Entscheidung einfach. Sie zahlen mit Izayois Mitgift die Zinsen am Montag. Und in den nächsten Wochen bündeln wir alle Hypotheken in einer großen Umschuldung. Das macht man als Firma so, das wissen Sie so gut wie ich. Reine Routine.“

„Sei kein Narr, Naraku. Eine Umschuldung? Dazu müsste ich alle Bücher offenlegen. Weißt du, was passiert, wenn herauskommt, wie ich in den letzten Monaten geschummelt habe?“

Ja, dann kam Vater wegen betrügerischem Konkurs ins Gefängnis, die Bank würde ihre Lizenz verlieren und er selbst verlor komplett Unterhalt und sein Renommee in der Gesellschaft. Wenn eine große Hypothek gekündigt worden wäre, hätte er vermutet, dass der Taishou als Rache dahinter stecke. Aber hunderttausend? Das war lächerlich, damit konnte man niemanden erpressen. Vermutlich hatte Vater recht und die Banken wollten einfach ihre Kreditbudgets bereinigen und wandten sich bei kleinen Darlehen großer Schuldner eben an die, um selbst bei der Abrechnung im Dezember besser da zu stehen.

„Kannst du das nicht im Spiel hereinholen?“

„Sechshunderttausend? Vater, selbst mit Falschspiel, nein. Die Leute, die um derart hohe Summen spielen, die das ermöglichen würden, gibt es nicht. Außer Ryuukossusei. Und, das ist ein mehr wie heißes Pflaster. Die zwanzig neulich konnte ich ihm ja zahlen, aber so, wie der reagiert ….Der ist nicht ganz bei Sinnen. Nein.“

„Die hundert?“

Vater musste verzweifelt sein – und hatte keinerlei Reserven mehr. „Ich habe da noch eine Idee und Geld in der Hinterhand. Ich muss allerdings erst noch mit jemandem reden, Vater.“ Naraku klang nachdenklich. „Es wird aber sehr riskant, das kann ich Ihnen sagen.“

„Wenn wir das Montag nicht zahlen können, das hier in sechs Wochen und in vier die nächsten Zinsen, sind wir erledigt. Die Bank kann sich halten, aber es läuft zu viel über die Familie.“

Fehler, dachte Naraku, bitterer Fehler. Man sollte immer das eigene Geld aus den Geschäften mit anderer Leute Geld heraushalten.

Onigumo atmete durch. „Gut, tu, was du meinst, mein Sohn. Oh, und ruf wirklich mal bei deiner Schwester an.“

 

Naraku erwartete, als er im Schloss des Taishou anrief, nicht die sachliche Frage, ob es geschäftlich oder privat sei für Izayoi-sama. „Privat, ich bin ihr Bruder.“

„Dann lege ich Sie auf das private Telefon. Wenn Izayoi-sama arbeitet, kann sie Sie ja zurückrufen.“

Arbeiten? Izayoi? Was zur Hölle trieb der Taishou da mit ihr? Seine dumme, kleine, Schwester? Nun ja, sie hatte Abitur und sollte ein Haus leiten können, aber ... „Izayoi? Ich bin es, Naraku. Wie geht es dir?“ Er musste sie sich warm halten, wenn doch die Katastrophe eintrat. „Ich hörte, du arbeitest? Hast du jetzt etwa die Schlossverwaltung?“ Er wollte einen Scherz machen.

„Ja, die Menschen.“ Izayoi spürte ein warmes Gefühl im Herz, dass er sich doch anscheinend Sorgen um sie machte. Immerhin war er auch bei dem Chrysanthemenball und der Heirat deutlich netter zu ihr gewesen als sonst. „Und auch viel anderes.“

„Geht es dir wirklich gut?“ Er klang besorgt. „Du hast dich nicht gemeldet.“

„Ich hatte genug zu tun. Und, Naraku, ich verstehe ja, dass Vater aus der Klemme wollte, aber ...“

„Schon gut. Du darfst am Telefon sicher nicht reden. Können wir uns nicht einmal in der Stadt treffen? Nur wir zwei?“

„Ich muss fragen. Ich soll immer einen Leibwächter dabei haben, weißt du. Und, nein, oyakata-sama ist sehr gütig zu mir, vor allem in Anbetracht aller Umstände.“

Naraku strich sein Haar zurück. Hm. Der Taishou schlug sie also nicht, hatte ihr aber offenbar erzählt, dass er zu der Ehe etwas genötigt wurde. Nun gut, das sollte auf Vater, nicht auf ihn, zurückfallen. „Du siehst ja meine Handynummer? Dann rufe mich doch an. Ich kann mich sicher auch spontan ein bisschen frei machen.“ Sekunde. Der Taishou gab ihr Arbeit, behandelte sie aber sonst wie eine Gefangene? Leibwächter oder Aufpasser? Und sie nannte ihn nicht beim Vornamen sondern oyakata-sama? War es möglich, dass die gute Izayoi noch immer Jungfrau war? In diesem Fall, bei nicht vollzogener Ehe, konnte man die doch auflösen. Was für eine Schande für den Taishou und was für eine Chance auf Schmerzensgeld bei Izayoi. Da boten sich neue Aussichten.

 

Der Daiyoukai erhielt unterdessen einen Anruf, der ihn überraschte. „Kouga?“

Der junge Wolf holte tief Atem, ehe er sagte: „Takazen hat das Krankenhaus verlassen.“

„Ich dachte, er liegt im künstlichen Koma.“

„Lag er, dank eines Ärztefehlers im Bericht. In Wahrheit keineswegs. Er spazierte munter hinaus, braucht nicht einmal eine Kur oder so etwas. Ich hatte jemanden von der Sicherheitsabteilung im Krankenhaus.da stehen.“

Kouga war sehr aufmerksam. Dann brauchte er Narakus Aussage nicht mehr, die Gumos insgesamt nicht mehr. Der Taishou dachte nach. „Schicke ihm doch einen Anwalt, einen Menschen. Er soll ihn dazu bewegen, zuzugeben, dass er Sesshoumaru schwer beleidigt hat. Es sollte jemand sein, der sich im Zivilrecht gut auskennt, und Takazen zunächst das Gefühl vermittelt, er sei gekommen, damit Sesshoumaru Schadensersatz außergerichtlich begleichen kann. Im Notfall kann der Anwalt sagen, dass in meinem Safe eine eidesstattliche Erklärung eines Zeugen darüber liegt.“

„Sie planen vor, oyakata-sama.“ Kouga legte auf.

Ja, dachte der erfahrene Feldherr, aber Onigumo war anscheinend ein würdiger Gegner. Das mit dem künstlichen Koma-Fehler war garantiert kein Zufall gewesen. Es würde interessant sein, was dem und Naraku zu den Fälligkeiten einfiel.

Hm. Heute war Freitag, Montag waren die Zinszahlungen der Gumobank und der Familie fällig. Mit Hilfe der unterschlagenen Mitgift würde das sicher zu bezahlen sein. Auch die Hypotheken? Das war die Frage und deswegen hatte er diesen kleinen Versuchsballon gestartet. Bis nächsten Freitag würde er mehr wissen – und da kam Sesshoumaru hoffentlich wie geplant aus Sibirien zurück. Sobald die Aussage Takazens neben der Narakus vorlag würde er beide an die ermittelnden Beamten schicken lassen, diesen Kommissar … nun, das würde Frau Suzuki sicher noch wissen. Er schätzte an ihr ihre Intelligenz und Sachlichkeit. Bekam die Polizei die Aussagen, würde die Ermittlung im Strafverfahren bestimmt eingestellt und sein Sohn war unbelastet. Das wäre nur gut. Zivilrechtlich wäre das eine andere Sache, aber das war durchzustehen.

Intelligenz und Sachlichkeit – warum musste er gerade an seine neue Gemahlin denken? Es war Wochenende, nächste Woche würde er sie mit in den Konzern nehmen und ihr die Mitarbeiter vorstellen. Aber er sollte sie heute Abend wohl aufsuchen und hören, wie sie sich schlug. Vielleicht war sie nun ruhiger. Jedenfalls hatte sein kleines Schwerttraining bei ihr keine neue Panik ausgelöst, ja, sie ihn angelächelt. Er griff zum Telefon. Da sich Akiko meldete, meinte er nur: „Ich werde um halb neun Izayoi-sama aufsuchen. Sag es ihr.“

 

Als der Taishou um halb neun den Jade-Pavillon betrat, war er ein wenig überrascht Izayoi allein im Wohnzimmer vorzufinden. Sie musste ihre Dienerinnen bereits weggeschickt haben, eine andere Erklärung gab es nicht. Fürchtete sie ihn mittlerweile so wenig, dass sie es freiwillig wagte mit ihm allein zu sein? In der Tat, Rücksichtnahme schien sich auszuzahlen. Sie trug Kimono und verneigte sich höflich.

„Guten Abend, meine Liebe.“ Er ließ sich ihr gegenüber mit un-menschlicher Eleganz auf die Matten nieder. „Ich hoffe, Sie haben sich für die nächsten zwei Tage frei genommen?“

„Ich fürchte, ich muss noch viel lesen, Taishou.“ Sie war unwillkürlich doch erleichtert, dass er keine Andeutungen machte in ihr Schlafzimmer zu wollen. Sie hatte es gehofft, aber auch den Taishou und den Ruf seiner Männlichkeit schützen wollen, indem sie die Frauen wegschickte. So lautete ja ihr kleines, gemeinsames, Geheimnis. Sollten die doch annehmen, was sie wollten. „Aber, natürlich weiß ich, dass Wochenende ist.“

„Sie haben bis Mittwoch noch Zeit – und niemand erwartet, dass Sie sich bei Ihrem ersten Besuch perfekt alles merken konnten.“

„Ich habe einen gewissen Ehrgeiz entwickelt,“ gestand sie. „Sie vertrauen mir so viel an – ich meine, auch Geld, da möchte ich keinen Fehler begehen.“

Um den Mund des Daiyoukai zuckte etwas wie ein Lächeln. „Gut. Das freut mich, dass ich Ihren Verstand richtig eingeschätzt habe.“

„Oh, danke.“ Izayoi sah zu Boden, ehe sie beschloss, dass sie offen sein sollte. Er bemühte sich um Gerechtigkeit für sie – das sollte sie mit Ehrlichkeit und Fleiß ausgleichen. „Naraku rief mich an, wie es mir gehe.“

Er hätte um ein Haar gesagt, dass er das wisse, weil er sie doch überwachen ließ, aber das sollte er ihr verschweigen. „Lassen Sie mich raten: Sie sagten, ich würde Sie in Arbeit ersticken wollen?“

Sie musste doch lachen. „Nein, aber er fragte mich, ob wir uns nicht einmal in der Stadt treffen könnten. Ich meinte, ich habe einen Leibwächter dabei. Und ich müsste Sie fragen. Ja, ich weiß, Sie sagten, die Tore des Schlosses sind nicht mit Ketten versperrt, aber Sie sagten auch, ich solle Ihnen Kontakt zu meinem Vater und Bruder mitteilen.“

Er streckte die Klaue aus. „Geben Sie mir Ihre Hand, Izayoi.“ Da sie ohne merkliches Zögern gehorchte: „Ich danke Ihnen.“ Wie in der Hochzeitsnacht zog er ihr Handgelenk an seine Lippen. „Sie haben meine Hochachtung für Ihre Ehrlichkeit.“ Er gab sie frei.

Sie fühlte sich für einen Moment seltsam verlassen, ehe sie hastig die Hände in den Kimonoärmeln verbarg. „Danke.“ Was sollte man darauf schon sagen? Und wieder war sie überrascht, wie warm und weich sich so ein Kuss anfühlte. Sie hatte doch noch nie einen von einem Mann erhalten, geschweige denn von einem Youkai.

„Nun, eigentlich kam ich aus einem anderen Grund. Es ist Wochenende, wie Sie zurecht bemerkten, und ich wollte Sie zu einem kleinen Spaziergang einladen. Hinter dem Schloss beginnt ein Naturschutzgebiet, das zufällig seit einigen Jahren mir gehört. Allerdings dürfte ein Kimono, der Ihnen reizend steht, unpraktisch sein. Es gibt keine Wege.“

Sie lächelte etwas, dankbar für das ungewohnte Kompliment. „Ich habe auch Jeans, Taishou. Und Turnschuhe und eine dicke Jacke.“ Er wollte sogar, dass sie westliche Kleidung trug? War er gar nicht so altmodisch, wie sie dachte? Obwohl, er war vermutlich schlicht sachlich. Ein Spaziergang durch den Wald war im Kimono eindeutig schwierig.

„Sehr schön. Dann hole ich Sie morgen gegen zehn ab.“ Er erhob sich. „Ehe ich es vergesse – nehmen Sie sich Nahrung mit, Wasser.“

„Für Sie auch?“ fragte sie, bemüht als fürsorgliche Ehefrau dazustehen.

„Ich benötige nichts.“ Da er ihren fragenden Blick bemerkte: „Meine Liebe, ich bin ein Daiyoukai.“

„Entschuldigen Sie.“ Was bedeutete das denn jetzt? Für ihn war es wohl selbstverständlich, dass das jeder wusste. Vermutlich hatte das wieder etwas mit Youki zu tun.

 

Kouga wollte eigentlich gerade Feierabend machen, als seine Bürotür sich öffnete, und er sah, dass dem wohl noch nicht der Fall sei. Kiyoshi, der Herr der Füchse und Finanzchef der Taishou-Holding, war niemand, den man mal eben sitzen lassen konnte. Mit einem Seufzen nahm der junge Wolf wieder Platz. „Kiyoshi-sama?“ Er stammte aus einer alten Wolfsfamilie und besaß einen gewissen Rang unter den Youkai – aber Kiyoshi war ein magisch überaus talentierter Daiyoukai und es hieß, er habe früher Leute, die ihm krumm kamen, in eine, von ihm erschaffene, Parallelwelt geschickt. Nicht notwendig, das auszuprobieren.

Der Finanzchef setzte sich vor den Schreibtisch. „Du weißt natürlich, dass sich oyakata-sama für die Gumos interessiert. Ich habe daher meine Leute auf die Finanzen der Bank, der Finanzagenturen und der Familie selbst angesetzt. Dabei stießen sie auf etwas Interessantes. Finanztechnisch kommen wir nicht weiter, das sollte diskret der Informationsdienst versuchen.“

„Klingt wirklich interessant. Was?“

„Onigumo no Gumo hatte von seinem Vater eine Finanzagentur geerbt, die er zu einer ganzen Kette ausbaute. Im Jargon der Gumo-Bank ist das die sogenannte alte Kette. Vor gut dreißig Jahren erhielt er eine Banklizenz, unter engen Auflagen natürlich, wie bei allen neuen Banken. Er hatte zu diesem Zeitpunkt nur Menschen als Kunden, das änderte sich, als er Sachi heiratete, eine Spinnendame aus dem Waldgebirge. Das brachte ihm auch Youkai als Kunden. Sachi starb bei oder kurz nach der Geburt ihres Sohnes Naraku. Jetzt kommen wir zu dem interessanten Punkt.“

Schön, wollte Kouga schon murmeln, nahm sich jedoch zusammen. Der Kitsune kam nicht sinnlos her, aber der junge Wolf sah sein Rendezvous heute Abend in weiter Ferne verschwinden. „Die zweite Ehe?“

„Genau. Er heiratete Prinzessin Miharu Toko. Praktisch gleichzeitig wurde eine neue, erweiterte, Banklizenz beantragt und ebenso im selben Augenblick die Finanzagenturen aufgestockt, die so genannte neue Kette. Es liegt nahe, dass er das mit der Mitgift seiner Ehefrau tat.“

„Eine Fürstentochter bekommt ja wohl einiges mit.“

„Sie wohl besonders viel. Auffallend viel, denn die Tokos sind zwar menschliche Fürsten mit langem Stammbaum und wohlhabend, aber einige Millionen geben sie gewöhnlich ihren Töchtern nicht mit. Es gibt also einen Grund, warum der damalige Fürst Onigumo derart großzügig unterstützte. Ich vermute, er erkaufte sich damit die Ehe.“

„Verzeihen Sie, Kiyoshi-sama, ich stehe wohl etwas auf dem Schlauch. Wenn Onigumo eine Prinzessin mit Mitgift heiratet, profitiert doch nur er davon. Wieso sollte der Fürst Toko daran so interessiert sein, Geld und Verbindungen zu übergeben? Ah. - Sein Ruf. Onigumo hatte sie schon geschwängert und drohte sie sitzen zu lassen.“

„Ja, das wäre für die Familie Toko sehr peinlich gewesen. Aber, das müsste man nachweisen können. Alles, was ich sehen kann, ist, dass Izayoi drei Monate nach der Eheschließung ihrer Eltern geboren wurde. Fürst Toko hat in seinem Testament auch nur Izayoi bedacht, nicht ihren Vater.“

Koga dachte laut nach. „Dann müsste man den Ehevertrag in die Hand bekommen. Oder mit alten Dienstboten reden, die schon damals im Hause Toko waren. Schwierig, solche Leute sind verschwiegen. Gut, Kiyoshi-sama, ich leite es weiter. Aber, wie gesagt, das kann dauern. Soll der Bericht an Sie gehen oder direkt an oyakata-sama?“

„Wenn es um den kleinen Wirtschaftskrieg geht, den oyakata-sama mit Onigumo zu führen gedenkt – Nachricht an mich. Persönliches wohl an ihn persönlich.“
 

Waldspaziergang


 

A

ls der Inu no Taishou pünktlich um zehn seine Gemahlin abholte, stellte er mit gewissem Vergnügen fest, dass sie tatsächlich enge Jeans und ein langärmeliges T-Shirt trug. Damit konnte er zum ersten Mal einschätzen, dass nicht nur ihr Gesicht ein hübscher Anblick war. Sie bückte sich eilig und nahm eine dicke Jacke und einen kleinen Rucksack, eher wohl eine Art Handtasche.

„Ich bin fertig,“ verkündete sie. „Guten Morgen, Taishou.“

„Guten Morgen, meine Liebe. Ich habe nicht daran gezweifelt.“ Er sah zu den Dienerinnen. „Ihr habt dann bis morgen früh frei.“

Izayoi unterdrückte ihre Überraschung. Entweder wurde das ein sehr langer Spaziergang oder er wollte auch noch mit ihr zu Abend essen. Wollte er gar noch mehr? Aber dazu würde er doch kaum einen Spaziergang in einem Naturschutzgebiet vorschlagen, oder? Sie sagte jedoch, wie es wohl erwartet wurde: „Bitte, Misako, weck mich dann morgen erst um neun. Es ist ja Sonntag.“ Außerdem hatte sie das Gefühl, dass der kleine Ausflug ein gewisses Dankeschön ihres unwilligen Ehemannes sein sollte, dass sie sich Mühe gab.

„Gehen wir.“ Der Daiyoukai wandte sich um. „Kommen Sie nur an meine Seite. Später werden Sie hinter mir gehen müssen, es gibt enge Passagen. Ich möchte Ihnen einen alten Freund vorstellen – und, meinen Lieblingsplatz.“

„Einen alten Freund? Sicher ein Youkai?“

„Ja.“ Er sah sie an und sie erkannte wieder diesen schelmischen Funken in den goldenen Augen, der sie fast vergessen ließ, dass sie kein Mensch anblickte. „Ich fürchte, meine Liebe, ich habe keine menschlichen Freunde. Und auch unter den Youkai nur wenige. Sehr wenige. - Wir gehen dort am Schloss vorbei und durch den hinteren Garten. Sind Sie schon gewandert?“

„In der Schule, ja, wir hatten Ausflüge. In den letzten Jahren lernte ich eher, wie sich eine vornehme Dame benimmt. Vater ...“ Sie zögerte. Sollte sie ihren Vater überhaupt erwähnen?

Der Taishou konnte sich den Grund für das Zaudern denken, aber antworten, hatte er doch entsprechende Informationen bekommen. „Sie sollten zu einer gehorsamen Tochter werden, eine Geisha übte mit Ihnen die Teezeremonie und anderes, und Sie sollten nur Kimono tragen. Zumindest in zwei Punkten hatte Onigumo Erfolg.“

„Ja.“ Was hätte sie sonst sagen sollen? Irgendwie hatte sie noch immer Angst vor ihm, auch, wenn es wirklich bislang keinen Grund gab. Auch bei den wenigen Gelegenheiten, an denen sie seine Hand gespürt hatte, hatte er, bis auf den, allerdings abgesprochenen, Kratzer, ihr nicht weh getan. Andererseits empfand sie etwas wie Mitleid. Keine menschlichen Freunde, kaum Youkai? War das der Preis, den er dafür zahlte, eben der Mächtigste dieses Volkes zu sein? Und doch wollte er ihr einen seiner seltenen Freunde vorstellen? Nun, noch einen, denn sie war jetzt überzeugt, dass der kleine Flohgeist dazu zählte. Sekunde. Freunde und seinen Lieblingsplatz? Sie atmete tief ein. Närrin, die sie war. Er versuchte auf sie zuzugehen, ihr zu beweisen, dass er kein Monster war, sie sich nicht fürchten musste. Sie sollte sich bemühen ebenso auf ihn einzugehen. „Ich bin daher vermutlich viel leichter zu ermüden als Sie und werde eine Pause benötigen. Wie lange ist es denn zu Ihrem Lieblingsplatz?“

„Hm. Da fragen Sie mich tatsächlich etwas. Ich habe zugegeben keine Ahnung, wie ausdauernd oder schnell Sie wandern können. Nun, gleich. Gehen wir zunächst dorthin. Am Nachmittag sollten wir auf jeden Fall dort sein, auf dem Heimweg sehen wir noch bei Bokuseno vorbei. Er ist ein sehr alter, und sehr weiser, Baumgeist.“

„Ich habe von ihnen gehört,“ meinte sie eilig, um nicht als töricht dazustehen. „Aber ich dachte, sie sind ausgestorben.“

„Es gibt noch einige, aber sie leben verborgen in tiefen Wäldern. Sie halten nicht gerade viel von Menschen.“ Er schritt auf zwei Krieger zu, die die Grenze zwischen Garten und Naturschutzgebiet bewachen sollten.

Izayoi wich instinktiv hinter ihn. In seinem Schatten fühlte sie sich deutlich sicherer, auch, wenn sich die Youkai nur verneigten und sie nicht einmal ansahen. Woher hätte sie auch wissen sollen, dass sich die jungen Krieger an einen törichten Kater vor einigen hundert Jahren erinnerten. Besser etwas zu vorsichtig als tot. Der Herr legte Wert auf sein Eigentum.

 

Nur wenige hundert Meter hinter dem Ende des Gartens wurde der Wald merklich dichter und dunkler. Unterholz, Beerensträucher wuchsen hier. Eindeutig hatte diese Wildnis seit Jahrhunderten keine Hand eines Försters kennengelernt.

Izayoi folgte dem Daiyoukai schweigend. Er schien einem gewohnten Weg zu folgen und sie erkannte bald, dass dort, wo er ging, auch Pfade im Unterholz waren. Nur für eine Person, aber er war hier wohl öfter. Nach fast einer Stunde blieb er stehen, da er hörte, dass ihr Atem schwer geworden war.

„Benötigen Sie eine Pause?“

„Ich möchte nur kurz etwas trinken.“ Sie nahm die kleine Wasserflasche aus ihrem Rucksack. „Können Sie jetzt abschätzen, wie lange wir gehen?“

„Ich denke, noch zwei oder drei Stunden. Es geht jetzt bergauf. Aber ich kann Ihnen von oben einen wundervollen Blick versprechen.“

Zwei oder drei Stunden bergauf? Sie schluckte das Wasser. Sie würde heute Nacht sicher sehr gut schlafen. „Können wir dann in ungefähr einer Stunde Mittagspause machen?“

„Ja. Es gibt eine kleine Lichtung, ungefähr in dieser Entfernung.“

„Danke. Sie kennen sich hier wirklich gut aus.“

„Ab und an laufe ich hier.“ Er sollte ihr gegenüber wohl besser nicht erwähnen, dass er dies in seiner wahren Gestalt machte. Sie hatte zwar immer weniger Angst vor ihm, aber offenbar war sie noch immer sehr vorsichtig, als ob sie fürchte ein Monster in ihm zu wecken.

 

Als das Paar die kleine Lichtung erreichte, war Izayoi wirklich nur mehr froh. Da sich der Daiyoukai wortlos an einem großen Baum niederließ und sich mit dem Rücken dagegen lehnte, die Beine nachlässig angezogen, sank sie daneben nieder und trank erst einmal durstig. Sie sollte etwas essen, aber im Moment wog die Müdigkeit zu schwer. Hoffentlich würden sie hier etwas bleiben. Sie war solch einen Querfeldeinmarsch von Stundenlänge nicht gewohnt. Aber, dämmerte es ihr, wenn sie nichts aß, würde der Taishou doch annehmen, sie sei fertig, und weiter gehen wollen. So packte sie das belegte Brot aus, das ihr Misako heute morgen in der Küche bestellt hatte.

Wie still es hier war, eigentlich viel zu ruhig. Sie war doch mit ihrer Klasse in einem Wald gewesen, sie hatten Eichhörnchen gesehen, Vögel. Sicher, nicht direkt bei den Menschen, aber hier schien das alles zu fehlen. Ob ein Raubtier ungesehen durch das Unterholz schlich? Ein Youkai, gar? Nein, letzteres konnte kaum der Fall sein, denn der Taishou hätte einen Artgenossen durch dieses Youki doch bestimmt wahrgenommen? Dennoch blickte sie sich unbehaglich um.

„Ein Problem, meine Liebe?“

Sie zuckte fast zusammen, sah jedoch zu ihrem Ehemann, der noch immer vollkommen entspannt am Baum lehnte. „Es ist so still hier,“ flüsterte sie fast. „Keine Tiere, nichts.“

„Oh. War das anders, wenn Sie mit Ihrer Klasse unterwegs waren?“

„Ja. Damals sagte die Lehrerin, solche Ruhe sei immer ein Zeichen dafür, dass ein Raubtier in der Nähe sei.“

„Womit die Dame ohne Zweifel Recht hatte.“ Er sah, dass sie ängstlich wurde, und lächelte etwas, wie er hoffte, beruhigend. „Ich kann Ihnen versichern, dass sich im Umkreis von gut einem Kilometer kein größeres Raubtier aufhält und schon gar kein Wurmyoukai.“

Sie hatte Bilder gesehen. Wurmyoukai waren hässlich, gehirnlose Wesen, die außer fressen nicht viel taten. Leider hatten manche von ihnen Appetit auf Menschenfleisch. Allerdings hatte es immer geheißen, der Berater der Regierung, der Inu no Taishou, kümmere sich darum. Womöglich hatte er deswegen auch die Krieger? „Sie können das … spüren?“

„Die Raubtiere würde ich wittern. Ich bin ziemlich nahe am Hund, Inuyoukai.“ Er deutete auf seine Nase. „Und die Wurmyoukai würde ich spüren. In beiden Fällen allerdings nur, wenn irgendjemand dieser beiden Gattungen lebensmüde wäre.“

Sie dachte für einen Moment nach. Er konnte das wittern? Riechen? Wie gut war seine Nase? Oh, natürlich. Inuyoukai wurden auch von menschlichen Gerichten und der Polizei gern bei Zeugenaussagen benutzt. Lebende Lügendetektoren. Ihr Götter, ein Glück, dass sie nie auch nur versucht hatte ihn anzulügen. War es das gewesen, warum er ihr gestern Abend seine Hochachtung für ihre Ehrlichkeit ausgesprochen hatte? Er konnte sich sicher sein? Und spüren? Er würde das Youki, die dämonische Energie, dieser Würmer also spüren können. Youki. Hatte Myouga nicht gesagt, die Energie des Herrn sei weit entfernt von der eines Wurmyoukai? Sie begriff. „Aber die Wurmyoukai kommen nicht näher, weil sie andersherum auch Sie spüren können? Ihr Youki?“

Er lächelte sie ehrlich erfreut an, unbekümmert, dass er seine Fangzähne zeigte. „Ich glaube gerade, ich habe nicht nur das schönste, sondern auch das klügste Mitglied Ihrer Familie geheiratet. Ja, genauso. Ich halte es zwar zu einem gut Teil verborgen, aber sie wissen, mit wem sie sich einlassen würden. Wölfe oder andere Tiere spüren es ebenso, wenngleich irgendwie anders. Jedenfalls meiden sie das stärkere Raubtier.“

Das stärkere Raubtier. So also sah er sich, sahen sich Youkai? Er hatte es neutral gesagt, sachlich, ohne jede Wertung. War das etwa seine Welt? Izayoi blickte ihn nachdenklich erneut an, doch beruhigt durch sein Lächeln. Wer gab ihr das Recht über seine Art zu urteilen? Vater hatte auch eine Youkai geheiratet, Akiko … Traditionell sollte eine Ehefrau über Fehler ihres Mannes hinwegsehen, so hatte es ihre Mutter gesagt, auch erwähnt, dass darunter auch Geliebte verstanden wurden. Vater hatte Mutter diesbezüglich wenigstens nie Kummer gemacht. Und sie selbst zögerte auf ihren Ehemann einzugehen, der sich wahrlich bemühte, nur, weil er anders war? Youki besaß? Sie sollte ihm zeigen, dass sie ihr Versprechen in dem Ehevertrag auch wirklich gemeint hatte. So lächelte sie ihn an. „Mich etwa?“ Herzhaft biss sie in das Wurstbrot.

Es lag nicht im Wesen des Inu no Taishou in Gelächter auszubrechen, aber er klang mehr als amüsiert. „Oh, das arme Brot! - Ich sehe, das wird ein netter Ausflug, meine liebe Izayoi.“ Er hatte ja gehofft, dass die Zweisamkeit ohne Verpflichtungen sie etwas beruhigen würde, sie beide einander näher bringen würde, aber kaum zu träumen gewagt, dass sein Plan aufgehen würde. Frauen waren ein vermintes Feld, dachte der erfahrene Feldherr, oft allzu wohl verteidigte Festungen. Er hatte einst einen Fehler begangen, den er bei seiner zweiten Gemahlin nicht wiederholen würde. Er wollte aufstehen, bemerkte sofort, dass sie ihr Brot wegräumen wollte: „Nein, essen Sie nur. Ich überprüfe nur etwas.“ Der Wind hatte sich verändert. Hm. Zwei Stunden würde Izayoi schon von hier zurück in das Schloss benötigen, noch sicher zwei Stunden bis zum Aussichtspunkt, ergäbe sechs Stunden Weg. Das Gewitter war noch fern, aber er sollte es im Auge behalten. Notfalls musste Bokuseno noch ein wenig auf die Vorstellung warten. Aber er sollte etwas auf das Tempo drücken. Natürlich es ihr erklären. „Das Wetter ist nicht ganz auf unserer Seite, meine Liebe. Heute Abend kommt ein Gewitter.“

Sie starrte ihn an und vergaß fast zu kauen. Da sie es merkte, schluckte sie erst. „Sie können das Wetter vorhersagen?“

„Nein. Aber ich kenne den Geruch des Windes, die Strömungen in der Luft. Wir sollten uns beeilen und wohl den Ausflug zu Bokuseno ausfallen lassen.“

„Oder nur zu Boskuseno? Ich würde gern Ihren alten Freund kennen lernen.“

Zu ihrer Freude dachte er nach. „Nein, da nehmen wir uns ein anderes Mal viel Zeit, das verspreche ich Ihnen. Es liegt doch tief in den Wäldern und ich möchte Sie ungern dem Unwetter aussetzen.“

„Danke. Dann gehen wir lieber.“ Sie packte zusammen, froh ob der Tatsache, dass sie sich zumindest irgendwie höflich und, ja, freundschaftlich, unterhalten konnten. „Die Jacke hier soll zwar regendicht sein, aber sie hat keine Kapuze.“

Er dachte erneut nach. „Ich nehme die Abkürzung. Das wird schneller gehen, ist aber recht steil. Am Beginn des Steilhanges gehen Sie dann vor mir.“

„Ich kenne den Weg nicht, Taishou,“ wandte sie zögernd ein.

„Sie wissen jedoch besser als ich, wohin ein Mensch fassen und treten kann. Falls Sie abrutschen kann ich Sie so auffangen.“

Eine so sachliche Erklärung – und hundert Fragen, die sie jetzt hatte. Er wusste nicht, wohin man fassen oder treten konnte? Wie kam er dann da hoch? Springen, wie sie es auf dem Trainingsplatz gesehen hatte? Er konnte sie abfangen? Ja, aber wie? Nun ja, sie würde es ja wohl sehen. „Wie Sie meinen. Ich kenne mich nicht aus.“

Sie war intelligent, nüchtern. Ja, gut, sehr gut. Überdies, aber das sollte er ihr besser nicht sagen, hoffte er doch, so von hinten, sie einmal genauer beobachten zu können. Diese neumodischen Hosen zeigten eindeutig mehr als ein Kimono. Er lächelte unwillkürlich fast, als er daran dachte, was seine Krieger wohl dazu sagen würden. ER, der Herr und Fürst über sie, hoffte auf einen heimlichen, anregenden, Blick auf seine eigene Frau … „Dann gehen wir.“

 

Keine Stunde später blieb der Daiyoukai stehen und drehte sich um. „Sind Sie sehr müde, Izayoi?“

„Ich bin sehr durstig,“ gestand sie lieber die halbe Wahrheit. Sie käme sich so schwach und jämmerlich in seine Augen vor, würde sie zugeben, dass dieser Hang vor ihr sie wirklich in Schrecken versetzte. Es ging sicher fast zweihundert Meter empor, wenngleich immerhin nicht gerade senkrecht. Steine ragten heraus und boten Tritte auf dem Grasboden. „Und ich habe nichts mehr zu trinken.“

„Ich muss mich entschuldigen. Wenn man selbst nichts benötigt, vergisst man so etwas leicht. - Nun, ich kann Sie beruhigen. Oben, am Aussichtspunkt, gibt es eine Quelle.“

„Das ist dort oben?“ Sie hatte noch nie Quellwasser getrunken, aber das erschien ihr im Augenblick wie das größte Ziel.

„Ja.“ Er musterte sie, plötzlich besorgt. Ihr Haar war noch immer wundervoll, aber er konnte wittern, dass sie verschwitzt war, müde. Er hatte es wohl übertrieben. „Schaffen Sie es bis dort hinauf?“

Sie nickte tapfer, gewillt, bis an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit durchzuhalten. Sie war untrainiert, sie war ein Mensch. Wie mochte das auf ein so mächtiges Wesen, einen so starken Mann, wirken, der bislang nicht einmal schwerer atmete und selbst seinen Kriegern derart überlegen war? Nein, nur nicht blamieren. „Wenn ich oben dann eine Pause bekomme?“ schlug sie mit einem schwachen Lächeln vor.

„Natürlich. Und Wasser.“ Er sollte sich wirklich Gedanken um den Heimweg machen. Unverzeihlich von ihm sie so zu erschöpfen, wo sie sich offenkundig mehr als bemühte seine Ansprüche zu erfüllen. Aber die Alternative, sie einfach empor zu tragen, kam wohl auch nicht in Frage. Sie würde erst recht wieder vor dem Beweis, dass er kein Mensch war, zurückzucken. Nun gut. Sie sollte voran gehen und er musste sie im Notfall vor einem Absturz bewahren.

Gut. Es war nur noch bis da oben, dann würde sie zu trinken bekommen und Ruhe. So wandte sich Izayoi dem Hang zu und suchte sich eine Route, ehe sie empor zu steigen begann, sich immer wieder instinktiv auch mit den Händen an Felsvorsprüngen einhaltend. Seltsamerweise erinnerte es sie an Kindertage, an einen Ausflug in eine Halle mit einer Kletterwand. Mutter hatte damals noch gelebt und sich so über das Foto gefreut … Mutter. Was sie wohl dazu sagen würde, dass sie mit einem Mononoke verheiratet war? Flüchtig warf sie einen Blick zurück und erschrak fast vor der Höhe. Aber ER war nur zwei Meter unter ihr, stand locker da, als müsse er sich nicht mit den Händen festhalten.

Der Taishou hatte den Blick zurück bemerkt. „Sehen Sie nicht hinunter,“ mahnte er, da ihm einfiel, dass Menschen so etwas wie Höhenangst kannten. „Sie haben schon die Hälfte hinter sich. Sehr gut.“ Sollte er sie doch nehmen und mit ihr hoch springen? Aber er fürchtete, dass sich dann das Zutrauen, das sie zu ihm anscheinend entwickelte, in Nichts auflösen würde.

„Ja.“ Sie keuchte, als sie die nächsten Höhenmeter überwunden hatte. Das lag an ihrer Müdigkeit, aber auch an etwas, das sie an einer etwas ebeneren Stelle im Hang entdeckte. Es handelte sich um einen Pfotenabdruck eines gigantischen Wesens. Jähe Panik schoss in ihr auf.

Der Taishou bemerkte es sehr wohl. „Was haben Sie?“ Er hatte nicht erwartet, dass sich ein Pfotenabdruck so lange halten konnte. Es war Wochen her, seit er hier gewesen war. „Keine Sorge. Es ist ein Naturschutzgebiet, auch und gerade, weil hier Youkai leben. Und das dort ist der Abdruck … eines sehr guten Bekannten von mir. Sie brauchen ihn nicht mehr fürchten als mich. Und ich hoffe doch, das tun Sie nicht mehr.“

Sie schüttelte nur den Kopf, reden war zu anstrengend geworden. Nur noch wenige Meter, dachte sie verbissen, bis sie begriff, dass sie irgendwie plötzlich oben war, und sich nur mehr auf den Stein kniete, um Atem rang.

„Es tut mir Leid, meine Liebe,“ sagte der Herr der Hunde etwas schuldbewusst. „Erschrecken Sie jetzt nicht.“ Bevor Izayoi begriff, wurde sie emporgehoben, in seinen Armen getragen, an seine Brust gedrückt. „Ich bringe Sie zu der Grotte, dort gibt es die Quelle.“

Sie fühlte sich abgesetzt, an die Felswand gelehnt und zu ihrer Überraschung etwas enttäuscht. Es war so warm und sicher dort in seinen Armen gewesen. Auf den zweiten Blick erkannte sie, dass es sich in der Tat um eine kleine Höhlung im Fels handelte, neben ihr eine Quelle entsprang, die aus der Grotte lief, nur, um nach vielleicht zwanzig Metern über die Steinplatte im Nichts zu verschwinden. Dort endete die Plattform, die der Taishou als Aussichtspunkt bezeichnet hatte. Offenbar ein kleiner Wasserfall, denn in der Ferne und weiter unten konnte sie das Meer der Hochhäuser Tokyos erkennen. Etwas zerrte an ihr und sie erschrak, ehe sie verstand, dass ihr Ehemann ihren Rucksack öffnete und ihre Flasche herausnahm. Ja, sie hätte sich auch nicht mehr rühren können.

Er füllte die Flasche. „Hier, trinken Sie, langsam. Es ist ziemlich kühl. - Möchten Sie dann etwas schlafen?“

Sie trank einen Schluck, fühlte die Kälte im Magen. Ja, das Wasser sollte sie nur langsam trinken, da hatte er recht. „Danke. - Ich bin sehr müde,“ gestand sie. „Aber hier ist nur Fels.“ Überrascht erkannte sie wieder diesen spitzbübischen Funken in seinen Augen.

„Sollte es Ihnen entgangen sein, dass ich an meinen Schultern ziemlich wärmende Fellteile trage? Trinken Sie und dann legen Sie sich darauf. Ich werde mich nicht bewegen, solange Sie schlafen.“

„Das darf ich?“ erkundigte sie sich zögernd, in der unsicheren Erkenntnis, dass ihr da soeben ein ungewöhnliches Vorrecht zugestanden worden war.

„Einigen wir uns auf: Sie ja.“ Niemand zuvor hatte das getan, nun ja, außer seinem Welpen, als er ganz klein gewesen war, aber er konnte sich auch nicht daran erinnern, dass er seine erste Ehefrau bis zur Erschöpfung gehetzt hatte, von seinen Geliebten ganz zu schweigen. Er sollte seinen Fehler ausgleichen.

„Danke.“ Täuschte sie sich in ihrer Müdigkeit oder wurde das Fell länger und dichter auf seinem Rücken? Jedenfalls setzte er sich neben sie und breitete eines dieser weißen, flauschigen Teile neben ihr aus. Sie konnte nicht widerstehen und legte sich mit dem Kopf darauf. Es war in der Tat warm und weich. Und es roch so angenehm, wie eine Sommerblumenwiese, auf der sie in ihrer Kindheit gewesen war. Fast schon am Wegdösen merkte sie, wie das zweite Fell über sie gebreitet wurde. Das genügte, um sie in einen traumlosen Schlaf zu schicken.
 

Folgen


 

I

zayoi erwachte erst unter einer ungewohnten Berührung. Jemand strich ihre Wange entlang. Fast erschreckt öffnete sie ihre Augen und starrte in goldfarbene.

„Entschuldigen Sie, dass ich Sie wecken musste,“ sagte der Herr der Hunde und es klang ehrlich. „Es wäre jedoch höchste Zeit aufzubrechen. Das Unwetter nähert sich.“

„Oh, ja, natürlich.“ Sie richtete sich auf. „Verzeihen Sie, dass ich Sie so lange belästigt habe.“ Diese Fellteile mussten wirklich zu seinem Körper gehören, dachte sie plötzlich. Es wäre viel einfacher gewesen sich eine Boa, oder was auch immer, abzunehmen und ihr zu überlassen, statt steif neben ihr zu sitzen. Es musste ihm unbequem gewesen sein. Körperteile? Sie hatte quasi in seinem Arm, nein, in seinem Fell geschlafen? Im Fell eines Youkai? Aber es war so warm und weich gewesen, so angenehm … Um sich daran zu hindern eine unziemliche Bemerkung zu machen, nahm sie die Wasserflasche und trank. Sie hatte so viel geschwitzt. So füllte sie sie nur wieder auf und schob sie in ihren Rucksack, ehe sie mühsam aufstand.

„Sind Sie noch müde?“ Er war deutlich leichter auf den Beinen gewesen.

„Nein, eher steif,“ gestand sie. „Ich fürchte, ich bin so etwas überhaupt nicht gewohnt.“ Mit Schrecken dachte sie an die bevorstehende Kletterpartie, eine nur zu berechtigte Unruhe, wie sie fand, als sie neben ihrem Ehemann am Steilhang ankam und hinunter starrte.

Der Taishou warf ihr einen forschenden Blick zu. Sollte er oder sollte er nicht? Einerseits hatte er die gewisse Sorge sie würde ihr eindeutig gewachsenes Vertrauen in ihn verlieren – und dazu war es zu angenehm gewesen, wie sie sich an ihn geschmiegt hatte – andererseits sollte sie ja auch nicht hinunterstürzen. „Ein Vorschlag, Izayoi, wenn Sie mir genug Vertrauen schenken können.“

Sie hatte auf seinem Fell geschlafen, dachte sie errötend. Was auch immer das für ein Körperteil war. „Ich denke schon.“

„Ich habe Sie von hier zu der Höhle getragen, ich würde Sie nun von hier dort hinunter tragen.“

Sie konnte nicht anders als ihn anzustarren. Wie sollte das denn gehen? Im nächsten Augenblick erkannte sie ihren Gedankenfehler. Er war kein Mensch. „Sie sind ein Daiyoukai.“

„Stimmt,“ bestätigte er. „Nun?“

„Ja, gern.“ Sie hätte keine Ahnung gehabt, wie sie allein hier hinunter gelangen sollte.

Wie schon vor zwei Stunden fasste er sie unter Armen und Knien und hob sie mit nicht mehr Mühe auf als sei sie eine Puppe, blickte allerdings dann in die dunklen Augen, die ihn ansahen. „Vertrauen Sie mir einfach.“

„Das tue ich,“ gab sie zu. Aus irgendeinem Grund wurde ihr plötzlich klar, dass das auch für ihn eine ungewohnte Situation war, ja, der Herr über alle Youkai fast unsicher wirkte. Ihretwegen? So lächelte sie. „Sehen Sie, ich schließe sogar meine Augen.“

Ihr Körper in seinen Armen, ihr Geruch so nahe bei ihm, ihre Wärme, ihr Lächeln ... Nach den vergangenen zwei Stunden, die er mit überaus angenehmen Vorstellungen verbracht hatte, war das fast zu viel, erkannte der Taishou und machte lieber den Sprung die zweihundert Meter hinunter, als dass er seinem Wunsch nachgab sie zumindest zu küssen. Ein solches Ausnutzen der Situation wäre nicht nur unehrenhaft, sondern würde sie zurecht zurückschrecken lassen. Rücksicht war angesagt, damit war er bislang am Weitesten gekommen. „So, wir sind unten.“ Er wollte sie abstellen, ließ davon aber rasch ab, als sich ein Arm um seinen Nacken schlang. Die Berührung jagte unerwartet mehr als angenehme Hitze durch seinen Körper.

Ohne die Augen zu öffnen meinte sie, bestrebt höflich zu wirken, da sie keine Ahnung hatte, ob das bei einem Youkaifürsten unverschämt wäre: „Ich wäre Ihnen wirklich verbunden, wenn Sie mich noch ein Stück tragen würden, wenn es Ihnen nicht zu viel Mühe macht. Ich fürchte, ich bekomme in meinen Beinen Krämpfe.“

„Haben Sie etwa Schmerzen? Und nein, es bereitet mir keinerlei Mühe.“ Eher ein intensives Vergnügen, gemischt mit einer seltsamen Portion Schuldbewusstsein. Sie hatte Schmerzen und er war verantwortlich dafür. Punkt.

Gut gemacht, Taishou, dachte er zynisch. Du wolltest dich ihr annähern, das hast du geschafft – nur, du wolltest eigentlich nicht als Krankenpfleger benötigt werden.

Immerhin vertraute sie ihm. Und sie hatte freiwillig den Arm um seinen Nacken geschlungen. Nun ja, freiwillig, weil sie Schmerzen hatte und er ihr helfen sollte, das durfte er nicht vergessen. Da war sicher keine Hinwendung im Spiel. Er sollte sie so schnell wie möglich in das Schloss bringen. Zum Glück gab es dort eine dämonische Heilerin namens Hotaru, die alle Krieger als die „Katze mit den heilenden Pfoten“ kannten. Sie würde auch Izayoi sicher rasch helfen können. Überdies dräute das Unwetter. Aber er war selbst mit der für ihn kaum spürbaren Bürde schnell genug um das Schloss rechtzeitig zu erreichen.

 

Naraku reckte sich unwillkürlich, ehe er in sein Auto stieg. Was für eine lästige Wochenendbeschäftigung für einen vornehmen Mann wie ihn. Aber dieser Handwerkskurs war mehr als lehrreich gewesen. Natürlich war er vorsichtig genug gewesen, das am anderen Ende des Landes und unter falschem Namen zu buchen, aber es hatte sich gelohnt. Zu lernen wie man etwas repariert, bedeutete eben auch, zu lernen wie man etwas zerstört. Die Bank brauchte Geld, die Familie ebenso, wobei die Bank noch besser dastand. Immerhin konnten die Kundenlisten verkauft werden. Wie hatte sich sein sonst so kluger Vater nur in so etwas hinein manövrieren können?

Er steckte sein Handy in die Freisprecheinrichtung und wählte, als er anfuhr. Die Stunden zurück könnte er auch sinnvoll nutzen. „Mein Name ist Naraku, ich möchte meine Schwester, Izayoi, sprechen.“

„Tut uns Leid, oyakata-sama und Izayoi-sama sind nicht im Hause.“

„Danke.“ Etwas überrascht tippte der Hanyou erneut auf die Taste. Der Taishou machte einen Wochenendausflug mit ihr? Oder handelte es sich um eine Youkaiangelegenheit? Auch da war es doch nur sinnvoll, wenn sie nichts weiter erfuhr, hätte er gedacht. Oder hatte es das dumme Schwesterchen gar vermocht dem sonst so unnahbaren Taishou den Kopf zu verdrehen? In diesem Fall sollte sie eine wertvolle Informationsquelle darstellen. Das musste er genau bedenken und vor allem sich gegenüber Izayoi weiterhin als der arme, missverstandene, Bruder darstellen, den Vater doch nur gelenkt hatte. Bislang schien sie ihm das ja abzunehmen.

Jetzt aber war es zunächst einmal wichtig in der nächsten größeren Stadt eine Apotheke zu finden und sich zu erkundigen, welches Schlafmittel man bei hohem Stress einnehmen konnte.

Ja, gab er zu, sein Plan war schändlich, aber von einer geradezu bewundernswerten Einfachheit und Logik. Er musste nur vorsichtig sein und erst einmal eine Tablette nehmen, um die Wirkung abschätzen zu können.

 

Zu Hause angekommen, wurde ihm unverzüglich mitgeteilt, dass sein Vater ihn sprechen wollte.

Onigumo begrüßte seinen Sprössling mit: „Wo treibst du dich denn herum?“

„Ich war mit dem Auto unterwegs und ein wenig spazieren, um einen klaren Kopf zu bekommen. Vielleicht wäre das auch etwas für Sie?“ Naraku nahm Platz.

„Ich habe meinen Kopf frei. - Alle Raten, sei es unsere, sei es der Bank, werden übermorgen bezahlt werden, pünktlich. Und in drei Tagen werde ich eine Pressekonferenz anberaumen.“ Onigumo lächelte, als er den verblüfften Ausdruck im Gesicht seines Sohnes sah. „Ich verkünde, dass ich die „alte Kette“ verkaufen werde.“

Naraku überlegte, was das solle. „Das ist der Teil, der am wenigsten verschuldet ist,“ erkannte er dann.

„Richtig. - Es ist der einzige Teil, dessen Bücher jederzeit von einem Kaufinteressenten überprüft werden können. Und er wird Millionen bringen.“

„Das brächte Handlungsfreiheit, das gebe ich zu, aber würde das nicht gerade die Gerüchte, dass Sie etwas ... knapp bei Kasse sind, beflügeln?“

„Es gibt keine solchen Berichte. Ich habe alle führenden Wirtschaftszeitungen durchgesehen.Und, damit die gar nicht entstehen, werde ich auch eine Begründung liefern.“

Auf die war der Sohn ehrlich neugierig.

„Ich werde angeben, dass ich mich langsam, aber sicher, für das Finanzwesen zu alt fühle, und mich daher in den Ruhestand zurückziehen möchte. Überdies ist meine Tochter jetzt verheiratet und ich hoffe doch auf Enkelkinder und möchte mehr Zeit für die Familie haben … So in etwa.“

„Sie wollen in den Ruhestand?“ blieb Naraku bei dem, was ihn am Meisten interessierte. „Nur, warum sollten Sie dann die „alte Kette“ verkaufen wollen?“

„Nennen wir es wohlverdiente Rente oder so. Und, da du, mein Sohn, lieber Bankier als ein Finanzmakler bist, soll die Bank unangetastet bleiben.“

Naraku war etwas hin- und hergerissen. Finanzieller Spielraum für Monate, ja, aber es wäre auch der Teil der Firmen, der praktisch unverschuldet war und bislang alles andere mit Querfinanzierung über Wasser gehalten hatte. Andererseits, wenn Vater sich zurückziehen wollte, er endlich selbst freie Hand hätte – dann brauchte er womöglich auch seinen riskanten Plan gar nicht in die Tat umzusetzen.

„Keine Sorge, mein Junge, natürlich ziehe ich mich nicht zurück, ich erkläre auch etwas von drei Jahren. Ich mache das schon.“

 

Schön, dann blieb nur der riskante Plan, dachte Naraku. Dann blieb die „alte Kette“ in ihrer, seiner, Hand. Und er musste dringend bis Dienstag mit Izayoi geredet haben, ob der Taishou nicht ihm ein wenig unter die Arme greifen wollte. Vorausgesetzt, Vater zog sich wirklich vom Geschäft zurück, würde der doch hoffentlich nicht ihn mit Vaters Erpressung gleich setzen, zumal wenn Schwesterchen für ihn sprach. Was allerdings zu etwas Anderem führte.

Wenn er so an Izayois Geschick dachte: Vater war bereit gewesen sie für zwei Millionen einem ungewissen Schicksal auszuliefern. Wie viel würde er auf ihn, Naraku, setzen? Noch brauchte er ihn, das war wahr, schon um den Verkauf der alten Kette unter diesem Vorwand betreiben zu können. Aber – er wusste eine Menge, auch über die unsauberen Geschäfte, und er hielt seinen Vater nicht für so töricht, dass der nicht in Betracht zog, dass er ihn beseitigen wollte, um schneller an das Erbe zu gelangen. So gesehen wäre sein, Narakus, Tod für seinen Vater auch eine gewisse Beruhigung. Und der müsste das Geld, das er bislang in ihn gesteckt hatte, nicht mehr ausgeben. Hm. Er persönlich hatte ja schon länger den Verdacht gehegt, dass sein eigener Vater am Tod seiner Mutter nicht ganz unbeteiligt gewesen war. Bei Hanyou starben, das hatte er recherchiert, durchaus oft die Mütter – die menschlichen. Bei Youkai hatte er nur seine Mutter finden können. Überdies war auch der Tod von Ito Gumo, Onigumos Vater, diesem sehr gelegen gekommen. Naraku hatte schon daran gedacht, ob der da auch seine Hand im Spiel gehabt hatte. So bei Licht betrachtet, war eigentlich nur davon auszugehen, dass entweder er seinen Vater umbrachte, damit die Bank und die Agenturen rettete, oder der sich immer weiter in den Ruin steuerte – und schließlich auch auf ihn verzichten konnte. Vielleicht sollte er seinen riskanten Plan doch durchziehen – aber, warum sollte nicht Vater auch einmal ein Risiko tragen? „Ja, natürlich, Vater.“

 

Onigumo betrachtete gedankenversunken seinen Sohn. Der hatte mit seiner Antwort gezögert. Besaß er etwa keine vollständige Macht mehr über ihn? Seit der Heirat Izayois schien Naraku sehr nachdenklich. Er sollte ihn wohl in ein kleines Familiengeheimnis einweihen, damit sich der Junge wieder sicherer fühlte, was auch immer der vermutete. Nun ja, es war eigentlich logisch. Gab er seine Tochter so bereitwillig auf, würde er auch seinen Sohn opfern wollen. „Hast du eigentlich mit Izayoi telefoniert?“

„Äh, ja. Aber sie ist sehr beschäftigt. Der Taishou hat ihr wohl die Schlossverwaltung gegeben, so eine Art größere Hausfrau.“

„Ob er das noch immer tun würde, wüsste er, was sie ist?“ Onigumo klang beiläufig, bemerkte jedoch vergnügt, dass sein Sohn aufmerksam wurde. Nein, dumm war der nicht, das hatte er doch von ihm. Er sollte ihm das anvertrauen, dann würde der auch wieder spuren. „Er hat sie geheiratet, damit er deine Aussage bekommt, richtig. Und natürlich auch wegen der Million, die er bekam. Aber natürlich auch, weil sie die Tochter einer Fürstentochter und eines Bankiers ist.“

Naraku rang nach Atem. Sollte das etwa heißen?

„Du begreifst. Als ich Miharu heiratete, war sie bereits schwanger. Fürst Toko ließ sich mein Schweigen eine Menge kosten.“

„Ja, aber wer …?“ Nun gut, dachte Naraku, damit war schon einmal die Frage geklärt, warum Vater dermaßen desinteressiert an Izayoi gewesen war, wenn es um seinen eigenen Hals ging.

„Das hat sie nie gesagt, und, glaube mir, sowohl ihr Vater als auch ich waren sehr nachdrücklich. Entweder fürchtete sie den potentiellen Vater mehr als die Schmerzen oder sie wollte ihn vor einem gewaltigen Skandal beschützen. Nun ja. Ich habe eine Zeit lang darauf geachtet, aber niemand sah Izayoi ähnlich. Außer ihrer eigenen Mutter. Und es kann kein Youkai gewesen sein, ihr Blut ist rein menschlich, das habe ich prüfen lassen.“

„Zu schade.“ Naraku lächelte etwas. „Das hätte in der Tat einen Skandal gegeben, hätte der Taishou aus Versehen seine eigene Tochter geheiratet.“

Onigumo gab das Lächeln zurück. „Hübsche Idee, aber eben falsch. Verstehst du nun, mein Sohn, warum mir dein Schicksal mehr am Herzen liegt als Izayois?“

„Ja, natürlich, verehrter Vater.“ Doch, das war dann klar. „Danke für die Erklärung.“ Nun gut, er sollte in den nächsten Tagen einmal die Strecke abfahren, und dann überprüfen, wo sich ein Unfall so günstig arrangieren ließ, dass er ihn überlebte. Danach würde er, vorgeblich, um die Unfallfolgen abdecken zu können, eben auf die Lebensversicherung zurückgreifen, damit aus der Rückzahlung erneut Geld hereinkam. Und das, ohne die Finanzagenturen verkaufen zu müssen.

 

Als Hotaru, die ältere Heilerin aus dem Volk der Katzen, aus dem Schlafzimmer Izayois kam, war sie nicht überrascht, im Wohnzimmer den Inu no Taishou vorzufinden. Er hatte besorgt gewirkt – nun, wenn man ihn kannte. „Es geht ihr besser, oyakata-sama,“ meldete sie. Ihre Meinung behielt sie ansonsten für sich. Moderne Zeiten hin oder her – einen Fürsten zu tadeln war lebensgefährlich.

„Besuche sie morgen früh noch einmal. Wenn es ihr nicht wirklich gut geht, soll Akiko alle Termine absagen.“ Er bemerkte den Blick der Katzenyoukai, auch, wenn sie höfisch zu Boden sah. „Was ist noch?“

Hotaru wusste, dass sie sich auf heikles Terrain wagte, aber sie war Heilerin. Überdies war das ein klarer Befehl gewesen zu antworten. „Wenn ich Ihnen einen Rat geben dürfte, oyakata-sama ...“

„Ich muss ihn ja nicht beachten.“

Sie wusste, dass er sich jeden Rat anhörte, wenn er von erfahrenen Leuten kam, allerdings dann stets selbst entschied. „Lassen Sie Izayoi-sama heute und auch morgen schlafen. Wenn es ihr besser geht, wird sie gewiss umso williger in Ihre Arme kommen.“ Die Katzenyoukai hielt den Blick krampfhaft zu Boden, aber sie konnte den abrupten Anstieg des Youki vor sich spüren. Ihre Ohren zuckten instinktiv. Kam jetzt eine Strafe? Würde seine Energie wie eine Peitsche durch die Luft flirren? Sie hatte früher schon Krieger erlebt, die zu vorlaut gewesen waren, und das mit aufgerissenen Rücken bezahlt hatten. Aber dann hatte sich der Herr wieder in der Gewalt, denn sein Youki sank und seine Stimme klang ruhig.

„Ich vermute, du sprichst im Namen deiner Patientin.“

„Ich spreche für sie, ja, da Izayoi-sama unter meiner Massage eingeschlafen ist.“

Immerhin etwas, dachte der Taishou. „Gut, Hotaru. Du darfst gehen.“ Willig in seine Arme kommen? Ja, das hatte sie zuvor getan, weil sie Schmerzen hatte und Hilfe benötigte. Schmerzen, die er praktisch verursacht hatte. Er sollte morgen ebenfalls nach ihr sehen. Oder auch gleich? Die Heilerin war fast lautlos verschwunden und ebenso behutsam schob er die Schlafzimmertür beiseite. Ja, Izayoi war eingeschlafen. Unwillkürlich erweckte der Anblick, ihr Geruch, in ihm die Erinnerung, wie sie auf seinem Fell geruht hatte. Und es weckte erneut seinen Beschützerinstinkt. Möglichst leise schloss er die Tür und ging.

Hotaru, die sich, besorgt um ihre Patientin, umgeblickt hatte, erkannte, dass er ihr folgte. Gut. Einer der Vorzüge des Inu no Taishou, die ihm oft den Erfolg gebracht hatte, war, dass er auch andere Meinungen hörte. Myouga war da das beste Beispiel dafür.

 

Izayoi erwachte erst gegen zehn Uhr. Sie fühlte sich noch immer wie zerschlagen, aber ihr war klar, dass die Massage, die ihr gestern diese Youkai, die Heilerin, verabreicht hatte, ihr sehr geholfen hatte. Sie musste aufpassen sich nie wieder so zu verausgaben. Hoffentlich würde ihr Ehemann darauf hören, wenn sie ihn bat solche Gewaltmärsche nicht mehr zu veranstalten. Sie öffnete die Augen – und erschrak.

Er war da, lehnte nachlässig, die Arme verschränkt, an der Wand und beobachtete sie. Sie richtete sich etwas auf. „Haben Sie die ganze Nacht hier verbracht?“ wollte sie wissen.

„Nein, erst eine Stunde. Ihre Zofe wollte Sie um neun wecken, wie es ihr gesagt worden war, aber ich hielt es für besser, wenn Sie sich erholen. Hotaru wird gleich kommen und Sie untersuchen.“ Er löste sich von der Wand und kam näher, bemerkte, wie sie unwillkürlich die Decke emporzog. „Ich wollte mich eigentlich entschuldigen. Ich bin den Umgang mit Menschen durchaus gewohnt, aber ich vergesse manchmal, wie groß der Unterschied selbst zu einem schwachen Youkai ist.“

Er entschuldigte sich? Er, der Fürst? Er tadelte sie nicht wegen ihrer Schwäche? Darüber mehr als erfreut lächelte sie etwas. „Sie vergleichen mich mit einem Wurmyoukai?“

Das sollte ein Scherz sein, erkannte er, und verbannte seine erste Erwiderung von seinen Lippen, dass er niemals einen Menschen und einen Youkai vergleichen würde. „Das würde ich nie wagen, meine Liebe. Wurmyoukai haben weder Ihr nettes Gesicht noch Ihre wundervollen Haare. Und auch beim Rest der Figur würde ich es strikt leugnen.“

„Sie machen mir Komplimente, obwohl ich Sie gestern doch so enttäuscht habe,“ murmelte sie verlegen. Das wurde nicht besser, als er sich auf ihre Bettkante setzte. Nun ja, dem eigenen Ehemann konnte man das kaum verbieten – und, dachte sie dann ehrlich, er sah auch nicht so aus, dass man ihn von der Bettkante schubsen musste. Er hatte sie gestern die ganze Strecke getragen, war besorgt um sie – zur Hölle, was wollte sie nur mehr von einem aufgezwungenen Ehemann?

„Sie haben mich nicht enttäuscht, Izayoi. Im Gegenteil.“ Sie hatte praktisch bis zur Selbstaufgabe versucht seine Ansprüche zu erfüllen – dass die zu hoch gesteckt waren, war doch nicht ihre Schuld. „Wie erwähnt, Hotaru wird kommen. Und Sie ruhen sich heute aus.“

Sie erstarrte instinktiv, als er die Hand mit den Krallen daran hob, spürte dann, wie schon oben auf dem Aussichtspunkt, wie er zart über ihre Wange strich. So lächelte sie erneut und sah ihn an. „Danke, Taishou. - Was tun Sie?“

„Oh, ich werde mich um einige Angelegenheiten kümmern, die nicht mit der Holding zusammenhängen.“ Wozu erwähnen, dass er sich um ihres Vaters Finanzen kümmern wollte. Es mochte interessant sein, am Dienstag, wenn Onigumo alle Zinsen bezahlt hatte, den nächsten Schritt zu gehen.

„Sie haben stets viel zu tun ...“ flüsterte sie. Ohne weiter nachzudenken, fasste sie nach den Fingern, die noch immer an ihrem Gesicht lagen und drehte sich etwas, barg ihre Wange in seiner Klaue.

Der Taishou spürte es mit einer seltsamen Mischung aus Zufriedenheit, Beschützergefühl – und einem erwachenden Begehren.

Das war das Bild, das Hotaru und Misako sahen, als die Zofe die Heilerin hereinführte.
 

Erkundigungen


 

I

zayoi verbrachte den Sonntag genötigt im Bett. Weder die Heilerin noch ihre Zofe kannten da Erbarmen. Immerhin hatte sie es durchsetzen können, dass sie weiterhin die Akten der Sozialprojekte studieren konnte. Akito hatte für sie dicke Kissen besorgt, mit denen sie gemütlich im Bett liegen konnte und leistete ihr auch Gesellschaft. Erst, als Misako ihr nachmittags Tee servierte, erfuhr sie, warum sie so überfürsorglich behandelt wurde.

„Oyakata-sama hat gesagt, dass er Sie heute noch einmal aufsuchen möchte,“ erzählte die Zofe. „Er nannte allerdings keinen Termin. Er ist ja äußerst besorgt um Sie. Hotaru, das ist diese Katzenheilerin, sagte, sie habe noch nie gesehen, dass er sich so um einen Menschen gekümmert habe ...“ Sie brach lieber ab.

„Es geht mir wirklich schon gut,“ beteuerte Izayoi eilig, die durchaus begriff, dass weder Mensch noch Youkai Ärger mit dem Fürsten haben wollte. Und ja, als Misako und Hotaru heute morgen in ihr Schlafzimmer gekommen waren, hatten sie sie überrascht, wie sie ihre Wange in die Klaue des Daiyoukai geschmiegt hatte – eine sehr intime Situation, die gewiss Rückschlüsse auf ihr Verhältnis zugelassen hatte. Wenngleich falsche. Jedenfalls war es überaus freundlich von ihrem Ehemann so besorgt um sie zu sein, obwohl sie doch ihre menschliche Schwäche mehr als offenbart hatte. Er war mit ihr in den Armen die sicher zweihundert Meter hinabgesprungen – und auch noch weich gelandet. Konnte er eigentlich fliegen? Oder zumindest schweben? Was vermochte ein Daiyoukai? „Morgen werde ich bestimmt arbeiten können.“

„Das werde ich ausrichten. Der Chefkoch bat um einen Termin am Vormittag, um mit Ihnen das Essen der Menschen für die folgende Woche abzusprechen.“

„Oh, ja, Misako. Sage um elf.“

„Sehr wohl, Izayoi-sama.“ Die Zofe verneigte sich.

Akiko meinte daraufhin: „Wenn es Ihnen beliebt, Izayoi-sama – Sie wollten doch morgen das Teehaus sich ansehen, am Donnerstag wäre dort die Zeremonie.“

„Ja, das machen wir nach dem Mittagessen,“ erklärte die junge Hausherrin unverzüglich. „Ich muss sehen welche Geräte da sind und wie das bei Youkai gehandhabt wird.“

„Nicht anders als bei Menschen, wir lernten es von ihnen.“ Die dunkle Stimme des Daiyoukai ließ die Dienerinnen sich eilig tief verbeugen und Izayoi den Ordner beiseite legen, um wenigstens den Kopf zu neigen. Der Inu no Taishou hob etwas die Hand und beachtete die beiden menschlichen Frauen, die sich unverzüglich zurückzogen, nicht mehr. „Sie arbeiten bereits wieder, meine Liebe?“

„Oh, mir geht es schon wieder ganz gut, danke, Taishou.“ Sie lächelte dankbar. „Die Damen und Hotaru waren besorgter um mich als ich selbst.“ Als er sich wieder auf ihre Bettkante setzte, fragte sie geradewegs: „Es war Ihre Anordnung, nicht wahr?“

„Nicht direkt. Aber ich vermute es war für alle offensichtlich, dass ich Ihnen nichts Böses wollte.“

„Davon bin ich überzeugt.“

Sie vertraute ihm – trotz seines Fehlers. Er lächelte etwas. „Das freut mich, Izayoi. Ich werde Montag und Dienstag nicht hier sein, aber Mittwoch morgen Sie gegen neun abholen, um Ihnen die Mitarbeiter vorzustellen.“

„Ich werde bereit sein, danke. - Ihr Sohn kommt am Freitag zurück?“

„Ja.“ Das hatte sie sich auch gemerkt? Das erinnerte ihn daran, dass er Jaken und Myouga zum Flughafen schicken sollte. Sesshoumaru sollte über die Heirat informiert sein, ehe er im Konzern eintraf.

„Darf ich Sie etwas fragen?“

„Ja.“

„Sie ... Sie sind mit mir im Arm diesen Abhang gesprungen. Und Sie haben mich die ganze Strecke wirklich schnell getragen.“

„Ja.“ Was meinte sie?

„Wie soll ich das sagen … Wie stark ist ein Daiyoukai? Können Sie fliegen?“ Sie sah ihn neugierig an.

Sie erinnerte ihn an einen Welpen, dachte er. Nun ja, was wusste sie wohl auch von Youkai. Trotz der siebzig Jahre Verträge lebten beide Arten doch sehr oft getrennt. Er sollte ihre Neugier befriedigen, aber das Ganze in Humor verpacken. „Fliegen wie ein Vogel? Sehen Sie mich flattern? Nein. Aber schweben, ja, das könnte hinkommen. Nicht sehr lange, gebe ich zu. - Und wie stark ich bin … Nun ja. Früher, bevor die Menschen solche Dinge wie Atombomben entwickelt haben, hätte ich gesagt: an einem einigermaßen guten Tag wäre eine halbe Armee gegen mich nicht genug.“

Oh. Er sagte sicher die Wahrheit, das war ihr nach knapp einer Woche Ehe klar. „Myouga-san erwähnte, wenn Sie mit aller Kraft Ihr eigenes Schwert schwingen würden, sollte man nicht im Weg herumstehen.“

Myouga war fällig, dachte der Inu no Taishou prompt grimmig. Was musste der so etwas ihr erzählen? Aber sie schien nicht verängstigt. „Ich verspreche Ihnen, dann nur mit dem Rücken zu Ihnen zu stehen.“

Da war wieder dieser heitere Funken in seinen so seltsam goldenen Augen und sie musste lächeln. „Dann sage ich vorsorglich danke. Wobei ich doch hoffe, dass das nie nötig werden sollte. - Oh, ehe ich es vergesse: wenn ich Mittwoch sowieso im Konzern und der Stadt bin, würde ich mich gern mit meinen Freundinnen treffen.“

„Natürlich. Ich würde mit Ihnen allerdings zum Mittagessen gehen, danach haben Sie frei.“

Sie wusste nicht, warum sie es sagte. „Erlauben Sie mir das Mittagessen mit Ihnen auch als Freizeit zu betrachten.“

„Izayoi!“ Seine Stimme klang rau. „Danke.“ Sie wurde immer vertrauter, hatte keine Angst mehr … Rücksicht war der beste Weg, ja. Er hatte sich richtig entschieden. Es war der langsamere Weg zum Sieg, aber hatten nicht schon immer Schwierigkeiten eine Eroberung erst kostbar gemacht?

 

Montag vormittag rief der Finanzchef der Holding an. „Oyakata-sama?“

„Kiyoshi? Die Zinsen wurden bezahlt.“ Darin lag keine Frage.

„Ja. Und Onigumo hat für morgen eine Pressekonferenz einberufen, er wolle Dinge über die Bank und die Finanzcenter erzählen.“

„Wir werden informiert?“

„Kouga kümmert sich darum. Ich vermute, die Informationsabteilung wird einen Menschen schicken.“

„Es ist noch nichts durchgesickert, um was es geht?“

„Nein. Aber Kouga sagte mir, dass sowohl Onigumo als auch Naraku überwacht werden.“

„Gut. Und die Tokos?“

„Ich hörte noch nichts, aber es wird schwierig sein, denke ich.“

„Mein lieber Kiyoshi, ich zahle meine Informanten nicht für einfache Dinge. Sie erreichen mich nachmittags über Handy, abends ebenso. Ich bin im Billionaire-Club.“

Der Kitsune war überrascht. Gewöhnlich mied der Taishou diesen Club. Aber er wollte gegen Gumo vorgehen – da gehörte das vermutlich zum Spiel. „Ich werde es auch Kouga sagen, wenn Sie einverstanden sind.“

„Ja.“ Der Herr der Hunde legte auf und drückte die Sprechtaste. „Suzuki-san? Ich will die Leitung der Stiftungsabteilung sehen. Eine halbe Stunde später dann Jaken.“ Er sollte Mittwoch und Freitag vorbereiten.

 

Naraku stand an dem Rastplatz, der sich ziemlich genau auf der Hälfte der Bergstraße befand. Von hier aus hatte man einen schönen Ausblick – nicht zuletzt auf die kurvenreiche Strecke nach oben und unten. Ein scharfe Haarnadelkurve befand sich nur fünfhundert Meter weiter vor ihm, danach wurde die Aussicht schlechter, denn der Wald kam nahe herauf. Hm. Morgen diese Pressekonferenz. Für das nächste Wochenende sollte er seinen Vater mit seinem riskanten Plan vertraut machen und den um Hilfe bitten. Mit seinem ursprünglichen, riskanten, Plan, natürlich. Vater brauchte nichts davon wissen, dass sich manches geändert hatte. Nicht zuletzt durch dessen mehr als eigenwillige Planungen.

Hm. Irrte er sich oder hatte er dieses Auto nicht schon gestern hier gesehen? Er sah sich um. Die beiden Menschen, die ausstiegen, sagten ihm nichts. Ließ ihn Vater oder der Taishou etwa überwachen? Aber da die Beiden mehr als eng umschlungen begannen sich zu küssen, merkte er sich nur die Wagennummer. Sicher war sicher. Kichernd verschwanden die Zwei in den Büschen. Nun ja. Womöglich wurde er auch übermisstrauisch. In Anbetracht seiner Pläne kaum ein Wunder. Überdies, lieber zu vorsichtig als im Gefängnis. Oder gar vor dem Gericht des Inu no Taishou. Stimmt, das hatte er noch nie überprüft. Wer sprach eigentlich bei Hanyou Recht? Youkai oder Menschen? Oder hatte er da etwa eine Gesetzeslücke gefunden und niemand hatte das Recht …? Das sollte er überprüfen. Denn wenn er gar nicht vor Gericht kommen könnte, wäre das nur zu gut. Wer war doch da gleich der Anwalt der Gumo-Bank? Er nahm sein Handy und suchte. Das wäre zu amüsant. Und er sollte Schwesterchen mal wieder anrufen. Sie sich warmzuhalten könnte im Fall der Fälle nicht nur das Vermögen, sondern auch das Leben sichern. Nun ja. Nächstes Wochenende musste er seinen Plan durchziehen. Immerhin würde es auch Zeit dauern die Versicherungspolice geltend zu machen und das Geld auf dem Konto zu sehen.

 

Der Inu no Taishou wurde im Billionaire-Club fast ehrfürchtig empfangen. Es war selten genug, dass er sich hier sehen ließ, und nach dem Zwischenfall mit seinem Sohn vor einer Woche hatte der Geschäftsführer das schon gar nicht erwartet. So beeilte er sich den werten Gast zu begrüßen. „Ich bin überaus erfreut, dass Sie einmal die Zeit gefunden haben, oyakata-sama. Ich möchte mich untertänigst bedanken, dass es Ihnen gelungen ist den Club aus den Zeitungen herauszuhalten.“

„Ich denke, das war in aller Interesse. Dieser Takazen ist nicht hier?“

„Nein, oyakata-sama. Ich dachte, er sei noch im Krankenhaus ...“

„Nein. - Ich sehe allerdings, dass Sie noch immer ein sehr offenes Haus führen.“ Das bezog sich auf Ryuukossusei. Der Drache saß, vom Eingangsbereich her sichtbar, in einem Nebenzimmer am Spieltisch.

„Äh, nun ja. Er ist Mitglied. Und es gibt keine Schwierigkeiten.“ Ups, dachte der Geschäftsführer. Das war wohl die falsche Wortwahl gewesen, wenn man an Sesshoumaru dachte. Und Probleme konnte es rasch geben, denn Ryuukossusei erhob sich und kam heran. Die Spannungen zwischen dem Daiyoukai und dem Drachenherrn waren selbst in Menschenkreisen bekannt, auch, wenn nicht einmal Youkai genau sagen konnten, was damals passiert war.

Ryuukossusei neigte gerade so weit den Kopf um nicht als unhöflich zu gelten. „Mein bester Taishou, ich bin erfreut Sie hier zu sehen. So vermag ich es doch Ihnen zu Ihrer unerwarteten Heirat zu gratulieren.“

Der Herr der Hunde spannte sich unmerklich an. „Danke, werter Ryuukossusei. Wie immer gut informiert.“

„Oh, natürlich, man behält doch seine Freunde im Auge – manche Leute sogar noch besser. Mir wurde gesagt, dass Ihre junge Frau … wie soll man es nennen, etwas zum Anbeißen sei.“

„Eine unerwartet schlechte Formulierung – zumal für einen Drachen.“ Wenn der Taishou daran dachte, wie viele Menschen in den letzten Jahrhunderten allein dieser Kerl gefressen hatte … Hm. Er sollte die Wachen um das Schloss und vor allem den Pavillon verstärken. Ryuukossusei neigte zu drastischen Handlungen.

„Oh, immer noch so sensibel? Ein Fehler, wenn Sie mich fragen. Sie würden Ihren Sohn, Ihre nunmehr schon zwei Ehefrauen, Ihre Mitarbeiter, nie im Stich lassen. Ich bin da ein wenig großzügiger.“

„Wenn ich mich recht entsinne, besteht Ihre Familie nur aus Ihnen und Ihrem jüngeren Bruder.“ Und die hatten gemeinsam damals ihren Vater getötet.

„In der Tat. Und der Ärmste darf momentan ein wenig bei den Vulkanen von Nishijima Urlaub machen. Solange, bis er gelernt hat, dass man mich nicht ärgern sollte. Eine reine Erziehungsmaßnahme.“

Diese Vulkaninseln waren nicht unbedingt ein angenehmer Aufenthaltsort, dachte der Taishou. Aber Streit zwischen den Drachenbrüdern ging ihn soweit nichts an. Interessanter war, warum ihm das erzählt wurde. Was lief da?

„Nun ja,“ fuhr Ryuukossusei gedankenvoll fort. „Das lernt Ihr Sohn vermutlich auch gerade. Wo war er noch gleich hin?“

Als ob der Drache das nicht wüsste, es hatte sogar in der Zeitung gestanden, da jeder Eindruck vermieden werden sollte, er selbst oder Sesshoumaru hätten etwas zu verbergen. „In Sibirien, allerdings zu Verhandlungen. - Sie entschuldigen mich, Ryuukossusei. Auch wenn Ihre Unterhaltung durchaus interessant ist ...“

„Natürlich, natürlich.“

Der Drachenherr zog sich wieder zu seinem Spieltisch zurück, zur unbedingten Erleichterung des Geschäftsführers, der durchaus das Gefühl erhalten hatte, dass nicht alles ausgesprochen worden war, was die Zwei ausgetauscht hatten. Woher hätte er auch wissen sollen, dass der Kampf zwischen den Beiden einst sowohl dem Taishou als auch Ryuukossusei fast das Leben gekostet hatte. Allerdings war es dem Daiyoukai gelungen den Drachen zu bannen. Der Zauber war erst von dessen kleinen Bruder gelöst worden.

 

Der Taishou schritt ein wenig durch den Club, plauderte mit dem einen oder anderen Unternehmer und versuchte Dinge über Onigumo und Naraku zu erfahren, die nur Gerüchte waren. Als sich ein Mensch im dunklen Anzug ihm näherte, erkannte er den nunmehrigen Fürsten Toko erst auf den zweiten Blick. Die Zeit verging für Menschen viel schneller.

„Werter Taishou,“ sagte dieser mit einer höflichen Neigung des Kopfes. „Ich darf Ihnen doch zu Ihrer Heirat mit meiner Cousine noch meine Glückwünsche aussprechen? Izayoi stammt mütterlicherseits aus einer guten Familie.“

Ach, nur mütterlicherseits? „In der Tat. Und ich entsinne mich gern an meine Monate, die ich mit Ihrem verstorbenen Großvater in einem Schloss verbrachte, als wir die Verträge verhandelten. Er war ein sehr ehrenwerter Mann, Fürst Toko. Darf ich übrigens fragen, woher Sie von der Eheschließung erfahren haben?“

„Der glückliche Brautvater war so frei. Ich war überrascht, dass Sie keine Anzeige in die Zeitung setzten. Eine Caprice meiner teuren Cousine, eine stille Hochzeit? Ich hörte auch zuvor nichts.“

Der Taishou dachte bei sich, dass er mit dieser Neugier hatte rechnen müssen. „Nun, als ich Ihre teure Cousine sah, war für mich die Sache klar. Nennen Sie es einen überaus spontanen Einfall meinerseits. Den ich bislang auch nicht bereut habe.“

Der leise Nachdruck im letzten Satz verriet dem Fürsten, dass eine weitere Diskussion dieses Themas unerwünscht war. „Selbstverständlich nicht. Das wollte ich auch keinesfalls andeuten. Izayoi ist ein reizendes Mädchen gewesen und wird es sicher auch als Ehefrau sein.“ Er neigte den Kopf und zog sich lieber wieder zurück. So, so. Ein spontaner Einfall eines Dämonenfürsten? Aber den konnte man kaum weiter befragen und Onigumo war trotz seines Euphoriegefühls auch sehr verschwiegen gewesen. Allerdings hatte der auch angedeutet, dass die Sache zwischen ihm und dem Taishou unverzüglich entschieden worden war. Izayoi hatte wohl nicht viel zu sagen gehabt. Nun ja, sie war zu einer gehorsamen Frau erzogen worden, vermutlich perfekt für einen altmodischen Youkai, da musste er seinem neu-angeheiratetem Cousin recht geben. Und wer wusste schon, wie diese neue Verwandtschaft zu einem Regierungsmitglied und derart reichen Mann noch nützlich wäre. Auch er, Fürst Toko, hatte schließlich Kinder, eine Tochter und einen Sohn.

 

Izayoi hatte am Montag Vormittag ihre erste Besprechung mit dem menschlichen Chefkoch, der routinemäßig für die Angestellten seiner Art im Schloss kochte, aber auch für menschliche Gäste, die der Her des Hauses hier empfing. Sie hatte es noch nie mit einem Chefkoch zu tun gehabt und musterte seinen vorgelegten Plan, ehe sie ihn schlicht abnickte, und sich dann nach seinen Arbeitsbedingungen erkundigte, wie er hierher gekommen war. Nuriko Tamamoto betrachtete dieses, bei Youkai-Herrschaft durchaus ungewohnte, Interesse an seiner Person geschmeichelt und gab der neuen Hausherrin bereitwillig Auskunft.

„Fein,“ schloss sie diesen Teil der Diskussion. „Sie können anscheinend sehr viel, Tamamoto-san. Ich vermute, auch wenn es internationale, menschliche Gäste gibt, können Sie die einheimische Küche so anpassen, dass es auch für … Europäer und andere Exoten schmackhaft wird.“

„Natürlich, Izayoi-sama. Es gab noch nie Beschwerden.“

„Können Sie auch eine Pizza machen?“ erkundigte sie sich, da sie sich dafür zugegeben interessierte, aber noch nie dazu gekommen war eine auszuprobieren. Abendessen hatte sie eigentlich immer zuhause einnehmen müssen.

„Ja,“ erklärte Tamamoto ein wenig voreilig, ergänzte dann jedoch ehrlich: „Ich habe einen Koch aus Italien, der für solche Essen herkommt. Er ist nicht dauernd hier.“

„Ah, das ist sehr gut. Danke, Tamamoto-san. Ich nehme an, wir sehen uns spätestens nächsten Montag für die folgende Woche.“

„Ja, es sei denn, Sie haben neue Befehle, Izayoi-sama.“ Er verneigte sich höflich, doch erleichtert, dass die neue Herrin sehr charmant zu sein schien. Auch die Menschen im Schloss hatten bei der Anweisung des Inu no Taishou seine Gemahlin ja höflich zu behandeln eine Megäre befürchtet. „Darf ich Ihnen vielleicht für Sonntag Mittag eine Pizza servieren?“

„Eigentlich gern, ein guter Vorschlag. Allerdings muss ich erst abwarten, ob oyakata-sama nicht Weisungen für mich hat.“

„Ja, natürlich.“

 

Am Nachmittag betrachtete sie das Teehaus für die Zeremonie am Donnerstag. Es war in der Tat sehr traditionell – menschlich gehalten. Es lag in einem abgetrennten Garten, umgeben von einem Wasserbecken. Ein Pfad führte, wie es die Tradition verlangte in gewundenem Pfad auf das Teehaus zu, kurz nach der Brücke lag der Warteplatz für die Gäste, umrahmt von kunstvoll geschnittene Nadelgewächsen. Das Häuschen selbst war aus Bambus ausgeführt, die Fenster aus mit Papier verspannten Holzgittern. Gefolgt von Akiko ging sie über den Steg und schob selbst die kleine Schiebetür beiseite, ehe sie die Getas abstreifte und auf Knien durch den Eingang rückte.

Immerhin, dachte sie erleichtert. Alles war so, wie es ihre Lehrerin gesagt hatte: der Raum selbst war leer, nur mit Tatamimatten ausgelegt, ein zweiter Raum abgeteilt, der zur Vorbereitung des Tees diente. In der Raummitte lag die Grube für das Holzkohlenfeuer, um das Teewasser zu erwärmen. In der Tokonoma-Nische befand sich ein Pinselgemälde. Sie erkannte ein wenig überrascht einen großen, weißen Hund, der anscheinend über eine Mondsichel sprang. Das hatte bestimmt eine Bedeutung. Gebückt trat sie in den Vorbereitungsraum. In einem Baumbusregal standen ordentlich und sauber alle Geräte für die Zeremonie, bis auf die seidenen Tücher, aber das war klar, sie würden wohl erst mit dem Teepulver am Donnerstag frisch hergebracht werden. Sie war beruhigt, dass auch der Schlagbesen in ihre Hand passte, alles wahrlich sehr menschlich war.

„Benötigen Sie noch etwas, Izayoi-sama?“ erkundigte sich Akiko, die ihr gefolgt war.

„Nein, denn ich denke, die Tücher und der Tee kommen frisch.“

„Ja, ich denke schon. Ich war noch nie hier. Aber ich werde mich erkundigen und am Vormittag lieber noch einmal nachsehen, ja?“

„Danke, Akiko.“ Was auch immer passierte – sie durfte sich und damit ihren Ehemann nicht vor ranghohen Youkai blamieren.
 

Neuigkeiten


 

D

en gesamten Dienstag verbrachte Izayoi über Akten und mit dem Lesen eines Buches, das sie von Takeshi-sama, ihrer letzten Erzieherin, erhalten hatte, über die Feinheiten der Teezeremonie. Sie ging davon aus, das sie als Teemeister fungieren sollte. Letzteres brachte ihr sogar eine anerkennende Bemerkung ihrer manchmal so strengen Zofe ein. Sie lächelte daher. „Danke, Misako. Aber meine Mutter sagte mir immer, es sei die Pflicht einer Ehefrau für ihren Gatten zu repräsentieren. Und gerade, weil mir Youkai und ihre Sitten oft noch fremd sind, möchte ich bei so etwas menschlichem wie der Teezeremonie keinen Fehler begehen.“

„Das ist verständlich. Ich vermute übrigens, dass doch zwei Lagen Kimono reichen, wenn Sie die Teezeremonie durchführen. - Ihr Mobilphon klingelt.“

Da das privat war, nahm Izayoi es rasch auf. „Oh, mein Bruder.- Hallo, Naraku?“ Warum nur hatte sie für einen Augenblick gedacht, es könnte ihr Ehemann sein? Der rief immer offiziell über die Hausleitung an und richtete seine Wünsche an ihre Hofdamen. Vermutlich war das so altmodisch-korrekt.

Naraku war froh seine sogenannte Halbschwester direkt zu erreichen. „Wie geht es dir? Schon wieder fleißig?“

„Ja, das muss ich ja sein.“

Hm. Bestrafte sie der Taishou doch? „Wann kommst du denn mal in die Stadt, dass wir uns sehen können?“

„Morgen bin ich in Tokyo, im Konzern. Mir werden dort meine Mitarbeiter vorgestellt. Ich soll die gesamten Sozialprojekte der Holding leiten. Das sind eine Menge.“

„Dann bist du öfter in der Stadt, in Zukunft?“

Sie lachte. „Oh nein, es gibt so etwas wie Computer, Naraku. Und Videokonferenzen. Das reicht ja für das Meiste.“

„Vermutlich, ja. Du bist wohl ganz schön eingespannt.“ Das war natürlich auch eine raffinierte Methode des strategisch erfahrenen alten Hundes seine Gemahlin standesgemäß zu beschäftigen und gleichzeitig abseits zu halten. Immerhin hatte der sie noch nicht wie ihre Vorgängerin in irgendein Schloss inmitten des Nichts verfrachtet. Nun ja, sie waren erst eine Woche verheiratet. Womöglich wahrte der Taishou nur eine gewisse Anstandsfrist. Oder das Schwesterchen hatte ihn doch irgendwie bezirzt. „Können wir uns nach deiner Arbeit im Konzern nicht treffen?“

„Nein, da habe ich mich morgen schon mit meinen Freundinnen verabredet, du kennst die Drei ja...?“

„Ja, ich habe sie schon gesehen.“ Wenngleich sich für keine von denen interessiert. Inzwischen waren sie auch alle verheiratet, mit wohlhabenden Menschen aus guten Familien. „Keine Zeit also für deinen großen Bruder?“

„Nun, morgen nicht. Ich rufe dich vorher an, wenn ich das nächste Mal in die Holding fahre, ja? Dann nehme ich mir den ganzen Nachmittag frei für dich.“

Sehr schön, sie schien ihm die Sache mit ihrer Heirat nicht persönlich nachzutragen. „Das klingt gut, Schwesterchen. Sag mal, über das Geschäft wird mit dir wohl nicht geredet?“

„Nein.“ Zögernd, wie das wirken würde, ergänzte sie doch der Wahrheit gemäß: „Ich soll auch nicht fragen.“ Immerhin hatte der Taishou ihr gegenüber erklärt, dass er diese erzwungene Hochzeit ihrer Familie nie verzeihen würde. Und „nie“ war bei einem Youkai aller Voraussicht nach wörtlich zu nehmen.

„Tja, da werde ich mit meinem lieben Schwager vermutlich direkt reden müssen.“

Da war eine Warnung wohl angebracht. Ihr Halbbruder wusste womöglich gar nicht, dass Vater den Taishou mit seiner Aussage erpresst hatte. „Naraku, er ist wegen Vater nicht so gut auf euch zu sprechen ...“

„Das kann ich mir vorstellen. Aber, so, wie ich ihn einschätze, wird er nicht mich für die … Irrtümer Vaters zahlen lassen.“ Immerhin sah das auch bei ihr nicht danach aus, und da hätte es der Daiyoukai deutlich einfacher gehabt. Kaum jemand würde nachfragen, ob er seine Frau wie strafe. „Danke, Izayoi. Melde dich dann, vielleicht nächste Woche? Ich muss in die Bank. Unser Vater hat eine Pressekonferenz angesetzt, bei der ich erscheinen muss.“ Ha, er hatte das „unser Vater“ nicht vergessen. Jedenfalls ging bei den Finanzen der Umweg über Izayoi anscheinend nicht. Zumindest nicht direkt.

„Dann wünsche ich dir viel Glück.“

„Danke, Schwesterchen. Dir dann morgen auch. Und viel Spaß.“

 

Der Herr der Hunde war in einer eigentlich recht wichtigen Telefonkonferenz mit einem Unternehmen seiner Holding in Amerika, als er drei Nachrichten praktisch gleichzeitig auf seinem Handy entdeckte, alle mit dem Stichwort: Onigumo. So brach er mit einer Entschuldigung keine drei Minuten später ab. Kouga, Kiyoshi und Myouga. Schön. Er rief seinen treuen Berater als erstes an. „Was war bei Onigumo? Die Pressekonferenz?“

Der Flohgeist nahm sich eilig zusammen, da er nicht mit einem derart prompten Rückruf gerechnet hatte. „Äh, ja, oyakata-sama. Kouga und Kiyoshi-sama sind bereits auf dem Weg her.“

Das klang mehr als interessant. Und kurzfristig. „Gut. Sage alle Termine für mich in der nächsten Stunde ab und gib das auch an Suzuki-san weiter. Noch etwas?“

„Eine Nachricht von Sesshoumaru-sama. Er kommt wie geplant zurück, mit Entwürfen für die Verträge. Sonst keine private Nachricht. Er wollte wohl Mitlesen vermeiden.“

„Ja, natürlich.“ Der Taishou legte auf. Entwürfe für die Verträge klangen immerhin so als ob sich sein Sohn mit Väterchen Frost doch irgendwie vertragen hatte. Nun ja. Es würde amüsant sein zu hören, ob der alte Griesgram seinen Sohn einmal mit einem Eispanzer überziehen konnte. Noch hatte Sesshoumaru den Sprung zum Daiyoukai nicht geschafft und würde kaum ein Gegenmittel gefunden haben. Jetzt sollte er sich jedoch auf die Gumos und deren Finanzimperium, beziehungsweise dessen Untergang, konzentrieren.

 

Keine zehn Minuten später ließen sich der Herr der Füchse und der junge Wolfsyoukai mit höflichen Verneigungen vor dem Konzernherrn auf den Tatamimatten in seiner japanischen Büroecke nieder. Kouga hielt ein Handy in der Hand.

Der Taishou blickte fragend darauf.

So erklärte der junge Wolf eilig: „Ich bitte um Verzeihung, oyakata-sama, aber der Reporter, der geschickt wurde, hielt es für das Günstigste die gesamte Pressekonferenz zu filmen. Möchten Sie das sehen oder zunächst eine Kurzfassung?“

„Kurzfassung.“

„Onigumo erklärte auf der Konferenz seinen Rückzug von den Geschäften. Er sei alt und hoffe auf Enkelkinder, er benötige weniger Stress. So in etwa. Da sich sein Sohn, also, Naraku, mehr für die Bank als die Finanzmakler interessiere, habe er daher beschlossen zur Finanzierung seines Ruhestandes einen Teil dieser Maklerbüros zu verkaufen, die so genannte „alte Kette“. Anbieter wären willkommen, natürlich zu einem fairen Preis.“

Um den Mund des Taishou zuckte etwas Spott. „Er ist wahrlich in Geldnöten, oder, Kiyoshi?“

Der Kitsune nickte. „Wenn man nicht an seinen Rücktritt glaubt, ja, oyakata-sama. Nach unseren Recherchen ist dieser Teil der Firma der, der gutes Geld abwirft und nicht übermäßig verschuldet ist. Also der Teil, der tatsächlich einen Investor finden könnte.“

„Ein Investor würde auch die Bücher überprüfen,“ warf Kouga ein, senkte jedoch eilig den Kopf. Gleich zwei Daiyoukai auf einmal vorzugreifen hätte noch vor einem Jahrhundert nur bewiesen, dass man über keinen Funken Selbsterhaltungstrieb verfügte. Die Zeiten hatten sich zwar geändert, aber manchmal war er mit seinem Mund ebenso schnell wie mit seinen Fingern am PC. Das Youki im Raum stieg auch prompt an, wurde jedoch von Beiden wieder zurückgenommen. Eine der Kleinigkeiten, die er seiner Ayame heute Abend garantiert nicht erzählen würde. Die würde ihn ja für vollkommen bescheuert halten.

Der Taishou dachte kurz nach. „Wie viel ist diese alte Kette wert? Nach Abzug aller Schulden?“

Kiyoshi brauchte nicht überlegen. „Vielleicht siebzig Millionen, vor allem die Grundstücke und Kundendaten. Das müsste ich noch genau berechnen lassen. Ich darf Sie allerdings darauf aufmerksam machen, oyakata-sama, dass Ihnen über Ihre diversen Firmen der Holding bereits zwanzig Millionen der Gumos als Schulden gehören.“

„Lassen Sie es berechnen, Kiyoshi. Ich werde Onigumo ein Angebot machen, das er nicht ablehnen kann.“ Diese zwanzig Millionen Schulden würden Onigumo teuer zu stehen kommen. Sehr teuer. „Und überprüfen Sie zur Sicherheit auch den Wert der neuen Kette.“

„Buchmäßig liegt sie wohl ebenso hoch, ist aber deutlich höher verschuldet, wenngleich überaus verschachtelt. Aber Sie wünschen es ebenfalls genau.“

Da der Herr der Hunde nur nickte, wagte es Kouga sich erneut zu melden. „Äh, eine Kleinigkeit noch, oyakata-sama. Bei der Pressekonferenz waren die Vertreter verschiedener Medien da, auch des Fernsehens, Menschen und Youkai. Aber auch jemand von der Drachenpost.“

„Danke, Kouga. Ihr könnt erst einmal gehen. Kiyoshi, bis in fünf Stunden brauche ich die Zahlen.“

 

Alleingelassen setzte sich der Daiyoukai in seinen Bürosessel und schwang sich herum, um aus dem Panoramafenster den Blick über das Hochhausmeer vor sich gleiten zu lassen.

So, so, jemand von der Drachenpost. Und Ryuukossusei beglückte ihn gestern im Billionaire ungebeten mit der Information, wo sich sein kleiner Bruder herumtrieb? Seit wann war Ryuukossusei unter die Händler gegangen? Seit geraumer Zeit ließ der Drache Menschen für sich arbeiten, in diversen Minen, vor allem Mangan und Gold, aber auch Kupfer. Da er die Leute anscheinend fair behandelte, hatte er selbst keinen Grund gesehen einzuschreiten. Nun ja, er hatte sogar gehofft, der Drachenherr sei vernünftig geworden. Was also sollte das jetzt mit Gumo?

Eigentlich gab es nur einen Grund, warum sich Ryuukossusei plötzlich für eine Bank interessierte – die Heirat seines Lieblingsfeindes mit Izayoi Gumo. Ja, er sollte eindeutig die Wachen verstärken lassen. Und sie auch selbst im Schloss abholen und begleiten. Es wäre eine unglaubliche Schande für ihn, ja, würde seine Macht aufs Spiel setzen, würde es dem Drachen gelingen sie zu entführen, wenn nicht Schlimmeres. Und Ryuukossusei hatte seine letzten Skrupel spätestens bei der Ermordung seines eigenen Vaters aufgegeben. Es würde dem Mistkerl Spaß machen Izayoi zu misshandeln und zu fressen – und ihm selbst ein Video davon zu schicken.

Sollte er sie warnen? Lieber nicht. Sie war so nahe schon gekommen – der Beweis, dass er und auch seine Gegner keine Menschen waren, würde sie doch nur wieder verschrecken. Er musste eben sorgfältig sein, sie beschützen.

Flüchtig dachte er an seine erste Gemahlin, aber an die Herrin des Schwebenden Schlosses wagte sich auch der mächtigste Drache nicht einfach so heran. Sie besaß, neben ihren Wachen, ein nettes, kleines Spielzeug um den Hals, dass er selbst ihr einst geschenkt hatte – und davor fürchtete sich sogar Ryuukossusei. Und nur er selbst kannte und hatte das Gegenmittel.

 

Unterdessen tobte in einem kleinen Büro am anderen Ende des Ganges, der die Vorstandräume der Taishou-Holding beherbergte, ein gewisser Kampf. Myouga hatte soeben Jaken, dem Sekretär Sesshoumarus ausgerichtet, dass der den jungen Herrn gleich beim Abholen am Flughafen von der neuen Stiefmutter in Kenntnis setzen sollte.

Der Kappa war schlicht entsetzt. „Nein, das kannst gern du machen. Ich hänge an meinem Leben. Ja, genau, wieso nicht du?“

„Weil ich nicht ein Sekretär bin, sondern der Berater des mächtigen Inu no Taishou,“ verkündete der kleine Flohgeist hoheitsvoll, dem soeben dämmerte, dass tatsächlich auch sein Befehl gelautet hatte, den Sohn des Hauses mit abzuholen. „Ich soll nur mitfahren und ihn zu oyakata-sama bringen..“

„Aber du sollst mitfahren!“ triumphierte Jaken. „Dann kannst du Sesshoumaru-sama auch gleich die Neuigkeit überbringen. Immerhin bist du im Auftrag seines Vaters, ich meine, oyakata-samas unterwegs, da wird es schon nicht so schlimm werden. Was glaubst du, was er mit mir macht, wenn ich ihm erzähle, dass er eine Menschenfrau nicht nur im Bett seines Vaters vorfinden wird, sondern die auch noch mit Izayoi-sama ansprechen soll?“

„Sie lebt im Pavillon und er dürfte sie kaum zu Gesicht bekommen.“ Ach du je, in was hatte er sich da mit seiner Wahrheitsliebe hineingeritten? Sesshoumaru dürfte noch von zwei Wochen mit Väterchen Frost angespannt sein, wenn er sich nur an die etwas mühseligen Telefonate des Herrn mit dem überempfindlichen Schneegeist erinnerte, und würde nur nach einer Gelegenheit suchen diese Anspannung loszuwerden. Nun ja, er würde ihn nicht umbringen, aber schmerzhaft konnte das immer werden.

„Ja, genau, das erzähle du ihm!“ Jaken rieb sich über die Stirn. „Im schlimmsten Fall bringt er mich nämlich um und ich habe Gerüchte gehört, er können einen dann wiederbeleben, nur um einen ein zweites Mal umzubringen.“

„Glaub doch nicht alles, was du hörst, du dummer Kappa.“ Aber der kleine Floh war alles andere als begeistert, dass die Legenden über das Schwert, dass der Herr in ferner Zukunft seinem Erben zugedacht hatte, bereits die Runde machten – ohne, dass dieser Unsinn stimmte. „Es ist deine Aufgabe das zu sagen, meine, ihn zu begleiten.“

„Myouga, lieber Myouga,“ verlegte sich der Kappa jetzt auf Raffinesse. „Wenn wir nun gar nichts sagen, passiert doch auch niemandem etwas, oder? Im schlimmsten Fall erfährt er es eben von oyakata-sama persönlich – und dem kann und wird er nichts tun.“

„Stimmt. Und willst du dann auch wissen, was anschließend mit uns passiert? Nicht ausgeführte Befehle sind eine Beleidigung für den Herrn!“

Ja, das war natürlich auch klar. Jaken seufzte. Im Zweifel bekamen sie es dann mit Vater und Sohn zu tun – es gab unter Garantie angenehmere Momente. „Wir warten einfach einen günstigen Augenblick ab.“

„Ja, das tun wir.“

Ausnahmsweise waren sich die Zwei einig.

 

Onigumo no Gumo nahm zufrieden in seinem Büro in der Bank Platz. „Komm schon her, Naraku. Es war ein guter Coup. Sogar das Fernsehen war da. Wir werden morgen sicher schon Anfragen erhalten.“

„Danke, Vater.“ Naraku setzte sich ihm gegenüber. „Interessenten werden sich etwas bedeckt halten, zunächst, meiner Meinung nach. Sie erwähnten ja durchaus das als Plan für die Zukunft. - Was mich daran erinnert, dass ich Ihnen meinen etwas riskanten Plan noch vorstellen möchte.“

„Stimmt.“ Onigumo lehnte sich zurück und verschränkte die Hände. „Nun, wie viel würde er bringen und wie riskant ist er.“

„Bringen bis zu zwei Millionen. - Und er ist kalkulierbar riskant, zumal ich ein Hanyou bin. Ich habe, als ich volljährig wurde, eine Lebensversicherung abgeschlossen. Das, was bislang eingezahlt wurde, kann ich zurückverlangen, wenn ein guter Grund besteht, zum Beispiel, wenn ich einen Unfall habe. Das Auto ist nur geleast und somit versichert, aber ich bräuchte dann ein neues. Oder so. Das geht dann die Unfallversicherung nichts an, ich habe dezent nachgefragt.“

„Du willst einen Unfall provozieren?“ Onigumo legte seine Finger gerade auf den Schreibtisch. „Das ist in der Tat riskant.“

„Ich habe einen Automechanikerkurs zum Selbstreparieren besucht. Natürlich verfüge ich über kein großartiges Wissen, aber ich weiß, wie man eine Bremse lockert. Ich habe mir auch eine Straße ausgesucht, deren Haarnadelkurven auf der einen Seite ziemlich in die Tiefe gehen. Ich müsste nur rechtzeitig aus dem Auto gelangen. Das sollte mir als Hanyou gelingen, zumal wenn ich mich nicht anschnalle. Ich hätte dazu nur eine Bitte an Sie. Ich bin diese Straße inzwischen vier Mal gefahren und glaube einen guten Punkt gefunden zu haben. Es ist aber natürlich deutlich schwieriger Ausschau zu halten, wenn man sich gründlich auf die Straße konzentrieren muss. Fahren Sie mich am Wochenende ein oder zwei Mal diese Straße, damit ich sicher gehen kann. Ich möchte mich ja nicht gerade umbringen.“ Zwei Pläne in einem, dachte er zufrieden. Sein bisheriger und sein neuer. Sie passten wunderbar zusammen.

„Das ist durchaus eine gute Eigenschaft von dir. Und du kannst dich ja auch kaum von jemandem anderen fahren lassen, ohne dass der später bei der Polizei plaudert, natürlich. Gut. Fahren wir am Sonntag. Hm, welchen Grund gibst du später für diese, deine, Unfallfahrt an?“

„Nervosität, verehrter Vater.“ Naraku lächelte sanft. „Sie haben in der Pressekonferenz ja angekündigt, dass ich die Bank allein leiten soll. Ich bin noch jung und fühlte mich dem nicht gewachsen. Entsprechend wollte ich einen Ausflug in die Berge machen, um mich zu beruhigen, bin jedoch so aufgeregt, dass ich einen Lenkfehler begehe. - Sie haben ja nichts davon gesagt, dass Sie mich noch weitere Jahre anleiten wollen.“

„Gut. Du bist wirklich clever.“

Naraku fragte sich unwillkürlich, ob sein Vater das am Sonntag Abend noch immer denken würde. „Oh, fast an der Kuppe, der Höhe, oder wie auch immer man das nennt, gibt es einen Parkplatz mit einem Aussichtspunkt. Halten wir da und ich werde Fotos machen, wenn es geht sogar ein Video, um sicher zu sein. Wie wäre es mit einem zweiten Frühstück? Ich besorge Boxen und … ja, warum nicht Cola. Das dürfte sehr nach einem Familienausflug aussehen. Alles ganz harmlos, selbst, wenn dann schon Leute dort sein sollten oder vorbeifahren.“

„Du bist sicher, dass du die Tür auch bei Fahrt aufbringst?“

„Auch das möchte ich am Sonntag in voller Fahrt versuchen. Meine bisherigen Versuche waren doch ein wenig ... schwierig.“ Allerdings erfolgreich, aber, wozu das erwähnen. Und er schien wirklich übernervös gewesen zu sein. Auf dem Weg zurück hatte er weder das Auto mit den zwei jungen Leuten noch ein anderes permanent hinter sich entdecken können, obwohl er einige Schleifen gefahren war. „Was planen Sie, Vater, wenn jetzt wirklich ein Angebot kommt? Verhandeln, um es hinauszuzögern?“

„Ja natürlich. Unsere Vorräte, ohne deines wirklich interessanten Plans wegen des Unfalls, haben ausgereicht alle Zinsen zu zahlen, ja, selbst die beiden kleinen Hypotheken auszulösen. Niemand kann etwas ahnen. In vier Wochen, wenn die nächsten Zahlungen fällig sind, werden auch einige Hypotheken für diese Bank eingehen, so dass ich erst einmal liquide bin. Man muss die Buchführung etwas kreativ gestalten und ich muss spekulieren. Das ist die Chance schnell über die Hebel eines Derivates an viel Geld zu kommen.“

Oder es zu verlieren, dachte Naraku. Aber die alte Kette war quasi das Tafelsilber – einmal verkauft würde es kein weiteres Geld abwerfen und auch nicht als Sicherheit dienen können. Fast siebzig Millionen, auf die er eigentlich überhaupt nicht verzichten wollte und konnte. Lieber das behalten und die neue Kette dezent auflösen, ohne Skandal, lautlos, dann die Bank sanieren, das wäre der Weg, den er sah. Vaters neue Spekulationen konnten das Unheil nur beschleunigen. Spielen gehörte an den Spieltisch – nicht in das wahre Leben. Nun gut, bis Sonntag konnte er sich jedenfalls noch einmal alles gut überlegen. Immerhin musste er jetzt nicht mehr mit Ryuukossusei spielen – der war zwar gestern auch im Club gewesen, hatte sogar mit dem Taishou geredet, aber sowohl der Drache als auch der Daiyoukai hatten für ihn kaum mehr als ein Kopfnicken übrig gehabt. Ausnahmsweise war Naraku froh um die wenige Beachtung gewesen. Bald schon würde sie ihn wieder kennen müssen, Hanyou hin oder her. Zumindest bei einem von ihnen war Izayoi der Hebel.

 
 

In der Holding

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Als der Inu no Taishou seine junge Gemahlin am Mittwoch Morgen im Pavillon abholte, stellte er fest, dass sie entweder über einen guten Geschmack verfügte oder Misako sie hervorragend beraten hatte. Ihr Kimono war eindeutig passend für eine Fürstengemahlin, aber sie trug nur zwei Lagen und ihre langen, dichten Haare als Schmuck, natürlich neben dem Diamantring, den er ihr zur Hochzeit gekauft hatte. Es ging ja ins Büro. Da sie ihn ein wenig besorgt ansah, nickte er bestätigend. „Sie sehen bezaubernd aus. Kommen Sie.“

Diesmal fuhr er nicht selbst, stellte Izayoi rasch fest, sondern mit Chauffeur. Ach ja, er hatte ja etwas von Fahrer und Leibwächter erwähnt, der sie auch begleiten sollte. Der Taishou stellte ihn ihr als Taro vor, und da er Hotaru, der Heilerin, ähnlich sah, vermutete sie auch in ihm einen Katzenyoukai. Sie stieg, da ihr die Tür hinter dem Beifahrersitz geöffnet wurde, auch dort ein, erkannte dann, dass ihr Ehemann neben ihr Platz nahm, während sich der Chauffeur vor die offenbar dicke Glasscheibe ans Steuer setzte. Sie war ein wenig überrascht, dass der Fürst hinten saß, aber natürlich, dort saß eigentlich stets der Ranghöchste im Auto. Dennoch zupfte sie unwillkürlich etwas an ihrem Kimono, um ihn nicht zu berühren. Das schickte sich doch bestimmt nicht, oder?

„Geben Sie sich keine Mühe, meine Liebe.“ Er schmunzelte. „Wenn Sie sich erinnern, kamen Sie mir schon deutlich näher.“

Sie wurde prompt rot. „Verzeihung, das … ich dachte, ich würde Sie belästigen.“ Sie sah lieber auf ihren Schoß. Ach, war das peinlich so getadelt zu werden.

Kaum, dachte er. Seit dem Waldspaziergang wünschte er sich, dass sie beträchtlich näher kommen würde, am Besten gleich ganz ohne Kleidung – aber da wartete wohl noch ein weiter Weg auf ihn. „Sie fallen mir weitaus lästiger, wenn Sie mich nicht ansehen. - Na also. Wir gehen in der Zentrale zum Lift, fahren dann in den sechzehnten Stock. In dem dortigen Besprechungsraum werde ich Ihnen Ihre Mitarbeiter vorstellen. Es handelt sich um acht Personen, drei Youkai und fünf Menschen. Danach überlasse ich Sie Ihren Gesprächen, was auch immer Sie dort wissen wollen. Eine junge Frau, deren Name mir nicht einfällt, ist die Zuständige für die Computer und soll dann auch Ihren Laptop im Schloss verbinden. Gegen halb eins werde ich Myouga zu Ihnen schicken, um Sie abzuholen. Ich habe einen Tisch in einem Restaurant in der Nähe reservieren lassen, das hauptsächlich von Youkai besucht wird.“

Sie starrte ihn überrascht an, plötzlich unbekümmert ob der Tatsache, dass seine Augen so goldfarben schimmerten. „Wenn ich fragen darf – Sie sagten doch, Sie würden nichts zu essen benötigen?“

„Ja. Aber zum Einen essen andere Youkai gern etwas, da sie es auch brauchen, zum Anderen möchte ich Ihnen gern Gesellschaft leisten.“ Mit einem winzigen Lächeln ergänzte er: „Das ziemt sich so für ein junges Ehepaar.“

„Ja, natürlich, ich denke schon.“ Ihr wurde allerdings ein wenig unheimlich bei der Vorstellung, dass sie essen sollte und er sie nur beobachtete. Nun ja, sie hatte auch im Wald allein gegessen und getrunken. Was wäre schon dabei? Nur, weil andere Personen, Youkai, in der Nähe waren? „Ich habe mich dann mit meinen Freundinnen gegen drei verabredet, in dem Café … oh, mir fällt der Name nicht ein. Es liegt gleich bei der U-Bahn-Station der Taishou-Holding, am Rande der Grünfläche. Ich dachte, da komme ich bestimmt in der Zeit hin.“

„Es heißt Ichigiku, nach den Feigenbäumen, die dort wachsen,“ erklärte er prompt zu ihrer Überraschung und schien erheitert, als sie ihn erneut anstarrte. Jedenfalls trat wieder dieser schelmische Funken in seine Augen. „Meine Liebe, der Park und alle Gaststätten dort gehören mir.“

Sie musste doch lächeln. „Ich sehe jetzt, wie reich ich geheiratet habe. Das Lokal, in das wir essen gehen, gehört Ihnen zufällig auch?“

„Nein.“ Sie lächelte und ihre Augen glitzerten im gleichen Amüsement. Das gefiel ihm viel besser als die Tränen des ersten Tages. „Es heißt Arashi. Es gehört vier Geschwistern mit Namen Toran, Karan und Shunran, dazu der Bruder Shuran. Sie werden vermutlich Toran kennenlernen, sie leitet den Service. Sie sind Panther, etwas anders als Taro hier, aber sehr menschlich, würde ich sagen.“

„Sie haben sie besiegt, wie alle Youkai?“

„In diesem Fall ihren Vater, zwei Mal. Überdies, meine Teure, man muss Youkai nicht immer im Kampf besiegen, um sie zu beherrschen.“

„Verzeihen Sie,“ bat sie sofort.

Er legte langsam seine Klaue auf ihre Hand, durchaus angetan, dass sie sie nicht fortzog. „Sie haben noch sehr viel zu lernen. Fragen Sie nur.“

 

Izayoi war sehr aufgeregt, als sie hinter dem Taishou den Besprechungsraum betrat, zumal sich die dort Anwesenden vor ihr verneigten. Nein. Nicht vor ihr, vor dem Konzernherrn. Aber sie wusste, dass der erste Eindruck oft zählte, und so bemühte sie sich ruhig zu wirken, als ihr die Menschen und Youkai vorgestellt wurden, möglichst sich auch alle Gesichter zu merken. Die Namen kannte sie aus den Akten. Mit ihnen alleingelassen, bat sie sie Platz zu nehmen und begann Fragen zu stellen, die sie beim Durchblättern der Ordner gefunden hatte – und die ihr ausführlich beantwortet wurden. Falls jemand überrascht war, wie gut sie sich eingelesen hatte, so zeigte es niemand, aber sie hatte das Gefühl, als Myouga sie abholte, dass sie sich ganz gut geschlagen hatte. Kawasaki-san würde am Freitag in das Schloss kommen und ihren Laptop mit den Computern des Konzern, bzw. der Abteilung hier verbinden und auch die Kalender auf den ihren umschalten.

Myouga hüpfte im Gang auf ihre Schulter. „Darf ich fragen, wie es Ihnen ergangen ist, Izayoi-sama?“

Sie stutzte. „Ich hoffe gut, Myouga-san. Wollen Sie das dem ... oyakata-sama mitteilen?“

„Es war eine rein persönliche Frage, Izayoi-sama. Es ist für Sie doch sicher das erste Mal,“ plusterte sich der kleine Flohgeist förmlich auf, seine Frage schon bereuend. Ach du je, wenn sie das dem Taishou erzählte, würde der ihn mindestens platt drücken. Zuviel Neugier schadete auch einem Berater. „Ich dachte, ich könnte Ihnen womöglich behilflich sein.“

„Danke, ich komme gern darauf zurück, wenn es nötig sein sollte.“ Ihr Lächeln milderte die Ablehnung. Sie war noch immer bemüht als stark und gelassen dazustehen.

Jahrhundertelange Erfahrung ließ das Myouga wissen. So sprang er lieber voraus: „Hier, die Tür, wenn Sie sie bitte öffnen würden? Das ist das Vorzimmer des Herrn, das menschliche. Die Leiterin ist Frau Suzuki.“

Izayoi war etwas verblüfft, dass es zwei Vorzimmer gab, öffnete jedoch. Die drei Frauen dort sahen sich rasch um, dann kam die Älteste auf sie zu und verneigte sich.

„Izayoi-sama, mein bescheidener Name ist Suzuki-san. Oyakata-sama erwartet Sie bereits. Wenn Sie mir bitte folgen würden?“ Die Chefsekretärin stellte für sich fest, dass die so überraschend aufgetauchte neue Herrin jung und durchaus hübsch war. Was jedoch faszinierend an ihr wirkte, war ihr unglaublich langes und dichtes Haar. Das zu pflegen musste ein Vermögen kosten und ungemein Zeit. Und sie besaß eine Tochter im Teenageralter, die an langen Haaren einen Narren gefressen hatte, allerdings nicht die Disziplin zu einer aufwendigen Pflege mitbrachte. Vermutlich, weil sie momentan für einen Youkai schwärmte, diesen Byakuya oder so ähnlich, irgendein Rockstar, der immer mit Origamikranichen um sich warf. Leider hatte ihre Tochter einen gefangen und bildete sich, wussten die Götter was, darauf ein. Aber selbst der Youkai konnte nicht mit dem Haar der neuen Fürstengefährtin mithalten. Sie öffnete die Tür. „Ihre Gemahlin, oyakata-sama.“ Zum stillen Vergnügen der Chefsekretärin erhob sich der Konzernherr unverzüglich und kam höflich hinter seinem Schreibtisch hervor, während Izayoi an ihr vorbei schritt. Noch während Frau Suzuki diplomatisch die schalldichte Tür von außen schloss, sah sie, dass sich die junge Dame tief verneigte, aufrichtete und nach drei Schritten erneut tief verbeugte. Altmodisch. Nun ja. Der Herr war eben ein Youkai.

 

Den Taishou bekümmerte es nicht, was eine Sekretärin dachte, zumal, als bei der zweiten Verneigung Izayoi anscheinend so bemüht war, alles richtig zu machen, dass sie sich zu tief verbeugte. Nun, jedenfalls soweit, dass ihre Haare rechts und links über ihre Schultern flossen und ihren weißen Nacken entblößten. Ein ungemein atemberaubender Anblick bei einer in einem Kimono bis zum Hals verhüllten Frau, dachte er nur, und stand ohne nachzudenken hinter ihr.

Sie richtete sich eilig auf, besorgt, ob sie etwa einen Fehler gemacht hatte, als sie seine Hände leicht auf den Schultern spürte.

„Bitte, bewegen Sie sich nicht.“

Sie gehorchte, seltsam angerührt, dass er bat statt zu befehlen. Was war nur los? Seine Finger strichen ihre Arme hinab, berührten leicht die ihren, etwas, das ihr ein seltsames Kribbeln im Bauch verursachte, das sie noch nie empfunden hatte, nicht einmal, als er ihr Handgelenk geküsst hatte.

Oh ihr Götter, dachte sie dann nur, als sie seine Lippen warm und weich, behutsam, auf ihrem Nacken spürte. Was war nur mit ihr los? Warum wurde ihr so heiß? Und wieso hatte sie plötzlich das unbestimmte Bedürfnis sich an ihn lehnen zu wollen? Seine Finger umschlossen noch immer sanft die ihren, dabei die Kimonoärmel etwas empor schiebend, aber sie konnte jetzt auch fühlen, dass sich seine Daumen in zarten Kreisen auf den Innenseiten ihrer Handgelenke bewegten. Sie wurde glühend rot, ihr war viel zu heiß. Was war nur los? So hatte sie noch nie jemand berührt! War das Youkaiart? Aber wieso reagierte ihr Körper so … fremd? Seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie niemand mehr auch nur angefasst, sah man von ihrer Lehrerin ab, wenn die ihr den Kimono abzog oder ihr erklärte, wie sie den Fächer zu halten hatte. „Bitte, nicht, Taishou ...“ flüsterte sie irgendwie.

 

Er gab sie unverzüglich frei und wich lieber einige Schritte zurück. War das jetzt zu viel gewesen? Aber wie sollte man sich als Mann mit gesunden Instinkten da noch mehr zurückhalten können? Bei der eigenen Ehefrau? Sie drehte sich zu ihm um, die Hände an ihre Brust gepresst, als müsse sie ihr viel zu schnell schlagendes Herz beruhigen. Er hatte es rasen gehört, auch ihren veränderten Atem wahrgenommen, aber er hoffte, erst jetzt, nicht aus Angst. Ihre Augen starrten ihn vollkommen verwirrt an.

Plötzlich begriff er. Sie war nicht nur noch Jungfrau, sie hatte wohl auch in der menschlichen Schule keinerlei Erfahrungen mit den Jungen gemacht, keine heimlichen Küsse ausgetauscht. Ihr Körper war absolut unberührt – wie auch ihre Herz. Und er war dabei beides zu erwecken. Er sollte wahrlich behutsam sein, um nicht das Reine, das er hier in Händen hielt, zu zerstören. Es war mehr als gut gewesen sich auf sie und den langsamen Weg einzulassen. „Ich danke Ihnen,“ sagte er schlicht. „Sie sind eine bezaubernde junge Frau, meine Liebe. - Ich hoffe, Sie haben das, was Sie sicher als Prüfung empfanden, gut hinter sich gebracht?“

Unwillkürlich ordnete sie ihr Haar. „Ja, ich denke schon.“ Ihr Nacken, ihre Handgelenke schienen zu prickeln und in ihrem Bauch tanzten Schmetterlinge. Nun ja, so hatte es in Liebesgeschichten geheißen, die sie gelesen hatte, in den Liebesfilmen, die sie gesehen hatte, aber es so zu spüren war doch etwas anderes. War sie etwa dabei sich in ihren Ehemann zu verlieben? In einen Daiyoukai? Er sah sie so seltsam an … „Wenn wir dann essen gehen könnten? Ich habe Durst,“ suchte sie abzulenken.

„Natürlich. Kommen Sie nur.“ Alles in allem würden die nächsten Tage eine harte Prüfung für seine Selbstbeherrschung darstellen. Nun gut, er sollte sich mit ihrer Familie ablenken. Onigumo in die Knie zu zwingen würde immerhin etwas amüsant werden.

 

Ablenkung war leichter gesagt als getan, erkannte er, als er ihr in dem Lokal gegenübersaß. Die Tische waren hier zwar japanisch im Stil, wie auch die gesamten Einrichtung, aber dennoch so, dass sich westliche Touristen hier wohl fühlen konnten. Die Pantherdamen hatten ihr Talent und ihre Phantasie in diese Einrichtung gesteckt, alle Jahrzehnte neu. Bei Toran hatte die Arbeit mit den Kunden ein wenig das ihr im Charakter liegende, eisige, abgeschliffen, aber ganz würde es nie vergehen, wie ihm schon einige der Lieferanten bestätigt hatten.

Bei ihrem Eintritt hatten die Blicke so einiger Männer beider Arten Izayoi gegolten, ehe sie gesehen hatten, wer ihr Begleiter war, und eilig sich lieber irgendeiner anderen Tätigkeit gewidmet hatten. Das schmeichelte natürlich seiner männlichen Eitelkeit in jeder Beziehung. Ihr so langes, so dichtes, Haar, wie es kein Mensch oder selbst Youkai sonst trug … es musste herrlich sein die Nase, die Hände, darin zu vergraben.

Izayoi bemerkte, dass er sie nicht aus den Augen ließ, und wurde etwas verlegen. „Habe ich etwas falsch gemacht?“ fragte sie dann doch. Hatte er oben in seinem Büro eine andere Reaktion erwartet, als dieses Stillstehen und ihn gewähren lassen? Machten das Youkai anders? Zum ersten Mal musterte sie in Ruhe sein Gesicht. Ja, da waren diese seltsamen Zeichen an den Wangen, die ebenso wie die bernsteinfarbenen Augen deutlich zeigten, dass er kein Mensch war. Aber, täuschte sie sich, oder befanden sich an den Wangenknochen Spuren kleiner, weißer, lange verheilter Narben, die man durchaus Kratzern zuschreiben konnten? Waren das Youkaidamen gewesen? War sie ihm zu brav, zu sanft, zu unerfahren?

Sie sah ihn ohne Furcht an, dachte der Taishou fast sehnsuchtsvoll, aber es ziemte sich gewiss eine Antwort. „Nein, Sie haben gar nichts falsch gemacht, wie kommen Sie darauf? Ich habe mich nur gerade gefragt, ob Ihre Mutter auch solch wundervolle Haare hatte. Ich sah kein Foto von ihr.“

„Oh, ich hätte eines in ... im Pavillon. Ich habe es mitgenommen.“ Wundervolle Haare. Er machte schon wieder ein Kompliment. „Nein, meine Mutter hatte nicht solche dicken Haare, sie waren viel seidiger und feiner. Obwohl ich ihr sonst recht ähnlich sehe, sagen die Leute.“

Hm. Von Onigumo hatte sie sie gewiss auch nicht. Das war wirklich eine ungewöhnliche Zierde. „Shunran.“

Eine junge Dame in einem weißen Yukata war herangekommen, mit kurzen roten Haaren. Sie neigte höflich den Kopf. „Oyakata-sama. Ich vermute, Sie wünschen nicht zu speisen, aber vielleicht Ihre … Gefährtin?“

„Meine Gemahlin wünscht,“ korrigierte er den Irrtum lieber sofort. Die Pantherin neigte dazu mit allem herauszuplatzen. Wie unangenehm für Izayoi für seine Geliebte gehalten zu werden. „Ich möchte ein Glas Wasser.“

„Natürlich.“ Die junge Pantheryoukai bemühte sich nicht zu erkennen zu geben, wie überrascht sie war. Natürlich war der Inu no Taishou als Menschenfreund bekannt, er hatte diese Verträge geschlossen, aber gleich jemand aus dieser Art zu heiraten? Dahinter steckte bestimmt eine wunderbare Geschichte. Vielleicht konnte sie die junge Dame zum Reden bringen? Ihre Schwestern würden sie dafür lieben. Aber sie legte nur die Speisekarte vor. „Empfehlung heute wäre unsere Fischplatte, Sardellen, Aal, Muscheln – kein Kugelfisch, keine Sorge, obwohl mein Bruder das auch beherrscht. Vielleicht als Vorspeise eine Ramen?“

Izayoi blickte ein wenig verunsichert auf die Karte, ehe sie sich an dem orientierte, von dem sie wusste, dass sie es auch anständig essen konnte. Sie wollte sich schließlich nicht blamieren. „Ja, gern, Ramen als Vorspeise.“ Nudelsuppe hatte sie wahrlich oft genug gegessen. „Und Yakitori.“ Gegrillte Hühnchenspieße kannte sie auch. Dazu würde es natürlich Reis geben. „Keine Nachspeise, danke. Dazu ebenfalls Wasser.“ Das war sicher nicht falsch. Und auch nur einen Schluck Alkohol zu trinken wäre unschicklich, wenn ER das nicht tat. Überdies hatte sie keine Ahnung wie sie Sake vertrug. Als Shunran samt der Karte verschwunden war, sah sie vorsichtig auf – und begegnete einem Lächeln, das ihr einen warmen Schauder über den Rücken jagte. Was sollte das? „Ich … habe ich etwas falsch gemacht?“

Er wurde ein wenig aus einem hübschen Traum gerissen. „Nein. Ich bekam nur gerade den Eindruck, dass Sie noch nicht oft in Ihrem Leben in einem Restaurant waren. Oder zumindest, sich Ihre Speisen selbst aussuchen konnten.“

„Nur in der Schule,“ gab sie zu. „Aber da waren wir dann an einem Kiosk oder ich war mit Freundinnen in einem Café.“

„Wie nachher. - Dazu noch etwas. Ich werde Sie dorthin begleiten, aber keine Sorge, Sie auch dort verlassen. Taro wird allerdings vor dem Café mit dem Auto auf Sie warten und Sie nach Hause bringen. Und das ist keine Kontrolle, sondern dient Ihrer Sicherheit. Im Unterschied zu mir könnten Sie sich gegen einen lästigen Taschendieb nicht zur Wehr setzen. Von anderen Narren ganz zu schweigen.“

„Ja, ich weiß, danke.“ Sie überlegte unwillkürlich, was ein Mann wie ein Daiyoukai mit einem menschlichen Taschendieb anstellen konnte. Nun, er würde es nicht tun, da gab es schließlich die Verträge, die er ausgehandelt hatte, aber nur so rein theoretisch …? Nun, er würde es nicht tun, und sie sollte die seltene Gelegenheit der Zweisamkeit nutzen. „Gehen Sie manchmal auch auf Reisen, ins Ausland? Ihr Sohn ist momentan ja weg?“

„Ja, zu beidem. Aber selten. Nur, wenn es sich im wahrsten Sinne des Wortes um Staatsaffären handelt. Für den Konzern genügen heutzutage ja Videokonferenzen und dieses überaus praktische Internet. - Soll ich Ihnen auch eine Frage beantworten, die Sie mir vermutlich nie stellen würden?“ Da sie ihn halb fragend, halb neugierig anblickte: „Sie haben doch sicher gehört, dass ich noch eine Ehefrau besitze, Sesshoumarus Mutter. Nach menschlichem Recht wären wir längst geschieden, nach dem Recht der Youkai ist es unmöglich. Man kann nur, wie nennen es Menschen, getrennt von Tisch und Bett leben. Sie lebt in meiner Heimat in einem Schloss, umgeben von Dienerinnen und Kriegern als Schutz, wie es ihr eigener Wunsch war.“

„Sie haben gesagt, Sie würden Ihre Frau immer beschützen und für sie sorgen,“ flüsterte Izayoi, die sich an das Gespräch nach der Trauung erinnerte.

„Ja. Das halte ich. Der genaue Grund für unsere Trennung – nun, den möchte ich Ihnen nicht nennen.“

„Natürlich nicht.“ Sie war fast erschrocken. Das Leben des Taishou vor seiner Ehe mit ihr ging sie nichts an – und ehrlich gesagt, hatte es sie vermutlich nicht einmal etwas anzugehen, wenn er sich anderweitig amüsierte. „Haben Sie denn viele Schlösser?“

„Einige, zugegeben. Wenn Sie bedenken, dass ich früher oft herumgekommen bin in Japan und auch genügend Leute vor Ort brauchte? Das ist heute doch alles viel bequemer, sei es mit dem Flugzeug oder dem Shinkansen.“

Ihr versagte ein wenig die Phantasie sich diesen Mann in einem Schnellzug vorzustellen, aber das lag sicher nur an ihrer menschlichen Begrenztheit. Er konnte ja auch Auto fahren. So lächelte sie etwas. „Danke, also werden Sie doch meist abends bei mir sein? Ich meine, natürlich, in Ihrem Schloss hier.“ Wie unhöflich von ihr ihm vorzuschreiben, wo er sich aufzuhalten habe.

Wieder zuckte ein Lächeln um seinen Mund, diesmal verursacht durch die einfache Freude daran willkommen zu sein. „Wenn Sie es wünschen, kann ich Sie auch öfter aufsuchen. Und, wie schon erwähnt, falls Sie es wünschen, können Sie auch jederzeit in das Schloss ziehen. Wenn Sie Youkai nicht mehr schrecken.“

„Immer weniger. Sie waren auch alle stets sehr höflich zu mir,“ beteuerte sie eilig. „An das Aussehen einiger muss ich mich eben erst gewöhnen. Im Schlosspark bin ich beim Spazieren neulich arg erschrocken, aber es hat ihm sehr leid getan. Er kam gerade aus einem Brunnen, er hatte ihn geputzt und mich und Akiko nicht bemerkt. Er sah wie ein Aal aus.“

Ach, deswegen hatte sie heute keinen Appetit auf Meeraal. Ja, Anago gehörte zu dieser Sorte, war aber einiges größer und ein Youkai, der für die unterirdischen Wasserleitungen verantwortlich war. Im Brunnen hatte er sie kaum bemerken können. Nun gut, sie schien es auch nicht weiter tragisch genommen zu haben, so konnte er sich den Tadel für den immer fleißigen Anago sparen. „Er ist schon alt, Sie wären überrascht, wie viele Kinder er hat.“

„Ja? Ich dachte, Kinder sind bei Youkai viel seltener als bei Menschen.“

„Das ist wahr. Schon aufgrund der langen Lebensspanne, die uns zugemessen ist. Jedes Kind, das geboren wird, ist wichtig und ein Grund zur Freude. Möchten Sie einmal welche kennenlernen?“

„Oh ja, gern.“

Sie kam immer näher, dachte der Taishou zufrieden. Morgen würde er sich um ihren Vater kümmern.

 
 

Donnerstag


 

A

ls der Taishou Izayoi vor dem Café mit einem leichten Kopfnicken verabschiedete, bemerkte er sehr wohl die neugierigen Blicke dreier junger Damen, zumeist im Kimono, eine in einem modernen Ensemble, die ihm folgten. Das mussten also Izayois Freundinnen sein. Ein Stück weiter entdeckte er seinen Wagen und trat näher. Die Scheibe wurde heruntergelassen. „Du hast die Drei, Taro?“

„Ja, sie gingen alle mit Izayoi-sama in eine Klasse, alle Töchter von Fürsten oder Großindustriellen und auch entsprechend verheiratet. Von links nach rechts: Michiko ist mit Takeo Watanabe verheiratet, der Familie gehören einige Industriekomplexe. Maiko mit Fürst Yoshio Arai, und Nyoko mit Seichi Taiki, dem Chef der Chemiewerke gleichen Namens. Sie wurden alle mit Wägen gebracht, deren Fahrer am U-Bahnhof stehen und sich unterhalten.“ Sie kannten sich eindeutig.

„Fürst Arai dürfte deutlich älter als seine Frau sein.“

„Ja, oyakata-sama. Seichi Taiki ist ebenfalls etwas älter, Takeo ungefähr gleich. Soll ich weiter recherchieren?“

„Nein. Pass mir nur auf meine Gemahlin auf.“

Taro schwieg. Ihm war klar, wenn dieser Menschenfrau etwas zustieß, würde ihm der Herr einen ehrenhaften Selbstmord verbieten und ihn eigenhändig und sehr langsam filetieren.

 

Izayoi wurde lebhaft begrüßt – und die drei jungen Damen bewiesen, dass sie sie hatten kommen sehen. „Das ist also der Taishou, der Daiyoukai-Milliardär?“ erkundigte sich Maiko. „Ich hätte nicht gedacht, dass er einen Anzug trägt. Ist er gar nicht so altmodisch, wie man von Youkai sagt? Aber du trägst Kimono?“

„Ja,“ gab Izayoi zu. „Vater wollte es ja so und er mag es auch.“ Sie lächelte. „Ich fürchte nur, es ist nicht viel anders als bei euch.“ Sie sollte behutsam sein. Nyoko hatte es mit ihrem Mann nicht leicht, soweit sie wusste. Ihre Freundin hatte gestanden, dass sie den ersten Jahrestag ihrer Hochzeit von morgens bis abends in Tränen verbracht hatte. Sie alle hatten den Verdacht, dass Seichi Taiki auch handgreiflich wurde, aber das war etwas, mit dem eine junge Frau leben musste, das war ihnen allen anerzogen worden. Dafür konnten sie sich mit ihrer hohen gesellschaftlichen Stellung und dem Reichtum in einer praktisch unauflösbaren Ehe einigermaßen schadlos halten. Am Besten hatte es Michiko getroffen – der Erbe der Watanabes trug sie förmlich auf Händen, und seit sie ihm gesagt hatte, dass sie ein Kind erwarte, selbst ihr oft missmutiger Schwiegervater. „Ich meine, ich weiß sehr viel nicht, das Leben der Youkai ist doch anders, aber er ist nachsichtig, wenn ich fragen muss. Umgekehrt hat er mir heute die gesamten sozialen Projekte übertragen.“

„Das ist auch bei Menschen die Pflicht einer Fürstin,“ sagte Maiko prompt. „Hast du schon deinen Stiefsohn kennengelernt?“

„Äh, nein, er kommt er am Freitag zurück.“ Ach ja, Maiko hatte zwei kleine Stieftöchter aus der ersten Ehe des Fürsten, die mehr als gut erzogen und brav waren – sie gab sich Mühe, dass sie in eine gewöhnliche Schule gehen sollten, wie sie selbst, aber ihr Ehemann war dagegen. Aber das war auch der einzige Punkt, an dem sich Maiko über ihren doch fast zwanzig Jahre älteren Gatten beschwerte. Zumeist schätzte sie an ihm seine Ruhe und seine Bereitschaft seine Gemahlin zu behüten. Das kam ihr irgendwie bekannt vor, dachte Izayoi plötzlich, ergänzte jedoch: „Er ist ja schon erwachsen und auf einer Geschäftsreise.“

„Oh, kein kleiner Welpe?“ Maiko klang hörbar enttäuscht.

„Erzähle doch mal, wie sieht es im Schloss eines Dämonenfürsten aus?“ erkundigte sich Nyoko.

„Ich lebe in einer Villa daneben, dem Jade-Pavillon, momentan, damit ich mich an die ganzen Youkai gewöhne. Sie sehen manchmal schon andersartig aus. Aber ich habe eine Zofe und eine Hofdame, stellt euch das mal vor ... Und viele Mitarbeiter.“ Izayoi beschloss ihren Freundinnen alles zu erzählen, was nicht eindeutig unter privat fiel – und was den Taishou nicht in Verlegenheit bringen würde.

 

Erst um halb sechs trennten sich die Freundinnen, mit Izayois Einladung sich das doch einmal selbst ansehen zu sollen. Natürlich mussten sie alle mit ihren Ehemännern reden, ihre eigenen Termine betrachten, aber sie waren zu neugierig um nicht zuzusagen. Im Vorbeigehen musterten sie alle Taro, der, in altmodischer Kleidung, Haori und Hakama, aber immerhin ohne Rüstung, ausstieg, und den hinteren Schlag für seine junge Herrin öffnete.

„Ein Youkai,“ hauchte Nyoko fasziniert und starrte den scheinbar kaum Dreißigjährigen an.

„Ja, Katzenyoukai. - Danke, Taro. - Bis demnächst.“ Izayoi stieg rasch ein. Jetzt fiel ihr auf, dass, als sich der Chauffeur setzte, nicht nur die Zwischenscheibe zu den Passagiersitzen hochgefahren wurde, sondern auch die Türen leise knackten. Sie klopfte an die Scheibe. Taro drehte den Zündschlüssel, wandte jedoch den Kopf und deutete auf eine Stelle. Sie entdeckte eine Gegensprechanlage und drückte den Knopf.

„Sie haben die Türen verriegelt?“

„Ja, Izayoi-sama. Es gibt bedauerlicherweise Diebe, die an Ampeln Kofferraum oder den Fond rasch öffnen und Taschen oder Koffer stehlen wollen. Menschen und auch Kitsune. Natürlich wagen sie es nicht, wenn oyakata-sama oder Sesshoumaru-sama im Wagen sitzen.“

„Danke.“ Sie ließ los. Im ersten Schreck hatte sie sich gefangen gefühlt, aber es diente wohl wirklich nur ihrer Sicherheit. Bei anderen Treffen hatte sie ja Vaters Fahrer gebracht und abgeholt, aber der hatte an so etwas nicht gedacht.

 
 

Am Donnerstag Morgen galt das vordringlichste Interesse des Herrn der Hunde der Gumo-Bank und deren beiden Ketten. Kiyoshi und Kouga waren gekommen, dazu mit Hibana die Youkaidame, die mit einem menschlichen Partner den eigentlichen Informationsdienst leitete, was neben politischen Missionen durchaus auch Wirtschaftsspionage beinhaltete. Der Inu no Taishou wollte diesen Plan lieber möglichst ausschließlich unter Youkai halten.

„Wie viel sind die jeweiligen Ketten der Gumo-Bank wert?“ begann er schlicht.

„Die alte Kette siebzig Millionen, abzüglich einiger Verpflichtungen, sagen wir um die sechzig,“ erwiderte der Herr der Kitsune sofort, nahm jedoch einen Zettel zur Hand. „Nach allem, was wir wissen, ist das der insgesamt solideste Teil, der Teil, der Geld abwirft, sogar soviel, um die Bank und die neue Kette seit zwei Jahren mit zu unterstützen. Sie zu kaufen wäre eine echte Investition. Es sollten sich bald Angebote finden lassen. Sie, oyakata-sama, besitzen Schulden der Gumos im Wert von 20 Millionen, die sich darauf sicher anrechnen lassen. - Die neue Kette beträgt, nach dem Wert der Büros und vermutlich der Kundenkarteien, an die fünfzig. Allerdings sind die Bücher sehr schwer einzusehen und nach allem, was zu finden war, liegen fast dreißig Millionen Schulden darauf, von denen Ihnen zehn gehören. Ihre anderen Zehn lauten direkt auf Verpfändungen der Bank und deren Grundstücke. Ich würde Ihnen vorschlagen, auf die alte Kette dreißig zu bieten, plus den Verzicht auf die anderen Schulden. Damit hat Onigumo genug Geld um seine Bank retten zu können und Sie eine vernünftige Investition. Auf die neue Kette würde ich persönlich keinen Ryuu setzen, sie wurde zu schnell zu groß aufgezogen.“

„Die Schulden, die die neue Kette bei mir hat, sind also praktisch wertlos, wenn man nicht an die Grundstücke kommt.“ Der Taishou, der mit Youkai auch in der japanischen Ecke kniete, stemmte die Hände auf die Oberschenkel und drückte etwas das Kreuz durch. „Wie amüsant.“

Kouga wollte schon etwas sagen, aber er hatte durchaus aus dem kleinen Vorfall vor einigen Tagen gelernt und blickte stattdessen fragend zu Kiyoshi. Der Fuchs sah allerdings nur auf den Taishou, als erwarte er eine Erleuchtung. Wieso fand der Herr es amüsant, fast zehn Millionen in den Sand gesetzt zu haben? Oder, Moment mal … das war die neue Kette, die gar nicht zum Verkauf stand, oder?

Der Taishou meinte langsam: „Kiyoshi, die zehn Millionen Schulden der neuen Kette bei mir sind doch einstweilen durch Gewerbeimmobilien abgedeckt.“

„Ja, wobei die alte Kette oft die gesamten Häuser besitzt und vermietet hat, bei der neuen Kette es sich um einzelne Büros handelt.“

„Gut. Schreiben Sie im Namen der Holding an Onigumo und erklären Sie alle diese Gelder für fällig. Er hat sechs Wochen zur Rückzahlung oder Umschuldung.“

„Damit ist die neue Kette pleite,“ entfuhr es Kouga, trotz aller guten Vorsätze, zuckte dann unter dem Blick des Herrn der Hunde zusammen, der allerdings sachlich fortfuhr:

„Gleichzeitig, Kiyoshi, bieten Sie ihm für die alte Kette, inklusive der Übernahme von deren Schulden, dreißig.“ Viel Spaß, Onigumo, dachte er. In sechs Wochen konnte der Bankier die zehn Millionen nur zurückzahlen, wenn er bis dahin die alte Kette verkauft hatte. Er konnte unmöglich einem Bieter Einblick in die Unterlagen der neuen Kette geben, oder sogar der Bank, ohne als Fälscher und Betrüger dazustehen. Und so viele Bieter würde es in dieser Zeit nun auch nicht geben. Gelang den Gumos die Umschuldung, wie vorauszusehen, nicht und zahlten sie die zehn Millionen nicht fristgerecht, zuzüglich zu den laufenden Zinsen, natürlich, würde seine Holding die Zwangsversteigerung der Immobilien der neuen Kette einleiten. Damit wäre allen klar, dass Onigumo pleite war – und die Bank würde die Zulassung verlieren. Das würden die beiden Gumos unter allen Umständen verhindern wollen. Mal sehen, was denen dazu einfiel.

„Verzeihung, oyakata-sama,“ murmelte Hibana mit einer tiefen Verneigung.

„Weißt du mehr als ich?“ Leise Kritik und doch die Aufforderung zum Sprechen.

„Ich bitte oyakata-sama zu bedenken, dass es sich um die Familie Ihrer Gemahlin handelt ...“

„Du hast vollkommen recht, Hibana. Es handelt sich um die Familie meiner Gemahlin.“

Auf diese eisige Replik gab es nur eine tiefe Verneigung der drei Youkai.

 

Um halb fünf schritt Izayoi, gefolgt von ihren beiden Dienerinnen, langsam zum Teegarten. Sie hatte, gefühlt, stundenlang, mit Misako im Ankleideraum gestanden und eine hoffentlich passende Garderobe ausgewählt. Leichter war es geworden, als Akiko dazugestoßen war, und ihnen erzählt hatte, das Rot die Familienfarbe des Herrn sei. So trug die junge Dame jetzt einen oberen weißen Seidenkimono, der an Schultern, Handgelenken und unteren Saum mit roter Seite eng bestickt war, in die kunstvoll weiße Blumen eingearbeitet worden waren. Alle Menschenfrauen mussten neidlos zugeben, dass die Spinnenyoukai ihr Handwerk mehr als verstanden. Es sah einfach perfekt aus. Izayoi trug ihr Haare offen, Obi und Kissen waren passend zu ihrem Kimono ausgesucht. Die Farben waren akkurat dieselben und auch die Stickerei auf dem Kissen ähnelte mehr als sonst etwas der auf ihren Schultern. Sie war aufgeregt und hoffte, sie würde ihren Ehemann keine Schande machen, wenn sie vor gleich vier Gästen, die auch noch hochrangige Youkai waren, die Teezeremonie durchführen sollte. Sie hatte das so noch nie getan, nur immer gelernt.

„Izayoi-sama,“ flüsterte Akiko, dann, als die Hausherrin etwas den Kopf wandte: „Mir ist gerade eingefallen, dass die Herren wohl nach der Tradition ihre Schuhe ausziehen. Starren Sie sie nicht an. Füße von Youkai sehen manchmal anders aus ... Oh, Verzeihung, natürlich ist das Ihnen bewusst.“

Nein, war es nicht gewesen, dachte Izayoi, aber dazu sollte sie nichts sagen. Sie hatte ihren Ehemann noch nie anders als vollkommen korrekt bekleidet gesehen. Aber die Warnung war sicher gut. Menschen, die Youkai neugierig anstarrten, waren bestimmt kaum akzeptabel, und auf eine Strafe, weil sie ihren Ehemann vor seinen Gästen das Gesicht verlieren ließ, konnte sie wahrlich verzichten. Hoffentlich war die Zeremonie auch so, wie sie es gelernt hatte, da gab es ja verschiedene Schulen.

War sie etwa zu spät? Sie erschrak, als sie den Inu no Taishou schon vor dem Garten auf sich zukommen sah, verneigte sich jedoch eilig - betont zeremoniell. Aus den Augenwinkeln konnte sie sehen, dass Misako und Akiko dasselbe taten.

„Sie sind sehr pünktlich, meine Liebe,“ sagte der Hausherr und verriet damit, dass er ihre Besorgnis ahnte. „Ich wollte Ihnen nur noch eine Kleinigkeit mitteilen. Meine Gäste befinden sich bereits auf dem Gartenpfad und spazieren dort hin und her. Im Unterschied zu einer menschlichen Zeremonie gibt es kein leichtes Essen, kein kaiseki. Wir beginnen augenblicklich mit dem Tee. Entsprechend entfällt auch der Gang der Gäste zurück in den Warteraum. Beginnen Sie also mit der Zeremonie unverzüglich, sobald der letzte Gast die Tür hinter sich schließt.“

„Vielen Dank für den Hinweis,“ erwiderte sie, wirklich erleichtert. „Sind die Utensilien bereits aufgebaut?“

„Einige ja, und das Kohlebecken ist beheizt. Die Übrigen bringen Sie aus dem Vorbereitungsraum.“

„Ja, das weiß ich, danke.“

„Ein Unterschied noch: reichen Sie die Teeschale zunächst mir, ich gebe sie weiter, dann die nächste, bis alle Gäste versorgt sind und ich ebenso. Danach verneigen Sie sich schweigend und gehen.“

„Ich danke Ihnen für diese Hinweise.“ Das war schon ein bisschen anders als sie es gelernt hatte, aber das musste sie sich eben merken. Und, sie war ihm sehr dankbar, dass er ihr das noch sagte. Sicher, es ging um seine Ehre, aber er hätte sie auch mehr oder weniger in die Falle tappen lassen können.

„Kommen Sie, meine Liebe.“ Er bot seiner Ehefrau die Klaue, während ein Blick die beiden Dienerinnen streifte. „Es genügt, wenn eine von euch hier auf Izayoi-sama wartet.“

 

Als sie um ein Gebüsch bogen, erkannte Izayoi, dass jenseits des kleinen Baches, in dem Garten direkt um das Teehaus drei Gestalten wandelten. Eine Vierte befand sich in dem kleinen offenen Pavillon, anhand der hoch aufragenden acht Schwänze schloss sie auf einen Fuchsdämon, einen Kitsune. Einer schien ein Hundeartiger zu sein, aber das hatte sie nichts anzugehen. Es waren Gäste dieses Hauses, ihres Ehemannes. So neigte sie lieber den Kopf und achtete darauf, wohin sie ihre Füße setzte, möglichst elegant. Immerhin schienen die Gäste alle mehr oder weniger in Menschenform. Neben den Schwänzen des Kitsune glaubte sie allerdings auch bei einem der Anderen ein derartiges Anhängsel gesehen zu haben. Hm. Waren die Fellteile, die der Taishou trug, etwa auch Schwänze? Hatte sie auf seinem Schwanz geschlafen? Nein, das konnte nicht sein, die Anderen trugen diese Anhängsel da, wo sie hingehörten, nicht an den Schultern. Was aber nur war das dann? Irgendwann müsste sie ihn doch einmal fragen. Natürlich nicht jetzt und vor den Gästen, die sich dem näher kommenden Paar höflich zuwandten.

Der Inu no Taishou gab Izayois Hand frei. „Ich darf Ihnen, meine Verehrten, meine Gemahlin Izayoi vorstellen, die für uns heute die Teezeremonie durchführen wird.“ Die junge Menschenfrau

verneigte sich vorsorglich tief. Schließlich waren das hochgestellte Männer. Ihre Verbeugung wurde erwidert, wenngleich kürzer, ehe der Hausherr fortfuhr: „Gehen Sie nur, meine Liebe.“

Sie neigte den Kopf diesmal deutlich nur vor ihm, ehe sie zum Eingang des Teehauses ging und dort ihre Getas abstreifte. Bevor sie durch den Kriecheingang hineinglitt, warf sie noch einen flüchtigen Blick zurück, in der Hoffnung, dass es nicht auffallen würde. Tatsächlich, so wie sie es gelernt hatte, füllte der Taishou soeben selbst Wasser aus einem bereitstehenden Krug in ein steinernes Bassin, damit die Gäste sich Hände und Mund waschen konnten, eine symbolische Geste, um nichts Unreines mit in das Teehaus zu bringen. Dann würde er wohl gleich ebenfalls hereinkommen. Sie sollte sich beeilen.

Das Kohlenfeuer brannte, auch diverse Utensilien waren bereits in der passenden Reihenfolge hingestellt worden. Damit war auch klar, wo ihr Platz wäre. Sie vermutete aufgrund der Anweisung ihres Ehemannes, dass sie ihm die Schalen reichen sollte, dass er ihr gegenüber Platz nehmen würde. Es standen auch bereits fünf ineinander gestapelte Teeschalen an der Stelle, an der gewöhnlich die einzige war. Ganz schienen sich Youkai doch nicht an das menschliche Zeremoniell zu halten. Aber da gab es wohl auch wieder andere Sitten und Regeln.

Das Frischwasssergefäß und der eiserne Wasserkessel, die Teedose, alles war da. Sie ging hinüber in den Vorbereitungsraum und schob das Seidentuch in ihren Obi. So, jetzt noch Bambuslöffel und Teebesen, dann war sie fast fertig. Nur noch die Utensilien dann, in Gegenwart der Gäste, noch perfekt anordnen, um sowohl pragmatische als auch elegante Bewegungen zu ermöglichen. Sie ahnte mehr als sie es sah, dass der Hausherr gekommen war und ihr praktisch jenseits der Wand gegenüberstand, dann hörte sie den fünfmaligen Gongschlag, der die Gäste in das Teehaus lud. Obwohl sie gespannt lauschte, vernahm sie keine Schritte, glaubte nur die Seidenkleidung der vornehmen Herren rascheln zu hören. Allerdings wurde die Tür auch für sie deutlich hörbar geschlossen, das Zeichen, dass sie nun die restlichen Utensilien in den Hauptraum bringen konnte.

 

Die Herren saßen, wie sie bereits vermutet hatte, im Kniesitz auf der anderen Seite des Kohlebeckens, der Taishou in der Mitte. Sie nahm Platz und legte alles noch einmal bereit, ehe sie dem Wassergefäß den Schöpflöffel und den Untersetzer entnahm und beides links neben das Kohlebecken platzierte. Wie sie es gelernt hatte, konzentrierte sie sich noch einmal, ehe sie sich vor den Gästen verbeugte und mit der Zeremonie begann.

Fast hätte sie in ihrer Aufregung vergessen auch den Bambusbesen mit dem Seidentuch zu reinigen, aber ihr fiel es gerade noch rechtzeitig ein, so dass sie die Handlung mit den gleichen ruhigen und gesitteten Bewegungen durchführen konnte, sich immer bewusst, dass die fünf Männer jeder Fingerbewegung folgten – und eine solche Sache sicher nicht zum ersten Mal sahen.

 

Bald war es geschafft, dachte sie, als sie die Teedose nahm, öffnete und den Deckel vor ihrem rechten Knie ablegte. Der Bambuslöffel, jetzt den pulverisieren Matcha in die Teeschale geben, jetzt das Wasser hinzu – nur noch mit dem Bambusbesen umrühren. Ja, die erste Schale war fertig.

Sie nahm die Teeschale und reichte sie, wie es ihr gesagt worden war, ihrem Ehemann, der sie mit einer Verbeugung annahm und seinem Nachbarn zur Rechten, dem Kitsune, anbot. Zu ihrer Überraschung lehnte der nicht ab, wie es unter Menschen üblich gewesen wäre, sondern nahm die Schale und reichte sie an seinen eigenen Nachbarn weiter. Sie blickte etwas irritiert zum Taishou, denn eigentlich sollte die leere Schale ihr zurückgereicht werden, sie die reinigen und den nächsten Tee bereiten, aber er deutete mit den Augen auf die restlichen ineinander gestapelten Teeschalen. Ach ja, sie sollte ja gehen, wenn alle Herren ihren Tee hatten.

So bereitete sie die weiteren Schalen zu, bis auch der Gastgeber als letztes seine Schale in der Hand hielt.

Wenigstens hielten sich die Youkai soweit an menschliche Sitten, das die gesamte Zeit Schweigen herrschte. Ebenfalls ohne ein Wort zu sagen, neigte der Inu no Taishou ein wenig den Kopf vor seiner Gemahlin. Izayoi fasste das zu Recht als Verabschiedung auf und erhob sich, verbeugte sich noch einmal vor den Herren, ehe sie in gebückter Haltung mehr aus dem Teehaus rutschte als ging.

Das schien sie ja gut hinbekommen zu haben, dachte sie erleichtert. Aber jetzt war sie reif für eine Dusche.

 

Das sagte sie auch zu Akiko, die sie jenseits der Brücke erwartete. „Ich war sehr aufgeregt.“

„Nun, wer wäre das nicht. So ranghohe Youkai!“

„Kennst du sie?“

„Der Kitsune ist Kiyoshi-sama, er ist der Finanzchef der Holding. Und der alte Wolf heißt Kouga. Nein, das ist der Enkel … Mir fällt der Name gerade nicht ein. Er lebt im Norden, in den Bergen, samt seinen Leuten. Viele davon dienen als Krieger hier. Auch Frauen. Die Anderen habe ich noch nie gesehen. Wurden Sie Ihnen denn nicht vorgestellt?“

„Nein. Und während der Teezeremonie schweigt man ja.“

„Sehen Sie, das habe ich gar nicht gewusst. Was haben Sie, Izayoi-sama?“

„Ach, ich meine, die Dusche ist schön und praktisch, gerade mit meinen Haaren, aber ein richtiges Bad wäre auch einmal was.“

„Das sollte kein Problem sein. Im Schloss gibt es ein Bad, das nur für die Familie vorgesehen ist. Da können Sie gewiss baden. Oyakata-sama sagt ja, bis auf seine Zimmer und die Sesshoumaru-samas haben Sie Zutritt zu allen Räumen im Schloss. Es gibt drüben, bei den Wohnungen der Menschen auch eines und eines für die Youkai – aber das wird oft nicht so getrennt, gerade bei Familien.“

„Ja, das klingt gut. Erkundige dich. Aber zuerst einmal dusche ich und ziehe mich um.“

 
 

Familiärer Zwischenfall


 

N

araku kam nach einem kleinen Umweg am Freitag Morgen in das Büro. Auf die Nachricht, dass sein Vater ihn unverzüglich zu sprechen wünsche, erwiderte er: „Ich komme sofort.“ Da war doch schon wieder etwas schief gelaufen? Nur, was? Er nahm zur Vorsorge jedoch die Packung mit den Schlaftabletten aus seinem Schreibtisch, ehe er sich auf den Weg machte.

„Vater?“

„Wo zur Hölle warst du?“ knurrte Onigumo und warf Blätter Papier verächtlich auf seinen Schreibtisch. „Hier. Er muss verrückt geworden sein!“

„Ich war beim Arzt, Vater.“ Naraku nahm Platz. „Mir machen meine dauernden Kopfschmerzen Sorgen. - Er? Der Taishou?“ Überflüssige Frage, dachte er, schließlich trug jedes der Papiere das Logo der Taishou-Holding – ein stilisierter Hund. Aber er sollte ja auf seinen Vater eingehen. So nahm er das oberste Blatt. „Zehn Millionen?“ Das war mehr als eine Menge Geld, die da zurückgefordert wurden. „Und das ist legal?“

„Das ist es. Dieser Misthund!“ Onigumo knirschte förmlich mit den Zähnen. „Und das ist noch nicht alles!“

Naraku griff nach den nächsten Blättern, ein mehr als unangenehmes Gefühl im Magen. Hatte er sich nicht schon gedacht, dass der Taishou es absolut nicht schätzte erpresst zu werden und auf eine Revanche lauerte? Ein Kaufangebot für die alte Kette ... „Das Angebot ist nachgerade lächerlich. Er muss doch wissen, was das wert ist.“

„Oh, er weiß es. Nur zu gut. - Und er weiß, dass ich niemandem die Bücher der neuen Kette zeigen kann. Er hat verdammt gute Informationen.“ Onigumo atmete tief durch. „Zwei Millionen bringt dein riskanter Plan, sagtest du?“

„Sicher, womöglich mehr, aber das kann ich nicht garantieren.“ Je nachdem, wie sehr die Versicherung ermittelte. „Man könnte Izayoi bitten ...“

„Bist du verrückt? Ein Mann, der solch ein Angebot schicken lässt, wird sich doch nicht von einem hübschen Gesicht ablenken lassen. Der Hund will uns fertig machen!“

Sie, Vater, dachte Naraku prompt. Aber es stimmte natürlich. Dieser Doppelschlag war wohl kalkuliert. Und immerhin hatte sich der Herr der Hunde dieses Vergnügen einige Millionen kosten lassen. Davon würde der sich nie ablenken lassen. „Die zwei Millionen werden kaum reichen.“

„Nein, ein Tropfen auf den heißen Stein, das ist mir bewusst. Aber wenn ich sie ihm zahle, sofort, kommen vielleicht andere, vernünftigere, Angebote. Dann gelte ich ja als zahlungsfähig.“

Naraku dachte an die Versicherungspolice. „Ja, wohl. - Zehn. Wieso genau dieser Betrag?“

„Keine Ahnung. Ich habe die Finanzabteilung auf die Suche geschickt, was er noch alles hat. Bei dem Wirrwarr an Firmen, die die Taishou-Holding kontrolliert, kann das so ziemlich jeder Gläubiger sein.“ Onigumo atmete tief durch. „Wenn er so aggressiv ist, hätte er das doch an Izayoi auslassen können.“

Naraku schwieg lieber. Zehn Millionen und ein eigentlich zu vernachlässigendes Angebot – und ein kluger Plan. Wenn die Zehn nicht bezahlt werden konnten, würde die finanzielle Schieflage der Gumo-Bank offen liegen. Um das zu verhindern, musste man das erstbeste Angebot zu dem Verkauf der alten Kette annehmen. Und der Taishou bekäme das Sahnestück ihrer … Vaters Firmen, für nicht einmal die Hälfte des Wertes. Es sei denn, in den nächsten Wochen konnte man die zehn Millionen bezahlen oder bekam ein deutlich höheres Angebot für die „alte Kette“. Schön, also die zehn Millionen. Er lächelte verbindlich. „Vater, ich sehe keinen anderen Weg, als zunächst einmal diesen Unfall durchzuziehen. Ich würde darum bitten, dass Sie am Sonntag um neun mit mir in die Berge fahren. Und ein kleines Picknick einnehmen.“

Immerhin konnte er sich auf seinen Sohn verlassen. „Ja, es ist wohl wirklich Zeit.“

 

Als Sesshoumaru sich im matten Licht der winterlichen Mittagssonne in die Autositze fallen ließ, tat er es mit ungewohntem Nachdruck. Dann erst erkannte er, dass nicht nur Jaken, sondern auch Vaters so genannter Berater ihn vom Flughafen abholten, und fixierte den kleinen Flohgeist neben sich. „Myouga.“ Der hatte doch sicher noch eine Anweisung Vaters für ihn. Hoffentlich keine besondere. Er wollte nur noch nach Hause!

„Willkommen in Japan, Sesshoumaru-sama,“ betonte der kleine Flohgeist und warf dem Kappa, der sich auf den Vordersitz hockte, einen giftigen Blick zu. Natürlich hatte dieser Feigling nichts erwähnt! „Äh, oyakata-sama lässt Sie anweisen in die Zentrale zu kommen, er wünscht umgehend Bericht.“

Der jugendliche Inuyoukai seufzte nur innerlich. Das hatte er sich ja denken können. „Der Fahrer weiß Bescheid.“ Der bog ja auch schon entsprechend ab. Aber natürlich würde Vaters Befehl jede seiner eigenen Anweisungen übertrumpfen.

„Ja, Sesshoumaru-sama. Äh, Sie sollten, ehe Sie in das Schloss fahren, noch eine Kleinigkeit wissen ...“ Myouga versuchte vergeblich sich mit zwei Händen den Schweiß von der Stirn zu wischen. DAS würde er diesem Kappa heimzahlen. „Äh, ehe ich es vergesse, im Jade-Pavillon wohnt momentan eine junge Dame.“

Sesshoumaru wandte ihm den Blick zu. Vater hatte durchaus ab und an flüchtige Liebschaften, aber eigentlich quartierte der die jeweilige Youkai nicht in seinem Schloss ein. Nun gut, den Pavillon betrat er nicht und würde ihn auch nicht betreten. Immerhin deutete das auf keine ernste Sache hin, wenn Vater sie da draußen ließ. Welche Youkai könnte auch Mutter ersetzen. „Noch etwas?“

Myouga zog sich seiner Meinung nach elegant aus der Affäre. „Ich denke, oyakata-sama wird Sie von allem anderen in Kenntnis setzen, was Sie wissen sollen.“

Hm. Andererseits – was sollte in zwei Wochen schon so Wichtiges passiert sein. „Dieser … Tere ...?“

„Takazen? Er ist gesund.“

Schön, dann war das ja wohl in Ordnung und Vater hatte keinen Grund ihm weiter zu zürnen. Nicht noch einmal vierzehn Tage in diesem Schneepalast mit Väterchen Frost und seiner reizenden Enkeltochter! Väterchen Frost! Ha! Der Kerl war aufbrausend wie ein Schlammvulkan. Das Einzige, das ihn selbst davor bewahrt hatte eingefroren zu werden, war die Zuneigung gewesen, die dieses „Schneeflöckchen“ von ihm haben wollte. Jeder Kuss, jede streichelnde Geste schützte ihn und ließ die Verhandlungen weitergehen. Was für ein Hundeleben! Er wollte nur noch heiß baden und dann ausruhen. Aber natürlich hatte Vater das Recht zuvor seinen Bericht und die Unterlagen zu verlangen.

 

Im Büro erwartete der Herr der Hunde seinen Sprössling in der japanischen Ecke. Als Sesshoumaru sich verneigt und niedergekniet hatte, meinte er nur: „Ich vermute, deine Verhandlungen waren erfolgreich.“

„Ja, verehrter Vater. Hier, die Unterlagen.“ Nein, nur nicht erwähnen wie mühselig das gewesen war. Das würde ja ihm und seinen Fähigkeiten kein gutes Zeugnis ausstellen. Aber an dem kaum wahrnehmbaren Lächeln seines Vaters konnte er sehen, dass der Bescheid wusste. Nun ja, der hatte ja wohl schon einige Telefonate mit diesem Schneemann geführt. „Sie hatten wie immer Recht. Väterchen Frost ist nicht sonderlich langmütig.“

„Du hattest Erfolg. - Es wird dich übrigens freuen, dass sowohl Takazen als auch ein unabhängiger Zeuge bestätigten, dass du ihn im Affekt verletzt hast, nachdem du schwer beleidigt wurdest. Du wirst um eine Anzeige herumkommen, aber selbstverständlich Schmerzensgeld zahlen müssen.“ Ein privatrechtliches Verfahren würde beileibe nicht so viel Staub aufwirbeln wie ein Strafprozess. Einige neue Schlagzeilen auf einer hinteren Seite.

Sesshoumaru senkte höflich und in gewisser Weise beruhigt den Kopf. Natürlich hatte Vater das hingebogen, er bog immer alles hin.

„Ich vermute, dass du dich etwas entspannen möchtest. Fahre ins Schloss. Oh, hat dir Myouga gesagt ...“

Ach ja, das. „Er erwähnte, dass Ihre derzeitige Bettgenossin im Pavillon wohnt.“ Im nächsten Moment wünschte sich der Jugendliche irgendwohin, zur Not in ein Eisbett mit Schneeflöckchen, denn sein Vater sah ihn ausdruckslos an. Und, das war das Schlimmste, dessen Youki war überhaupt nicht mehr zu spüren. Das bedeutete in aller Regel, dass der Daiyoukai sich nur noch mit Mühe bezähmen konnte mit seiner Energie nicht die Hochhausetage abzureißen. Kurz, er war mehr als erbost. Was war nur los?

 

Der Taishou hob ein wenig die Rechte und betrachtete einige Sekunden sein Handgelenk, ehe er langsam das weiße Hemd auf den Millimeter korrekt aus dem Anzugärmel zupfte. „Ich möchte dich auf einige Dinge aufmerksam machen, mein Sohn.“ Das klang eisig wie Stahl unter Polarlicht. „Die junge Dame, die es bevorzugt momentan im Pavillon zu leben statt im Schloss, ist meine Gemahlin. Ihr Name ist Izayoi und sie ist ein Mensch. Ich habe sie geheiratet, damit ich die Aussagen zu deinen Gunsten erhielt, auch sie heiratete mich nicht aus freien Stücken. Wir beide gehen mit dieser Tatsache mit gegenseitigem Respekt um. Sollte es irgendeinen Grund geben, dass sie weint, werde ich allerdings jede einzelne ihrer Tränen zählen und den Urheber zur Rechenschaft ziehen. Hast du mich verstanden?“

Myouga war fällig! Wieso hatte der gesagt … Aber Sesshoumaru wusste, was von ihm erwartet wurde. „Ich habe Sie verstanden, verehrter Vater. Sie brauchen mich nicht mehr zu überzeugen.“

 

Sesshoumaru dachte noch immer mit gewissem Grimm an Myouga, als er in den Badezimmertrakt des Schlosses schritt. Wirklich, wie hatte dieser Narr verschweigen können, dass es sich nicht um eine x-beliebige Youkai, sondern die menschliche Ehefrau des Inu no Taishou handelte? Vater neigte sowieso dazu, den Frauen, die auch nur vorübergehend seine Huld besaßen, einiges durchgehen zu lassen. Gemahlinnen waren aber noch einmal eindeutig eine andere Kategorie. Und zu allem Überfluss sah er selbst sich gezwungen das mehr als zu tolerieren. Vaters Äußerung, dass diese Ehe nur dadurch zustande gekommen war, dass er ihn, seinen Sohn, vor einem Skandal und Ärgerem retten musste … Auweia. Und überhaupt, wieso hatte dieser dämliche Jaken, seines Zeichens sein Sekretär, ihn nicht gewarnt? Vater war allemal wegen der Aktion im Billionaire nicht gut auf ihn zu sprechen gewesen, die Tatsache, dass der einen Menschen heiraten musste, hatte dessen Laune sicher kaum gehoben – aber, das gab der Jugendliche zu, Vater war konsequent. Er würde seine, wenn auch lästige, Angetraute schützen, gleich, gegen wen. Die Aussage, er würde jeden, der sie kränke, zur Verantwortung ziehen, war keine leere Drohung. Das gab es bei keinem Dämonenfürsten und erst recht nicht bei Vater. Das war ein Versprechen.

Myouga oder Jaken sollten ihm nur unter die Finger kommen! Die Narren wussten schon, warum sie seit Stunden unsichtbar waren!

 

Er zog sich aus. Endlich zuhause, endlich sich aufwärmen. Diese Eiswüste, samt deren Bewohnern, war ihm mehr als auf die Nerven gegangen. Nun gut, Vater hatte sich mehr als bemüht ihm hierzulande alle Probleme vom Hals zu nehmen – der sah das vermutlich höchstens so, dass sie quitt waren. Jedenfalls war er selber Schneeflöckchen los und Vater hatte dieses Menschenweib noch immer.

Wie auch immer. Mit gewissem Selbstmitleid ging der junge Inuyoukai einen Raum weiter und wusch sich ab, wunderte sich nur ein wenig über die Tatsache, dass er einen Stoß Handtücher auf den warmen Steinen entdeckte. Hatte da jemand tatsächlich mitgedacht, dass er gleich baden wollte?

Hinter ihm ging die Tür auf und er wandte den Kopf, erstaunt, dass zwei menschliche Dienerinnen eintraten.

Die Eine starrte ihn förmlich an, die Andere schaffte es gerade noch etikettegerecht den Kopf zu senken und hervor zu pressen: „Sesshoumaru-sama!“

Die alte Schachtel dagegen rannte an ihm vorbei und stellte sich vor die Tür in das eigentliche Bad. „Sie können jetzt nicht baden!“ erklärte sie.

Das war zu viel, beschloss der unbekleidete Jugendliche und ging auf sie zu. Nur ein Narr wäre stehen geblieben oder jemand, der auf Schmerzen stand. Diese alte Frau breitete einfach die Arme aus.

„Misako!“ kreischte die zweite Frau auf, als eine Handbewegung Sesshoumarus die so Genannte gegen die Seitenwand fliegen ließ. „Oh ihr Götter! Nein, Sesshoumaru-sama, Sie dürfen nicht ...“ Akiko, die auf ihre Kollegin zulief, brach ab, als sie bemerkte, dass der Sohn des Hauses bereits in das dampfende Badezimmer schritt – und den jähen Aufschrei ihrer Herrin hörte.

 

Izayoi hatte beschlossen sich wirklich ein warmes Bad im Schloss zu genehmigen. Der Pavillon verfügte ja nur über eine Dusche. Der Taishou würde erst abends eintreffen und, obwohl sie wusste, dass Sesshoumaru auch heute wieder zurück käme, vermutete sie doch, dass er, so als Youkai, weder Schlaf noch Bad benötigte und überdies zuerst zu seinem Vater wollte. So hatte sie sich um zwei Uhr in das Becken begeben.

Sie rechnete mit allem, als die Tür aufging, aber nicht mit einem jungen, splitterfasernackten, Youkai, mit einer Art Boa um die Schulter, der bei ihrem Anblick erstarrte. Instinktiv quietschte sie förmlich auf, riss die Arme vor die Brust und warf sich herum um ihre Stirn gegen den Beckenrand zu lehnen. „Bitte, gehen Sie!“ Sie hoffte, dass ihre Haare lang genug waren, um selbst so im Wasser ihr wenigstens von hinten einigermaßen Sichtschutz zu gewähren.

 

DAS. WAR. NICHT. SEIN. TAG.

Sesshoumaru war klug genug um zu wissen, wer da als Mensch einfach so im Bad der Familie liegen durfte, jetzt auch zu erkennen, was die zwei menschlichen Dienerinnen bedeuteten und die angewärmten Handtücher. Wie sollte er das seinem verehrten Vater auch nur einigermaßen erklären? Genauer, würde der ihm auch nur noch zuhören, wenn sich dieses offenkundig hysterische Weibsstück bei ihm beschwerte? Wie kam er selbst jetzt wieder hier heraus, ohne … Nein, daran wollte er nicht einmal denken.

Seine Mutter hatte zu ihm bei einem seiner, durchaus seltenen, Besuche gesagt, wenngleich auch in Bezug auf sich selbst, Vater sei sehr auf seine Ehre bedacht, weil das auch ein Teil seiner Herrschaft sei. Jemand, der sich an seine Frau heranmache, decke die Blöße des Fürsten auf – das sei praktisch gleich zu setzen mit Hochverrat. Dann konnte der Schuldige von Glück reden, wenn der Kopf sofort auf dem Silbertablett landete und er nicht zuvor jeden Knochen einzeln im Leib gebrochen bekäme oder noch Ärgeres.

Irgendwie fand er seine Selbstbeherrschung zurück. „Ich bitte um Entschuldigung, Izayoi-sama, mir sagte niemand, dass Sie Ihr Bad genießen.“ Das sollte doch erst einmal doch reichen. So zog er sich zurück und schloss die Tür. Ohne die beiden Frauen zu beachten, von denen Eine die Andere im Arm hielt, wickelte er sich erst einmal ein Handtuch um, ehe er sagte: „Du solltest Hotaru kommen lassen.“

„Ja, Sesshoumaru-sama.“ Akiko war heilfroh, dass sie beschwören könnte, der junge Herr habe das Bad nicht betreten, sondern sei in der Tür stehen geblieben. Es handelte sich wohl um ein Missverständnis, keine Provokation, aber sie wusste von ihrem Ehemann genug über Youkai, um zu wissen, dass das, Erbprinz hin oder her, mit Strafen bis hin zum Tod geahndet werden konnte. Aber sie kannte auch ihre Pflicht.

 

So fand der Inu no Taishou, als er in das Schloss kam, vor dem Eingang einen menschlichen Diener vor, der sich tief vor ihm verneigte.

„Nachricht von Izayoi-sama?“ fragte er prompt.

„Äh, nein, von Akiko, ihrer Hofdame. Wenn oyakata-sama die Güte besitzen würde in den Pavillon zu gelangen ...“

Zur unbedingten Erleichterung des Mannes drehte der Herr des Hauses nur ab und ging besorgt durch den Park. War SIE etwa krank geworden? Akiko neigte sich tief, als der Daiyoukai eintrat und mit einem Blick erkannte, dass sie allein war. „Wo ist die Zofe?“ Nur in die Küche geschickt oder gar zum Arzt?

„Wir mussten Misako-san leider in das Krankenhaus bringen lassen,“ murmelte sie mehr als sie berichtete. „Sie hat sich wohl mehrere Rippen gebrochen. Das soll geröntgt werden.“

Wenn sich die alte Dienerin verletzt hatte und seine Ehefrau nicht anwesend war … Sein Youki wallte auf. „Was geschah mit meiner Frau?“

„Nichts, oyakata-sama. Es war nur ein Missverständnis. Dass Sesshoumaru-sama ...“ Akiko brach lieber ab, da sie erkannte, dass die rechte Klaue gehoben wurde.

„Wo ist meine Gemahlin?“ Was zur Hölle hatte sein Sohn schon wieder angestellt? Ein menschlicher Geschäftspartner hatte ihm in einem uninteressanten Gespräch mal dessen Leid mit Teenager-Söhnen geklagt, aber der seine war schließlich Jahrhunderte alt!

Akiko erkannte den sich anbahnenden Irrtum. „In ihrem Schlafzimmer, oyakata-sama. Gesund und munter. Wir hoffen auf einen baldigen Anruf des Krankenhauses, wie es Misako geht.“

Immerhin war Izayoi unversehrt. „Gut. Bericht.“ Auf direkte Fragen bekam man leider immer nur auch direkte Antworten.

Akiko tat wie geheißen, wenn auch in dem unsicheren Gefühl zwischen Pest und Cholera zu stecken. Der Erbe des Hauses würde es kaum gut heißen, würde sein Fehler ausgeplaudert – andererseits: das war der Fürst und der Ehemann ihrer Schutzbefohlenen. So beteuerte sie auch ehrlich, dass Sesshoumaru auf der Schwelle stehen geblieben war, so weit sie gehört hatte, sich entschuldigt hatte, und unverzüglich mit der Anweisung Hotaru zu holen gegangen war.

 

Sesshoumaru wartete unterdessen vor dem Arbeitszimmer des Taishou hier im Schloss. Er hatte sich gesetzt, um nicht zufällig vorbeigehenden Leuten seine Besorgnis zu verraten. Das sah nicht gut aus, und zwar für ihn. Er hatte Vater mit seiner unangemessenen Reaktion im Billionaire bereits verärgert, ja, den praktisch dazu gezwungen, zu seiner Rettung eine menschliche Ehefrau zu nehmen. Das war garantiert nicht dadurch verbessert worden, dass er in Unkenntnis des wahren Status diese zuvor als seine Gespielin bezeichnet hatte. Jetzt ebendiese aber auch noch im Bad zu überfallen, war … Nun ja. Vater milderte seine Urteile meist, wenn ein Geständnis erfolgte, und er hoffte doch schwer, dass das jetzt auch für ihn galt. Irgendetwas würde als Bestrafung kommen, da war er allerdings sicher.

Vater!

Er verneigte sich eilig, wenngleich mit einem unangenehmen Gefühl in der Magengegend, als der Taishou vor ihm stehen blieb.

„Du hast mir etwas zu erzählen?“

Ach du je. Er wusste es schon. Und was würde Vater jetzt von seiner Selbstbeherrschung und Fähigkeiten halten? „Es gab einen Zwischenfall, den ich bedauere.“ Hatte er dieses Wort wirklich ausgesprochen? „Ich kam hierher und wollte ins Bad gehen. Leider war niemand vor Ort und so ging ich … zugegeben unbekleidet, in den Waschraum und dann in das Bad. Da erst wollten mich zwei Menschenfrauen belästigen“ Wie sollte er das so sagen, dass es eben KEIN Geständnis wurde? Und doch wieder eins, um die Strafe zu mildern? „In gewisser Missdeutung der Situation schob ich die Frau, die sich vor die Tür stellte, beiseite. Erst dann, als ich die Tür öffnete, erkannte ich, dass das Bad bereits belegt war, und die alte … ich meine, die Hofdame, Grund zu ihrer Reaktion hatte. Ich entschuldigte mich bei Izayoi-sama und zog mich wieder an, nicht, ohne der unverletzten Hofdame zu sagen, sie solle Hotaru rufen.“ Er versuchte aufzusehen, nun ja, zu schielen, aber das Gesicht des erfahrenen Feldherrn war undeutbar wie eh und je.

„Nun, dann komm mit.“

Diesem unmissverständlichen Befehl hatte er nichts entgegenzusetzen. „Ja, verehrter Vater.“
 

Väter und Söhne


 

I

zayoi hatte sich in ihr Schlafzimmer zurückgezogen. Sie machte sich Sorgen um Misako - ihre Zofe war bislang wirklich nett gewesen – und sie hatte keine Ahnung, wie sehr die ältere Frau verletzt worden war. Zum Anderen allerdings fand sie sich in einem so seltsamen Widerspruch wieder, dass sie sich nicht Akikos Augen aussetzen wollte.

Ja, das war Sesshoumaru gewesen, der Sohn ihres Ehemannes, ein junger Inuyoukai, vermutlich kaum erwachsen. Aber das, was sie in dem letzten, einzigen, panischen Blick auf ihn hatte erhaschen können, war, dass er so unbekleidet perfekt erschien. Vermutlich würde ein Mensch nie so aussehen können. Und trotz all ihrer Unerfahrenheit – dank Halbbruder, Biologieunterricht und Internet war sie überzeugt, dass ein männlicher Inuyoukai in Menschenform nicht anders aussah als ein menschlicher Mann. Sie hatte sich vollkommen sinnlos gefürchtet, und unbenommen der ganzen unangenehmen Lage war sie fast froh, dass das so geklärt war. Sie musste nur eigenartigerweise daran denken, wie sich die Klaue, nein, die Hand des Taishou angefühlt hatte, als sie ihre Wange hineingelegt hatte, wie sie auf seinen so seltsamen Fellteilen geschlafen hatte. Und doch sorgte sie sich gleichzeitig um Misako und betrachtete immer wieder das Handy.

Andererseits wusste sie auch genug von den althergebrachten Sitten und Gebräuchen um nicht zu verstehen, dass ein solcher Zwischenfall auch für sie Ärger bedeuten konnte, gerade in der so strikten Youkai-Gesellschaft. Immerhin hatte sie ihre beiden Dienerinnen dabei gehabt, zumindest Akiko würde bezeugen können, was geschehen war, ja, hatte dies auch schon getan, während sie selbst sich im Bad umgezogen hatte, und ...

Die äußere Tür!

 

Akiko warf sich lieber unverzüglich flach vorwärts, als sie sah, dass der Inu no Taishou diesmal mit seinem Sohn hinter sich eintrat. Das konnte Ärger geben. Für sie, für die arme, junge, Herrin. Sie wusste genug von Youkai, um nicht zu wissen, dass Strafen wie einst bei Menschen im Mittelalter verhängt wurden. Schnell und des Öfteren grausam. Aber sie würde nicht zugunsten des Erben lügen. Erstens würde das der Fürst unverzüglich mitbekommen, und die Götter wussten, was dann auf sie wartete, zum Anderen: Izayoi-sama sollte doch nicht für einen Fehler büßen müssen, den dieser Jugendliche … den dieser dumme Hund veranstaltet hatte! Und sie selbst hatte doch bislang nur die reine Wahrheit gesagt!

 

„Warte dort.“

Die Hand des Taishou deutete auf die Tatamimatte vor dem jetzt kalten Tischofen und sein Sohn gehorchte eilig, wohlweislich einen Meter entfernt, da er annahm, der Herr der Hunde würde sich ebenfalls dort hin setzen wollen, und so den Höflichkeitsabstand wahrend. Es gab keinen Grund Vater noch mehr zu erzürnen. Sogar dieser Mensch von Hofdame hatte das verstanden, denn sie lag nur mit ausgestreckten Fingern auf dem Bauch, ohne sich zu rühren. Das änderte sich schlagartig bei dem nächsten Satz des Daiyoukai.

„Akiko, hole meine Gemahlin.“

 

Oh du je, dachte Akiko nur, während sie diensteifrig gehorchte. Eine Gegenüberstellung, oder wie die Polizei das nannte? Aber, was sollte sie schon tun? So ging sie zur Schlafzimmertür und schob diese behutsam beiseite, erleichtert, dass die junge Dame mitdachte und sich soeben einen Yukata über das eigentliche Nachthemd streifte. „Wenn Sie bitte folgen wollen ... Oyakata-sama und Sesshoumaru-sama wünschen Sie zu sehen.“ Nur wenigstens eine kleine Warnung.

„Ja, natürlich.“ Izayoi wusste, dass sie von den Youkai draußen gehört wurde, und zog sich eilig den Gürtel um. „Bitte, bleibe neben dem Haustelefon, solange du keine anderen Befehle hast.“ Die in diesem Fall nur vom Hausherrn kommen würden. Sie schlüpfte barfüßig rasch in die Getas. Kaum eine korrekte Kleidung, aber das war ja wohl ein Familientreffen, hoffte sie. Sie ging hinaus. Vater und Sohn saßen bereits in dem respektgebotenen Abstand hintereinander vor dem Tischchen. So verneigte sie sich tief. „Guten Abend, oyakata-sama.“ Ob er ebenso perfekt und fast menschlich wie sein Sohn aussah? Überall? Und, wieso wurde ihr heiß bei diesem Gedanken?

Sie beachtete die Formalität in Gegenwart anderer, obwohl sie nervös war. Und da war etwas in ihren Augen, als sie ihn kurz angesehen hatte, was nie zuvor da gewesen war – etwas, das keine Angst verriet, eher, ja, Freude? Mehr als zufrieden hob der Herr der Hunde die Hand. „Nehmen Sie Platz, meine Liebe. - Mein Sohn, dessen Benehmen Sie in Ihrer Güte entschuldigen würden, wünscht etwas klar zu stellen.“

 

Mist, dachte der Jugendliche. Da gab es keinen Zweifel bei Vater, wer an was Schuld war. Was hatte diese dämliche Hofdame … Nun ja, sie hatte die Wahrheit gesagt. Aber das war ein Mensch! Eine Schuld zugeben zu müssen war schon gegenüber seinem eigenen Erzeuger, einem Daiyoukai, ungemein peinlich, aber auch noch gegenüber einem nichtswürdigen Geschöpf, das er mit einem Finger umbringen könnte? Mutter würde …

Nun ja, ehe er auch nur dazu käme zu Mutter zu gelangen, würde Vater ihn vor versammelter Mannschaft des jämmerlichsten Todes sterben lassen, den es je gab. Und Mutter würde ihrem Herrn und Gebieter vermutlich zum Lebensende ihres unfähigen Sohnes Blumen und eine untertänige Entschuldigung, dass sie so etwas produziert hatte, schicken. So gut kannte er seine Eltern. Mochte Vater auch nachsichtig wirken – wenn es um seine Ehre und seine Autorität, damit seine Herrschaft, ging, war jeder Spaß vorbei. Bei beiden.

So neigte Sesshoumaru den Kopf. „Wie ich Ihnen bereits sagte, Izayoi-sama, handelte es sich um einen unglücklichen Zufall, den ich bedauere. Es lag weder in meiner Absicht Sie zu beleidigen noch Ihr Bad zu unterbrechen.“ DAS würde er ihr irgendwann heimzahlen!

 

Izayoi lächelte ihren Ehemann an. Er hätte seinen Sohn bestrafen können, es aber nicht getan, ohne ihre Aussage abzuwarten. Das war sehr gerecht von ihm. Er war wirklich vornehm, in jeder Beziehung. So wandte sie sich mit einer Verneigung zu ihrem Stiefsohn. „Dessen bin ich mir vollkommen bewusst, Sesshoumaru-sama. Ich hätte diesen Vorfall auch bereits vergessen. Ich hoffe nur, dass meine Zofe diesen Zwischenfall ohne längerfristige Verletzung überstanden hat.“

Sie hatte ihn angelächelt, wie nie zuvor. So ehrlich, so erfreut, so … irgendwie neu. Der Taishou konnte nicht anders als sich geschmeichelt zu fühlen und beschloss die Strafe für seinen Sprössling zu verändern. Nein, da war von keinem der Beiden etwas anderes als Zufall im Spiel gewesen. „Mein Sohn wird sich ohne Zweifel bei Ihnen hier gern aufhalten, bis der Anruf aus dem Krankenhaus kommt. - Akiko, du bleibst hier bei den Beiden.“ Er erhob sich, ohne auf das gehorsame Kopfsenken der Drei im Raum weiter zu achten. „Und, Sesshoumaru – morgen um elf solltest du im Tal des Wasserfalls sein.“

„Ja, verehrter Vater.“ Auch das noch, dachte der Jugendliche. Möglicherweise jetzt Stunden mit menschlichen Weibern in einem Raum sitzen zu müssen – und am nächsten Vormittag wartete auf ihn ein Kampf in Hundeform. Natürlich würde der, wie immer, damit enden, das er demütigend auf dem Rücken liegend und schmerzhaft seine eigene Schnauze in der seines Vaters fand.

 

Izayoi zögerte einen Moment, durchaus unsicher, was das darstellen sollte. Die Hofdame bot ihrem Ruf und damit dem ihres Ehemannes Schutz, aber was sollte sie jetzt nur mit dem Sohn des Hauses anfangen? Sie kannte ihn nicht – und der Beginn ihrer Bekanntschaft war wohl auch bereits denkbar ungünstig verlaufen. Hoffte der Taishou etwa, dass sie sich so besser kennenlernen würden? Sie verstand wirklich nicht viel von Männern, aber sie hatte einen Bruder – und der war nach Tadel oder mehr seitens seines Vaters eher zornig gewesen auf alles und jeden als sich unterhalten zu wollen. Vielleicht sollte sie ihren Stiefsohn einfach sachlich auf den Informationsstand bringen. „Ich vermute es wird nicht mehr lange dauern, Sesshoumaru-sama. Das Krankenhaus sagte nur noch, dass Misako geröntgt werden muss, davon hängt es ab, ob sie nach Hause darf oder noch im Krankenhaus bleiben muss. Das war vor eineinhalb Stunden. Ich hoffe eigentlich jeden Augenblick auf den Anruf, dass sie abgeholt werden kann.“

Da waren sie zum ersten Mal einer Meinung, dachte Sesshoumaru. Je schneller er aus der Nähe dieser jämmerlichen Geschöpfe war, desto besser. Aber ohne diesen vermaledeiten Anruf konnte er morgen kaum seinem Vater gegenüber treten. Nun ja, nicht, ohne dass auf diesen, im Ergebnis vorhersehbaren und schmerzhaften, Kampf noch etwas folgte. Immerhin schien diese Izayoi etwas von Höflichkeit zu verstehen, denn sie schien nicht von ihm zu verlangen sie mit „Mutter“ anzusprechen. So zwang er sich zu der ehrlichen Antwort: „Ihre Hoffnung ist die meine.“

 

Dann herrschte Schweigen.

 

Akiko seufzte nur innerlich. Was bloß hatte sich der Daiyoukai dabei gedacht? Die Herrin konnte sich kaum mit ihr unterhalten, das wäre gegenüber dem Sohn des Hauses mehr als unhöflich. Zum Glück wusste das Izayoi-sama wohl auch. Und, dass der mit der offensichtlich angekündigten Bestrafung nicht sonderlich glücklich war, konnte sich jeder vorstellen. Sollte das hier etwa eine Ausdehnung seiner Sanktionierung sein, wenn er Izayoi gegenüber sitzen musste? Dann hatte der Fürst wohl übersehen, dass er auf diese Art seine Frau ebenso mit bestrafte, denn so schweigend einem grummelnden Teenager gegenüber zu knien und nichts sagen zu dürfen, war doch sicher auch sehr unangenehm für die junge Dame, die nun wahrlich an diesem Zwischenfall unschuldig war. Sie zuckte in der Stille förmlich zusammen, da das Telefon klingelte.

Es handelte sich allerdings um Izayois privates Mobilphon und so stand diese auf und eilte in ihr Schlafzimmer, wo sie es liegen gelassen hatte.

„Ja? - Misako! Was bin ich froh. Wie geht es dir?“

 

Immerhin lebte diese törichte alte Frau noch, dachte Sesshoumaru. Das war dann schon einmal deutlich besser. Jetzt musste sie nur noch nach Hause dürfen … Menschen waren einfach auch schrecklich zerbrechlich. Mit einer flüchtigen Handbewegung konnte man sie ins Jenseits befördern oder schon schwer verletzen. Hm. Wie schaffte es Vater eigentlich seine Ehefrau im Bett nicht aus Versehen umzubringen? Seine Selbstbeherrschung schien noch größer, als er selbst bislang immer angenommen hatte. Aber dazu würde er ihn sicher nicht befragen. Er stand sowieso schon am Rande einer lang dauernden Ungnade, das musste er nicht noch forcieren. Und immer nur wegen der Menschen! Nein. Er sollte lieber zuhören, statt sich selbst zu bemitleiden.

 

Izayoi kam in das Wohnzimmer zurück, das ausgeschaltete Handy in den Fingern. „Akiko, du kannst doch gewiss einen Fahrer in das Hospital schicken? Misako darf herkommen, aber ungefähr sechs Wochen nicht arbeiten. Drei Rippen sind gebrochen, aber da kann man nichts tun, die müssen von allein zusammen wachsen. Und Misako ist nicht mehr so jung, da dauert es wohl länger. Bis sie abgeholt werden kann, werden noch die Prellungen versorgt.“

„Ja, natürlich, Izayoi-sama, ich rufe den Fahrdienst an. Schön, dass es ihr besser geht.“ Normalerweise wäre Akiko in die Bereitschaft, wo Taro sich eigentlich immer aufhielt, vorgegangen, aber sie konnte ja schlecht die Zwei hier allein lassen, das wäre gegen den klaren Befehl des Hausherrn – und würde alle nur noch mehr in Probleme stürzen, sie selbst nicht zuletzt. So erhob sie sich und ging zum Haustelefon.

Sesshoumaru rang mit sich. Da war der heiß ersehnte Anruf – konnte er jetzt gehen? Oder musste, sollte, er dieses Menschenweib auch noch um Erlaubnis bitten? Nein, dass ließ sein Stolz nicht zu. Andererseits, wenn sie sich bei seinem verehrten Vater über mangelnde Höflichkeit beschwerte – nun ja.

Izayois Erfahrung mit einem Jungen, wenngleich Hanyou, als Teenager, ließ sie mit einem Kopfneigen sagen: „Ich bin überzeugt, Sesshoumaru-sama, dass Sie nach Ihrer Rückkehr noch viel zu erledigen haben. Meine Zofe wird in zwei Stunden hier im Schloss eintreffen und in ihre Wohnung zurückkehren können.“

Das war die Information, die er benötigte, um sich bei Vater zu rechtfertigen. Sehr gut. Immerhin schien diese Izayoi mitdenken zu können und höflich zu sein. Warum sie wohl ausgerechnet Vater geheiratet hatte? Nun ja, der hatte gesagt, sie habe es nicht freiwillig getan, was natürlich Unfug wäre. Es gab Hunderte von Frauen beider Arten, die diesen Reichtum, diesen Status, ersehnten. Wieso sollte man jemanden zwingen müssen, das zu bekommen, was alle anderen wollten? Das war sicher ein Missverständnis seines verehrten Vaters. Den er leider in wenigen Stunden schon sehen musste. Das Tal des Wasserfalls bot eine natürliche Felsarena mit weichem Untergrund und wurde seit Jahren von dem Inu no Taishou für zuerst Welpenspiele, dann immer heftiger werdende Kämpfe mit seinem Sohn genutzt, Wettbewerb oder Strafen. Immerhin bedeutete das, dass niemand zusehen würde. „Sie haben vollkommen Recht.“ Der Jugendliche stand auf. Halt, höflich bleiben. „Gute Nacht, Izayoi-sama.“

Sie verneigte sich schweigend, unsicher, was sie antworten sollte. Er würde ja kaum Schlaf benötigen. Er schien jedoch auch keine Antwort erwartet zu haben, denn er schritt betont aus dem Pavillon. So sah sie zu Akiko, wartete jedoch eine volle Minute, ehe sie aufatmete. „Ich hoffe, das war alles korrekt.“

„Ich denke schon, also, von Ihrer Seite, Izayoi-sama.“

„Gut. Ich denke, wir gehen beide ins Bett. Morgen gegen neun werde ich einmal zu Misako sehen. Du weißt sicher, wo sie wohnt?“

„Ja. Ich werde hier sein und Sie begleiten.“

 

Es war später Nachmittag, als der Inu no Taishou das Wohnzimmer seiner Ehefrau betrat. Sie trank gerade Tee, verneigte sich aber eilig. Akiko kniete neben der Tür. „Wie geht es Ihrer Zofe?“ erkundigte er sich.

„Die Ärzte sagten, sie solle für sechs Wochen nicht arbeiten, aber sie meint, sie könne sicher schon in wenigen Tagen hier sein, wenigstens einiges im Sitzen machen.“

Da ihm Sesshoumaru heute Morgen einen abweichenden Bericht gegeben hatte, ließ das nur einen Rückschluss zu. „Sie waren heute bereits bei ihr.“ Er ließ sich nieder.

„Ja.“

„Sie erfüllen Ihre Pflichten.“ Er wandte den Kopf. „Geh.“

Akiko gehorchte eilig. Immerhin bekam sie so Pause. Allein mit Izayoi-sama war es doch ein wenig langweilig. Sie redete gern mit Menschen. Und es schien auch nicht so, als wolle der Daiyoukai seine Gemahlin züchtigen.

 

Izayoi stellte ihre Teeschale ab und neigte etwas den Kopf. Wie sollte sie das fragen? „Ich vermute, Sie haben Ihren Sohn bestraft.“

Er schwieg eine Sekunde. „Nun, ich wüsste nicht, dass Sie das etwas angeht. Oder bedeutet er Ihnen etwas?“

„Nein.“ Irrte sie sich oder hatte sie da irgendein Gefühl herausgehört, wie sie es so von ihm noch nie vernommen hatte? „Ich wäre nur unglücklich würde um meinetwillen und eines Zufalls willen Zwist in Ihrer Familie einziehen. Verzeihung, das war vermutlich wieder zu menschlich gedacht. Ich erinnere mich jetzt an das Straftraining ...“ Myouga hatte da gesagt, das sei wie Ohrfeigen bei Menschen.

Es würde wohl immer wieder Situationen geben, in denen der Unterschied der beiden Arten nur zu deutlich wurde. „Ja, so in etwa.“ Er sollte sie nicht mit den Einzelheiten eines Hundekampfes durcheinander bringen, bei dem er am Schluss seinem unterlegenen Welpen quer über die Schnauze biss, um die Dominanz noch einmal zu unterstreichen.

„Danke.“

„Wofür?“ fragte er, tatsächlich etwas verwirrt.

„Ich muss Ihnen manchmal recht töricht erscheinen und doch beantworten Sie meine Fragen.“

Er dachte an ihr so offenes Lächeln gestern Abend. „Gern. Würden Sie mir einen Gefallen tun?“

„Ja, natürlich.“

„Dann starren Sie nicht die Teeschale an, sondern sehen mich an.“

Immer wieder, dachte sie. Immer wieder wollte er, dass sie ihn gegen die Etikette anblickte. Sie gehorchte mit einem unsicheren Lächeln. Er trug wieder die Seidenkleidung, wie eigentlich immer hier im Schloss. Seine Fellteile wanden sich hinter ihm auf dem Boden. Waren sie noch länger geworden? Sie hatte manchmal schon das Gefühl gehabt, dass sie sich verändern konnten. Youki? Er war vermutlich nicht nur im Gesicht seinem Sohn mehr als ähnlich – und der hatte unbekleidet wirklich perfekt ausgesehen, ein anderes Wort fand sie nicht dafür. Die wenigen Berührungen, die sie von ihrem Ehemann erhalten hatte, waren ihr auch nicht unangenehm gewesen, nur verwirrend. War das schlicht ihrer Unerfahrenheit geschuldet? Seine Hände waren noch immer Klauen, aber er hatte recht gehabt, er konnte damit sehr behutsam sein. Jetzt hatte er sie nachlässig auf seine Oberschenkel gelegt, offenbar vollkommen entspannt .

Der Taishou bemerkte durchaus, dass sie ihm nicht mehr in die Augen sah, sondern auf seine Hände starrte. Sie hatte gleich nach der Heirat gesagt, dass sie sie fürchte – ein Instinkt wohl aller Menschen. Aber daran konnte er nun einmal nichts ändern. Immerhin lag keine Angst mehr in ihren Augen, wenn sie ihn ansah, eher etwas, das er nicht so recht deuten konnte. Freude – oder etwas ganz anderes? Vielleicht sollte er einen Schritt weiter gehen. „Möchten Sie meine Hände noch einmal direkt spüren? Würde das Ihre Sorge weichen lassen?“

Sie konnte nicht anders als ihn anzustarren. Was meinte er? Er wollte doch nicht …?

Er witterte die jähe Panik und hob eilig die Rechte. „Geben Sie mir Ihre Hand, das meinte ich.“

Sie reagierte nicht nur töricht, sondern auch noch zwiespältig, dachte sie. Nun gut. Sie war tapfer gewesen, als sie in der Hochzeitsnacht ihm anbot sie zu verletzen um etwas vorzutäuschen. Wieso reagierte sie jetzt so furchtsam? Was hatte er denn getan, um sie so in Schrecken zu versetzen? Höchstens, dass er Gefühle in ihr weckte, seltsame Wärme, die sie nie zuvor empfunden hatte. Ohne weiter nachzudenken erhob sie sich.

Das war gegen die Etikette, dachte der Taishou noch, verwundert, was das werden sollte. Zu seiner gewissen Überraschung drehte sie ihm den Rücken zu und streifte ihr Haar vornüber, damit ihren Nacken frei legend. Das war eine Einladung die Szene in seinem Büro zu wiederholen. Er sprang förmlich auf. „Izayoi!“ Fast behutsam legte er jedoch seine Finger auf ihre Schultern, ehe er den Kopf neigte und ihren Hals küsste. Sie wollte ihm vertrauen – aber da war immer noch eine gewisse Angst. Nur: vor dem Mann oder vor dem Youkai? Hatte es sie wieder verschreckt, dass er Sesshoumaru bestraft hatte? Menschenväter taten das doch auch, soweit er wusste. Oder war es genau das? Gleich. Darüber konnte er auch noch nachdenken, wenn er nachts allein in seinem Zimmer saß. Jetzt sollte er den Moment genießen.

Geben Sie mir Ihre Hand, dachte sie. Mehr hatte er gar nicht gewollt – und doch verursachte die ungewohnte Zärtlichkeit wieder diese Schmetterlinge im Bauch. Vielleicht konnte sie ihm wirklich ohne Furcht die Hand reichen, nein, sie hatte es doch schon getan … Sie hob ihre Hände und legte sie auf seine Finger, spürte sofort, wie er ihren Körper rückwärts zog, an sich, soweit es das Kissen des Kimono gestattete. Das gefiel ihm, anscheinend, ebenso gut wie ihr dieses so behutsame Streicheln ihres Nackens mit seinen Lippen.

Zurückhaltung, mahnte sich der Herr der Hunde und gab sie schweren Herzens frei. „Sie sind eine bezaubernde junge Frau,“ sagte er nach einem etwas zu tiefem Atemzug. „Ich bin nicht sehr eifersüchtig auf meinen Sohn.“ Der deutlich mehr von ihr gesehen hatte als er selbst.

Nur etwas, erkannte sie, als sie sich umdrehte und ihn anlächelte, da sie mit einem Mal verstand, dass das Gefühl, das sie zuvor zu hören geglaubt hatte, tatsächlich da war – Eifersucht. „Sie sind sehr nachsichtig und geduldig mit einem törichten Menschenmädchen. Ich gebe Ihnen aber mein Wort, dass ich Ihnen das alles irgendwie zurückzahlen werde.“ Da tauchte plötzlich wieder dieser spitzbübische Funken in seinen Augen auf, der sie vergessen ließ, dass er kein Mensch war, und sie lächelte abermals, offen und ehrlich.

„Vorsicht,“ sagte der Daiyoukai und es klang rau. „Ich könnte darauf zurückkommen wollen, eines Tages.“

 

Onigumo no Gumo hatte kaum ein Auge für die herrliche Aussicht an diesem Parkplatz. Er ließ lieber seinen Sohn nicht aus dem Blick. Schön, der hatte die Augen nicht von der Straße und ihren Schwüngen gelassen, hatte nichts getan, was seinen Argwohn hätte wecken sollen – bis auf die Tatsache, dass der nicht angespannt war. Es ging doch immerhin um einen fingierten Unfall, bei dem selbst ein Hanyou verletzt werden konnte. Oder kamen da die Youkaigene mehr als deutlich an den Tag? Im Kampf war diese Art immer nüchtern. Nun ja, da waren Imbiss-Boxen und zwei noch verschlossene Coladosen, die Naraku brachte und auf den Tisch des Parkplätze stellte.

„Nehmen Sie sich nur schon, Vater. Ich habe mein Fernglas dabei und sehe mich noch ein wenig um. - Sehr hübsche Aussicht, nicht wahr?“

„Ja.“ Alles wirkte für Vorbeikommende sicher harmlos. Die Imbiss-Boxen waren ebenso original verpackt wie die Dosen. Unsinnig. Wieso sollte Naraku ihn auch vergiften wollen? Vermutlich kam sein Misstrauen eben daher, dass er selbst seinen Vater, seine erste Ehefrau, umgebracht hatte.

Naraku trat an den Zaun, der den Abhang sicherte, und hob das Fernglas. Es war völlig gleich, wie sich Vater entscheiden würde, das hatte er sicher gestellt. Es ging um zehn Millionen und die Zukunft der Firma. Da leistete man sich keinen Fehler.
 

Onigumo


 

N

araku ließ das Fernglas sinken und wandte sich um. Hm. Täuschte er sich oder hatte sein werter Vater noch nicht angefangen was aus den Boxen zu nehmen? Wurde der aus irgendeinem Grund misstrauisch? Nun, umso schneller sollte er das hier erledigen. Er trat zu ihm. „In beiden Boxen sind die gleichen Dinge drin, wenn Sie sich nicht entscheiden können. Aber die Dosen – oh, ich hole rasch die Becher aus dem Auto, ich habe sie mir doch extra mitgeben lassen.“

Onigumo warf einen Blick auf die mitgebrachten Speisen, ehe er zumindest von den beiden Boxen die Plastiktüten abnahm. Sie sahen wirklich gleich aus, unversehrt zugeklebt. Was nur machte ihn genau heute so misstrauisch? Nur der Grund, dass sein Sohn nicht aufgeregt wirkte? Er war ein Hanyou und dem sah man, wie auch seiner Mutter, oft nicht an, was er dachte. Bei einem Spinnenweibchen durchaus eine tödliche Eigenschaft. Nun ja, er hatte sie doch einige Jahre überlebt, nicht zuletzt dank seines genialen Einfalls ihr stets ein Präsent mitzubringen, das sie sorgfältig auspacken musste. Ehe der Instinkt wieder die Oberhand bekam und sie ihn packen und fressen wollte, war er bereits wieder aus ihrem Schlafzimmer. Danach freilich, wenn die Fressgier wieder erloschen war, war sie freundlich und umgänglich, eine perfekte Schneiderin, wie so viele ihres Volkes. Nun ja. Er öffnete eine Dose. Stimmt, ein Becher war nur zu sinnvoll, wenn man nicht wie diese Jugendlichen gleich aus dem Metall trinken wollte. Ein Gumo besaß Anstand.

Naraku reichte ihm einen Becher und er goss sich ein. Nachdem sein Sohn sich gesetzt und ebenfalls eingeschenkt hatte, sagte er: „Die beiden Boxen sehen wirklich gleich aus. Nur, leider habe ich momentan keinen Appetit.“

„Ich sollte doch allein aufgeregt sein, verehrter Vater.“ Naraku lächelte und öffnete eine Box, begann zu essen. „Ich habe gerade noch einmal nachgesehen. Der Weg, den Sie hochgefahren sind, hat mich nicht getäuscht. Da gibt es eine überaus günstige Stelle. Ich würde vorschlagen wir fahren dann nach unserem kleinen Picknick zurück, genau diese Strecke. Wenn es geht, werden Sie dort langsam und ich mache mir noch einige Fotos.“

„Wann willst du denn den Unfall haben?“ Onigumo trank, um nicht auch noch als misstrauisch verlacht zu werden. Naraku nahm sich gerade ebenfalls die andere Box vor, offenkundig so heißhungrig, wie es nur ein Hanyou sein konnte. Nein, da war sicher nichts vergiftet worden. Warum auch? Der Junge hatte keine Ahnung vom Geschäft und konnte die Bank ohne ihn nicht einmal im Traum halten. Der Plan war durchaus gut und konnte zwei Millionen bringen. Das Risiko für seinen Sohn sollte sich in Grenzen halten, der war eben nur ein halber Mensch. Die zehn Millionen, die dieser verdammte Hundesohn von ihm forderte, mussten eben auf diese Art und ein bisschen Falschspiel eingebracht werden, um eine Zwangsversteigerung der Grundstücke der neuen Kette wenigstens solange blockieren zu können bis ein besseres Angebot für die alte Kette eingegangen war. Punkt. Izayoi schien ja auch komplett versagt zu haben, wenn sie zulassen konnte, dass ihr Ehemann ihren Vater und ihren Bruder ruinieren wollte. Onigumo unterließ es wohlweislich auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, wie sie sich bei dieser Heirat gefühlt haben musste – oder auch erst fühlen würde, erführe sie eines Tages, dass sie gar nicht seine Tochter sei.

 

Naraku hatte seinen Becher ausgetrunken und stellte ihn fast demonstrativ ab. Eine einfache, geniale, Idee. Die Tabletten so fein mahlen, dass es sich nur um weißen Staub handelte, der in einem weißen Becher nicht weiter auffiel. Durch seinen Selbstversuch wusste er, dass eine einzelne Tablette ihm nicht schadete, für einen Menschen aber wohl schon Einfluss hatte. Es war ihm jedoch gelungen den Becher mit gleich zwei Tabletten seinem Vater zu geben. Und der war zwar misstrauisch genug um nicht zu essen, aber eine verschlossene Getränkedose hatte ihn so beruhigt, dass er an einen Becher nicht dachte. Fehler.

Allerdings, das gab Naraku zu, hatte Vater in der letzten Zeit doch deutlich nachgelassen. Das Alter vielleicht? Warum war der Narr dann nicht in Rente gegangen, wie er es ja schon öffentlich angekündigt hatte? Und zwar am Besten schon vor fünf Jahren? Erst da war der ja wohl auch auf die alles andere als brillante Idee gekommen an den Börsen mit Derivaten und noch schwierigeren mathematischen Sachen zu spielen. Natürlich konnte man das – aber doch nur mit dem Geld, was übrig war, und nicht dem Kapital der Familie oder der Bank. Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. Die Tablette benötigte zwanzig Minuten um bei einem Menschen zu wirken. Noch zehn Minuten hier sitzen, fünf zum Packen und Abfahren, fünf bis zu der Steilstelle. Ungefähr, denn dieser Plan hatte einige Unwägbarkeiten. Im schlimmsten Fall würde er sich selbst verletzen.

Dennoch, es war damals, als er aus der Schule kam und zu studieren begann, neben seiner Arbeit in der Bank, ein ausgesprochen kluger und weit blickender Plan gewesen, diese hohe Unfallversicherung auf Vaters Tod abzuschließen. „Ich habe übrigens mit … Bekannten gesprochen, die in aller Regel recht gut über den Taishou informiert sind. Nichts Geschäftliches, da passt er ja immer auf, aber es scheint einen Zwischenfall gegeben zu haben. Jedenfalls kam Sesshoumaru ins Schloss und keine halbe Stunde später fuhr ein Krankenwagen vor. Ich hoffte ja fast schon, dass er sich an Izayoi vergriffen hatte, rief sie dann zur Nachfrage an. Sie hat ja ein Handy. Sie meinte, ihre Zofe habe sich verletzt. Mag sein oder eben auch, dass der Junior durch die vierzehn Tage in Sibirien nichts gelernt hat.“ Allerdings sollte er seinem Vater nicht erzählen, dass es sich bei diesen Bekannten um Hölleninsekten, Saimyosho, handelte – und wer die ihm zur Verfügung gestellt hatte. Bislang hatte jedenfalls noch kein Youkai, gewöhnlich oder Krieger, diese auf dem Grundstück bemerkt.

„Es kann nicht jeder so einen Sohn wie dich haben.“ Onigumo lächelte ein wenig spöttisch und trank sein Cola aus. Nein, der Junge war fähig und ihm treu ergeben. „Andererseits, was ich so über den Bengel weiß – er würde sich kaum an einem Menschen vergreifen, einfach, weil unsereins ihn anekelt. Das mit Takazen war ein für uns glücklicher Umstand. Es war wohl jetzt ein wirklicher Unfall. Ein Skandal wäre es natürlich, da gebe ich dir recht, wenn er gegen seine Stiefmutter etwas unternehmen würde. Allerdings, und diesbezüglich, mein Junge, weiß ich genug von Youkai, dann ist er dran. Sein eigener Vater würde ihn ohne mit der Wimper zu zucken liquidieren lassen. Da geht es um Gehorsam und Autorität und dieses altmodische Denken der Youkai.“

Naraku warf einen Blick auf die Armbanduhr, ehe er an seinem Hemdärmel zupfte. „Wenn es nach mir ginge, und so, wie sich Sesshoumaru mir gegenüber verhält, könnte ihn der Herr der Hunde am Spieß auf kleiner Flamme rösten. Wobei ich zugebe, ich habe ihn nicht gesehen, seit ich der Schwager seines Vaters bin. - Ich denke, wir räumen hier langsam zusammen. Dort ist ein Abfalleimer. Ich darf doch ...“ Er nahm die Boxen und die Becher. Nur die Boxen wanderten freilich in die Mülltonne, die Becher nahm er lieber mit. Nicht, dass irgendein Narr noch die Rückstände der Tabletten darin finden würde. So drückte er sie mit aller Kraft zusammen und schob sie in die Jackentasche. Sein Vater war bereits eingestiegen. Gut. In maximal zehn Minuten müsste der die volle Wirkung zu spüren bekommen. Jetzt noch schön langsam bleiben. „Ich hole nur noch den Fotoapparat aus dem Kofferraum.“ Er legte das Fernglas ab, das er bislang um den Hals getragen hatte, und nahm die Kamera zur Hand, hing sie sich um. Er sollte sie nicht verlieren. Seine Fingerabdrücke auf dem Fernglas konnte er nur zu gut erklären, aber der Apparat und die Bilder darauf waren schwerer zu diskutieren, immerhin war er doch gar nicht hier anwesend. Wurde der in dem Auto gefunden, würde es unnötige Rückfragen geben. Es war schwieriger als gedacht etwas absolut wasserdicht zu planen. Noch ein, zwei Fotos hier, um eine weitere Minute zu erkaufen, dann einsteigen ...

 

Onigumo fuhr langsam die Bergstrecke, ließ sich sogar auf einer Geraden überholen, was ihm widerstrebte, aber da sein Sohn eifrig Fotos machte, war das wohl nur zu sinnvoll. Komisch. Woher kam dieser Nebel? Oder, hier war ja keiner, erkannte er dann. Was war denn jetzt los? Litt er unter Sehstörungen?

„Vater?“ Naraku griff in das Lenkrad und drehte es etwas seitwärts. „Bitte, achten Sie auf die Straße.“ Es ging also los. Er sollte sich vorbereiten und schnallte sich ab.

„Ich halte an. Mir ist so eigenartig.“

„Ja, ungefähr tausend Meter weiter unten gibt es einen Parkplatz, ab da übernehme ich, einverstanden? Sie hätten doch etwas essen sollen. Sie haben vermutlich heute noch gar nichts zu sich genommen?“

Ja, da hatte der Junge wohl recht. Aber er war doch noch nie in seinem Leben in Unterzucker gefallen? Zeigte sich doch das Alter? Oder stimmte hier etwas anderes ganz und gar nicht? Mühsam zog er das Lenkrad der Straße nach. Was war nur los? Es war fast, als ob er vergiftet worden wäre ...

 

Naraku bemerkte das häufigere Blinzeln, das Wischen über die Augen. Schön. Schluss mit dem Versteckspiel. „Vater, die Cola war ein Gnadenakt. So konnte ich Ihnen zwei Schlaftabletten geben. Nur noch diese Kurve, ja, genau. Gut. Leben Sie wohl!“ Jetzt kam das steile Abwärtsstück mit der scharfen Kurve am Ende. Noch zehn Meter, dann musste er selbst aussteigen. Ein rascher Blick nach hinten und vorn verriet ihm, dass es perfekt war, niemand direkt in Sicht. Ohne zu zögern drückte er mit seiner übermenschlichen Kraft die Tür auf und ließ sich hinausfallen.

Im Sturz erkannte er noch den entsetzten Blick Onigumos, der ihm galt, anscheinend hatte der begriffen, trotz allem. Als er hart auf den Boden prallte und sich schmerzhaft abrollte, wusste er, dass der Wille des einst so erfolgreichen Bankiers noch einmal die Schatten der Betäubung durchdrungen hatte. Hoffentlich würde alles glatt gehen, Vater gleich bewusstlos werden. Er rannte von der Straße in den Wald, sprang den hier steilen Abhang hinunter.

Er blieb jedoch stehen, als er einen lauten Aufprall hörte, metallisch und in der Stille der Berge fast erschütternd. Weiter, dachte er. Er hatte nur wenig Zeit, um hinunter zum Bahnhof zu gelangen und dann zurück nach Tokyo. Sein Alibi musste stehen. Was mit seinem Auto und seinem Vater war, würden ihm die Hölleninsekten noch mitteilen können.

 

Als er unten den Bahnhof erreichte, war er etwas außer Atem, aber er erwischte den Zug noch. Daran hing sein Alibi. Jetzt nur rasch nach Tokyo, in die Gemäldeausstellung. Die hatte er sich extra ausgesucht, da sie über keinerlei Kameras verfügte und er bereits dort gewesen war, um sich die Bilder einzuprägen. Vor dem Verlassen des Hauses hatte er erwähnt, dass er dorthin gehen würde. Falls ihn die Polizei nun suchen würde, um ihm vom Tod seines Vaters zu berichten, würden sie ihn dort finden. Er nahm doch schwer an, dass sie, auf Grund der Tatsache, dass das Auto auf ihn zugelassen war, doch zunächst einmal ihn als Opfer vermuten würden und etwas Zeit benötigen würden, um herauszufinden, dass der Tote der Vater und der Vermisste der Sohn war. Und tot war Vater, das Bild, das ihm ein Hölleninsekt gebracht hatte, war nur zu deutlich gewesen. Das konnte kein Mensch überlebt haben. Er warf einen Blick auf die Uhr. Dreißig Minuten, dann Umsteigen in die U-Bahn. Das musste doch reichen.

 

Mit den Saimyosho hatte ihm dieser Shishinki eine echte Freude gemacht. Natürlich war der Kerl gefährlich, ein Daiyoukai war das immer, aber jemand, der den Inu no Taishou buchstäblich auf den Tod nicht leiden konnte, war sicher eine gute Hilfe. Er vermutete, dass der Herr der Hunde auch schuld an der Tatsache war, dass Shishinki halbseitig eine Maske über dem Gesicht trug, aber dieser redete nicht darüber – und Naraku fragte nicht. Die Hölleninsekten waren schon einmal eine nette, hilfreiche, Geste gewesen – alles, was er selbst hatte tun müssen, war, Shishinki nicht zu verraten und dafür den Taishou zu Boden zu bekommen. Auf die Frage, warum ein Daiyoukai dem anderen nichts anhaben könnte, hatte Shishinki zuerst nur gefährlich geknurrt, dann jedoch zugegeben, dass ihm der Taishou seine wichtigste Waffe gestohlen habe.

Hm, dachte Naraku und dehnte sich im Zugsessel. Gestohlen? Shishinki mochte das so sehen, aber seiner persönlichen Meinung nach war war der alte Hund zu ehrbar. Vermutlich hatte der ach so tolle Daiyoukai einen Kampf verloren und dabei etwas Wertvolles eingebüßt. Verlierer sahen die Welt oft anders, da brauchte er nur an seinen armen, verblichenen Vater denken. Ups. Das sollte er eben nicht. Er konnte ja noch gar nicht wissen, dass der tot war. Da musste er aufpassen. Trotz aller Krimis, die er im Fernsehen gesehen hatte, war die Polizei alles andere als töricht. Redete er von Dingen, von denen er nichts wissen konnte, würden sie ihn festnehmen, das sollte er vermeiden. Immerhin hatte die Nachfrage bei einem Anwalt ergeben, dass Hanyou tatsächlich zwischen den Gesetzen standen. Je nachdem, gegen wen sich das Verbrechen gerichtet hatte, urteilten Menschen oder leider der Taishou. Vater war ein Mensch. Und der Rest … Nun, Sieger schrieben die Geschichte.

 

Als er in der Gemäldeausstellung eintraf, war er unangenehm überrascht, dass er Shishinki erkannte, der sich langsam abwandte und in einen kleinen Raum ging, sich dort auf eine Bank vor einem großen Gemälde setzte. Natürlich, dachte er dann. Die Hölleninsekten würden auch ihren eigentlichen Herrn informiert haben. Nun ja, unvorsichtig war der Kerl nicht.

 

Aber er setzte sich neben den Daiyoukai, dessen rechte Gesichtshälfte von einem hellen Metall verdeckt wurde. „Guten Tag, werter Shishinki.“

„Ich vermute, es lief nach Ihrem Plan, Naraku.“

„Bislang. - Darf ich fragen, welche unaufschiebbare Sache Sie hierher führt?“

„Nennen wir es reine Neugier. Wie sieht Ihr weiterer Plan aus? Mir geht es um den Taishou, genauer, um mein Eigentum.“

„Es wird etwas dauern, einige Wochen, schätze ich, bis ich weiter machen kann. Leider sind die gesetzlichen Vorschriften ein wenig mühselig. Dann jedoch, werde ich, mit der unwesentlichen Hilfe eines Drachen, weitergehen. Und mein lieber Schwager wird das Gesicht vor jedem Menschen und Youkai im Lande verlieren. Wäre das in Ihrem Sinn?“

„Ich höre.“ Der Daiyoukai betrachtete das moderne Bild vor sich, scheinbar in den Anblick der bunten Quadrate vertieft.

„Sie wissen ebenso gut wie ich, oder eher besser, dass ihm nach solch einer Blamage kein Youkai mehr folgen wird. Wenn Sie mir freundlicherweise sagen, aus was Ihr Eigentum besteht, könnte man es womöglich Ihnen auch so überreichen ...“

„Der Taishou hat zwei Schwerter. Beide will ich.“

„Zwei? Ich hörte, zugegeben, nur von einem, mit dem er seine Siege erfochten haben soll.“

„So´unga, ja. Das kann bedauerlicherweise außer diesem Hundeblut niemand beherrschen und ich würde es daher auch wieder in die Hölle schicken, wo es hingehört. Um das zu tun, und mein Eigentum wieder zu erlangen, benötige ich das andere Schwert. Tenseiga. Damit kann ich dann den anderen Teil meines Eigentums zurückholen.“

Aha, dachte Naraku. Also war dieses Tenseiga irgendwie ein Teil dessen, was Shishinki verloren hatte. Er war nur ein Hanyou und hatte es wirklich nicht so mit Magie, noch dazu Schwertern. „Ich vermute, dann sind Sie einer der Mächtigsten unter den Youkai.“

„Ich bin dann wieder unbesiegbar.“

Da merkte wohl jemand nicht, dass er im Kreis dachte. Als Shishinki sein Eigentum noch komplett besessen hatte, war er vom Inu no Taishou besiegt worden – also war er auch damit nicht unbezwingbar gewesen. Und was den Diebstahl betraf, so vermutete Naraku langsam, dass es sich um eine Kriegslist gehandelt hatte, auf die sein Nachbar eben hereingefallen war. Tja, man sollte einen erfahrenen Strategen nie unterschätzen, wie es ja auch leider Vater getan hatte. Schon darum hatte er selbst gleich mehrere abgestufte Pläne in der Hand. Wenn man gegen den Herrn der Hunde in den Ring stieg, sollte man vorbereitet sein. Aber, nun gut. „Wie kann ich Sie erreichen? Über die Saimyosho?“

„Ich werde mit deren Hilfe wissen, wie Ihr Plan ablief. Bis dahin bin ich, nun, wo ich bislang auch war.“ Shishinki erhob sich. Es war nicht notwendig, dass sein Handlanger wusste, wo er sich aufhielt – noch viel weniger, falls dessen Plan schief ging. Der Taishou hielt ihn selbst für tot, das sollte der ruhig weiterhin tun, bis er seinen gestohlenen Besitz wieder in den Händen hielt. Leider war der klug genug gewesen seine Beute aufzuteilen. Und weder an den Herrn der Hunde noch an dessen Gefährtin im Schwebenden Schloss kam man einfach so heran. Wenn dieser Naraku ihm Tenseiga unverzüglich verschaffen konnte, würde er sich den Meidou-Stein vom Hals der schönen Hündin holen. Aber eben erst dann war das möglich. Sie würde noch vor dem Taishou seine Rache zu spüren bekommen.

„Bis dahin, leben Sie wohl.“ Naraku neigte höflich den Kopf. Was für ein Narr. „Sie werden ja erfahren, was geschehen ist.“

„Ohne Zweifel.“ Ein Wink des Daiyoukai ließ ein Hölleninsekt, das bislang, von Naraku unbemerkt, auf einer Lampe gesessen hatte, auffliegen, ehe er aus dem Raum schlenderte.

Dieser nahm sich vor sich gründlicher umzusehen, wenn er etwas tat. Jedenfalls war klar, wieso Shishinki auf ihn zugekommen war. Er wollte sein Eigentum zurück und ließ den Taishou behutsam überwachen. Dabei hatte er sicher von der Heirat erfahren und die Familie der Braut überprüft. Tja. Jetzt musste er selbst nur noch herausfinden, wie er sowohl diesen Daiyoukai als auch den Drachen gegeneinander aufhetzen konnte. Natürlich erst, wenn der Taishou und möglichst auch dieser arrogante Schnösel von Sesshoumaru das Zeitliche gesegnet hatten. Alles, was er zunächst tun sollte war, gegenüber der Polizei das Unschuldslamm zu spielen, gegenüber Izayoi den besorgten, trauernden Bruder und Sohn. Sein dummes kleines Schwesterchen war der Schlüssel zum Untergang des Herrn der Hunde.

Er betrachtete das Bild vor sich. Nein, moderne Kunst war wirklich nichts für ihn. Nun ja. Noch ein oder zwei Stunden in dieser Ausstellung, irgendwann würde doch die Polizei hier ihn finden. Gab es denn hier kein Bistro? Ach, nein. Also musste er sich stundenlang diese Kleckse ansehen. Ein kleiner Preis für ein riesiges Vermögen, denn schließlich würde er ja auch Izayoi beerben.

 
 

Sonntag


 

A

m Sonntag Mittag kam der Inu no Taishou, wie stets privat in Seide gehüllt, sichtlich gelöst unangemeldet in den Pavillon. Er war, aber das brauchte seine Ehefrau nicht zu wissen, einige Stunden durch die Wildnis des Naturschutzgebietes gelaufen, hatte in seiner wahren Form den Mond angeheult und fühlte sich wahrlich entspannt. Das änderte sich schlagartig, als er Izayoi erblickte. Sie trug heute Jeans und T-Shirt, aber, was ihn in jähe Nervosität versetzte, war die Tatsache, dass sie mit dem Rücken zu ihm stand und sich tief über irgendeine Kiste in ihrem Arbeitszimmer beugte. Sie hatte wirklich eine hübsche Figur – und, er konnte es nicht ändern, der Anblick ihres Hinterteils weckte jenen uralten, hündischen, Instinkt in ihm und jagte glühende Hitze durch seinen Körper. Er dachte irgendwie noch daran, dass neben ihm Misako kniete, und winkte ihr zu gehen, ehe er sich seiner, offenkundig in die Arbeit versunkenen, Gemahlin näherte.

„Guten Tag,“ sagte er und er fand selbst er klang etwas heiser, als er sich zwingen musste, eineinhalb Meter hinter ihr stehen zu bleiben, statt ihr einfach die Jeans vom Leib zu reißen und das Fell zu zerwühlen … Sie war ein Mensch.

Sie schrak zusammen, drehte sich aber mit einem Lächeln um. „Oh, ich hatte Sie gar nicht kommen hören, Taishou.“

Sie lächelte, sie vertraute ihm, das durfte er nicht zerstören. „Sie waren wohl sehr versunken. Was tun Sie da? Überdies – nicht im Kimono?“

„Nein.“ Sie sah etwas schuldbewusst aus. „Diese Kleidung ist besser zum Putzen.“

DIESEN Satz hatte er wirklich noch nie von einer Ehefrau gehört und seine Phantasie versagte, sich seine stolze Youkaigemahlin auch nur bei einem Gedanken daran vorzustellen. „Zum … Ich scheine Sie überaus ungenügend mit Dienstboten versorgt zu haben.“

Sie wurde rot. „Nein, wirklich nicht, Taishou, um aller Götter willen. Aber es ist mir lieber, wenn ich den Staub hier im Arbeitszimmer selbst wegmache und die Akten umsortiere. Überdies ist doch Sonntag, deswegen habe ich auch Akiko weg geschickt, zu ihrem Mann.“

„Auch für Sie ist Sonntag. Sie sind allerdings recht fürsorglich, gebe ich zu. Dennoch – machen Sie morgen weiter?“ Wenn sie sich noch einmal bücken würde, würde er sich vergessen, da war er sicher. „Ich würde gern mit Ihnen zu Mittag essen. Oder haben Sie bereits?“

Sie wusste, dass das bedeutete, dass sie aß und er ihr zusah. „Nein, ich habe es nur in der Küche bestellen lassen.“

„Nun, dann wird die Küche eben ins Schloss liefern. Vorausgesetzt, Sie tun mir den Gefallen und ziehen einen Kimono an.“

„Sie haben Misako weggeschickt?“ erkundigte sie sich zögernd nach einem Blick hinaus.

Sie dachte doch nicht er wolle sie umkleiden? Das wäre eine zu harte Probe für seine Selbstkontrolle. „Oh, ja. Nun, läuten Sie nach ihr.“

„Sie wird doch kaum schon in ihrer Wohnung sein,“ wandte sie ein, ehe ihr das erheiterte Glitzern in seinen Augen auffiel. „Habe ich etwas missverstanden?“

„Meine Liebe, ausgerechnet Sie vergessen in welcher Zeit wir leben. Wenn Sie den Knopf drücken, gehen bei Ihren beiden Dienerinnen die Pager, dass sie zu Ihnen kommen sollen. Diese tragen die Frauen bei sich, immer und überall.“

„Oh, darum auch die beiden Nummern, damit ich sie einzeln rufen kann. Wie töricht von mir.“ Izayoi legt die Hände an die glühenden Wangen. Er musste sie ja für eine absolute Närrin halten. „Ich werde mich beeilen. Wohin soll ich kommen?“

„In das Speisezimmer. Und ja, das gibt es. Ich denke, Akiko nennt es, wie alle Menschen, den Kranichsalon.“ Die seidenen Tapisserien dort waren mit tanzenden, balzenden, Kranichen bestickt worden. „Ich werde Sie erwarten.“ Und ihr vielleicht etwas von seinem Spaziergang im Wald erzählen – ohne zu erwähnen, dass er als riesiger Hund gelaufen war. Überdies hatte er ihr doch versprochen einmal Bokuseno zu besuchen. Vielleicht sollte er das für das nächste Wochenende vorschlagen, um zu verhindern, dass sie selbst dann arbeitete, schlimmer, putzte.

 

Nach dem Mittagessen trank Izayoi noch einen Tee. Sie war froh, dass ihr Ehemann sie sehen wollte, ja, sich anscheinend in ihrer Nähe wohlfühlte. Wie dumm von ihr war es noch vor kaum zwei Wochen gewesen, solche Angst vor ihm zu haben. Er wurde nicht handgreiflich, ja, war nachsichtig, wenn sie ihre Ahnungslosigkeit einmal mehr demonstrierte, war fürsorglich. Und ja, er war streng, aber das war wohl auch nicht nur sein Recht, sondern sogar seine Pflicht als Fürst der Youkai. Wenn sie bedachte, wie er mit seinem Sohn, seinen Kriegern, den Youkai, umsprang, konnte sie selbst sich wahrhaft glücklich schätzen, zumal sie, außer ihrer Arbeit für die Sozialstiftungen, keinerlei Gegenleistung erbrachte. Sie berichtete weiter von den Stiftungen, was sie gelernt hatte, dass sie demnächst gern wieder in den Konzern zu einer Mitarbeiterbesprechung wollte.

„Natürlich, wie Sie wünschen, meine Liebe. Sagen Sie es, dann können Sie morgens mit mir und Sesshoumaru fahren.“ Der Taishou sah ein wenig unwillig auf, als die Tür geöffnet wurde, erkannte dann einen Krieger, der sich verbeugte. „Was ist?“

„Kouga ist hier und bittet unverzüglich um Audienz, oyakata-sama.“

Der junge Wolf lief nicht umsonst die hundert Kilometer hier zum Schloss, der war schneller als ein Auto. Was war nur geschehen? Er blickte zu Izayoi, die sich bereits verneigte. Anscheinend hatte sie verstanden, dass die nette Zweisamkeit ihr Ende gefunden hatte. Sie war klug. „Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Sonntag.“

„Danke, werter Taishou. Ich Ihnen auch. Sie finden mich im Pavillon.“

 

Als der Herr der Hunde durch die Halle ging, machte er nur eine Handbewegung, dann war der junge Wolf auch schon neben ihm, natürlich den höflichen Schritt zurück. In seinem Arbeitszimmer, das im Gegensatz zu dem im Konzern nur mit Tatami-Matten ausgelegt war und als einzige Einrichtung in einer Ecke ein kleines Schreibpult aufwies, ließen sich die beiden Youkai nieder.

„Wichtiges, Kouga.“

„Würde ich sagen, oh ja, oyakata-sama. Wie Sie wünschten, wurde die Verbindung von Onigumo und den Tokos überprüft, vor allem in Bezug auf Prinzessin Miharu und Izayoi ... Izayoi-sama. Ein menschlicher Mitarbeiter der Sicherheitsabteilung fand einen alten Diener, den der jetzige Fürst Toko entlassen hatte, und brachte ihm zum Plaudern. Zum Glück war der Mann so fähig die gesamte Unterhaltung auf Band aufzunehmen. Danach kam er unter Umgehung des Dienstweges sofort zu mir, da das, was er hörte, möglichst vertraulich bleiben sollte.“ Kouga sah vorsichtig auf. „Ich hielt das, nachdem ich das gehört habe, für eine kluge Entscheidung, und wollte Ihnen unverzüglich Nachricht geben. Möchten Sie das Gespräch mithören oder nur die Kurzfassung?“

„Zunächst die Kurzfassung. Ich nehme an, der alte Diener wurde betrunken gemacht.“

„Ja, oyakata-sama. Ich denke, er wird sich kaum an diese Unterhaltung erinnern.“ Der junge Wolf zögerte. Es war immer ein Risiko einen Daiyoukai zu kritisieren oder auf sich zornig zu machen. Aber der Herr hatte es ja selbst befohlen. „Prinzessin Miharu war unverheiratet schwanger. Das kam natürlich heraus. Ihr Vater, der damalige Fürst Toko, wollte von ihr unbedingt den Namen des Vaters wissen. Sie schwieg. Er ließ sie schlagen, schlug sie selbst, bis ihn sogar seine Gattin und die anderen Frauen anflehten, aufzuhören, Miharu würde sonst das Kind verlieren. Fürst Toko bestach Onigumo no Gumo mit viel Geld und seinen Beziehungen seine Tochter zu heiraten und dem Kind seinen Namen zu geben. Izayoi … also, Izayoi-sama, ist somit sicher nicht die Tochter Onigumos.“

Dieser Mistkerl hatte ihn nicht nur erpresst und um Millionen betrogen, sondern ihm auch noch bewusst einen Bastard aufgehalst! Der Taishou spürte, wie sein Youki aufwallte, und nahm sich mühsam zusammen. „Es erscheint mir unwahrscheinlich, dass Onigumo nicht wissen wollte wer der Vater wäre.“

„Offenbar schwieg die Prinzessin eisern. Entweder sie wollte einen Skandal vermeiden, wozu es dann schon recht spät war, oder sie wollte den Vater des … ich meine, der jungen Dame beschützen.“ Uff, dachte der junge Wolf. Gerade noch die Kurve bekommen. Erst einmal abwarten. Aber bevor der Fürst nicht selbst von „Bastard“ sprach, sollte man dieses Wort über die Frau, die er immerhin geheiratet hatte, vermeiden.

Izayoi! Ja, hatte sie es gewusst? Wusste sie, dass Onigumo nicht ihr Vater war? Hatte sie ihn bewusst belogen? Der Taishou nahm sich erneut zusammen. Nein, beschloss er dann. Sie hatte ihn nicht angelogen, wenn er daran dachte, wie sie ihm in der Hochzeitsnacht erzählt hatte, dass Vater und Bruder sie emotional erpresst hatten. Sie hielt sie für ihre Familie. Und Miharu mochte vorgehabt haben ihrer Tochter etwas von ihrem Vater zu erzählen – aber die war schon länger verstorben. Er sollte gerecht bleiben und seinen Zorn erst einmal auf Onigumo lenken – und natürlich Izayoi befragen. Hatte sie davon gewusst, würde er … Nein, das durfte einfach nicht sein. Sie war immer ehrlich gewesen. Wieder drängte er sein Youki zurück. „Das Mobilphon gehört dem Menschen, der das Interview führte.“

„Ja, oyakata-sama. Möchten Sie das Video sehen? Es ist allerdings mehr zu hören, da er es auf dem Tisch liegen hatte.“ Möglichst sachlich bleiben und das neutrale Gesicht beibehalten, dachte Kouga, das war in solch einem Fall, in dem es um die Ehre der Fürstengemahlin und damit des Herrn ging, überlebenswichtig.

Das war keine Antwort. „Das Handy gehört dem Menschen, der für die Sicherheitsabteilung arbeitet.“

„Ja, oyakata-sama. Es ist sein Diensthandy.“

„Dann behalte ich es. - Verschaffe ihm ein neues. Er wird nicht plaudern.“ Darin lag nur der Hauch einer Frage.

„Nein, oyakata-sama. Ihm war die … die Wichtigkeit überaus bewusst, weswegen er auch nicht seine Vorgesetzten, sondern allein mich informierte. Äh, sein Name ist Akito Nakamura. Sie haben ihm die Ausbildung finanziert.“

Menschen waren oft dankbarer als Youkai, das stimmte. „Gut, Kouga. Du warst sehr aufmerksam und der Mensch auch. - Du kannst nach Tokyo zurück. Ich werde nachdenken.“

Allein aus diesem Satz konnte der junge Wolf schließen, dass der Daiyoukai aufgewühlt war. Ein Fürst musste nicht erklären was er warum tat. Nun ja, wer hörte auch gern, dass er nach allen Regeln der Kunst reingelegt worden war. Es war jedoch klüger, das nicht selbst abzubekommen. „Ja, oyakata-sama.“ Er erhob sich lieber und verschwand.

Der Herr der Hunde betrachtete einen Moment das Mobilphon in seiner Klaue, ehe er doch die Wiedergabetaste drückte. Besser eine schmerzhafte Wahrheit bestätigt zu bekommen als eine Lüge.

 

Kaum eine Stunde später brachte Myouga wichtige Neuigkeiten, brach jedoch im Sprung vor der Arbeitszimmertür seines Herrn ab und musterte den dort sitzenden Krieger. „Oh, oh. Was war denn los?“ Das Youki war fühlbar unterdrückt – und genau darum für jeden, der denken konnte, umso alarmierender.

„Ich weiß es nicht. Kouga war da, aber er kam in einem Stück raus.“

Myouga schluckte. Also hatte Kouga – was trieb den denn überhaupt an einem Sonntag hier in das Schloss hinaus? - eine schlechte Nachricht gebracht. Und er war die Nummer Zwei. Nun ja, der Taishou neigte nicht dazu Nachricht und Überbringer zu verwechseln, aber da schien schon die erste nicht gerade gut aufgenommen worden zu sein. Nun, was half es. Würde er ihm das nicht sagen, war er auch dran. So meinte er nur: „Dann öffne mal die Tür.“

Der Inuyoukai wusste nicht, ob das mutig oder selbstmörderisch war, schob sie jedoch einen Spalt auf. Ein Flohgeist hätte das nicht vermocht.

Myouga hüpfte eigentlich nur hinein, um sich direkt vor dem Daiyoukai zu Boden zu werfen.

Der Herr der Hunde hatte ihn selbstverständlich trotz seines gewissen Zornes bemerkt. „Ich hoffe für dich, dass du wichtige Nachrichten bringst.“

„Äh, ja, oyakata-sama. Im Fernsehen kam soeben als „Breaking News“, das wird überall in alle Sendungen eingeblendet, dass es einen tödlichen Unfall gegeben hat. Das Auto gehörte Naraku Gumo, aber es könnte auch Onigumo sein. Mehr gab es noch nicht, die Polizei ermittelt.“

Was zur … „Ein Unfall.“

„Äh, ja, das Auto stürzte wohl an einer steilen Bergstraße in die Tiefe und fing Feuer. Deswegen ist der Insasse auch noch unbekannt.“ Myouga sah vorsichtig auf. Da keine unmittelbare Gefahr für ihn drohte, richtete er sich zu seiner vollen, wenig imposanten, Höhe auf. „Anweisungen, oyakata-sama?“

 

Naraku oder Onigumo tot? Ein Unfall? Möglich. Mord? Möglich. Selbstmord aufgrund seiner Forderung die Darlehen der neuen Kette zurückzahlen zu müssen? Auch möglich. Jedenfalls konnte das kaum etwas mit der Enthüllung über Izayoi und die Tokos zu tun haben. Oder doch? Der Taishou erstarrte.

Izayoi. Wenn sie sich langweilte – und nicht etwa wie heute Vormittag putzte oder für seine Stiftungen arbeitete – sah sie gern DVDs oder Fernsehen, das war ihm berichtet worden. So konnte sie es erfahren oder auch schon erfahren haben. War sie unschuldig und wusste nichts davon, was Onigumo und der alte Fürst da ausgeheckt hatten, würde sie ihren Vater oder auch ihren Halbbruder sicher betrauern. War sie es freilich nicht und wusste nur zu gut, dass sie ein vaterloses Kind war, unehrlich, dann … Ja, dann wäre es ihr wohl gleich. „Wende dich an die Polizei, ich möchte auf dem Laufenden gehalten werden, es ist doch mein Schwiegervater oder Schwager.“ Ausnahmsweise ein guter Vorwand. Und ein gewisser Vorteil seines diplomatischen Status als, wenngleich außerordentliches, Regierungsmitglied.

„Ja, oyakata-sama.“

„Und Kiyoshi soll vorsorglich die Finanzen der Gumos im Auge behalten lassen.“ War Onigumo tot, würden die Finanzen bis zur Erbabwicklung gesperrt werden. Nicht die der Firmen, das mit der neuen Kette konnte seine Holding immer noch durchziehen, aber die privaten. Und es war eben die Frage ob und was Naraku von den Plänen seines Vaters so alles gewusst hatte. Umgekehrt, war Naraku das Unfallopfer, wäre normalerweise Izayoi, und damit indirekt er der neue Erbe der Bank. Es wäre töricht sich selbst in den Ruin zu treiben. Es sei denn, Onigumo würde damit herausrücken, dass es sich nicht um seine Tochter handelte – mit allen gesellschaftlichen Konsequenzen für sich selbst und Izayoi. Was für ein Chaos! Und er selbst hatte doch versprochen sie als seine Ehefrau zu beschützen ... Er erhob sich. „Wo ist Sesshoumaru?“

Der Flohgeist war unwillkürlich zusammengezuckt. „Äh, das weiß ich nicht genau, oyakata-sama. Entweder in seinem Zimmer oder im Bad.“

Das Zimmer lag näher und so wandte sich der Daiyoukai diesem zu, nachdem der erschrockene Krieger vor der Tür fast vergessen hatte diese zu öffnen. Woher sollte er denn bitte auch bei derart unterdrückter Energie wissen, dass sich der Herr der Tür näherte?

 

Sesshoumaru blickte auf, als ohne weitere Voranmeldung seine Zimmertür beiseite geschoben wurde, sicher, wer eintreten würde. Die Schwankungen der Energie hatte er sehr wohl bemerkt und daraus geschlossen, dass es Ärger gab. Da er jedoch nicht gerufen wurde, hatte er auf diesen Besuch gewartet. So neigte er sich höflich, ein wenig erstaunt, dass ihm nur ein Handy vor die Knie geworfen wurde.

„Vernichte es gründlich,“ befahl der Taishou. „Entweder Onigumo oder Naraku ist tot. Wir werden sehen.“

Der junge Inuyoukai nahm wortlos das Handy. Er wusste nicht genau, was Vater mit Onigumo geplant hatte, aber ein unerwarteter Toter störte stets Strategien. Seine Hand leuchtete seltsam grünlich auf, als sich ätzende Säure daraus über das Gerät ergoss, das nur mehr ein schwarzer, verkrümmter Haufen Metall war, als er es achtlos niederfallen ließ. „Weitere Befehle, verehrter Vater?“

„Myouga wird von der Polizei weitere Informationen erhalten. Das kommt hier auf mein Handy. Nimm es und gib gegebenenfalls Anweisungen. Es darf nichts weiter von Youkaiangelegenheiten, und das schließt auch Izayoi ein, nach draußen dringen. Wenn sich Kiyoshi meldet, sage auch ihm das.“

Sesshoumaru nahm das Mobilphon. „Danke, verehrter Vater. Was soll ich sonst noch tun?“ Immerhin – es gab anscheinend Schwierigkeiten und er durfte etwas tun, war noch nicht so sehr in Ungnade. Allerdings sollte er besser nicht nachfragen, was der Tod eines dieser Gumos mit der Ehefrau seines Vaters zu tun hatte – natürlich, sie waren verwandt, aber … Nun ja. Das reichte wohl bei Menschen.

„Geh in mein Arbeitszimmer, bis ich zurück bin.“

 

Der Herr der Hunde betrat den Jade-Pavillon, das Wohnzimmer. Wie er erwartet hatte, war Izayoi allein und saß vor dem eingeschalteten Fernseher. Allerdings beachtete sie das Bild nicht, sondern weinte stumm. Sie hatte nichts gewusst, dachte er mit einer seltsamen Mischung aus Mitleid und Befriedigung, und näherte sich ihr.

Er war lautlos und so zuckte sie zusammen, als sie bemerkte, dass sich jemand neben ihr niederließ. „Oh, Sie ...“ brachte sie irgendwie hervor.

„Sie haben die Nachricht schon erfahren. - Ich muss zugeben, ich habe keine Ahnung, wie man einen Menschen tröstet, aber ich sah oft, dass man den Arm um jemanden legt.“ Er tat es.

Izayoi war so froh über diese Geste, dass sie sich einfach seitwärts fallen ließ und ihre mühsam aufrecht gehaltene Fassung brach.

Er hielt sie einigermaßen verwirrt in beiden Armen, spürte, wie sein seidenes Obergewand nass von Tränen wurde. Für jemanden, der seinen eigenen Vater getötet hatte und damit rechnen musste im Duell gegen den eigenen Sohn zu verlieren, war es etwas irritierend, dass eine Tochter um ihren Vater trauerte, der sie doch ihrer Meinung nach an ein Monster verheiratet hatte. Ganz würde er Menschen wohl nie verstehen. Aber gleich. Sie wollte festgehalten werden, und so tat er es.

Irgendwann wurde ihr bewusst, was sie da tat, wer sie in den Armen hielt, und richtete sich eilig auf, putzte sich, etwas sehr unhöflich und unhöfisch, die Nase. „Entschuldigen Sie ...“

Er gab sie mit gewissem Widerwillen frei. Auch, wenn sie traurig war – sie so in den Armen zu halten, war ... Nun ja. Da musste er wohl weiterhin Geduld beweisen und der Zeit vertrauen. „Geht es besser?“

„Ja, danke. Ich … Oh, verbrannt! Das ist so schrecklich!“ Sie sah ihn an. „Meinen Sie, ob er das mitbekommen hat? Und, Vater oder Naraku?“

„Zu der ersten Frage: ich denke nicht. Und zu Ihrer zweiten: ich gab Myouga die Anweisung sich an die Polizei zu wenden, damit wir rasch Nachricht bekommen, sobald das feststeht. Wobei – Sie haben doch die Handynummer?“

„Von Naraku, ja. Aber es kommt keine Verbindung.“

Ein Lächeln zuckte um seinen Mund, das etwas wie Besitzerstolz verriet. „Sie haben sogar so aufgeregt noch mitgedacht. Nun, es gibt dutzende von Gründen, warum er sein Handy ausgeschaltet hat. Haben Sie auch versucht Ihren Vater zu erreichen?“

„Nein, ich meine, Sie wollten das doch nicht.“

„Tun Sie es,“ empfahl er. Es würde sie vermutlich beruhigen, wüsste sie, wer von ihrer vermeintlichen Verwandtschaft gestorben war.

Sie stand etwas zitternd auf und ging zum Haustelefon, wählte. Als sich die Haushälterin meldete, sagte sie. „Mariko, ich bin Izayoi. Wissen Sie, was passiert ist?“

„Ich weiß nur, was die Polizei sagte, aber die wussten auch nicht viel. Ich konnte ihnen nur sagen, dass der junge Herr heute in ein Museum wollte oder eine Gemäldeausstellung. Ich sagte ihnen den Namen. Ich vermute, er wird sich bei Ihnen melden, wenn er die schreckliche Nachricht erfahren hat. Und das dann auch noch von der Polizei.“ Die Haushälterin war gerade dabei sich aufzuregen.

Izayoi kannte das und hatte diesmal wirklich keine Nerven mehr dafür. „Danke, Mariko.“ Sie legte auf und wandte sich um, nicht überrascht, den Daiyoukai hinter sich zu sehen. „Naraku wollte in eine Ausstellung … dann … dann kann es doch nur Vater sein, oder?“

„Klingt so,“ gab er zu, ohne zu erwähnen, dass er langsam vermutete, das könnte ein Selbstmord wegen der finanziellen Klemme gewesen sein. „Wenn sich Ihr Bruder oder die Polizei meldet, werden wir mehr wissen. Soll ich bei Ihnen bleiben oder soll Misako kommen?“

Izayoi, die nicht ahnte, dass er fast angespannt auf die Antwort wartete, quälte sich ein mühsames Lächeln ab. „Wenn Sie Ihre Zeit mit mir verschwenden wollen, wäre ich sehr froh.“

 
 

Entwicklung


 

D

er Taishou hatte sich wieder neben seine Gemahlin gesetzt und hielt einfach ihre Hand, in der Annahme, das täte ihr gut. Sie hatte auch nicht widersprochen oder sie ihm entzogen. Manchmal lag er doch wohl richtig in seiner Einschätzung dieser bisweilen so eigenartigen Art. Nach einigen Minuten sagte er: „Wo haben Sie denn Ihr Mobilphon?“

Sie zog es aus dem Ärmel ihres Kimono. Als sie seinen etwas überraschten Blick bemerkte, murmelte sie: „Statt des Fächers. Den brauche ich ja nur draußen.“ Da er sie freigab: „Ich soll es noch einmal bei Naraku versuchen?“

„Ja.“

Sie suchte die Nummer und wählte. Jemand meldete sich mit: „Hallo?“ und sie zuckte zusammen. „Wer sind Sie? Was ist mit meinem Bruder?“ Sie klang atemlos.

Der Unbekannte meinte: „Oh, Sie sind die Schwester? Sie haben wohl die Nachrichten gesehen? Einen Moment.“

Keine Sekunde später hörte sie die Stimme ihres Halbbruders: „Izayoi, Schwesterchen? Du hast es in den Nachrichten gehört? Ich bin hier in einem Museum, die Herren von der Polizei haben mich vor einigen Minuten hier aufgetrieben und es mir gesagt. Ich wollte dich noch anrufen, aber es gab da Fragen ...“ Er würde ihr nicht sagen, dass sie ein Schatz war. Die Polizisten hatten einige eindringliche Fragen gestellt, in welcher Werkstatt er sein Auto warten ließ und ähnliches. Der Anruf einer hörbar panischen Schwester war dazu geeignet ihn unverdächtig zu machen. „Ich hoffe, du hast dich nicht zu sehr aufgeregt. Es ist schrecklich, nicht wahr? Immerhin sagen sie, Vater habe nichts mitbekommen, er sei sicher bereits von dem Aufprall … bewusstlos gewesen.“

„Du hattest dein Handy aus!“ beschwerte sie sich, ohne zu ahnen, dass er es auf laut gestellt hatte und so die Polizisten mithören konnten.

„Schwesterchen – es ist eine Ausstellung, da macht man das. Oh. Du hast nicht gewusst, ob Vater oder ich ...“

„Nein,“ gab sie zu, doch erleichtert, dass derjenige ihrer Familie, an dem ihr noch am meisten lag, lebte. „Was … was passiert jetzt? Man muss doch schon morgen die Totenfeier machen und die Verbrennung … oh ...“ Ihre Stimme schwankte.

„Nein, nein, da werde ich mich darum kümmern. Das ist ja meine Pflicht als Sohn. Ich sage dir dann alles. Du wirst doch kommen?“

Izayoi warf fragend einen Blick zu ihrem Ehemann, in der sicheren Erwartung, dass er das Gespräch mitgehört hatte, auch, wenn sie ihr Telefon nicht laut gestellt hatte. Da er nickte, meinte sie: „Ja, natürlich. Soll ich auch etwas machen?“

„Ich rufe dich später noch einmal an, ja? Ich muss mich auch erst etwas … fassen. Wie gesagt, ich habe es auch gerade erst erfahren.“

„Ja, natürlich.“ Und er stand allein einem Museum, mit Polizisten um sich, sie hatte immerhin in den Armen ihres Ehemanns weinen dürfen. „Tut mir Leid, ich … ich bin etwas durcheinander.“

 

„Nicht nur du. Bis später.“ Er legte auf und rieb sich über die Stirn. „Meine kleine Schwester ...“

Ein Polizist sah ihn an. „Sie ist unverheiratet?“

„Nein,“ erwiderte Naraku erstaunt, der umgehend seine Chance begriff. „Sie ist verheiratet mit dem Inu no Taishou.“

„Oh.“ Die Polizisten wechselten einen Blick. Reicher Bankier, Schwager eines Regierungsmitgliedes, noch dazu des Herrn der Youkai – man sollte behutsam sein, wollte man sich nicht bei der Verkehrspolizei wiederfinden – auf einer vierundzwanzigspurigen Kreuzung ohne Ampel.

„Äh, wenn Sie noch etwas brauchen, kommen Sie mit mir? Ich müsste nach Hause, mich erkundigen, wegen eines Priesters und wegen der Verbrennung und allem ...“

„Sind Sie mit einem Auto hier?“

„Nein, das hat … ich meine, das wollte mein Vater heute morgen haben, und da ich hierher wollte, dachte ich, ich kann auch die U-Bahn nehmen.“

„Wir fahren Sie nach Hause,. Und Sie überlegen sich inzwischen, ob Ihr Vater irgendwelche Andeutungen machte, dass es ihm nicht gut gehe.“

„Das ist nett von Ihnen.“ Naraku wollte schon instinktiv „nein“ sagen, um von seinen Schlaftabletten abzulenken, ehe er bedachte, dass die Polizei nicht dumm war. „Nun ja, er erwähnte öfter in der letzten Zeit sein Alter. Er gab sogar eine Pressekonferenz, dass er kürzer treten wolle und so. Ich sollte in der nächsten Zeit praktisch alle Bankgeschäfte übernehmen. Er fühlte sich wohl unter Druck. Ich meine, die Agenturen und die Bank kosten schon eine Menge Zeit und Kraft. - Und Izayoi hat ja auch erst geheiratet. Er hoffte auf ein Enkelkind.“ Das klang doch nach friedlicher Familie. Wenn sie herausfanden, dass der Taishou dieses unverschämte Angebot gemacht hatte, könnte man immer noch sagen, dass das Vater so aufgeregt habe. Nur nicht mehr reden als gefragt war und den verwirrten, trauernden, Sohn spielen.

 

Izayoi legte das kleine Telefon auf das Tischchen vor sich und blickte seitwärts. „Ich war bei der Totenfeier meiner Mutter,“ erklärte sie leise. „Kommen Sie morgen mit mir?“ Es war Sitte, aber sie schreckte vor dem Sammeln der Knochen aus der Asche zurück. So wäre sie nicht allein. Nun gut, mit Naraku, aber sie musste ehrlich zugeben, dass ihr ihr Ehemann inzwischen weitaus näher als ihr Halbbruder stand.

„Ja.“ Er mochte die religiösen Zeremonien der Menschen nicht. Allerdings hatte das weniger damit zu tun, dass er fürchten musste geläutert zu werden, als mit der Tatsache, dass in aller Regel dort allerlei Räucherstäbchen verbrannt wurden – eine Zumutung für seine empfindliche Nase. Aber ganz offensichtlich war es für seine Ehefrau eine Beruhigung ihn dabei zu haben. Schön, in jeder Hinsicht. „Auch in den Schrein, wenn Sie wollen.“ Sie sah ihn erstaunt an und rümpfte plötzlich die Nase in einer so entzückenden Art, dass er ihr am Liebsten einen Kuss darauf gegeben hätte. „Was haben Sie?“

„Oh, ich bin töricht. Vielen Dank für Ihr Angebot, aber das kann ich ja nicht annehmen. Als Youkai in einen Schrein zu gehen …. Schmerzt das?“

„Nein. Nun gut, mich nicht. Es gab und gibt nur sehr wenige Leute, die mit einem Läuterungsversuch Erfolg hätten. Vielleicht,“ ergänzte er selbstbewusst.

„Das hat auch wieder mit Youki zu tun.“

„Ja.“ Er hatte sie trösten können, denn sie weinte nicht mehr. Sollte er ihr jetzt erzählen, dass Onigumo gar nicht ihr Vater gewesen war? Nein. Das musste bis nach der Totenfeier warten. Sie hatte sich beruhigt, aber es war nicht gesagt, dass diese Nachricht nicht erneut ihre Welt ins Wanken bringen würde. Und, immerhin sollte er so gerecht sein zuzugeben, dass Onigumo vielleicht nicht ihr leiblicher Vater gewesen war, aber sich doch mehr als zwanzig Jahre um sie, ihren Unterhalt und ihre Schulbildung gekümmert hatte. Schön, der hatte dafür genügend Geld von Fürst Toko bekommen, aber dennoch. Vielleicht brauchte sie es auch nie zu erfahren. Wozu sie aufregen. Ihre langen, so unglaublich dichten, Haare … Er hob etwas die Rechte, erstarrte jedoch in der Bewegung.

Izayoi hatte es bemerkt und sah etwas irritiert von der Hand zu seinem Gesicht. „Wollen Sie erneut den Arm um mich legen?“

Ein rasches Lächeln zeigte die Fangzähne. „Wenn ich darf? Aber eigentlich wollte ich Ihr Haar einmal anfassen.“ Aber ob das wirklich der passende Moment war?

Das hatte noch nie ein Mann gemacht, dachte sie unwillkürlich verlegen, aber sie musste zugeben, dass er sie nicht nur eben, sondern auch, als er sie auf dem Waldspaziergang getragen hatte, berührt hatte. Er hatte sie gerade getröstet, ihre Hand gehalten, sie getragen … „Äh, ja, bitte.“ Sie schloss instinktiv die Augen.

So nahe … Der Taishou musste sich zwingen daran zu denken, dass er noch lange nicht am Ziel war, nur wieder einen Schritt darauf zu gekommen war, als er sanft über ihre Wange strich, ehe er seine Finger über ihren Hals in die schwarz fließende Kohle gleiten ließ, das Gewicht der Haare auf seinem Handrücken genoss. Sie öffnete die Augen und er bemerkte mit tiefer Freude, dass keinerlei Angst oder gar Abscheu darin zu entdecken war. Dennoch wurde er von ihren nächsten Worten überrascht.

„Darf ich Ihre auch anfassen?“

„Natürlich.“ Er rechnete damit, dass sie seinen Zopf angehen wollte, und wurde etwas überrumpelt, als sie sein Schulterfell berührte, darüber strich. Frauen, dachte der erfahrene Stratege. Immer wieder gelang es ihnen ihn zu erstaunen. Zum Glück hatte es stets nur sehr wenige weibliche Heerführer gegeben, selbst unter den Youkai.

„Was ist das eigentlich?“ stellte sie ihre schon seit Tagen gehegte Frage. „Ich meine, ich habe darauf geschlafen, aber irgendwie gehört es doch wohl zu Ihrem Körper?“

„Ja.“

„Ihr Sohn hat auch so ein Fell, aber nur eins. Hat das auch etwas mit Youki zu tun?“

„Und mit dem persönlichen Geschmack. Mir wäre nur eine dicke Boa um die Schulter zu unbequem gewesen, damals, als ich noch kämpfte. Und so habe ich es beibehalten.“

„Sie sind ein Inuyoukai, ein Hundedämon. Ist das … Ihr Schwanz?“ Sie bemerkte an dem fast jungenhaften Schmunzeln, dass sie daneben lag. „Oh, verzeihen Sie.“

Er sollte sich zusammennehmen. Sie war entzückend naiv, aber sie hatte wahrlich keine Ahnung – und sie vertraute ihm. Das sollte er keineswegs aufs Spiel setzen. Während er seine Hand zu ihrem Hinterkopf wandern ließ, das dichte Haar spürte, fühlte, wie sie sein Fell kraulte, suchte er nach einer Antwort, die sie nicht erschrecken würde, oder gar diese angenehme Szene beenden. „Nein, die Frage ist wohl berechtigt. Es ist, ja, wie soll ich das nennen, Schulterfell.“

„So wie bei einem Löwen die Mähne?“

„So ungefähr,“ erwiderte der etwas überfragte Daiyoukai, der nie Tiersendungen im Fernsehen gesehen hatte. „Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen ja einmal zeigen, wie das aussieht. Aber ich fürchte, Sie werden erschrecken. Ich bin dann ziemlich groß.“

Sie ließ ihn abrupt los, also zog auch er seine Hand zurück, wenngleich etwas enttäuscht. War sie jetzt wieder entsetzt, weil er eben kein Mensch war?

Izayoi war für einen Moment tatsächlich erschrocken gewesen. Ein riesiger Hund saß neben ihr? Dann jedoch hatte sie den Schatten in seinen Augen gesehen – Enttäuschung. Sie bekam ein schlechtes Gewissen. Er gab sich solche Mühe, ja, war extra hierher gekommen, als er die Todesnachricht bekommen hatte, um es ihr mitzuteilen, hatte sie getröstet und blieb bei ihr sitzen – und sie zuckte zurück, nur weil er eben war, was er war? Und, schlimmer, was er sicher nicht ändern konnte? „Es heißt ja auch Daiyoukai, nicht wahr?“ versuchte sie zu scherzen, ehe sie tief durchatmete. „Ich bin mir nicht sicher, welche Dinge auf mich in den nächsten Tagen noch warten, wegen der Totenfeier und auch danach, aber wenn wir, wie Sie vorschlugen, am nächsten Wochenende Ihren alten Freund Bokuseno besuchen, können Sie mir das gern zeigen. Ich verspreche Ihnen auch nicht zu erschrecken.“

Er erkannte ihren Versuch an. „Und doch werden Sie es tun.“

Izayoi blickte kurz auf ihre Knie. „Vielleicht. Aber, Taishou, möchten Sie mir einen Gefallen tun?“ Sie sah ihn an.

„Äußern Sie ihn.“ Er hatte schon lange gelernt nichts einfach zuzusagen. Sein Wort band ihn.

„Legen Sie noch einmal den Arm um mich?“

Das war eine Bitte, die er nur zu gern erfüllte, und er spürte angetan, dass sie ihren Kopf an seine Schulter lehnte. Sesshoumaru konnte warten.

 

Naraku sah sich zuhause mit einer Menge Fragen konfrontiert, die er so nicht unbedingt vorgeplant hatte. Nicht die Frage des Hauspersonals, wie viele Trauergäste erwartet würden, was sie denn zu essen machen sollten, wie viel einkaufen, ob man Gästezimmer benötige, vor allem jedoch nicht mit dem Polizisten, der ihn auf Schritt und Tritt begleitete, nicht mit den panischen Anfragen aus der Bank und den Finanzinstituten. Nun ja, letzteres bekam er rasch in den Griff, als er auf die Anwälte der Firmen verwies, die sicher alles wissen würden, auch, wann und ob es eine Testamentseröffnung geben würde, ob er noch alle Vollmachten habe. Die Haushälterin sollte warten, ja, und der Polizist … Er setzte sich mühsam im Arbeitszimmer seines Vaters. „Müssen Sie mich eigentlich wirklich dauernd begleiten? Wie lange soll das gehen?“

Kobayashi, wie er sich vorgestellt hatte, zuckte ein wenig die Schultern. „Ich bedauere, ja, Kam Ihnen nie die Idee, dass, falls es kein Unfall war, das Ihnen gegolten haben könnte? Es handelt sich um Ihr Auto.“

Naraku starrte ihn perplex an. Schon wieder etwas, das er übersehen hatte.

Der Polizeibeamte deutete das Erstarren falsch. „Sie haben es übersehen, ja. Natürlich. Aber dazu ist die Polizei ja da. Wobei, Sie sind ein Hanyou. Möchten Sie, dass wir jemanden von den Sicherheitskräften des Inu no Taishou zuziehen?“

„Äh, nein, danke. Ehrlich gesagt, reichen Sie mir als Begleitung.“ Naraku war unwillkürlich zusammengezuckt. Einen Youkaikrieger? Möglichst noch einen Hund? Nein, danke. Verflixt, solche Wirren hatte er nicht eingeplant. „Sie werden heute und morgen einen langweiligen Tag haben.“

„Ich wäre froh, wenn dem so ist, Gumo-san.“

„Ich muss jetzt noch die Totenfeier vorbereiten. Die Haushälterin soll Ihnen dann ein Gästezimmer vorbereiten. Oder müssen Sie etwa auch bei mir schlafen? Oh, wunderbar … Entschuldigung, das geht nicht gegen Sie, aber es wird mir langsam zu viel.“

„Verständlich. - Kennen Sie einen Schreinpriester?“

„Äh, ja. Wir haben ja hier einen Shinto-Schrein gleich um die Ecke. Der Mönch dort hat des Öfteren hier gegessen.“ Vater fand immer, man müsse der Öffentlichkeit Moral zeigen. Nur der Öffentlichkeit, wie er augenzwinkernd versichert hatte, natürlich nur seinem Sohn. Izayoi war aus guten Grund da außen vor gehalten worden. „Ja, genau. Ich gehe rasch hinüber und frage ihn. Gute Idee, Kobayashi. Kommen Sie schon mit.“ Naraku lächelte etwas, sichtlich Müdigkeit zeigend. Der Mann schien nicht gerade viel Ahnung von Hanyou zu haben. Umso besser war es, wenn der ihn für schwach und weich hielt.

Der Polizeibeamte fand ihn nett und umgänglich, dafür, dass er ihn, einen so reichen und mächtigen Mann, in solch einer schweren Lebenssituation auf Schritt und Tritt begleiten sollte. „Danke.- Ich habe selbst erst vor zwei Jahren meinen Vater verloren,“ erklärte er. „Ich weiß, dass man im ersten Moment manches einfach vergisst.“

„Dann sind Sie der Mann für mich.“ Morgen, natürlich nach der Trauerfeier, müsste er mit dem Inu no Taishou reden, möglichst unter vier Augen, anstandshalber – damit der wusste, dass er angeblich von nichts weiter wusste, als dass ihm der Geschäftsführer der neuen Kette von der hohen Forderung der Taishou-Holding in Kenntnis gesetzt hatte. Er müsste einfach um etwas Geduld bitten, bis er alles wusste. Natürlich waren es sowieso bis zur gesetzten Frist noch mehr als fünf Wochen, aber davon sollte er doch jetzt so als trauernder Sohn noch keine Ahnung haben. Da Izayoi anscheinend ehrlich traurig war, sollte das doch wirken. Wenn die wüsste – und gar der Taishou, dass Vater ihm da einen Bastard angedreht hatte und auch noch einige Millionen unterschlagen hatte … Hm. Oder wusste der das inzwischen? Kaum. Sonst würde Izayoi nicht auf die Trauerfeier kommen dürfen. Dem Daiyoukai standen genug Krieger und auch sonstige Mittel zur Verfügung seine Ehefrau im Schloss zu halten. „Das heißt, Moment. Wenn Sie das wissen – äh, geht die Totenfeier morgen denn überhaupt schon? Soweit die Kollegen mir sagten, liegt Vater noch in der Gerichtsmedizin.“

„Dort wird alles unternommen, dass morgen Nachmittag die Verbrennung und die Totenfeier, wie es sich gehört, durchgezogen werden können. Es sei denn, sie fänden noch irgendetwas, das auf Mord hindeutet. Aber das Auto wird eben erst später untersucht.“

„Ja, vermutlich, klar. Ich meine, das Auto muss nicht begraben werden.“ Das klang unpassend, so ein eigenartiger Scherz, dachte er dann, aber spürte dann einen Klaps auf die Schulter.

„Vielleicht sollten Sie die Organisation der Trauerfeier doch Ihrer Schwester überlassen? Oder Ihrem Schwager?“ Kobayashi vermutete aus eigener Erfahrung, dass da jemand mit seinen Nerven am Ende war. Zu viel stürmte auf einen ein. Solche ausgefallenen Scherze hatte er selbst auch gemacht und war von seinem jüngeren Bruder erst emotional eingefangen worden.

„Nein, das geht nicht, das wissen Sie. Ich bin der älteste Sohn, der einzige Sohn. Kommen Sie, gehen wir zum Schrein.“ Er wollte sich nicht vorstellen, wie Izayois vornehme Verwandtschaft – und Fürst Toko musste er einladen, das war klar – reagieren würde, würde ein Youkai eine Trauerfeier im Schrein organisieren und möglichst noch als Gastgeber fungieren. Er wäre in der gesamten vornehmen Gesellschaft unten durch. Taishou hin, Regierungsmitglied her – das hatte der älteste Sohn durchzuziehen. Danach konnte er sich zurückziehen und tun, was immer er wollte.

Nun ja, er wollte diese zehn Millionen vom Hals haben. So gesehen – der Herr der Hunde hielt ihn jetzt immer noch wie Vater an der Leine. Er würde diesen … Nein, Naraku, beschwor er sich. Du bist dabei mit einem Mord davon zu kommen. Begehe jetzt keinen Fehler. Die feierliche Verbrennung, die Trauerfeier, das Gespräch mit dem Taishou um einige Wochen Frist – und dann der Schlag, der diesen arroganten Mononoke unmöglich machen würde. Ein Idee hatte er ja schon, man musste jetzt nur noch sehen, dass die Drachen nach dem Köder schnappten, auf den er auch gut verzichten konnte.

Ein zynisches Lächeln glitt über sein Gesicht. Oh, arme Izayoi.

 
 

Trauerfeier


 

N

araku war mehr als verblüfft vor dem Schrein neben seiner so genannten Halbschwester auch den Inu no Taishou zu sehen, aber er ging beiden höflich entgegen. „Schwesterchen – verehrter Schwager.“

„Naraku, wie geht es dir? Du siehst blass aus.“ Izayoi nahm nicht an, dass sie viel besser aussah. „Musstest du jetzt alles allein regeln?“ Sie bedauerte ihn.

„Es ging. Es gibt da Bestattungsunternehmen, die einem viel abnehmen können. Komm, Sie auch, Taishou, ich möchte Ihnen den Priester vorstellen, der das leiten soll. Ich meine, das macht Ihnen doch nichts aus, werter Schwager?“

„Genauso wenig wie Ihnen, Naraku.“ Der Daiyoukai betrachtete den jungen Mann. Hanyou hin oder her, der wirkte etwas fahrig, nervös. Was wusste der von den Geschäften seines Vaters? Und, was von der Sache mit Izayoi? Oder war das nur die gewöhnliche, menschliche, Trauer? Er persönlich hatte nicht um seinen Vater getrauert, dazu war der Kampf zu schwer gewesen. Und – ebenso wie für Sesshoumaru gegenüber ihm selbst galt die Regel des bedingungslosen Gehorsams, solange der Erzeuger lebte. Und, natürlich, stark genug war, sich durchzusetzen. Forderte man seinen Vater heraus und verlor, galt das immerhin als Hochverrat. Für den Erben kam dann zwar nicht die Todesstrafe, aber etwas, dass man sich danach sehnen konnte. Man sollte also seinen Vater nie unbedacht fordern.

„Oh, ehe ich es vergesse – das hier ist Kobayashi-san von der Polizei. Er begleitet mich seit gestern dauernd.“

Izayoi starrte ihn an. „Sie verdächtigen dich doch nicht?“

„Äh, nein, es ist eher umgedreht. Es war mein Auto, in dem Vater der Unfall passierte. Er soll tatsächlich auf mich aufpassen. - Bitte, reg dich nicht auf. Das wird alles wieder. Wirklich.“ Wunderbar, dachte der Hanyou. So eine Aussage einer besorgten Schwester hatten sowohl Kobayashi als auch der Taishou natürlich gehört, der sich auffälligerweise HINTER seiner Frau hielt – das war nicht protokollgerecht, aber es war ihr Tag, ihre Familie. Tatsächlich, wenn es sich Naraku so überlegte, wirkte der Herr der Youkai eher wie ein Leibwächter seiner Angetrauten. Oder wie ein Gefangenenwärter. Vielleicht sollte er später einmal mit Izayoi allein sprechen …

 

In der Grünanlage, die den Schrein umgab, erwartete ein großer Mann die Gruppe. Unter seinem schwarzen Umhang blitzte eine gelbe Kutte hervor. „Das ist Miyatsu, der Hoshi, der sich bereit erklärt hat, die Zeremonien für Vater zu leiten. Hoshi-sama, meine Schwester Izayoi und der Inu no Taishou.“

Der Priester neigte sich höflich. „Mein Beileid, Izayoi-sama,“ ergänzte dann aber mehr ehrlich als taktisch klug: „Ich kenne Sie natürlich aus den Medien, werter Taishou. Dennoch muss ich zugeben, dass ich nie erwartet hätte einen Daiyoukai in meinem bescheidenen Schrein begrüßen zu dürfen. Sind Sie sicher, dass das für Sie nicht unbequem wird?“

Der Taishou wollte schon ungehalten werden, ehe er die Bannkreise um den Schrein bemerkte. Dieser Miyatsu war ein mächtiger Priester. Und der konnte vermutlich, falls er es darauf anlegte, einige Youkai läutern, die er selbst kannte. Was natürlich auch laut den Verträgen verboten war. Das hier war nur quasi eine Diebstahlssicherung. Die Formulierung war auch höflich gewesen, wenngleich eine Warnung. So meinte er nur: „Es erscheint mir passend meiner Gemahlin bei der Totenfeier ihres Vaters beizustehen. Überdies war ich bereits in einigen menschlichen Schreinen. - Sehr schön, übrigens. Sie verstehen Ihr Handwerk.“

Der Hoshi neigte erneut, diesmal amüsiert, den Kopf. Das bezog sich nicht auf das Gebäude, wie es die Menschen, und wohl der Hanyou auch, dachten, sondern auf seine läuternden Bannkreise. Nun ja, ein Dämonenfürst spürte das sicher. Es war allgemein bekannt, dass der Taishou die Verträge ausgehandelt, ja, begründet hatte, aber das seine Menschenfreundlichkeit gleich so weit ging, auch noch eine Frau der anderen Art zu heiraten? Izayoi sah blass aus, aber das bezog sich wohl eher auf ihren Vater als auf Angst vor dem Daiyoukai, als er sah, wie hilfesuchend sie sich zu diesem umdrehte, auf sein leichtes Nicken erst wieder ihn, den Priester, anguckte. Sie war jedenfalls ein hübscher Anblick. Nun ja. Er sollte das hier jetzt durchziehen. „Äh, Gumo-san, die eigentliche Trauerfeier findet ja in Ihrem Haus statt. Wann erwarten Sie die Gäste?“

„In zwei Stunden, wie vereinbart. Warum? Haben Sie etwa die … die Asche noch nicht bekommen?“ Naraku ärgerte sich,genau an dieser Stelle zu stocken, aber er dachte unwillkürlich an das Bild, das ihm die Saimyosho von dem brennenden Wrack gezeigt hatten. Da war wohl wenig von Vater in der Gerichtsmedizin gelandet und noch viel weniger bei der zeremoniellen Verbrennung. Tatsächlich, er hatte für eine Sekunde ein schlechtes Gewissen bekommen. Unsinn. Das war notwendig gewesen.

„Doch, natürlich,“ beeilte sich Miyatsu zu sagen. Der junge Hanyou schien ebenso aus der Fassung wie die Tochter, die bei diesem Satz erstarrt war – und der sich prompt, wie zufällig, kurz eine Klaue auf die Schulter gelegt hatte. Inkorrekt, aber sicher tröstlich. Der Beschützerinstinkt der Inuyoukai war berühmt. „Kommen Sie nur. Ich habe alles vorbereitet, die Urne steht auch bereit.“

 

Während der Zeremonie hielt sich der Herr der Hunde mehr in Türnähe auf. Diese Räucherstäbchen waren eine Qual für jede Nase, erst recht für eine so empfindliche wie die seine. Nun ja, drüben, bei der eigentlichen Trauerfeier im Haus der Gumos würde es noch einmal so hart werden, ehe ein Essen den Abschluss brachte. Sein einziger Grund an solch einer lästigen Sache teilzunehmen zitterte da vorne, kämpfte gegen Tränen an, und blickte immer wieder zu ihm. Ganz offensichtlich war er der Halt für seine junge Gemahlin in dieser Situation. Er, der Youkai, den sie noch vor gut zwei Wochen voller Panik kaum angesehen hatte. Seine Mühe und Zurückhaltung schien sich auszuzahlen. Wie elegant sie sich trotz allem bewegte …

Er versank in angenehmen Tagträumen, aus denen er erst fast zwei Stunden später gerissen wurde, als er feststellen musste, dass Naraku und Izayoi bei dem Essen praktisch als Gastgeber fungierten. Natürlich war das eigentlich klar, sie hatten ja keine Mütter mehr, die die Rolle der Hausherrin übernehmen konnten, aber dennoch packte ihn etwas wie Eifersucht auf seinen Schwager. Vollkommen unsinnig und töricht, aber dennoch … Einen anderen Mann an ihrer Seite zu sehen ließ sein Youki aufwallen.

Das Essen war im Garten der Gumos als Stehempfang aufgebaut worden und anscheinend hatte Naraku für einen Cateringservice gesorgt, denn es huschten mehr Angestellte herum, als nach seinem Wissen im Haus arbeiteten. Während der neue Hausherr weiter mit den Gästen plauderte, zog sich Izayoi ein wenig auf die Seite zurück und unterhielt sich mit dem Priester. Der Inu no Taishou ließ sie nicht aus den Augen, obwohl er eigentlich mit Fürst Toko redete. Dieser war über die gewisse Unhöflichkeit eher amüsiert, da das natürlich seiner Familie schmeichelte. So bemerkte der Herr der Hunde, wie sie kurz korrekt den Kopf vor Miyatsu neigte, ehe sie den älteren Mann verließ.

Und er sah nur zu gut, wie dessen Rechte vorzuckte und rasch über das Hinterteil SEINER Frau strich.

 

Im nächsten Moment spürte der Hoshi sein Handgelenk schmerzhaft umspannt. Er erkannte nur zu deutlich, wer da vor ihm stand, und, dass es in den Augen des Daiyoukai förmlich rötlich wetterleuchtete. Er war fähig genug, um Youki zu erkennen – und die Höhe dieser Energie, so direkt vor sich, war erschreckend. Überdies wusste er ebenso, dass diese rötlich schimmernden Augen ein ungutes Zeichen für das jeweilige Gegenüber waren. Izayoi war erschrocken herumgefahren – wegen seines kleinen Übergriffs oder wegen der Geschwindigkeit mit der ihr Ehemann hier aufgetaucht war? Hundedämonen und ihr Beschützerinstinkt.

Der Taishou musste sich zusammennehmen. Einem Priester einen Arm auszureißen wäre ein eklatanter Bruch der Verträge. So knurrte er nur zwischen zusammengepressten Fangzähnen: „Wenn Sie sie noch einmal berühren, werde ich höchstpersönlich Sie Izanami-sama vorstellen, haben wir uns verstanden?“

„Die Verträge … “ brachte Miyatsu irgendwie hervor.

„Verbieten mir nicht jemanden lebendig und in einem Stück der Totengöttin vorzustellen.“

Der Hoshi nickte lieber. Letzteres stimmte bedauerlicherweise – nur, wie mächtig war dann der Herr der Hunde? Lebendig in der Unterwelt – ihn schauderte. „Sie könnten mich freundlicherweise loslassen, damit ich mich bei Izayoi-sama entschuldigen kann?“

 

Besagte junge Dame war ein wenig überrascht, ehe sie erkannte, dass das leichte Berühren, dass sie selbst durch die mehreren Kleidungslagen gespürt hatte, wohl dieser Priester gewesen war. Sie wurde etwas rot. Daraus folgte allerdings auch, dass ihr Ehemann sie nicht aus den Augen gelassen hatte. Beschützerinstinkt oder gar Eifersucht? Nein, wohl eher Zorn, dass es jemand wagte die Hand an sein Eigentum zu legen. Natürlich. Er achtete sehr auf seine Ehre, das war es, und sie sollte nicht mehr hinein interpretieren als es war. Allerdings sollte sie auch aufpassen, dass Miyatsu aus der Sache heil heraus kam. Hatte sie sich nicht getäuscht, so hatten die Augen des Daiyoukai sich verändert gehabt, waren rot geworden. War das überhaupt möglich? So nickte sie nur bei der etwas heiser vorgetragenen Entschuldigung des Priesters, hütete sich jedoch zu lächeln. „Ich bin sicher, dass das nur ein Versehen war, hoshi-sama.“ Ihr wurde jäh kalt. Ach du je. Und das, kurz nachdem Sesshoumaru … Für was musste sie ihr Ehemann denn halten? Sie hatte trotz all seiner Freundlichkeit nicht vergessen, dass er sie strafen durfte. Sie musste dringend zeigen, dass sie korrekt blieb. So sah sie etwas zögernd zu ihm. „Darf ich Sie bitten, werter Taishou, mich freundlicherweise weiter zu begleiten? Ich sollte die Gäste nicht vernachlässigen.“ Das war sicher nicht falsch.

Der Herr der Hunde bot ihr prompt höflich die Klaue. „Selbstverständlich, meine Liebe.“ Ja, es war wohl besser zu zeigen wem sie gehörte, da hatte sie Recht. Sie war vernünftig.

 

Miyatsu erkannte an dem schlagartig gesunkenen Youki, dass dieser kleine, fast höfische, Satz der jungen Dame ungefähr die gleiche Wirkung gehabt hatte, als wenn sie zu einer angreifenden Bulldogge erfolgreich „Mach Platz“ gesagt hätte, und machte sich so seine Gedanken.

 

Naraku kam heran. „Hoshi-sama? Gab es Probleme?“

„Nein, es ist alles in Ordnung. Mir scheint nur, da ist jemand überaus wachsam, wenn es um seine Gemahlin geht.“

„Ja?“ Der Hanyou folgte dem Paar mit den Augen. Der Hebel, diesen Daiyoukai zu knacken, war wirklich Izayoi? Was hatte seine kleine, dumme, Schwester denn an sich, dass sie diesen Eisblock bezirzt hatte? Oder war das nur der Hundetrieb permanent Wache halten zu müssen? Nun, gleich. Sie war der Hebel und er sollte ihn nutzen Zunächst allerdings benötigte er leider noch ein Gespräch mit seinem ungeliebten Schwager, um den bei der Stange zu halten. Nach dem kleinen Zwischenfall hier sollte er allerdings mindestens, nun, fünfzehn Minuten, warten. Und sich konzentrieren. Inuyoukai galten als lebende Lügendetektoren, da sollte ihm kein Fehler passieren, auch, wenn er als Hanyou sich besser beherrschen konnte, zumal durch die Spinnengene, als Menschen. Er sollte jetzt aber erst einmal seine Rolle als trauernder Sohn – und Bruder - gut spielen. „Oh, hoshi-sama, darf ich Sie noch auf etwas aufmerksam machen? Wenn Sie meine Schwester noch einmal belästigen sollten, haben Sie schneller ein sehr schwarzes Loch in der Hand, als Sie glauben. Und zwar durch mich.“

„Ein unglückseliger Erbteil der Männer meiner Familie“ gestand Miyatsu. „Aber ich habe Sie und auch den Taishou durchaus verstanden.“ Lieber ein schwarzes Loch in der Hand als Izanami! Nun ja, es gab auch andere hübsche Frauen, die nicht dermaßen bewacht wurden. Eines Tages würde er schon eine finden, die ihm einen Sohn zur Welt bringen würde.

 

Naraku nutzte die Gelegenheit, als sich Izayoi einmal ins Haus zurückzog und der Herr der Hunde allein stand. „Verzeihung, werter Schwager, auf ein Wort, unter vier Augen?“

„Privat oder geschäftlich?“

„Private Dinge, die wir gemeinsam haben ...“ Der Hanyou lächelte etwas. „Ich würde mich in derartiges nur einmischen, wenn ich sehen würde, dass Sie meine Schwester nicht gut behandeln. Nein, etwas Geschäftliches, das anscheinend sehr wichtig ist. Wie Sie vielleicht wissen, habe ich bislang in der Bank gearbeitet und mit den so genannten Ketten, den Finanzagenturen, wenig zu tun gehabt. Mich rief heute allerdings einer der Vorstände der einen Kette an, kaum dass er die Todesnachricht erhalten hatte, und teilte mir mit, dass Sie eine Forderung von zehn Millionen an sie gestellt haben. Wie Sie sich unschwer vorstellen können, kam ich heute nicht dazu auch nur einen Brief zu lesen, geschweige denn Konferenzen einzuberufen. Ich habe alle an die Anwälte verwiesen, da es Regelungen gibt, bevor es zur Testamentseröffnung kommt. Ich hoffe, Sie sehen es daher nach, wenn unter Umständen die Frist, in der Sie die zehn Millionen haben wollen, etwas überschritten wird.“ Das war doch schön formuliert. Der Wahrheit entsprechend sogar, er hatte nur verschwiegen, das er sehr genau wusste, wie lange die Frist war. „Nach allem, was mir unsere Anwälte sagten, nun ja, also jetzt meine, dauert es gewiss vierzehn Tage bis zur Testamentseröffnung, weil alle Bilanzen gemacht werden müssen.“ Das war ebenfalls eine unangenehme Nachricht für ihn gewesen, da er diesen Fakt komplett übersehen hatte. Hoffentlich war die Schieflage einigermaßen zu verstecken. Nun ja, wenn nicht, musste er die alte Kette verkaufen, die jüngere abwickeln – und er wäre immer noch der ehrenwerte Bankier, ja, der Retter der Bank, dessen Vater diesen Schlamassel begonnen hatte. Er würde nach wie vor gut und oben in der Gesellschaft stehen. Jedenfalls würde er aus seinen Fehlern lernen und bei seinem nächsten Plan, der ihm einiges bringen sollte, deutlich umsichtiger planen und alle Eventualitäten einbeziehen.

„Fünf Wochen, Naraku. Die Frist beträgt noch fünf Wochen. Übrigens liegt auch ein Kaufangebot meinerseits für die alte Kette vor. Sehen Sie sich das alles nur ruhig an. Bis in fünf Wochen werden Sie wissen, was Sie tun werden. Und auch das Testament ist eröffnet.“ Der Stratege überlegte rasch. Was wollte Naraku? Wenn er von diesem Angebot und der Kündigung der Darlehen wusste – wollte er Aufschub um … ja, um was zu tun? Neue, bessere, Angebote für die alte Kette erhalten? Wusste der tatsächlich nichts und musste sich wirklich erst einlesen? Immerhin hatte er, wenngleich verhüllt, angesprochen, dass er sich in die Ehe Izayois mit ihm selbst nur dann einmischen würde, würde seine Schwester schlecht behandelt. Er hielt sie also dafür, wusste nichts von dem Plan, den sein Vater und der alte Fürst Toko ausgeheckt hatten. Nun gut. Das war privat, das andere geschäftlich. „Aber gut, ich bin informiert.“

„Danke.“ Vorsichtiger alter Hund. Naraku, der durchaus gehofft hatte eine Zusage zu erhalten, dass die Forderung zurückgezogen wurde, sah sich getäuscht. Er hatte gedacht, wenn der Taishou nur wegen der kleinen Erpressung auf Vater wütend wäre, würde er das ihm gegenüber fallen lassen. Aber nein, der sah jetzt natürlich die Chance billig an die alte Kette zu kommen, und würde nicht nachlassen. „Bis in fünf Wochen weiß ich sicher, wie ich weiter vorgehen muss.“ Nun ja, zunächst einmal musste er tatsächlich alles sichten, was Vater womöglich vor ihm verborgen hatte, jemanden aber auch darauf ansetzen, welche finanziellen Rechte Izayoi bei Auflösung der Ehe hatte. Wenn die Gute noch immer Jungfrau war, würde es sich der Taishou etwas kosten lassen müssen diesen Skandal aus der Öffentlichkeit zu halten. Zweifel an der Männlichkeit des Fürsten bildeten unter Youkai rasch die Grundlage für einen Aufstand. Er neigte höflich den Kopf. „Danke für Ihre wertvolle Zeit, teurer Schwager. Ich muss mich um die anderen Gäste kümmern.“ Er benötigte dringend ein vertrauliches Geschwistergespräch mit Izayoi. Immerhin schien weder sie noch gar ihr Ehemann etwas von dem Betrug Vaters an ihr zu ahnen, da würde sie doch wohl offen sein. War da alles in geordneten Bahnen, musste er doch einmal seinen anderen Plan überdenken, und sich erkundigen, was eigentlich im Ehevertrag bei einem vorzeitigen Tod Izayois zu ihrem Erbe drin stand. Er brauchte mehr Geld, um die Firmen und vor allem seine gesellschaftliche Position halten zu können, ja, ausbauen zu können. Eines Tages würde er dort stehen, wo der Taishou jetzt war, dachte er mit gewissem Zorn, als er sah, wie überaus höflich andere Menschen dessen Nähe suchten. Die Saimyosho mussten dessen Schloss und diesen Pavillon, in dem Izayoi lebte, deutlich besser überwachen.

 

 

Bei der Rückkehr in das Schloss begleitete der Hausherr Izayoi zuvorkommend zu ihrem Pavillon. Im Wohnzimmer wartete Misako neben der Tür, wie er zufrieden feststellte. „Ich wünsche Ihnen noch etwas Entspannung,“ sagte er. „Und, natürlich, eine gute Nacht.“

„Danke, werter Taishou. Auch für Ihre Begleitung, heute. Es war mir angenehmer so,“ versicherte sie ihm mit einem Lächeln. Oh, und wie dankbar sie ihm war. So sah sie zu ihm auf. Er mochte es ja gern, wenn sie ihn direkt anblickte, statt den Kopf nach der Etikette zu senken.

Sie lächelte und blickte ihn vertrauensvoll an. Wenn diese Zofe nicht zwei Meter neben ihnen gesessen hätte … Nein, er durfte dieses Vertrauen nicht enttäuschen, sie nicht in die Arme reißen und wild küssen. Der Herr der Hunde nahm sich zusammen, lächelte jedoch ebenfalls.

Izayoi spürte irgendwie, wie ihr heiß wurde. Wenn er so lächelte, seine Augen so funkelten, war jetzt immer irgendetwas mit ihrem Atem los. Sie sollte sich zusammennehmen. „Wann wünschen Sie den Ausflug zu Bokuseno zu machen?“ erkundigte sie sich nur, ganz die brave Ehefrau.

„Samstag, dann haben Sie Sonntag Zeit zur Erholung, wobei ich Ihnen versichern möchte, dass diese Strecke einfacher für Sie wird.“

„Danke, ja.“

Er wandte sich ab und ging.

Obwohl Misako sich sofort etwas aufrichtete und sie fragend anblickte, schickte sie ihre Zofe nach einem heißen Tee, denn ihr war plötzlich sehr kalt und sie fühlte sich allein.

 
 

Naraku

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Naraku konnte sich in den folgenden Tagen nicht über mangelnde Arbeit beklagen. Er versuchte herauszufinden, was er tatsächlich wusste, was ihm sein Vater verschwiegen hatte – und wie die finanzielle Lage im Endergebnis aussah. Zu seinem größten Bedauern musste er feststellen, dass sie tatsächlich so katastrophal war, wie Onigumo gesagt hatte. Der Vorteil war nur, dass außer Vater niemand den kompletten Überblick gehabt hatte, also auch keiner plaudern konnte. Die zehn Millionen für dessen Unfalltod waren zwingend notwendig, um die Hypotheken der neuen Kette auslösen zu können, da der Inu no Taishou keine Anzeichen gegeben hatte darauf warten zu wollen. Nun, warum sollte er auch. Es war DIE Chance an die gut da stehende alte Kette zur Hälfte des Wertes zu gelangen.

Der Hanyou gab zu, dass der Plan durchaus bewies, warum der Kerl ein Heerführer und dann Herr der Youkai geworden war und jetzt auch im Geld schwamm. Aber auch er war clever und das würde der Hund als erstes zu spüren bekommen.

Der achtete also auf seine Ehefrau und seine Ehre, ja? Nun gut. Ehefrau Nummer Eins hockte in einem Schloss in der Pampa, aber selbst Ryuukossusei war nicht angetan von einem Besuch bei ihr. Der hatte etwas von: sie ist eine Hexe gemurmelt. Gerüchten zufolge, die Naraku aufschnappte, als er sich daraufhin umhörte, war sie eine schöne Inuyoukai und aus äußerst gutem Haus, angeblich sogar sehr zauberkundig – und kalt wie Eis. Die meisten Youkai, die er fragte, meinten nur, Sesshoumaru sei wahrhaft ihr Sohn. Nun ja. Jedenfalls wurde auch immer erwähnt, dass sie loyal zum Taishou stehe.

Blieb also Ehefrau Nummer Zwei – seine so genannte Schwester. Izayoi war ein Mensch, sie lebte allerdings gut bewacht in dem Schloss und es wäre schwer an sie heranzukommen. Was für eine Schande für den Taishou würde sie fremd gehen – oder auch nur entführt werden. Das konnte zu wirklichem Ärger in der Youkaiwelt führen. Und ihn entmachten. Fremd gehen, ja, aber mit wem? Sie hielt ihn ja für ihren Bruder und auf Drachen stand sie sicher nicht mal in Menschenform. Ein Youkai? Hm. Wer sollte so todessehnsüchtig sein und sich an die gute Matratze des Taishou heranmachen? Shishinki hatte da auch kein Interesse, nur an seinen dämlichen Schwertern. Also blieb nur ein Mensch.

Oder doch ein Drache, allerdings auf andere Art? Er sollte sich mal die letzten Ausgaben der Drachenpost besorgen. Bis zur Testamentseröffnung hatte er jedenfalls bei den privaten Finanzen Luft. Und bis dahin sollte auch die Versicherung zumindest sich zur Zahlung bereit erklärt haben. Wenn es da auch Ärger gab und die genau nachprüfen wollten, müsste er zumindest auf den zwei Millionen bestehen, die er so oder so bekommen würde.

Das war anstrengender, als er gedacht hatte. Das nächste Mal müsste er auch an die Folgen denken und ...

Ah, der Ehevertrag zwischen Izayoi und dem Taishou. Vater hatte da doch irgendwo eine Kopie. Was bekam sie, wenn er vor ihr starb, was stand ihm selbst als Erbe zu, wenn Izayoi vor dem Taishou das Zeitliche segnete? Das Brautgeschenk, das der Taishou ihr überlassen hatte, würde auf jeden Fall ihr gehören. Wie viel erbte dann ihr Ehemann? Und, was stand ihr eigentlich als Schmerzensgeld zu, wenn die Ehe aufgelöst wurde, weil sie gar nicht vollzogen worden war? Hm. Leider konnten die Saimyosho, so nützlich sie als Spione auch waren, nicht die Zofe befragen. Da musste er wohl selbst in einem geschwisterlichen Gespräch ran. Hoffentlich sagte Izayoi etwas zu diesem doch heiklen Thema.

 

Es war kalt geworden und Izayoi beschloss am Freitag, nachdem sie an einem kleinen provisorischen Altar in ihrem Wohnzimmer das tägliche Totenritual für ihren Vater abgehalten hatte, nach Tokyo zu fahren, um sich einen Anorak mit Kapuze zu kaufen. Der Taishou wollte mit ihr ja wieder einen Waldspaziergang machen, da sollte sie vorbereitet sein, auch, wenn er gesagt hatte, das würde sie weniger anstrengen. Nun, das hoffte sie schwer.

Taro, der Katzenyoukai, der sie gewöhnlich fuhr, war bereits mit dem Taishou und Sesshoumaru in Tokyo und so stellte sich der Hausherrin ein junger Menschenmann vor.

„Takemaru Setsuna, Izayoi-sama.“

„Ich freue mich, Sie kennenzulernen. Misako wird mit mir fahren.“

„Natürlich, wie Sie wünschen.“ Und beileibe sollte eine Fürstengemahlin nicht allein mit einem doch fremden Mann im Auto sitzen, Chauffeur hin oder her. Takemaru war der erste Mann seiner Familie, der in die Dienste eines Youkai getreten war – sie waren über lange Jahrhunderte als gnadenlose Kämpfer gegen Dämonen berühmt geworden. Nun ja, es wurde gut bezahlt, und er gab zu, dass der Taishou seine Leute unter Kontrolle hielt. Es passierte nichts Tragisches zwischen den Arten, soweit er wusste, mit Ausnahme dieser Wurmyoukai. Und er hatte sich umgehört. Allerdings hatte ihn diese Ehe mit einer Menschenfrau doch überrascht, zumal, weil sie eindeutig nett wirkte und in keinster Weise verschreckt. Allerdings wusste er inzwischen von verschiedenen derartigen Mischehen. Nicht viele, aber doch.

„Oh, ich werde mich anschließend noch mit meinem Bruder treffen. Haben Sie zufällig eine Nummer, unter der der … oyakata-sama zu erreichen ist?“

„Die des Vorzimmers, ja, Izayoi-sama.“ Er zog sein Handy aus der Tasche und nannte sie ihr.

„Danke.“ Sie wählte. „Ich bin Izayoi. - Wäre mein Gemahl kurz zu sprechen? Würden Sie ihm bitte ausrichten, dass ich mich heute noch gegen vier mit meinem Bruder im Ichigiku-Café treffe. Danke.“ So, damit hatte sie ihre Versprechen eingelöst, mit Chauffeur und einer Dame zu fahren, und ihm Bescheid zu geben, wenn sie sich mit jemandem aus ihrer Familie treffen wollte. Es war wichtig korrekt zu bleiben, die Youkai achteten noch viel mehr als die Menschen auf richtiges Benehmen. Und ihr Verhalten fiel stets auf den Taishou zurück. Er war sehr freundlich gewesen, gerade auch jetzt beim Tod ihres Vaters, das konnte sie ihm nicht damit vergelten, dass sie ihn vor seinen Leuten bloßstellte. Zum Einen, weil sie doch angefangen hatte ihn zu mögen, zum Zweiten jedoch auch nicht vergessen hatte, vergessen konnte, dass er sie jederzeit bestrafen durfte. Sie stieg in das Auto und wartete, bis ihre Zofe sich auf den Beifahrersitz niedergelassen hatte. „Misako, kennst du einen Laden für Anoraks, ich meine, Sportkleidung.“

„Ich bin sicher, wir werden in dem großen Einkaufszentrum etwas für Sie finden, Izayoi-sama. Wenn ich Ihnen allerdings vorschlagen dürfte auch Handschuhe einzukaufen. Es soll am Wochenende schneien.“

„Oh, ja, und einen Schal.“ Froren Youkai eigentlich nicht? Sie hatte noch keinen der Krieger mit einem Mantel oder einer Jacke herumlaufen gesehen. Auch ihr Ehemann war immer nur in seiner üblichen Seidenkleidung zu ihr gekommen. Nachdem sie sich bei ihrem letzten Spaziergang, nun ja, der letzten Querfeldeinwanderung, so blamiert hatte, wollte sie sich gründlich vorsehen und lieber auch mehr zu trinken mitnehmen. Andererseits war sie sehr neugierig auf einen alten Freund des Taishou, zumal einen Baumgeist. Außer im Fernsehen hatte sie noch nie einen gesehen, und auch da nur in einem Spielfilm. Und, das gab sie auch zu, sie war interessiert, wie ER als Hund aussah. Er hatte ja gesagt, dass sie erschrecken würde, aber das hoffte sie doch nicht. Es wäre vermutlich schrecklich unhöflich, zumal er sich seit Wochen redlich bemühte sie zu beruhigen.

 

Naraku war alles andere als begeistert, als seine angebliche Halbschwester mit Tüten schleppender Zofe im Café eintraf. Das würde kaum etwas mit dem intimen Gespräch werden. Immerhin hatte er die Kopie des Ehevertrages gefunden. Starb der Taishou vor ihr, erhielt sie eine gute Witwenpension, das musste man dem Daiyoukai lassen. Natürlich war das extrem unwahrscheinlich bei der unterschiedlichen Lebenserwartung von Menschen und Youkai. Interessanter war freilich der Passus, dass bei Izayois vorzeitigem Ende ihr Vermögen, das ihr als Brautgeschenk oder als Taschengeld ausbezahlt worden war, zu zwei Dritteln an Onigumo no Gumo oder seine Rechtsnachfolger fiel. Also an ihn. Vater hatte sich anscheinend schon gut abgesichert. Und der Taishou hatte sich nichts dabei gedacht. Oder doch? Das würde erklären, warum Schwesterchen nie allein auf die Straße durfte. Oh, da stand ja auch ein Chauffeur, diesmal allerdings ein Mensch, draußen. Hm. Ein recht junger Mann. Und der fuhr Izayoi spazieren? Der Herr der Hunde hatte auf ihn nicht so naiv gewirkt. Oder sah der in einem Menschenmann keine Konkurrenz für sich? Schön, das erklärte jedenfalls auch, warum diese alte Frau hier mit an den Tisch kam, allerdings wie ein Wachtposten hinter dem Stuhl ihrer Herrin stehen blieb.

„Guten Tag. Ich sehe, du hast eingekauft, Schwesterchen,“ erklärte er mit freundlichem Lächeln.

Izayoi setzte sich. „Ja, Winterkleidung, Naraku. Ich habe ja keine gehabt, und da der … oyakata-sama mit mir morgen einen Ausflug machen will ...“

Der … also, vermutlich der Taishou und oyakata-sama. Wurde das von ihr der Form halber verlangt? Youkai waren schrecklich altmodisch. Oder, das wäre die für ihn günstigere Alternative: das Ehepaar stand sich fremd gegenüber. „Er scheint sich gut um dich zu kümmern.“

„Ja, danke.“ Sie lächelte unwillkürlich etwas. „Hattest du viel zu tun? Sicher, in der Bank und so?“

„Ja, ich muss alles sichten und aufräumen. Immerhin macht die Finanzabteilung die ganzen Bilanzen. Es ist etwas schwierig.“ Schön strikt an den Plan halten, harmlos wirken. Im Zweifel forderte der Taishou von ihr einen Bericht über das Treffen. Zofe und Chauffeur würden bestimmt plaudern, dass sie sich gesehen hatten. „Vater kannte sich als Einziger wirklich aus. Das ist ein gewisses Problem. Aber noch ist Zeit. Übrigens, nächste Woche ist dann Donnerstag oder so die Testamentseröffnung. Da werden dich die Anwälte sicher auch einladen.“

Ein Termin, den sie sich aufschreiben sollte. „Oh, wann genau?“

„Ich weiß es nicht. Die Einladungen sollten heute rausgehen. Ich habe auch noch keine. - Sag mal, nur so aus Interesse, weil man ja sagt, einer kommt, einer geht … Du hast mir zufällig nicht eine erfreuliche Nachricht zu machen?“ Ah, sie starrte ihn irritiert an, dann wurde sie rot. Hm. Und was bedeutete das jetzt?

Izayoi war verlegen, aber mit Misako und Naraku hier ... und außerdem wollte sie ihren Ehemann schützen. „Naraku, gerade du müsstest doch wissen, wie schwierig das mit Hanyou ist. Und ich bin kaum vier Wochen verheiratet.“

„Schwesterchen, ich bin der lebende Beweis, dass es sie gibt.“ Aber er lächelte beruhigend. „Das wird schon, irgendwann.“

„Ja, irgendwann.“ Sie atmete tief durch. Auf so eine Frage war sie wirklich nicht gefasst gewesen. Ein Baby? Ein Hanyou? Von einem Daiyoukai? Nun ja, jungverheiratete Frauen sollten mit solchen Nachfragen rechnen. Mehr um auszuweichen erklärte sie: „Ich weiß nicht, ob oyakata-sama nicht dafür einfach zu viel Youki besitzt. Ich meine, ich habe keines.“

„Ja, natürlich, tut mir Leid, Schwesterchen, wirklich.“ Das war kaum der geeignete Zeitpunkt um darüber zu philosophieren, wie hoch die Sterbewahrscheinlichkeit bei Menschenmüttern von Hanyou war. Beeindruckend hoch. Nette Idee so an ihr Geld zu kommen. Aber, wenn ein Kind da wäre, würde das doch erben? Hm. Müsste er auch noch einmal überprüfen. „Ich wollte dich nicht ärgern. Zeig mir doch, was du eingekauft hast.“ Bingo! Damit hatte er noch jede Frau ablenken können. Nicht, dass ihn der Anorak mit fellumsäumter Kapuze interessierte, geschweige denn, wie schön lang der wäre. Er registrierte nur, dass sein lieber Schwager seine Schwester am Wochenende offenbar zu Ausflügen mitnahm. Eingesperrt wurde sie wohl nicht, aber immer unter Kontrolle gehalten. Sie schien allerdings nicht unglücklich damit zu sein. Vater hatte sie ja auch zum Gehorsam erziehen lassen. Leider bedeutete das auch, dass ihre Loyalität vermutlich nicht ihrer Familie und damit ihm galt, sondern ihrem Ehemann. Na schön.

„Äh, Naraku, wenn du noch Fotos oder anderes von meiner Mutter findest, kannst du sie mir geben?“

„Ja, natürlich. Ich brauche sie ja nicht. Aber, ehrlich gesagt, ich bin noch nicht dazu gekommen Vaters private Sachen anzusehen. Die Leute von der Bank und die ganzen Anwälte und so ….“ Er seufzte ein wenig theatralisch. „Ich hätte nie gedacht, dass man so viel zu tun bekommt. Oder auch, was Vater da eigentlich immer alles gemacht hat.“

„Das kann ich mir vorstellen.“ Izayoi dachte an den Taishou, der ja auch seinen Konzern lenken musste und zugleich noch als Fürst sicher mit diversen Youkaiangelegenheiten beschäftigt war und auch noch Regierungsmitglied. „Du solltest ein wenig ausspannen.“

„Ja, mache ich. Aber das geht eben erst frühestens nach der Testamentseröffnung. Sag mal, ist das dein Auto da draußen? Mit dem Chauffeur?“

„Ich denke, ja.“ Sie drehte sich um. „Ja. Wieso?“

„Oh, ich bin nur überrascht, dass das ein menschlicher Fahrer ist.“

„Es arbeiten viele Menschen für die Taishou-Holding. Oyakata-sama macht da keinen Unterschied.“ Nun ja, fast keinen. Soweit sie mitbekommen hatte, waren gewisse Positionen, wie der Finanzchef mit Youkai besetzt. Aber, vielleicht konnte dieser Kitsune auch mehr? Wie alt war der eigentlich? Oder gar ihr Ehemann? Aussehen tat er wie höchstens um die Vierzig, sein Sohn wie sechszehn, siebzehn, aber das konnte kaum stimmen, denn er hatte doch vor siebzig Jahren die Verträge ausgehandelt. Und damals war er bereits der Herr der Youkai gewesen. Oh ihr Götter, war sie etwa mit einem uralten Mann verheiratet? Sollte sie ihn fragen? Oder würde er das als Beleidigung auffassen? Oder sollte sie sich einfach an das halten, was sie sah, und es nicht hinterfragen? Sie sollte sich jetzt lieber wieder ihrem Bruder zuwenden. „Du hast mich gerade völlig irritiert,“ erklärte sie. „Was machst du denn, wenn du nicht arbeitest? Ich meine auch, was machst du mit den Angestellten im Haus?“

Er wollte schon sagen, den Rest auch noch entlassen, da er sie nicht brauchen konnte, aber das stimmte nicht. Der Garten musste gepflegt werden, wenn Gäste kamen sollten sie empfangen werden können, also brauchte er eine Haushälterin … Er musste nach außen hin Höflichkeit und Reichtum zeigen, um die gesellschaftliche Stellung zu halten. Die Mitgliedschaft im Billionaire kostete auch nur noch die Hälfte, weil Vaters Beitrag ja wegfiel, und das machte in dieser Preiskategorie schon einiges aus, dafür konnte er sich einen Gärtner gut leisten. „Ich werde sie behalten, warum? Siehst du mich staubsaugen?“

„Nein, stimmt schon. Ich dachte nur, Mariko ist so lange schon bei uns … ich meine, im Haus der Gumos.“

„Stimmt. Und sie kann eine richtige Nervensäge sein, erinnerst du dich?“ Er zwinkerte. Ganz auf freundlicher Bruder machen, beschwor er sich, zumal er als Hanyou durchaus abschätzen konnte, was da an Youki durch die Tür kam. „Aber sie ist nun einmal eine gute Haushälterin. Nein, nein, sie soll nur weiter machen. - Oh, mein teurer Schwager.“ Der Taishou neigte anscheinend zum Kontrollwahn. Konnte man das irgendwie verwenden? Izayoi strahlte allerdings förmlich auf, durchaus nicht erstaunt, dass er kam. Verflixt. Wenn diese Ehe glücklich war, konnte er das nicht gegen den Herrn der Hunde benutzen. Es wäre auch zu schön gewesen, wäre sie noch unberührt und man könnte Zweifel an der Männlichkeit des Daiyoukai säen. Das sah nur leider nicht so aus. Dass sie sich in der Öffentlichkeit nicht berührten war ja quasi selbstverständlich.

„Schwager,“ grüßte der Taishou höflich zurück, durchaus besänftigt von der Tatsache, dass vor dem Café der Chauffeur wartete und Misako sich hier bei seiner Frau befand. Überdies war deren Willkommenslächeln für ihn einfach entzückend gewesen. Sein Youki sank. „Guten Tag, meine Liebe. Wie ich sehe, haben Sie eingekauft.“

„Oh, Kleidung, für unseren Ausflug morgen.“ Izayoi deutete auf den Stuhl neben sich, ehe ihr einfiel, dass sie ihm keine Vorschriften zu machen habe.

Er nahm allerdings Platz. „Nun, Naraku, haben Sie sich schon einen Überblick verschaffen können?“

„Einen groben, ja. Es ist sehr mühsam. Außer meinem, unserem, verstorbenen Vater hatte wohl niemand den Überblick. Es sind ja im Endeffekt drei verschiedene, getrennte, Firmen, die nur von einem Dach zusammengehalten werden. Die Bilanzen werden gerade erstellt, schon wegen der Erbschaftssteuer. - Meine Schwester erkundigt sich soeben, ob ich die Dienstboten entlassen werde, sie ist stets sehr besorgt um die Mitarbeiter. Aber ich muss sie wohl behalten. Garten und Haus pflegen sich nicht von allein.“

„Ja,“ warf Izayoi ein, die nicht so ganz sicher war, was das Auftauchen ihres Ehemannes hier bedeuten sollte. Ja, sie hatte ihm gesagt, wo sie wäre, aber dass er so prompt auch kam …? Hatte er überprüfen wollen, ob sie sich an die Absprachen hielt? Oder wollte er einfach nur mit ihr nach Hause fahren? „Mariko war schon im Haus als ich geboren wurde.“

„Ich kann mich auch an keinen Tag ohne sie erinnern,“ murmelte Naraku, scheinbar in Gedanken. Nur schön Gemeinsamkeiten mit Izayoi herausstellen. „Und der alte Gärtner ist ja auch noch da. Auch so etwas, was ich erst lernen muss. Bislang hatte sich ja meine oder dann deine Mutter und dann Vater um die ganzen Sachen mit den Dienstboten gekümmert. Immerhin laufen die Zahlungen automatisch.“

„Es wird Zeit, dass Sie heiraten, Schwager,“ schlug der Taishou vor. „Ich kann Ihnen versichern, dass man als verheirateter Mann doch Unterstützung findet.“

„Oh, danke,“ hauchte Izayoi rot werdend. Und das auch noch vor ihrem Halbbruder!

Naraku sah von ihr zu dem Daiyoukai. „So sehr ich mich freue, dass Sie mit Izayoi so zufrieden sind, Frauen, die einen Hanyou auch nur ansehen, wachsen nicht auf Bäumen. Für Menschen wirke ich wohl ein wenig fremdartig, für Youkai zu schwach. Nun ja, irgendwann einmal ….“ Ja, da würde er vermutlich aus sich selbst Abkömmlinge erschaffen müssen, wenn das so weiterging. Oder sich jemanden einkaufen. Geliebte hatte er durchaus gehabt, diese Affären auch immer auf eine solide finanzielle Basis gestellt und geschäftsmäßig abgeschlossen.

Der Taishou musterte ihn. Ja, das mochte sogar sein. Das Leben für einen Hanyou war vermutlich zwischen den Arten nicht sonderlich einfach. Nun ja, sie wurden nicht mehr gejagt, das war schon einmal ein Vorteil der Verträge. Noch einige Mischehen in den nächsten Jahrhunderten mehr und Halbdämonen, Halbmenschen, würden vollkommen normal sein. So gesehen war er mit gutem Beispiel vorangegangen. Nun ja, bis auf den Hanyou. „Ihr Polizist ist gar nicht mit hier?“

„Nein, er wurde abgezogen. Die Bewachung kostet ja den Staat auch etwas. Und da bislang nichts passiert ist, und ich auch versicherte, dass ich mir schon zu helfen wisse ...“ Naraku zuckte die Schultern. „Danke für Ihr Interesse.“ Hm. Der Inu no Taishou achtete auf seine Frau. Ehre oder Besitzanspruch – oder Notwendigkeit, um als Dämonenfürst bestehen zu können? Alles? Izayoi war der Hebel. Jetzt musste er nur noch seine Theorie überprüfen und eine kleine Intrige spinnen. Allerdings sollte er sich keine derartigen Fehler wie bei seinen Planungen um Vaters Tod mehr erlauben. Vor allem nicht, wenn da ein menschlicher Chauffeur und ein Drache mit ins Spiel kämen. Möglichst beides zugleich, um sicher zu gehen? Er musste noch einmal gut nachdenken.
 

Annäherung


 

A

ls sie nebeneinander bei der Rückfahrt im Auto saßen, von Chauffeur und Zofe durch die empor gefahrene Glasscheibe getrennt, meinte der Taishou: „Sie scheinen sich gut mit Ihrem Bruder zu verstehen.“

Izayoi wurde rot und starrte auf ihren Schoss. Was sollte sie dazu sagen? Sie musste ehrlich bleiben, es half nichts. „Nun ja, wir sind immerhin zusammen aufgewachsen. Aber ich gebe zu, dass wir durchaus unsere Differenzen hatten. Er ist eben ein Hanyou … Ich meine, er hielt mich immer für seine dumme, kleine, Schwester. Aber seit ….unser Vater meine Ehe mit Ihnen ausgemacht hatte, war Naraku stets besorgt um mich und er rief auch an, fragte, wie es mir geht. Schon auf dem Chrysanthemenball, aber auch heute und dazwischen.“

Wusste Naraku oder wusste er nicht, dass sie nicht seine Halbschwester war? Wenn nein, war es kaum verwunderlich, dass er sich mit dieser Eheschließung zumindest befremdet zeigte, allerdings nicht zu Ungehorsam gegenüber seinem Vater griff. Es klang alles plausibel. Warum nur wollte ihn ein Instinkt vor drohendem Unheil warnen? Nutzlos, weil etwas in ihm einfach den Hanyou ablehnte und es keine Gefahr gab? Oder andersherum: betrachtete er Naraku nur darum mit Misstrauen, weil ihn Onigumo gründlich hereingelegt hatte? Schloss er vom Vater auf den Sohn? Seine Ehefrau starrte auf ihren Schoss. Waren ihr Fragen nach ihrem Bruder unangenehm? Oder was war los?

Izayoi beschloss, dass sie es aussprechen musste. So sachlich wie möglich meinte sie: „Ich war überrascht, wie pünktlich Sie in dem Café waren. Sie haben sicher gesehen, dass ich mich an mein Wort halte.“

Oh, dachte der Taishou. Das also war es. Sie dachte, er wolle sie im Blick haben, er vertraue ihrem Wort nicht. Dass er auch ein wenig auf ihren sogenannten Bruder eifersüchtig war … nun gut. Aber diesen Irrtum sollte er geraderücken. „Meine Liebe, ich war davon überzeugt. Mir ist nie, das kann ich Ihnen versichern, ein aufrichtigerer Mensch als Sie untergekommen. Um meinerseits ehrlich zu sein, ich hatte gerade nichts Besseres zu tun als mich in Ihrer Nähe wohlzufühlen. Naraku nahm ich dabei billigend in Kauf.“

Ihr Kopf fuhr zu ihm förmlich herum. Sie war erneut rot geworden. „Das … das ist ein sehr freundliches Kompliment. Oder eher zwei. Ich habe auch nie daran gedacht Sie anzulügen. Aber ich bin froh, wenn Sie sich in meiner Gegenwart wohl fühlen können.“

„Ich hoffe Sie sich irgendwann auch in meiner.“

Sie dachte daran, wie froh sie um den tröstenden Arm um ihre Schultern bei der Todesnachricht gewesen war, wie sicher sie sich gefühlt hatte als er sie trug, und lächelte etwas, ehe sie zum ersten Mal ihre Hand selbst auf die seine legte. „Das tue ich, Taishou. Vielleicht nicht so, wie Sie es wünschen, aber ich fürchte Sie nicht mehr.“

Sie berührte ihn freiwillig. Nicht nur, dass sie sich ihm nicht mehr entzog, sie berührte ihn selbst! Leider hatte das den Haken, dass jeder Schritt, den sie aufeinander zu machten, ihn weiter trieb. Er wollte … Nun ja. Er drehte etwas seine Klaue und verschränkte seine Finger mit den ihren, was sie nur damit quittierte, dass sie ihn ansah. Diese dunklen Augen, jetzt endlich frei von Furcht und Tränen, dazu ein Lächeln … Verdammt! Er war so nahe bei ihr und musste sich so zurückhalten sie nicht an sich zu reißen, ihr nicht zu zeigen, was er empfand, ihr zu beweisen, dass er ein ganz gewöhnlicher Mann mit allen seinen Wünschen und Träumen war.

Da war plötzlich ein seltsamer Ausdruck in seinen Augen, der sie unwillkürlich in Fluchtbereitschaft versetzte. Ein Raubtier vor der Beute, dachte sie. Aber das war wohl ein Irrtum, denn seine Finger lagen durchaus locker um die ihren. Sie deutete sicher nur etwas hinein, was gar nicht existierte. „Ich freue mich morgen auf Ihren alten Freund Bokuseno. Wann brechen wir auf?“

Reden, ablenken, beschwor er sich, und blickte lieber nach vorne zu Takemaru Setsuna und Misako, um nicht doch noch über seine eigene Frau herzufallen und sie in der Halböffentlichkeit der Limousine und des Personals zu küssen. „Um neun. Und, nehmen Sie genug zu Trinken mit. Diesmal gibt es weit und breit keine Quelle.“

„Danke für die Warnung. - Wird es schneien?“

„Möglicherweise. Wie erwähnt, ich kann kein Wetter vorhersagen. Aber Stürme und anderes spüre ich.“

„Eigentlich praktisch.“

Er musste sie doch ansehen, da er lächelte. „Ich bin immer wieder erstaunt, was Menschen alles nicht können.“

„Und doch kümmern Sie sich um uns, die doch minderwertige Art.“ Sie blickte wieder auf ihren Schoss. Er konnte so viel, von dem sie keine Ahnung hatte, sie musste ihm töricht erscheinen, schwach, unerfahren. Und doch verschwendete er seine Zeit mit ihr, nur, weil er sie geheiratet hatte und zu seinem Wort stand.

„Schwächer, ja. Und manchmal auch sehr verworren. Minderwertig würde ich nicht sagen, obwohl es manche gab und gibt, die diese Ansicht vertreten. Nun ja, man kann sie ja zur Ordnung rufen.“

„Dann bin ich darüber sehr froh.“ Aber sie zog behutsam ihre Hand zurück. Händchenhalten in der Öffentlichkeit schickte sich doch nicht.

Er wusste das genauso, war jedoch mit seinem weiteren Fortschritt recht zufrieden. Hoffentlich würde sie morgen nicht wieder zurückzucken. Aber er hatte gesagt, er würde sich verwandeln, also musste er es auch tun.

 

Als der Taishou seine junge Ehefrau am folgenden Morgen abholte, stellte er zu seinem gewissen Bedauern fest, dass ihr neuer Anorak bis zu den Oberschenkeln reichte. Nun gut, aber sie benötigte wohl Wärme und sollte ja auch nicht krank werden, nur, weil er einen heimlichen Blick riskieren wollte. Sie streifte sich auch Handschuhe über. „Wir gehen wieder in das Naturschutzgebiet,“ erklärte er. „Bleiben aber links hinter dem Schloss und streifen weiter in die Wälder. Es bleibt in der Ebene, ziemlich. Keine Sorge, Sie müssen nicht wieder klettern.“ In ihrem Rucksack schien sie diesmal auch mehr zu trinken dabei zu haben.

Darüber war sie wahrlich froh. „Danke.“ Sie schlug die Kapuze hinauf und stopfte, wie sie es gestern im Laden ausprobiert hatte, ihre langen Haare irgendwie dort mit hinein. Der Wind war kalt. Und der Inu no Taishou lief in einer Seidenkleidung aus Hakama und Haori herum, das Wärmste waren noch seine Fellteile, die sich im Wind bewegten. „Wie lange werden wir gehen?“

„Zunächst eine Stunde. Dann, nun, dann machen wir Pause und ich zeige Ihnen etwas.“ Mehr wollte er nicht sagen, da er sich gerade einer Doppelwache seiner Krieger näherte. Das ging niemanden etwas an. Wie vor vierzehn Tagen wich sie prompt hinter ihn. Das war also nicht der Angst vor Youkai geschuldet. Hielt sie das schlicht für höflich?

Sie kam erst neben ihn, als sie sich im lichten Wald des Naturschutzgebiets befanden, und fragte: „Sie haben keine Jacke an, die Krieger auch nicht. Frieren Youkai nicht?“

Sie hatte keine Ahnung. Vermutlich hatte sie in diesen Wochen mehr über Youkai gelernt als in ihrem gesamten bisherigen Leben. „Nein. Youki. Unsere eigene Energie hält uns warm. Denken Sie an Schneefrauen, yuki onna. Sie kämen sonst in ziemliche Probleme.“

„Yuki onna haben früher auch Menschen … gejagt?“ Sie kannte die Märchen schließlich.

Er sollte bei der Wahrheit bleiben. „Manchmal. Und manchmal Kinder im Schneesturm gerettet und selbst aufgezogen. Ebenso wie manche Youkai Menschen gejagt haben und andere nicht, oder der gleiche Youkai einmal ja und einmal nein.“

„Sie … auch?“ Das klang zittrig.

Er blieb stehen und sah zu ihr. Was sollte er darauf sagen? „Ich habe getötet. Ich bin Krieger, ja, ein Kriegsherr. Dabei sind mit Sicherheit nicht nur Youkai oder Drachen gestorben, sondern auch Menschen. Es hat mich lange Zeit und viele Mühen und auch Kämpfe gekostet alle zu befrieden, damit wir die Verträge mit den Menschen überhaupt aushandeln konnten. Wenn Sie allerdings wissen wollten, ob ich einmal einen Menschen gefressen habe, nein, das habe ich nicht.“

Sie wurde rot. Es war ziemlich unschicklich seinen eigenen Ehemann sich für seine Vergangenheit rechtfertigen zu lassen – zumal einer, die Jahrzehnte vor ihrer Heirat mit ihm passiert war. „Entschuldigen Sie. Das geht mich nichts an.“ Immerhin hatte er sie bei dem Zwischenfall mit seinem Sohn auch darauf aufmerksam gemacht, dass sie das nichts anzugehen habe.

„Ausnahmsweise gebe ich Ihnen unrecht. - Sie haben zwar keine solche Angst mehr vor mir, aber ich fürchte, fürchte sehr, dass Sie sich bei einem Kuss immer fragen würden, ob ich einen Menschen gefressen habe.“

Er dachte an einen Kuss? Sie sah lieber zu Boden. Er hatte Fangzähne, das wusste sie und irgendwie … Nun ja. Als er jetzt zwei Mal ihren Nacken geküsst hatte, war er weich und behutsam gewesen. Aber dennoch …

Der Taishou beschloss lieber weiter zu gehen. „Kommen Sie nur. In wenigen Minuten erreichen wir die Stelle, an der ich Pause machen möchte. Sie werden dann auch sehen, warum.“

 

Das tat sie. Vor ihnen dehnte sich ein See aus, die Bäume wichen hier zurück und gaben Wiesen frei, die im Sommer sicher wunderbar blühten. Rechter Hand endete der See. Hügel, ebenfalls bewaldet, bildeten den Rand eines breiten Tales, durch das ein Bach, ja, ein kleiner Fluss, in den See mündete. Es sah sehr friedlich aus. Wie schon bei der ersten Wanderung konnte sie kein größeres Tier, ja, nicht einmal einen Vogel, entdecken. Ihm war das darum wohl auch gar nicht aufgefallen. Niemand wagte sich in seine Nähe. „Das ist wunderbar. So friedlich.“ Sie flüsterte es unwillkürlich fast.

„Setzen wir uns dort drüben hin, dann können Sie essen und sich erholen. Die Steine dort werden Sie gegen den Wind schützen.“ Er deutete einen Abhang hinunter, wo große Steine fast etwas wie ein nach oben offenes Zimmer bildeten, und machte sich auf den Weg hinunter. Sie folgte ihm, etwas erstaunt, dass er an Windschutz dachte, obwohl er doch gar nicht fror. Hier außerhalb des Waldes war der Wind wieder deutlicher zu spüren, ja, er zog ihr sogar Haare aus der Kapuze. Unwillkürlich strich sie sie zurück und passte für diesen kurzen Moment nicht auf, wohin sie trat.

 

Der Taishou hörte das Stolpern, das unwillkürlich erschreckte Atemholen, und fuhr herum, um sie aufzufangen. Dabei landete sie nicht nur in seinen Armen, sondern auch an seiner Brust, und, da sie oberhalb stand und kleiner war, mit Mund und Nase an seinem Hals, seiner Kehle. Ihm entkam ein scharfer Atemzug, ehe er ohne weiter Nachzudenken mit der einen Hand ihre Kapuze abstreifte, ihr langes Haar befreite, und sie mit der anderen fester an seinen Körper drückte.

Seine Haut war so warm, so weich, dachte sie, und sie war bei Weitem nicht ahnungslos genug, als dass sie nicht gewusst hätte, was sie plötzlich selbst durch den Anorak an ihrem Bauch, ihrer Hüfte, spürte. Aber sie brauchte schlicht Luft und versuchte den Kopf zu wenden. Sofort wurde sie freigegeben.

„Sie sind eine Versuchung,“ gab er zu, bemüht sich wieder zusammenzureißen. Eine Entschuldigung hätte er nicht über die Lippen gebracht. Sie war immerhin seine Frau und nach dem Recht der Youkai konnte er sie nehmen, wann und wo es ihm passte. Dass er es nicht tat, war auch sein Recht – aber es fiel ihm zugegeben immer schwerer seinen Fehler nicht zu wiederholen.

So blieb es ihr überlassen zu sagen: „Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht lästig fallen.“

Närrin, dachte er, als er sich wortlos abwandte und weiter zu den Steinen ging. Lästig war etwas ganz anderes als ihren Körper in seinen Armen zu finden.

 

Während sie aß und trank, dachte Izayoi nach. Eindeutig begehrte er sie. Und doch forderte er nicht sein Recht von ihr, sondern nahm auf ihre Angst, ihre Befürchtungen, seit Wochen Rücksicht. Und sie zauderte, verweigerte ihm sogar den Kuss, den er deutlich haben wollte? Es war doch angenehm gewesen in seinen Armen, oben auf der Aussichtsstelle hatte sie in seinem Fell geschlafen, was wollte sie denn noch mehr? Sie war ein Feigling, ja, das war sie einfach. Vielleicht würde sie den Mut aufbringen, wenn sie seine wahre Gestalt gesehen hatte? Obwohl, ein riesiger Hund hatte sicher auch ein passendes Maul? Und Mononoke besaßen oft rote Augen, das hatte sie in der Schule gelernt.

Oh, ja, sie hatte sich nicht getäuscht. Auf Vaters Beerdigung hatten die sonst golden schimmernden Augen des Taishou rot geleuchtet, als der Priester sie berührt hatte. War er da etwa versucht gewesen sich zu verwandeln? Reagierte er so, wenn er zornig wurde? Warf er dann die menschliche Hülle ab und zeigte sein wahres ICH?

Sinnlos, dachte sie dann und packte zusammen. Es gab nur eine Möglichkeit das Herumraten zu beenden und das war diesem ungewissen Monster zu begegnen. So erhob sie sich, ohne ihre Handschuhe wieder anzuziehen. Stattdessen schob sie sie in die Jackentaschen.

 

Der Taishou stand mit dem Rücken zu ihr am Beginn des Steinkreises und schien den Eingang zu bewachen, wandte sich jedoch um, als er sie hörte. „Sind Sie noch immer willens meine dämonische Form zu sehen?“

Sie nickte. Aufregung schnürte ihr die Kehle zu, aber es wäre sinn- und zwecklos jetzt erneut einen Rückzieher zu machen, ihn wieder zurück zu weisen. Er war nun einmal ein Youkai, damit musste sie leben, mit Youki und allem, was dazu gehörte.

„Dann bleiben Sie hier stehen.“ Er ging einige Schritte von ihr weg.

 

Sie war überrascht, noch erstaunter, als sich um ihn etwas wie erst kleine, dann immer größere schimmernde Wirbel bildeten, die selbst den Wind beiseite drückten, immer heftiger um ihn wehten, seine Gestalt verschwimmen ließen. DAS war seine Energie, das war Youki? Instinktiv hob sie die Arme schützend vor ihr Gesicht und ließ sie erst sinken, als nur noch der normale Wind wehte. Für einen Moment war sie irritiert nichts zu sehen, ehe sie begriff, dass die weiße Säule vor ihr ein Bein eines riesigen Lebewesens war. Davon gab es noch drei andere.

Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück und blickte vorsichtig empor. Sie erreichte kaum die Höhe der Knie des Riesenhundes. Er hatte weiße Haare, zusätzlich bauschten sich Fellreifen förmlich um Schultern und Brust. Das waren die Felle, die in Menschenform an seinen Schultern hingen – und auf denen hatte sie geschlafen … Das Maul war riesengroß, erschreckend, ebenso wie die leuchtend roten Augen. Jetzt nur nicht in Panik aufschreien, dachte sie, als sich der Kopf zu ihr drehte. Es war immer noch ER. Und sie sollte ihn nicht beleidigen. Er gab sich Mühe und er durfte sie strafen.

„Sie sind wirklich groß,“ brachte sie irgendwie mit einem Lächeln hervor. „So riesig habe ich Sie mir nicht vorgestellt.“ In das Maul passte ja ein ganzer Elefant hinein, nun vielleicht nicht, aber ein Ochse sicher. Auf dem Fell hatte sie schon geschlafen, es war noch immer ihr Ehemann, wiederholte sie sich. Und ein Hund. Ihre Mutter hatte einmal einen besessen, allerdings deutlich kleiner, einen Schoßhund, der dann leider überfahren worden war. Der hatte es geliebt, wenn man ihn hinter den Ohren gekrault hatte … Ob der Herr der Hunde das auch mochte? „Würden Sie mir einen kleinen Gefallen tun, Taishou? Legen Sie sich nieder? So muss ich an Ihnen wie an einem Berg hinaufblicken – und ich würde gern Ihr Fell streicheln.“

Der Daiyoukai hatte eher mit Panik und sogar einem Fluchtversuch gerechnet als mit dieser Bitte. Sie hatte Angst, ja, das war nur zu deutlich zu wittern, aber sie nahm sich zusammen. Von der Furcht in der ersten Nacht war sie weit entfernt. Und immerhin – sie wollte ihn streicheln. Das hatte sie ihm noch vor einer Stunde in Menschenform verwehrt. Verstehe einer die Frauen, dachte er, aber er legte sich vorsichtig nieder, um sie nicht durch die Erschütterung umzuwerfen, und bettete seinen mächtigen Kopf auf die Vorderpfoten.

Seine Ohren hingen herab, waren aber immer noch ziemlich weit oben. In einem Entschluss, den ihr jeder andere Mensch und sehr viele Youkai als tollkühn bescheinigt hätten, legte sie ihren Rucksack ab und kletterte auf die Pfote, den Vorderlauf, sich dabei im Schulterfell festhaltend.

 

Neugierig, was das werden sollte, hielt er still. Dann spürte er, wie sie sich, noch immer auf seinem Vorderlauf stehend und mit der Linken sich in seine Haare verkrampfend, hoch langte, sich streckte, um ihn hinter dem Ohr zu kraulen. Sie machte das tatsächlich? Keinen Meter neben einem Gebiss, das jeden Drachen zurückzucken ließ, wenn der nicht gerade Ryuukossusei hieß? Sie fürchtete sich vor ihm in seiner Menschenform mehr als in dieser Gestalt? Schön. Er hatte es mit Sicherheit schon auf diverse Arten begonnen eine Frau zu verführen, die er begehrte – sich in seine dämonische Erscheinung zu verwandeln, war bislang eigentlich nicht dabei gewesen. Unglücklicherweise würde eine Vereinigung so absolut unmöglich sein.

Sie bemerkte, dass sich die roten Augen schlossen. Das gefiel ihm, dachte sie, plötzlich seltsam vergnügt. Hunde waren alle gleich, ihre Neuerwerbung eben nur ziemlich, nun ja, groß. Sie musste sich strecken, aber eine Weile würde sie schon durchhalten. Hauptsache, er merkte, dass sie sich Mühe gab, auf ihn eingehen wollte.

 

Weiter nach links, dachte der Taishou. Du liebe Güte, wann hatte das das letzte Mal jemand getan? Er konnte sich an seine Mutter erinnern. Danach – niemand. In der Männerwelt der Krieger galten andere Regeln. Und jetzt seine Frau, seine zweite Frau, die noch vor einem Monat fast aus Angst vor ihm in seiner menschlichen Form in Ohnmacht gefallen war. Der langsame Weg zahlte sich eben auch langsam aus. Er musste nur noch etwas Geduld aufbringen, irgendwie. Er klappte sein Ohr nach vorne. Ja, genau da … Das wurde allerdings schwierig. Wenn er sich hier weiter so verwöhnen ließ, kam er nicht nur auf recht amüsante Gedanken, sondern auch für Izayoi zu spät zu Bokuseno und wieder zurück. Es wurde doch rasch dunkel um diese Jahreszeit. Warum nicht zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen?

 

Als sie hinuntersprang und ihren schmerzenden Arm schüttelte, hörte sie etwas wie ein tiefes Dröhnen hinter sich. Sie benötigte einen Augenblick um zu begreifen, dass das die Stimme de Riesenhundes war – und er ihren Namen sagte. „Ja, Taishou?“ Er konnte in dieser Gestalt auch sprechen? Aber anscheinend recht dumpf. Sie verstand etwas von „Rucksack“ und legte ihn sich eilig wieder um, eigentlich in der Erwartung, dass er sich zurück verwandeln würde. Statt dessen streckte er seinen Vorderlauf etwas anders.

„Setzen Sie sich auf mich.“

Das … das meinte er nicht ganz ernst, oder? Sollte sie etwa auf ihm reiten? Sein Rücken war viel zu breit, er war zu hoch und überhaupt!

Er sah, dass sie einige Schritte zurück machte. Dann eben nicht. Immerhin hatte er ihr ein Privileg zugestanden, dass wahrlich noch niemand erhalten hatte.

Das war auch Izayoi gerade klar geworden. Mit einem etwas verkrampften Lächeln kam sie näher. „Ich muss klettern. Ich hoffe, es ziept nicht.“ Und mit ziependen Haaren kannte sie sich aus. Sie bemühte sich nicht hinunter zu gucken, als sie es bis in das Schulterfell schaffte, sich festhielt und hochzog. Der Hals war breit, aber es ging mit den Jeans. Sie musste nur den Anorak höher ziehen. Aber das Fell war bestimmt warm genug, und so hielt sie sich in der Mähne fest. Darin hatte sie geschlafen … Daran dachte sie immer wieder, beruhigte sich damit.

„Ich sitze fest, werter Taishou.“

Langsam stand der riesige Hund unter ihr auf. Drei Meter oder wie hoch schwebte sie jetzt über der Wiese und dem See? Die ganze Gegend wirkte plötzlich anders. Warum erlaubte er ihr das? Sie war sicher, dass das noch niemand gedurft hatte, kein Youkai und erst recht kein Mensch. Er setzte sich langsam in Bewegung, schaukelte sie. Sie hielt sich verkrampft im Fell fest, lernte jedoch rasch, wie sie das ausgleichen konnte, zumal er den Weg entlang des kleinen Flusses einschlug und bald gleichmäßig dahin trabte, natürlich viel schneller, als sie zu Fuß vorangekommen wäre. Sie erkannte hohe Bäume, Wälder rechts und links, aber der Herr der Hunde folgte dem Tal. Es war ein berauschendes Gefühl, sie fühlte sich so sicher, geradezu unbezwingbar. Nun, sicher war sie in der Gegenwart des Taishou vermutlich immer. Die einzige Gefahr, die ihr da drohte, ging von ihm aus – und das hatte er noch an keinem der Tage ausgenutzt.

 
 

Bokuseno


 

D

ann wurde der Lauf langsamer, als suche der Daiyoukai etwas, ehe er anhielt und sich wieder niederlegte. Izayoi vermutete, dass sie absteigen sollte, und glitt etwas mühsam herunter, bestrebt, nicht an die Höhe zu denken. Warum nur war sie nicht überrascht, als sich eine Pfote hob und sie absicherte?

Sie blieb neben dem Riesenhund stehen und verneigte sich höflich. „Ich danke Ihnen sehr für diese traumhaften Minuten.“

Warum nur wünschte er sich, das würde sie in ganz anderem Zusammenhang einmal sagen? Aber er ließ sein Youki aufflammen und stand zwei Sekunden später als der nur scheinbar menschliche Dämonenfürst vor ihr. „Ab hier sollten wir wieder gehen. Der Wald wird dichter.“

 

Er hatte recht, dachte sie nur, als sie abseits des Flusses dessen Hang emporstiegen. Uralte Bäume befanden sich hier, das Unterholz war so dicht, dass sie seitwärts nichts entdecken konnte. Nun ja, zum einen würde da wohl auch, wie bislang, nichts sein, zum anderen war das eine sicher wunderbare Welt für einen steinalten Baumgeist. Wie der wohl aussehen würde?

„Bleiben Sie hinter mir,“ sagte er nur.

Ein weiser Rat, dachte sie, als sie erkannte, dass dort, wo er ging, sich für sie ein Pfad öffnete. Wie machte er das nur? Youki? Oder, aber das war kaum zu glauben, wich der Wald vor ihm? Oder, war da gar kein richtiger Wald? Sie hatte einmal von Bannkreisen gehört. Schützte sich dieser sicher uralte Wald mit seinen Baumgeistern vor Unbefugten? Oder alles zusammen?

 

Auf einer kleinen Lichtung blieb der Taishou stehen. „Bokuseno. Ich möchte dir meine neue Gemahlin Izayoi vorstellen.“

Sie trat neben ihn. Er betrachtete einen Magnolienbaum, riesig und bestimmt uralt. Würde der sich jetzt auch verwandeln? Etwas geschah doch dort? Dann erkannte sie, wie sich mitten im Stamm ein Gesicht bildete, anscheinend faltig, aber ganz sicher aus Holz. Um ein Haar hätte sie ängstlich nach der Klaue des Daiyoukai gegriffen, stoppte sich gerade noch. Sie verneigte sich eilig, wie es einem alten, oh, bestimmt sehr alten, Freund ihres Mannes zukam.

Es war eine noch tiefere Stimme als die ihres Gemahls, als sich das, was wohl ein Mund sein sollte, bewegte. „Dann sage ich willkommen, Izayoi, was für ein reizender Besuch. Eine überraschende Heirat, nun, das sagen wohl so einige. Ehen zwischen Arten sind nicht sehr häufig.“

Sie warf hastig einen Blick zu dem Taishou, aber der musterte den Baum nur ungerührt. So meinte sie zögernd. „Ja, aber es werden wohl immer mehr. Die Verträge gibt es ja auch erst seit siebzig Jahren.“ War das richtig gewesen?

„Hat Sie unser Hundefreund sehr hierher gejagt?“

„Oh, nein, es ging.“ Von dem Ritt durfte sie sicher nichts erwähnen. Trotzdem schien der Baumgeist erheitert. Und wie er den Daiyoukai ansprach, das hatte auch noch keiner gewagt: unser Hundefreund.

„Nun, ich habe wenig Ahnung von Menschen, aber sie benötigen immer mehr als unsereins. - Sehen Sie dort rechts, zwischen meinen Freunden, den anderen Magnolien, den großen Felsen? Dort befindet sich eine Höhlung, wo Sie etwas geschützt vor dem Wind und der Kälte sitzen können, essen, trinken, was auch immer man so tut, als Zweibeiner, bis Sie sich etwas erholt haben. Danach dürfen Sie mich gern etwas fragen.“

Wieder sah sie lieber fragend zu ihrem Ehemann, der sie ebenfalls anblickte. „Tatsächlich eine gute Idee,“ meinte er. „Ich hätte selbst darauf kommen können. Sie sind dort sicher, meine Liebe. Niemand kommt in diesen Teil des Waldes, ohne dass es die Bäume und die Sträucher erfahren. Danach kommen Sie wieder her und erzählen Bokuseno, was für ein grauenhafter Ehemann ich bin.“ Sie sollte nicht das Gefühl bekommen, dass er sie wegschicke.

Sie musste fast lachen. „Ich fürchte, da gibt es wenig zu erzählen ...“ Aber sie ging.

Der Baumgeist sah den Taishou an. „Hübsch und klug und diskret. Du musst das Paradies gefunden haben, alter Freund.“

„Leider nicht.“

„Ah, deswegen diese Vorstellung? Du hast ein Problem? Weil sie ein Mensch ist?“

„Sie ist noch Jungfrau.“

Bokuseno sah ihn lange an, ehe er meinte: „Wenn das ein Fürst, noch dazu ein Fürst der Youkai, so zugibt, könnte er, aber er will nicht. Alles andere würde seine Herrschaft gefährden. - Warum willst du nicht?“

Der Taishou vergewisserte sich mit einem tiefen Atemzug, dass sie weit genug weg war, um nicht zuhören zu können. „Sie will nicht.“

„Früher hätte dich das nicht gestört.“

„Früher. - Ihr Vater hat mich zur Heirat mit ihr erpresst, um Sesshoumaru zu retten, aber auch sie gezwungen. Sie hatte am ersten Tag und in der ersten Nacht solche Angst vor einem Youkai, dass sie vollkommen panisch wurde. Ich habe jetzt Wochen gebraucht, dass sie mir auch nur vertraut.“

„Hast du versucht, sie zu küssen?“ Bokuseno bemerkte das Zögern und lächelte. „Also, ja. Und sie ...“

„Sie wandte den Kopf. Immerhin ließ sie zu, dass ich, als ihr Vater starb, den Arm um sie legte und sie weinte an mir. Da dachte ich ...“

„Ach du je.“ Der Magnolienbaum schüttelte amüsiert seine Blätter und ignorierte das jähe, zornige, Aufflirren des Youki vor sich. „Taishou, du kamst her um einen Rat, also höre ihn dir auch an. - Sie sieht zu dir, wenn sie unsicher ist, und als ich erschien, wollte sie nach deiner Hand greifen. Das zeigt niemand, der Angst vor dem Anderen hat. Nun, nicht als Mensch und Youkai. Hat sie dich nie berührt? Sei ehrlich.“

„Du meinst, freiwillig.“ Dass er sie trug, da sie Schmerzen hatte, das konnte er sicher nicht zählen. „Sie hat auf unserem letzten Ausflug auf meinen Fellteilen geschlafen. Gestern im Auto legte sie ihre Hand auf meine und ließ mich unsere Finger verschränken. Sie kommt näher, ja.“

„Heute?“

„Sie fiel und ich fing sie auf. Ich wollte … Es war schwer sich zusammenzunehmen, als sie mich wegschob.“

„Kann es sein, dass du sie so fest an dich gedrückt hast, dass sie schlicht nicht ersticken wollte? Menschliche Körper sind deutlich schwächer.“

Sein alter, manchmal so weiser, Freund klang dermaßen erheitert, dass ihn der Taishou fast misstrauisch anstarrte. Viele Youkai kamen seit Jahrhunderten her um sich Rat zu holen, darum wusste der Baum auch so viel von Dingen jenseits des Waldes.

„Hat sie dich noch einmal freiwillig berührt?“ erkundigte sich Bokuseno gelassen.

„Vorhin, als ich mich verwandelt hatte. Das verstehe ich noch weniger. Sie stand da, auf meiner Pfote, kraulte mein Ohr ...“

„Was beweist, dass die junge Dame Hundekenntnis hat. - So so, sie kraulte dein Ohr. Meines Wissens befand sie sich da ziemlich nahe an einem glühend roten Auge und gewaltigen Zähnen. Das geht also. Ach, Taishou. Ich sollte Izayoi eine weiße Leine kaufen lassen. Das tragen doch Blindenhunde bei Menschen. Für sie, damit sie dich führen kann!“

„Bokuseno, wenn du nicht willst, dass ich dich samt den Wurzeln rausreisse ...“ Das war nur mehr ein Knurren, unterstrichen von dem Aufflackern einer außerordentlichen Energie.

Der Baumgeist wusste, wann er zu weit ging. „Schön, dann einmal für liebenswerte Narren von Daiyoukai. Du hast dich in dieses Mädchen verliebt, du begehrst sie, aber respektierst ihr Nein. So weit, so gut. Sie umgedreht, hat sich in dich verliebt, ist sich aber unsicher, was da auf sie wartet. Immerhin bist du nun mal kein Mann ihrer Art, da wäre sie aufgeregt, aber ohne Angst, denke ich. Was also hindert dich daran ihr diese Angst zu nehmen, indem du der Abwechslung halber mal NICHT Befehle erteilst, sondern machen lässt? Sie kann gehen, soweit sie will und sich traut. Fertig.“

Der Daiyoukai starrte ihn an, erst verblüfft, dann verstehend. „Du meinst, damit sie – und ich – sehen können, ob sie den Youkai oder nur den Mann fürchtet? - Du glaubst, sie mag mich?“

Da brauchte wohl jemand drei Blindenhunde. „Kennst du sehr viele Frauen, die sich dir auch nur nähern, wenn du in deiner normalen Gestalt bist? Gemahlin Nummer eins und dein Sohn zählen nicht, die sind nicht viel kleiner, aber schon bei normalen Inuyoukai wage ich das zu bezweifeln. Und wie viele Menschen klettern dann auch noch auf dir rum?“

Der Herr der Hunde ignorierte die Tatsache, dass sein Sohn soeben unter Frauen eingereiht worden war. „Du meinst also, ich solle sie machen lassen, soweit und solange sie will? Kaum, alter Freund. Auch ich bin nur ein Mann und habe gewisse Grenzen der Selbstkontrolle.“

„Warte doch einfach ab was geschieht, wenn du für kurze Zeit einmal die Herrschaft aufgibst.“

„Ich werde darüber nachdenken.“ Der Taishou wandte den Kopf, aber sie schien noch zu essen, wie ihm der Wind zutrug.

„Was mich noch interessieren würde – was ist mit ihrem Vater?“

Das hatte er doch erwähnt? Oh. „Er ist tot. Und ehe du fragst: nein, ich war es nicht. Eher ein Unfall. Ich wollte ihn in den Ruin treiben. Mehr nicht. - Sie kommt.“ Zumindest war sie aufgestanden.

 

Tatsächlich kam Izayoi keine zwei Minuten später wieder zu den beiden. Sie hatte ihre Pause dazu benutzt über ihre Frage nachzudenken.

Der alte Baumgeist meinte nur: „Nun, was möchten Sie wissen, Menschenkind?“

„Wie klein, ich meine … Inuyoukai, wenn sie geboren werden – wie groß sind sie als Welpen?“

Bokuseno warf einen Blick zu dem Inu no Taishou, erwiderte jedoch: „Sie wären vermutlich überrascht, wie klein sie sind. Und zunächst sind sie nur in ihrer Hundeform. Erst später, wenn sie ihr Youki unter Kontrolle bekommen, können sie sich nach Belieben verwandeln. Das dauert. Die Größe, nun, Taishou, zeige es ihr. Ich habe keine Hände.“

„Ungefähr ein Meter,“ erwiderte der Daiyoukai prompt. „Einen besonderen Grund für diese Frage, meine Liebe?“ Sie schien sich nicht vor seiner Größe erschreckt zu haben. Immerhin.

„Sie sind so groß,“ murmelte sie. „Es hat mich eben interessiert.“

Bokuseno suchte für zwei Sekunden Deckung hinter seiner Rinde um sein Lachen zu verbergen. Ach ja. Seiner Meinung nach hatte sie das wissen wollen, weil sie an die Möglichkeit eines Hanyou dachte und an ihren eigenen Körper. Aber davon sollte der Taishou nichts wissen. Das konnte noch amüsant werden mit diesen Beiden. Für ihn. Er tauchte wieder auf. „Soweit ich weiß, passen sich Kinder und die mütterlichen Körper immer aneinander an. Deswegen sind zum Beispiel Hanyou ja auch nie halb Vater halb Mutter, sondern stets ähnlicher der Mutter. - Ich kann mir vorstellen, dass Sie recht erschrocken sind, als Sie bemerkten, wie unser werter Taishou in seiner Hundegestalt aussieht.“

„Etwas,“ gab sie zu. „Mein Gemahl sagte ja, er sei recht groß, aber ich konnte mir nicht vorstellen wie groß. Aber er hat so nette ...“ Sie brach lieber ab.

„Ohren,“ ergänzte der Herr der Hunde halb fragend, halb amüsiert. „Das hat zu mir immerhin noch niemand gesagt.“

Bokuseno unterdrückte seine Frage, ob er da jemals jemandem zugehört hätte. Ein Jahrtausend Kampf und Krieg hatten das Dominanzverhalten des Inu no Taishou geprägt. Er hatte nie schwach sein dürfen – Schwäche hätte umgehend seinen Untergang bedeutet. Vielleicht würde sein alter Freund ausgerechnet bei einer Menschenfrau Geduld und Ergebenheit lernen.

Izayoi war rot geworden, aber die beiden Youkai schienen es vollkommen normal zu finden, dass sie über beide Gestalten redeten. Manchmal waren womöglich auch die menschlichen Ansichten viel zu kompliziert. Aber Menschen konnten sich eben nicht verwandeln. Sie schielte seitwärts. Nun ja, in dieser menschlichen Form sahen seine Ohren nicht so weich und flauschig aus. Ob er sie auch so vorklappen konnte, wie in der Hundeform, wenn sie ihn da kraulte? Du liebe Güte, wohin verirrten sich ihre Gedanken? Das würde er doch sicher nicht wollen. Sie war nur ein schwacher Mensch und er ein Fürst der Youkai. Obwohl, wenn sie daran dachte, wie er die Augen geschlossen hatte, als sie ihn in seiner Hundegestalt gekrault hatte … Das war doch ER auch gewesen.

 

Bokuseno hatte ihren Seitenblick gesehen, wenngleich nicht deuten können. So lenkte er lieber ab. „Als ich den Taishou kennenlernte, war er auch noch nicht so groß. Und ich nicht so runzelig. Es ist schon lange her. Ziemlich lange.“

„Ich war ungefähr so alt wie Sesshoumaru jetzt,“ ergänzte der Daiyoukai. „Und ich war auf der Suche. Das machte man damals so. Magie, Kraft, das lernt man durch Erfahrung. Heute sind die Zeiten friedlicher geworden und ich kann meinen Sohn selbst anlernen, aber damals musste sich jeder seinen eigenen Weg suchen.“

Izayoi lächelte etwas. „Ich bin froh, dass es friedlichere Zeiten sind. Nicht zuletzt dank Ihnen und den Verträgen.“ Nein, sie sollte besser nicht nachfragen, wie lange das schon her war. Sie sollte ihn einfach so alt sehen, wie er aussah. Und zufrieden sein mit dem, was sie bekam.

„Ja, das sicher,“ meinte Bokuseno. „Ich werde Ihnen, falls Sie das interessiert, natürlich, ein wenig von den Arten der Youkai erzählen.“

„Ja, gern. Ich weiß, es gibt Kitsune, die Füchse, der Chauffeur und die Heilerin sind Katzenartige ...“

„Baumgeister, Flohgeister, Kappa ...“

 

Als das Paar den Magnolienbaum verließ, meinte der Taishou: „Brummt Ihnen der Kopf? Wenn Bokuseno erst einmal ins Reden kommt, ist er schwer zu stoppen. Aber er ist ein guter Lehrer.“

„Es war sehr interessant.“ Izayoi folgte ihm hinunter zu dem Flusstal. „Wie lange brauchen wir zurück in das Schloss?“ Hierher war sie ja geritten.

„Ich würde Ihnen einen Vorschlag machen. - Ich trage Sie bis zum See. Von dort aus sind es noch gut zwei Stunden.“ Da er bemerkte, dass sie zurückweichen wollte: „Oh, nein, nicht in meiner Hundeform. So.“ Sie schien von seiner wahren Gestalt wirklich nicht abgeschreckt, zögerte jedoch sich ihm so anzuvertrauen. Erstaunlich.

„Ja, natürlich, wie Sie wollen.“ Es wäre wohl reichlich undankbar ihm auch noch vorzuschreiben, wie er sie zu tragen habe. Überdies hatte er das ja schon getan, als sie so erschöpft gewesen war, bei ihrem ersten Ausflug,

Und, erkannte er dann an ihrer Antwort, er hatte ihr schon wieder befohlen. Das war eben seine zweite Natur. Womöglich hatte Bokuseno Recht und er sollte ihr zeigen, dass sie sich sicher fühlen konnte. „Wollen Sie lieber laufen?“

Sie sah ihn erstaunt an, meinte dann jedoch ehrlich: „Ich glaube, dass wir dann erst in der Nacht zum Schloss zurückkommen. Ich weiß nicht, wie lange ich auf Ihnen reiten durfte, aber es ist gewiss eine Stunde Wegs so für mich.“ Sie trat zu ihm. „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich nur gern den Arm um Ihren Hals legen. So ist es für mich bequemer.“ Ihre langen Haare besaßen doch ein ziemliches Gewicht und zogen sie sonst nach hinten und unten.

„Wenn es nach mir gehen würde, dürften Sie beide Arme um meinen Hals legen.“ Er sah, dass sie rot wurde. Ehrlichkeit schien auch nicht immer gut anzukommen. Besser nicht reden, sondern machen, dachte er und hob sie hoch. Sofort spürte er, wie sie den linken Arm um seinen Nacken schlang, und suchte ihren Blick. „Geht es so?“

„Sie haben die Last.“

„Ob Sie es glauben oder nicht, Izayoi: Sie sind keine Last für mich.“

„Ja, natürlich, Sie sind ein Daiyoukai.“

Das hatte er allerdings nicht gemeint. Aber er ging lieber, wurde rasch schneller.

 

Erst am Ufer des Sees setzte er sie ab. „Ich vermute, Sie möchten jetzt lieber selbst gehen.“

Nun ja, dachte sie. Es war so weich, so warm, so sicher in seinen Armen. Aber er dachte anscheinend es würde sie belästigen. Er nahm immer Rücksicht auf sie. Wie hatte er zuvor gemeint, sie könne auch gern beide Arme um seinen Hals legen? Er hatte es sichtlich genossen, als sie sein Ohr gekrault hatte – nun ja, in der Hundeform. Aber, war das unter Umständen wirklich das Gleiche für ihn? Er wechselte ja auch zwischen Geschäftsmann und Youkaifürst, vermutlich war das zwischen Hund und Mann genauso. Äußere Erscheinungsbilder, aber innen die gleiche Person. Nur sie stellte sich so aberwitzig an. Sie sah etwas zögernd zu ihm auf. „Danke für den Transport. Ich muss in Ihren Augen wirklich schwach und langsam sein. - Darf ich mich dennoch bei Ihnen bedanken?“

Sie meinte das nicht wörtlich, erkannte er, als er ihre Unsicherheit bemerkte. „Tun Sie, was Sie wollen,“ sagte er jedoch. Bokusenos Rat hatte ihm schon öfter geholfen. Im nächsten Moment wäre er um ein Haar zusammengezuckt, dämonische Selbstbeherrschung hin und her. Sie schloss die Augen, während sie gleichzeitig beide Arme um seinen Hals legte, zwischen Haori und Zopf durchschlüpfte, und dann begann ihn hinter den Ohren zu streicheln. Hölle! Wusste sie überhaupt, was sie ihm da antat? Er kämpfte gegen sein Bedürfnis an sie in die Arme zu reißen, zu küssen, zu …

„Wenn Sie möchten, Taishou, küssen Sie mich.“ Sie hielt die Augen geschlossen, wartete etwas angespannt. Sie kannte das nur aus Filmen im Fernsehen, aber da hatte ihr es nie gefallen, wenn die Schauspieler den Mund so aufrissen.

Bokuseno hatte Recht! Und er durfte das jetzt nicht zerstören. Er musste behutsam bleiben. Aber wie sollte er da widerstehen? So neigte er den Kopf. Nur einen Zentimeter von ihren Lippen entfernt murmelte er: „Wie Sie wünschen. Die Fürstengemahlin bekommt diesbezüglich von ihrem Fürsten was immer sie will.“

 

Naraku hatte Ryuukossusei im Billionaire gesucht. „Ich denke, wir sollten uns ein wenig unterhalten, werter Herr aller Drachen.“

Der Drache musterte ihn. Selbst in Menschengestalt besaß er ein zweites Gesicht auf der Stirn, das eindeutig seine Abstammung verriet – und den Hanyou ebenfalls musterte. „Brauchen Sie Geld? Ich hörte, der Taishou verlangt Darlehen zurück?“

„Ihr Spionagesystem ist sicher ebenso gut wie das des Herrn der Hunde, wenn nicht besser.“ Naraku blieb freundlich. „Aber ich habe Informationen für Sie, die Sie womöglich interessieren würden, was unseren gemeinsamen Freund betrifft.“

Ryuukossusei zögerte kurz, ehe er etwas lauter meinte: „Wir gehen in den Salon dort. Solche Spiele spielt man nur zu zweit, Naraku.“

„Wie Sie wollen.“ Ja, der Drache hatte recht. Diese Separees dienten für vertrauliche Unterhaltungen, aber auch zum Spiel um hohe Summen – illegal, natürlich.

Als sich die Beiden an einem kleinen Tisch gegenübersaßen, nachdem sie sorgfältig alle Türen geschlossen haben, fragte Ryuukossusei: „Soll ich Ihnen das Geld leihen?“

„Nein, danke. Ich werde meinen wahrlich teuren Schwager auszahlen, sobald das Testament eröffnet ist. Ich bin durchaus liquide.“ Sofern die Unfallversicherung zahlte. „Ich hatte nur eine … vage Idee. Sie sähen den Taishou doch gern gedemütigt?“

„Ich sähe ihn gern tot.“

„Möglich. Aber ihn am Boden zu sehen wäre auch nett?“

„Ich höre.“ Ryuukossusei richtete sich etwas auf. „Da Sie mit mir darüber reden wollen, denke ich, dass Sie es nicht ohne meine Hilfe tun können.“

„Plan A, sehr wohl. Aber ich gehe davon aus, dass es nicht ganz ohne Grund war, dass der Kerl so weit gekommen ist. Einen Plan B zu haben, schadet nie.“

„Verstehe ich recht. Wenn Ihr erster Plan funktioniert ...“

„Ist der Taishou blamiert und verliert das Gesicht vor allen Youkai. Kurz darauf kommt es zu Aufständen, nun, Sie wissen es. Geht dieser Plan schief, was durchaus möglich ist, der Hund ist kein Narr, kämen Sie ins Spiel. Genauer, Ihr Bruder.“

„Sie überraschen mich. Wir sind zerstritten.“

„Werter Ryuukossusei. Sie haben Ihren Bruder auf Vulkaninseln verbannt. Er könnte doch, rein theoretisch, begeistert sein da wieder weg zu kommen und sich Ihre Gunst wieder zu erwerben?“

„Sie haben noch ein Wort um mich zu überzeugen.“

„Izayoi.“

Der Drache setzte sich aufrecht hin.

 
 

Im Schloss


 

I

zayoi blieb am Sonntag länger im Bett. Weniger, weil der Ausflug gestern sie so müde gemacht hätte, als weil sie sich immer wieder diesen mehr als romantischen Moment vor Augen führte. Er hatte sie geküsst. Und sie war nicht nur erleichtert gewesen, dass sie seine Fangzähne nicht zu spüren bekam, sondern hatte es genossen, wie vorsichtig er gewesen war, wie behutsam, so ganz anders, als sie es aus Liebesfilmen kannte. Seine Klaue war zärtlich über ihre Wange gestrichen und hatte sich dann in ihrem Haar vergraben. Sie waren danach schweigend gemeinsam in das Schloss zurückgekehrt, aber sie vermutete, dass es dem Taishou nicht viel anders als ihr erging. In seinen Augen hatte irgendetwas gelegen, das ihre Knie weich werden ließ, und das sie so nie zuvor bei ihm oder jemand anderem gesehen hatte.

Sie hatte sich vollkommen sinnlos gefürchtet. Sie sollte zu ihm einfach Vertrauen haben. Aber sie konnte ja auch kaum um Audienz bitten und ihm sagen: Ich bin eine Närrin gewesen, bitte, kommen Sie in mein Bett? Was sollte sie nur tun? Immerhin, vielleicht würde sich eine Wiederholung ergeben? Wenn sie nur zu zweit waren, natürlich. In der Öffentlichkeit ziemte sich das nicht. Und, naja, eigentlich wohl in der Trauerzeit auch nicht, oder?

„Izayoi-sama?“

Sie schrak aus ihren Gedanken auf und starrte ihre Zofe an. Misako hielt ihr Handy.

„Verzeihen Sie, Sie haben wohl wirklich noch geschlafen. Oder, geht es Ihnen nicht gut?“ Immerhin hatte die Herrin nach dem letzten Spaziergang mit dem Fürsten dringend Erholung benötigt.

„Doch, doch. Ich stehe gleich auf. Was ist denn?“

„Naraku, das ist doch Ihr Bruder?“

„Halbbruder, ja.“

„Er rief schon zwei Mal an. Ich ging natürlich nicht an Ihr privates Mobilphon, dachte jedoch, Sie sollten es wissen.“

„Ja, danke. Gib es mir. - Kannst du dich erkundigen, ob ich drüben ein Bad nehmen kann?“ Nur nicht noch einen Zusammenstoß mit Sesshoumaru provozieren. Dieses Mal würde der Taishou sicher nicht mehr an Zufall glauben. Und nachdem er das letzte Mal schon Eifersucht zugegeben hatte, würde es jetzt, nachdem er nur zu deutlich gezeigt hatte, dass er sie begehrte, bestimmt für Sesshoumaru und sie selbst schlecht ausgehen. Sie hatte gestern zu ahnen begonnen, welchen Einfluss sie auf die Gefühle des Daiyoukai ausübte.

„Ja, natürlich, Izayoi-sama. Nach dem Frühstück?“

„Nur einen Tee. Ich esse dann lieber ausgiebiger zu Mittag.“

„Natürlich. Wie Sie wünschen.“

 

Alleingelassen wählte Izayoi. „Naraku? Was ist denn passiert?“

„Warum gehst du denn nicht an dein Telefon?“

Er klang so vorwurfsvoll, dass sie ein schlechtes Gewissen bekam, aber nur meinte: „Es ist Sonntag. Und es ist zehn. Ich liege noch im Bett. Meine Zofe brachte mir mein Handy, da sie deinen Namen sah. Hast du dir etwa Sorgen gemacht?“

„Etwas. Ich dachte ehrlich gesagt nicht, dass du am Sonntag ausschläfst. Ich hatte es vergessen.“ War er etwa in ein Fettnäpfchen gesprungen? Und überhaupt – wieso klang sie so selbst bewusst? Machte das diese Arbeit mit den sozialen Projekten, die ihr der Taishou zugeschanzt hatte? Dann musste er jetzt behutsam werden, sonst würde sein Sicherheitsplan erst recht nicht funktionieren. Er musste sie manipulieren können. „Weißt du, ich bin seit Stunden auf. Es gibt wahnsinnig viel zu tun. - Warum ich dich eigentlich anrief, die Testamentseröffnung ist am Montag. Nicht morgen, die Woche drauf. Die zuständigen Anwälte sind die Kobayashis. Hast du etwas zu schreiben da? Ach nein, im Bett natürlich nicht. Ich schicke dir die Adresse dann noch zu, ja?“

„Ja, danke. Und wann?“ Natürlich, wenn er seit drei oder vier Stunden schon Büroarbeiten erledigte, hatte der arme Kerl sicher nicht daran gedacht, dass sie noch friedlich schlafen konnte.

„Um dreizehn Uhr. Es sollen auch die Vorstände der Ketten kommen und der Bank, natürlich nicht zu der eigentlichen Testamentseröffnung, aber wegen einer möglichen Aufteilung, vermute ich. Die Kobayashis mauern da. Sie dürften das erst später sagen, so lautete Vaters Anweisung ...“ Naraku nahm Anlauf. „Können wir uns nächste Woche einmal in Tokyo treffen? Hier?“

„Ich darf nicht in Vaters, dein, Haus, ohne zu fragen,“ gestand sie. „Und ganz sicher nicht allein.“

„Hält dich dieser alte Wachhund an der kurzen Leine? Schon gut, ich will dir keine Probleme machen, Schwesterchen. Dann frag. Aber ich würde gern noch mit dir reden, möglichst ohne deine Zofe oder den Chauffeur oder sonst wen.“ Das konnte schwierig werden. Also ging in Tokyo nichts mit den Drachen, sondern nur im Schloss. Hm. Die Hölleninsekten mussten vorsichtig sein, aber sie brachten ihm doch immer wieder Bilder der Wachen. Und, wenn ihn nicht alles täuschte, waren die verstärkt worden. Was wusste oder ahnte der Taishou? Gleich. „Wie gesagt, ich hoffe drauf … sonst sehen wir uns eben bei den Anwälten. Da darfst du, musst du, ja allein mit mir hinein.“ Hoffentlich würden sich die Saimyosho melden, die er an diesen Chauffeur gehängt hatte, Takemaru Setsuna. Den musste er dringend impfen. Entweder es klappte so oder der Taishou würde seinen Fahrer erledigen – auch das wäre in netter Skandal.

„Ja, natürlich. Ich werde fragen und dir Bescheid geben.“ Sie musste daran denken, dass sie verliebt war, beschützt und versorgt wurde, und er ganz allein um Vater trauern musste, allein die ganzen Geschäftsunterlagen durchsuchen musste. „Ich sehe zu, dass wir uns nächste Woche noch treffen können.“

„Nun, ich hoffe, du kannst Hundi, ich meine, deinen Ehemann überreden.“ Er sollte sich nicht die Sprachangewohnheiten des Drachen angewöhnen, das konnte einen intelligenten Mann misstrauisch machen, falls Izayoi das gegenüber ihrem Herrn und Meister ausplauderte. Denn eines war klar – der Inuyoukai befahl und sie gehorchte. Wieso auch immer, aber womöglich hatte der ihr auch gezeigt, wo der Hammer hing, obwohl er bislang wohl noch keine tatsächliche Strafe verhängt hatte. Jedenfalls keine, die man sah, das hatten ihm selbst die Saimyosho doch zeigen können. Wobei ein Kimono natürlich auch viel versteckte. „Dann bis später. Ich habe noch einiges zu erledigen.“

„Ja, natürlich. Danke für die Information.“

Als Naraku auflegte, dachte er bei sich, dass sie wirklich selbstbewusster wurde. Sicher lag das an dieser Büroarbeit. Hm. Er würde kaum der Einzige sein, dem das auffiel. Wenn man später, bei einer Gerichtsverhandlung, ihre Zofen und Mitarbeiter befragen würde, würden die das doch auch bestätigen. Damit wurde es glaubwürdiger, dass sie lieber mit einem Menschenmann auf und davon war – und auch glaubwürdiger, dass der Taishou, um seiner Ehre willen, hart zurückgeschlagen hatte. Das würde dem alten Hund das Genick brechen.

Er musste jetzt sehr sorgfältig planen. Beide Pläne.

 

Der Inu no Taishou saß in seinem privaten Arbeitszimmer, vor sich einen Youkai, der die Finanzen in seiner Heimat erledigte, unter der Aufsicht seiner ersten Gemahlin. Wie er diese kannte, würde die Abrechnung mehr als in Ordnung sein, aber er musste zumindest so tun als prüfe er.

Er erkannte das Youki seines Sohnes vor der Tür, der anscheinend etwas von ihm wollte, aber es vermutlich als nicht so wichtig einstufte. Nun ja. Der sah sich wohl – nicht ganz zu Unrecht – noch immer etwas in Ungnade.

Sesshoumaru hätte allerdings sonst etwas darum gegeben, hätte er gleich zu seinem Vater gedurft. Aber so wichtig, den in einer Besprechung, noch dazu mit Mutters Boten, zu stören, war es sicher nicht. So ließ er sich nieder, die Hand etwas verkrampft. Darin befand sich der Grund seines Problems. Er hatte einen Youkai oder etwas in der Art getötet. Schön, er hatte so etwas noch nie gesehen und, um seine Aufmerksamkeit zu beweisen, das einfangen und Vater präsentieren wollen, aber das dämliche Vieh hatte ihn gestochen. So hatte er fester zugedrückt und das Gift neutralisiert, ehe er feststellte, dass er schon wieder in der Klemme saß.

Angenommen, seinem verehrten Vater gehörten diese übergroßen Wespen und sie sollten einer zusätzlichen Sicherheit dienen, so wäre der kaum erbaut, wenn er selbst die umbrachte. Dem jedoch einen neuen Beweis seiner Unbeherrschtheit zu liefern, würde nur dazu führen, dass er sich wieder bei Schneeflöckchen und ihrem Opa fand. Das wäre schon verflixt unangenehm. Eine Steigerung wäre es nur noch, wenn Vater ihn, wie schon einmal geschehen, mit den dürren Zeilen „Ich dachte, er sei ein Krieger ...“ zurück zu Mutter sandte. Diese hatte mit etwas zu schmalen Lippen nur gesagt, dass sie es nicht schätze von ihrer TOCHTER bloßgestellt zu werden. Er hatte sechs lange, viel zu lange, Wochen ununterbrochen Kimonos besticken müssen. Das Einzige, was es noch einigermaßen erträglich machte, war die Tatsache, dass Mutter ihre Hofdamen vor die Tür verbannt hatte. Nein, mangelnde Selbstbeherrschung war etwas, was beide Eltern ihn spüren ließen. Und jetzt …

Der jugendliche Inuyoukai atmete tief durch.

Vielleicht war es auch anders, und er hatte einen Spion gefangen? Das wäre das Beste. Aber nach seinen Erlebnissen in den vergangenen Tagen sollte er nicht nur wieder Vaters Gunst erwerben, sondern auch nicht davon ausgehen, dass er einmal Glück hatte.

 

Es dauerte, bis der Bote das Büro verließ, aber zu Sesshoumarus Erleichterung wurde er unverzüglich hereingebeten. Noch gab es also eine Chance. Er verneigte sich höflich und streckte die Hand mit dem seltsamen Insekt vor, während er sich formell niederkniete.

„Verzeihung, verehrter Vater, aber ich dachte, Sie sollten das sehen. Und wo die war, gibt es noch andere.“ Das war doch eine sachliche Aussage.

Der Taishou warf einen Blick auf das große, tote, Insekt in der Hand seines Sprösslings und stand abrupt auf. „Mehr davon?“

Sein Sohn erhob sich eilig. „Kennen Sie es? Es fiel mir auf. Sie schwirren im gesamten Garten herum. Anscheinend. Ich konnte nur dieses fangen und wollte Ihnen den Ort zeigen. Leider stach es mich und ich … musste es töten.“

„Mehrere.“

„Ja. Ich sah sicher fünf. - Darf ich fragen, was das ist?“

Sein Welpe wusste noch manches nicht. „Saimyosho. Hölleninsekten. - Komm, zeige mir, wo du sie sahst. Sie leben nicht in dieser Welt. Jemand muss sie aus der Unterwelt beschworen haben. Und es gibt sehr wenige Leute, die das vermögen, mich und deine Mutter eingeschlossen.“

Hölleninsekten? Sesshoumaru bekam ein eigenartiges Gefühl. Er hatte geglaubt mit seiner Aufmerksamkeit seinen Vater wieder besänftigen zu können – seit Tagen durfte er nicht mehr trainieren, musste nur im Büro sitzen und in seinem Zimmer lernen, aber jetzt hatte er womöglich seine eigene Mutter in die Klemme gebracht. Ihm war seit Welpentagen bewusst, dass seine beiden Eltern in irgendeiner Form Zugriff auf die Unterwelt hatten, was ihm – noch – verwehrt war. Hatte Mutter etwa diese Insekten beschworen um Vater und seine neue Frau beobachten zu können? Das würde den Herrn der Hunde nicht gerade freuen. Genauer, das grenzte an Verrat. Bemüht sachlich meinte er, als er hinter seinem Vater durch das Schloss ging: „Sie beobachten und geben ihre Nachricht weiter.“

„Ja. Ihr Stich ist übrigens tödlich.“

„Für Menschen.“

„Und alle Youkai, die nicht mindestens in deiner Liga spielen. Sie sind eine Gefahr für die meisten Wesen hier.“ Genauer, alle, bis auf zwei. „Sie haben allerdings in aller Regel eine Basis, wo sie sich sammeln und die Nachrichten an ihren Herrn – oder ihre Herrin – weitergeben.“ Er hatte in seinem Leben nur drei Personen gekannt, die Zugriff auf Hölleninsekten hatten und noch in dieser Welt weilten. Eine davon, Shishinki, war nun tot. Blieben also eigentlich nur er selbst und seine erste Frau. Aber er wollte nichts als gegeben hinnehmen. Auch bei Shishinki war er überrascht gewesen, aber der war ein Daiyoukai. Hm. Ein anderer Daiyoukai oder gar Ryuukossusei?

 

Sesshoumaru wies seinem Vater den Weg, schon, um zu zeigen, dass er sich nicht zu den Übungsplätzen begeben hatte, was ihm zur Zeit verboten war. „Ich wollte nur der Fahrbereitschaft sagen, wann ich morgen … - Da!“ Er machte einen weiten Satz und verpasste das Insekt um Millimeter, das sofort hoch in die Luft stieg.

„Spione.“ Der Taishou blickte sich um. „Ich habe die Wachen verdoppelt, aber das scheint nicht zu genügen. Geh und sag Tetsuya, dass wir Hölleninsekten hier haben. Jeder, der kann, soll sie töten.“ Ryuukossusei? Wer sonst. Saimyosho zu beschwören war eine schwierige Sache. Das würde auch erklären, warum der Drache über die Hochzeit Bescheid gewusst hatte. Und, verdammt, ihm selbst war nichts aufgefallen. War er so auf Izayoi fixiert gewesen, dass er seine eigene und die Sicherung seiner Leute übersah? „Oh, Sesshoumaru – danach kannst du trainieren.“

„Danke, verehrter Vater.“ Der Sohn ging in dem angenehmen Bewusstsein, dass er seinem Vater einen Gefallen getan hatte und zumindest etwas wieder in der Gunst stieg. Was umgekehrt wohl auch bedeutete, dass Mutter damit nichts zu tun hatte.

 

Der Taishou kehrte in das Schloss zurück, nicht willens, dass der Drache oder sonstige Auftraggeber die Genugtuung verspürte ihn aufgeschreckt zu haben. Er blieb allerdings in der Halle stehen, als er seine junge Gemahlin erkannte, die, beide Dienerinnen mit Körben hinter sich, die Treppe hinunterkam. Sie hatte wohl gebadet, das verriet die höhere Körpertemperatur, die roten Wangen, die leichte Erschöpfung. So oder ähnlich mochte sie aussehen, nachdem … Nun, das gehörte jetzt nicht hierher. Sie hatte ihn entdeckt und verneigte sich, sobald sie die Treppe hinter sich hatte.

„Guten Tag, meine Liebe. - Auf ein Wort.“ Er musste sie warnen, auch, wenn er sie aus dem Wirtschaftskrieg um die Firmen ihres Vaters heraushalten wollte.

„Natürlich.“ Sie richtete sich überrascht auf.

„Seien Sie einstweilen vorsichtig, was Sie sagen. Wir haben soeben Spione entdeckt. Jemand wünscht unbedingt zu wissen, was hier im Schloss und im Garten vorgeht. Es handelt sich um Insekten, ziemlich große, gefärbt wie Wespen.“

„Youkai?“ fragte sie nur. Sie hatte schon von Wirtschaftsspionage gehört. Überdies war der Taishou ja auch noch Mitglied der Regierung.

„Nein, andere Wesen.“ Dass die aus der Hölle stammten, musste sie ja nicht wissen. „Ich lasse Leute kommen, die den Pavillon mit Bannkreisen sichern, danach haben Sie wieder Ruhe.“

„Ja, danke. - Oyakata-sama ...“ Schließlich waren Andere, Menschen und Youkai, in der Halle anwesend. „Mein Halbbruder rief mich heute an, in einer Woche wäre die Testamentseröffnung. Er schickt mir noch die Adresse der Anwälte Kobayashi zu. Und, er würde mich gern nächste Woche in der Villa … in seiner Villa treffen. Ich vermute, dass er mir die Bilder meiner Mutter aushändigen will oder anderes, um was ich ihn gebeten habe. Er meinte allerdings, ich solle allein kommen. Ich sagte, ich würde Sie fragen.“

Sie blieb ehrlich. Und sie sah wirklich, wirklich hübsch aus. „Erwarten Sie mich heute Abend um acht. Ich werde Ihnen dann meine Entscheidung mitteilen.“ Bis dahin sollte die Sache mit den Saimyosho zumindest in Bezug auf den Pavillon geklärt sein. Und er hatte einen Vorwand sie aufzusuchen. Vielleicht gab es eine Gelegenheit zu einem weiteren Kuss. Aber, das musste sie entscheiden. Als er beschlossen hatte auf Bokusenos Rat zu hören, hatte er prompt Erfolg gehabt. Ein uralter Magnolienbaum als Eheberater! Wenn es nicht nachgerade lächerlich wäre …

 

Naraku empfing die Berichte der Saimyosho mit sehr gemischten Gefühlen. Eine war getötet worden, von Sesshoumaru. Das würde Shishinki nicht freuen. Vermutlich würde ihm der Daiyoukai bald wieder auf der Matte stehen. Überdies bedeutete das, dass der Taishou ganz sicher von seinem Söhnchen auf die Hölleninsekten aufmerksam gemacht worden war. Sie würden noch vorsichtiger sein müssen, also noch weniger mitbekommen.

Positiv war nur, dass die Überwachung von Takemaru Setsuna ergeben hatte, dass dieser Chauffeur des Taishou nicht verheiratet oder sonst wie liiert war. Also wäre eine Liebesaffäre mit Izayoi glaubhaft – oder sogar tatsächlich möglich. Er musste mit diesem Kerl unbedingt reden. Wenn der nicht wollte, oder ihm nicht glaubte, musste eben der Drachenplan umgesetzt werden. Ryuukossusei hielt sich ihm für überlegen, aber der hatte immerhin zugestimmt, dass es gut wäre, im Zweifel seinen Bruder zu opfern. Naraku hatte argumentiert, er opfere ja auch seine Schwester.

Und diesen Takemaru müsste er in der Woche an einem freien Tag einmal abpassen. Ein Insekt sollte den mehr oder weniger permanent begleiten. Irgendwo musste der sich doch auch einmal außerhalb des Schlosses herumtreiben und man mit ihm reden können. Oder zumindest ein Treffen vereinbaren. Wenn der absolut nicht spurte, blieb immer noch die Möglichkeit gegen dessen Willen vorzugehen – und de facto die Drachen als Sicherheit. Natürlich wollte Ryyuukossusei mehr als nur den Taishou am Boden, Sesshoumaru am Besten gleich dazu, aber zumindest in Punkt Eins waren sich seine beiden Verbündeten einig. Hatte Shishinki seine heißgeliebten Schwerter, würde der sich wohl auch um den Drachen und diese Hundedame kümmern. Danach hatte er selbst es nur noch mit Shishinki zu tun, aber mit dem sollte er klar kommen. Jemand, der sich vom Herrn der Hunde übers Ohr hauen ließ, würde doch auch kaum ihm am Verstand ebenbürtig sein. Und der Daiyoukai hatte bereits erwähnt, dass er kein Vergnügen an Geschäften oder gar Menschen habe. Dem ging es nur um die Herrschaft über Youkai, also würde er ihm, Naraku, die über die Menschen überlassen. Gerechtigkeit für alle.

 

Als der Inu no Taishou pünktlich um acht den Jade-Pavillon betrat, war er nicht überrascht, dass Izayoi ihre Frauen bereits weggeschickt hatte. Das machte sie meist, wenn er sie abends aufsuchte, und er wusste nur zu gut, dass sie versuchte damit seinen Ruf zu schützen. Allerdings hatte sie ihn nie zuvor in einem Yukata erwartet hatte, und eben nur in diesem. Sehr informell, dachte er und neue Hoffnung stieg in ihm auf, als er einen erstmaligen, äußerst anregenden, Blick auf ihren Hals, ihr Dekolleté, werfen konnte. „Guten Abend, meine Liebe.“

Sie verneigte sich, sichtbar verlegen. Natürlich war ihr klar, wie das auf ihn wirken konnte, ja, musste, aber, wie anders sollte sie ihm zeigen, dass sie keine Angst mehr hatte? Vor allem, weil sie doch aufgeregt war? „Darf ich fragen, wie Ihre Entscheidung lautet?“

Er ließ sich ihr gegenüber nieder. „Ich muss zugeben, dass es mir nicht gefällt, dass Naraku Sie so unbedingt allein sehen möchte. Warum sollte es ihn stören, wenn Sie die Fotos und andere Andenken an Ihre Mutter abholen und Taro oder sonst wer draußen wartet?“

„Ich glaube, er fühlt sich sehr allein,“ meinte sie leise.

„Möglich. Aber, sehen Sie einen Grund, dass Sie nicht hingefahren werden sollten?“

„Das ist wahr. Überdies sagte er auch, wir seien ja spätestens während der Testamentseröffnung allein mit den Anwälten.“

„Oh, das denkt er?“

Sie blickte überrascht auf. „Ja, die Leute von den Firmen kommen erst später, zuerst geht es nur um uns, sagte er.“

„Nun, ich werde mit Ihnen gehen.“

Unwillkürlich war sie etwas erleichtert, meinte jedoch fragend: „Ja, aber, dürfen Sie das?“

„Meine Liebe, ich weiß, Sie hatten kaum Zeit unseren Ehevertrag zu lesen, aber Ihnen ist bewusst, dass Sie dem Recht der Youkai unterstehen?“ Da sie nickte. „Und nach diesem Recht vertrete ich meine Ehefrau in allen juristischen Dingen als Vormund. Sie dürften gar nicht allein dorthin gehen und etwas unterschreiben.“

Oh, das war doch überraschend. „Ich habe also mit meiner Unterschrift auch meine Rechtsfähigkeit abgegeben?“ Sie klang unwillkürlich etwas entrüstet. „Aber, was ist dann mit den Sachen für die Stiftungen? Oder, Sie sagten doch, Ihre erste Gemahlin verwalte Ihre Heimat?“

„Das ist vollkommen korrekt. Sie und auch meine erste Ehefrau haben diese Rechte allerdings abgeleitet von mir. Ich kann sie geben und auch entziehen. Im Rahmen Ihrer Aufträge haben Sie allerdings jede Befugnis.“ Tja, das war es wohl mit seiner Hoffnung auf einen Kuss heute Abend. Sie schien sich dieser Sache nicht bewusst gewesen zu sein. Obwohl es für jeden Youkai nur logisch war. Der Fürst vertrat die Leute, die ihm unterstanden, jeder Vater seine Kinder und ebenso auch jeder Ehemann seine Frau. Er versuchte sachlich darzulegen, dass das eine Wechselwirkung von Schutz des Stärkeren gegenüber Gehorsam des Schwächeren war.

Izayoi sah auf das Tischchen vor sich. Das Mädchen aus der Moderne wollte sich empören, aber sie begriff durchaus, dass die Sitten der Youkai anders waren. Überdies – sie wäre eigentlich ganz froh, würde er mit ihr gehen, wie bei Vaters Totenfeier. Immerhin konnte sie sicher sein, dass er mehr von Verträgen verstand als sie. Und Naraku würde, so gut kannte sie ihn doch, kaum Hemmungen haben, einen geschäftlichen Vorteil zu sehen und auch zu ihren Lasten auszuspielen. „Ich verstehe, Taishou,“ sagte sie leise. „Und ich würde mich freuen, wenn Sie mitkommen.“

„Höfisch korrekt. Aber ist das auch Ihre wahre Meinung? Sie haben mich noch nie angelogen.“ Seine sonst so feinen Sinne versagten langsam in ihrer Gegenwart.

Sie hob den Kopf. „Ja. Es ist meine Meinung. - Darf ich Sie bitten, ehe Sie gehen, dass Sie mich noch einmal küssen?“
 

Zwei Frauen


 

D

er Taishou glaubte für einen Moment nicht richtig gehört zu haben, aber da seine Ehefrau aufstand und ihn ansah, erhob er sich ebenso. „Sie meinen, so wie gestern?“ erkundigte er sich doch noch einmal, zugegeben ein wenig verwirrt. Sie war etwas zornig geworden, als sie mitbekommen hatte, dass sie keinerlei juristischen Rechte mehr besaß – aber sie hatte es akzeptiert. Das war schön, er hätte wegen uralter Gesetze keinen Ehestreit benötigt, aber wieso war sie jetzt so …

Weil es damit nichts zu tun hat, jedenfalls in ihren Augen, du Narr, dachte er. Sie trennte offenbar den Youkaifürsten, den Konzernherrn, von ihm als Person. Und diese war es, die sie anscheinend mochte, sei es als Hund oder Mann. Sie mochte IHN, nicht sein Youki, nicht seinen Status, nicht seine Macht. Wann war ihm das je passiert? Er trat zu ihr. Er musste ihr zeigen, dass er das zu würdigen wusste. „Keine Angst?“ fragte er.

Er war so rücksichtsvoll, obwohl er sie begehrte. Izayoi schloss die Augen und legte ihre Hände auf seine Schultern, in seine Felle.

Mehr Einladung brauchte er wahrlich nicht.

 

Das war ein richtiger Kuss? Irgendwo fragte sie es sie sich noch. Dagegen war das gestern harmlos gewesen. Sie hatte nicht gewusst, dass ein Kuss ihren Körper in Hitze verwandeln konnte, ihre Haut derart überempfindlich für jede streichelnde Bewegung, die der Taishou machte, dass sie sich nach mehr davon sehnte und sich unbewusst immer enger an ihn drängte.

Er gab sie etwas frei, streifte mit seinem Mund über ihre Halsschlagader, zu ihrem Ohr. Er klang heiser. „Izayoi, machen Sie mit mir, was immer Sie wollen, verkaufen Sie meine Seele … aber schicken Sie mich jetzt nicht weg ...“

Sie schüttelte den Kopf. Was hätte sie auch sagen sollen oder nur können? Sie spürte, dass er sie hochhob, hinüber in das dunkle Schlafzimmer trug und schloss erneut die Augen. Es war bestimmt alles so richtig, dachte sie noch, als sie merkte, dass er sich auf ihr Bett setzte, legte, sie mit sich, auf sich, auf seine Hüften, zog, ehe er wiederholte:

„Tun Sie, was immer Sie wollen.“

 

Izayoi drehte sich und schaltete die Nachttischlampe ein. Wie sie vermutet hatte, saß der Taishou auf ihrer Bettkante und hatte sich die Hakama angezogen, streifte sich gerade den zweiten Schuh über. Mit bloßem Oberkörper und offenen Haaren erinnerte er sie an einen Piraten aus den Filmen. Wann hatte sie ihm eigentlich das Haarband abgezogen? Sie lächelte.

Er gab das Lächeln zurück. „Ich hoffte, Sie würden noch schlafen.“

Er war wieder sehr höflich, dachte sie. Zuvor hatte er sie geduzt. Aber sie war glücklich, umso mehr, als er nicht sofort gegangen war, sondern sogar, als sie geduscht hatte, sie wie eine Zofe in ein großes Badetuch gewickelt und sie wieder in ihr Bett getragen hatte. Er wusste es offenbar zu schätzen, dass sie sich ihm geschenkt hatte. „Ich werde ja auch bald aufstehen müssen.“ Es war fünf Uhr.

Er warf einen Blick neben sie. „Sagen Sie besser Misako sie solle eine neue Matratze bestellen.“ Er hatte sich in seine Unterlage gekrallt, um nicht wie ein unerfahrener Teenager zu reagieren – das Loch war ziemlich groß geworden. Aber besser eine neue Matratze, als wenn er Izayoi enttäuscht oder gar verletzt hätte. Zu seiner gewissen Überraschung entkam ihr ein Kichern.

„Ich hoffe, das passiert nicht jedes Mal.“

Sie hatte definitiv keine Angst mehr, nicht vor ihm, nicht vor seinen Klauen. „Ich werde in meine Räume gehen, mich umziehen, und dann in mein Büro fahren. Schlafen Sie noch etwas.“ Er streifte sich die Oberbekleidung über, band den Obi.

„Darf ich Sie noch etwas fragen, Taishou?“

Natürlich, dachte er. Noch jede Menschenfrau hatte sich etwas von ihm in solcher Situation erbeten. Schmuck, anderes. Was wollte sie? „Nun?“

„Ist es immer ... so kurz?“

Er starrte sie vollkommen perplex für einen langen Augenblick an, zu lange offenbar, denn sie wurde rot und verlegen. Um sie nicht durch ein Lächeln zu kränken, nahm er ihre Hand und küsste diese, ehe er sachlich antwortete: „Ich musste Sie als Anfängerin ein wenig schonen. Aber ich kann Ihnen versprechen, dass eines Tages, wenn wir uns besser aneinander gewöhnt haben, der Zeitpunkt kommen wird, an dem Sie von mir alles wollen, was ich Ihnen geben kann. Und ich werde es Ihnen mit Freuden geben. - Oh, ich bin heute Abend nicht im Schloss, Sie brauchen nicht warten.“

„Danke. Ich wünsche Ihnen eine schönen Tag.“ Sie würde dann lieber auch aufstehen, ehe Misako kam, und ihre Frauen schon im Wohnzimmer sitzend erwarten. Irgendwie schien sie etwas steif zu sein – nicht nötig, dass die das mitbekamen. Obwohl die Matratze wohl ziemlich vielsagend war ...

 

In seinem eigenen Zimmer duschte der Inu no Taishou lieber noch einmal gründlich, ehe er sich in den dunklen Geschäftsanzug warf. Seine Verabredung heute Abend war schließlich seine erste Gemahlin, es wäre unpassend gewesen ihr die Witterung der Nummer Zwei unter die Nase zu legen. Er war neugierig, was sie wollte. Ihr Finanzverwalter hatte es ausgerichtet. Natürlich nahm sie keine menschlichen Dinge wie ein Telefon zur Hand, aber sie bat auch nicht sehr häufig ihren „Herrn und Gebieter“ um Besuch. Und so zufrieden er gerade auch mit sich und der Welt war – etwas war im Westen passiert oder würde auch erst noch geschehen, das seiner bedurfte. Nun ja. Bis heute Abend sollte er die durchaus angenehme Erschöpfung verdrängt haben. Überdies war es besser heute nicht wieder zu Izayoi zu gehen. Nach allem, was er über Menschenfrauen wusste, bedurfte sie heute ein wenig der Schonung – und er war sich nicht sicher, wie sehr er widerstehen konnte.

So sprang er in seiner wahren Gestalt bei Einbruch der Dunkelheit aus Tokyo, blieb über lange Passagen in der Luft, ehe er wieder landete, und war nach kaum zwei Stunden bereits nahe am Schwebenden Schloss. Dort blieb er stehen und verwandelte sich, ließ langsam sein Youki ansteigen, um sich anzukündigen. Würde er hier nicht stehen bleiben, würde das seine Ehefrau als Provokation betrachten und herkommen, um ihr Gebiet zu verteidigen. Solche Missverständnisse konnte man vermeiden, zumal sie schnell erkennen würde, wer der Besucher wäre. Tatsächlich erkannte er, wie in der Ferne das dort gezeigte Youki rasch abnahm. Sie drängte ihres zurück und damit auch alle Anderen im Schloss. Er ging näher.

 

Das Schwebende Schloss trug seinen Namen nicht zu unrecht, befand es sich dort fast hundert Meter über dem Boden. Eine breite Treppe führte empor zu dem Sitz des Hausherrn, in diesem Fall der Hausherrin, die sich jedoch unverzüglich bei seinem Anblick erhob und beiseite wich. Höfisch erzogen, wie sie war, würde sie nie einen Fehler im Protokoll begehen. Er machte den Satz auf den untersten Treppenteil und stieg empor, die sich verneigenden Krieger und Frauen ignorierend.

„Guten Tag, Teuerste.“ Sie würde nie ohne Ansprache reden.

Die Inuyoukai verneigte sich höfisch. „Ich heiße Sie in Ihrem Schloss willkommen, oyakata-sama.“

„Danke. Sie wissen sicher einen Ort, an dem wir ungestört sind?“ Er musste es formell fragen, aber es gab nur einen – ihr Schlafzimmer. Fast sieben Vorräume, mit jeweils schließbaren Türen, machten es selbst für Youkai unmöglich dort mitzuhören, nachdem die Vorzimmer alle geräumt worden waren.

Sie neigte auch nur kurz den Kopf, ehe sie mit der Rechten in einer verräterischen Bewegung über die weiße Boa strich, die sie über den Schultern trug, und sich abwandte.

Er folgte ihr. Ja, sie war noch immer besorgt, dass er irgendwann doch noch einmal ihre ehelichen Pflichten wollte. Sie hatte seinen Eid, und doch … Eigentlich war es ähnlich wie bei Izayoi. Sie wollte ihm vertrauen, aber etwas hinderte sie. Er selbst wohl, dachte er dann realistisch. Die Hochzeitsnacht musste für sie ein traumatisches Erlebnis gewesen sein, ebenso wie der Tag zuvor, als ihr Vater im Duell gegen ihn fiel.

Als sich das Ehepaar in dem großen Raum gegenüber kniete, meinte der Taishou: „Ihr Finanzchef sagte, es sei dringend. Nun?“

Goldene Augen betrachteten ihn. „Ich bin mir nicht ganz sicher, aber derartige Änderungen haben meist etwas zu bedeuten. - Auf Nishijima lebt seit einiger Zeit ein Drache.“

„Ryuutsubasa, der jüngere Bruder Ryuukossuseis, der ihn dorthin verbannte.“

Sie musterte ihn genauer. „Es sollte mich nicht erstaunen, wie gut Ihr Geheimdienst arbeitet. Das erklärt natürlich auch den soliden Zauber, der um die Vulkane liegt.“

Sie klang ein wenig betroffen. Glaubte sie, er wolle sie noch immer kontrollieren? „Mein Geheimdienst hat damit nichts zu tun, Teuerste. Ryuukossusei erzählte es mir freiwillig vor wenigen Tagen. Ich frage mich seither nur, warum.“

Ein hauchfeines Lächeln huschte um den Mund der Dame, die kaum jemand auf mehrere Jahrhunderte geschätzt hätte. „Ein Alibi für seinen Bruder? Oder für sich, wenn dieser stirbt?“

„Möglich. Ich vermute, Sie haben die Lage dort selbst überprüft?“ Darin lag eigentlich keine Frage.

„Ein überaus solider Bannkreis. Der Drache schien mir noch jung, aber dennoch, auch für erfahrenere undurchdringlich. Nicht für mich und sicher nicht für Sie,“ ergänzte sie hastig. Man kritisierte nicht seinen Ehemann, noch dazu seinen Fürsten. „Darf ich Ihnen zu Ihrer Eheschließung noch gratulieren?“

„Natürlich. Aber falls Sie sich fragten, warum ich Ihnen nichts zuvor sagte – es handelt sich um eine Menschenfrau. Nichts von Bedeutung für Sie oder Sesshoumaru.“

Sie neigte den Kopf, etwas ertappt. „So bot Ihnen diese Ehe gewiss Vorteile.“ Nein, keine Menschenfrau konnte ihm einen anderen Erben schenken. Und in kaum fünfzig Jahren wäre diese auch wieder aus seinem Leben verschwunden. Natürlich. Wie hatte sie auch so töricht sein können, sich zu fragen, welche andere Youkai ihm so gefallen hatte … Sie war nicht ausreichend naiv, um nicht zu wissen, dass es andere Frauen in seinem Leben gegeben hatte, nur genug. Er war eine attraktive Person, mächtig und reich. Warum sollte er sich nicht anderswo nehmen, was sie ihm verweigerte. Er hielt sich jedoch an sein Wort. Seit ihrer Schwangerschaft war er nie wieder bei ihr gewesen – außer zur Geburt ihres Sohnes und für verwaltungstechnische Angelegenheiten.

„Einige. Darunter die Befreiung unseres Sohnes aus einer sehr misslichen Lage. Genug davon. - Hat der Drache versucht auszubrechen?“

„Nein. Aber ich ließ Wächter dort. Wenn sich etwas tut, werden sie Sie unverzüglich informieren. Und mich.“ Sesshoumaru? Dann würde der mit der Sprache herausrücken müssen, wenn er herkam. Was hatte der nur wieder angestellt? An seiner Selbstbeherrschung musste man wirklich manchmal als Mutter verzweifeln. Nun ja, wohl auch als Vater, wenn der sich gezwungen sah, deswegen ein Mitglied dieser minderen Art zu ehelichen. Hoffentlich würde ihr Einziger daraus lernen. Sicher, er war noch jung, aber … Warum nicht? Etwas wie ein hauchfeines Lächeln zuckte um ihren Mund. Da sie ihren Gemahl nicht infrage stellte, war es durchaus möglich, dass diese jämmerliche Menschenfrau einen Hanyou zur Welt brachte. Ein kleiner Bruder hätte für Sesshoumaru den unzweifelhaften Vorteil, dass er vorsichtiger werden musste, um seinen Vater, beider Vater, nicht zu verärgern, und umgekehrt jemanden hätte, den er ärgern konnte, eine Art Blitzableiter, später bei passender Erziehung jedoch eine treue rechte Hand. Eines Tages würde Sesshoumaru das Erbe antreten. „Was wünschen Sie, falls Ryuukossusei erneut herkommt, denn ohne Zweifel hat er den Bann gelegt?“

„Solange er nur seinen Bruder wieder befreit, geht es mich nichts an, aber informieren Sie mich. Irgendetwas plant er, da bin ich sicher.“

„Ihr Wunsch ist mein Befehl. Haben Sie noch eine Bemerkung zu meiner Abrechnung?“

Kritik hätte er sofort geäußert, aber sie hoffte deutlich auf ein Lob. „Wie immer nur tadellose Arbeit, Teuerste. Ich kann mich stets auf Sie verlassen.“ Sie war eine Schönheit. Aber sie war ihm versagt, durch seinen eigenen Fehler, seine eigene Ungeduld. Immerhin hatte er daraus lernen können.

Sie neigte mit einem Lächeln den Kopf, da er sich erhob. Trotz Jahrhunderten der Annäherung war sie noch immer froh, wenn er ihr Schlafzimmer verließ. Und das, obwohl ihr bewusst war, dass er seinen Schwur nie brechen würde.

 

Naraku sah sich etwas pikiert um. Das war kein Lokal, das er gewöhnlich aufgesucht hätte. Offenbar handelte es sich um eine Gaststätte, in der sich offensichtlich nur Männer trafen, allerdings Menschen und Youkai. Keiner war bewaffnet, aber er hätte schwören können, dass jeder am Ort mit Schwertern oder Gewehren umgehen konnte. Insgesamt herrscht hier eine leicht aggressive Atmosphäre. Nun gut. Sein Ziel saß immerhin dort allein an einem Tisch. Wartete Takemaru Setsuna auf Freunde? Hier waren wohl einige Leute des Taishou auch zu Gast, aber sie waren ja leider nicht gerade an einem Halsband zu identifizieren. Er trat an den Tisch. „Takemaru Setsuna, vermute ich.“

Der Menschenmann zuckte unwillkürlich mit der Hand unter die Jacke und verriet damit, dass er gewöhnlich dort ein Schulterhalfter trug. „Wer will das wissen?“

„Oh, Verzeihung.“ Naraku lächelte etwas und nahm unaufgefordert Platz. „Ich bin Naraku Gumo. Mein Fehler. Ich dachte, Sie hätten mich schon gesehen, als Sie meine Schwester zum Café begleiteten.“

„Nein.“ Takemaru spannte sich an. „Und, was auch immer Sie wissen wollen, die Antwort ist Nein. Ich werde meinen Arbeitgeber nicht verraten.“

„Ihren Arbeitgeber … nun, davon bin ich überzeugt. Aber, wissen Sie, als ich Sie sah, als ich mit Izayoi redete, erschien es mir, ich könnte Sie ihretwillen um etwas bitten.“ Da er sah, dass der Andere aufstehen wollte: „Ich bitte Sie, um meiner Schwester willen ... Hören Sie mich wenigstens an.“ Diese unangebrachte Loyalität zum Taishou würde ihn noch eines Tages in den Wahnsinn treiben. Auch Youkai mauerten, wenn man sie scheinbar harmlos etwas fragte. Wie machte dieser Kerl das nur? Ohne die Saimyosho wüsste er kaum die Hälfte. „Ich will doch keine Geschäftsgeheimnisse erlauschen oder was auch immer Sie vermuten!“

„Schön.“ Takemaru nahm wieder Platz. „Ich möchte mir meinen freien Abend nicht verderben lassen. Sie haben fünf Minuten.“ Er verschränkte die Arme.

„Ich bin in fünf Minuten wieder weg, ehe Ihre Freunde kommen. - Ich …. Es war die Entscheidung unseres Vaters, dass Izayoi einen Daiyoukai heiraten soll. Ich war und bin etwas beunruhigt. Ich kann sie anrufen, ja, aber das läuft immer über die Schlossverwaltung, wenn sie mich trifft, steht ihre Zofe daneben und Sie vor der Tür … ich denke nicht, dass meine Schwester so mir gegenüber die Wahrheit sagen kann.“ Naraku legte tiefe Besorgnis in seine Stimmer und umklammerte scheinbar nervös seine eigenen Hände.

„Izayoi-sama ist eine Fürstengemahlin. Es wäre unpassend, würde sie in der Öffentlichkeit allein auftreten,“ erwiderte Takemaru prompt etwas steif.

„Ja, aber dann kam auch noch mein Schwager. Er lässt sie praktisch nie aus den Augen. Ist das, weil er sie liebt? Oder kontrollieren möchte? Ich weiß es nicht.“ Naraku seufzte. „Darum möchte ich Sie ja nur bitten – geht es Izayoi gut? Wird sie gut behandelt?“

„Soweit ich weiß, ja.“

„Soweit Sie wissen. - Takemaru, wenn ich Sie so nennen darf, wir sind beide keine Narren. Izayoi ist ihrem Ehemann ausgeliefert, denn sie untersteht seit der Hochzeit Youkairecht. Und er ist nun einmal ein Daiyoukai, ein Fürst noch dazu. Sie stammen aus der berühmten Dämonentöterfamilie der Setsunas. Sie wissen, was ich meine.“

Der Menschenmann sah kurz auf den Tisch. „Was wollen Sie?“

„Beobachten Sie meine Schwester. Und wenn sie … irgendwie misshandelt wird, sagen Sie es mir. Ich habe Möglichkeiten juristisch Izayoi wieder in das Recht der Menschen zu bringen, damit sie dann eine Scheidung erwirken kann. Und vielleicht leihen Sie ihr mal Ihr Handy, damit sie mich anrufen kann, ohne, dass jemand mithört.“

Takemaru dachte nach. „Ich kann Ihnen jedenfalls versichern, dass Izayoi-sama weder einen verängstigten Eindruck macht noch eingesperrt ist.“

„Sie lebt aber nicht im Schloss!“ Naraku gelang es das fast vorwurfsvoll zu sagen.

„Oh, ja. Mir wurde gesagt, dass sei ihr eigener Wunsch.“ War es das? Auch Akiko mochte manches nicht wissen. Und womöglich war Izayoi-sama befohlen auch gegenüber den engen Dienerinnen den Mund zu halten. Dieser Naraku hatte Recht. Es gab eine beachtliche Anzahl an Strafen, die einem Daiyoukai für eine menschliche Frau einfallen konnten. Unter dem Kimono war viel zu verbergen. Und sie war so freundlich, so sanft ...

„Bitte, achten Sie auf sie, ja? Ich gehe auch schon. Oh, und hier ist meine private Handynummer. Wenn Sie etwas Schlimmes mitbekommen, zögern Sie nicht mich zu jeder Tages- und Nachtzeit anzurufen. Sie ist meine Schwester!“ Naraku zog den Notizzettel aus der Anzugtasche. Zu seiner gewissen Erleichterung nahm der Chauffeur ihn. „Danke, Sie wissen gar nicht, wie sehr mich das beruhigt.“ Wenn auch anders, als der dumme Mensch das dachte, hoffte er jedenfalls.

„Warten Sie einen Moment.“ Takemaru zog sein Handy aus dem Jackett. Er hatte gehört, dass der letzte Satz vollkommen ehrlich gemeint war. Zumindest dieser, aber er glaubte nun auch das Andere. „Hier, ich schicke Ihnen meine Nummer. Allerdings sollten Sie mir nur Nachrichten schicken, nicht anrufen. Wenn ich im Dienst bin, habe ich es zumeist aus.“

„Ja, vielen Dank.“ Sehr zufrieden mit dieser kleinen Unterhaltung verließ Naraku das Lokal. Nur, um nach wenigen Metern sich alarmiert über das Youki hinter sich umzudrehen. „Sie sind es.“ Er war erleichtert.

Shishinki schloss auf. „Reine Neugier, werter Freund. Eines meiner Insekten ist tot.“

Ja, das war zu erwarten gewesen Und natürlich hatten die Hölleninsekten ihren eigentlichen Meister von seinem Standort informiert. Er wurde also auch überwacht. Nicht verwunderlich. Shishinki galt für den Taishou als verstorben und das wollte der sicher auch bleiben, bis er die zwei ominösen Schwerter besaß. „Sesshoumaru lernt nie, wann er nichts tun sollte. Leider wird er das Papi berichtet haben.“

„Und Sie waren in diesem verrufenen Lokal, weil Sie solche Sehnsucht nach Männern des Taishou hatten?“ Das klang fast harmlos.

Naraku blieb lieber vorsichtig. Der Kerl war immerhin auch ein Daiyoukai. Es wäre besser ihn von seiner Loyalität zu überzeugen. „So kann man es nennen, werter Shishinki. Ich bereite Plan A vor, darum der Besuch hier. Plan B ist auch schon in Bereitschaft. Ich hoffe doch Ihnen bald ein Ergebnis liefern zu können.“

Shishinki lächelte kaum wahrnehmbar. „Immerhin arbeiten Sie.“

„Oh ja. Und je eher der Taishou fällt, umso besser für alle.“ Nun ja, mit Ausnahme Izayois.

 
 

Wünsche


 

N

araku schloss kurz die Augen, als er erkannte, wer sich da in seinem Garten herumtrieb, als er nach Hause kam. Einen Drachen, wenngleich in Menschenform, nachts auf dem eigenen Grund und Boden vorzufinden, gehörte eigentlich nicht zu seinen Wünschen. Aber er musste wohl höflich bleiben. „Verehrter Ryuukossusei, was für eine erfreuliche Überraschung.“

Dieser klang ärgerlich. „Wo haben Sie denn solange gesteckt? In der Bank sagte man mir, Sie sind schon um fünf weg.“

Vorsichtig, Naraku. Wenn Ryuukossusei sich jetzt verwandeln und ihn fressen würde, gäbe es keine Zeugen. Von Gegenwehr ganz zu schweigen. „Meinen Plan A vorbereiten. Ich brauche ein … unschuldiges Opfer, nicht wahr? Darf ich Sie hereinbitten?“ Erst Shishinki, jetzt der Drache. Es war lästig Verbündete zu haben. Leider notwendig, denn allein konnte er kaum gegen den arroganten Hund vorgehen. „Bitte, setzen Sie sich doch.“ Er öffnete die Tür zum Wohnzimmer. „Die Diener schlafen bereits.“

„Ich brauche auch nichts.“ Der Drache ließ sich in einer eleganten Bewegung nieder. Für jemand, dessen eigentlicher Körper mehrere Meter lang war, war die Menschenform fast etwas beengt, aber vollständig zu beherrschen. Nur das kleine, maskenhafte Gesicht auf der Stirn zeugte von seiner Un-Menschlichkeit. „Wie weit ist Ihr Plan A?“

Da wurde jemand ungeduldig? Schön. Naraku erklärte etwas mühsam: „Ich habe heute einen Chauffeur und Leibwächter des Taishou dazu gebracht Izayoi zu überwachen. Ich möchte, dass er sich ihr annähert, zumindest scheint er sie zu schätzen.“

„Muss ich darin einen Sinn erkennen?“

Dieser überhebliche Drache war schlicht dumm. „Entweder, er berichtet mir von ihrem Tagesablauf, dann kann man leichter einen Zeitpunkt zum Zuschlagen aussuchen, oder aber er brennt mit ihr durch. Oder, man könnte dafür sorgen, dass es so aussieht, als wären die Zwei durchgebrannt.“

Ryuukossusei lächelte etwas amüsiert. „Ich sehe die Schlagzeilen vor mir: Menschenfrau läuft vor Daiyoukai davon. Hm. Das wäre natürlich eine Schande für ihn, blamabel, geradezu. Aber, so wie ich Hundi kenne, wäre er hinter den Beiden schneller her als man nur „fass“ sagen könnte. Und er würde sie alle zwei eher umbringen als laufen lassen.“

„Soweit ist der Plan, ja. Denn mag Izayoi auch dem Youkairecht unterstehen und er sie damit bei Treulosigkeit töten dürfen – mit einem menschlichen Chauffeur sieht das ganz anders aus. Das ist ein Bruch der Verträge.“ Naraku hob etwas die Hand. „Beachten Sie bitte dabei, dass es im Endeffekt vollkommen egal ist, wie die Zwei dazu stehen. Man müsste sie nur betäuben und gemeinsam in ein Hotelzimmer bringen und dem guten Taishou das stecken.“ Und natürlich einige Reporter einladen.

„Wie lange dauert das noch?“

„Heute ist Dienstag. Nächsten Montag ist die Testamentseröffnung. Da brauche ich Izayoi noch, lebendig und in guter Verfassung.“ Schließlich wusste er leider nicht, was sein Vater da an Wünschen noch vermerkt hatte. Er ging zwar davon aus der Haupterbe zu sein, aber wer wusste das schon genau. Naraku lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander. „Dabei fällt mir ein – Sie besitzen doch einen recht guten Informationsdienst. Wäre es möglich, mir mitzuteilen, wann der Taishou in den nächsten vier Wochen Abendtermine hat, also nicht im Schloss ist? Natürlich ohne seine Frau?“

„Mal sehen. - Und Ihr Drachenplan? Der sieht doch ähnlich aus.“

„Ja, auch da kann ich den Taishou nicht im Schloss brauchen. - Wenn Ihr Bruder sich bereit erklären würde Sie zu unterstützen, könnte er sich in dem Naturschutzgebiet verbergen, das direkt an das Schloss grenzt. Dort stehen immer Wachen, aber ich vermute, dass Ihr Bruder damit fertig wird, zumal sie überrascht sein dürften.“ Er sah die wegwerfende Handbewegung seines Besuchers. „Wunderbar. Er nimmt Izayoi mit … nun, den Rest würde ich seiner und vor allem Ihrer Phantasie überlassen.“

Der Drache zögerte nicht seine Meinung kundzutun. „Nicht, dass ich etwas gegen Spaß auf Kosten des Taishou habe. Aber auf dem gesamten Schlossgelände wimmelt es vor Youkaikriegern. Irgendeiner würde doch aufmerksam werden, wenn er einen Drachen wittert, der quer durch geht.“ Leider waren die Krieger des Hundes in Jahrhunderten kampferprobt. Und schlicht in der Überzahl.

Naraku erlaubte sich ein mildes Lächeln. „Sie vergessen eine Kleinigkeit, werter Ryuukossusei. Izayoi ist meine Schwester, und sie hat ein gewisses Faible für mich. Wenn ich sie alarmiert anrufe, schrecklich hektisch und verzweifelt bin, sollte es mir gelingen, sie an den Gartenrand zu locken, wo sich Ihr werter Bruder hoffentlich schon um die Wachen gekümmert hat. So bekommt er sie praktisch frei Haus.“

Um den Mund des Drachen zuckte ein sadistisches Grinsen. „Ich werde meinem Bruder dann freie Hand lassen, unter einer Bedingung: dass er alles mit einem Mobilphon aufnimmt. Wir wollen doch, dass Hundi Spaß hat, wenn er sieht, wie seine Ehefrau stirbt. Und natürlich, das auch ins Fernsehen bringen, damit auch dem letzten Idioten klar ist, dass der Taishou niemand beschützen kann. Er ist dann absolut unten durch bei allen. - Und, wenn die Krieger doch aufmerksamer sind, oder der Taishou zurückkommt....“

„Hat Ihr bedauernswerter Bruder, in seinem Übereifer Ihnen einen Gefallen zu tun, um sich Ihre Gnade wieder zu erkaufen, einen furchtbaren Fehler gemacht. Man kann Ihnen keinen Vorwurf machen. Nun ja. Sobald der Tag, oder besser der Abend feststeht, und ein Zeitplan feststeht, sollten wir beide uns um unsere Alibis kümmern.“

„Da haben Sie trefflich recht, Naraku.“ Aus langer Bekanntschaft konnte er sich denken, dass der gute alte Hund sehr unangenehm werden würde, bekäme der mit, dass er in aller Öffentlichkeit bloß gestellt worden war. Nun ja, wenigstens würde sein Brüderchen einmal wieder richtig Spaß haben können. Früher hatte der Menschenfrauen geliebt, was diese in aller Regel mit einem langsamen Tod bezahlt hatten. Ryuutsubasa neigte zur Perfektion. Und zum Sadismus, selbst nach Drachenmaßstäben.

 

Akiko und ihr Ehemann hatten die geschundene Matratze unauffällig an einer Müllstation in der Stadt entsorgt, um im Schloss kein Gerede entstehen zu lassen und auch gleich eine neue eingekauft. Auf dem Heimweg sah sie zu ihrem privaten „Batmann“. „Izayoi-sama wirkt heute so vergnügt – aber, wenn ich mir das Loch da angesehen habe ...“

„Wir sollten nicht darüber sprechen. Das Liebesleben des Herrn geht uns nichts an,“ erwiderte der traditionell erzogene Fledermausyoukai.

„Du meinst, ich sollte mir keine Sorgen machen?“

„Nein. Wenn oyakata-sama nicht aufgepasst hätte, wären Löcher in Izayoi-sama. Du weißt doch, dass auch ich mich manchmal zurückhalten muss um dir nicht wehzutun oder dir gar etwas zu brechen. Menschen sind nun einmal fragil.“

Da das ausschließlich in überaus anregenden Situationen passierte, dachte Akiko nach. Nun gut, das wäre auch eine Erklärung für das schon verträumte Lächeln, das die junge Fürstengemahlin heute nicht einmal bei der Arbeit verließ. Und ja, sie sollten nicht darüber reden.

 

Izayoi wartete um acht Uhr auf ihren Ehemann. Wie mittlerweile üblich hatte er ihr diese Uhrzeit durch ihre Hofdamen ausrichten lassen und sie sie bereits weggeschickt. Eigentlich war das wirklich albern. Warum machte er das immer so steif, so offiziell? Gehörte sich das an einem Fürstenhof etwa? Oder nur unter Youkai? Das musste sie ihn fragen, wenn er … Pünktlich. Er kam nie früher oder später, auch nur um eine Minute. Sie verneigte sich höflich, noch im Kimono. Sie hatte bis kurz vor dem Abendessen gearbeitet, denn der bevorstehende Dezember bot jede Menge Arbeit in den Stiftungen, seien es Feiern, Jahresabschlüsse oder auch Rechnungen.

Der Taishou, der den Geschäftsanzug bereits wieder mit Seide getauscht hatte, sah ihre Garderobe ein wenig enttäuscht. Er hatte gehofft, dass sie … Nun ja. Vielleicht war sie auch noch zu verletzt. Er wusste nicht genau, wie das bei Menschen war. „Guten Abend, meine Liebe. Wie verlief Ihr Tag?“

„Arbeitsreich, danke der Nachfrage.“ Sie erzählte einiges. „Mir wurde gesagt, dass November und Dezember die arbeitsreichsten Monate seien.“

„Ja, das mag sein. Ich habe, als ich selbst die Stiftungen kontrollierte, eben auch nur das gemacht und sicher nicht so viel Zeit investieren können wie Sie. Sie sind wahrlich fleißig.“

„Danke.“ Sie zögerte etwas. „Darf ich Sie um etwas bitten?“

„Nun?“ Keine Zusage, ehe er nicht das Anliegen gehört hatte, dachte er aus jahrhundertelanger Erfahrung automatisch.

„Wenn Sie möchten, dass ich Sie erwarte, so wie eben, rufen Sie doch bitte mich auf meinem Mobilphon an, nicht die Damen.“ Sie sah vorsichtig auf. „Oder dürfen Sie das nicht, so als Fürst?“

Er war überrascht. „Sie sind eine seltsame Frau, Izayoi.“

„Weil ich anders als eine Youkai bin?“

„Weil Sie auch anders als die anderen Menschenfrauen sind, die ich je traf. - Wenn Sie möchten, rufe ich Sie direkt an. Ich dachte nur, es sei Ihnen lieber nicht auch noch am Telefon von mir belästigt zu werden.“

„Eher im Gegenteil,“ flüsterte sie und wurde prompt rot. „Haben Sie meine Nummer?“

„Zu meiner Schande muss ich nein sagen. Geben Sie sie mir. Ich werde Ihnen dann meine senden.“ Er fühlte angenehme Wärme. Sie sehnte sich offenbar nach ihm, wollte direkt mit ihm reden …

„Danke.“ Sie stand auf und ging in ihr Arbeitszimmer, kehrte kurz darauf mit einem Zettel zurück. „Bitte.“

Er war knien geblieben und schob den Zettel in den Ärmel seines Haori. „Nehmen Sie nur wieder Platz. - Ist Ihnen eigentlich bewusst, dass Sie mich, seit Sie hier leben, um genau zwei Dinge gebeten haben? Ein Handy und meine Nummer. Sind Sie sicher, dass Sie nichts anderes möchten?“

„Sie haben mich mit einer großzügigen Ausstattung versorgt, mein Taschengeld ist wahrlich üppig … Nein, danke.“ Mit was für Verschwenderinnen hatte er es denn sonst zu tun? Schön, seine erste Gemahlin musste ein Schloss unterhalten, Verwaltung und hatte wohl auch Krieger und sonstiges Personal, aber das meinte er sicher nicht. Zu ihrer Faszination breitete sich wieder dieses schelmische Leuchten in seinen Augen aus, erreichte sogar seinen Mund, der sich zu einem fast jungenhaften Grinsen verzog. Er sah wirklich menschlich aus und sie konnte nicht anders als ihn anzustarren. „Was meinen Sie? Habe ich Sie missverstanden?“ fragte sie dann doch.

„Sagen wir, die Menschenfrauen, deren Gesellschaft ich mich erfreuen durfte, baten meist um Schmuck oder ähnliches. Sie tragen nur den Ehering.“

„Immerhin mit einem Diamanten,“ verteidigte sie sich instinktiv. „Und was wollen Youkai?“

„Ähnliches. Oder einen Sohn.“

Sie starrte ihn perplex an. „Was?“

„Uralter Instinkt. Youkai sind ihren tierischen Instinkten manchmal mehr unterworfen als Menschen. Und die Weibchen suchen sich den Alpha zur Paarung, um starken Nachwuchs zu bekommen.“ Mit Ausnahme der stärksten und magisch talentiertesten Inuyoukai – die ihn heute noch zurückwies, aber ihm einen Sohn geboren hatte.

„Sie Ärmster. Das muss ja grauenvoll sein!“ Izayoi schlug die Hände an die Wangen. „Immer nur benutzt zu werden!“

Schön, dachte der Herr der Hunde, das hatte auch noch niemand zu ihm gesagt. Er sollte anfangen, ein Buch mit Erstmaligkeiten zu führen. Sie würde es gewiss füllen. „Nun, wie Ihnen bekannt ist, habe ich nur einen Sohn. Es gibt Möglichkeiten.“

Sie ließ die Hände sinken und verschränkte sie im Schoss. Durfte, sollte sie das fragen? Warum nicht. Dann wäre immerhin alles klargestellt, und sie würde sich keinen falschen Hoffnungen von einer kleinen, glücklichen, Familie hingeben „Würden Sie in Erwägung ziehen von mir einen Sohn zu bekommen?“

„Izayoi!“

Das klang scharf und sie murmelte eilig Entschuldigungen. „Verzeihen Sie, es steht mir sicher nicht zu solche Entscheidungen zu treffen, ich dachte nur ...“ Tränen stiegen in ihre Augen.

Der Taishou atmete einmal durch, ehe er die Klaue ausstreckte. Wie er es hasste sie weinen zu sehen. „Geben Sie mir bitte Ihre Hand, Izayoi. Ehrlich gesagt – ich denke, ich würde mich freuen, aber es gibt da ein Problem. Ein recht großes. Hanyou gehen durchaus mehr nach der Mutter, die Größe, nach der Sie Bokuseno fragten, wäre nicht die Schwierigkeit, aber mein Youki, in unserem Fall. Ich habe eine Menge davon, und diese Energie, wenn auch nur zu einem gut Teil vererbt, würde einem mehr menschlichen Körper schaden, ja, vielleicht das Kind wahnsinnig machen. Das müsste gut überlegt werden. Aber, wenn Ihnen daran liegt, werde ich einmal Myouga und Bokuseno über das Thema nachdenken lassen. Und einen anderen alten Freund namens Toutousai. - Ich muss Ihnen aber den Rat geben sich nicht zu früh zu freuen. Es gibt Hanyou, ja, sogar hier im Schloss, der Leiter der Gärten heißt Jinenji und ist einer, aber ich hörte nie von einem Halbmenschen, oder Halbdämon, wie Sie wollen, dessen ein Elternteil ein Daiyoukai war.“

Sie schüttelte den Kopf, beruhigt durch die sachliche Erklärung ebenso wie durch die Hand, die ihre hielt. „Wenn es möglich ist, überlassen wir es dem Schicksal. Sonst – nun ja, eben nicht.“

Er ließ sie, wenngleich mit gewissem Bedauern los. Wenn er sich vorstellte, wo sie ihn vor wenigen Tagen gestreichelt hatte … Was war er nur rücksichtslos. Er drängte sich ihr schon wieder auf. „Sie haben so fleißig heute gearbeitet und werden gewiss müde sein. Soll ich Misako rufen? Oder würden Sie mir noch ein wenig Zeit schenken?“

„Gern.“ Sie begriff, dass er es ernst meinte. Würde sie sagen, sie wolle ins Bett, würde er gehen. Sie legte den Kopf schief und suchte seinen Blick. „Andererseits, Taishou – wenn Sie mich schon ins Bett schicken wollen, könnten Sie mir auch beim Ausziehen helfen.“ Sie stand auf und wandte sich ihrer Schlafzimmertür zu.

Noch ehe sie sie erreicht hatte, legte sich ein Arm um ihre Schultern und ihr Ehemann murmelte in ihr Ohr: „Ich sagte schon einmal, die Fürstengemahlin erhält diesbezüglich von ihrem Fürsten, was immer sie wünscht.“

Sie lachte auf. „Sehen Sie, jetzt habe ich doch noch einen Wunsch gehabt.“

 

Ryuukossusei erreichte an dem kühlen Mittwochnachmittag die Vulkaninseln von Nishijima in seiner Drachenform. Tja, er hatte wirklich einen guten Bannkreis fabriziert, gekonnt war eben gekonnt. Und Brüderchen hatte ihn auch entdeckt, denn er kam heran, betont vorsichtig über den heißen Boden gleitend. Von dem kalten Nordwind merkte der sicher nichts.

„Du!“ knurrte Ryuutsubasa, als er keine zehn Meter entfernt anhielt, wohlweislich den schmerzenden Zauber meidend.

„Aber nicht doch. Wie heißt das?“

„Großer Bruder.“

„Eben, weil ich dein großer Bruder bin, muss ich auch dafür sorgen, dass du unsere Familie nicht blamierst. Ich bin aber eben auch dein Bruder und bereit dir deine Fehler nachzusehen. - Ich werde den Bannkreis lösen und du gehst mit mir zurück nach Matsudo.“ Dort in der Nähe lag das, was einem Drachenschloss am Nächsten kam.

„Und was willst du dafür?“ erkundigte sich der Jüngere misstrauisch.

„Benehmen von dir, mir und den anderen Drachen gegenüber. Und natürlich brüderlichen Gehorsam. Um dir aber zu zeigen, dass ich kein Unmensch ...“ Ryuukossusei lachte über seine eigenen Scherz. „Bin, werde ich dir nächste oder übernächste Woche ein Geschenk machen.“

„Ein Geschenk?“

„Eine junge Menschenfrau, ich glaube, sie ist zweiundzwanzig.“

In den Augen Ryuutsubasas blitzte etwas auf, aber er nahm sich zusammen. „Natürlich gibt es Bedingungen. Du hast doch einen Plan.“

„Ja, Brüderchen. Und du wirst dich an diesen Plan halten, damit du die gut bewachte Schöne auch schnappen kannst. Wenn du sie hast, kannst du mit ihr machen, was immer du willst. Aber nimm sie mit so einem Mobilphon auf. Sie ist die Ehefrau des Taishou – und der soll doch auch den Spaß haben, nicht wahr?“

„Ich kann alles mit ihr machen?“ erkundigte sich Ryuutsubasa in deutlicher Vorfreude. „Auch sie am Ende fressen? Wenn ich das noch mag?“

„Alles. Es kann auch lange dauern – nur, sie sollte das nicht überleben.“

„Kein Problem, großer Bruder. Und du schaffst mir den Taishou vom Hals?“

„So ähnlich. Jetzt gehe mal etwas zurück, damit ich den Bann lösen kann. Und, wenn du voreilig wirst und selbst etwas unternimmst, landest du wieder hier und ich vergesse, wo diese Inseln liegen.“

„Ja, schon klar, großer Bruder, ich habe verstanden.“

„Es gibt da einen Hanyou, der mir hilft. Er wird dafür sorgen, dass die Frau sich aus dem Schloss des Taishou begibt, genau in deine Fänge. Youkai, die dir in die Quere kommen, kannst du natürlich auch umbringen.“

„Das klingt gut. Ich werde mich auch wirklich benehmen, großer Bruder. Du machst mich wirklich glücklich. Ich werde sehr brav sein, das verspreche ich dir.“ Ryuutsubasa wand sich hastig zurück. Keine Minute länger auf diesem heißen Boden, der unerwartet aufspringen und einen Dampfstrahl auf seinen empfindlichen Bauch loslassen konnte. Und dann auch noch die Aussicht auf eine dieser schreienden Menschenfrauen … Er würde ja auch Youkai nehmen, aber die wehrten sich mehr. Und waren nicht so … warm.

 

Die beiden Drachen waren kaum verschwunden, als sich zwei Youkai aus der Deckung wagten. Keiner von ihnen hatte dem Gespräch folgen können, da sie sicherheitshalber in gewissem Abstand hatten bleiben müssen. Ihr Befehl lautete beobachten und Bericht, nicht Ryuukossusei in die Klauen zu laufen. Keiner von ihnen beiden hätte da eine Überlebenschance.

„Du zum Taishou, ich zu oyagata-sama,“ sagte der Ranghöhere und verwandelte sich bereits in einen, wenngleich etwas zu großen, Falken. Sein Partner gehorchte. Das Fürstenpaar sollte informiert werden, dass die Strafe für den jüngeren der Drachenbrüder wohl vorbei war. Was immer das auch hatte bezwecken sollen.

 
 

Testamentseröffnung


 

I

zayoi war verliebt und sie wusste es. Sie genoss jede Minute, die der Inu no Taishou mit ihr verbrachte, gleich, ob sie im Garten spazieren gingen, sich unterhielten oder sie mehr über Youkai oder auch andere, sehr amüsante, Dinge lernte. Und sie hatte das Gefühl, dass sie wieder geliebt wurde. Inzwischen hatte sie gelernt in der oft so regungslosen Miene ihres Ehemanns zu lesen, sie kannte die Stellen, an denen er es liebte berührt zu werden, kannte den Moment, wenn seine Augen rot wurden. Und sie war immer noch angetan, dass er, obwohl er versuchte sie behutsam an neue Liebesspiele heranzuführen, ihr eindeutig die Kontrolle im Bett überließ. Auf ihre doch relativ vorsichtige Nachfrage hatte er nur gemeint, hier dürfe er mal schwach sein. Und sie hatte die Schattenseite seines Lebens als Youkaifürst erkannt. Sie wollte ihm helfen, so gut sie es vermochte, und sie war sich seltsamerweise sicher, dass er das mehr als alles andere zu schätzen wusste.

Allerdings war sie heilfroh, dass sie nicht allein zu der Testamentseröffnung musste. Nun ja, sie wäre auch schon vor einer Woche oder zwei erleichtert gewesen, wäre er dabei, sie hätte sich sicherer gefühlt, aber so war das noch einmal etwas anderes.

 

Als das Ehepaar die Kanzlei der Kobayashis betrat, wurden sie in ein großes Zimmer geleitet, wo sich bereits Naraku aufhielt. Dieser war etwas überrascht, den Taishou zu sehen, grüßte ihn jedoch höflich. „Guten Tag, verehrter Schwager. Schwesterchen, wie geht es dir?“ Den besitzergreifenden Inuyoukai konnte er getrost ignorieren, der musste hier draußen brav auf Frauchen warten. Die Anwälte hatten ihm noch einmal bestätigt, dass nur er und Izayoi – und gegebenenfalls deren Rechtsanwalt – bei der Verlesung dabei sein durften. Und sie war ohne Rechtsberater gekommen. Natürlich sollten die Kobayashis neutral sein, aber er zweifelte nicht, dass sie weiterhin die Anwälte der Gumo-Bank bleiben wollten.

„Danke, ganz gut.“ Izayoi war doch etwas aufgeregt, da sie nie zuvor an einer Testamentseröffnung teilgenommen hatte. Ihre Mutter hatte keines hinterlassen, das war alles im Ehevertrag geregelt gewesen. „Hast du noch immer viel zu tun?“

„Ja, sehr. Es ist ein ziemliches Wirrwarr gleich mit drei Firmen. Ich hoffe, ich bekomme ab morgen etwas mehr freie Hand. Setzt euch doch, ich denke, es dauert noch einen Moment.“

„Ja, danke. Sag mal, hieß nicht auch dieser Polizist Kobayashi, der bei dir war?“

Sie dachte mit? Sein dummes Schwesterchen ohne eigene Meinung? Aber Naraku runzelte die Stirn. „Ja, stimmt. Aber das ist ein sehr häufiger Nachname. Das muss nichts besagen.“

Die Tür wurde geöffnet und ein älterer Mann im Geschäftsanzug kam herein. „Oh, die Herrschaften. Ich bin Hiro Kobayashi, gemeinsam mit meinen Brüdern bilde ich die Kanzlei. - Wenn ich Sie, Gumo-san und Sie, Izayoi-sama bitten dürfte?“ Er blickte überrascht zu dem Daiyoukai, der sich ebenfalls erhob. „Äh, Verzeihung … werter Taishou ...“ Wie sagte man einem Regierungsmitglied und Dämonenfürsten, dass er nicht mit durfte?

Dessen Antwort klang eisig und zugleich sachlich. Youkai, dachten die Menschen im Raum nur. „Da Sie es offenbar vergessen haben, Herr Anwalt: als meine Ehefrau untersteht Izayoi Youkairecht. Und nach eben diesem bin ich ihr Vormund. Sie kann ohne mich keine juristische Handlung vornehmen.“

Hiro Kobayashi verneigte sich eilig. „In der Tat, edler Taishou, das hatte ich vergessen. Bitte verzeihen Sie meiner Wenigkeit.“

Auch das noch, dachte Naraku. Damit war erst einmal auch sein schöner Plan hinfällig, Izayoi zu irgendetwas Nützlichem zu überreden, falls Vater ihn nicht als Alleinerben eingesetzt hatte, wie er eigentlich hoffte. Das einzig Positive, was der heutige Tag schon geboten hatte, war ein Anruf der Unfallversicherung, die ihm mitgeteilt hatte, dass die Polizei die Ermittlungen zum Tode seines Vaters eingestellt hatte. Die schriftliche Bestätigung würde noch folgen, und damit dann auch die zehn Millionen, die er so dringend für diesen Mistkerl von Hund benötigte. Hm. Sekunde. Die Frist lief noch drei Wochen bis zur Auszahlung. Und die Drachen wurden ungeduldig. Womöglich musste er doch gar nichts ausbezahlen? Aber er meinte nur: „Ich hätte auch nicht daran gedacht obwohl mir Youkairecht vertrauter sein sollte, als ein Hanyou. Es gibt ja auch nur wenige Eheschließungen unter diesen Konditionen.“

Der Taishou nickte nur und folgte dem Anwalt. Er war wirklich neugierig auf das Testament. Wenn die Information stimmte, und er bezweifelte das nicht, dass Izayoi nicht Onigumos Tochter war, würde sie schlechter wegkommen als Naraku. Nun, auch aus geschäftlicher Hinsicht wäre das sinnvoll die Firmen nicht aufzuteilen. Aber, da sie hierher eingeladen worden war, musste auch etwas zu ihr im Letzten Willen stehen. Gar die Wahrheit?

 

Die anderen beiden Anwälte, eindeutig die Brüder Hiro Kobayashis, erhoben sich und verneigten sich förmlich, zumal der wohl jüngste Bruder sagte: „Ich darf bekannt machen, Naraku Gumo, der edle Taishou, als Ehemann auch Vormund Izayoi-samas.“ Damit hatte er elegant umschifft, dass sie keinen Nachnamen mehr trug.

„Bitte, nehmen Sie Platz. Ich werde jetzt die letzte Verfügung von Onigumo Gumo öffnen und Ihnen vorlesen. Unser Mandant wollte, dass seine beiden Kinder hier anwesend sind. Dieses Testament wurde in unserer Gegenwart nach der Eheschließung mit Ihnen, edler Taishou, verfasst, als Ersatz für ein vorheriges.“

Als der Anwalt vorzulesen begann, zuckte Izayoi unwillkürlich etwas zusammen. Immerhin waren das die letzten Worte ihres Vaters. Nun ja, dass Naraku Alleinerbe wurde, hatte sie nie bezweifelt. Sie war von den Firmen immer fern gehalten worden. Allerdings freute es sie, dass ihr der Schmuck ihrer Mutter zustehen sollte, der sich noch in der Villa befand, und sie auch das Recht haben sollte, sich persönliche Erinnerungsstücke mitzunehmen.

Herr Kobayashi ließ das Testament sinken. „Haben Sie dazu Fragen oder Einwände?“

Der Taishou sah kurz zu seiner Ehefrau, ehe er sagte: „Nein.“ Onigumo hatte das Testament also nach der Hochzeit noch einmal geändert – vermutlich hatte der Izayoi zuvor doch etwas Geld zugestanden, hielt es nun aber nicht mehr für notwendig, da er sie versorgt hatte. Hm. Ganz so übel schien er doch nicht gewesen zu sein. Es war wohl nur gut, dass er selbst Izayoi noch nichts davon gesagt hatte, dass der Mann, der jahrelang ihren Vater gespielt hatte, es gar nicht war. Blieb nur das Rätsel, wer dann. Und noch etwas sprach zu Onigumos Gunsten: dass der Schmuck der Mutter unangetastet geblieben war, obwohl der Bankier doch wahrlich in der finanziellen Klemme gesteckt hatte. Schmuck der Fürstentochter Miharu Toko war bestimmt einiges wert. Oder, das war die andere Möglichkeit – er hatte ihn gar nicht verkaufen können, da es sich um Familienschmuck handelte, und Fürst Toko ihn wiedererkannt hätte, wenn ihn jemand anderer getragen hätte. Das hätte einen Skandal gegeben und alle hätten gewusst, dass die Gumos so gut wie pleite waren. Jedenfalls sollte Naraku jetzt alles über die Firmen wissen können. Würde der die zehn Millionen Schulden der neuen Kette zahlen können oder ihm selbst die alte Kette zur Hälfte des Wertes verkaufen müssen?

„Nein,“ erwiderte auch Naraku, froh, dass der Herr der Hunde nicht gegen das doch ungleiche Testament protestierte. Andererseits besaß der Kerl ebenso viele Moneten wie Flöhe und es war ihm vermutlich ziemlich egal, wie viel Geld Izayoi so mit in die Ehe gebracht hatte. „Izayoi, ich habe für dich ja sowieso schon die Fotos und so etwas von deiner Mutter rausgesucht, wie du es wolltest, das liegt griffbereit. Ich weiß nur nicht, wo der Schmuck sein soll.“

Der Älteste der Kobayashi-Brüder erlaubte sich ein Lächeln. „Gumo-san, falls Sie es vergessen haben – Sie besitzen eine Bank und damit auch Schließfächer.“

„Oh, natürlich. Ich dachte zugegeben nur an unser Haus, wie es im Testament heißt.“ So, damit sollten doch alle von seiner Harmlosigkeit überzeugt sein. Nein, nicht alle. Der Blick, den der Taishou kurz auf ihn geworfen hatte, war eine Musterung gewesen. Der alte Hund war ein erfahrener Heerführer, sicher mit allerlei Listen vertraut, wie Shishinki bestimmt bezeugen könnte. Und er war von Vater erpresst worden, hatte also allen Grund zu gewissen Animositäten gegenüber der Familie Gumo. Umso vorsichtiger sollte er selbst agieren, noch behutsamer mit Kontaktaufnahmen sein. „Wir könnten jedoch, Schwesterchen, verehrter Schwager, gleich nachher bei der Villa vorbeifahren. Der Karton mit den Sachen von Miharu … ich meine, deiner Mutter, steht dort im Arbeitszimmer. Es sind Fotoalben und so etwas aus deiner Kindheit, ich dachte, so etwas möchtest du auch haben.“ Und er hatte beim besten Willen keinen Nutzen davon.

„Ja, das wäre gut, danke,“ erwiderte Izayoi prompt, sah aber zu den Anwälten. „Muss ich das dann bestätigen, dass ich das erhalten habe?“

Alle Männer im Raum sahen sie kurz irritiert an, dann lächelte der Taishou flüchtig, in gewissem Besitzerstolz. Sie war eine wahrlich praktische, logische, Frau, dazu sanft und anmutig. Seine Stiftungen waren bei ihr gut aufgehoben. Und er selbst auch, aber das gehörte hier nicht hin. „Ich denke, bei den persönlichen Gegenständen können wir darauf verzichten, meine Liebe. Aber bei dem Schmuck macht es deutlich mehr Sinn. Wissen Sie, welchen Schmuck Ihre Mutter besaß?“

„Ein Teil. Sie trug nicht alles. Ich weiß von einigen Stücken, die sie von ihrem Vater erhielt, aber nie trug.“

Er sah zu den Anwälten. „Existiert eine Liste?“

Herr Kobayashi warf einen Blick in den Umschlag, in dem das Testament gesteckt hatte. „Äh, nein. Nicht nach dem hier. Womöglich findet sich im Schließfach eine.“ Trotz allem instinktivem Unbehagen mit einem Daiyoukai in einem Raum zu sitzen, war er professionell genug, zu wissen, dass diese Frage berechtigt war. „Was ich persönlich annehme.“

Naraku überlegte. Hatte Vater womöglich etwas von dem Schmuck verkauft? Nun ja, wenn, dann konnte das kaum auf ihn zurückfallen. Abgesehen davon wäre es dann selten dämlich gewesen, diesen Schmuck auch noch Izayoi zu vermachen. Aber sein Vater hatte in den letzten Monaten seines Lebens doch einigen Blödsinn angestellt. „Ich werde die Schließfächer in der Bank, die Vater zur Verfügung standen, durchsuchen. Wohin soll ich den Schmuck dann bringen lassen?“

„In das Schloss,“ antwortete der Taishou. „Izayoi soll es überprüfen können.“

„Gut.“ Naraku war froh, dass zumindest aus der Ecke einstweilen kein Ärger kam. Die zehn Millionen waren eine andere Sache. Aber womöglich war Ryuukossusei so freundlich dieses kleine Problem für ihn schon früher als geplant aus dem Weg zu schaffen. Dann könnte er in Ruhe zusehen, wie der Taishou fiel, könnte ordnungsgemäß die neue Kette abwickeln, die alte verkaufen und wäre ein angesehener Bankier. Hanyou hin oder her, vielleicht würde sich doch eine der alten Adelsfamilien bereit erklären, ihm ihre Tochter zu geben. Wieder eine Stufe auf der gesellschaftlichen Leiter, wenngleich gestiegen über Tote. Man konnte eben kein Omelett machen, ohne Eier zu zerbrechen.

 

Als Izayoi hinter ihrem Bruder und Ehemann die Villa der Gumos betrat, fühlte sie einen unwirklichen Schauder. Hier hatte sie so lange gelebt – und in den wenigen Wochen war es ihr irgendwie fremd geworden. Fast, als ob man in ein Ferienhaus zurückkäme, in dem man letztes Jahr in Urlaub war. Andererseits, seit dem Tod ihrer Mutter hatte sie sich hier kaum mehr wohl gefühlt. Die Wärme war aus dem Haus verschwunden.

„Möchtest du in dein Zimmer gehen?“ erkundigte sich Naraku, ganz der große Bruder.

„Nein, danke.“ Sie wollte wieder in ihren Pavillon, da fühlte sie sich angenehmer.

„Gut. Dann hier, das Arbeitszimmer. - Dort, die Umzugskiste. Sieh es dir mal durch, Schwesterchen, ob du alles mitnehmen willst.“

„Ach, erst einmal, ja. Ausräumen kann ich ja immer noch. Und die Fotoalben werde ich sicher behalten. Ich habe ja sonst keine Bilder aus unserer Kindheit.“

„Wenn ich noch welche finde, schicke ich sie dir. Ich habe da wirklich kein Interesse daran.“ Naraku wartete einen Moment, ehe er begriff, dass der Daiyoukai höchstens in einem Alptraum daran dachte die Kiste zu tragen. Na schön. Bald war er diesen arroganten Hund los. So bückte er sich und nahm sie selbst, trug sie hinaus zu dem Auto, das der Taishou wieder selbst fuhr. Da der Umzugskarton nicht in den Kofferraum passen würde, stellte er ihn ab und sah sich fragend um.

„Öffnen Sie nur,“ sagte der Taishou und drückte die Fernbedienung, ehe er die Fahrertür aufklappte.

Schickes Auto, dachte der Hanyou, als sich offenbar auf Knopfdruck die hintere Lehne umlegte und der Kofferraum deutlich vergrößert wurde. Geschmack besaß der Kerl ja. „Oh, darf ich fragen, wie es Ihrem Sohn geht? Er sollte ja inzwischen von seiner Reise zurück sein.“ Als ob er das nicht wüsste. Aber von den Saimyosho sollte er lieber nichts erzählen. Und er sollte einstweilen auf Familie machen.

„Danke, ausgezeichnet. - Steigen Sie ein, meine Liebe.“

Ehe Izayoi gehorchte, sah sie zu ihrem Halbbruder. „Danke, Naraku. Auf Wiedersehen.“

Sie sah wirklich hübsch aus. Nun ja, das würde sicher auch dem Drachenprinzen gefallen. „Ja, auf Wiedersehen. Ich sehe zu, dass ich diesen Schmuck in den nächsten Tagen auftreiben kann. Aber, du bist ja hauptsächlich im Schloss, da wirst du ihn immer bekommen.“

„Ja, danke.“ Sie schloss die Tür.

Der Herr der Hunde warf Naraku noch einen Blick zu, ehe er doch sagte: „Auf Wiedersehen.“

„Danke, verehrter Schwager.“ Der Hanyou lächelte, als er verbindlich den Kopf neigte. Er sollte unbedingt schleunigst ein kleines Rendezvous mit Ryuukossusei herbeiführen. Dann konnte dieser hochmütige Köter sein Testament machen. Und Izayoi sowieso.

 

Auf der Rückfahrt blickte der Taishou nach einer Weile seitwärts. Seine Ehefrau sagte nichts. War sie doch unzufrieden, dass sie nur so wenig bekommen hatte, im Verhältnis zu ihrem angeblichen Halbbruder? „Sind Sie traurig?“ War es wegen Onigumo, trauerte sie wieder? Dann sollte er ihr doch einmal die Wahrheit sagen, oder sollte er doch schweigen?

Izayoi zuckte förmlich zusammen und sah ihn an. „Nein, verzeihen Sie. Ich dachte nur an meine Mutter.“

„Sie ist schon länger tot?“

„Ja, drei Jahre.“

Länger war ein dehnbarer Begriff, dachte der Daiyoikau, dessen Leben nach Jahrhunderten zählte. Aber Izayoi hatte erst zweiundzwanzig Sommer gesehen. „An was starb sie denn?“

Sie zögerte etwas. „An einer Blutvergiftung. Wir waren im Garten und schnitten Rosen für ein Gesteck. Sie machte gern Ikebana, wissen Sie? Dabei ritzte sie sich. Natürlich nahm sie das nicht für ernst, aber nach zwei Tagen hatte sie hohes Fieber und musste in das Krankenhaus, aber es war schon zu spät. Sie hätte den Kratzer auswaschen und desinfizieren sollen, sagte der Arzt, als ich ihn fragte. Aber, wer denkt schon bei solch einem kleinen Kratzer an etwas Schlimmes.“

Er begriff, dass sie sich entschuldigen wollte. „Nun, Ihre Mutter wohl nicht. Und ich gebe zu, ich auch nicht. - Sie haben Ihre Mutter wohl recht gern gehabt?“

„Ja. Lieber als Vater, aber das ist wohl normal für ein Mädchen. Naraku kam mit Vater immer besser aus.“ Sesshoumaru wohnte ja auch bei seinem Vater.

Er erriet, was sie dachte. „Das ist bei Youkai ein wenig ähnlich. Hätte ich eine Tochter, würde diese bei ihrer Mutter aufwachsen. Die Erziehung eines Sohnes, noch dazu des Erben, wird ein Vater aber immer lieber selbst in die Hände nehmen. Natürlich nach der ersten Welpenzeit.“

Sie lächelte. „Das erinnert mich daran, dass Sie mir einmal solch einen Welpen zeigen wollten.“

„Stimmt. Wenn Sie auch mit einem Mädchen vorlieb nehmen, vielleicht übernächstes Wochenende? Solch ein kleiner Welpe, wie Ihnen wohl vorschwebt, gibt es nur einen in Japan. Ihr Name ist Nyoko und sie ist erst sechs Jahre alt. Sehr klein noch für eine Inuyoukai.“

„Oh. Sie lebt dann wohl nicht im Schloss.“

„Nein. Sie lebt bei ihrer Mutter im Norden in der Präfektur Iwate, in einem Naturschutzgebiet. Der Name ihrer Mutter lautet Haruko.“ Er dachte mit flüchtigem Vergnügen an die silbergraue Hundedame, die ihm vor wenigen Jahrzehnten die Vorzüge ihres Körpers eingeräumt hatte. Ihre Tochter hatte freilich einen anderen Vater.

„Sehr schöne Namen,“ antwortete Izayoi, schon um zu verhindern, dass sie sich so weit vergaß ihn nach seinem zu fragen. Das wollte er sicher nicht, wenn, hätte er ihn ihr schon mitgeteilt. „Oh, ich vergaß Ihnen mitzuteilen, dass ich übermorgen Nachmittag Besuch bekomme.“

„Ihre Freundinnen? Das freut mich, zumal ich am Mittwoch Abend auch erst sehr spät zurückkomme. Ich habe eine Sitzung mit der Regierung.“

„Ich dachte, wir trinken Tee und dann könnten wir zusammen Abend essen ...“

Er sah wieder zu ihr. „Izayoi, Sie sind die Herrin des Hauses. Ich bin sicher, Sie wissen, was Sie nicht tun sollten, um mich nicht bloß zu stellen. Alles andere können Sie gern tun.“ Er war etwas verwundert als plötzliche Heiterkeit in ihre Augen trat und erkannte zu spät den Doppelsinn seiner Aussage. Nun ja. Wenn sie so dreinsah, hatte sie eine Idee, die zumeist … prickelnd war. Bokusenos Rat sie machen zu lassen, war Gold wert gewesen. Er sollte dem alten Baumgeist wenigstens mal Danke sagen. Aber woher hätte er auch wissen sollen, dass ein unerfahrenes Menschenkind so neugierig war. Er hatte es noch nie mit einer menschlichen Jungfrau zu tun gehabt, konnte sich jetzt aber immerhin die Eigenheiten seiner menschlichen Geliebten erklären. Nun ja, von eben diesen wusste er auch, dass Izayoi, wie jede Menschenfrau, die einen Youkai auf dem Lager hatte, für Menschenmänner verloren war. Keiner von denen konnte ihnen das geben, was ein Youkai vermochte. Und mit seiner eigenen Stärke und Selbstbeherrschung konnte niemand mithalten.

„Ich werde darauf zurückkommen, edler Taishou.“ Izayoi lächelte etwas, ehe sie ernster werdend wieder meinte: „Möchten Sie dabei sein, wenn ich den Schmuck ansehe? Oder die Kiste?“

„In der Kiste sind Ihre Erinnerungen. Sie entscheiden, ob Sie sie mit mir teilen wollen. Wenn ja, würde ich später gern beim Auspacken zusehen. Ich müsste mich nur, wenn wir im Schloss sind, erst einmal um die Geschäfte kümmern.“

„Und der Schmuck?“

Sie hatte seine Anfrage nicht beantwortet. „Bei dem müsste ich dabei sein, schon wegen der Bestätigung, dass das vollständig ist.“

„Dann erledigen Sie Ihre Geschäfte und ich packe derweil aus. Falls Sie nach dem Abendessen allerdings zu mir kommen würden, würde ich Ihnen gerne Erinnerungen an meine Mutter zeigen.“ Sie befürchtete, dass sie wieder weinen könnte, und das würde ihn vermutlich belästigen. Wenn sie in seiner Gegenwart weinte, versuchte er zwar sie zu trösten, aber ihm waren solche Emotionen offenbar fremd. „Oder, falls Sie sehen wollen, wie ich als Baby aussah,“ versuchte sie zu scherzen. „Ich fürchte, bei weitem nicht so knuffig wie ein Welpe.“

Er erkannte ihren Versuch an. „Das möchte ich sehen.“

 
 

Besuch


 

A

m Mittwoch gab Izayoi Anordnungen für ihren Besuch, was ihre Zofe, die noch immer unter den Nachwirkungen von Sesshoumarus Schlag litt, fast ein wenig vorwurfsvoll fragen ließ: „Glauben Sie, Izayoi-sama, dass oyakata-sama das recht sein wird?“ Natürlich überaus höflich gefragt.

Die junge Dame, in dem vollen Bewusstsein ihrer Macht über die Gefühle ihres Ehemanns, richtete sich auf. „Oyakata-sama gab mir diesbezüglich freie Hand. Natürlich in den Grenzen der Schicklichkeit. Ich weiß nicht, Misako, warum du annimmst, ich würde etwas tun, was ihn verärgern würde.“

Die alte Zofe wusste, sie war zu weit gegangen. Izayoi durfte sie schon von sich aus kündigen, welche Stellungsaussichten sie dann hatte, war wohl eher gegen Null tendierend. Aber nur ein Narr hätte nicht gesehen, wie oft der Herr seine Gemahlin besuchte, sie eindeutig nicht vernachlässigte. „Das meinte ich nicht, Izayoi-sama, entschuldigen Sie. Aber Sie hatten eben noch nie Besuch für solange hier.“

„Ich hatte noch nie Besuch hier, obwohl oyakata-sama in seiner Güte mir dies bereits am Tag unserer Hochzeit zusagte.“

„Natürlich, vergeben Sie mir. Ich werde für die Fahrer der jungen Damen alles drüben im Menschentrakt herrichten lassen.“

Gewonnen, dachte Izayoi vergnügt, die sich sehr auf ihren ersten Besuch freute und sich bemühte alles für ihre Freundinnen gut vorauszuplanen.

 

So wartete sie am Mittwoch um drei in ihrem Pavillon mit ihren Damen auf die Nachricht, dass ihre Gäste eingetroffen wären. Als der Anruf vom Tor kam, ging sie mit ihnen hinüber zu dem Vorplatz des Schlosses, wo die drei Wagen hintereinander vorfuhren und die Chauffeure rasch ausstiegen, um ihren Herrinnen zu helfen. Izayoi warf einen wachsamen Blick herum. Ja, da war dieser Takemaru Setsuna, der Mensch, der gemeinsam mit Akiko die Fahrer hinüber in den Menschentrakt bringen sollte, wo sie essen, trinken und plaudern konnten. Sie hielt nicht viel davon, die armen Kerle stundenlang neben den Autos warten zu lassen. Freundschaftliche Umarmungen waren in der Öffentlichkeit natürlich verboten und so verneigten sich ihre Freundinnen auch nur vor ihr.

„Willkommen“ sagte sie höflich. „Bitte, folgt mir in den Pavillon. - Vielleicht finden wir nachher auch Gelegenheit ein wenig durch die Gärten zu spazieren. Sie sind wundervoll angelegt.“

Die möglichst verstohlenen Blicke von Michiko, Maiko und Nyoko galten allerdings den Youkai, vor allem den Kriegern, die sich ein wenig zwischen Schloss und Pavillon versammelt hatten, sich aber nun wieder dezent zurückzogen. Natürlich würden sie alle ein zusätzliches Augenmerk auf den Jade-Pavillon haben. Schließlich war der Herr heute nicht da. Aber niemand wollte ausprobieren, wie er reagieren würde, würde seiner Gemahlin oder Gästen etwas zustoßen.

„Ich zeige euch meine Wohnung, danach trinken wir etwas Tee, ja?“ schlug Izayoi vor. Wie ihre Freundinnen nur zu gut wussten, bedeutete nach dem Tee auch, dass die Dienstboten weggeschickt wurden und man dann unter sich war. So hatte keine etwas gegen diesen Plan einzuwenden.

 

Dass Izayoi drei Räume zur alleinigen Verfügung hatte, wunderte keine ihrer Freundinnen, die alle reich geheiratet hatten. Die kunstfertig bestickten Kimono im Ankleidezimmer riefen dagegen Entzücken hervor.

„Ja, die Spinnen. Arachna GmbH, nicht wahr?“ Michiko strich behutsam über die Seide. „Ich habe nur wenige davon. Aber deinem Mann gehören die Spinnereien ja.“

Izayoi war etwas überrascht, meinte jedoch nur: „Das weiß ich nicht. Geschäftliches bespricht er nie mit mir. Das wurde mir bei unserer Hochzeit zur Verfügung gestellt.“

„Natürlich nicht.“ Maiko lächelte. „Fürstensachen und so auch nicht, wie meiner. Aber Youkai können wirklich sticken. Ich möchte auch so etwas. Sieh nur, wie fein dieser Vogel ist, alle Federn ...“

„Auch die Seide ist wundervoll.“ Nyoko sah zu ihrer Gastgeberin. „Einiges können Youkai wirklich besser. - Stören dich die ganzen Krieger eigentlich nicht, die hier dauernd herumschwirren?“

„Nein. Sie haben sich auch nur zu eurem Empfang hier versammelt. Normalerweise gehen sie verstreut durch den Park. Und mich sieht sowieso keiner an.“ Nach allem, was sie wusste, wäre das eine Respektlosigkeit gegenüber ihrem Ehemann gewesen. „Deswegen habe ich ja den Pavillon, damit ich mich an sie gewöhnen kann. Ich könnte auch jederzeit drüben ins Schloss ziehen, wo es einen eigenen Frauentrakt gibt. Aber, der wäre mir zu groß. Es sind, glaube ich, zwölf Zimmer. Was sollte ich damit.“

„Kinder bekommen,“ kicherte Michiko, deren Schwangerschaft man unter dem Kimono kaum entdecken konnte. „Aber gleich zehn … Da war wohl jemand sehr von sich eingenommen.“

 

Naraku erwartete sehnsüchtig den Anruf. Als sein Mobilphon vibrierte, stand er eilig auf und verließ die Halle, ehe er zurückrief. „Guten Abend, Wertester. Wenn Ihr Bruder in Position ist, werde ich meine Schwester anklingeln.“

„Vergessen Sie es,“ knurrte Ryuukossusei.

Was war denn jetzt schon wieder schief gelaufen? „Was ist denn? Der Taishou sitzt bei der Regierung und sein Sohnemann sitzt im Publikum der Tagung hier.“

„Ja, aber deine dumme Schwester hat sich genau den Tag ausgesucht um eine ganze Horde Weiber zu Besuch zu haben. Mein Bruder rief mich vorhin an. ER wäre in Position. Jeder Youkai allerdings, der was auf sich hält, hat sich rund um den Pavillon geparkt. Izayoi käme da nie unauffällig raus.“ Und Ryuutsubasa nicht hinein. Gegen eine solche Übermacht kampferprobter Youkaikrieger konnte auch sein kleiner Bruder nichts ausrichten.

„Sie hat eindeutig mehr Glück als Verstand.“ Naraku dachte nach. „Wann wäre die nächste Gelegenheit?“

„Nächsten Montag. - Das sollte nicht noch einmal vorkommen.“ Ryuukossusei legte auf und überließ es seinem unwilligen Partner daran zu denken, dass ihm nicht nur die Zeit davon lief, sondern auch, wie er es anstellen sollte, dass Izayoi allein blieb.

 

Als der Herr der Hunde um halb zehn im Schloss eintraf, waren die Gäste wieder verschwunden. Er ging hinüber in den Pavillon, um zu fragen, wie der Tag verlaufen war. Ein wenig überrascht betrachtete er den Raum. Izayoi saß gegen Kissen gelehnt, die offenkundig zu einem Berg aufgetürmt waren, vor sich noch Gläser, leere Flaschen mit Cola und Sekt, eine leere Schüssel mit Überresten Popcorn. Sie sah einen Film, wandte jedoch den Kopf, als sie ihn bemerkte und setzte sich eilig korrekt hin, verneigte sich. Offenkundig hatten sie und ihre Freundinnen hier gemeinsam geguckt.

„Guten Abend, Izayoi.“

„Guten Abend.“ Ach du je, und sie hatte nicht aufgeräumt, noch die Nachwirkungen des Filmabends genossen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er herkommen würde.

„Ich hoffe, es war ein amüsanter Besuch?“

„Ja, sehr,“ beteuerte sie eilig. „Wir haben Kino gespielt. Ich meine, wir haben zusammen einen Film angeguckt.“

In ein richtiges Kino gehen durfte keine der jungen Damen, das war klar. Sie hatten bestimmten Regeln zu folgen. „Und Sie wollten jetzt noch in Ruhe einen anderen Film ansehen.“

„Ich dachte nicht, dass Sie kommen würden,“ gestand sie. „Sie meinten ja, es könne spät werden. Und Sie besitzen doch eine Wohnung in der Stadt.“

„Korrekt, aber dort übernachtet Sesshoumaru.“ Wie reizend sie aussah, wenn sie so verlegen war. „Wenn es Sie nicht stört, gucke ich eben mit. Ich muss Sie nur warnen, ich esse kein Popcorn.“ Er ließ sich neben ihr nieder. „Um was geht es denn?“

Izayoi bedachte, dass sie vermutlich albern aussehen musste, da ihr Mund offen stand. Sie machte ihn zu. „Äh, es ist eine romantische Liebesgeschichte. Das da ist der junge Mann ...“

„Ein Youkai?“

„Äh, nein, ein Vampir. Er heißt Edward.“

„Er hat Fangzähne.“ Der Taishou legte den Arm um ihre Taille und strich über ihre Seite. „Ich bin neugierig, was passiert, wenn sie sich küssen.“

Das Glas Sekt, das sie getrunken hatte, die Finger, die gerade die Außenform ihrer Brust nachstrichen, ließen Izayoi kichern. „Das sollten Sie wissen.“ Sie neigte sich zu ihm und flüsterte in sein Ohr: „Aber Sie können mir gern zeigen, was man mit Fangzähnen so machen kann. Ich verspreche auch mich nicht zu wehren.“

Wie bei jedem Mann, dem eine attraktive Frau so etwas zuflüstert, sprang bei dem Daiyoukai ein Kopfkino an. Heute würde er den bestimmenden Part übernehmen können. Und sie sollte das nicht bereuen.

 

Ryuutsubasa lehnte sich in den Sessel. „Ich war wirklich versucht, großer Bruder,“ gab er zu. „Aber es waren einfach zu viele um unauffällig zu bleiben. Immerhin habe ich diese Izayoi sehen können. Netter Happen.“

Ryuukossusei, ebenfalls in seiner menschlichen Gestalt, stand vor dem Ofen und betrachtete die glühenden Kohlen. „Hast du deine Spur verwischt?“

„Ja, klar. Ich habe auch bei der Youkispur aufgepasst. Bitte, Ryuu... großer Bruder. Ich bin vielleicht impulsiv, aber kein Narr. Und diese Kleine ist wirklich ein nettes Geschenk. Montag also wieder. Ich hoffe, diesmal klappt es.“

„Ich hoffe das doch auch. Sonst werde ich diesem Naraku mal auf die Sprünge helfen müssen. Nun ja, der Taishou ist montags weg und ich muss zusehen, dass ich ein Alibi habe. Wirst du im Notfall mit dem Welpen fertig?“

„Sesshoumaru? Ich will´s doch hoffen. Er ist stark, klar. Aber ich habe die Überraschung auf meiner Seite. Besser wäre es natürlich, und angenehmer, die Filmaufnahmen zu machen, wenn der gar nicht da ist. Wo steckt der denn am Montag? Nicht bei Papa?“

„Das soll dieser Naraku noch herausbringen, da hast du Recht. Sorge jedenfalls dafür, dass dieses Handy aufgeladen ist, ehe du am Montag losgehst. Wo willst du es durchziehen? Du hast dir die Gegend doch angesehen?

„Ja. Ungefähr eine Stunde hinter dem Schloss, in diesem Naturpark, oder wie man das heute nennt, liegt eine nette Bühne. Ich kann da das Mobilphon in den Felsen klemmen. Und sie kann nun absolut nicht entkommen. Hinter sich eine Felswand, um sich Abgründe und natürlich meine Wenigkeit. Ich werde sie etwas laufen lassen. Oh, das wird ein richtiger Spaß. Wusstest du übrigens, dass sie ganz lange Haare hat? Man kann sie dran festhalten, wenn man sie ...“

„Bitte, Brüderchen, keine Einzelheiten.“ Da fand Ryuutsubasa gewöhnlich kein Ende. „Wichtig ist nur, dass es langsam passiert und sie am Ende tot ist.“

„Ja, sicher, das hast du ja gesagt. Als ob ich so ein Menschenweib lebendig lassen würde.“

„Schmoll jetzt nicht, du bekommst sie ja. Und ich gebe zu, ich hoffe auf deine Phantasie.“

„Ich habe neulich übrigens eine nette Sendung gesehen. Star Trek.“

„Aha.“ Ryuukossusei hatte es absolut nicht mit Kino oder Fernsehen, nun ja, mit äußerst wenig, was Menschen so fabrizierten. Ausgenommen natürlich die Bergleute in seinen Minen.

„Ich denke, Kobayashi Maru war der Name einer Prüfung, die man nicht gewinnen kann. Passend für Izayoi, findest du nicht?“

„Nun, auch für unseren alten Hundefreund.“

 

Naraku dachte lange nach. Mittwoch – die nächste Chance war Montag. Da hatte der Taishou eine Einladung zu einem Treffen von Wirtschaftsmagnaten und er hatte zugesagt. Also wäre maximal Sesshoumaru zuhause. Wie sollte man den wegbekommen?

Ah. Der Kerl war jung, Teenager, sehr von sich eingenommen. Einem Rendezvous sollte er nicht abgeneigt sein. Er selbst brauchte nur eine junge Youkai, die Lust hatte sich mit dem Erben des Taishou zu treffen und den anzumachen. Hm. Die Youkai, die er am besten kannte waren Spinnen, aus der Familie seiner Mutter. Aber ob der Hund auf Spinnen und vor allem deren Paarungsgewohnheiten stand? Eine Hundedame kannte er nicht.

Sekunde. Bei Inuyoukai galt doch strikter Gehorsam. Er musste also nur einen Boten schicken, dass Sesshoumaru am Montag zu seiner Mutter kommen sollte, aufgrund … hm … geheim. Bis der bei Mama war und die sich beide gewundert hatten, sollte der Drachenprinz zugeschlagen haben. Fragte sich nur, wer diese Nachricht überbringen sollte. Takemaru Setsuna würde sich anbieten, aber der Kerl war schlichtweg zu ehrbar, um den Sohn seines Brötchengebers zu hintergehen. Es sollte schon ein Youkai sein.

Moment mal. Wer war doch gleich dieser Sekretär? Ein Kappa? Ja, genau den müsste er abpassen und den Brief, der angeblich von der Ehefrau Nummer Eins stammte, übergeben. Montag Morgen, gleich.

 

Izayoi stellte fest, dass Eifersucht schmerzte. Und, dass das ein sehr unschöner Zug in ihr war. Der Inu no Taishou war mit ihr am Sonntag nach Norden gefahren, um ihr, wie versprochen, das jüngste Mitglied der Inuyoukai zu zeigen. Sie freute sich über das winzige Fellknäuel, durfte damit spielen und sie kraulen – aber da war die Mutter. Diese war eine junge Dame, hübsch. Im Gegensatz zu dem Herrn der Hunde und seinem Sohn hatte sie keine weißen, sondern fast bodenlange, graue Haare, die erst auf den zweiten Blick einen metallischen, silbrigen, Schimmer zeigten. Haruko war eindeutig eine sehr hübsche Youkai und Izayoi beobachtete das Lächeln, das diese ihrem Gemahl zeigte, mit Misstrauen. Es schien ihr, als ob die Beiden irgendwelche Erinnerungen teilten, von denen sie ausgeschlossen war. Es war nur logisch, beschwor sie sich. Youkai wurden viel älter als Menschen und vermutlich kannten sich die Zwei seit Jahrhunderten. Das hatte sicher nichts zu bedeuten. Aber sie konnte plötzlich sehr gut nachvollziehen, warum ihr Gemahl so ärgerlich geworden war, als sein Sohn sie unbekleidet gesehen hatte – und er nicht.

 

Leider war dieser ein guter Beobachter, denn als er zurück Richtung Tokyo fuhr, meinte er: „Sie mögen Haruko nicht?“

Ihr entfuhr, was sie gar nicht sagen wollte: „Sie ist viel hübscher als ich. Und eine Youkai.“

„Oh.“ Er klang erheitert. „Ich muss zugeben, auf diese Idee bin ich nicht gekommen. Was würden Sie dann denken, wenn wir einmal meine erste Frau besuchen würden – was ich nicht vorhabe, um nicht Sie alle zwei zu kränken.“

Izayoi zögerte. „Danke. - Sie ist noch hübscher als Haruko?“ Nun ja, er und sein Sohn waren in Menschenform ja auch praktisch perfekt. Das machte es wohl, wenn man sich aussuchen konnte, wie man aussah.

„Man nennt sie die Vollendung einer Inuyoukai. Ja, sie ist sehr schön. Und dennoch lebe ich nicht mehr mit ihr zusammen.“

„Entschuldigen Sie. Ich weiß nicht was über mich kam.“

„Das, meine liebe Izayoi, nennt man Eifersucht. Und, glauben Sie mir, ich habe sie schon empfunden – aber noch niemals war jemand wegen mir eifersüchtig.“ Das würde wohl auch in ein Buch mit Erstmaligkeiten gehören.

Wieder redete sie, ehe sie nachdachte. „Das kann ich kaum glauben. Sie sind ein attraktiver Mann.“

Der Taishou wandte die Augen von der Straße zu seiner Beifahrerin, sichtlich amüsiert. „Das wurde mir durchaus schon gesagt, aber noch nie so … wissenschaftlich neutral. Meistens wollten die Damen etwas von mir. - Youkai, weibliche Youkai, korrekter, können wegen mir nicht eifersüchtig sein. Jede ist zufrieden, wenn sie mich bekommt. Und jede weiß, dass sie, würde ich sie heiraten, es mit meiner ersten Gemahlin zu tun bekäme. Sie würde Sesshoumaru und seine Erbansprüche stets verteidigen.“

„Und ich bin nur ein Mensch, mein Sohn, falls ich einen bekäme, wäre ein Hanyou, also nicht erbberechtigt.“ Sie war froh, dass das Thema sachlich wurde. Aha. Er galt also als Geschenk der Götter an die Weiblichkeit? Dann war es nur umso verwunderlicher, was er eigentlich an ihr fand. Sie war ein Mensch, schwach, unwissend und offenkundig auch nicht fähig einen erbberechtigten Sohn zu bekommen.

„Ja.“

„Sie könnten jede Youkai in Japan haben – und dennoch verschwenden Sie soviel Zeit mit mir. Ist es, weil Sie mich geheiratet haben?“

Der erfahrene Stratege erkannte eine Falle, wenn er sie sah. „Nein. Weil ich es gern tue. Und ich mich in Ihrer Gegenwart wohl fühle. Würde ich dies nicht tun, wären Sie schon in irgendeinem Schloss, umgeben von Dienstboten, aber weg von mir.“

Sie hatte gewusst, dass sie abhängig von ihm war, aber das so gesagt zu bekommen, war noch etwas anders. Es schmerzte, zumal, weil sie eben ihn liebte. Unlogisch so zu reagieren, dachte sie dann. Er war ein Youkai. Gefühle waren ihm oft fremd.

Er bemerkte, dass sie zusammenzuckte, und verwünschte seine Ehrlichkeit. Jetzt half wohl nur noch absolute Offenheit. „Izayoi, seien Sie gewiss: ich habe Sie sehr gern. Ich weiß nicht, wie es Menschen empfinden, aber ich bin froh, wenn Sie da sind, ich finde Gefallen daran, wenn Sie unter meinen Händen erbeben, ich bin dankbar, dass Sie mich lieben.“

Sie lächelte, denn ihr war bewusst, dass das wohl das Äußerste an Liebeserklärung gewesen war, derer ein Daiyoukai fähig war. „Es ist ja nicht so, dass es mir anders geht,“ sagte sie leise.

 

Die Dämmerung brach im Dezember schon früh herein und der junge Mann, der im Anzug durch den Naturpark schlenderte, schien dennoch alles wahrzunehmen. Ryuutsubasa, nur an dem maskenhaften, zweiten Gesicht auf einer Stirn als Drache erkennbar, hatte sich schon früh auf den Weg gemacht. Er kam durch das Naturschutzgebiet und hatte sein Youki so gut er es vermochte unterdrückt, um nicht aufzufallen. Er näherte sich dem Schloss von Nordosten her, in der Hoffnung, dass der westliche Wind keinen der Youkai auf ihn aufmerksam machen würde. Der gute Taishou sollte auf dieser Konferenz in Yokohama sein, Sesshoumaru angeblich auf dem Weg zu Mama – also waren nur normale Krieger und Menschen da. Nun ja. Er sollte sich trotzdem vorsehen, wenn er hier patzte würde sein großer Bruder ziemlich unangenehm werden. Niemand sollte etwas erfahren – bis man das Video im Fernsehen sehen konnte.

Da waren Youkai.

Der Drachenprinz blieb stehen. Das war, wie es dieser Hanyou Ryuukossusei gesagt hatte – Doppelwachen. Der Taishou hatte sein Handwerk eindeutig gelernt. Gleich zwei Krieger auf einmal unauffällig beiseite zu schaffen war so schwierig. Also musste er sich in seine wahre Form verwandeln. Vorher aber sollte er noch Bescheid geben. Er zog das Handy und drückte die Kurzahltaste. „Ich bin da,“ flüsterte er. „Zwei Wachen.“ Damit musste eigentlich seinem Bruder klar ein, dass er sich verwandeln musste. Und in die Hand eines ausgewachsenen Drachen passte nun mal kein Mobilphon.

„Gut,“ erwiderte Ryuukossusei. „Dann verwandel dich. Und ich rufe diesen Naraku an. Es kann aber dauern, je nachdem, wie stur sich Izayoi anstellt. Warte also etwas noch mit den Wachen, damit keiner aufmerksam wird.“

„Ja.“ Ryuutsubasa legte auf und schob das kleine Telefon in die Anzugtasche, ehe er sein Youki abrief. Vielleicht wurden die Krieger aufmerksam – nun ja, dann musste er sie eben sofort umbringen. Amüsanter würde die Kleine sein. Ehefrau des Taishou ja? Sie würde diese Ehe heute Nacht noch bedauern – stundenlang, und, wie er sich kannte, die meiste Zeit davon bei vollem Bewusstsein.
 

Kobayashi Maru


 

I

zayoi trug zwei Lagen Kimono, einfach, obwohl doch aus der, wie ihre Freundinnen gesagt hatten, so teuren Spinnenseide, die ihr anscheinend endlos zur Verfügung stand. Der Taishou war auf einem Treffen in Yokohama und würde sie heute sicher nicht mehr aufsuchen. Sie würde sich noch eine DVD angucken. Ihre Dienerinnen hatte sie bereits weggeschickt. Sie überlegte. Das letzte Mal hatte ihr Ehemann sie ja bei dem Angucken von Twilight gestört. Nun ja, Störung war wohl das falsche Wort, wenn sie bedachte, was er anschließend auf ihren Wunsch mit seinen Fangzähnen so alles Interessantes angestellt hatte … Da konnte Edward offenkundig nicht mithalten. Vielleicht etwas anderes? Was hatte sie lange nicht angesehen?

Sie schrak zusammen, als ihr Handy klingelte. Der Taishou? Sie lief zu dem Tischchen. Anonym? „Ja?“

„Schwesterchen, ich muss dich dringend sprechen. Ganz dringend!“

„Naraku?“ Sie konnte das heisere Flüstern fast nicht erkennen.

„Hör zu. Ich habe herausgefunden, wer unseren Vater umgebracht hat. Ja, es war Mord. Ich muss dich sprechen. Komm so schnell du kannst raus … Ich warte auf dich, da, wo der Garten in den Nationalpark übergeht. Ich darf mich nicht sehen lassen. Es ist ein Skandal!“

„Ja, aber, das ist eine große Strecke. Wo denn?“

Naraku war zufrieden, dass sie spurte. „Äh, kennst du die beiden großen Rhododendren? Daneben ist ein großer Baum, eine … keine Ahnung. Ein Spazierweg endet hier. Ich warte auf dich. Kommst du? Schnell! Ich muss es jemandem sagen, ehe … mir auch was passiert.“

„Ja, natürlich.“ Izayoi überlief ein Schauder. „Ja, ich komme. Aber ...“ Sie hatte doch ihrem Ehemann versprochen ihm zu sagen, wenn sie sich mit ihrem Bruder treffen würde. Er war nicht da. Aber, sie hatte seine Nummer, ja. „Es dauert nur einen Moment, ich muss mich erst anziehen,“ log sie.

„Ja, aber sei vorsichtig, dass niemand dich sieht! Wenn der Taishou das erfährt ...“

Hatte er etwa Angst vor ihrem Ehemann oder ging es um diesen Drachen, diesen Ryuu …? „Bis gleich.“ Sie legte auf und suchte im Adressbuch die Nummer des Taishou. Er würde es vielleicht nicht gern haben, wenn sie ihn in so einer Tagung störte, aber sie hatte ihm doch versprochen, dass sie ihm sagen würde, wenn sie sich mit ihrem Bruder träfe. Der Ruf endete prompt. Er hatte es wohl aus. Oder, hatte sie nur die falsche Nummer gewählt? Hektisch drückte sie erneut. Wieder nichts. Aber sie hatte ihm doch ihr Wort gegeben? Und Naraku machte es so dringend?

 

Sie hastete in ihr Arbeitszimmer und nahm ein Papier. „Ich habe es Ihnen zugesagt. Naraku rief mich an.“ Sie schilderte möglichst genau den Wortlaut und schloss: „Ich gehe dorthin, da ich nicht daran zweifeln kann, dass Sie kein Mörder sind. Aber es ist wohl wichtig. Izayoi.“ Das packte sie in einen Umschlag, den sie schlicht adressierte: „Anata ...“ Das „Du“ der japanischen Sprache, das einem geliebten Ehemann vorbehalten war. Niemand außer ihm würde wagen das zu öffnen. Sie legte ihn auf das Tischchen im Wohnzimmer, ehe sie sich umwandte. Sollte sie den Anorak überziehen? Es schien doch so eilig zu sein. Und würde sicher nicht lange dauern. Wo hatte sie nur ihre Taschenlampe? Sie hatte sich eine gekauft, um nachts im Pavillon sich doch sicherer zu fühlen, falls mal der Strom ausfallen sollte. Immerhin war sie hier meist allein. Nun ja, mittlerweile nur noch oft.

 

Dann eilte sie hinaus. Die beiden großen Rhododendren kannte sie. Sie waren als Grenze zum Naturschutzgebiet gepflanzt worden, nun, eine ganze Allee Rhododendren. Aber diese Beiden waren fast vier Meter hoch. Daneben befand sich ein großer Nadelbaum. Das musste ihr Halbbruder gemeint haben. Was war nur los? Es war kalt und sie wäre gern umgedreht um sich doch den Anorak zu holen, aber es schien ja sehr eilig zu sein. Dennoch, so allein durch den dunklen Garten zu huschen, nur mit einer Taschenlampe bewaffnet ….Sie unterdrückte einen Schauder, der nicht von der Kälte kam. Irgendwo um sie patrouillierten Krieger, waren Youkai, die ihr garantiert nichts tun würden, beruhigte sie sich. Und das, was sie fühlte, war bestimmt Youki. Langsam lernte sie es doch kennen, wenngleich unbestimmt.

Ja, da war der Weg, der zu dem großen Rhododendrenpaar führte. Auch deren Umfang war beachtlich und sie hatte sich schon mal beim Spaziergang gefragt wie alt diese wohl wären. Die Anderen, das hatte Akiko ihr erzählt, waren vor fünfzig Jahren gepflanzt worden, als der Taishou das Schloss hier bauen ließ.

Sie blieb stehen. „Naraku?“ Der Schein der Taschenlampe zeigte die Rhododendren, aber auch etwas ganz anderes, als sie genauer auf den Boden leuchtete. Erschreckt erkannte sie dunkelrotes Blut. „Naraku? Wo bist du?“

Etwas bewegte sich vor ihr, etwas sehr großes. Sie fuhr zusammen, als sie im Schein der Taschenlampe und des Vollmondes vor sich etwas wie eine riesige Schlange erkannte. Ein Drache! Sie war sicher, dass der Taishou keinen als Wachen hatte.

„Naraku ist nicht da, aber du wirst mit mir auch zufrieden sein,“ schnurrte Ryuutsubasa förmlich, ehe er seinen Schwanz herumschlagen ließ und die junge Frau zu Boden schmetterte. Sie würde sich schon nicht allzu viel gebrochen haben, dachte er, als er sich verwandelte und sich die Bewusstlose über die Schulter warf. Die Ehefrau des Taishou zu entführen war ja einfacher als einem Baby den Schnuller wegzunehmen, oder wie auch immer dieser menschliche Ausspruch lautete. Nun, jetzt sollte er sich beeilen. Die Dreharbeiten mit Izayoi in der Hauptrolle sollten schließlich vor Tagesanbruch erledigt sein. Das Licht des Vollmondes und der reflektierende Schnee würden schon genug Licht bieten. Er selbst würde auch in vollständiger Dunkelheit sehen, aber im Fernsehen war das bestimmt so besser. Und sein großer Bruder sollte doch mit ihm zufrieden sein. Auf die Vulkaninseln konnte er verzichten.

 

Izayoi erwachte mit brummendem Schädel. Sie registrierte mühsam, dass sie sehr unbequem lag, eher hing, den Kopf nach unten. Ihr Kinn schmerzte ebenso wie ihre Rippen, wo der Schwanz sie getroffen hatte. Erst dann erkannte sie, dass sie jemand im dunklen Anzug auf der Schulter trug. Der Drache! Sie zuckte zusammen, wollte sich instinktiv wehren, aber der Griff um ihre Beine war sehr fest und eine andere Hand packte ihr Haar und zerrte daran.

„Sei lieber ruhig. Sonst könnte es passieren, dass ich auf dich böse werden, das willst du sicher nicht.“

Eine Menschenfrau gegen einen Drachen? Nein, sicher nicht. Sie musste sich aufs Reden verlegen. So schluckte sie erst einmal ihre Angst hinunter. „Wer sind Sie? Was haben Sie mit mir vor?“

„Mein Name ist Ryuutsubasa.“

Izayoi hatte in ihrem Leben genug Krimis angeguckt, um zu wissen, dass diese Mitteilung nichts Gutes für sie verhieß. Kidnapper, die mit ihrem Namen und ihrem Gesicht hausieren gingen, wählten gern den einfachsten Weg um jede Entdeckung zu vermeiden. Reden, dachte sie hektisch. Rede mit ihm. Nur, worüber sollte man sich mit Leuten unterhalten, die einen ins Jenseits befördern wollten? „Wollen Sie meinen Gemahl erpressen?“ Und sie hatte je Angst vor dem Taishou gehabt?

„Ach du je. Nein. Ihn nur ein bisschen ärgern. Du bist hübsch, das gefällt mir. Mir wurde versprochen, dass du hübsch bist. Wir werden ein wenig Spaß miteinander haben.“

Izayoi wurde kalt. „Das … lassen Sie mich. Er wird Sie umbringen!“ Und sie auch. Sie hatte nicht vergessen, dass Akiko ihr erzählt hatte, dass auf Untreue der Tod stand. Die Ehre eines Fürsten musste rein bleiben, sonst verlor er die Autorität.

„Er wird nicht dazu kommen mich umzubringen. Er wird alle Hände voll damit zu tun haben Aufstände niederzuschlagen, die nach solch einer Blamage ausbrechen werden. Und er hat seine Ehre komplett verloren. Kein Youkai wird ihm mehr folgen. Wie amüsant, nicht wahr? So ein mächtiger Youkai – und eine Menschenfrau als Mittel zur Niederlage.“

„Sie ... Sie sind ja verrückt!“ Sie stöhnte auf, als er erneut fast brutal an ihren Haaren zog. „Entschuldigung,“ murmelte sie. Tue unterwürfig, dachte sie, vielleicht ergibt sich eine Chance zur Flucht, vielleicht kommt der Taishou doch noch aus Yokohama … Ach, er hatte ja gesagt, dass das bis zum Morgen gehen würde. Er würde nicht kommen. Und selbst, wenn Sesshoumaru etwas mitbekommen würde – würde der sich um sie kümmern? Sie suchen? Vielleicht schon, um der Ehre seines Vaters willen.

„So ist es braver, ja.“

„Bitte, setzen Sie mich ab. Das tut mir weh ….“ So hatte sie jedenfalls gar keine Chance. Nun ja. Sie hatte wohl insgesamt keine, außer irgendwie Zeit zu schinden. Irgendwer musste doch merken, dass sie fehlte – aber, wer, außer, wenn Misako morgen früh kam um sie zu wecken? Der Blutfleck – war da doch ein Krieger gewesen, den der Drache umgebracht hatte? Dann würde das doch beim nächsten Wachwechsel auffallen? Sie hatte da nicht gerade viel Ahnung, aber der Taishou hatte ihr gesagt, er sei ein Kriegsherr, und auch Bokuseno hatte erzählt, dass es viele Kämpfe gegeben hatte. Ihr Ehemann würde doch Vorsorge getroffen haben? Dann würde es doch Sesshoumaru als Sohn des Hauses gemeldet werden und der alles überprüfen? Der Spur folgen? Er war doch ein Inuyoukai? Das war die einzige, mehr als vage, Hoffnung, die sie hatte.

„Schätzchen, wenn dir das schon weh tut, wirst du den Rest lieben. Aber, du bist doch eigentlich einen Daiyoukai im Bett gewohnt, da sollte man annehmen, dass du die rauere Gangart kennst.“

„Der Taishou ist ein Ehrenmann! Er würde nie jemand Schwächeren verletzen.“

„Ach, wie niedlich. Du magst ihn also. Und wenn er dich auch nur ein bisschen schätzt, wird er das Video lieben.“

Sie spürte erneut einen Schauder. „Das Video?“

„Du bekommst heute die einmalige und letzte Chance die Hauptdarstellerin in meinem Film zu sein.“ Er warf sie förmlich ab. „So, dann schalten wir mal ein.“

Ein Video? Sie rollte sich mühsam auf den Bauch und raffte sich zumindest zum Knien auf. Wo war sie? Und, was machte der Kerl da? Ein Handy. Er steckte es in den Felsen und stopfte es fest. Jetzt begriff sie. Er würde sie vergewaltigen, misshandeln, vermutlich letzten Endes umbringen – und ihrem Ehemann das schicken. Vermutlich nicht nur dem, da er gesagt hatte, es würden die Youkai dem Taishou nicht mehr folgen. Ihre letzten Stunden, Minuten, im Internet oder im Fernsehen? Sie sah sich um. Das kannte sie doch? In der Dunkelheit mochte es täuschen, aber das war die Grotte, der kleine Bach? Der Lieblingsplatz des Taishou, hier hatte sie geschlafen, sich so sicher gefühlt ...? Das war gut geplant. Auf einer Seite stieg der Fels steil auf, auf zwei Seiten gähnten Abgründe – und zwischen ihr und dem einzigen Weg stand der Drache. Keine Chance, gar keine. Sie stand zitternd auf, frierend in der Kälte und mehr noch der jähen Todesangst, taumelte an die Felswand und lehnte sich dagegen. Ihre Kiefer klapperten.

„Sie werden sterben,“ brachte sie heraus. Der Taishou würde ihn nicht leben lassen, da war sie sicher. Nicht, dass ihr das irgendetwas noch helfen konnte.

„Jeder muss sterben.“ Selbstsicher wandte ihr Ryuutsubasa den Rücken zu, als er das kleine Telefon platzierte. „Nur du früher, ich deutlich später.“

„Sie werden nicht mehr so stolz sein, wenn er Sie erwischt. Er ist der Beste! Niemand kann ihn besiegen.“

„Soll das eine Drohung sein? Du wirst gleich ganz anders klingen.“ Er drehte sich um. „Denn jetzt, meine Kleine, läuft die Kamera. Und wir wollen dem ehrenwerten Taishou doch zeigen, wie sich seine Ehefrau anderweitig amüsieren kann.“

„Nein!“

„Nein?“ Er verschränkte die Arme und kam langsam auf sie zu. Die kleine Maske auf seiner Stirn lächelte sie ebenso höhnisch an, wie sein nur scheinbar menschliches Gesicht.

Izayoi krallte sich in den Felsen hinter sich. „Lassen Sie mich!“ Sie hörte selbst, dass sie aufgelöst, panisch, klang.

„Wie … beeindruckend,“ spottete er und blieb einen Meter vor ihr stehen.

 

Sie starrte ihn entsetzt an, als er seine Zunge aus dem Mund hängen ließ. Diese war lang, gespalten und er fuhr sich damit genüsslich über die Lippen. Ekelhaft. Und er wusste es, wusste genau, was eine Menschenfrau dabei empfand. Sie war sicher nicht sein erstes Opfer. Aber vielleicht sein letztes. Der Taishou … Noch während sie aufschrie, da der Drache sie in die Arme zog, wie auch immer er so schnell die Distanz überbrückt hatte, legte irgendetwas in ihrem Kopf einen Schalter um, erwachte etwas, von dem sie gar nicht gewusst hatte, dass es da war.

Es ging nicht um sie, ihr Schicksal war besiegelt. Aber es ging um IHN. Und irgendwie musste sie es schaffen ihn und seine Ehre zu verteidigen.

Sie spürte mit Widerwillen, wie sich die Echsenzunge eine Weg über ihre Wange zu ihrem Ohr suchte, und würgte, als sie versuchte sich zu befreien. Natürlich vergeblich. Er war viel stärker.

Aus irgendwelchen lang vergangenen Kindertagen kam ihr plötzlich die Erzählung ihrer Mutter in den Sinn – wenn sie mal gar nicht mehr weiterwisse, solle sie sich an die Omikami Amaterasu wenden.

Sie wusste nicht weiter. Aber es war Nacht … Ohne weiter nachzudenken riss sie ihre Hände empor und drückte sie Ryuutsubasa mitten ins Gesicht. „Im Namen der Sonne....“ keuchte sie.

 

Der Drache lachte für einen Moment über die wie üblich so sinnlose Gegenwehr der Menschenfrauen – ehe er aufschreiend zurückwich, beide Hände vor sich schlagend.

Was …? Izayoi sah zitternd zu, wie er nach einem langen, zu langen, Moment, aufblickte. Seine Nase, sein Mund waren förmlich verbrannt worden, das konnte sie selbst bei dem schwachen Licht hier feststellen. Was war jetzt passiert? Das war doch nie geschehen, wenn sie den Taishou berührt hatte? An Youki konnte es also nicht liegen. Aber sie erkannte, dass die dunklen Augen des Drachen vor ihr jetzt rot leuchteten. Oh du je. Er war wütend.

Ryuutsubassa keuchte: „Schön, Kleine. Jetzt hast du mich WIRKLICH aggressiv gemacht. Nicht, dass dein lächerlicher Läuterungsversuch dir etwas helfen würde. Aber jetzt wirst du sterben. Langsam. Ich werde jeden Zentimeter von dir rösten. Und dich am Ende fressen.“ Sein Youki wirbelte auf.

Izayoi brach in die Knie, hob instinktiv die Arme schützend vor ihr Gesicht. Läuterung? Das konnten doch nur Hoshis, Mikos und so, die dafür ausgebildet waren? Und, wieso hatte das nicht gewirkt, als sie bei der Trauung und in der Hochzeitsnacht solche Panik vor dem Taishou gehabt hatte? Aber der hatte sie nicht ohne ihr Einwilligung berührt …

 

Der Taishou. Sie stand irgendwie wieder auf. Dort drüben leuchtete das Mobilphon, zeichnete alles auf. Sie musste ihn schützen. Egal, wie lächerlich das für eine Menschenfrau gegenüber einem Drachen für einen Daiyoukai auch klingen mochte. Es war eine Sache, die sie nicht gewinnen konnte – aber immerhin hatte sie verhindert, dass sie auch noch missbraucht wurde. Die Ehre ihres Ehemanns war unangetastet. Es fragte sich nur, was der Preis dafür wäre, dachte sie, als sich vor ihr wieder der viele Meter lange Drache aufrichtete, am anderen Ende der zwanzig Meter großen Platte. Ein Feuerball verließ sein Maul und ehe sie ganz begriff, schrie sie auf – nur um zu sehen, dass seitlich Bäume in Flammen aufgingen.

„Ich habe verstanden,“ sage Ryuutsubasa leise. „Du hast gehofft, ich werde so wütend, dass ich dich gleich umbringe. Pech gehabt. Das wird jetzt lange dauern. Sehr lange. Ich hoffe, du findest Geschmack an Drachenfeuer. Denn du wirst eine Menge Spaß damit bekommen.“

Drachenfeuer? Gleich, was das war, es konnte nichts Gutes für sie bedeuten. Ihr Instinkt wollte sie dazu verleiten in die Grotte zu flüchten, aber das wäre nur noch sinnloser, würde ihren Ehemann doch beschämen. Nein, keine Flucht, keine Feigheit. Und dieser Ryuutsubasa würde sterben, dafür würde ihr Gemahl sorgen. Leider konnte sie keine Blumen mehr zu dessen Beerdigung schicken, dachte sie noch irgendwie, als sie sah, wie ein feiner Strahl aus Youki aus dem Maul des Drachen schoss und den Ärmel ihres Kimono traf. Sie schrie auf, als sie das Feuer erkannte, die Flammen, die allerdings rasch erloschen. Die Seide glühte noch nach und zog sich zusammen. Nur ein schwarzer, verschmorter Fleck blieb, und ihr wurde klar, dass das bewusst in den weiten Ärmel gezielt worden war, ihren Körper verfehlt hatte. Noch.

Sie starrte für einen Moment auf den Kimono. Spinnenseide, ja. Aber als sie zu Ryuutsubasa blickte, waren ihre Augen groß und weit in Todesangst geworden. Jetzt wusste sie, was der Drache für sie geplant hatte – und wie sie sterben sollte.
 

Inu Youkai


 

S

esshoumaru starrte an diesem Montag Nachmittag mit seltener Abneigung auf seinen Schreibtisch. Seit Stunden hatte er keine Mail beantwortet, kein Telefonat erledigt, obwohl sich sein Vater nicht im Konzern aufhielt. Oder vielleicht deswegen.

Sein Problem bestand aus einem Bogen Papier in einem Umschlag, den ihm sein ach so treuer Sekretär Jaken vor drei Stunden überreicht hatte.

„Ein Bote der verehrten Frau Mutter brachte es für Sie.“

Dann hatte sich der Kappa sehr wohl zu seinem Glück wieder verzogen und es dem jugendlichen Inuyoukai überlassen das Siegel zu öffnen.

Der Anfang eines Problems.

Darin befanden sich wenige Zeichen. „Komm heute Abend in das Schwebende Schloss, ohne dass es jemand mitbekommt. Ich muss dir etwas erzählen.“

Gehorsam war er aufgestanden und hatte sich eigentlich bereits vor der Tür befunden, wollte sie aufschieben, als irgendetwas in seinem Magen sich zu verknoten schien. Warum nur? Mutters Befehl zu folgen war in aller Regel das Klügste, was man tun konnte, das hatte er schon als Welpe gelernt. Allein, als er es gewagt hatte, mit stolz erhobener Rute vor ihr herumzuspazieren, hatte sie das zum Anlass genommen, ihn mit den Zähnen am Schwanz zu packen und stundenlang so durch den Wald zu tragen. Seine Schwanzwurzel schmerzte heute noch allein bei dem Gedanken daran – ebenso wie sein Kopf, der natürlich rein zufällig Bekanntschaft mit jedem Baum im Wald gemacht hatte. Er hatte es nie wieder gewagt. Das stünde ihm erst zu, wäre er ranghöher als sie – und damit der Taishou. Auch Vater hatte einem Inuyoukai, der seine Rute zu hoch getragen hatte, diese mit einer Hand schlicht gebrochen.

Aber etwas wie Bauchgefühl sagte ihm, es sei diesmal ein Fehler, ein großer Fehler, Mutter zu gehorchen. Das Eis in seinem Magen schien sich nur zu verdicken. Ungewohnt. Was war bloß los? Er sollte nicht weggehen, ehe er sich klar war, was dieses seltsame Gefühl bedeutete.

So wandte er sich langsam um und nahm wieder an seinem Schreibtisch Platz.

Der Beginn seines Nachdenkens.

 

Punkt eins. Das war ein Befehl seiner Mutter und er sollte abends besser eintreffen. Siehe vorher.

Punkt zwei: Vater war nicht da und dessen Anweisung seit fünfzig Jahren lautete, dass er als Erbe in dessen Abwesenheit die Verantwortung für die Sicherheit des Schloss und die Krieger trug und nach der Arbeit im Konzern dorthin zurückkehren sollte.

Leider widersprachen sich Punkt eins und zwei komplett.

 

Wäre er tatsächlich blindlings losgelaufen um Mutter zu gehorchen, hätte er gegen den Befehl seines Vaters verstoßen. Darum also das Bauchgefühl.

Überdies war ihm inzwischen gedämmert, dass es eigentlich nur einen Grund geben konnte, warum seine Mutter ihn so unauffällig sprechen wollte – sie hatte etwas getan, von dem Vater besser nichts wissen sollte, da es ihr Ärger verursachen würde. Und da kam eigentlich nur die Beschwörung der Saimyosho in Betracht, um Vater und Izayoi zu beobachten. Das grenzte sehr an Verrat – und das würde Vater nicht ungeahndet lassen.

Aber, wieso wollte Mutter ihn dann sprechen? Seit er denken konnte vermied sie es alles zu tun, was ihn und seine Stellung als Erbe in Gefahr bringen konnte. Ein Besuch bei ihr, möglichst noch mit einem Geständnis, würde ihn in eine fatale Zwickmühle bringen. Und ihn nicht zur zu ihrem Komplizen machen, sondern ihn auch gegenüber seinem Vater und Fürsten … So töricht war sie doch gewöhnlich nicht.

Sekunde.

Wenn etwas nicht zu seiner Mutter passte, war es mehr als ungewöhnlich. Sie hatte manchmal einen eigenwilligen Humor, war exzentrisch, aber sie wollte ihn als nächsten Herrn der Youkai sehen. Woher wusste er eigentlich, dass dieser Brief von seiner Mutter stammte? Außer Jakens Aussage?

Er nahm den Umschlag und legte diesen zusammen, so dass er das zuvor unbeachtete Siegel erkennen konnte. Mutter benutzte zwei Siegel – das der westlichen Länder mit einem springenden Hund, ähnlich dem Logo der Holding, für das das auch das Vorbild war, zum Anderen für private Schreiben ihren eigenen Fingerabdruck. Und das hier war – nichts.

Er drückte den Knopf zu seinem Vorzimmer. „Jaken.“

Der Kappa eilte prompt herein und verneigte sich. „Ja, Sesshoumaru-sama?“

„Wer gab dir diesen Brief?“

„Ein Bote Ihrer verehrten Frau Mutter.“ Der ihn in der Mittagspause abgepasst hatte.

„Das sagte er ausdrücklich?“

„Ja, ich meine, wieso ..?“ Jaken brach lieber ab, als er dem Blick des jungen Inuyoukai begegnete.

„Wie sah er aus?“

„Ein … er hatte eine Art Maske über dem Gesicht und ein Affenfell über, ich konnte ihn nicht so erkennen, Sesshoumaru-sama, ehrlich ...“ stammelte der Sekretär. Au weia. Das Youki stieg merklich an. Und so strikt der Inu no Taishou auch seinem Sohn das Verletzen von Menschen untersagt hatte – das Schlagen eines armen Sekretärs schien der Fürst zu ignorieren. Nun ja, die Beulen heilten rasch, aber es tat doch weh.

„Verschwinde.“ Während Jaken glücklich gehorchte und aus dem Büro hastete, dachte der Jugendliche erneut nach. Ein Affe? Mutter neigte bei der Auswahl sowohl ihrer Krieger als auch der Hofdamen nicht nur auf Fähigkeiten, sondern auch auf gewissen Stil. Hm. Der Bote passte nicht, das Siegel passte nicht.

 

Ihm wurde kalt, als er endlich begriff. Eine heimtückische Falle! Würde er heute zu seiner Mutter gehen, wäre diese vermutlich sehr verwundert – und er hätte gegen die klare Anweisung seines Fürsten verstoßen, ja, seines Feldherrn. Das galt in allen militärischen Einheiten der Welt als Meuterei und Verrat – mit entsprechenden Konsequenzen. Erbe hin oder her, das wäre tödlich. Sein Instinkt hatte ihn gewarnt.

Aber wer konnte dahinter stecken? Sicher, es war kein Geheimnis, dass Vater heute zu dieser Tagung in Yokohama war. Und es war wohl auch offen bekannt, dass unter Youkai, besonders Inuyoukai, man seinen Eltern Gehorsam entgegenbrachte. Der Attentäter hatte nur nichts von den Saimyosho geahnt. Oder auch nur davon, was seine Mutter dachte. Nun ja, das war in aller Regel auch undurchschaubar, aber er kannte sie doch schon einige Zeit. Gleich, was sie sonst dachte – sie würde nie ihren einzigen Sohn als Verräter in Todesgefahr bringen. Überdies stand sie loyal zu Vater, gleich, warum auch immer sich die Zwei getrennt hatten, auch Vater respektierte sie. Nein. Die Saimyosho stammten nicht von ihr – aber deren Urheber hatte wohl diesen Brief geschrieben und diesem törichten Jaken zugesteckt. An ihn selbst hätte er sich nicht herangetraut, das war klar.

Er sollte jedoch sicher gehen.

So griff er zum Telefon und drückte die Kurzwahl. Als sich die Vermittlung im Schloss meldete, sagte er: „Ein geflügelter Bote zum Schwebenden Schloss. Ich bitte meine Frau Mutter um Information, ob sie mir heute einen Brief zukommen ließ. Die Antwort an mich persönlich. Ich komme in einer Stunde hinaus.“ Büro hin oder her, dass er dieses verließ würde Vater sicher verzeihen, erfuhr er von dem ominösen Brief. Sesshoumaru faltete den zusammen und steckte ihn in die Innentasche seines Anzugs. Was auch immer der Unbekannte bezweckte – Vater war nicht im Schloss und er sollte auch weg gelockt werden. Also musste er genau dorthin.

 

Als er allerdings ausstieg und der Katzenyoukai Taro das Auto wegfuhr, war alles wie immer. Er beschloss dennoch vorsichtig zu sein und ging zu Tetsuya, dem Anführer der Leibwachen, um sich nach der Aufstellung der Krieger zu erkundigen.

Dieser war ein erfahrener alter Kämpe und vermutete, dass der Sohn des Hauses sich keinen Fehler während seiner Vertretung leisten wollte – es war allgemein aufgefallen, dass dieser tagelang nicht trainierte, was sicher auf eine Anweisung des Fürsten zurückging, eine Strafe. „Doppelwachen, wie von oyakata-sama gewünscht, außen um den gesamten Park, im Park noch einmal eine Grenze zum Naturpark. Ebenfalls immer zwei Krieger.“

Sesshoumaru nickte, ehe er zögernd fragte: „Izayoi-sama?“

„Sie befindet sich in ihrem Jade-Pavillon. Nach ihrem heutigen Tagesablauf zu urteilen, wird sie zwischen fünf und sechs essen. In aller Regel duscht sie danach, dann schickt sie ihre Dienerinnen weg und sieht entweder fern oder geht ins Bett, wenn sie weiß, dass oyakata-sama sie nicht aufsuchen wird. Er kündigt sich stets an.“

„Gibt es besondere Wachen direkt am Jade-Pavillon?“

„Nein, jedoch zwischen diesem und der Straße, sowie dem anderen Park. Näher heranzukommen verbot der Fürst.“

Das war klar. Fenstergitter hin oder her, Vater verspürte sicher keine Lust, dass irgendein Youkai seiner Ehefrau beim Ausziehen oder Duschen zusah. Umgekehrt – er selbst sollte auch besser Abstand halten und sie nicht aufsuchen. Die durchgeschimmerte Eifersucht seines Vaters bei dieser unglücklichen Badeszene war genug Warnung gewesen. Belästigte er dieses Menschenweib auch noch in ihren eigenen Räumen, bei seinem Pech gar in ihrem Schlafzimmer … Nun ja, dann würde es nicht nur mit ein paar Bissen und Trainingsverbot abgehen. Izayoi war dessen Eigentum. Und die Ehre eines Fürsten zu verletzen war eben tödlich. „Gut. Ich bin dann im Arbeitszimmer meines Herrn und Vaters, bis dieser zurückkehrt.“ Nur schön die Routine wahren. Vermutlich war der Bote an Mutter auch bald zurück. Und würde vielleicht einen Teil aufklären können.

Nur zwei Stunden später wusste er, dass er richtig entschieden hatte. Der Bote brachte nur einen Augenaufschlag seiner Mutter und die Frage, seit wann ihr wertvoller Einziger ein Narr geworden sei.

 

Der Inu no Taishou langweilte sich auf der internationalen Tagung von Wirtschaftslenkern. Das war kaum verwunderlich. Für jemanden, der sich seit Jahrhunderten mit Strategie und Übernahmen befasste, konnten Menschen minimal etwas Neues bringen. Die wenigen seiner eigenen Art, Dämonen, kannte er ebenfalls meist schon sehr lange. Als jetzt auch noch ein Konzernherr über Taktik redete, beschloss er sein heute vernachlässigtes Geschäft einmal zu prüfen. So verließ er den Saal und trat in den dunklen Garten, die Leute vom Cateringservice ebenso ignorierend wie die Polizisten und sonstigen Wachen. Dort erst nahm er sein Mobilphon und schaltete es an. Es wäre unhöflich gewesen mitten in den Reden zu telefonieren. Hoffentlich war im Konzern nichts passiert. Schön, er war nur einen Tag abwesend. Er überflog die Liste der Anrufe, ehe sein Auge auf den letzten beiden Namen der Liste hängenblieb. Izayoi!

Sie hatte ihn vor einer halben Stunde zwei Mal angerufen, innerhalb kaum zweier Minuten. Das hatte sie noch nie getan? Hatte sie solche Sehnsucht nach ihm, dass sie ihn unbedingt sprechen wollte, wo sie doch wusste, dass er in Yokohama war und in einer Tagung? War ihr gar etwas zugestoßen? War sie krank? Er rief zurück – der Anruf ging ins Nichts. Was sollte das? War sie zusammengebrochen? War ihr schwindelig geworden und sie hatte noch ihr Handy greifen können, aber es nicht mehr geschafft zum Haustelefon im Wohnzimmer zu gelangen, um ihre Damen zu rufen? Um diese Uhrzeit hatte sie gewöhnlich zu Abend gegessen und die Frauen weggeschickt. Oder, war gar nichts los, sie hatte nur gewisse Sehnsucht nach ihm gehabt und dann eingesehen, dass es töricht – nein, sehr schmeichelhaft für ihn war? Warum aber ging sie jetzt nicht ran? Sie sah doch, dass er es war? Duschte sie womöglich gerade und hörte das Klingeln nicht?

 

Nun ja, dachte der Herr der Hunde ein wenig zynisch. Eines hatte sie jedenfalls geschafft. Er würde den letzten Vorträgen und dem abendlichen Abschlussdinner nur mit minimalem Interesse folgen können, wusste er nicht, wie es ihr ging. Es gab natürlich eine Lösung, aber er zögerte etwas. Das machte er seit ewigen Zeiten nur in Notfällen. Allein einem Daiyoukai stand dieser Weg überhaupt offen und er würde ziemlich Youki verschwenden. Gleich. Es ging ja nicht in einen Kampf. Er würde in wenigen Minuten im Schloss sein, und auch hier wieder zurück. Er wusste dann, dass nichts passiert war und würde den Rest seiner Pflicht absitzen können. Umgekehrt wäre etwas geschehen … nein, soweit wollte er gar nicht denken. Aber Izayoi hatte, seit sie seine Telefonnummer besaß, zugegeben, seit wenigen Tagen, ihn noch nie angerufen. Und jetzt zwei Mal nacheinander? Ein Versehen? Panik? Was taten eigentlich sein Sohn und seine Wachen? Sesshoumaru sollte seit zwei Stunden im Schloss sein.

Er traf seine Entscheidung. Während er das kleine Telefon wieder in die Innenseite seine schwarzen Anzugs schob, blickte er sich kurz um, ehe er seine gesamte Energie aufflammen ließ. Andere Youkai und Dämonen aus fremden Ländern mochten es spüren, aber kaum Sekundenbruchteile später war das Youki verschwunden – ebenso wie der Inu no Taishou.

 

Ebenso plötzlich schien er aus dem Nichts auf dem Vorplatz des Schlosses aufzutauchen. Die dort stehenden Krieger bewiesen sofort ihre Klasse. Noch während sie bereits halb die Schwerter gezogen hatten, ließen sie sie auch schon wieder los und verneigten sich höflich. Natürlich hatte eine solche Youkiwelle sie aufgeschreckt. Er zupfte ein wenig den Anzug gerade, ehe er sich auf den Weg zum Pavillon machte, bewusst langsam, um niemandem den Eindruck zu geben, er wäre besorgt oder in Eile. Solch ein Dimensionstunnel verschlang tatsächlich eine Menge Energie, dachte er. Nur gut, dass nach der Rückkehr nach Yokohama nur ein langweiliges Dinner auf ihn wartete und kein Kampf. Ah, natürlich. Sein Sohn hatte das Youki mitbekommen und wollte nachsehen. Gut. Immerhin schienen hier alle aufmerksam, auch wenn er nicht anwesend war.

„Verehrter Vater?“ Sesshoumaru war ein wenig irritiert. Solch einen magischen Weg der Anreise wählt Vater selten bis nie.

„Komm mit. - War heute etwas Besonderes?“

Wusste es Vater schon? Dann wäre Verschweigen töricht. Wusste er es nicht, könnte es allerdings blamabel werden. Was half es. Im Zweifel würde Mutter reden. So erklärte der Sohn des Hauses: „Ich erhielt heute im Konzern einen Brief, der angeblich von meiner Frau Mutter stammte, dass ich sie heute Abend aufsuchen sollte.“

„Kürzen wir es ab. Du hast dem nicht geglaubt und kamst her.“

„Ja. Ich sandte allerdings zur Sicherheit einen Boten. Mutter hatte tatsächlich keinen Brief geschrieben.“ Wieso ging Vater zum Jade-Pavillon, und nahm ihn auch noch mit? Hatte jemand etwa behauptet, er wäre dort gewesen und hätte Izayoi besucht? War das der Grund für diesen seltsamen Brief an ihn gewesen, eine Falle solcher Art?

Der Taishou öffnete die äußere Tür und durchquerte etwas schneller den Vorraum, als er bemerkte, dass die Tür zum Wohnzimmer ebenso offen stand wie die zum Schlafzimmer. „Izayoi? Izayoi?“ War sie doch krank? Er ging direkt in ihr Schlafzimmer und blieb noch in der Tür stehen. Sie war nicht da. Und da die Badezimmertür ebenfalls offen war, befand sie sich auch nicht dort. Was war nur los?

Sesshoumaru hatte es wohlweislich vermieden seinem Vater in das Schlafzimmer von dessen Ehefrau zu folgen. So war sein Blick auf den Tisch gefallen. „Verehrter Vater!“

Der Taishou drehte um, sparte sich jedoch die Frage, was sei, da sein Sohn auf den Tisch deutete. Ein Brief an ihn, daneben ihr Handy. Er öffnete ihn.

Sesshoumaru musterte ihn, zumal er sehen konnte, wie sich die Fangzähne zusammenpressten und die Markierungen auf den Wangenknochen verbreiterten. War dieses törichte Menschenweib etwa Vater davon gelaufen? Diese Schande konnte nicht einmal durch ihren Tod beseitigt werden.

„Naraku!“ Der Herr der Hunde knirschte es förmlich, ehe er aufsah. „Komm mit, Sesshoumaru. Ich fürchte, nicht nur für dich wurde eine Falle heute gebaut.“

Während der Sohn dem Fürsten folgte, in den dunklen Garten, in dem beide Youkai allerdings genug sehen konnten, fragte er: „Naraku hat sie hinausgelockt?“

„Ja. Sie hatte mir allerdings versprochen ihn nie ohne mein Wissen zu treffen. Darum hat sie versucht mich anzurufen und auch diesen Brief geschrieben.“ Sie hatte versucht ehrbar und loyal zu bleiben, aber der Taishou bezweifelte nicht, dass es einen guten Grund geben musste, warum sie im Dunkel der Nacht zum Naturschutzgebiet gehen sollte – allein. Ihre Fährte war leicht zu finden und führte direkt zu dem angegebenen Platz mit den zwei Rhododendren – und sie endete abrupt. Jemand anderer war hier gewesen. Nicht Naraku, aber jemand sehr großer. Der Herr der Hunde atmete tief ein, um sich an die Witterung zu erinnern, die ihm seltsam bekannt vorkam.

„Verehrter Vater!“

Er wandte sich um. Sesshoumaru stand neben einem der großen Rhododendren, sah jetzt aber zu ihm. Und der Hundefürst hatte seinen Welpen schon lange nicht mehr mit einem so fast erschrocken zu nennenden Blick gesehen. Mit einem Satz war er bei ihm. Unter dem Blattwerk lagen zwei seiner Krieger, oder eher, die Hälften, die noch übrig waren. Jetzt begriff er. „Ein Drache!“ Und er konnte ihm jetzt auch einen Namen geben. Ryuutsubasa, der kleine Bruder von Ryuukossusei, der Drachenprinz. Izayoi, eine Menschenfrau, SEINE Frau, verängstigt und in der Nacht allein mit einem der sadistischen Drachenbrüder! Sein Youki wallte auf. „Ich hole sie zurück. Er hat nur eine halbe Stunde Vorsprung. - Lass Myouga und Kouga überprüfen, wo sich den gesamten Tag bis jetzt Naraku und auch Ryuukossusei herumgetrieben haben. Und lass Kiyoshi die Finanzen des Konzerns im Auge behalten. Es ist nicht gesagt, dass nicht dort noch ein Schlag erfolgen soll. Tetsuya soll die Beiden hier abholen und begraben. Mehr Leute solltest du nicht informieren. Wenn ich den Kerl noch rechtzeitig erreiche, soll es keinen Skandal geben.“ Seine Stimme wurde nur mehr zu einem leisen Knurren, während seine Energie bereits weiter anstieg. „Aber ich werde ihm beweisen, dass Drachen sterblich sind!“

„Ja, verehrter Vater.“ Sesshoumaru war sich nur zu bewusst, dass es durchaus eine Situation geben konnte, in der Vater seine Frau nur tot nach Hause brachte: wenn er sie selbst getötet hatte um seine Ehre rein zu halten. Es war davon auszugehen, dass der Drache Izayoi bewusst als Opfer ausgewählt hatte – und sie als erstes schänden würde, um den Gesichtsverlust des Inu no Taishou öffentlich und perfekt zu machen. Aber er wich zurück, als sich der Fürst in seine Hundeform verwandelte und den Kopf neigte, um die Spur des Drachen aufzunehmen. Während der große, weiße, Hund fortlief, wandte sich der Sohn des Hauses um. Er hatte klare Befehle erhalten – und trug nun die Verantwortung für die Sicherheit der Anderen. Es würde sowieso noch ein Nachspiel haben, dass zwei Youkai starben und die Hausherrin entführt wurde, während er das Kommando hatte, da war er sicher.

 

Während der riesige weiße Hund durch den Wald rannte, immer der Spur folgend, stellte er fest, dass sich Ryuutsubasa offenbar in seiner Menschenform befand. Und das konnte kaum etwas Gutes für Izayoi bedeuten. Auch dem Taishou war klar, dass eine Entehrung seiner Gemahlin ebenso für ihn vernichtende Folgen hätte, seinen Herrschaftsanspruch beseitigen würde – und dass das dem Drachen nur zu bewusst war.

Aber, wenn er sich nicht täuschte, hatte der junge Drache einen möglicherweise fatalen Fehler begangen, denn der zog sich in das Naturschutzgebiet zurück, statt mit seinem Opfer zu verschwinden. In sein eigenes Territorium, in dem er jede Pfote breit seit Jahrhunderten kannte und Ryuutsubasa sicher nicht. Er konnte also aufholen, zumal in dieser Form, wenn der Drache auf zwei Beinen lief und offenbar Izayoi trug. Etwas wie Hoffnung stieg in ihm auf, aber sein Youki wurde von einer anderen Quelle genährt: tobender Zorn und einem Rachedurst, wie er ihn so noch nie empfunden hatte.

 

 

Mere mortals you be

The truth you can´t see

You think you are right, for you´ve won.

But what stories they´ll tell

Of the rising from the hell

Long after our battle is done

 

Julia Ecklar: Vow of Vengeance zu Star Trek: Der Zorn des Khan.

 

 
 

Kampf

33.Kampf

 

 

I´ll not let you believe yourself better than me

It´s a fleeing illusion, at best

So let the years turn by, I wait for the time

When you will beg me for your death

 

Julia Ecklar: Vow of Vengeance, zu Star Trek: Der Zorn des Khan

 
 

Während der riesige, weiße Hund durch den Wald hetzte, wurde ihm zweierlei bewusst: erstens, die Fährte des Drachen führte genau empor zu seinem Lieblingsaussichtsplatz und zweitens, er musste unbedingt seinen Zorn unter Kontrolle bringen oder er würde das Denken vergessen. In einem Kampf gegen einen Drachen der Klasse Ryuutsubasas wäre das tödlich. Der Inu no Taishou entsann sich nur zu gut des Duells gegen Ryuukossusei, das er mit knapper Not gewonnen hatte. Das war zwar der kleine Bruder, aber der war gewiss kaum schlechter.

Die Aussichtsstelle, seine Grotte, dort, wo Izayoi das erste Mal auf seinem Fell gelegen, geschlafen, hatte …

Wusste das dieser Mistkerl oder war das Zufall?

Wieder spürte er, wie sein Youki seinen Verstand zu überrennen drohte, und zwang sich mühsam zur Ruhe. Er musste seine Wut beherrschen, in sich vergraben, oder er hatte schon verloren – und damit auch Izayoi. Selbst, wenn er gewann, so war sie noch nicht gerettet. Er kannte die Regeln der Macht nur zu gut. Wenn er zu spät kam, sich diese Echse schon an ihr vergriffen hatte … Erneut musste er seinen Ingrimm zügeln. Nun, dann würde er sie eigenhändig töten, schnell und ohne dass sie bemerkte, dass sie sterben musste. Das war alles, was er dann noch für sie tun konnte, nachdem er als Beschützer schon derart versagt hatte. Aber es ging um den in einem Jahrtausend mühsam errungenen Frieden in Japan, den unter Youkai, und dem zwischen diesen und den Menschen. Das konnte und durfte er nicht aufs Spiel setzen.

 

Der Daiyoukai erstarrte, als er an dem Steilhang ankam. Er spürte Youki, das des Drachen, aber, was ihn zum Stehen gebracht hatte, war der Schrei einer menschlichen Frau, erstickt, heiser. Er hatte so etwas bereits gehört, von Menschen und selbst Youkai – sie konnte nicht mehr schreien, hatte es schon zu viel. Was hatte dieser Mistkerl mit ihr gemacht?

Vorsicht, mahnte er sich. Wenn Ryuutsubasa kein Narr war, würde der doch sein Youki sich nähern fühlen.

Der war ein Narr, korrigierte er sich, als er das dunkle Lachen des Drachen hörte. Mit zwei Sätzen sprang er empor und blieb für einen Augenblick auf dem kleinen, ihm nur zu vertrauten, Plateau stehen, musterte mit einem Schwenk seines riesigen Schädels die Lage.

Izayoi, seine Frau, lag auf dem Bauch, kurz vor der Grotte, das Gesicht ihm zugewandt, aber er wusste nicht, ob sie noch erkannte, dass er da war. Ihr Blick ging ins Leere und war voll ungeweinter Tränen. Er hatte Frauen schon so gesehen, nachdem eine Armee durch das Dorf gezogen war … Izayoi!

Aber da war sein Gegner.

Immerhin besaß Ryuutsubasa noch die Nerven sich wie eine Sprungfeder zusammenzuziehen, als er bemerkte, dass eine dritte Person hier erschienen war.

Ihr Lächeln, ihr Vertrauen! Izayoi!

 

Ohne weiter nachzudenken griff der Taishou an und verbiss sich in den ungeschützten Bauch, drängte das kaum kleinere Reptil zurück. Ryuutsubasa versuchte prompt sowohl seinen Schwanz um den gewaltigen Hund zu bringen als auch seinerseits seine Zähne in dessen Kopf zu schlagen.

Ineinander verbissen stürzten die beiden Monster über den unter ihrem Gewicht nachgebenden Rand der Steinplatte, gut zweihundert Meter in die Tiefe.

Als sie unten aufkamen, splitterten die großen Bäume, die dort wuchsen, die Büsche wurden dem Boden gleichgemacht, erzitterte die Erde, aber sie gaben einander nicht frei. Das war kein Kampf, der mit ein paar Blessuren entschieden werden würde.

Alles, was geschah, war, dass sie den jeweiligen Biss lockern mussten, es ihnen allerdings gelang sich erneut ineinander, auseinander, umeinander zu winden, zu verkrallen, zu verbeissen.

 

Es dauerte fast fünf, endlos scheinende, Minuten, ehe der Taishou den Biss um den Bauch des Drachen soweit verlor, dass er sich mit aller Macht zurückwarf und stehenblieb. Wo ihn die Krallen, die Zähne, des Drachen an Kopf und Körper erwischt hatten, waren Kratzer, Blutspuren, auf dem weißen Fell zu sehen, aber auch Ryuutsubasa, der sich eilig wieder zusammenringelte, um seinen empfindlichen, schon deutlich gezeichneten, Bauch zu schützen, war nicht ohne Verletzungen geblieben.

Der Dimensionstunnel hatte ihn geschwächt, erkannte der Herr der Hunde, aber ohne diesen wäre er nicht jetzt schon hier. Ohne Izayois vergeblichen Anruf hätte dieser fatale Plan geklappt. Nun, es war nicht gesagt, dass er nicht noch immer gezwungen war seine eigene Ehefrau zu töten, aber immerhin würde es keine Schande für ihn darstellen, keine jedenfalls, die seine Herrschaft in Mitleidenschaft ziehen würde. Ryuutsubasa hatte einen gewaltigen Fehler gemacht. Noch, direkt hier unter dem Aussichtspunkt, standen sie auf seinem, des Taishou, eigenen Grund und Boden. Tötete er den Drachen an dieser Stelle, wäre der schlicht ein Einbrecher. Kein Entführer. Fast alles andere ließ sich weg erklären. Oder sogar noch besser, es würde niemand nachfragen.

 

Der Drachenprinz musterte ihn. „Da ist wohl jemand schnell geworden, wenn man sein Häppchen vor seiner Nase weg nimmt? Ich dachte, du bist in Yokohama, Wuffi.“

Das verdiente keine Antwort, dachte der Inu no Taishou, zumal er in seiner Hundeform ungern sprach. Er musste siegen, und das rasch, denn, wie er erwartet hatte, stand Ryuutsubasa kaum hinter seinem großen Bruder zurück. Und sein eigenes Youki war bei Weitem nicht das, was es hätte sein sollen. Gleich. Er musste gewinnen, das war einfach ein Fakt. Schon um der einzigen Frau willen, die ihn selbst achtete, liebte, und die in der letzten halben Stunde durch die Hölle gegangen war. Wieso eigentlich war die Schnauze des Lindwurms dermaßen schwarz, wie verbrannt? Er hatte doch noch gar kein Youki eingesetzt? Egal, das musste ihn nicht interessieren, nun, nur in dem Sinn, dass es eine Beeinträchtigung für seinen Gegner darstellte. Und dessen Kiefer empfindlicher machte.

„Weißt du eigentlich, naja, du weißt es bestimmt, sie ist ja außer mit mir nur mit dir im Bett gewesen, dass die Kleine sehr hübsch schreit, wenn man sie ein bisschen härter anpackt?“ Ryuutsubasa sah nur zu gut, wie in den roten Augen des Daiyoukai vor ihm etwas aufleuchtete. Ja, das hatte er beabsichtigt: der Herr der Hunde gereizt und damit unvorsichtig.

Er wartete den Angriff ab und schnappte nach der Kehle des Riesenhundes.

Fast schmerzhaft prallten seine Zähne aufeinander, die Vibration machte sich in dem verbrannten Kieferknochen bemerkbar. Das war noch nicht geheilt.

Die Attacke hatte weder seiner Kehle noch seinem Bauch gegolten, wie er erwartet hatte, sondern seinem anderen Ende.

Der Taishou verbiss sich, stemmte seine vier Pfoten in den Waldboden und warf sich mit aller Kraft, die er aus Brust und Schultern aufbringen konnte, gegen das Gewicht. Der wurmartige Drachenkörper flog durch die Luft und das Zersplittern einiger Bäume samt des keuchenden Atemholens seines Widersachers entschädigte ihn dafür, dass er sich einen Muskel in der Schulter sicher gerissen hatte. Der Schmerz war zu ertragen. Nachsetzen, jetzt nicht nachgeben, dachte er in jahrhundertelanger Kampferfahrung. Er hatte schon in Hundegestalt Duelle gewonnen, als Ryuutsubasa nicht mal aus dem Ei geschlüpft war. Er hatte einen überraschenden Schlag geführt, jetzt war er am Drücker.

So stürmte der weiße Hund los, erneut auf das Schwanzende des Drachen zielend, um dessen Gebiss zu vermeiden. Ryuutsubasa hatte sich eilig zusammengezogen, als er hart und schmerzhaft aufgekommen war, rechnete wieder fälschlich mit einem Angriff gegen seine Kehle. Statt dessen umfasste die Zähne erneut seinen Schwanz, während der Herr der Hunde noch in der Landung wieder hochsprang und sich herumwarf, ohne den Biss zu lösen.. Die langen Haare seiner Rute wurden damit förmlich in das Gesicht Ryuutsubasas gedroschen, der so zumindest auf einem Auge für einige Sekunden nichts mehr sehen konnte, und sich daher wahrlich blindlings herumwerfen musste, um seinerseits nach seinem Gegner zu schnappen.

Zufrieden spürte der Drachenprinz zwischen seinen Kiefern einen Lauf des Inuyoukai und presste sie trotz des jähen Schmerzes zusammen.

Das wütende Knurren bestätigte ihm ebenso wie das Knacken, dass das Vorderbein zumindest angebrochen war. Allerdings sah sich Ryuutsubasa gezwungen loszulassen, denn der Daiyoukai hatte unverzüglich seinen Biss gelöst und fuhr herum um seinen Lauf zu retten. Die Hundezähne verfehlten nur knapp die Schnauze des Drachen, berührten aber immerhin erneut die Stelle, die zuvor dieses dämliche Menschenweib verbrannt hatte. Es tat sehr weh, und so fuhr die Echse wieder zurück.

 

Für einen langen Moment standen sich die gewaltigen Duellanten gegenüber, den einstigen Park um sich ignorierend. Auf mehr als einem Hektar im Umkreis standen keine Bäume mehr.

Schön, dachte Ryuutsubasa. Im direkten Nahkampf war gegen diesen Köter anscheinend eben sowenig ein Blumentopf zu gewinnen wie gegen seinen großen Bruder. Also: Drachenfeuer. Er öffnete das Maul.

Drachenfeuer, erkannte auch der Herr der Hunde, der wusste, was das selbst bei einem Daiyoukai anrichten konnte. Einen direkten Treffer sollte er nicht riskieren, auch, wenn der ihn nicht gleich umbringen würde. Er wäre verletzt, würde noch langsamer werden, als er es durch den angeknacksten rechten Vorderlauf bereits war. Es wäre auch fast unmöglich einer solchen Attacke dauernd auszuweichen, was überdies ein ehrverletzendes, stolzbeschämendes Herumgehopse eines Welpen wäre. Nein. Er musste sich durchsetzen, gewinnen. Schnell genug, um Ryuutsubasa zu überraschen, und nicht zuletzt mutig genug. Denn ein solcher, direkter, Angriff seinerseits müsste ihn genau durch das Drachenfeuer führen – schmerzhaft und riskant. Aber es gab keine andere Möglichkeit.

Der riesige weiße Hund duckte sich auf die Vorderbeine. Ein Mensch hätte bei seinem Haustier vermutet, der wolle spielen.

Ryuutsubasa vermutete ähnliches: der Taishou wusste, was jetzt kam, und bereitete sich auf ein rasches Fortspringen vor. Hihi, das konnte lustig werden. Zu schade, dass die Kamera noch oben lief, sein großer Bruder wäre bestimmt sehr zufrieden mit ihm. Nun ja, der würde überhaupt zufrieden sein, wenn er ihm den Herrn der Hunde auf dem Silbertablett servierte. Dann gab es doch niemanden mehr, der Ryuukossusei aufhalten konnte. Sein Bruder war unschlagbar! Der junge Drachenprinz entließ die glühend heiße Kugel aus Youki aus seinem Maul, gezielt auf seinen Gegner.

Sie flog schnell, erschreckend schnell, aber noch rascher hatte sich der Daiyoukai bewegt. Er war gesprungen, nicht, um der Kugel aus Energie auszuweichen, sondern um ihr entgegen zu gehen. Mit einem gewaltigen Satz hatte er die Distanz verkürzt, war durch die Hitze förmlich hindurch getaucht und landete wieder. Durchaus mühsam die Verbrennungen und den Geruch nach verschmortem Fell ignorierend, sprang er erneut los.

Ryuutsubasa erkannte entsetzt den Riesenhund direkt vor sich und holte abermals rasch Atem, sich hastig zum Angriff zusammen ringelnd.

Diese Bewegung kam nicht zum Abschluss, denn der massige Körper seines Gegners traf ihn an Brust und Bauch und warf ihn nach hinten um, sein eigenes Feuer verschluckend, als er im Schmerz aufstöhnte. Unter seinem Gewicht war ein Baum gebrochen und die Splitter drückten sich jetzt gegen seine Schuppen. Dieser Misthund hatte ihn schon wieder verletzen können!

Das sollte seine geringste Sorge sein, erkannte der Drache in jäher Panik, als sich riesige Kiefer fest um seine Kehle schlossen.

 

Der Inu no Taishou wich von seinem Gegner zurück, den noch aufmerksam musternd. Kein Herzschlag, kein Youki. Es war vorbei. Er wischte sich die Schnauze in einigen noch stehenden Sträuchern ab. Mit einem flüchtigen Blick an sich herunter, stellte er fest, dass er einige Verletzungen davon getragen hatte. Schmerzhaft, aber das würde heilen. Jetzt war es erst einmal wichtiger nach Izayoi zu sehen. Hoffentlich war sie soweit in Ordnung, hoffentlich musste er sie nicht umbringen. Er verwandelte sich in seine Menschengestalt. Allein das erwies sich mittlerweile als schwer. Seine Energie, die durch den Dimensionstunnel von Yokohama zu seinem Schloss bereits angezapft worden war, war sehr weit gesunken. Er würde wohl Tage brauchen um sich vollständig zu regenerieren.

 

Izayoi lag noch immer regungslos auf dem Boden, seelisch und körperlich am Ende ihrer Kräfte. Sie hörte das Splittern der Bäume, spürte die Erde beben, wenn haushohe Körper auf den Boden schmetterten, aber es drang nicht mehr zu ihrem Verstand durch. Ihr Körper hatte erkannt, dass sie am Rande ihrer Fähigkeiten war und hatte, um sich zu schützen, betäubende Hormone ausgeschüttet. Sie wusste irgendwo, dass dort unten auch um ihr Schicksal gekämpft wurde, aber das besagte nichts mehr für sie.

Sie erkannte nur plötzlich schwarze Schuhe, zwei schwarze Hosenbeine direkt neben sich.

Instinktiv zuckte sie zusammen. Ihr Ehemann oder der Drache? Ging die Qual weiter?

„Izayoi.“

Sie sah, wie er neben ihr sich auf ein Knie niederließ, spürte die vertraute Berührung an der Wange, wie seine Finger in ihr Haar glitten, nicht ahnend, dass sie nur deswegen so zärtlich ihren Nacken umfassten um sie rasch töten zu können. Er war da, er hatte gewonnen, der Drache würde ihr nichts mehr tun können. Etwas wie ein Hauch Wärme stieg in ihr auf, weckte ihre Lebensgeister ein wenig, als ihr plötzlich bewusst wurde, dass diese Kamera immer noch lief. Irgendwie sah sie zu ihm auf.

„Izayoi.“ Er musste es wissen, auch, wenn es weh tat, sowohl die Tatsache, dass er als Beschützer seines wertvollsten Eigentums versagt hatte, als auch das schonungslose Ergebnis daraus. „Hat er dich vergewaltigt?“ Seine Finger spannten sich unmerklich um ihren Nacken. Sie sah soweit unverletzt aus, das konnte, musste, die einzige Erklärung für ihren Zustand sein. Und dann musste er die bittere Konsequenz ziehen. Aber er brauchte, wollte, die Bestätigung, das verlangte sein Gerechtigkeitsempfinden.

Zu seiner gewissen Überraschung zuckte etwas wie ein Lächeln um ihren Mund. „Er wollte ...“ flüsterte sie. Zu mehr war sie nicht fähig. „Aber ich habe ihm … auf die Schnauze gegeben. - Das Handy ...“ Sie deutete mit der freien Hand irgendwie hinter sich.

Auf die Schnauze gegeben? Eine Menschenfrau einem Drachen? Das hätten doch höchstens sehr fähige Mönche oder Schreinjungfrauen geschafft? Aber der Taishou entsann sich der verbrannten Nase Ryuutsubasas, die ihm zuvor aufgefallen war. Und Handy. Verdammt! Er ließ sie behutsam los und suchte die angegebene Richtung ab. Hatte er sich nicht schon vor Wochen vorgestellt, dass es Ryuukossusei Spaß machen würde, seine Frau zu entführen und ihm von ihrem Tod ein Video zu schicken? War das hier etwa auch die Idee des älteren Drachenbruders gewesen oder war Ryuutsubasa allein darauf gekommen? Gleich. Er fand das Mobiltelefon rasch und stoppte die Aufzeichnung, ehe er es in die Innentasche seines Anzugs schob, der durch den Kampf selbst in Hundeform ziemlich in Mitleidenschaft gezogen worden war. Blut sickerte an einigen Stellen durch und jede Bewegung schmerzte. Immerhin, dachte er erleichtert, war Izayoi soweit in Ordnung, er konnte sie leben lassen. Sie hatte nicht gelogen, das verriet die verbrannte Schnauze des Drachen, aber auch die Tatsache, dass sie ihn auf das Handy aufmerksam gemacht hatte, das ja das Gegenteil ihrer Worte beweisen konnte.

So kniete er erneut neben ihr nieder – und erstarrte. Sie hatte sich etwas gedreht und er erkannte auf ihrem Kimonoärmel -zig kleine, schwarze Flecken, groß wie ein Handteller, an denen die Seide verschmort war. Es gab nur eines, das Spinnenseide derart zum Schmelzen brachte. Behutsam drehte er sie um. Beide Ärmel, das Unterteil, dort, wo der Drache die Beine vermuten musste, sahen so aus. Drachenfeuer. Über ihrer Brust sammelten sich die schwarzen Verbrennungen förmlich zu einem einzigen Strich.

„Izayoi ...“ Er hatte in Kämpfen früherer Zeiten gesehen, was Drachenfeuer Youkaikriegern antun konnte. Kein Wunder, dass sie in diesem Zustand war, auch, wenn man davon ausgehen musste, dass diese geradezu winzigen Attacken nur zur Quälerei gedient hatten, nicht zum Töten. Er wagte nicht sich vorzustellen, wie der schwache, menschliche, Körper darunter aussehen musste. Warum nur hatte sie nicht ohnmächtig werden dürfen? Nun gut. Ihr Gesicht war unverletzt und er war sicher, dass Ryuutsubasa alles unternommen hatte, um die Folter auszudehnen, sie bei Bewusstsein zu halten. Am liebsten hätte er den Mistkerl wiederbelebt, nur, um ihn noch einmal umzubringen. „Ich bringe dich ins Schloss. Hotaru wird sich um dich kümmern, so rasch es geht. Sie hat Erfahrung mit Drachenfeuer.“ Er schob behutsam seine Hände unter ihren Körper und hob sie auf. Er hörte ihr leises Seufzen und spürte ihr Entspannen. Da wurde ihm klar, dass sie es nur bis jetzt durchgehalten hatte, weil sie auf ihn gehofft hatte und sich in diesem Moment erst erlaubte nachzugeben, da sie sich in seinen Armen in Sicherheit wusste.

 

Diesmal war die sonst so leichte Last auch für ihn bemerkbar und er spürte das Ziehen in seinen Armen, zumal des angebrochenen, die Brandwunden, die Bisse, den Blutverlust. Er schnitt sich selbst eine Grimasse. SEINE Arme waren verletzt, ER war erschöpft und hatte Schmerzen? Was um alles auf der Welt sollte dann erst Izayoi sagen?

Er war allerdings zugegeben froh, als er die erste Doppelwache seiner Krieger erblickte, die sich eilig verbeugten, ohne ihre Überraschung zu zeigen.

„Hotaru zu Izayoi-sama, rasch,“ befahl er. „Und du, Sesshoumaru-sama mit neuer Kleidung für mich in den Jade-Pavillon. Ah, du bist Takeru.“

Der junge Panther verneigte sich nochmals. „Und was soll mit der Leiche geschehen, oyakata-sama?“

Der Daiyoukai, der schon im Weitergehen begriffen war, blieb stehen und wandte den Kopf.

Takeru fürchtete zu vorlaut gewesen zu sein und verneigte sich lieber nochmals. Zwei Mal innerhalb keines Monats negativ aufzufallen war bestimmt nicht gut.

„Der Leiche,“ wiederholte der Taishou.

„Äh, nun ja, Izayoi-sama lebt und ist verletzt, Sie, oyakata-sama, leben und sind verletzt … Ich dachte, das sei eine logische Schlussfolgerung,“ gestand der junge Krieger.

Um den Mund des Fürsten zuckte etwas wie ein flüchtiges Lächeln. „Guter Junge. Hole Sesshoumaru.“

 
 

Montag Nacht

 <br>
 

Hotaru hastete in den Jade-Pavillon, so schnell sie ihre Pfoten trugen. Der Befehl, sie solle unverzüglich zu Izayoi-sama kommen, war nur noch durch den Hinweis des Kriegers – der Taishou käme wohl aus einem Kampf – getoppt worden. Was war denn nur passiert? Erst jetzt entsann sie sich einer fernen Youkiexplosion. Hatte es jemand gewagt die Fürstengemahlin zu entführen und der Herr hatte sie wieder zurückgeholt? In jedem Fall wäre tiefe Verschwiegenheit angesagt.

Als sie in das Schlafzimmer förmlich stürzte, erstarrte sie noch in der Tür. Ja, der Inu no Taishou kam aus einem Kampf. Der schwarze Geschäftsanzug zeigte mehr als nur Risse, Schweiß, rote Streifen aus getrockneter Flüssigkeit, über seine rechte Hand lief noch immer Blut. Sie verneigte sich eilig. Das Youki war sehr niedrig und für gewöhnlich würde sie sagen, wenn man so etwas über einen Dämonenfürsten aussprechen durfte, er wäre erschöpft. Aber ihr Befehl lautete an Izayoi, und deren Kimono sahen aus … Hotaru trat vorsichtig näher.

„Drachenfeuer,“ bestätigte der Hundefürst. „Ich habe nach Akiko geklingelt, sie sollte gleich kommen und dich unterstützen. - Hotaru ist da, meine Liebe.“ Er fasste erneut mit der Linken nach Izayois Hand, die er gehalten hatte, seit sie wieder aufgewacht war. „Alles wird gut.“ Aber ihm war bewusst, dass er log. Nein, das würde es nicht. Er entsann sich nur zu deutlich des verkohlten Fleisches von Youkai, die solche Angriffe getroffen hatten, und er nahm nicht an, dass es einem Menschen auch nur annähernd so relativ gut ergehen würde. Sie wäre gezeichnet für immer, selbst, wenn sie das hier überleben würde.

Die Katzenheilerin kramte bereits eilig in ihrer Tasche. „Ich bereite Ihnen einen Trank, Izayoi-sama, damit Sie einschlafen können. Es wird vermutlich sehr weh tun, wenn ich die Kimono von Ihren Verletzungen entferne, aber nur so kann ich sie versorgen.“

Izayoi nickte nur. Alles würde gut werden, natürlich. ER war ja da. Sie sah zu ihrem Ehemann, ignorierte dabei, dass die Heilerin in das Bad ging. „Er ist tot...?“ suchte sie noch einmal die Bestätigung.

Der Taishou sah die panische Angst in ihren Augen aufflackern und verstand den eigentlichen Sinn der Frage. „Ja. Er wird Ihnen nie wieder weh tun können. Sie sind leider ein wenig zu erschöpft, sonst würde ich Sie mit zur Beerdigung nehmen.“

Hotaru kam gerade zurück und wunderte sich ein wenig über den Dialog mit einer so Schwerverletzten. Noch dazu einem Menschen. Eine Youkai hätte den Scherz dahinter vielleicht verstanden. Aber sie erkannte, dass der Herr seine Gemahlin wohl besser einschätzte, als sie das schwache Lächeln sah, das prompt um den Mund der Menschenfrau huschte.

„Ich werde ihn einfach so in Erinnerung behalten, wie er lebend war,“ brachte Izayoi heiser heraus. „Das mindert die Trauer.“

Der Herr der Hunde gab das Lächeln zurück. „Sie sind eine sehr tapfere Frau, meine Liebe. Ich gehe mich umziehen und überlasse Sie Hotarus Fähigkeiten.“ Da sie sofort Halt suchend die Hand hob. „Nein, ich bin in Ihrem Wohnzimmer, keine Sorge. Sie sind heute Nacht nicht mehr allein. Und jetzt trinken Sie das Gebräu, das Hotaru Ihnen hinhält. Es wird scheußlich schmecken, das kann ich aus Erfahrung sagen, aber es wirkt.“

Die Heilerin hätte fast etwas Unziemliches gesagt, aber da Izayoi sie anblickte und mühsam den Kopf hob, stützte sie sie eilig. Dabei bemerkte sie durchaus aus den Augenwinkeln, dass der Gang des Fürsten ein wenig schwerfällig war. Ja, der war erschöpft und sicher auch verletzt. Was war nur geschehen? Aber sie durfte nicht fragen.

 

In Izayois Wohnzimmer zog sich der Inu no Taishou das Jackett aus und die Krawatte ab, ehe er vorsichtig sein blutverkrustetes Hemd abstreifte. Ja, das sah übel aus. Ryuutsubasa hatte seinen rechten Unterarm – oder Vorderlauf – angebrochen, einige Bisswunden am Oberkörper hinterlassen und die Krallen zeigen sich vermutlich überall. Das würde dauern, das zu heilen, zumal mit seinem niedrigen Youki.

Akiko kam hereingehastet, aufgeschreckt durch den Alarmruf in der Nacht. Sie zuckte zusammen, als sie den Herrn mit bloßem Oberkörper dastehen sah, erst recht zwei Mal, als sie seine Verletzungen erkannte.

„Geh zu Izayoi-sama,“ befahl er. „Hotaru ist da.“

Akiko gehorchte eilig, sicher, dass Nachfragen nicht erwünscht waren. Nur fünf Sekunden später rannte sie bereits wieder aus dem Schlafzimmer, aus dem Pavillon, um mit zwei Schüsseln und Tüchern zurückzukehren. Der Taishou hatte sich unterdessen auch die Schuhe und Strümpfe der modernen Kleidung ausgezogen und analysierte seinen körperlichen Zustand.

Er sah, dass ihm Akiko wortlos eine Schüssel mit Wasser und frischen Tüchern auf den kalten Tischofen stellte, ehe sie wieder im Schlafzimmer verschwand. Sicher ein Hinweis der Katzenheilerin. Ah, seine Hüfte. Ja, da hatte ihn dieser Mistkerl auch gebissen. Er zog sich weiter aus.

So fand Sesshoumaru, der nur zwei Minuten später in den Pavillon kam, seinen vollkommen unbekleideten Vater vor, der sich Verletzungen auswusch. Der Sohn erstarrte, das Bündel mit Kleidung unter dem Arm. Zunächst hatte es ihn, zugegeben, verärgert, dass er als Kammerdiener benötigt wurde, aber jetzt erkannte er den Sinn. In solch einem Zustand wollte sich Vater sicher nicht vor seinen Kriegern zeigen. So neigte er nur den Kopf. „Ich bringe Hakama und Haori, auch Schuhe, verehrter Vater.“

„Leg sie hierhin.“ Der Taishou drückte das Tuch erneut in dem bereits rötlichen Wasser aus. Sein rechter Arm und seine linke Hüfte hatten am meisten abbekommen. „Wo stecken Ryuukossusei und Naraku?“

Das war seine Anweisung gewesen, ja. So erwiderte Sesshoumaru nur: „Naraku befand sich heute den gesamten Tag in der Bank, bis circa gegen achtzehn Uhr. Dann speiste er mit zwei Mitgliedern des Aufsichtsrates in einem Lokal ...“ Er sah das Abwinken: „Und ist jetzt seit Stunden im Billionaire. Ryuukossusei hatte ab fünfzehn Uhr eine zwei Stunden dauernde Unterhaltung mit dem Innenminister, aß mit dem zu Abend und ist jetzt ebenfalls im Club. Sie haben beide offenbar sehr darauf geachtet nie allein zu sein. Darf ich meine Meinung dazu sagen, verehrter Vater?“

„Nun?“ Der Fürst zog sich, noch ein wenig mühsam, wenigstens über die untere Körperhälfte Bekleidung. Immerhin gab es da drüben drei Damen.

„Ein Mensch namens Holmes, so las ich einmal, sagte, nur ein Mann mit kriminellen Absichten bemüht sich um ein Alibi. Ich stimme dem tatsächlich zu.“

„Womit du recht hast. Ich denke, auch wenn sich Izayoi nicht so recht erinnern kann oder mag, dass es sich wirklich um ihren Bruder handelte. Sie sagt, die Stimme sei verzerrt gewesen, hastig, flüsternd. Vermutlich durchaus eine Täuschung, für den Fall, dass der Plan schief geht. Und Ryuukossusei wird in jedem Fall, gleich ob wahr oder nicht, behaupten, dass er nichts von dem Plan seines kleinen Bruders gewusst hat.“ Der Herr der Hunde streifte seine Haare zurück und ordnete sein Haarband, als ihm der Blick seines Welpen auffiel. Natürlich fragte man nicht seinen Fürsten ob und wie er verletzt sei, aber es freute ihn doch gewisse Besorgnis zu erkennen. „Es sieht schlimmer aus als es ist,“ beruhigte er daher. „Allerdings hatte mich der Dimensionstunnel von Yokohama her doch einiges Youki gekostet. Und, immerhin, Ryuutsubasa war schwächer als sein großer Bruder. Gegen den könnte ich mir das nicht leisten.“

„Ich vermute, Izayoi-sama ist auch dabei sich zu erholen. Ich sah Hotaru ...“

„Wir werden sehen.“

„Der Drache hat ihr nichts angetan.“ Schließlich hätte Vater sie sonst nie lebendig hergebracht.

„Er hat sie gefoltert, aber nicht vergewaltigt, nein. Ja, das wundert dich zurecht. Man sollte annehmen, dass er das vorziehen würde.“

„So waren Sie schnell genug.“ Deutlicher Stolz lag in der Stimme des Sohnes.

„Auch, aber in diesem Fall würde ich tatsächlich sagen, dass sich die junge Dame selbst gerettet hat.“

„Ein Mensch gegen einen Drachenprinzen?“

„Wenn ich das eines Tages verstehe, werde ich es dir erklären. Wobei mir einfällt, man sollte doch Ryuukossusei wenigstens ein bisschen ärgern. - Das ist das Handy seines Bruders. Und hier ist nur eine Nummer einprogrammiert.“ Der Taishou drückte die Tasten. „Guten Abend, mein geschätzter Ryuukossusei.“

Am anderen Ende herrschte für einen Moment Stille, ehe der Drache sagte: „Taishou? Das sind Sie doch? Was machen Sie mit dem Handy meines kleinen Bruders?“

„Sagen wir, er benötigt es momentan nicht.“

Der Taishou konnte nicht sehen, dass sich der Drachenherr allein mit Naraku in einem Salon befand, vorgeblich um Karten zu spielen. Jetzt richteten sich beide Männer auf, ehe Ryuukossusei knurrte: „Was soll das heißen?“

Der Daiyoukai blieb sachlich, sicher, dass dieses Gespräch aufgezeichnet wurde. „Ihr bedauernswerter, weil närrischer, Bruder hat sich unterstanden, meine Gemahlin und mich bei einem gemeinsamen, abendlichen, Spaziergang in meinem Schlosspark anzugreifen. Auf meinem eigenen Grund und Boden.“ Das würde die allgemeine Sprachregelung werden. Sesshoumaru hörte aufmerksam zu.

Ryuukossusei warf seinem ungeliebten Partner einen Blick zu. „Auf Ihrem eigenen Grund und Boden?“ Was zur Hölle hatte sich Brüderchen denn dabei gedacht? Das war sicher nicht gelogen. Zum Einen befand das Hundi für unter seiner Würde, zum Anderen – wenn die Beiden zusammengetroffen waren, konnte man deutliche Spuren erkennen. „Wie überaus töricht von ihm, in der Tat. Wie geht es ihm?“

„Er ließ sich auf einen Kampf mit mir ein und ist, präzise ausgedrückt, tot.“ Der Herr der Hunde hörte das scharfe Atemholen. Wenn es je eine Chance gegeben haben sollte das Kriegsbeil zwischen ihm selbst und Ryuukossusei zu begraben, so war sie gerade ins Nirwana entkommen. „Sie dürfen ihn gern abholen. Er liegt immerhin in meinem Vorgarten.“

„Wo?“ Der Drache musste sich zusammennehmen um nicht das Mobilphon in seiner Hand zu zerquetschen.

„Wenn Sie die Westautobahn geradeaus fahren, erreichen Sie das Naturschutzgebiet. Dort gibt es eine Ausfahrt zum Wanderparkplatz D. Ich fürchte, von dort aus können Sie bereits sehen, wo er liegt. Es gab doch gewisse Kollateralschäden. Oh, und wenn Sie einen guten Landschaftsgärtner nennen können, wäre ich Ihnen dankbar.“

Ryuukossusei legte wutentbrannt auf. „Dieser Misthund!“

„Ihr Bruder ist tot? Mein Beileid.“ Naraku lehnte sich zurück. „Aber, warum? Ich habe Izayoi zu ihm geschickt, der Taishou sollte noch immer in Yokohama herumsitzen ...“

„Sollte, hätte. Er war da, leider. Und es gelang ihm offenbar mein armes Brüderchen mit Ihrer Schwester noch auf seinem eigenen Grund und Boden zu stellen. Nichts ist es mit Skandal. Und er weiß, dass ich etwas weiß. Und Sie natürlich auch. Aber er kann es nicht beweisen und wird darum seine erbärmliche Schnauze halten.“

„Es sieht schlecht aus, in der Tat. - Kein Skandal? Immerhin war sie einige Zeit abwesend ...“

„Vergiss es, törichter Hanyou! Er sagt, er war gemeinsam mit ihr unterwegs, nur einen Moment abwesend – ihre Ehre und damit die seine ist gerettet. Wer will das Gegenteil beweisen? Überdies, und so gut kenne ich den Kerl, wenn mein armer Bruder Ihre Schwester tatsächlich vergewaltigt hätte, hätte unser ehrenhafter Hund sie eigenhändig erledigt. Sie lebt aber offenbar noch. Also, nix ist es. Und ich muss gehen. Ich habe eine Bestattung vorzunehmen.“

 

Der Herr der Hunde legte das Mobilphon ab, ehe er zu seinem Sohn blickte. „Er wird kommen. Du hast zugehört. Gehe mit genügend Kriegern dorthin, halte dich jedoch im Hintergrund. Und keinerlei Provokation. Unser Drachenfreund neigt zu spontanen und gewalttätigen Reaktionen. Und ich will heute Nacht kein Reptil mehr sehen, schon gar nicht auf meinem eigenen Grund und Boden.“

Sesshoumaru verneigte sich nur schweigend und ging.

Der Taishou nahm den Haori und streifte ihn sich locker über. Allein das schmerzte, aber es gab gute Gründe stets das Protokoll einzuhalten. Etwas erstaunt sah er, wie Akiko wieder aus dem Schlafzimmer hastete, offenbar an ihm vorbei wollte. „Nun?“ Das klang schärfer als geplant, aber er machte sich Sorgen – und war es seit Jahrhunderten nicht gewohnt ignoriert zu werden.

Die Menschenfrau verneigte sich eilig. „Die Heilerin sendet mich in die Apotheke, oyakata-sama.“

Immerhin glaubte Hotaru mit diesen Verletzungen selbst fertig zu werden. Izayoi musste wohl nicht in ein menschliches Krankenhaus. Er atmete auf. Vielleicht ging es ihr doch besser, und so konnte überdies Aufsehen doch verhindert werden. „Taro soll dich fahren.“

„Ja, oyakata-sama.“ Sie lief bereits wieder los.

Er ließ sich langsam vor dem Tischchen nieder. Hm. Diese Verletzungen, die Ryuutsubasa da gezeigt hatte – schwarz, verbrannt an der Schnauze. War das etwa Izayoi gewesen? Aber wie? Läuterung? Sie hatte bislang keinerlei Anzeichen gezeigt menschliche Magie zu beherrschen, ja, überhaupt nur eine Ahnung davon zu haben. Was also war geschehen? Sollte er die Aufzeichnung ansehen? Aber da wäre wohl auch mitanzusehen, wie der Drachenprinz sein Feuer auf seine Ehefrau gejagt hatte.

Feigling, dachte er dann. Wenn SIE das durchstehen konnte, und sie hatte das am eigenen Leib verspürt, würde er es doch wohl schaffen das mit an zusehen.

So griff er zu dem kleinen Telefon und drückte die Wiedergabetaste. Keine Minute später spürte er sein restliches Youki aufwallen, als er Ryuutsubasa hörbar höhnisch und sichtlich demonstrativ langsam auf Izayoi zugehen sah, hörte, wie der Drachenprinz etwas von amüsieren sagte – und sich SEINE Frau ängstlich an die Felswand drückte und noch immer ein „Nein“ herausbrachte. Und er presste in hilflosem Zorn die Zähne zusammen, als er sah, wie der Mistkerl sie in die Arme zog, bemüht deutlich für die Kamera seine Zunge über ihr Gesicht gleiten ließ.

Bei allen Sternen, die je diese Welt beschienen – er wollte diese missratene Echse noch einmal umbringen, und noch einmal!

Was war das jetzt?

Er stoppte, ließ die Szene noch einmal ablaufen. Ja, sie sagte etwas, ehe sie beide Hände auf das nur scheinbar menschliche Gesicht des Mannes vor ihr presste, der sie hastig losließ. Was hatte sie da nur getan? Sie war in Panik, vollkommen verängstigt – und verbrannte einem der mächtigsten Drachen Japans die Schnauze? War sie doch eine unentdeckte Priesterin? Es hatte schon immer magisch talentierte Familien gegeben, aber auch spontane Veränderungen dieser Fähigkeiten. Und, soweit er sich entsinnen konnte, waren die Fürsten Toko zwar eine alte Familie, aber eher von Kriegsherren und nicht gerade Magiern. Aber es konnte, ja, musste, sich um Läuterung gehandelt haben, nichts anderes würde es schaffen, dass eine Menschenfrau einen Drachen so schmerzhaft verletzen konnte. Eigenartig.

Hatte sie das nochmals versucht?

Nein. Sie hatte es wohl auch nicht vermocht. Mit gewissem Schuldbewusstsein und einem seltsamen, unbekannten, Schmerz in seinem Herzen erkannte er den erschreckten, hoffnungslosen, Ausdruck auf ihrem Gesicht, als sie begriff, dass und wie dieser Mistkerl sie töten wollte. Und doch gab sie nicht auf. Sie schrie unter dem Youkiangriff, wenn die Seide ihres Kimono in Flammen aufging, zusammenschmolz, sie taumelte, aber sie versuchte stehen zu bleiben, nicht aufzugeben, sich nicht vor dem Drachen zu demütigen.

Sich und ihn, begriff er plötzlich, als Izayoi zum wohl hundertsten Male in den vergangenen fünf Minuten zu der Kamera blickte, von der sie ja wusste, wo sie stand. Sie hatte ganz offensichtlich versucht IHM keine Schande zu machen. In einer Situation, in der sie weder Hoffnung noch Aussicht auf Sieg hatte, hatte sie daran gedacht, wie es um seine Ehre stehen würde …

Er presste die Fangzähne mit neuer Wut aufeinander. Wut auf sich selbst. Herr der Hunde, Fürst – und versagte jämmerlich. Er hatte sie weder vor der Angst noch vor den Schmerzen behüten können. Nun ja, er war gekommen, aber nur, weil sie ihn angerufen hatte. Nein, es half nichts. Er hatte Ryuutsubasa umgebracht, ehe der sie noch weiter misshandeln konnte, ja, aber das war auch nur ein gewisser Trost. Er hatte komplett versagt, als Fürst, als Ehemann, ja, als Person, die Izayoi ja so schätzte. Ein Wunder, dass sie mit ihm noch reden wollte. Obwohl, sie hatte momentan ja kaum die Möglichkeit gehabt sich dagegen zu wehren. Wenn sie sich erholt hatte, es ihr etwas besser ging, würde sie einsehen, dass der Mann, den sie liebte, ein jämmerlicher Nichtskönner war. Sie war loyal geblieben, hatte ihn informieren wollen, hatte ihm einen Brief geschrieben, hatte sich selbst eines ausgewachsenen Drachen erwehrt und ihre Tugend beschützt – und er hätte um ein Haar friedlich weiter in Yokohama einer langweiligen Rede zugehört.

Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass sich die Tür zum Schlafzimmer erneut geöffnet hatte. Die Katzenheilerin hatte sowohl den neuerlichen Anstieg des Youki als auch das zornige Gesicht erkannt und sich lieber noch auf der Schwelle niedergekniet, um abzuwarten ob und wann der Fürst für sie Zeit finden würde, eine Ansprache jedoch wohlweislich vermieden. Es hatte schon Zeiten gegeben, in denen einem bei derart törichtem Vorgehen der Kopf von den Schultern getrennt worden war. Und das war noch unter dem Vater des Taishou der Fall gewesen.

„Hotaru.“

„Ich bitte oyakata-sama mit mir zu kommen. Sie sollten sich das ansehen.“

Der Taishou zögerte unwillkürlich. Es war Izayoi, seine Frau, die er noch vor wenigen Nächten in den Armen gehalten hatte. Jetzt ihren verbrannten Körper zu sehen, das verkohlte Fleisch zu wittern … Er nahm sich zusammen. Die Katzenheilerin würde ihn nicht holen, wäre es nicht wichtig. Und, schließlich – er musste es ja nur ansehen. „Wird sie sterben?“ erkundigte er sich bemüht sachlich.

„Ich glaube nein, oyakata-sama.“ Hotaru erhob sich. „Darum, bitte, folgen Sie mir.“

Er hielt noch in der Tür instinktiv den Atem an, erkannte dann jedoch, dass sich nichts geändert hatte. Noch immer lag ein leichter Geruch von Lotus in der Luft – Izayoi verwendete solcherart parfümiertes Duschmittel, das ihr gut stand, aber seine Nase nicht malträtierte. Aber es roch nichts verkohlt.

Er trat an ihr Bett, warf nur einen Blick auf die zerstörten Seidenstoffe in der Ecke. Sie schlief, sicher noch unter dem Trank der Heilerin. Nur ein Seidentuch war über sie gebreitet worden. An ihrem Unterkiefer zeigte sich dunkelrot eine Prellung.

„Damit das gewöhnliche Bett nicht schmerzt,“ erklärte Hotaru auf den fragenden Blick. „Auch, wenn ich mir nicht sicher bin, weil … Ich bitte um Ihre Entscheidung, wie ich weiter vorgehen soll, wenn Akiko zurückkommmt. Geheimhaltung?“ Ohne weiter herumzureden, schlug sie die Decke beiseite. Immerhin war das der Ehemann ihrer Patientin.

Der Daiyoukai zögerte, dann sah er doch auf die Menschenfrau. In der nächsten Sekunde fuhr sein Kopf empor und er starrte auf die Heilerin.

Hotaru nickte etwas. „Deswegen sollten Sie das sehen.“

Wo er von Youkai schwarz verbranntes Fleisch kannte, aus dem gespenstisch weiß die Knochen leuchteten, war bei Izayoi die Haut angeschwollen, gerötet bis fast lila Tönen, schälte sich. Ja, es waren Verbrennungen, an manchen Stellen zu Blasen angeschwollen, aber … „Er wollte sie foltern, aber nicht töten. War es so niedrig dosiert?“

„Eigentlich unmöglich, oyakata-sama, wenn man bedenkt, dass die Spinnenseide schmorte. Überdies handelt es sich bei Drachenfeuer um Youki. Ich glaube auch, dass er Izayoi-sama nicht töten wollte, zumindest nicht sofort, aber es muss irgendeinen anderen Grund geben.“

„Wie schwer sind diese Verletzungen für einen Menschen?“

„Sie wird überleben, das wage ich zu sagen. Und ich denke, sie wird einige Narben behalten, aber keine … großflächigen.“

Ein Mensch gegen Drachenfeuer – und dann kaum Narben? „Wie ist das möglich?“

Hotaru neigte den Kopf. „Ich verstehe es nicht, oyakata-sama.“
 

Genki


 

D

er Inu no Taishou verließ das Schlafzimmer seiner Ehefrau mehr als nachdenklich. So erleichtert er war, dass sie nicht sterben musste, wohl nicht einmal verunstaltet worden war – was war nur passiert?

Langsam ließ er sich nieder, spürte dabei nur zu deutlich seine eigenen Verletzungen. Ja, was nur war geschehen? Waren Izayois unbekannte magische Fähigkeiten auch schuld … nun ja, das war das falsche Wort … aber hatten ihr Schutz gegen das Drachenfeuer gegeben? Die Tokos hatten nie … Gedankenfehler, dachte er plötzlich ärgerlich. Er musste müder sein als er schon angenommen hatte. Natürlich. Das kam nicht von der mütterlichen Seite, sondern von der des unbekannten Vaters. War der ein Priester gewesen, möglichst verheiratet, und Miharu hatte ihn schützen wollen, darum so stur seine Identität verschwiegen? Das hätte ein sehr mächtiger und berühmter Priester sein müssen, wenn er selbst aus Jahrhunderten Krieg mit Menschen und Drachen davon ausging, dass es garantiert nicht jedem Menschen gelang einen Drachenprinzen zu verletzen. Ryuutsubasa war schließlich kein Niemand gewesen. Nun ja, er selbst hatte zumindest noch nie davon gehört, dass das möglich sei.

Nächster Logikfehler.

Miharu Toko, eine hochgeborene Prinzessin aus gutem Haus, war sicher nicht im Stande gewesen irgendwann unbeaufsichtigt auf die Straße zu gehen oder sonst wohin. Da brauchte er nur an Izayoi und ihre Freundinnen denken. Ihre Mutter war vor fünfundzwanzig Jahren eher noch strenger beaufsichtigt worden und hatte, außer der Tatsache, dass sie in eine reine Mädchenschule und privat gegangen war, sicher nur mit ihrer Mutter das Haus verlassen. Jemanden, noch dazu männlich, kennen zu lernen, war fast unmöglich – außer bei den Veranstaltungen der vornehmen Gesellschaft, wo die Mädchen schon ab fünfzehn, sechzehn, mitgenommen wurden, um sie als potentielle Heiratskandidatinnen zu präsentieren. Genau.

Bei solch einem Fest musste Miharu Izayois Vater kennengelernt haben.

Daraus folgte, der stammte aus guter Familie und war wohlhabend – und er war alt oder zumindest respektheischend genug, dass die Fürstin Toko ihn mit ihrer Tochter allein irgendwohin im Ballsaal ließ. Umgedreht war dieser Mann wohl zumindest sehr nett zu der jungen Prinzessin gewesen, so dass sie, selbst als er sie folgenreich verführt hatte, noch immer seinen Namen verschwieg, statt ihren Vater zu bitten Unterhalt einzuklagen.

Natürlich. Mächtige Magie, ein Mann, verheiratet, von so hohem Ansehen, dass sich das Fürstenpaar eher geschmeichelt fühlte und auf seine Vermittlung bei einer Heirat ihrer Tochter hoffte – und den Fürst Toko selbst wohl nie als Vater seiner Enkelin in Betracht zog.

In jeder Familie kam es manchmal zu Rückschlägen auf die Ahnen.

Izayois so langes, auffälliges, Haar, ihre eigenartige Magie ...

Sie war nicht eigenartig. Sie war nur nicht menschlich.

Seit langen Jahren leitete stets einer der verschiedenen kaiserlichen Prinzen den Chrysanthemenball oder andere Veranstaltungen. Das war auch schon vor fünfundzwanzig Jahren so gewesen. Sie waren alle verheiratet und es hätte einen ziemlichen Skandal verursacht. Miharu wusste, warum sie schwieg. Und in den Adern der kaiserlichen Familie floss, wenngleich verdünnt durch endlose Generationen Menschen, noch immer das Blut von Jimmo Tenno, dem Urururenkel der Sonnengöttin Amaterasu. Keine menschliche Läuterung hatte Ryuutsubasas Schnauze so verbrannt, sondern ein Funken des Genki, der göttlichen Energie, Omikami Amaterasus. Kein Wunder, dass das solche Folgen gehabt hatte. Youki und Genki waren zwei entgegengesetzte Richtungen und konnten sich gegenseitig aufheben. Und dieser Funken Genki in Izayoi hatte auch ausgereicht das Drachenfeuer zumindest abzumildern.

Genki.

Anscheinend konnte sie es nicht immer abrufen, es erwachte unbewusst, wenn sie in Panik war, um sie zu schützen.

Was natürlich zu der Frage führte, warum er selber das nicht zu spüren bekommen hatte. In ihrer Hochzeitsnacht hatte sie ja wohl genug Angst vor ihm gehabt.

Ja, erkannte er dann, aber er hatte Izayoi nie gegen ihr Einverständnis auch nur an der Hand berührt. Er musste daran denken, was geschehen wäre, hätte er sich einfach gegen ihren Willen sein eheliches Recht genommen. Unwillkürlich zuckten seine Klauen zwischen seine Oberschenkel. Auweia. Abgesehen natürlich davon, dass er auch nicht unbedingt einer wutentbrannten Sonnengöttin, die sowieso nicht gerade viel von Youkai hielt, wegen der Vergewaltigung einer entfernten Verwandten gegenüberstehen wollte, und Nummer zehntausend oder so auf ihrer Liste der täglich erledigten Kleinigkeiten zu werden.

Es war in jeder Hinsicht gut gewesen sich auf Izayoi und den langsamen Weg einzulassen. Garantiert eine der besten Ideen seiner letzten Jahrhunderte, in jeder und aller Hinsicht.

 

Was zu etwas anderem führte: wenn Izayoi gesund werden würde – und Hotaru schien sich sicher zu sein – veränderte das die Lage bezüglich eines Kindes noch einmal fundamental. Sein Youki, da war er sicher, war zu groß für einen menschlichen Körper und er hatte geglaubt, das würde seine Ehefrau umbringen. Besaß sie selbst Genki, wenn auch nur einen Hauch, würde das sie schützen. Nur: brachte das dann das Kind um, oder war alles dann überhaupt kein Problem? Vermutlich hatte das noch nie jemand ausprobiert, immerhin waren Liebschaften zwischen Göttern und Youkai streng verboten. Da konnte ihm wohl auch kaum jemand Rat geben. Oder doch? Bei den Besprechungen der erweiterten Regierung ging es ja meist um Schwierigkeiten und anderes zwischen den Arten. Und es war eigentlich immer ein Mitglied der kaiserlichen Familie dabei. Natürlich, ohne Izayois Herkunft anzudeuten, aber da könnte man einmal nachfragen, zumindest, was die Wirkung von Genki auf menschliche Nachkommen betraf. Halbgötter hatte es in der langen Geschichte ja auch schon so einige gegeben. Vielleicht gab es eine Lösung, vielleicht wurde alles wieder gut.

 

Der Taishou blickte auf, als er bemerkte, dass sein Sohn eintrat. „Er war da?“

„Ja. Wie Sie wünschten hielten wir uns im Hintergrund, aber er wusste natürlich, dass wir da waren. Er nahm seinen Bruder nicht mit, sondern verbrannte ihn zu Asche.“

„Trauer nach Drachenart. - Und eine Ansage, dass er ihn rächen will.“ Er würde sich künftig gut in Acht nehmen müssen. Ryuukossusei war niemand, den man ignorieren sollte.

„Glauben Sie, verehrter Vater, dass er wusste, was sein Bruder vorhatte?“

„Ich vermute es, aber es könnte auch sein, dass sich Ryuutsubasa solcherart das Wohlwollen seines Bruders wieder erkaufen wollte. Immerhin hatte Ryuukossusei ihn auf die Vulkaninseln verbannt. Ich persönlich bin auch überzeugt, dass es wahrlich Naraku selbst war, der Izayoi anrief. Nur: freiwillig? Was hätte er davon? Also dürften ihn ein oder mehrere Drachen unter Druck gesetzt haben. Gleich. Es gibt keine Beweise. Ich werde diese Zwei künftig allerdings gut im Auge behalten.“ Er blickte zu Sesshoumaru auf. „Izayoi wird sich erholen. Der Grund, warum sie offenbar ohne größere Schäden Drachenfeuer überlebt und auch Ryuutsubasa überleben konnte, ist natürlich ausschließlich für deine Ohren bestimmt.“

Der junge Inuyoukai sah ihn ehrlich neugierig an.

„Irgendwo in ihrer Vorfahrenreihe liegt ein Gott. Sie besitzt, wenngleich nur einen Funken, Genki. Und so, wie sie mit Drachen und Feuer umgehen kann, tippe ich auf unsere hochgeschätzte Omikami.“

„Faszinierend,“erwiderte Sesshoumaru höflich, ahnungslos, was er dazu sagen sollte. In jedem Fall war sie nicht nur ein jämmerlicher Mensch, das war bewiesen. Und er durfte davon nichts Mutter erzählen! Nun ja, immerhin war es wohl gut gewesen, dass er höflich zu der Ehefrau seines Vaters geblieben war. Genki war noch einmal etwas anderes, vor allem, wenn die ehrwürdige Ahnin in dieser Liga spielte. „Weitere Befehle, verehrter Vater?“

„Ich werde morgen früh, als sei nichts geschehen, in das Büro fahren. Bis dahin übernimm du. Ich muss doch mein Youki etwas aufstocken.“

Das war ein Geständnis, das Vater nie einem anderen gegenüber gemacht hätte, erkannte Sesshoumaru stolz. „Es kam eine Nachfrage aus Yokohama. Ich werde mich natürlich an die Sprachregelung halten, dass Sie mit Ihrer Gemahlin nur spazieren gingen. Eine Erklärung diesem Veranstalter gegenüber?“

„Nicht notwendig, aber höflich. Bitte in meinem Namen um Entschuldigung, meine Gemahlin wünschte mich dringend zu sprechen. Lass dabei offen, welche.“

„Medienanfragen werden von Myouga nach Ihrer Sprachregelung bearbeitet.“

„Gut. Du darfst gehen.“

 

Alleingelassen dachte der Herr der Hunde erneut nach. Genki hin oder her – Izayoi würde Wochen brauchen um sich zu erholen. Dazu sollte sie zum einen Ruhe haben, und nicht unbedingt einen Kimono anziehen müssen, zum Anderen sollte auch niemand sonst ihre Verletzungen mitbekommen, um nicht die Sprachregelung zu gefährden. Zugleich sollte sichergestellt sein, dass der Ort, an dem sie weilte, sicher war, denn weder dem Herrn der Drachen noch ihrem so genannten Halbbruder war offensichtlich über den Weg zu trauen. Er musste gut nachdenken, denn der einzige Ort, der sowohl sicher als auch protokollgerecht wäre, war das Schwebende Schloss – und er hatte seine beiden Ehefrauen eigentlich auseinander halten wollen. Natürlich würde ein Befehl genügen, aber er hatte in den letzten wenigen Monaten einiges über Frauen gelernt.

War das wirklich sinnvoll? Er besaß auch andere Schlösser – nun ja, aber die waren weder mit elektrischem Licht noch Dusche versorgt und lagen ziemlich in den Einöden. Er sollte unbedingt eines davon renovieren lassen, schon, falls Izayoi einmal krank wurde oder sonstiges. Am Besten vielleicht das Zedernschloss. Und dahin dann auch Krieger abkommandieren, natürlich nur menschliche, da es ja auch einer Menschenfrau zur Verfügung stehen sollte. Wie hieß nur der eine Chauffeur, der militärische Ausbildung hatte und aus einer alten Familie stammte? Ahja, Takemaru Setsuna. Der könnte das dann doch machen. Er war intelligent und ein guter Organisator. Nun, zunächst die behutsame Modernisierung, wenn er sich recht entsann, stand das Zedernschloss unter Denkmalschutz, dann Setsuna damit beauftragen sich Leute zu suchen, die dort Wache gegen die immer wieder in diesen Wäldern lästig werdenden Wurmyoukai schieben konnten und wollten.

Dieser an sich gute Plan half nur nichts, wenn er Izayoi, sobald sie sich einigermaßen ankleiden konnte, von hier wegbringen wollte, schon um neugierige Reporter beider Arten von ihr fernzuhalten.

Zwei Ehefrauen waren schwieriger zu behandeln als eine, erkannte er. Vermutlich mit ein Grund, warum sich die Mehrehe überlebt hatte bei Menschen. Befehlen konnte er beiden, das war nicht die Sache, aber seine erste Ehe hatte er bereits in der ersten Nacht ziemlich ruiniert und Jahrhunderte benötigt Vertrauen wieder aufzubauen, die zweite mit sehr viel Mühe besser in die Bahn gebracht … Das wollte er keinesfalls aufs Spiel setzen. Verräter im eigenen Haus waren stets eine üble Sache – aber bislang waren beide Ehefrauen mehr als loyal zu ihm gestanden, auch das musste man berücksichtigen und irgendwie honorieren.

Was jetzt, Heerführer, dachte er zynisch. Lieber ein anstrengendes Schwerterduell als so etwas.

Aber womöglich war er einfach auch noch zu erschöpft. Er dachte stetig im Kreis. Er sollte sein Youki erholen und – ja, warum nicht. Morgen früh, ehe er in den Konzern fuhr, sollte er einen Boten in das Schwebende Schloss schicken und sich ankündigen. Formell, um sie um Rat zu fragen. Das war sicher nicht falsch. Gut. Jetzt sollte er Zugriff auf die Quelle seiner Energie, sein Youketsu, suchen und sich regenerieren.

 

Als der Herr der Hunde am nächsten Morgen im Konzern Myouga einen ausführlichen Bericht ablieferte, da er aus Erfahrung wusste, dass ein Berater nur dann auch guten Rat geben konnte, wenn er Bescheid wusste, sah er, dass der kleine Flohgeist gar nicht so viele Hände hatte, wie er über dem Kopf zusammenschlagen wollte. Natürlich wagte es dieser nicht tatsächlich, aber der Taishou kannte ihn seit Jahrhunderten.

„Es wird noch ein Nachspiel haben, dass sich Ryuutsubasa so unbemerkt nähern konnte,“ meinte er darum. „Und, was sagst du zu meinem Plan, Izayoi sicher und ruhig unterzubringen?“

Myouga brach der Schweiß aus, aber er verschränkte zwei seiner vier Arme. Er war nicht umsonst Berater eines Daiyoukai geworden, trotz seiner Feigheit bei Kämpfen, die ihm den Spott schon manches Kriegers eingetragen hatte – der selbst freilich nie den Mut aufgebracht hätte einem Fürsten die Wahrheit zu sagen. „Ich bin ehrlich erfreut, dass Izayoi-sama dieses Abenteuer doch relativ glimpflich hinter sich gebracht hat. Ihre Vermutung mit dem Genki, oyakata-sama, möchte ich nur bestätigen. Nichts anderes würde einen Drachen dieser Macht verletzen – außer ein Daiyoukai, selbstverständlich. Dennoch – wollen Sie das ihr mitteilen?“

„Nein. Sonst müsste ich ihr auch sagen, dass Onigumo gar nicht ihr Vater war. Das sollte in sehr engem Kreis bleiben. Und ich fürchte, die Wahrheit würde ihr nur wieder Schmerz zufügen.“

„Wollten Sie das der Dame im Schwebenden Schloss mitteilen?“

„Ich dachte, es wäre eine gute Möglichkeit. Immerhin schätzt sie Menschen gar nicht.“

Myouga rieb seine Stirn vergeblich um die Schweißperlen zu entfernen. „Ihr Plan, oyakata-sama, ist intelligent, eines Strategen würdig.“

„Aber?“

„Die Damen.“

„Izayoi kann sich in Ruhe und Sicherheit erholen, meine erste Gemahlin wird sich kaum meinem Willen widersetzen und mit dem Hinweis auf Genki auch kaum vermuten, dass ich ihr ein, wie sie es sieht, minderwertiges Wesen ins Haus bringe …“ Nun ja, er hatte ja selbst schon gedacht, dass es keine gute Idee wäre, aber wo lag der eigentliche Fehler?

Schön, wie erklärte man einem Daiyoukai, der einen mit einer Handbewegung umbringen konnte, dass er zwar ein genialer Kriegsführer war, in Punkto Frauen jedoch Amateur? Myouga beschloss, dass er eigentlich lange genug Erfahrung hatte, aber noch nie in derart heiklen Lagen befragt worden war. „Äh, ich bitte Sie zu bedenken, oyakata-sama, dass es Izayoi-sama vielleicht als Bestrafung empfinden könnte, als Verbannung.“ Da ihn der goldene Blick des Herrn der Hunde nur musterte, das Youki verborgen blieb, redete er tapfer weiter. „Sie selbst sagen, sie habe sich eines Drachenprinzen erwehrt – und dann wollen Sie sie aus Ihrer Nähe schicken, so, meine ich, könnte sie das empfinden.“

Hm. Das konnte sogar stimmen. Immerhin hatte sie auch seine Telefonnummer gewollt, sehnte sich nach ihm, ihm selbst. Ja, da hatte der Flohgeist wohl recht. So hatte er das noch gar nicht gesehen. Menschen waren doch deutlich emotionaler als Youkai. „Und meine erste Gemahlin?“

„Zunächst erlauben Sie mir bitte noch etwas zu Izayoi-sama zu sagen. Bedenken Sie ebenfalls, dass sie, obwohl in Ihrem Schloss ja durchaus auch Menschen leben und arbeiten, noch immer im Pavillon wohnt. Im Schwebenden Schloss gibt es nicht einmal einen einzigen Menschen.“ Puh, dachte der kleine Berater, das schien schon einmal zu sickern, denn der Daiyoukai schloss kurz die Augen. „Zur Herrin des Schwebenden Schlosses … ich meine, die Dame wird sich Ihrem Befehl nicht widersetzen, aber sie würde es, Genki hin oder her, sicher auch als Strafe empfinden. Izayoi-sama ist nun einmal ein Mensch. Und überdies, Damen sind da eigen, ihre Rivalin.“

Der Herr der Hunde zog unwillkürlich, wenn auch unnötigerweise, sein Haarband zurecht und streifte den Zopf über die Lehne des Bürosessels. „Kaum. Selbst wenn es Izayoi gelingen würde einen Sohn von mir zu bekommen, bliebe Sesshoumaru doch immer der vollblütige Erbe.“

„Äh, natürlich, Herr, natürlich. Aber womöglich um Ihre Gunst?“

So viele Haken in einem einfachen Plan? Der Taishou hätte fast geseufzt. „Und was hast du gegen das Zedernschloss einzuwenden, das natürlich erst einmal ein wenig modernisiert gehört, das wird Monate dauern.“

„Nein, ein netter Sommersitz, falls sich Izayoi-sama aus dem einen oder anderen Grund zurückziehen will vom Trubel. Überdies könnten auch Sie dort mit ihr Urlaub machen.“

„Das ist wahr.“ Ruhige Flitterwochen, oder wie man das nannte? Das klang hübsch. Natürlich erst, wenn sie sich wirklich erholt hatte und die Renovierung abgeschlossen war.

Da Myouga sah, dass er nicht Gefahr lief auch nur weggeschnippt zu werden, geschweige denn platt gedrückt, ergänzte er: „Und, soweit ich mich entsinne ist dieser Takemaru Setsuna ein fähiger Organisator, da haben Sie selbstverständlich recht. Außerdem ist er aus Familientradition auch im Kampf gegen Wurmyoukai ausgebildet. Als Schlossverwalter verdient er überdies mehr als als Chauffeur. Ich denke nicht, dass er sich weigern wird.“

„Schön. Ich habe mich heute Abend im Schwebenden Schloss angemeldet.“ Da der Konzernchef sah, dass sein kleiner Freund ihn misstrauisch beobachtete, lächelte er: „Ich werde mir einen Rat einholen, diesmal von einer Frau, mein Berater. Ansonsten werde ich wohl einmal wieder auf dich hören.“ Seine alten Freunde, Myouga, Bokuseno und Toutousai, die seit Jahrhunderten wahrlich seine Freunde waren, ihm auch Wahrheiten sagten, die er nicht unbedingt hören wollte – und wie oft hatten sie damit richtig gelegen, da musste er nur an Bokuseno und Izayoi denken. Er konnte sich glücklich schätzen sie zu haben. Eines Tages würde bestimmt auch Sesshoumaru lernen, wie wertvoll zumindest offenherzige Berater waren. Momentan glaubte der Welpe alles zu wissen – ein Fehler, der wohl allen jungen Youkai unterlief, ihn selbst eingeschlossen. Bis zu jenem Tag, an dem er zufällig einen kleinen Flohgeist traf und dem aus einer ihm damals unerklärlichen Stimmung das Leben vor einer Spinenndame rettete. Myouga hatte sich in der langen Zeit danach nicht nur als fähiger Berater, sondern als treuer Freund erwiesen – ein Glücksfall für einen Kriegsherrn, nun, eigentlich für jeden.

 

Als der Taishou abends seiner ersten Gemahlin in deren Schlafzimmer gegenüber kniete, berichtete er ebenso wahrheitsgemäß von der Entführung, den so seltsam abgemilderten Verbrennungen und seinem Verdacht auf Genki. Er schloss: „Izayoi wird selbst so gewiss Wochen benötigen um sich zu erholen und viel Ruhe in dieser Zeit. Hotaru wird sich um sie kümmern, immerhin muss kein menschliches Krankenhaus eingeschaltet werden.“

Die Dame senkte den Kopf. „Ich werde Ihrem Befehl gehorchen.“

Oh, dachte der Taishou. Myouga hatte wahrlich recht. Ein Glück, dass er nicht mit der Tür ins Haus gefallen war. „Natürlich werden Sie das, Teuerste – nur, habe ich überhaupt einen geäußert?“

Jetzt sah sie ihn doch wieder an. „Verzeihen Sie, oyakata-sama.“ Es war äußerst unhöflich und mehr als ungeschickt einem Fürsten vorzugreifen. Ihr Vater hatte Youkai für so etwas tagelang kopfüber in Bäumen aufhängen lassen.

„Ich sagte, ich käme um einen Rat. Und den möchte ich von Ihnen. Ich beabsichtige das Zedernschloss renovieren zu lassen, um Izayoi dort eine Rückzugsmöglichkeit zu geben. Das wird allerdings Monate dauern. Sie sind eine Frau, meine Frau. Wie kann ich die Erholung beschleunigen, wenn Izayoi im Pavillon ist – unter Wahrung der Geheimhaltung, natürlich.“

Ein gewisses Aufblitzen in ihren Augen verriet ihre Erleichterung, aber sie strich nur nachdenklich über ihre weiße Boa. „Ich entnahm Ihrem Bericht, dass die menschliche Familie nicht in Betracht kommt.“

„Ja. Niemand soll von ihren Verletzungen erfahren.“

„Die Menschenfr... Ihre Gemahlin lebt gewöhnlich mit ihren zwei Damen im Pavillon und erledigt von dort aus auch die anfallende Post. Kaum jemand besucht sie.“

„Sie hat Freundinnen, mit denen sie allerdings mehr telefoniert. Worauf wollen Sie hinaus?“

„So wird es doch auch kaum auffallen, wenn sie gar nicht hinausgeht. Diese Telefone und sonstigen Dinge, die Menschen benötigen, funktionieren doch nur nach dem Gehör. Wenn es ihr etwas besser geht, soll sie wieder wie gewöhnlich arbeiten und telefonieren – so kann sie sich jederzeit zurückziehen, wenn ihr danach ist, und durchaus auch nachlässiger gekleidet sein.“

„Reporteranfragen oder ähnliches?“

„Oh … Dann benötigt sie eben etwas Ruhe.“ Um den Mund der Inuyoukai glitt ein fast zartes Lächeln. „Das sollte genügen, zumal wenn ihre Zofe in einem Geschäft, oder wie das heißt, für Kindermoden gesehen wird. Ich entsinne mich, dass die Gerüchte um meine Schwangerschaft durchaus Aufsehen erregten, nur, weil meine Hofdame jede Menge Seidentücher besorgte.“

„Eine sehr interessante Idee, Teuerste. Und es sind nur Gerüchte, also kann es auch später als solches deklariert werden.“

Die Hundedame, die nie an seinen Fähigkeiten gezweifelt hätte, legte ein wenig den Kopf schief. „Glauben Sie, dass es wegen des Genki unmöglich wäre? Davon weiß niemand.“

„Ich glaube, eben wegen des Genki ist es möglich, aber ich muss dazu noch jemanden befragen. Und natürlich Izayoi sich erholen. Drachenfeuer ist nicht ohne. - Danke für Ihren Rat. Ich freue mich, dass ich mich stets auf Sie verlassen kann.“ Er erhob sich.

„Danke für das Lob, mein Gebieter.“ Als er ging, sah sie ihm nach, diesmal ein wenig zwiegespalten. So froh sie war, dass er nicht sein eheliches Recht wollte, sich an sein Wort hielt – irgendwie störte es sie, dass er so besorgt um dieses Menschenetwas war. Nun ja. Diese jämmerlichen Wesen benötigten auch Fürsorge. Überdies – wenn da ein Funken der Sonnengöttin drinsteckte, war es auch nur ratsam, sogar für einen Daiyoukai.
 

Dienstag


 

A

ls der Inu no Taishou bereits spät am Abend in sein Schloss zurückkehrte, wandte er seine Schritte doch zunächst zum Jade-Pavillon. Er musste wissen, wie es Izayoi ging, ob die Verbrennungen wirklich so relativ harmlos waren, wie sie Hotaru einschätzte. Sie war zwar eine anerkannte Katzenheilerin, behandelte auch die anderen Menschen hier im Schloss, aber er wagte zu bezweifeln, dass sie sich Menschen und Drachenfeuer in einem Fall schon einmal gegenüber gesehen hatte. Im Wohnzimmer erkannte er Misako, die dort saß. Offenkundig hatte sie Akiko abgelöst, die wohl auch einmal schlafen musste.

Er blieb stehen. „Deine Verletzungen heilen?“

Die alte Zofe war es nicht gewohnt von ihrem Dienstherrn angesprochen zu werden und vergaß fast die Verneigung. „Ja, vielen Dank, oyakata-sama. Es schmerzt nur noch wenig. - Izayoi-sama wird schlafen.“

„Ist Hotaru noch bei ihr?“

„Fast rund um die Uhr, ja, oyakata-sama.“

„Hat meine Gemahlin schon etwas getrunken?“

„Ja, wenngleich nichts gegessen. Genaueres wird Ihnen sicher die Heilerin sagen können, aber das Fieber scheint zu sinken.“

Immerhin etwas. Er ging weiter und schob leise die Tür zum Schlafzimmer beiseite. Hotaru, die das sich nähernde Youki wahrgenommen hatte, verneigte sich nur. Sie saß neben dem Bett ihrer Patientin. Izayoi schlief.

„Wie geht es ihr?“ erkundigte sich der Herr der Hunde.

„Es hat sich stabilisiert. Diese menschlichen Salben und Sprays gegen Verbrennungen scheinen sehr effektiv zu helfen. Ich hoffe, Izayoi-sama wird sich bald erholen und die Verbrennungen heilen.“ Sie hob etwas den Kopf. „Darf ich eine Bemerkung dazu machen, oyakata-sama?“

„Nun?“

„Sie ist eine Kämpferin. Wenn sie Ihnen einen Sohn zur Welt bringen wird, wird er das sicher auch ... auch von ihrer Seite, meine ich,“ korrigierte sie sich gerade noch, da ihr auffiel, dass sie ansonsten den Anteil des Daiyoukai unterschlagen würde. Dämonenfürsten zu ignorieren war etwas für Lemmingsyoukai. Allein die Gemahlin des Taishou neigte bei so etwas schon dazu die Schuldige stundenlang mit eisigem Wasser übergießen zu lassen. Natürlich im Winter.

„Kann sie wieder sprechen?“

„Ja. Die Stimmbänder sind noch überanstrengt, aber morgen sollte das überwunden sein.“

Der Taishou bemerkte, dass seine Ehefrau aufgewacht war und ihn anblickte. Mit drei Schritten stand er neben ihr. „Guten Abend, meine Liebe.“ Sie lächelte ihn an, obwohl er doch dermaßen versagt hatte. „Wie fühlen Sie sich?“

„Besser, als ich sollte,“ Ihre Stimme klang noch immer heiser. „Aber Hotaru meint, es wird schon. Und es bleiben nur wenig Narben.“

„Ich habe übrigens beschlossen eines meiner Schlösser, das so genannte Zedernschloss, modernisieren zu lassen. Dorthin können Sie sich zurückziehen ...“ Er erkannte ihren jäh vollkommen entsetzten Ausdruck. Verdammt, Myouga hatte recht. So erläuterte er eilig: „Falls Ihnen die Stadt aus irgendeinem Grund zu hektisch werden sollte – oder wir zwei einmal eine Woche nur für uns haben wollen. Nach all der Aufregung haben Sie sich Urlaub verdient. Und ich hoffe Sie nehmen mich mit.“ Er lächelte, als er sah, wie sie aufatmete. Tatsächlich hatte sie offenbar befürchtet, er wolle sie abschieben. Myouga hatte wirklich recht. Ein Floh und eine Magnolie als Eheberater! Er sollte in Punkto Frauen wahrlich noch eine Menge dazu lernen. Aber, seit frühester Jugend umschwärmt und begehrt, hatte er sich immer nur nehmen müssen, was ihm angeboten wurde. Damit war er dann allerdings ja schon bei seiner ersten Ehe glorreich gescheitert – und, die zweite wäre ebenso verhängnisvoll verlaufen, hätte er nicht aus der ersten gelernt. Und auch da war heute Myougas Rat Gold wert gewesen. Woher wussten das diese ewigen Junggesellen eigentlich? Fehlte nur noch, dass ihm Toutousai einen Tipp zur Hanyouerziehung brachte. Sachlich fuhr er fort: „Das Schloss steht unter Denkmalschutz, es wird also einige Monate dauern, bis es bezugsfertig wird, wenn Sie mir das nachsehen. Die Schlossverwaltung soll Takemaru Setsuna übernehmen, ich glaube, Sie haben ihn bereits kennengelernt. Er ist aus alter Samuraifamilie und kennt die Aufgabe.“

Izayoi nickte. Reden war noch immer sehr schwierig. Hotaru hatte jedoch gemeint, sie habe sich nur die Stimmbänder überanstrengt und das wäre rasch wieder abgeklungen, wenn sie möglichst wenig sprechen würde.

Er berührte behutsam die Prellung an ihrem Kiefer. „Ich kann mir vorstellen, dass das Reden und Essen noch schmerzt, aber zumindest zu letzterem sollten Sie greifen. Nicht, dass Sie noch Ihre hübsche Figur verlieren. - Gute Nacht, meine Liebe. Schlafen Sie und erholen Sie sich. Morgen Abend werde ich wieder nach Ihnen sehen.“

Als er ging, überlegte er sich, ob es nicht sinnvoll wäre, nach seinen Patzern Sesshoumaru an die Weiblichkeit heranzuführen. Ja, genau. Ein kleines Fest, wenn sich Izayoi erholt hatte, formal um sie als Hausherrin vorzustellen. Dann würden auch alle eingeladenen Youkai ihre Töchter - nicht ohne Hintergedanken – mitbringen. Aber sein Sohn würde auch einmal jemand anderen als Krieger kennen lernen. Er zeigte zwar noch keinerlei Interesse an Mädchen, aber das kam sicher noch. Er war ja doch noch recht jung.

 

Naraku erhielt an diesem Abend keinen Besuch, der ihn erfreute, aber er zwang sich lächelnd zu verneigen. „Werter Shishinki, welche Überraschung.“ Wie war der Daiyoukai bloß in sein Arbeitszimmer gekommen? Er hatte, verdammt, nicht die geringste Annäherung bemerkt. Das Warum freilich war keine Frage. Über die Saimyosho hatte dieser sicher von dem missglückten Drachenangriff auf Izayoi gehört.

Der Maskierte setzte sich nachlässig auf den Besucherstuhl. „Eine Überraschung?“

„Nun, ich gestehe, eher weniger. Ich vermute, Sie sind über die Dinge im Schloss des Hundes ebenso gut informiert wie dieser selbst.“

„Dann werden Sie mir gewiss erläutern können, was da los war. Sie sagten, Sie wollten mir mein Eigentum unter der unwesentlichen Mithilfe eines Drachen wieder beschaffen. Ich vermute, dieser hat gepatzt?“

„Das kann man wohl sagen.“ Schön, wenn der Daiyoukai auf die Reptilien wütend war und nicht auf ihn. „Er hatte den schlichten Auftrag die Gemahlin des Taishou zu entführen und zu entehren. Anscheinend kann man selbst dabei Fehler begehen.“

„Und zum Beispiel dem Herrn der Hunde vor das Gebiss laufen, ja. Wobei ich vermute, der hätte gar nicht da sein sollen. Ahja. - Nun, Ihr weiterer Plan sieht keine Drachen vor.“

„Nein. Nur einen Menschen. Aber ich hoffe, mit besserem Erfolg.“

„Das hoffe ich auch, für Sie, lieber Naraku.“

Der Hanyou spürte kurz das Youki aufflackern und verstand das zurecht als gewisse Drohung. So lächelte er verbindlich. „Ich mag Fehler machen, werter Shishinki, manchmal auch in der Auswahl meiner Verbündeten, aber diesmal wird es funktionieren. Es ist nur ein Mensch, manipulierbar. Und er wird bis zum Ende nicht einmal wissen, dass er manipuliert wurde oder gar im Auftrag handelt. So kann er, falls dennoch etwas schief gehen sollte, auch nichts plaudern. Bei den Drachen musste ich mit der Sprache heraus. Ich weiß nicht, ob Sie bereits das Vergnügen hatten Ryuukossusei kennen zu lernen ...“

Der maskierte Daiyoukai hob die Hand. „Ja, Drachen. Ich hegte sowieso gewisse Zweifel an der Zuverlässigkeit. Sie sind impulsiv. Und der gute Taishou wird jetzt ein wachsames Auge auf sie haben. Umso besser. Dann achtet er nicht mehr auf die Menschen in seiner Nähe. - Wie geht es Ihrer Schwester?“ Das klang fast interessiert.

„Ihre Hofdame sagte mir am Telefon, dass sie einen Schock erlitten hat und sich erholen solle. Der Taishou hat für drei Tage striktes Telefon- und Besuchsverbot verhängt.“

Shishinki blickte mit fast menschlicher Neugier sein Gegenüber an. „Sie kennen Menschen besser – Schock? Oder wurde sie verletzt? Hat der Drache doch seinen Auftrag erfüllt?“

Naraku brauchte nicht nachzudenken. Er mochte Ryuukossusei nicht wirklich, aber dieser kannte den Taishou seit Jahrhunderten, also würde der mit seiner Einschätzung richtig liegen. „Nein, da bin ich sicher. Izayoi wäre nicht mehr am Leben, wenn Ryuutsubasa das getan hätte, was er sollte. Der Taishou ist gnadenlos, wenn es um seine Ehre geht. Schock – sicher. Sie ist sehr behütet erzogen worden und einem Kampf zwischen einem Drachen und dem eigenen Ehemann in Hundeform zusehen zu müssen hat sie garantiert erschreckt. Deswegen auch drei Tage Pause. Die Verletzungen, so sie überhaupt welche hat, können nicht schwer sein, denn so was heilt nicht in drei Tagen. Ich vermute tatsächlich Schrecken. Menschen sind nun einmal schwächliche Geschöpfe, werter Shishinki.“

„Und falls auch dieser, Ihr zweiter, Plan missglückt?“

„Dann muss ich erneut nachdenken.“ Naraku hielt es für besser seinem doch recht unheimlichen Verbündeten nichts davon zu sagen, dass er begonnen hatte die Firmen, die er geerbt hatte, umzubauen, die neue Kette mit allen finanziellen Verpflichtungen aufzulösen, die alte Kette stückweise zu verkaufen, ein besseres Angebot als sein Schwager es vorgelegt hatte, vorausgesetzt, oder, wenn möglich in die Bank zu überführen. Er würde daraus eine Stiftung machen, wo das Geld unangetastet von Staat oder Youkai liegen konnte. In dem Fall, in dem er für fünfzig Jahre von der Bildfläche verschwinden sollte, hatte er dann dort noch immer eine Geldquelle, erst recht, wenn er wieder auftauchen konnte. Vorsicht war in seinen Augen stets der bessere Teil der Tapferkeit.

„Nun ja. Wann wollen Sie den Plan mit dem Menschen und Izayoi durchziehen?“

„Sobald ich mit meiner Schwester reden konnte, kann ich dazu genaues sagen. Augenblicklich wäre alles nur Vermutung. Damit möchte ich Sie nicht belästigen.“

Shishinki schloss kurz die Augen. Er wartete seit Jahrzehnten, Jahrhunderten, da machte ein Jahr mehr oder weniger nichts aus. Wichtig war nur, dass er Tenseiga erhielt – und den Meidou-Stein. „Schön. Ich werde Sie in einer Woche wieder aufsuchen. Falls Sie bis dahin keinen Termin nennen können, habe ich anderes zu tun. Ich werde Ihnen in diesem Fall einige Saimyosho zur eigenen Verfügung lassen.“ Und sich selbst zurückziehen. Irgendwann würde sogar der Herr der Hunde einen strategischen Fehler begehen und er bekäme seine Chance. Sich Ryuukossusei durch die Ermordung seines Bruders zum Todfeind zu machen war bestimmt schon nicht taktisch klug gewesen. Aber zugegeben, der Taishou hatte kaum eine Wahl gehabt als auf den jungen Drachen loszugehen, um seine Ehefrau und damit seine Ehre zu verteidigen. Der war ein Narr gewesen. Drache, eben. Nun ja. Sollte dieser Hanyou noch einmal sein Glück versuchen. Wenn das auch nicht funktionierte, würde er sich eben wieder zurückziehen und einige Jahrzehnte abwarten. Im günstigsten Fall war der Taishou bis dahin durch Ryuukossusei erledigt und diesem Sesshoumaru konnte man Tenseiga sicher einfach wieder abnehmen. Der war noch kein Daiyoukai und würde es auch einstweilen kaum werden. „Schön, Naraku. Ich erwarte Ihre Planung – und natürlich eine Erfolgsmeldung.“

„Ja. Allerdings – es mag Monate dauern.“

„Auch, wenn Sie nur ein Hanyou sind – auch Sie haben Zeit. Ich noch viel mehr.“

Der junge Bankier hütete sich seine Erleichterung zu zeigen, als sein Besucher aufstand und den Raum verließ, nicht, ohne mit einer Handbewegung seine Hölleninsekten wieder zu sich zu rufen. Reizend, dachte Naraku. Aber schön, diese Saimyosho waren wirklich nützlich. Nun gut, jetzt musste er sich mal vertrauensvoll an diesen Takemaru Setsuna wenden und den fragen, so als besorgter Bruder, wie es Izayoi denn gehe und warum er keine Informationen erhalte. Dabei könnte man auch fallen lassen, dass sie wohl von ihrem Mann kaum richtig beschützt würde, wenn da schon Drachen durch den Vorgarten liefen. Ja, genau. Ein wenig Zweifel säen. Mehr brauchte es einstweilen nicht, um diesen ach so treuen Chauffeur nicht misstrauisch zu machen. Nur besorgter Bruder, mehr nicht. Der Rest würde sich dann schon von allein ergeben. Wo hatte er nur die Telefonnummer von dem Kerl? Dann sollte er ihm mal eine kurze Nachricht schicken. „Ich hörte von dem Drachenzwischenfall und bin überaus besorgt, da meine Schwester drei Tage weder telefonieren noch Besuch empfangen darf. Wissen Sie, wie es ihr geht?“ Das klang doch harmlos genug, hoffte Naraku. Wenn der Gute anbiss konnte man im Gespräch ja die Zweifel anbringen. Menschen waren einfacher zu manipulieren als Daiyoukai oder Drachen. Und sicher nicht so gefährlich.

 

Um acht Uhr Abends saß Naraku im Schneetreiben an einer recht einsamen Bushaltestelle im Norden Tokyos. Nicht ganz freiwillig, jedoch begeistert. Seine Kurznachricht hatte fast unverzüglich Folgen gezeigt und Takemaru Setsuna ihn hier zu einem Treffen eingeladen. Natürlich bestand immer noch ein gewisses Risiko, dass der seinen Arbeitgeber informiert hatte, aber so sehr der Hanyou auch spürte, er konnte nirgends um sich Youki feststellen.

Er sah auf, als ein Auto stoppte. „Steigen Sie schon ein,“ sagte der Chauffeur, die Scheibe runterlassend.

Nun gut. Immerhin konnte er auf gewisse körperliche Überlegenheit vertrauen, dachte Naraku, als er sich auf die Beifahrerseite setzte. „So konspirativ,“ fragte er jedoch, getreu seiner Rolle. „Also ist etwas mit Izayoi?“ Er hoffte besorgt und atemlos zu wirken.

„Nein. Ich bin nur auf dem Heimweg. - Sie wissen natürlich, dass da ein Drache war, und dass oyakata-sama ihn tötete, da er ihn und seine Gemahlin angriff.“ Takemaru fuhr an.

„Das kam ja in allen Nachrichten. Übrigens auch, dass Ryuukossusei alles andere als begeistert darüber ist. Allerdings kann er sich wohl das törichte Verhalten seines Bruders nicht erklären. Also, Takemaru, spannen Sie mich nicht auf die Folter. Wie geht es ihr?“

„Gut, soweit ich sagen kann. Essen, also Frühstück, Mittag, Abend, wurde regelmäßig in den Pavillon gebracht. Ja, sie geht nicht aus und Telefon ist wohl auch abgehängt, aber, um Sie zu beruhigen: ich habe mit ihrer Hofdame gesprochen. Akiko ist sich sicher, dass die Fürstengemahlin bereits wieder morgen arbeiten kann und wird. Sie meinte nur, es sei nicht jedermenschs Sache einen gigantischen Drachen vor sich zu haben.“

„Der einen noch dazu wohl fressen will, ja.“ Naraku klang nachdenklich, um seinen Plan umzusetzen. „Konnten Sie vielleicht auch in Erfahrung bringen, warum der Drache überhaupt im Park des Taishou war? Ich meine, man sollte annehmen, dass allein die mächtige Ausstrahlung eines Daiyoukai abschreckend wirkt. Entweder der Drache war wirklich ein Narr oder der Taishou wird schwächer.“

Takemaru zuckte etwas die Schultern, als er seinen Wagen um eine Ecke lenkte. „Ich weiß nur, dass der Taishou gestern Abend noch Musterung mit den Youkaikriegern hielt – und die monatelang Straftraining haben, inklusive Tetsuya, das ist ihr Befehlshaber. Immerhin hat der Drache wohl auch zwei von denen getötet und konnte sich dadurch anschleichen.“

Straftraining. Dieser schlaue alte Hund hielt sich an seine Nicht-ganz-Lüge, um seine Ehre und auch Izayoi zu schützen. In der Tat. Wer gegen den Taishou in den Ring stieg sollte lernen rechtzeitig abzuducken. Oder einen Sündenbock präsentieren können. Ryuukossusei bot sich momentan dafür gerade immerhin als Ablenkung an. Der Herr der Hunde würde den der Drachen kaum aus den Augen lassen. Und der eigentliche Schlag würde von dem netten jungen Mann neben ihm kommen. So blickte Naraku seitwärts. „Sie glauben also ihr ist nichts geschehen. Nun, immerhin. Ich werde es dann morgen noch einmal versuchen. Aber, Sie verstehen meine Besorgnis. Sie ist da doch allein mit einem Daiyoukai, und, nein, die Dienerinnen zählen nicht. Ein Wink und sie gehen. Und dann auch noch ein Drachenangriff ...“

„Nun, der Drache kam wohl kaum zum Angriff. Sie sollten sich von der Autobahn aus mal den Kampfplatz ansehen. Da merkt man, was für Energien in diesen Wesen steckt. Übrigens erhielt ich heute einen Auftrag des Taishou in Bezug auf Ihre Schwester. Das brachte mich zu dieser Autofahrt, um Sie zu beruhigen.“ Und diese Gespräche sein zu lassen. Es widerstrebte seiner Ehre über seinen Herrn zu plaudern. Aber er hatte Izayoi als reizende Frau kennengelernt und konnte verstehen, dass sich der Bruder Sorgen machte. Jedoch sollte das aufhören, er den Kontakt zu dem unterbrechen. Der Taishou vertraute ihm, das durfte er nicht enttäuschen. Und allein die Vorstellung, dass diese junge Frau seinem Schutz anheimgegeben wurde, nicht dem von Youkai, hatte ihm doch sehr geschmeichelt.

„Und?“ drängte Naraku.

„Er lässt das Zedernschloss renovieren. Es liegt in den nördlichen Wäldern, abseits von allen Menschen. Ich soll dort die Schlossverwaltung übernehmen. Und er möchte es Ihrer Schwester schenken.“

„Oh, so wie schon seine erste Frau? Nach einer höflichen Zeit ab in die Pampa mit der Gemahlin? Da würde ich doch zusehen, dass ich Izayois Scheidung durchsetzen kann ….“ Und natürlich gebührenden Schadenersatz für sie herausschlagen, den er selbst dann seiner dummen, kleinen, Schwester hilfsbereit verwalten würde.

„Soweit ich weiß ist das besagte Schloss in der Pampa der Geburtsort der Dame und ihr Erbe. - Nein, er sagte, und jetzt hören Sie gut zu, Naraku: sie solle sich dahin zurückziehen können, wenn sie der Ruhe bedürfe. Oder sie beide von Tokyo genug hätten. Dazu, das weiß ich zufällig, weil ich sie fuhr, war Misako, Izayoi-samas Zofe, in einem Einkaufszentrum und interessierte sich auffällig für Kinderwägen. Sie nahm Prospekte mit. Und sie ist an die Sechzig und unverheiratet.“

„Oh.“ Naraku war in seinen heimlichen Wünschen gerade mehr als verletzt. Das würde natürlich auch erklären, warum der Taishou so übermäßig besorgt war und erst einmal diese Kontaktsperre verhängt hatte. Hatte Ryuutsubasa etwa mitbekommen, dass sie schwanger war und darum mit der Vergewaltigung gezögert? Solange, bis es zu spät war? Sensibilität gehörte zwar eigentlich nicht zu den Wörtern, die er im Zusammenhang mit einem Drachen verwenden würde, aber … Ja, aber. Bei Drachen und Youkai war Nachwuchs etwas Besonderes, da sehr Seltenes. War das der wahre Grund für diesen absoluten Fehler Ryuutsubasas gewesen? Konnte denn nie etwas glatt gehen? Dann konnte er auch Ansprüche Izayois wegen Nichtvollzug der Ehe definitiv knicken. Nun gut, damit hatte seine so genannte Schwester jeden praktischen Nutzen für ihn verloren und er sollte das mit Takemaru irgendwie durchziehen „Das freut mich jetzt doch,“ lächelte er. „Onkel. Das habe ich mir kaum vorstellen können.“

„Dabei sind Sie doch selbst ein Hanyou.“

„Meine Mutter war keine Daiyoukai. Das ist doch noch einmal etwas anderes. Hoffentlich geht das gut.“

„Wir werden sehen.“ Takemaru stoppte an einer U-Bahn- Haltestelle. „So. Das war es. Von hier aus können Sie sicher zurückfahren.“

Der junge Bankier war solches Benehmen wahrlich nicht gewohnt, aber er wollte seinen Informanten bei Laune halten. So stieg er aus, während er meinte: „Wie Sie wollen. Vielen Dank jedenfalls, ich fühle mich doch deutlich beruhigter.“

„Oh. Und ich habe Ihre Nummer auf meine schwarze Liste gesetzt. Sparen Sie es sich noch einmal anzurufen.“ Takemaru wartete nicht auf Antwort, sondern neigte sich hinüber und zog die Beifahrertür zu. Er war angefahren, noch ehe der Hanyou sein aufgewalltes Youki beruhigt hatte.

 
 

Gefolgsleute

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Der Herr der Hunde ahnte eigentlich nichts Böses, als sich Kiyoshi bei ihm melden ließ. Dieser war ja immerhin der Finanzchef seiner Holding und besuchte ihn ab und an in seinem Büro. Überdies hatte der sich ja um die Finanzen kümmern sollen. Hatten Ryuukossusei oder Naraku noch etwas ausgeheckt? Misstrauisch wurde er erst, als er entdecken musste, dass sich neben dem Daiyoukai der Fuchsdämonen ein weiterer eingefunden hatte. Nanami war eine Pantherdämonin, eine der wenigen weiblichen Daiyoukai – und sie wurde eigentlich immer von den ranghohen Herren vorgeschickt, wenn es um die Macht über alle Youkai ging, in der doch etwas naiven Hoffnung er selbst würde bei einer Frau zögern sie zu töten. Das gab Ärger.

Aber er blieb äußerlich ruhig, hielt auch sein Youki verborgen, und deutete nur höflich vor sich. Natürlich hatten die Nachrichten auch die Youkai erreicht und vermutlich wollten sie nur wissen, was da geschehen war. „Kiyoshi, meine liebe Nanami, bitte, nehmen Sie Platz. - Ich war neulich bei Ihren Töchtern und Ihrem Sohn zu Gast, Nanami. Das Lokal läuft anscheinend recht gut. Shuran ist ein ausgezeichneter Koch.“

„Danke, ja“ Die Dame im Kimono ließ sich mit Jahrhunderte geübter und durchaus katzenartiger Eleganz nieder.

Kiyoshi sah zu dem Inu no Taishou. „Sie könne sich denken, warum wir hier sind.“

Der Hausherr nickte. „Ich vermute, dass die Nachricht über diesen törichten Angriff Ryuutsubasas auch Sie erreichte, ja. Wie kann ich Ihnen helfen?“

Nanami blickte zu dem Herrn der Füchse und so übernahm Kiyoshi das Reden. „Ich, wir, sehen mit großer Freude, dass der Kampf Ihnen nicht sonderlich geschadet hat, oyakata-sama. Natürlich war davon auszugehen, dass Sie gewinnen.“

„Aber?“ Da kam noch etwas, dachte der erfahrene Heerführer nur. Die Zwei waren kaum für Schmeicheleien hier.

„Uns wunderte, dass Ihre menschliche Gemahlin … nun, sagen wir, erkrankte.“ Weder Kiyoshi noch Nanami waren entzückt, als die Rechte des Taishou mit nachtwandlerischer Sicherheit zu seiner Schulter zuckte und sich gleichzeitig seine Energie sprunghaft erhöhte. Sie wussten alle zwei, welcher Schwertgriff dort so manches Mal geruht hatte. Das Höllenschwert in Aktion zu sehen und das zu überleben war ihnen vergönnt gewesen. Kein Grund, das Schicksal, oder eher die Nachsicht des Taishou, nochmals herauszufordern. Es war eine Sache einen schwach gewordenen Fürsten zu beseitigen – eine andere, den wirklich wütend zu machen, ohne Ahnung, WIE schwach der genau sei. So hob der Kitsune eilig die Hand. „Verzeihen Sie, oyakata-sama, ich habe mich wohl unglückselig ausgedrückt. Selbstverständlich waren Sie in der Lage Ihre Gemahlin vor einem törichten Drachen zu beschützen. Wäre es dennoch zuviel verlangt, wenn Izayoi-sama uns empfangen würde?“

Izayoi. Sie war verletzt, verbrannt, und niemand sollte davon wissen. Aber anscheinend machten bereits Gerüchte die Runde. „Wie Sie sich unschwer vorstellen können, hat sie einen gewissen Schrecken erhalten. Ryuutsubasa traf sie mit dem Schwanz am Kopf und den Rippen, so dass sie bewusstlos wurde und Prellungen davon trug.“ Das würde schon an ihrem Gesicht jeder sehen können, dem sie gegenübertrat. „Darum hat ihr Hotaru, Sie kennen sie, Schonung anempfohlen. Darüber hinaus ist es für eine Menschenfrau auch kein Vergnügen einem Drachen in seiner wahren Gestalt zu begegnen.“ Aber, ließ er diese zwei Botschafter der ranghöchsten Dämonen, denn was anderes waren sie in dem Moment nicht, nicht zu ihr, würde seine eigene Macht bröckeln, er als Versager dastehen. Schweigen war in diesem Fall die schlechteste Lösung. Hoffentlich verstand sie ihn, hoffentlich … „Sie können überdies sicher sein, dass ich, wenn, nennen wir es, Schwerwiegendes, passiert wäre, auch durchgegriffen hätte.“

„Ja, natürlich.“ Nanami neigte den Kopf. Sie wusste nur zu gut um männliches Ehrgefühl, was sie persönlich gern als Besitzanspruch auslegte. Und sie war alles andere als zornig gewesen, dass der Herr der Hunde einst ihren Ehemann versiegelt hatte. „Aber, wir müssen eben sicher gehen, Sie verstehen, oyakata-sama?“

Sie hatten ihn mit dem Rücken zur Wand. Ließ er sie nicht zu Izayoi, konnte er nach Aufständen schon mal Ausschau halten, denn alle Daiyoukai und deren Gefolgsleute würden ihn für schwach halten. Aber Izayoi war verletzt und brauchte Schonung. Überdies, ja, sie war klug, aber wie weit würde sie begreifen, was da von ihr erwartet wurde? Sie kannte Youkai und ihre Gesellschaft ja kaum zwei Monate. „Ich beabsichtigte in einer Stunde in mein Schloss zu fahren. Wenn Sie mich begleiten würden?“ Er zog sein Mobilphon aus dem Jackett. Er musste aufpassen, was er sagte. Aber nur bei einem Telefonat in Gegenwart der beiden Daiyoukai würde man ihm glauben, dass er nichts mit seiner Ehefrau abgesprochen hatte, ihr keine Befehle für Lügen erteilt hatte. Hoffentlich würde sie ihn verstehen. Es wurde abgehoben. „Izayoi, meine Liebe, ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass ich in gut einer Stunde mit zwei hochgeschätzten Besuchern im Schloss eintreffe. Ich weiß, dass der Zwischenfall im Park Sie beunruhigt hat, aber die Daiyoukai wünschen Ihnen unbedingt ihr Mitgefühl auszusprechen.“ Reichte das? Er durfte nicht allzuviel ausplaudern. Und immerhin wusste sie um die Notwendigkeit der Geheimhaltung.

 

Izayoi war irritiert. Sie fühlte sich alles andere als gut, hatte Schmerzen, aber das wusste er doch. Und wieso redete er so seltsam? Überdies: Mitgefühl von Daiyoukai? Weil besagte Daiyoukai neben ihm waren, begriff sie dann. Und es war anscheinend zwingend notwendig, dass sie gesund wirkte. Ach du je. Da ging es sicher wieder um Ehre oder seine Macht oder – ja, um den Frieden. Sie musste ihm helfen. „Ja, natürlich, oyakata-sama, wie Sie wünschen. Hier in meinem bescheidenen Pavillon oder im Schloss?“

„Oh, ich denke, der Kranichsalon wäre passend. Ich danke Ihnen.“ Er legte auf, durchaus erleichtert, dass sie so rasch verstanden hatte. Hoffentlich auch richtig.

Izayoi tat das gleiche, ehe sie zu der Katzenheilerin neben sich sah. „Hotaru, ich benötige gute Schmerzmittel. Und Misako. In einer Stunde kommt wichtiger Besuch, den ich im offiziellen Kimono empfangen muss.“ Und das würde verflixt weh tun, vor allem im Brustbereich.

 

Als Taro mit seinem Herrn und den beiden Gästen auf dem Schlossplatz vorfuhr, sah der Taishou durchaus erleichtert seine Ehefrau bereits mit ihren beiden Dienerinnen vor dem Schloss warten. Natürlich. Hinknien wäre für sie mit den Verbrennungen an den Beinen sicher noch zu schmerzhaft gewesen. Das lange, schwarze Haar über dem mehrlagigen, bestickten Kimono war glänzend gebürstet, sie war geschminkt – niemand würde etwas vermuten können, zumal ihre Witterung eindeutig nach Lotus und weder nach Fieber noch nach Arznei duftete. Sie musste von Hotaru entsprechende Tipps bekommen haben. Die beiden Daiyoukai hinter ihm prüften prompt die Luft.

„Meine Liebe, Kiyoshi, den Herrn der Kitsune, kennen Sie ja bereits. Dies ist Nanami.“

Izayoi verneigte sich nochmals höflich. Wenn sie sich nicht allzusehr täuschte war der Taishou zufrieden sie so zu sehen. Es musste wirklich wichtig sein. So sollte sie aufpassen was sie sagte oder tat. „Ich darf die Gäste meines Herrn in seinem Schloss begrüßen. - Möchten Sie ein wenig im Garten spazieren gehen?“ Das wäre ihr deutlich lieber. „Allerdings – nach dem … dem Zwischenfall ist im hinteren Park ein guter Teil zerstört.“

„Das kann ich mir vorstellen,“ sagte Nanami, die die Prellung am Kiefer der Menschenfrau musterte. „Sie sind ja wohl dabei verletzt worden. Ein überaus törichter Drache.“

Izayoi wurde etwas rot, hob aber die Hand zu ihrem Gesicht. Ja, es ging um den Zwischenfall. Was sollte sie sagen? Offenkundig konnte ihr der Taishou keine Hinweise geben, nicht, ohne zu viel zu erzählen. Nun ja, das war wohl offensichtlich und sie sollte bestimmt bei der Wahrheit bleiben – zumindest soweit. „Der Drache schlug mich bewusstlos. Hier und auch am Oberkörper habe ich dadurch Prellungen. Zum Glück war nichts gebrochen.“

„Ja, gehen wir ein wenig,“ schlug Kiyoshi vor. „Wir sind alle zu oft in Räumen. - Wenn ich Ihnen noch eine Frage stellen darf, Izayoi-sama … Sie sagen, der Drache schlug Sie bewusstlos. Ja, waren Sie allein?“

Das also war der springende Punkt, dachte sie hektisch und spürte, wie sie rot wurde. Was sollte sie darauf sagen, ohne, dass es eine Lüge wurde? „Ich war tatsächlich für einige Minuten allein, Kiyoshi-sama.“ Sie richtete sich unwillkürlich etwas auf. „Es gibt, aber das wissen Sie sicher, menschliche Dinge, die man lieber allein ... regelt.“ Dazu gehörten eben auch Dinge mit dem Halbbruder – aber, sollten sich die Daiyoukai doch etwas ausdenken.

Danke, dachte der Herr der Hunde inbrünstig. Sie sagte die Wahrheit, das konnte jeder wittern – Menschen konnten keinen Daiyoukai anlügen. Und sie sagte es so, dass die Sprachregelung, die sie ja kannte, gewahrt blieb. Ja, sie war klug. Und diskret. Und selbst in der Ungewissheit der Lage und den Schmerzen eine Schönheit. Aber er hielt sich formell hinter Kiyoshi und seiner Ehefrau, Nanami neben sich.

Izayoi sah geradeaus, als sie fortfuhr: „Und ich kann Ihnen versichern, ich war noch nie in meinem Leben so froh oyakata-sama zu sehen wie nach dem Zusammentreffen mit dem Drachen.“ Sie sollte bestimmt besser nicht erwähnen, dass er erst nach einer halben Stunde gekommen war.

„Das kann ich mir vorstellen,“ sagte die Pantheryoukai in gewisser weiblicher Solidarität. „Ich gebe zu, auch ich würde mich ungern allein mit Ryuukossusei wiederfinden – und ich bin eine Daiyoukai. Auch, wenn das ja sein kleiner Bruder war.“

„Ja.“ Der Taishou hatte nachgedacht. „Gestatten Sie mir nur die Frage, wer so freundlich war auf diesen Punkt hinzuweisen, dass meine Gemahlin tatsächlich für wenige Minuten von mir getrennt war?“

„Ich wusste,“ erklärte Kiyoshi: „Dass Sie in Yokohama sind. Ich wusste freilich nicht, dass Sie vorzeitig zurückkehren würden. Nun, das geht mich auch nichts an. - Und Miki hatte ein Gespräch mit Ryuukossusei, der sich noch immer fragt, wieso Sie seinen Bruder umbrachten. Was natürlich, in Anbetracht der Verletzungen Izayoi-samas gerechtfertigt war.“

Für einen Moment schienen sich die blitzförmigen Wangenstreifen des Herrn der Hunde verbreitern zu wollen, dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. „Ich empfand es als fellsträubende Dreistigkeit meine Gemahlin auf meinem eigenen Grund und Boden zu attackieren, ja. Aber er suchte zusätzlich den Kampf mit mir. Ich hätte ihn nicht getötet, wäre es nicht notwendig gewesen, dass sollten Sie wissen.“

Die beiden Daiyoukai wussten, dass der Hundefürst darauf anspielte, dass auch sie nicht mehr unter den Lebenden weilen würden, hätten sie sich nicht ergeben – und der Taishou Nachsicht geübt. So lächelte die Pantherin ihr Lächeln, von dem alle anderen Daiyoukai überzeugt waren, dass es den Herrn besänftigen konnte. „Das wissen wir, oyakata-sama. Aber Sie wissen natürlich ebenso gut wie wir, dass es … Regeln gibt. Wir haben Sie als unseren Fürsten anerkannt. Damit haben Sie auch Pflichten, die Sie natürlich jederzeit erfüllt haben. Aber es bleibt unser Interesse.“

Izayoi begriff und blieb stehen. Sie richtete sich empört auf, den jähen Schmerz an der Brust ignorierend, und sah von einem Daiyoukai zum anderen. „Falls Sie damit ungeschickterweise andeuten wollten, dass mein Herr und Gebieter nicht in der Lage gewesen wäre mich zu beschützen … Nun, ich kann Ihnen versichern, dass ich in solch einem Fall ganz sicher nicht lebend vor Ihnen stehen würde. Und es auch nur wollte.“

Der Taishou hätte fast gelächelt, aber das wäre natürlich alles andere als diplomatisch. Solch eine Tonlage in einer weiblichen Stimme hatte er das letzte Mal vernommen als seine erste Ehefrau einen ungeschickten Wachposten buchstäblich verteilt zu Boden schickte, da der damals Sesshoumaru als kaum sechsmonatigen Welpen über den Haufen gerannt hatte, und das die nächsten hundert Jahre während seiner Heilung bereuen durfte. „Tot sein tut nicht weh,“ hatte sie erklärt. Beschützerinstinkt bei Frauen. Da war auch die Videoaufzeichnung auf dem Mobilphon ….Izayoi versuchte wahrlich alles, um ihn zu beschützen. Wann war ihm das je passiert? Und, wie konnte er das ihr je zurückbezahlen? War das Liebe bei Menschen? Den Anderen beschirmen zu wollen, gleich wie die Lage aussah, egal, wie deutlich das Machtgefälle war? Und das, obwohl er doch als ihr Beschützer ja wohl ziemlich gründlich versagt hatte? Er sollte ihr jetzt wenigstens helfen. „Da kann ich meiner Ehefrau allerdings zustimmen. Kiyoshi, vielleicht überlassen wir die Damen einander und gehen ein wenig? Haben Sie etwas über die Finanzen unseres Drachenfreundes herausgebracht?“ Er trat vor und sein Finanzchef schloss sich ihm mit einer Verneigung an, wieder den höflichen Schritt zurück.

„Nichts außergewöhnliches, oyakata-sama,“ beteuerte er sofort.

 

Izayoi fiel auf, dass der Kitsune sekundenschnell von fast gleichrangig wieder zum Gefolgsmann wurde. War das bei Youkai üblich? Auch der Taishou wechselte zwischen Geschäftsmann und Fürst, ja, sogar zwischen Hund und Mann. Das war vermutlich eine Youkaisache. Aber sie musste hier noch weiter bestehen, denn diese Katzendame, nein Panther, wohl, sah sie an. So lächelte sie. Zum Glück wirkte das Zeug noch, dass ihr Hotaru hastig zusammengestellt hatte. Die Heilerin hatte sie allerdings vorgewarnt, es würde kaum eine Stunde lang anhalten. „Darf ich Sie etwas fragen, Nanami-sama?“

Die Pantherin erwartete eine Frage zu ihrer Macht oder zu Ehen unter Dämonen. „Natürlich.“

„Haben Sie Welpen – nun, Kinder?“

„Ja, vier. Drei Töchter und einen Sohn.“ Die Daiyoukai war etwas überrascht, vermutete jedoch, dass sich Menschenfrauen auf solche Art näher kennen lernten. Unter Youkai galt es als verpönt nach Kindern zu fragen. Das geschah einfach zu selten und sie selbst hatte wahrlich Glück gehabt. Vermutlich wollte dieser Mensch nur höflich sein.

„Oh, meinen Glückwunsch.“ Was war harmlos, dachte Izayoi hektisch, was konnte sie zur Unterhaltung beitragen? Und, was würde ihren Ehemann nicht bloß stellen? „Wie … nun ja, wenn sie ganz klein waren, wie haben Sie die transportiert?“

Nanami hätte fast zu tief eingeatmet. Das konnte doch nur heißen … Und das würde alle Daiyoukai sehr interessieren. Damit wäre alles erklärt, auch die Zurückgezogenheit der Menschenfrau. Nicht der Drache, sondern die durchaus logische, mehr als verständliche, Besorgnis des Herrn der Hunde um seinen nächsten wertvollen Nachwuchs war schuld. „Oh, kleine Welpen, so sagt man bei Inuyoukai ja wohl, wurden damals in Seidentücher gehüllt und auch so aufgehängt um sie zu schaukeln. Sie konnte man so antippen und sie wurden in den Schlaf gewiegt. Aber ich sah bei Menschen durchaus diese praktischen kleinen Wägen ...“

„Ja,“ bestätigte Izayoi, die froh war, etwas Beweisbares liefern zu können. Sie hatte keine Ahnung, um was es bei den Daiyoukai eigentlich ging, aber sie wollte den Taishou unterstützen. Und im Zweifel würden die nachforschen, da war sie sicher. „Meine Zofe brachte mir jede Menge Prospekte, da findet sich sicher was … Was machen denn Ihre Kinder momentan?“

„Sie betreiben ein Lokal.“

„Ach, ich glaube, da war ich schon mit … mit oyakata-sama. - So sind sie schon erwachsen.“

„Ja. Sie werden sicher feststellen, dass Kinder recht schnell erwachsen werden, aus der Sicht der Mutter.“ Nanami bemerkte das etwas verträumte Lächeln. Ja, da lief etwas, ganz sicher. Nur, würde dieser Hanyou geboren werden können? Niemand kannte doch einen Hanyou mit einem Menschen und einem Daiyoukai als Eltern? Jedenfalls war der Herr der Hunde potent, neben der Kampfkraft wichtigster Schlüssel für die Position eines Fürsten.

Izayoi hatte gerade daran gedacht, dass Bokuseno ihr erklärt hatte Inuyoukai wären bei der Geburt einen Meter groß und hatte sich ihren Stiefsohn so vorgestellt. Sesshoumaru in Hundeform mit diesen knuddeligen Ohren und in den Arm passend. Wie süß. Aber, das würde sie nie jemandem sagen dürfen. Jetzt sah sie auf. „Oh, verzeihen Sie. Ich war gerade mit den Gedanken woanders. Darf ich Ihnen die Kampfplätze zeigen?“ Das würde doch eine Daiyoukai bestimmt interessieren.

„Ja, gern.“ Nanami war mit der Sensation, die sie hier unerwartet erhalten hatte, sehr zufrieden. Dass die Krieger, wie sie rasch feststellte ein Straftraining absolvieren mussten, war nur logisch. Aber, diese Neuigkeit erklärte auch den jähen Rückzug des Taishou aus Yokohama. Samt des eigenartigen abendlichen Spaziergangs zu zweit. Seine zweite Frau hatte ihn angerufen um ihm eine delikate Mitteilung zu machen. Und, das erklärte … ja, eigentlich alles. Nein, der war nicht schwach geworden, im Gegenteil. Sie würde ihre Kollegen davon in Kenntnis setzen. Und immerhin – wenn der Taishou fiel, bekamen sie alle es mit Ryuukosssusei zu tun, der im Moment mehr als wütend über den Tod seines Bruders war. Gemeinsam konnten sie ihn natürlich schlagen, aber dann würden die Kämpfe erneut losgehen. Und es stand kaum zu erwarten, dass sich Sesshoumaru nicht einmischen würde – und der erhielt als Erbe doch sicher das Höllenschwert. Auch so eine Sache. Sie bemerkte, dass die Menschenfrau sie anblickte und lächelte etwas. „Sehr schöne Kampfplätze. Man bemerkt immer noch den Heerführer.“

„Ich denke, man bekommt die eigene Vergangenheit nie los, Nanami-sama.“

 

Izayoi war heilfroh, als ihr Ehemann auch Nanami abholte um etwas zu besprechen und sie allein in den Pavillon förmlich fliehen konnte. Ihre Dienerinnen erwarteten sie bereits. „Weg mit dem Kimono,“ befahl sie nur.

„Oh du je.“ Misako begann den Obi zu lösen. „Haben Sie Schmerzen?“

„Ja. Es ging gerade noch gut.“

Akiko eilte weg, um mit einem Glas wiederzukehren. „Hier, trinken Sie, Izayoi-sama. Hotaru ließ es da. Diese Besprechung war wohl sehr wichtig ...“ Der Herr neigte doch sonst nicht zum Sadismus.

„Sehr.“ Izayoi trank hastig das Schmerzmittel. Die letzten Minuten hatte sie kaum gewusst, wie sie die Verbrennungen noch verbergen sollte. Nanami hatte ihr mit einem so seltsamen Lächeln versichert, sie wünsche ihr alles Gute. Wusste die Pantherin doch, dass der Drache sie verbrannt hatte? Was würde das für ihren Ehemann bedeuten? Er hatte sie auch einige Male so besorgt angesehen. Nun, sie war sicher, dass er dieses Treffen lieber vermieden hätte. „Sehr wichtig. Ich ziehe nur einen Yukata über, sonst nichts, dann könnt ihr gehen.“

Ihre Zofe musterte sie. „Soll ich Ihnen nicht beim Umkleiden helfen?“

Vom Yukata in ein Nachthemd? „Nein, danke, Misako, das schaffe ich allein. Wecke mich morgen um acht.“ Hoffentlich wirkte das Mittel bald.

So fand sich die junge Fürstengemahlin allein in ihren Räumen. Sollte sie sich schon hinlegen? Schlafen wäre erst möglich wenn das Medikament wirkte. Hoffentlich bald. Sie fuhr erschrocken herum, als sie hörte, dass die Tür zu ihrem Wohnzimmer beiseite geschoben wurde, erkannte dann erleichtert ihren Ehemann und verbeugte sich eilig.

„Verzeihen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.“ Der Herr der Hunde neigte mehr als höflich den Kopf. „Haben Sie arge Schmerzen?“

„Es geht.“

„Sie lügen mich an?“ Er hob die Brauen.

„Ich habe von Hotaru wieder einen Trank bekommen.“ Natürlich merkte er es. „Ich hoffe, ich konnte Ihnen behilflich sein.“

„Behilflich?“ Er ließ sich vor ihr auf die Knie nieder. „Oh, nein, bleiben Sie nur stehen. Es würde Ihnen sonst erneut weh tun. Ich möchte Ihnen nur gern Ihre Hände und Füße küssen. Ich sagte zu Ihnen einmal, dass ich nicht nur das schönste, sondern auch das klügste, Mitglied Ihrer Familie geheiratet habe, und Sie haben mir heute wahrlich bewiesen, warum ich dieser Meinung bin.“

Sie spürte fasziniert, wie er seinen Worten Taten folgen ließ. „Es … es freut mich ...“ brachte sie irgendwie hervor.

Er stand so geschmeidig auf, wie es nur ein Youkai konnte, und sah ihr in die Augen. „Falls Sie nicht wissen, was Sie getan haben: Sie haben den Frieden unter den Youkai bewahrt und damit auch den mit den Menschen. Mein Werk seit einem Jahrtausend. Und das, Izayoi, werde ich Ihnen nie vergessen.“
 

Familiäre Neuigkeiten


 

A

ls der Inu no Taishou am folgenden Morgen mit Sesshoumaru ins Büro fuhr, dachte er noch einmal an gestern. Izayoi hatte ihm wahrlich aus der Schlinge geholfen, das konnte er ihr kaum zurückzahlen. Allerdings war er überrascht gewesen, wie seltsam gefühlvoll Nanami ihm versichert hatte, dass er gut auf seine Ehefrau aufpasse. Auch Kiyoshi war verwundert gewesen – und er selbst hatte ein an diesen gerichtetes Augenzwinkern der Pantherin wahrgenommen. Eigenartig. Nun ja, Hauptsache es gab keinen Ärger mit seinen Gefolgsleuten und keine Aufstände. Er wollte gar nicht an die Menschen denken, wenn Kriege und Kämpfe unter den Youkai losbrachen – und an deren Reaktion, womöglich mit Atomwaffen. Und Izayoi hatte ihm auch versichert es gehe ihr nicht schlechter durch diesen mehr oder weniger erzwungenen Besuch, ja, sie schien mehr als bewegt, dass er sich bei ihr bedankt hatte. Gerührt, nannte man das wohl bei Menschen, wenn aus Freude jemand fast weinte.

Einige Stunden später rief ihn Kiyoshi im Büro an und versicherte ihm, dass Ryuukossusei keinerlei Papiere der Holding besäße, jedenfalls keine, die nachvollziehbar waren. Das veranlasste den Hundefürsten zu der Meinung er sei momentan unangefochten. Der Herr der Füchse und die Pantherdame hatten ihm offenbar geglaubt und das weitergegeben.

Es war gegen Mittag, als er einen Anruf seines Vorzimmers erhielt. „Suzuki-san?“

„Naraku Gumo möchte Sie am Telefon sprechen. Da er Ihr Schwager ist, dachte ich ...“ sagte die Chefsekretärin vorsichtig.

„Ja, stellen Sie durch.“ Wollte ihm Naraku jetzt doch die alte Kette zu dem wahrlich günstigen Preis verkaufen? Oder, vielmehr, musste es? „Mein Schwager?“

Naraku lächelte etwas. „Teuerster Schwager, im wahrsten Sinne des Wortes, ich rufe aus drei Gründen an. Zum Einen – Ihre zehn Millionen sind unterwegs auf das angegebene Konto der Holding. Zweitens, ich würde daher sagen, wenn Sie das Angebot für die alte Kette zu einem fairen Preis aufstocken würden, könnten wir darüber reden. Und drittens, als letztes und doch mir wichtig: wie geht es meiner Schwester nach diesem schrecklichen Überfall? Offenbar haben Sie ein Telefonverbot verhängt.“

Der Herr der Hunde zögerte für eine Sekunde. Woher hatte der Bankier plötzlich die zehn Millionen? Onigumo hatte vor Wochen noch keine Chance gehabt. Das sollte sein Informationsdienst und auch Kiyoshi überprüfen. Vor allem, ob der sich Geld von Ryuukossusei geliehen hatte. Hm. Vielleicht gab es noch eine andere Möglichkeit günstig an die alte Kette heranzukommen. Naraku war gewieft, das stand außer Zweifel. Vielleicht sogar noch cleverer als sein Vater. „Izayoi geht es den Umständen entsprechend gut. Sie hat allerdings bei dem Überfall Prellungen erlitten, auch im Gesicht, und sollte sich daher schonen. Sie wird aber, da bin ich sicher, heute an ihr Privathandy gehen.“

Prellungen, ja? Das erklärte natürlich auch einiges. Zusätzlich. Immerhin hatte Ryuutsubasa wohl getan, was er konnte, um seinen Auftrag zu erfüllen. „Gut, vielen Dank, so werde ich sie später anrufen. - Oh, darf man schon gratulieren, oder soll es einstweilen noch ein Gerücht bleiben?“

Der Taishou stutzte, ehe ihm einfiel, dass er ja Misako aufgrund des Ratschlags seiner ersten Gemahlin beauftragt hatte Kinderwagenprospekte zu besorgen. Er hatte da allerdings mehr an den Unbekannten gedacht, der die Saimyosho beschworen hatte – was einem Hanyou definitiv nicht möglich sein sollte. „Es ist zu früh. Aber, woher wissen Sie ...“

Naraku beschloss, dass er Takemaru trotz seines unverschämten Benehmens nicht hinhängen sollte. Womöglich brauchte er den noch einmal. Überdies war das auch die Wahrheit und er hatte es von zwei Seiten gehört. „Es machte gestern im Billionaire die Runde. Kaum ein Youkai, der das nicht weitergab.“

Und wie war das aufgekommen? Youkai hin oder her, die beschatteten doch nicht alle Misako? Der Herr der Hunde überlegte eilig. Nun ja, es war ein Gerücht, nicht mehr, und würde ihm kaum Schaden zufügen. Natürlich erklärte das noch einmal Narakus Nachfrage. Offenbar wusste der noch immer nicht, dass Izayoi nicht seine Halbschwester war, und machte sich mehr oder weniger berechtigte Sorgen. „Gerüchte, Schwager. Sie entstehen oft auch aus dem Nichts.“ Oder, Sekunde. Das könnte Nanamis Benehmen erklären. Nur, wie kam die Pantherin auf diese Idee? Izayoi hatte kaum behauptet schwanger zu sein. Sie log nie und sie hätte eine Daiyoukai auch gar nicht anlügen können. Intrigen. Wie sehr er diesen Teil seines Lebens hasste. Ein ehrliches Duell, schön und gut, eine offene Schlacht … Nun ja. Das würde es erklären. Nanami unterlag einem Missverständnis, erzählte es im Vertrauen Kiyoshi, der gab es weiter, sie auch, irgendjemand wusste um Misakos Besuch in einem Kinderladen – perfekt, eigentlich. „Es sollte mich nicht wundern, dass man immer unter Beobachtung steht. Nun, rufen Sie nur Ihre Schwester an. Und ich persönlich erkenne an, dass es Ihnen im Gegensatz zu Ihrem verstorbenen Vater offenbar zu gelingen scheint die Finanzen der Bank und der Ketten zu konsolidieren.“

„Danke.“ Naraku verfiel jedoch nicht in den Fehler das Kompliment für eine Einstellung der Übernahmeversuche zu halten. Der Taishou hätte das gewiss erwähnt, oder auch gesagt, er sei erfreut, dass … Zeit, dem Hund eins auf die arrogante Schnauze zu geben. „Ich hoffe, es gelingt mir weiter. Ich kann Ihnen verraten, dass ich das Ganze umbauen will. Drei Firmen, die eigentlich nicht verbunden sind, unter einem Dach zu haben ist doch deutlich besser.“

„Ach, Sie wollen die Gesellschaftsform ändern?“

Die alte Fellnase ging auf den Köder, gut. „Ja, ich wandele alles in eine Stiftung um. Jetzt, beim Tod meines Vaters habe ich gesehen, wie mühselig das mit der Erbschaftssteuer und anderen Dingen ist. Eine Stiftung ist von der Person unabhängig und muss keine Erbschaftssteuer begleichen.“

„Das ist wahr.“ Also sollte er, wenn er die alte Kette wirklich wollte, diese noch vor der Umwandlung kaufen. Und Naraku würde nur ein gutes Angebot akzeptieren, da war er sicher. Leider hatte der die zehn Millionen bezahlt und war damit nicht mehr erpressbar. Raffiniert war der, das musste der Taishou zugeben. Der gute Schwager hatte ihm das auch nicht ohne Ursache erzählt. Eine Stiftung, ja? Er sollte sich mal informieren lassen, wie das genau juristisch ablief, momentan. „Allerdings haben Stiftungen meines Wissens auch einen gewissen Nachteil – man kann nichts mehr davon verkaufen, um selbst an das Geld zu gelangen.“

„Da ich noch von meinem Vater weiß, dass Sie überaus gut über unsere Finanzlage Bescheid wussten, teurer Schwager – ich benötige deutlich weniger Geld als mein Vater. Und, als alleiniger Verantwortlicher einer Bank, habe ich auch das Spiel um hohe Summen aufgegeben.“ Nun ja, im Billionaire. Er brauchte mehr Geld um gesellschaftlich noch besser dazustehen, um vergessen zu lassen, dass er ein Hanyou war. Immerhin hatte sich der Taishou nicht vor ihm verleugnen lassen – und, dass der sein Schwager war, zählte durchaus, das hatte er in den letzten zwei Monaten bereits festgestellt.

„Das ist vernünftig.“ Womöglich sollte er doch die alte Kette alte Kette sein lassen? Rache an Onigumo fiel flach, der war tot, und Naraku offenbar nicht an der Erpressung und erzwungenen Heirat beteiligt gewesen, ja, sorgte sich um Izayoi. Aber es wäre wirtschaftlich eine gute Übernahme und Finanzagenturen fehlten im breiten Angebot seiner Holding. „Man sollte Privatleben und Beruf nie verwechseln.“

„Da sind wir ganz einer Meinung, werter Taishou.“ Naraku lächelte erneut, um es in seiner Stimme anklingen zu lassen. „Aber, wie gesagt, wenn Sie mir ein neues, natürlich deutlich höheres, Angebot für die alte Kette schicken, werde ich es meinen Wirtschaftsprüfern vorlegen und darüber nachdenken.“ Und es ablehnen. Allerdings würde allein die Tatsache, dass die Taishou-Holding ein Angebot in dieser Höhe gemacht hatte, schon genügen, dass sich andere Firmen dafür interessierten. Mit ein bisschen Glück ließ sich das Ganze in eine Art Auktion umwandeln. Mehr Geld, weniger Arbeit, und die Schulden der Bank gedeckt. Das war sein Ziel. Bankier klang einfach viel besser als: Inhaber einer Finanzagentur. Naraku hatte sein Ziel in die obersten Ränge der Gesellschaft aufzusteigen nicht aufgegeben. Und das ging am einfachsten über eine Heirat mit einer der adeligen Töchter. Vater war auf diese Art schon weit gekommen, er würde ihn übertrumpfen. So, wie der Taishou Izayoi behandelte würde er das auch machen. Im Haus halten, beschäftigen und sicher stellen, dass sie nichts anstellen konnte.

„Ich werde mit meinen Beratern reden. - Schwager ...“ Der Herr der Hunde legte auf, um zwei weitere Telefonate zu führen.

 

Naraku tat, wenngleich etwas zähneknirschend, das Gleiche. Nun gut. Er hatte den Taishou geärgert, er hatte dessen Erpressung ausgehebelt und er hatte zwei Pläne. Sollte Ryuukossusei doch machen, was der wollte. Gelang diesem seine Rache, konnte er selbst sich um Izayoi und ihr Kind kümmern. Sesshoumaru wäre vermutlich nur zu begeistert die Stiefmutter loszuwerden. Gut. Eins nach dem anderen. Was dieser dämliche Takemaru machte, musste er abwarten, ebenso was der Drache tat. Wichtiger war, dass er erst einmal diese Würgeschlinge mit den zehn Millionen vom Hals hatte.

 

Um diese winterliche Tageszeit war es bereits dunkel, als Kiyoshi und Kouga sich bei dem Konzernherrn melden ließen. Auch Myouga war dabei – Zeichen, dass es sicher wichtig wurde.

Als die Youkai sich niedergelassen hatten, sah der Herr der Hunde daher zu seinem Finanzchef. „Nun?“

„Das Geld scheint aus einer Versicherung zu stammen. Einer Versicherung, die für den Tod Onigumos abgeschlossen worden war, vor Jahren schon, über fünf Millionen, bei Unfall das Doppelte,“ erklärte der Kitsune. „Begünstigter daraus ist Naraku.“

Der Taishou richtete sich etwas auf. „Dann wäre es möglich, dass es Selbstmord war, als Unfall getarnt?“ Um seinem Sohn eine sanierte Firma zu überlassen, da er ihn selbst so unter Druck gesetzt hatte? Die Polizei hatte zwar gesucht, aber ...

„Ich habe, oyakata-sama, eine Bekannte im Finanzamt, die … Nun ja.“ Kouga beschloss, dass er den Namen Ayame nicht erwähnen sollte, geschweige denn das Date, das sie ihm für diese Auskunft abgetrotzt hatte. „Sie sagte mir jedenfalls, als ich sie anrief, dass Naraku diese Versicherung vor vielen Jahren abschloss und auch bezahlte. Die zehn Millionen müssen nämlich auch versteuert werden, wie Sie sicher wissen,“ ergänzte er eilig.

„Naraku.“ Der Herr der Hunde legte seine Klauen flach auf die Oberschenkel. Der liebe Schwager schloss eine Versicherung auf den Tod seines Vaters ab – und als es eng wurde, starb dieser ihm sehr passend? Hatte er selbst sich nicht schon gedacht, dass der Hanyou clever war? Da war auch die Sache mit den Drachen und der ominöse Anruf bei Izayoi. „Kein Geld von Ryuukossusei, also.“

„Nein, oyakata-sama,“ erwiderten Kiyoshi und Kouga förmlich im Chor.

Myouga sprang etwas vor um gesehen zu werden. „Allerdings habe ich einen Bericht vom Informationsdienst erhalten, dass sich Naraku und Ryuukossusei im Billionaire zu einem Zweiergespräch trafen. Erst vorgestern. Es wäre natürlich möglich, dass sie erneut spielten ...“

„Nein.“ Der Taishou zog die Augen zusammen. „Naraku erzählte mir erst heute, dass er nicht mehr um hohe Summen spiele, seit er Bankier sei. Und so eine dumme, so leicht nachprüfbare, Lüge würde er nicht erzählen.“ Hatte der Drache seinen so genannten Schwager doch irgendwie zu dem Anruf bei Izayoi erpresst? Und Onigumo Selbstmord begangen? Dieser Hanyou hatte sich in vielen Fäden verfangen, wenn er unschuldig war. Aber … tja. Wenn der schuldig war am Tod seines Vaters, an dem Überfall auf Izayoi, war der noch durchtriebener als er gedacht hatte. So oder so benötigte er jetzt eine Strategie. „Myouga, ich möchte so rasch wie möglich eine Besprechung mit unseren Anwälten, die sich in Stiftungsrecht und Firmenrecht, sowie Erbrecht gut auskennen. Kouga, sorge dafür, dass stets jemand überaus Unauffälliger vom Informationsdienst an Naraku dranbleibt. Aber sie sollen vorsichtig sein, er ist ein Hanyou und schlau. - Kiyoshi, Naraku sagte mir heute, dass er seine Firmen zu einer Stiftung umbauen will. Lassen Sie überprüfen, was auf dem Markt ist. Ich möchte die alte Kette, aber zu einem Preis, den er nicht akzeptieren wird. Wie sieht es mit Teilen der neuen Kette aus? Wenn etwas erfolgversprechend erscheint, teilen Sie es mir mit. Danke, das war es.“

 

Als der Taishou später noch im Anzug in den Pavillon trat, war er durchaus erfreut seine Ehefrau noch am Schreibtisch zu finden, wenngleich nur im Yukata. „Guten Abend,“ sagte er vorsichtig, sicher, dass sie ihn nicht gehört hatte.

Sie fuhr herum. „Taishou! Ich hatte Sie noch gar nicht erwartet.“

„Es ist neun Uhr. - Sie sollten aufhören zu arbeiten.“

„Ach, es ist so viel liegen geblieben.“ Aber Izayoi fuhr gehorsam den Computer herunter. „Und so geht es wirklich. Ich kann sitzen, das schmerzt weniger als das Knien.“

„Wie geht es Ihnen sonst?“ Er musterte sorgfältig ihr langsames Aufstehen.

„Danke, es heilt wirklich schon recht schön. Hotaru ist überzeugt, dass nur wenige Narben da bleiben werden.“

„Hat Ihr Bruder Sie heute erreicht?“ Er bemerkte den Schatten in ihren Augen. Dachte sie wieder er wolle sie kontrollieren? „Wir telefonierten heute geschäftlich und er erwähnte, dass er gern mit Ihnen sprechen würde. Ich empfahl ihm Ihr Privathandy.“

„Oh, ja.“ Natürlich, wie dumm von ihr. Er hatte gewiss andere Dinge zu tun als ihr Telefon zu überwachen. „Ja, er fragte, wie es mir ginge und so. Sie haben ihm dann wohl von den Prellungen erzählt?“ Da er nickte. „Ja, danach fragte er. Aber er klang irgendwie so seltsam. Ich hatte das Gefühl, als ob er neugierig sei aber nicht fragen wollte. Ich hielt mich natürlich an Ihre Sprachregelung,“ beteuerte sie eilig.

„Da war ich mir sicher, Izayoi.“ Der Taishou erlaubte sich ein jungenhaftes Schmunzeln. „Ich vermute, dass er vermutet, dass Sie schwanger sind.“

Izayoi legte die Hände an die Wangen. „Ach du je. Dann hat Ihre Ablenkung mit Misako und den Kinderwagen wohl die Runde gemacht?“

„Nicht nur diese, meine Liebe. Wo wollen Sie sich hinsetzen?“

„Wenn es Ihnen nichts ausmacht, gehen wir in mein Schlafzimmer. Da kann ich mich auf dem Bett ausstrecken und Sie sich darauf setzen.“

„Ja, wie Sie möchten.“ Sie war verletzt, weil er nicht auf sie aufgepasst hatte. Und noch immer nagte diese Schuld an ihm, selbst, wenn sie ihm mit keinem Wort, nicht einmal einem Blick, einen Vorwurf gemacht hatte. Erst als er neben ihr auf dem Bett Platz genommen hatte, fuhr er fort: „Irgendwie haben Sie wohl der lieben Nanami ebenfalls den Verdacht vermittelt, dass Sie ein Kind erwarten. Es macht die Runde.“

Izayoi wurde glühend rot und legte erneut die Hände an die Wangen. Das wurde ja immer schlimmer. „Nein, das habe ich sicher nie behauptet!“

„Ich weiß. Ich sagte ja auch … irgendwie. Darf ich Sie um etwas bitten?“

„Ja, natürlich.“ Sie ließ die Hände sinken.

„Zeigen Sie sich mir. Ich möchte sehen, wie es Ihnen geht.“

Sie zögerte für einen Moment, dann öffnete sie den Gürtel und schlug den Stoff beiseite. „Es heilt.“

Ein langer, forschender Blick aus goldfarbenen Augen glitt über den menschlichen Körper. „Ja, und ich bin sehr froh darum. Lassen auch die Schmerzen nach? - Oh, bedecken Sie sich nur wieder.“

Sie gehorchte erleichtert, hatte sie doch für einen Moment anderes befürchtet. Närrin, die sie war. Er nahm immer Rücksicht auf sie. „Ja, die Schmerzen lassen nach. Ich hoffe, ich kann nächste Woche wieder einen Kimono tragen.“

„Das müssen Sie nicht. Ich glaube es geht auch so, wenn Sie arbeiten.“

„Ich wollte wenigstens im Park spazieren gehen,“ wandte sie ein. „Schon, damit Ihre Sprachregelung passt.“

Er nahm ihre Hand und küsste sie. „Ich fürchte, Sie sind eine viel bessere Ehefrau als ich es verdiene.“

„Das glaube ich nicht,“ flüsterte sie.

„Izayoi.“ Er blickte sie ernst an. „Sie haben mit Sicherheit meine beste Seite gesehen – aber ebenso bestimmt nicht meine schlimmste.“ Er dachte an einen Tag vor langen Jahrhunderten, als er sich nach einer siegreichen Schlacht mit So´unga in der Hand wiederfand und sich bewusst wurde, dass er es nicht nur genossen hatte sich durch die gegnerischen Truppen zu metzeln, sondern auch die Seelen seiner Opfer seinem Schwert darzubringen. Da war ihm klar geworden, wie nahe er am Abgrund war – und wie sehr der höllische Geist der Klinge schon den seinen beherrschte. Es hatte Mühe gekostet, den wieder zu zähmen. Ein guter Grund, warum Sesshoumaru Selbstkontrolle benötigen würde – und einen klaren Kopf, sollte er das Schwert einst erhalten. Wobei der Herr der Hunde inständig hoffte, es bis dahin wieder in die Hölle zurück schicken zu können, wohin es gehörte.

Sie lächelte ein wenig verlegen. „Das weiß ich. Sie sagten ja, Sie wären ein Kriegsherr. Und ich habe genug in der Schule gelernt, wie schon menschliche Kriegsherren miteinander und deren Familien umsprangen. Ich denke, Youkai waren da sicher ähnlich.“

„Ja, so ungefähr.“ Nein, von So´unga sollte er ihr nichts erzählen. Sie versuchte ihn zu verstehen, sie liebte ihn, und allein dafür musste er mehr als dankbar sein. Er sollte sie vor zu viel Belastung in Zukunft wirklich schützen. „Dann erholen Sie sich. Soll ich nach Misako klingeln?“

„Nein, danke. Sie sollte sich auch erholen. Sie und Akiko haben ja solange bei mir gewacht – und Misako hat noch immer geprellte Rippen, auch, wenn es heilt.“

„Wie Sie wünschen.“

 

In seinem privaten Büro, als er umgezogen saß, registrierte er mit einem kleinen Seufzen den Anrufer. „Kiyoshi?“

„Ich habe mich, wie Sie wollten, oberflächlich nach den Stiftungen erkundigt. Erstens: es sind nach wie vor Schulden der neuen Kette auf dem Markt, auch der alten. Es ist Naraku noch nicht gelungen die zu sammeln und zurückzukaufen, wobei natürlich die Schulden, die er bei der Holding hatte, zurückgezahlt wurden. Mehr ging im Moment noch nicht. Nun ja, die Versicherungssumme war begrenzt.“

„Immerhin hat er jetzt zehn Millionen weniger Schulden. Weiter.“

„Sobald die Ketten und die Bank in die Stiftung eingegliedert sind, wird es unmöglich eine feindliche Übernahme zu starten. Falls Sie die alte Kette wollen, müsste es praktisch sofort geschehen. Aber Sie selbst erwähnten ja, dass Ihr Schwager nicht verkaufen wolle, zu Ihrem Preis.“

„Wie lange dauert so ein Stiftungsaufbau?“

„Sicher einige Wochen und die Finanzen müssen geklärt sein. Ich vermute, dass er einiges verkaufen will, aber zu einem deutlich höheren Preis. Das wäre nur vernünftig.“

„Und das ist er, dazu raffiniert. Also wird er versuchen die neue Kette so zu verkaufen, dass er die alte stabilisieren kann und die und die Bank unter das Dach der Stiftung zu bekommen. - Kiyoshi, setzen Sie doch noch einmal Ihre Leute an die beiden Ketten. Welche und auch welcher Teil davon würde in die Holding passen. Da gibt es noch keine Finanzagentur, wenn ich mich recht entsinne.“

„Ja.“ Dem Kitsune war klar, dass seine Leute das Meiste davon nur aktualisieren mussten. „Der Informationsdienst ist auch an Naraku dran. Ein kleiner Bekannter von Myouga, eine Fliege. Sie hoffen, dass er unauffällig ist.“

„Das will ich auch hoffen.“

„Weitere Anweisungen, oyakata-sama?“

„Nein. Gute Nacht Kiyoshi.“
 

Taktiken


 

I

n den beiden letzten Tagen der Woche erhielt der Herr der Hunde keinerlei Nachrichten, die ihn freuen konnten, wenn man davon absah, dass sich Izayoi deutlich erholte, schneller, als es ein Mensch hätte tun dürfen, wie ihm die Katzenheilerin versichert hatte. Ansonsten waren es mehr Hiobsbotschaften.

Es gab nur von Narakus neuer Kette Schulden auf dem Markt, die zu kaufen war zwar einfach, aber sie waren kaum durch Grundstücke abgesichert. So ließ er seine Finanzabteilung nur noch nach Schuldscheinen oder Darlehen suchen, die auch handfest hinterfüttert waren. Anders sah es mit der alten Kette aus, da war alles, teils durch die Gumo-Bank teils durch das Privatvermögen Narakus selbst abgesichert. Kein Wunder, dass der dafür deutlich mehr haben wollte. Und, zu allem Überfluss, hatte er selbst mit seinem kleinen Erpressungsversuch dafür gesorgt, dass der liebe Schwager jetzt zehn Millionen weniger am Hals hatte.

Diese Unfallversicherung hatte auf … Nachfrage zugegeben, dass sie den Unfall verdächtig gefunden hatten, aber Unfälle bei älteren Leuten mit Geschäftssorgen auf solchen Straßen eben auch passieren konnten. Nachzuweisen war jedenfalls nichts, weshalb auch die Auszahlung erfolgt war. Und Naraku Gumo hatte überdies ein Alibi.

Ryuukossusei hielt sich zwar still, aber sein Informationsdienst brachte dem Taishou die Nachricht, dass sich der Drachenherr in den letzten Tagen auffällig oft bei seinen Bankberatern aufgehalten hatte. Und das bedeutete, konnte nur bedeuten, dass entweder sein größter Widersacher sich nur eine neue Mine erschließen wollte und dafür Geld auftreiben wollte – das konnte ihm selbst gleich sein. Oder jedoch, der lauerte auf Schulden Narakus oder noch schlimmer der Taishou-Holding. Vorausschauend wies der Herr der Hunde Kiyoshi an, vorrangig alle Sachen, die von der Holding auf dem Markt waren, aus der Kriegskasse zurückzukaufen, ehe man sich um Naraku kümmerte. So nett sich die Gumo-Bank in seinem Portfolio machen würde – nicht um den Preis, das dabei seine eigene Firma drauf ging. Was leider prompt zu der Rückfrage führte, ob und wie viel er aus seinem Privatvermögen zuschießen würde. Mit dem Kauf der Schulden der neuen Kette war die Barkasse der Holding ziemlich geleert. Nun ja. Ein Vergnügen musste man sich etwas kosten lassen.

 

Was natürlich auch die Frage stellte: arbeiteten Ryuukossusei und Naraku zusammen, wie er es sich schon einmal gedacht hatte? Oder wurde sein Schwager durch den Drachen erpresst? Warum hatte der sich dann nicht hilfesuchend an ihn gewandt?

Weil Naraku die Vorgeschichte seiner Ehe mit Izayoi kannte, und nicht ganz zu Unrecht vermutete ein Daiyoukai wäre ärgerlich, wenn er erpresst wurde. Und würde ihm schon darum nicht helfen. Stimmte natürlich auch wieder. Von seinen eigenen kleinen Streitigkeiten mit dem Drachen seit Jahrhunderten konnte und brauchte Naraku ja nichts wissen.

 

Solche umtriebigen Gegner hatte er seit Jahrhunderten nicht gehabt, dachte der Inu no Taishou und strich seinen Zopf unwillkürlich gerade, als er sich umwandte und aus dem Fenster seines Büros in die Ferne der Hochhäuser Tokyos blickte. Jedoch hörte er gut genug, um zu wissen, aus welchem seiner beiden Vorzimmer gerade jemand kam. „Nun, Myouga?“ Er wandte sich nicht um.

„Oyakata-sama, das ist mein entfernter Cousin namens Sachi. Er beobachtet Naraku.“

Jetzt schwang der Konzernherr doch den Sessel herum. Der würde kaum herkommen, wäre es nicht wichtig. Für einen Moment musste er suchen, ehe er die geradezu winzige Fliege neben Myouga entdecken konnte. „Sachi. Du hast einen wichtigen Bericht, wenn du deinen Posten verlassen hast.“

„Ja, oyakata-sama.“ Der Fliegerich schluckte. Er hatte den Daiyoukai natürlich schon gesehen, aber allein das Bewusstsein mit jemand in einem Raum zu stehen, der einen mit einer ärgerlichen Handbewegung umbringen konnte … Nun ja, darin hatte er Übung und so verneigte er sich eilig tief. Seine dunklen Fliegenaugen funkelten im Sonnenlicht, sonst war er vollkommen schwarz bekleidet.

„Komm auf meinen Schreibtisch. - Keine Unterbrechung, Myouga, sag das auch Suzuki-san.“

Sachi gehorchte und befand sich so direkt kurz vor den verschränkten Klauen des Inuyoukai. Daher verneigte er sich lieber nochmals tief, wie es einem Fürsten zustand, nachdem er sich auf die Knie niedergelassen hatte. „Es ist sehr schwer, oyakata-sama, Ihrem Schwager überall hin zu folgen, er fährt viel Auto, aber ich habe es geschafft, ja, ich war wohl so unauffällig, dass er heute Abend schon Besuch empfing. Ich habe den Mann nie zuvor gesehen, aber er war auffällig. Er kam praktisch aus dem Nichts, mit einer förmlichen Welle aus Youki in den Garten.“

„Hm.“ Der Taishou, der selbst erst vor wenigen Tagen einen derartigen Youkitunnel für die Anreise benutzt hatte, stützte einen Arm auf den Schreibtisch und legte das Kinn auf den Handrücken. „Ein Daiyoukai, also. Davon gibt es nicht allzu viele. Und männlich.“

„Ja, oyakata-sama. Überdies hatte er solche riesigen Wespen bei sich, die hinter mir her waren, als sie mich bemerkten.“

„Saimyosho. Das wird interessant. Sie haben dich nicht bekommen.“ Darin lag keine Frage. Sie hätten den kleinen Fliegenmann zerrissen.

Sollte er sich nochmals entschuldigen? Aber Myouga überlebte seit Jahrhunderten in direkter Nachbarschaft. Und hatte ihm versichert, dass der Herr sachliche Berichte wünschte. „Nein, aber ich konnte ihm deswegen auch nicht in das Haus folgen, diese Saimyosho hingen auch vor dem Fenster. Alles, was ich hörte, war die Verabschiedung, als beide aus der Haustür traten. Da sagte Naraku: Nun, wie Sie wünschen, mein werter Shishinki. Es ist wohl besser so. Danke für die mir zur Verfügung gestellten Werkzeuge. Seien Sie versichert, ich werte guten Gebrauch von ihnen machen.“

Der Taishou setzte sich ruckartig auf. „Shishinki? Er ist tot.“

Sachi schüttelte sich fast die Hände. Dann war es wichtig genug gewesen herzukommen. „Er trägt eine metallene Maske über dem halben Gesicht, aber er wirkte recht lebendig.“

„Shishinki! Und Naraku.“ Nicht zu vergessen, Narakus doch engere Bekanntschaft mit Ryuukossusei. Hatten sich gleich zwei seiner Feinde mit Naraku verbündet? Oder waren die Zwei verbündet und erpressten seinen Schwager? Mit einem Daiyoukai und dem Drachenherrn war es als Mensch unmöglich, aber auch als Hanyou kaum, zu verhandeln. Was nur lief da? War das auf Ryuukossuseis Mist gewachsen? Der war noch nie besonders nachdenklich oder raffiniert gewesen. Und der Plan Izayoi hinauszulocken und sie dann von Ryuutsubasa überfallen zu lassen, bewies eine gewisse Raffitücke. Naraku? Oder gar Shishinki, der in seinem Leben ja immer selbst stolz auf seinen Verstand gewesen war – um dann doch auf eine kleine Kriegslist hereinzufallen?

Kriegslist, ja. Damit wäre auch das geklärt. Shishinki hatte früher schon die Hölleninsekten beschworen. Der konnte das. Und er wollte Tenseiga und wohl auch den Meidoustein, um selbst der Herr der Youkai zu werden. Ryuukossusei schwebte etwas ähnliches vor. Wie lange würde ein Waffenstillstand zwischen denen beiden reichen? Was wiederum wollte Naraku? Herr der Youkai zu werden konnte der bei dieser Konkurrenz und als Hanyou vergessen. Nur die Bank sanieren? Und war auf der Suche nach Hilfe ausgerechnet über diese beiden skrupellosen Machtwesen gestolpert? „Was tat Shishinki dann?“

„Er verschwand wieder im Nichts, oyakata-sama. Ich konnte ihm nicht folgen. Naraku schloss die Tür, und ich konnte sehen, dass er eine Alarmanlage anschloss.“

„Gut gemacht, Sachi. Gehe zu Naraku zurück und beobachte ihn noch für dieses Wochenende. Danach musst du abgelöst werden.“

„Danke, oyakata-sama.“

 

Der Hundefürst wandte sich wieder der Aussicht zu. Ryuukossusei. Shishinki und sein Schwager. Das konnte nicht nur Ärger bedeuten, das hatte es wohl auch schon. Nur, wer war für Ryuutsubasas Attacke auf Izayoi verantwortlich? Der Drachenherr selbst? Hm. Der hatte seinen kleinen Bruder auf die Vulkaninseln verbannt und ihm vielleicht ein Angebot gemacht, da wieder wegzukommen. Die Hölleninsekten waren jedoch schon vorher dagewesen. Shishinki. Nur, war das sogar reiner Zufall und die Beiden arbeiteten nicht zusammen? Izayoi hatte zwar gesagt, der Anrufer habe behauptet ihr Halbbruder zu sein – aber, sie war sich nicht sicher gewesen, da die Stimme so seltsam klang. Mit einer Drachenklaue an der Kehle sprach wohl auch ein Hanyou schlecht. Nur, wieso hatte sich Naraku nicht mehr an ihn selbst gewandt? Der müsste doch wissen, dass er selbst in der Lage wäre ihn vor Ryuukossusei zu schützen – oder, genau. Der vermutete das nicht einmal mehr. Er wollte sich selbst retten und hatte den nächstbesten Strohhalm ergriffen, der sich ihm bot. Shishinki.

Verdammt. Der Daiyoukai umkrallte seine Sessellehne. Da hatten diese zwei Mistkerle ganz unterschiedlich Netze gebaut. Und er hatte nicht die mindeste Ahnung gehabt. Naraku hatte sich in deren Netz verfangen, vielleicht sogar auch schon dessen Vater. Das war nie um Onigumo oder gar die arme Izayoi gegangen. Die hatten alle als Opfer angesehen. Ein Hauch eines zynisches Lächelns flog um seinen Mund. Oh ja. Und das vermeintliche Opfer war in der Lage gewesen einem Drachenprinzen so etwas von ... Nun ja. Er hatte dabei gründlich versagt. SIE hatte sich mehr als gut gehalten.

Aber, was planten die jetzt? Nachdem, was Sachi bei Naraku belauscht hatte, war das eigentlich mehr eine Verabschiedung für Shishinki gewesen. War das vorbei und der Daiyoukai verschwand lieber wieder dahin, wo er offenbar die letzten Jahrzehnte gesteckt hatte? Wie auch immer der das geschafft hatte das Duell mit ihm zu überleben. Tenseiga hatte sich da für ihn selbst mehr als nützlich erwiesen, vor allem dessen Eigenschaft die des Gegners zu übernehmen. Der Pfad der Dunkelheit war nur auf solche Art zu erhalten. Außer, natürlich, Shishinki führte es. Das würde der können und das Meidou hatte der schon vor Jahrhunderten gemeistert. Hm. Sein lieber alter Freund Toutousai würde wohl einen Bann um Tenseiga legen müssen, dass es nur er selbst oder jemand aus seiner Blutlinie führen konnte. Der geniale Schmied war manchmal nervtötend, aber eben genial.

Schön. Shishinki schien weg, aber das war nicht sicher. Er sollte Naraku jedenfalls weiterhin überprüfen lassen und erst einmal seine eigenen Firmen gegen einen möglichen Übergriff seitens Ryuukossusei sichern. Die alte Kette – tja, so verlockend sie auch sein mochte, man sollte nie die Deckung aus dem Auge lassen. Und er sollte zusehen, dass das Zedernschloss schneller fertig gebaut werden konnte. Umgeben von menschlichen Wachen wäre Izayoi nur in Sicherheit, wenn da auch Bannkreise gegen Drachen und ähnliches liegen würden.

 

Takemaru Setsuna hatte an diesem Freitagnachmittag seinen freien Abend bis zum folgenden Tag Nachmittag und bummelte durch Akibara. In dem einen oder anderen Geschäft hatte er bereits gespielt, aber er suchte weitere Ablenkung. Seine Freunde würde er erst später zu einem Karaokeabend treffen. Heute war er sehr zufrieden mit sich. Er hatte unter den menschlichen Wachen bereits welche ausgesucht, die er für fähig hielt, und die auch willens waren in das Zedernschloss zu ziehen, das doch immerhin abseits lag. Nicht unmöglich in die Zivilisation zu gelangen, freilich, knapp drei Autostunden von Tokyo entfernt. Und er hatte die Zusage des Taishou erhalten, dass er weitere Männer einstellen dürfe, selbstständig. Dieses Vertrauen schmeichelte ihm zugegeben. Immerhin galt der Herr der Hunde als überaus erfahrener Heerführer und dass der ihm solche Dinge überließ, ja, den Schutz seiner jungen Frau anvertraute, war ein Zeichen dafür, wie sehr der Fürst ihn schätzte. Zumal ja nicht nur ein Gerücht umlief, dass Izayoi-sama ein Kind erwarten würde. Er und seine Fähigkeiten wurden gewürdigt …

Sein Name ließ ihn den Kopf wenden. Mit nichts weniger als großer Freude erkannte er den leidigen Bruder seiner Schutzbefohlenen. Aber ein reicher Bankier konnte ihm trotz des Schutzes des Taishou doch einmal lästig fallen, und sei es auch nur, in dem er seiner Mutter oder Schwester einen Kredit vermasselte. „Naraku.“

Der strahlte geradezu und schien den feindseligen Unterton nicht zu hören. „Mein werter Takemaru, was bin ich froh, dass ich Sie hier einmal zufällig erwische.“ Das war natürlich eine glatte Lüge. Dank der Saimyosho, die an dem Chauffeur hingen, war er über jeden von dessen Schritten informiert. „Ich habe in der Gesellschaft ….“ Dezenter Hinweis darauf, dass der Setsuna eben ein gewöhnlicher Angestellter war … „Gehört, dass meine Schwester womöglich schwanger ist. Als ich den Taishou daraufhin ansprach, wollte er das nicht bestätigen, leugnete aber auch nicht. Wie geht es Izayoi?“

„Soweit ich sagen kann, gut,“ erwiderte der Chauffeur und künftige Schlossverwalter zurückhaltend. Gerüchte, ja? Das hatte er noch nie leiden können. „Die Heilerin ist auch nur noch kurz bei ihr, sicher zur Kontrolle.“

„Ich bin ein Hanyou, wie Sie ja sicher wissen, und kann mir daher nur zu gut vorstellen, dass das schwierig für meine Schwester werden könnte, einen eben solchen zu bekommen. Meine Mutter war ja eine Youkai, da stelle ich mir das doch etwas einfacher vor.“ Er redete nicht so gewandt wie üblich, stellte der Hanyou fest. Aber die Feindseligkeit, die von dem Mann vor ihm ausging, war – bedrohlich. Obwohl ihm selbst der ausgebildete Dämonenjäger ja wohl nichts anhaben konnte.

„Ja.“ Takemaru wollte weitergehen, stellte jedoch fest, dass ihm der dämliche Hanyou irgendwie im Weg stand – und das, obwohl hier hunderte von Leuten abends entlang flanierten, Zerstreuung suchten. „Was soll das, Naraku?“

„Sie sagten, Sie würden die Schlossverwaltung übernehmen und auch den Schutz meiner Schwester. Finden Sie es da wirklich zu viel verlangt, wenn ich Informationen möchte? Sie sitzen an der Quelle, lieber Takemaru. Und ich glaube kaum, dass der Taishou mit mir auf so freundlichem Fuß steht ...“ Naraku lächelte verbindlich. „Abgesehen davon, natürlich, dass ein Youkai nie etwas sagen würde, was schädlich für ihn selbst wäre.“

„Ich sagte, Ihrer Schwester geht es gut. Und ich kann Ihnen versichern, dass Izayoi-sama unter meinem Schutz ebenfalls sicher ist.“

„Ich wollte Ihre Fähigkeiten sicher nie bezweifeln, werter Takemaru.“ Meine Güte, war der Kerl schwierig.

„Dann empfehle ich Ihnen, das auch nicht zu tun. Und jetzt gehen Sie mir aus dem Weg. Ich habe eine Verabredung.“

Naraku gehorchte, um seinen einzigen direkten Kontakt nicht noch zu verlieren. Aber er starrte ihm nach, kein Ohr für die laute Musik aus den hunderten von Geschäften um sich habend. Wie schaffte es diese verdammte alte Fellnase nur, dass die Leute so loyal zu ihm standen?

 

Takemaru Setsuna schritt in ähnlichem Zorn die breite Hauptstraße entlang und überquerte sie. Die Einladungen für Maidcafes und andere Attraktionen ignorierte er. Dieser Naraku war wirklich lästig. Wie bekam er den nur wieder los? Der Taishou würde kaum gegen seinen Schwager vorgehen, dazu war es zu deutlich, wie oft er Izayoi-sama besuchte. Er würde sie kaum dadurch kränken wollen, dass er ihren Bruder ruinierte. Aber, bei allen Göttern, der Kerl war intrigant, lästig und ….

Ja, sein Vater hatte recht gehabt, als er sagte, dass Hanyou, oder insgesamt Halbblüter, nicht auf diese Welt gehörten, weil sie das Schlechte von beiden Elternteilen mitbekamen, nie das Gute. Hanyou gehörten nicht zu dieser Welt, weder zu Menschen noch zu Youkai. Hanyou, die Verkörperung des Üblen, des Bösen. Ganz bestimmt würde Izayoi-sama, die ja eine so gute, sanfte Frau war, keinen Hanyou zur Welt bringen können. Das wäre für sie als Frau zwar traurig, aber sicher besser für alle. Ja, Hanyou gehörten nicht auf diese Welt, da hatte Vater recht. Und irgendwie und irgendwann würde er selbst es auch diesem Naraku zeigen können.

 

Das Quartett aus Youkai und Baumgeist blickte auf, als der Taishou durch den Wald zu Bokuseno kam, etwas aufgeschreckt durch die Mitteilung, er solle herkommen. Da Myouga nicht unverzüglich auf sein Schulterfell sprang, vermutete er jedoch, dass seine Freunde tatsächlich eine Lösung für das Kinderproblem gefunden hatten, und blieb stehen. „Guten Abend. Ich hoffe auf gute Nachrichten.“

„Setzen Sie sich erst einmal, oyakata-sama,“ murrte Toutousai, nicht nur an seinem Geruch unverkennbar als Schmied erkennbar.

Zur gewissen Erleichterung der alten Youkai, die nie so ganz das Machtgefälle vergessen konnten, nahm der Hundefürst Platz und blickte von Myouga, zu Bokuseno, zu Toutousai – und zu dem unerwarteten Gast. „Da der Herr der Perlen den Weg vom Meer hierher gemacht hat, nehme ich an, dass es um Perlen geht, oder, Hosenki?“

Der zuckte in wenig die Schultern. „Lassen Sie es mich so sagen, Bokusenos Ruf war deutlich. Und das Problem wirklich … unerwartet. Ich hätte nie geglaubt, dass Sie eine Menschenfrau heiraten, geschweige denn an Kinder denken.“

„Sie denkt daran und ich bin nicht abgeneigt,“ erläuterte der Daiyoukai prompt. „Also, euer Vorschlag?“

„Dein Problem ist dein Youki. Und nicht zu unrecht.“ Der alte Baumgeist musterte die ungewöhnlichen Versammlung vor sich, ehe er wieder zu dem Hundefürsten guckte. „Du bist vermutlich einer der stärksten Youkai, der je existierte. Was bei Sesshoumaru eher positiv ist, hat er doch die passende Mutter. Im schlimmsten Fall wird er mächtiger als du. Eine menschliche Mutter jedoch … Wir waren uns alle wahrlich nicht einig, ob Izayoi eine solche Schwangerschaft überhaupt überleben könnte. Hosenki?“

Der dunkle Herr der Perlen übernahm. „Ein menschliches Kind, oder auch nur mit einem halbmenschlichen Körper würde Ihrem Youki kaum vom Verstand her widerstehen können und vermutlich wahnsinnig werden. In einem solchen Zustand würde ein Hanyou alles um sich töten – nicht zuletzt die Frau, in deren Leib er lebt. Da Sie jedoch sagten, sie habe einen Funken Genki, sehen wir eine Möglichkeit. Es wird schwierig, aber unser guter Toutousai ist ein Genie.“

„Was euch immer nur einfällt, wenn ihr alle in Schwierigkeiten steckt,“ erwiderte der Schmied prompt. „Ich erinnere nur an Tenseiga.“ Der vorwurfsvolle Blick galt dem Herrn der Hunde.

Der Taishou sah sich zu einem gewissen Nicken gezwungen. Immerhin hatte er Tenseiga benötigt, um irgendeinen Gegenpol zu dem Schwert der Hölle zu finden, sich und seinen Verstand etwas aus der Umklammerung des bösen Geistes darin zu befreien – und auch Wesen zu retten, die durch So´unga starben. „Also noch ein Schwert?“ Hm. Drei wäre einfach albern. Aber heutzutage musste er sie ja nicht mehr tragen – und ein Hanyoukind würde eben das dritte erst nach seinem Tod bekommen.

Toutousai war durch diese Geste des Fürsten beruhigt und erklärte: „Ja, noch ein Schwert. Es soll Ihrem Kind Ihren Schutz vor Ihrem Youki geben. Das wird nicht gerade einfach zu schmieden, das kann ich Ihnen jetzt schon sagen. Zumal ja da eben auch noch Tenseiga und vor allem … naja, Sie wissen schon, zu beachten sind.“ So´ unga wollte er nie in der Hand haben, wirklich nicht. „Tenseiga ist ein Widerpart zum Höllenschwert, das müsste diese neue Klinge auch sein, sonst gewinnt im Zweifel So´unga. Damit wird sie aber zum Zwillingsschwert von Tenseiga. Also muss auch das neue Schwert aus dem gleichen magischen Material bestehen, wie dieses.“

„Ich kann kaum noch einmal einen Meidoustein besorgen,“ wandte der Taishou stirnrunzelnd ein, der nicht verstand, oder eher, nicht verstehen wollte.

Myouga übernahm nach Blicken seiner Freunde mit gewissem Seufzen die Hiobsbotschaft. „Nein, das ist sicher nicht notwendig, oyakata-sama. Sie besitzen ein Höllenschwert, ein Schwert des Jenseits, das neue sollte ein Kind in dieser Welt schützen. Sie geben ihm Ihren Schutz gegen Ihre Macht. Äh, nur einen Fangzahn.“

Da der Blick des Hundefürsten eisig wurde, seufzte der Schmied. „Ja, was jetzt, oyakata-sama? Ich mag ein Genie sein, aber auch ich habe meine Grenzen. Wollen Sie ein Kind von dieser Izayoi oder nicht? Und wollen Sie es schützen? Es ist Ihre Entscheidung.“

„Natürlich.“ Der Taishou wusste, dass sein letzter Fangzahn, der in Tenseiga steckte, auch nachgewachsen war, aber es war dennoch eine recht unangenehme Prozedur gewesen. „Aber, was, wenn es ein Mädchen wird?“

„Hier,“ erklärte Myouga, heilfroh, dass er doch schon die Einwände seines Herrn vorhergesehen hatte: „Hier kommt Hosenki ins Spiel, auch ein männliches Baby sollte nicht unbedingt mit einem Schwert hantieren, nicht wahr?“

Der Perlenyoukai nickte eilig, ehe dem Herrn der Hunde noch ein Widerspruch einfiel. Sie hatten nicht tagelang diskutiert, um jetzt von diesem missachtet zu werden – so, wie sie ihn alle aus Erfahrung einschätzten, würde der seine guten Vorsätze bei der nächsten Umarmung Izayois vergessen. Selten, nun, eigentlich nie, hatte er an ein zweites Kind auch nur gedacht. „Ich würde das neue Schwert in eine magische schwarze Perle einfassen. Diese versenken wir dann, also, Toutousai und ich, im Auge des Kindes. Ist es ein Mädchen, fällt es nie auf und die Kleine wäre ihr Leben lang behütet. Ist es ein Junge, kann man ja, wenn er älter wird, die Perle aus seinem Auge ziehen und das Schwert ihm geben.“

„Außerdem, oyakata-sama,“ fügte der Schmied hinzu: „Gibt es noch ein Problem.“
 

Zukunfspläne


 

N

och ein Problem? Der Herr der Hunde hätte fast geseufzt, wollte sich aber nicht einmal in Gegenwart seiner Freunde so darstellen. War Kinderzeugen immer so schwierig? Oder nur bei Hanyou? „Was jetzt noch?“

Drei der Anwesenden blickten zu dem alten Baumgeist. Bokuseno, wahrlich der älteste Freund des Daiyoukai, erkannte, dass sie ihm das wohl überlassen würden. „Äh, du hast schon einen Sohn,“ begann er behutsam.

Der Daiyoukai war irritiert. „Ja, das wisst ihr doch. Und?“

„Sesshoumaru ist, nun, ein wahrer Youkai. Er wird kaum dastehen und die Arme verschränken, wenn er einen kleinen Bruder hat, der ihm sein Erbe streitig machen könnte.“

„Das werde ich verhindern,“ erklärte der Taishou und sah ein wenig verwundert das eifrige Nicken. „Was meint ihr?“ erkundigte er sich misstrauisch.

„Äh, oyakata-sama ...“ Myouga holte tief Atem. „Natürlich würden Sie es verhindern. Aber, dass Sesshoumaru sein Erbe antreten kann, geht ja erst nach Ihrem Tod, der in hoffentlich weiter Entfernung liegt. Sag es schon, Toutousai ...“

Während der Hundefürst zu dem Schmied sah, dämmerte ihm, dass seine alten Freunde die Lage wohl richtig eingeschätzt hatten. Sesshoumaru würde keinen Konkurrenten dulden, das war nur zu dämonisch gedacht, ja. Wieso hatte er selbst das bislang übersehen? Weil er nur zu gern ein Kind von dieser einen Menschenfrau hätte? Es wäre nicht das erste Mal in seiner noch so jungen Beziehung zu Izayoi, dass seine Gefühle seinen Verstand überrannten. Was machte sie nur da mit ihm? Logisch bleiben, ermahnte er sich. „Es gibt also eine Möglichkeit?“

„Nun ja.“ Toutousai wiegte seinen Kopf hin und her. „Ich kam auf den Einfall, weil Sie ja wollten, dass ich Tenseiga noch einmal mit einem Bann versehe, damit dieser Shi ... irgendwas, es nicht nutzen kann. Man könnte, genauer, ich könnte das ausbauen. Tenseiga schützt sowieso seinen Besitzer. Damit könnte man dafür sorgen, dass das neue Schwert nicht Tenseigas Besitzer umbringen kann.“

„Das Kind ist noch nicht einmal gezeugt, geschweige denn geboren!“ protestierte der mutmaßliche Vater sofort.

„Ja, genau das meinen wir, oyakata-sama,“ mischte sich Hosenki versöhnlich ein. „Zwei Söhne – mit der Stärke, Impulsivität und dem Beschützerdrang, den sie gewiss von Ihnen erben ….“

Der Taishou nahm sich zusammen. „Schön, Toutousai, weiter.“

„Das neue Schwert,“ fuhr der Schmied fort: „Dagegen, ist, als Beschützerschwert, sicher auch ein Instrument der Macht. Also müsste man dafür sorgen, dass Sesshoumaru das nicht nutzen kann, da einen Bannkreis errichten. Umgekehrt müsste man auch in Tenseiga das Meidou verstecken, denn gegen das kann ich praktisch nichts schmieden. Ich sagte ja, es wird sehr kompliziert.“

Der erfahrene Stratege dachte nach. „Ihr schlagt also im Endeffekt Tricks vor, damit die Jungs, wenn es denn welche werden, sich nicht umbringen können, sondern lernen. Das Meidou zu verstecken ist raffiniert, Toutousai, das gebe ich zu. Sesshoumaru wird erst Zugriff darauf bekommen können, wenn du es zurück in seine Ursprungsform bringst. Bis dahin könnte er eingesehen haben, dass es nicht unbedingt nur von Vorteil ist der Anführer zu sein. Oder auch seinen jüngeren Bruder umzubringen. Wobei ich doch hoffe, ihm das beibringen zu können. Und der Jüngere – der weiß nichts von dem Schwert, da es versiegelt ist. In einem Notfall sollte er es jedoch erhalten können. Aber, wie soll der sich dann schützen? Selbst, wenn er das Schwert in der Hand hat? Und Tenseiga an sich ...“

„Ich würde für das neue Schwert ebenfalls Holz aus mir für eine Scheide zur Verfügung stellen,“ meinte Bokuseno. „Sie sind Zwillingsschwerter, beide mit deiner Magie für deine Söhne ausgestattet, vollkommen gleichwertig und doch anders. Wie es wohl auch deine Söhne sein würden. Wird es ein Mädchen, nun, dann haben wir uns eben umsonst Mühe gegeben.“

„Die Scheiden schützen nicht nur die Schwerter. - Ihr habt euch wirklich viele Gedanken gemacht, danke.“ Wahrlich, wer solche Freunde – und solche Ehefrauen hatte – konnte, musste nur dankbar sein. „Tut es.“

 

Akina war eine ältere Drachendame, zuständig in der Residenz, denn Schloss war das kaum zu nennen, Ryuukossuseis für die Beleuchtung. Als sie die Öllampen öffnete und anblies, zuckte sie instinktiv zurück, als sie etwas berührte. Wie recht sie damit gehabt hatte, erwies sich, als sie sich umsah. „Oh, Meister ...“ Sie keuchte es fast nur, denn um den Mund des Herrn der Drachen spielte ein mehr als beunruhigendes Lächeln.

„Hast du mich gerade ohne meinen Willen berührt, Akina?“ fragte dieser mit einer Sanftmut in der Stimme, die kein Reptilienyoukai täuschen würde.

Gleich, was sie sagen würde, es wäre falsch. Und sie hatte noch nur zu gut ihre Freundin in Erinnerung, die eine volle Nacht unter ihm hatte leiden müssen. Es hatte fast ein Jahr bedurft, bis die Ärmste erholt war. So verneigte sich die Drachin nur tief.

Er hatte Glück heute. Frauen unter sich redeten doch so viel. „Mir kommt gerade eine wunderbare Idee, meine Liebe. Du darfst es dir aussuchen. Eine Nacht bei mir ...“ Er sah zufrieden, wie sie zusammenzuckte. „Oder drei Stunden. Dafür musst du mir nur eine Kleinigkeit regeln. Es gibt da eine Miezekatze, eine Daiyoukai namens Namiki, die offenbar sehr gut im Haushalt des Taishou informiert ist. Befreunde sie. Ich will wissen, wann der Bastard geboren wird. Bring mir den Termin – und ich werde diesen kleinen Verstoß ignorieren.“

„Ja, natürlich.“ Akina wusste, dass auch nur drei Stunden in seinen Armen wie die Hölle wären – aber eine gesamte Nacht? Oh ja, man überlebte, aber er sorgte dafür, dass man sich wünschte, man täte es nicht. „Vielen Dank. Namiki, die Pantheryoukai?“

„Genau die.“ Ryuukossusei lächelte erneut, eher er weiterging. Akina würde spuren, denn er hatte schon lange gelernt, dass die Weibchen mehr fürchteten als die Männer - und er die Information erhalten. Ein Duell pünktlich zum Geburtstag seines Kindes würde der Taishou bei seiner bekannten Gefühlsdusseligkeit garantiert verlieren. Perfekt. Nur noch ein wenig Geduld und der Köter würde für den Mord an seinem armen kleinen Bruder bezahlen.

 

Takemaru Setsuna setzt sich in seinem Zimmer recht zufrieden an den Schreibtisch. Die Bauarbeiten im Zedernschloss hatten begonnen, und er hatte, wie beauftragt, sich um das Personal gekümmert. Es sollten nur Menschen sein, aber durchaus willens und fähig gegen diese törichten Wurmdämonen vorzugehen, die dort in den Wäldern hausten. Der Taishou sandte zwar regelmäßig Patrouillen hinaus, aber der eine oder andere mindere Dämon würde ein Schloss voller Menschen sicher für eine verlockende Beute halten. Und es war wichtig, dass Izayoi-sama nichts zustieß. Der Fürst hatte sie ihm anvertraut, das konnte und durfte er nicht enttäuschen. Allein, wenn er daran dachte, wie sie ihn bei der offiziellen Vorstellung angelächelt hatte … Wie hatte sie so reizend gesagt: Oh, dann weiß ich dass ich auch ohne Sie, oyakata-sama, im Zedernschloss sicher bin. Ich bin überzeugt, Takemaru ist ein sehr fähiger Mann.

Der so Titulierte entsann sich nur zu gut, dass er fast größer geworden wäre. Dieses Lächeln, dieses Vertrauen … Wahrlich, das einzig Negative an ihr war, dass sie einen Hanyou, einen nervtötenden Bastard, als Bruder hatte, aber dafür konnte man einzig ihrem verstorbenen Vater die Schuld geben. Jedenfalls hatte er selbst sich nicht nur das Familienschwert von seinem Vater besorgt – das hatte schon Youkai getötet, lange, ehe es die Verträge gab - , sondern sich von diesem auch allerlei Bücher zum Thema Hanyou ausgeliehen. Es musste doch möglich sein, diesen Naraku mit einem geschickten Bannkreis von sich und auch dem Zedernschloss fernzuhalten. Bei diesem Besuch hatte sein Vater ihm erneut versichert, dass Hanyou, nicht Youkai, Ausgeburten der Hölle seien, da sie nur das Schlechteste beider Arten vereinten.

Das führte zu etwas anderem. Izayoi-sama war ja mit einem Youkai verheiratet. Ob sie je so ein Monster zur Welt bringen musste? Eher nicht, dachte sich Takemaru. Es gab vereinzelt Hanyou, ja, aber nie war ein Elternteil ein Daiyoukai gewesen. Aber, da sollte er noch einmal nachlesen. Sie zu warnen stand freilich nicht zur Debatte. Das Eheleben seines Herrn ging ihn nichts an und mit dessen Frau über doch recht vertrauliche Dinge zu reden, könnte zu Recht als Impertinenz aufgefasst werden.

Er würde auf jeden Fall die reizende junge Dame beschützen und war sicher, auch alle Männer, die er ausgesucht hatte, würden dies tun. Sie stammten alle aus alten Dämonenjägerfamilien, manche kannte er sein Leben lang. Izayoi-sama zu dienen war ein Vergnügen, das wusste er bestimmt, zumal, wenn sie allein dort im Schloss auf seine Unterstützung angewiesen war.

Ja, erkannte der junge Mann, er war tatsächlich ein wenig in die Frau seines Arbeitgebers verliebt. Unprofessionell, aber, beruhigte er sich, dass er sich die Tatsache eingestand, machte es doch nur besser.

 

Naraku kehrte aus den Bergen im Norden überaus zufrieden zurück. Nicht nur, dass die Bildung der Stiftung rasch voranging und ihm so Wohlstand für die nächsten Jahrzehnte sicherte, es war ihm auch unter einem Decknamen gelungen ein Stück Land in den Bergen zu erwerben. Sehr günstig, da in diesem Gebiet viele Wurmyoukai ihr Unwesen trieben. Er hatte eine geradezu bezaubernde Höhle gefunden, in der es mehrere von ihnen gab und es war ihm trotz seiner Unerfahrenheit gelungen, zwei von ihnen in seinem Körper zu absorbieren. Damit stieg sein Youki. Wenn er sich, nach Gründung der Stiftung, zurückzog, würde er sich diskret in diese Höhle begeben und Youkai in sich aufnehmen. Sein Versuch hatte ihm bewiesen, dass er bei vollem Bewusstsein blieb, nur seine Energie anstieg. Und einen einigermaßen ordentlichen Bannkreis konnte er auch schon fabrizieren. Das war allerdings ein Bereich, in dem er sich noch deutlich verbessern musste, um nicht nur diese törichten Wurmyoukai, sondern auch größere, mächtigere, in sich aufnehmen zu können.

In fünfzig Jahren oder so sollte er mit einem Daiyoukai wie Shishinki oder Ryuukossusei mithalten können. Nun ja, nicht im Kampf, aber zumindest in der Energie. Intelligenter als die war er doch sowieso. Und einer von denen hatte das Problem Taishou bestimmt schon endgültig gelöst, mit etwas Glück sogar auch noch Sesshoumaru als Dreingabe.

Hieße der Sieger dann Shishinki, sollte der nur Herr der Youkai werden. Er selbst würde endlich einen Platz unter Menschen einnehmen, den keiner mehr zurückweisen würde und konnte. Er, der Hanyou, als praktisch Herr der Wirtschaft Japans. Die Menschen würden sich förmlich darum reißen ihm ihre Töchter anzudrehen, da war er sicher. Und er würde endlich die Macht und den Reichtum besitzen, den der Taishou augenblicklich so sehr genoss. Sesshoumaru als Gegner – nun, das war ein Welpe, offenbar dumm, arrogant und unerfahren. Sollten die anderen zwei Daiyoukai mit dem nicht zurande gekommen sein, was er nun wirklich nicht annahm, müsste er den eben selbst ködern. Eine kleine Falle. Welche, würde sich zeigen. Fünfzig Jahre waren für einen Hanyou kein Hindernis, umso weniger im Leben der mächtigen Youkai. Wenn man sagte sieben Hundejahre sind ein Menschenjahr, so sollte man nicht an Inuyoukai denken. Da war es eher andersherum – ein Jahr im Leben des Taishou waren fast fünfundvierzig Menschenjahre. Kein Wunder, dass der doch so schnell in die Ehe mit dem dummen Schwesterchen eingewilligt hatte. Sie war pflegeleicht, gehorsam und brachte Geld mit. Und er war sie, nach seinen Maßstäben, spätestens in zwei Jahren wieder los. Gutes Geschäft, also.

Ob er selbst sich von ihr verabschieden sollte? Wäre besser. Starb der Taishou könnte er als Bruder doch dann die Verwaltung des Vermögens übernehmen, die Witwenrente laut Ehevertrag war schließlich nicht so schlecht. Das vermochte sie allein doch bestimmt nicht. Und Sesshoumaru würde sich kaum um seine Stiefmutter kümmern, besuchte er doch nicht einmal oft seine leibliche. Hm. Was sollte die Gute denn ohne ihn machen? Sesshoumaru, ja, wahrlich, der würde sie raus werfen. Also blieb nur der liebe Fürst Toko. Und ob der begeistert von einer Cousine mit Hanyou wäre, sei dahingestellt. Sicher, mit Geld konnte Izayoi den sicher ködern, so gut standen die Tokos auch nicht mehr da. Die Ehe seines eigenen Vaters mit Izayois Mutter war mehr als kostspielig für den Fürsten gewesen. Nein. Er zog sich ebenso wie Shishinki an seinen geheimen Zufluchtsort zurück. War er stärker, würde er zurückkommen – und mit den angesammelten finanziellen Reserven auch Chancen auf ein Eingreifen in das dann bestehende Machtgefüge haben. Schließlich – wer sagte, dass Izayoi in fünfzig Jahren noch am Leben wäre? Ein möglicher Hanyou wäre entweder tot – dafür würden Leute wie Ryuukossusei, Shishinki oder der eigene Halbbruder doch gern sorgen – oder nie geboren. Im Notfall müsste er eben selbst mit dem fertig werden. Und mit ein bisschen Glück wäre auch Ryukossusei inzwischen an einer … Hundeseuche eingegangen.

Naraku schmunzelte. Der Plan klang perfekt. Und er hatte noch fünfzig Jahre Zeit um ihm zu letzten Schliff geben.

 

Als der Taishou nach seinem Ausflug zu Bokuseno frohen Mutes den Pavillon betrat, war er etwas erstaunt ihn leer zu finden. Der Computer war noch an, jedoch weder seine Ehefrau noch eine Hofdame anwesend. Dann fiel ihm ein, dass sie ja einen Spaziergang hatte machen wollen, um seiner Geschichte von dem für sie relativ harmlosen Drachenzwischenfall Hintergrund zu geben. Sie war wirklich tapfer. So trat er hinaus und suchte ihre Fährte. Die winzigen Moleküle in der Luft ließen ihn trotz des winterlichen Windes rasch der Spur folgen. Ja, da war sie, mit Akiko. Sie hatte einen warmen Umhang um, gut. Menschen froren viel leichter und sie sollte sich wirklich nicht erkälten, wenn sie sich schon derart bemühte ihm zu helfen. Sie hatte ihn entdeckt und verneigte sich eilig, ebenso wie die Hofdame.

„Guten Tag, meine Liebe,“ sagte er. „Sie sehen bezaubernd aus.“ In der Nähe befanden sich vier seiner Krieger, Doppelwachen, wie angeordnet, da musste er die Form wahren. Abgesehen davon stand ihr ein Kimono einfach wirklich gut. Kein Geruch nach Krankheit haftete an ihr. Und ihr so langes, schwarzes Haar fiel weich und glänzend über ihren Rücken. Wenn er sie auf sich zog, würde es sich über ihn wie ein Wasserfall aus Seide ergießen … Stopp, ermahnte er sich.

„Danke, oyakata-sama.“ Izayoi war sehr erfreut, dass er so früh zurück war, hoffte allerdings inständig es sei nicht schon wieder irgendeine Notwendigkeit vorgefallen.

„Wollen Sie zurück oder leisten Sie mir ein wenig Gesellschaft?“ Die verhüllte Frage, wie es ihr gehe.

„Um ehrlich zu sein, ich friere ein wenig. Ich bin in eine Pfütze getreten und meine Füße sind nass.“ Auch sie blieb formell, schließlich war Akiko dabei und sie vermutete Youkai um sich, auch, wenn diese unsichtbar waren.

„Dann sollte ein Mensch wirklich ins Warme. Kommen Sie nur.“ Als das Ehepaar nebeneinander zum Pavillon zurückkehrte, meinte er leise: „Ich habe dafür auch Neuigkeiten, die Sie vermutlich erfreuen werden. Zum Einen gehen die Bauarbeiten am Zedernschloss gut voran, die notwendigen Genehmigungen zum Fällen der doch alten Bäume für die Restaurierungen des Daches sind da und die menschlichen Handwerker beauftragt. Setsuna hat auch schon Männer eingestellt, die die Wache übernehmen können. Nicht zu viele, aber alles erfahrene Leute. Falls ein Wurmdämon so töricht sein sollte meine Witterung zu ignorieren. Leider ist Größe nicht unbedingt ein Zeichen für Verstand. - Haben Sie solche Wesen schon einmal gesehen?“

„Im Fernsehen, ja, in einer Dokumentation. Aber noch nie in echt.“

„Sie sind auch zugegeben kein schöner Anblick.“

Izayoi lächelte, als sie zu ihm aufsah. „Ich denke, oyakata-sama, dass Sie kaum eines dieser Wesen mit seinem Anblick beleidigt.“

Er gab das Lächeln zurück. Ihr war ja auf ihren gemeinsamen Spaziergängen schon aufgefallen, dass sich weder Tier noch Youkai in seine Nähe wagte. „Nein, gewöhnlich kriechen sie rückwärts, wenn sie mich bemerken. Und ich habe noch eine Neuigkeit für Sie, aber dazu sollten Sie sitzen.“

„Dann hoffe ich, dass es eine freudige ist.“

„Nun ja.“

Sie erkannte, dass er in der Öffentlichkeit nichts dazu sagen würde und ging ebenfalls schweigend weiter.

 

Kaum, dass Akiko der jungen Fürstengemahlin den Umhang abgenommen hatte, sah sie den Wink des Hausherrn, der sie gehen ließ.

Izayoi schlüpfte aus den hölzernen Getas und sah ein wenig erstaunt, dass ihr Ehemann den Bürostuhl aus ihrem Arbeitszimmer holte und auf die Tatamimatte am Tischchen schob.

„Setzen Sie sich nur darauf,“ sagte er. „Das Sitzen im Knien wird Sie noch schmerzen.“

„Ein wenig, vielen Dank, Taishou.“ Sie nahm also Platz und war noch verblüffter, als sein Fußtritt ein Kissen direkt vor sie beförderte und er sich darauf im Kniesitz niederließ. Für einen Moment kam sie sich wie eine Kaiserin vor, der ihr Heerführer zu Füßen kniete, dann hätte sie über diese Vorstellung und sich selbst am liebsten gelacht. Gleich, ob er da saß oder nicht – ER war der Herr der Hunde, der Taishou. Der Fürst. Sie spürte, dass er ihre Füße auf seine Oberschenkel zog. Sein Youki allein vermochte es sie in keiner Minute zu trocknen, aber sie genoss die Wärme. Bei einem Menschen wäre das längst schon Fieber gewesen. „Ich bin neugierig“ gestand sie. „Was ist die andere Neuigkeit?“

„Meine wirklich lieben, alten, Freunde scheinen eine Möglichkeit gefunden zu haben, mit der ein Daiyoukai und eine Menschenfrau Eltern werden können. Sie arbeiten den Plan aus, aber dann sollte es gehen. Wenn es Ihnen besser geht, können wir also anfangen … zu üben.“ Er sah mit Freuden, wie in ihren Augen etwas aufstrahlte. „Sie hätten gern ein Kind, nicht wahr?“

Sie dachte kurz nach, ehe sie mit unheilbarer Ehrlichkeit antwortete: „Nun, nicht irgendeines, aber von Ihnen, ja.“

Sein Lächeln spielte um den Mund, ehe es seine Augen erreichte und sie golden aufleuchten ließ. „Das ist ein wunderbares Kompliment, dass Sie mir gerade gemacht haben, meine liebe Izayoi. Und ich werde mich bemühen, dessen würdig zu sein.“

„Oh, da bin ich sicher.“

Er richtete sich auf, um seinen Kopf in ihren Schoss zu legen. Sie strich unwillkürlich durch das silbrige, so weiche, Haar und genoss diesen seltenen Moment in einer tiefen Freude. Und sie glaubte, dass sie für immer glücklich sein würde.

 

 
 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Eltern verzeihen ihren Kindern am Schwersten die Dinge, die sie ihnen selbst anerzogen haben.
Marie von Ebner-Eschenbach.

Wir werden sehen, wie sich im nächsten Kapitel ein anderer Vater zu den Fehlern seines Sohnes stellt: Der Inu no Taishou

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel reden zwei Väter. Und der Taishou erkennt: "Die Falle" Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
It´s the eye of the tiger, it´s the cream of the fight
Rising up to the challenge of our rivals

The survivors: Eye of the Tiger Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Herzlichen Glückwunsch, Izayoi. Du hast die hinter-letzte Karte gezogen. Oder den Schwarzen Peter. Das nächste Kapitel heißt: Heirat... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
For your eyes only, only for you
The passions that collide in me
The wild abandoned side of me
Only for you, for your eyes only

Sheena Easton


Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob schon nach fünf Minuten Ehe eine Eheberatung angesagt ist ...


hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel heißt: Es beginnt. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel lernt Izayoi einiges Neues: Youkai.

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel stellen einige Leute „Überlegungen“ an, die nur leider in sehr unterschiedliche Richtungen laufen ... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapiel lernt sich das fremdelnde Paar ein wenig besser kennen - Waldspaziergang.

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Euch allen Frohe Ostern.

Schlaf gut, Izayoi, denn das nächste Kapitel zeigt: Folgen.

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Mit diesen Zeugenaussagen kann Naraku kaum hoffen diese Ehe zu annullieren ...

Das nächste Kapitel bringt: Erkundigungen, denn zumindest die Herren der Schöpfung arbeiten eifrig am gegenseitigen Untergang.

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel bringt nicht nur Onigumos Pressekonferenz: Neuigkeiten Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ja, Onigumo, Naraku ist ein so guter Junge und kommt voll nach dir – nur, als Doppelmörder würde ich mir da meine Gedanken machen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ob das gleichzeitige Fahren auf zwei unterschiedlichen Gleisen wirklich erfolgversprechend ist? Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Eigentlich ein bescheidener Wunsch von Izayoi.
Morgen, Freitag, kommt der Sohn des Hauses zurück: Familiärer Zwischenfall, dafür gleich in zwei Familien.

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel "Väter und Söhne" wird zeigen, wie sich die beiden Vater-Sohn-Beziehungen weiter entwickeln - durchaus in unterschiedliche Richtungen. Es wird ebenfalls am Freitag kommen, da ich danach in Urlaub bin. Das folgende Kapitel kommt dann mit etwas Verspätung am Montag oder so.

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel ist denn auch Onigumo gewidmet.

Es wird etwas verspätet kommen, da ich bis Samstag in Urlaub bin.

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Naraku ja.
Allerdings hat auch der Inu no Taishou einen recht betriebsamen Sonntag ...

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Izayoi ist ahnunglos, sowohl, was die Rolle ihres "Bruders" als auch die Gefühle ihres Ehemanns angeht ...Das nächste Kapitel heisst: Entwicklung und kommt erst einmal wieder pünktlich nächsten Samstag,

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel ist Naraku und seinen Plänen gewidmet ... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Schachmatt durch die Dame im Spiel,

schachmatt, weil sie mir so gefiel,

schachmatt, denn sie spielte sehr klug

packte mich Zug um Zug

Sie siegt, dachte ich mir,

sie spürt, dass ich verlier

Die Frau bringt mich um den Verstand…


Roland Kaiser


Ich weiß noch nciht, ob ich es schaffe das nächste Kapitel Samstag hochzuladen. Wenn nicht, kommt es ca. 10, 11. August. Hotep ist mal eben in Japan und bringt hoffentlich danach viele neue Ideen mit. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Die nächsten Kapitel kommen wieder pünktlich an den folgenden Samstagen.
Japan war toll.

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das klingt nicht gut.

Aber womöglich hat Ryuutsubasa die Sache mit der Kobayashi-Maru-Prüfung auch missverstanden ... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Das nächste Kapitel heisst Inu Youkai - und die einzige Lösung eine Kobayashi Maru Prüfung zu gewinnen ist es, die Ausgangslage zu verändern.

hotep Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Im nächsten Kapitel, Dienstag, hat Naraku gleich zwei unangenehme Begegnungen. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Wer solche Gefolgsleute hat, benötigt eigentlich kaum noch Feinde ... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Nur ein Problem? Ryuukossusei plant Rache, Naraku alles mögliche, Takemaru fängt an Hanyou zu verabscheuen, Shishinki scheint immerhin weg zu sein. Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich fand, hier soll es einmal enden - in dem Moment, in dem die Beiden voller Hoffnung und einfach glücklich sind, ohne Ahnung, was da auf sie und ihren Sohn wartet. Sozusagen, eingefroren in der Zeit glücklich ... Komplett anzeigen

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Von:  night-blue-dragon
2020-04-10T13:37:59+00:00 10.04.2020 15:37
Hallo,
ich konnte nicht widerstehen auch diese Geschichte zu lesen. Sie hat mir sehr gefallen, verstehe gar nicht, dass du hier nicht soviele Kommis hast, wie bei deinen anderen Storys. Nun ja... ich mag deinen Schreibstil und deine schier unerschöpfliche Ideenwelt dieses Universums.
Die Tatsache, dass es ein Wirtschaftskrimi ist, hat mich eher wie eine Katze um den heißen Brei um diese Geschichte streifen lassen, aber - wie gesagt - es hat sich gelohnt. Das Mittelalter quasi in die Moderne zu heben ist nicht einfach, aber dir ist es gelungen.

Sesshomaru macht einen Fehler - was schon allein kaum zu glauben ist^^ - den der Papa ausbadet und am Ende der Geschichte wahrscheinlich auch froh über diesen Fehler ist, da er seine Gemahlin sonst kaum wahrgenommen hätte. Selbstverständlich war auch ein 'Miroku' dabei, sehr erfrischend.
Die ganze Zeit über hoffte ich, dass du den beiden ein langes gemeinsames Leben gönnst, in dem sie sich hauptsächlich mit den Zwistigkeiten ihrer Söhne befassen müssen. Natürlich müsste sich der Taisho auch gegen den Drachen und Naraku usw durchsetzen. Ausserdem erwartete ich fast, dass Izayoi einen Brief von ihrer Mutter findet, in dem sie die ganze Wahrheit über ihre Herkunft erfährt, natürlich in einem Geheimvesteck in einem der Gegenstände aus dem Nachlass ihrer Mutter. Aber naja man kann nicht alles haben.

Ich finde es auch schön, dass der Herr der Hunde aus seinem Fehler seiner ersten Frau gegenüber gelernt hat und sich zurücknahm. Dieses behutsame annähern zauberte mir ein Lächeln ins Gesicht, welches kaum verschwinden wollte. Amüsant auch der Gedanke, einen Floh- und Baumgeist als Eheberater zu haben. Aber es hat sich für beide Eheleute mehr als gelohnt.
Izayoi in der Gewalt des Drachens war einfach atemberaubend und die Läuterung sehr überraschend. Wie viel schmerzhafter wäre das gewesen, wenn sie ihm zwischen die Beine gegriffen hätte - was natürlich nicht ging, schon klar, aber der Taisho schien diesen Gedanken ja auch gehabt zu haben - vielleicht hätte sie den Drachen sogar quasi bezwingen können.

Wie schnell die Gerüchteküche die Runde gemacht hat, nur ein Besuch der Zofe in einem Kindergeschäft und die Frage nach Kindern, bei der Pantherdämonin und schon ist Izayoi guter Hoffnung. Fehlte nur noch, dass schon die ersten Babygeschenke eintrudelten oder jede Youkai oder Menschenfrau ihr - ungefragt und höfisch korrekt - Ratschläge erteilt hätten.
Aber es wäre auch schön gewesen zu lesen, wie der Taisho sein zweites Kind im Arm hat oder eine Nacht mit seiner Frau abbrechen muss, weil das Baby schreit. Das wäre auch etwas für sein Buch der Erstmaligkeiten gewesen.^^

Ich hoffte bis zur letzten Zeile, dass Naraku seine Strafe bekommt, aber da kam völlig unerwartet das Ende... wirklich schade. Eine entspannte Zeit im Zedernschloss mit dem Ergebnis einer Schwangerschaft wäre auch sehr schön gewesen. Ein Epilog mit einem Blick in die Zukunft wäre schon schön. Da du die Story, bzw Charaktere doch - ich sag mal - auch getrennt hast, wie Naraku und Onigumo, wäre es auch möglich, dass Izayoi ihren Sohn aufziehen könnte, natürlich gemeinsam mit ihrem Gemahl. Der Drache könnte sie entführen um den Heerführer erneut in die Knie zu zwingen, aber diesmal muss der Drache sich den Söhnen stellen, die ihn gemeinsam besiegen oder halt gegen die drei Männer dieser speziellen Hundefamilie und auch Izayoi, die vielleicht gelernt hat, ihren Hauch Genki besser zu nutzen.... egal wie, ich würde in keiner Version dieser Familie als Feind gegenüberstehen wollen.^^

So... genug geschrieben. Ich danke dir für dieses Vergnügen und wünsche dir ein frohes Osterfest

glg night-blue-dragon

Antwort von:  Hotepneith
10.04.2020 16:44
Danke für den langen und sehrt ausführlichen Kommentar.

Ja, über das relativ abrupte Ende haben sich einige Leute beschwert, aber ich hatte es von Anfang an so geplant. Die Geschichte beginnt mit einer Zwangsheirat und endet sozusagen mti dem aufblühenden Familienleben.
Das problem war, dass ich eine realziv ähnliche Geschichte (Taishou/Izayoi in der Neuzeit) ja schon geschrieben hatte und mich nicht wiederholen wollte, auch, was das Ende betrifft. Zum Zweiten - ich habe ihnen nach all dem Wirrwarr einfach einen glücklichen Moment gönnen wollen, sozusagen eingefroren in der Zeit, denn sonst wäre es wieder so ähnlich geworden wie eben bei Alles rein geschäftlich - oder aber ich hätte ihn umbringen müssen um im Canon zu bleiben. Beides war mir nicht recht, also wählte ich sozusagen den Weg des geringsten Widerstandes. Und, letztendlich, lässt es mri auch Spielraum für eine weitere Storx.


Frohe Ostern


hotep
Antwort von:  night-blue-dragon
10.04.2020 17:26
Dir auch frohe Ostern... ich vergess das, da ich morgen noch mal arbeiten muss.^^

Dann werde ich die Geschichte auch lesen, hab wohl doch noch nicht alle durch.^^ Aber erst das neue Kapitel, deiner aktuellen Story.

bis dann *wink*

night-blue-dragon
Von:  _Momo-chan_
2019-03-30T19:17:38+00:00 30.03.2019 20:17
Ich kann gut verstehen, dass man von Tokyo mal Ruhe braucht. Die Stadt ist ne Nummer für sich. :D
Von:  _Momo-chan_
2019-03-30T01:08:11+00:00 30.03.2019 02:08
Die Schlussfolgerung, dass Izayoi getötet werden muss, wenn sie vergewaltigt worden wäre ist mir immer wieder sauer aufgestoßen. Jedes mal dachte ich: “Absolut. Es hat ja Jahrhunderte alte Tradition das Opfer zu bestrafen.“
Antwort von:  Hotepneith
30.03.2019 10:14
Ja. Und ich dachte, es wäre nru zu realistisch drauf mal hinzuweisen ....
Von:  _Momo-chan_
2019-03-27T11:47:53+00:00 27.03.2019 12:47
Ich weiß gar nicht mehr, wieso ich letztes Jahr aufgehört habe hier weiter zu lesen. Es war wohl viel los. Ich werde mir nach und nach die Geschichte weiter zu Gemüte führen. Ich finde ja, dass Naraku schon ein wenig einfältig ist in der Annahme die ganze Welt sei ebenso verdorben wie er selbst. (Zum Thema fremd gehen)
Antwort von:  Hotepneith
27.03.2019 15:21
Hallo und danke. Freut mich, dass du weiter liest.


hotep
Von:  Saynaya
2018-11-29T10:21:42+00:00 29.11.2018 11:21
Vielen lieben Dank für diese wundervolle Geschichte. Toll interpretiert und wieder voll in der ursprünglichen Story^^ und natürlich alle charaktere super wiedergegeben. Einfach toll und ich fand es spanend zu sehen das du es auch verstehst Romantik darzustellen. Einfach super!!!
Antwort von:  Hotepneith
29.11.2018 15:46
Dankeschön. Ja, ich wollte ein wenig auf Romantik machen, so zwischen den ganzen Krimis ... Man willl und soll sich ja auch weiter entwickeln.

hotep


Von:  MissVegeta
2018-11-13T06:11:25+00:00 13.11.2018 07:11
Das Ende?
Oh nein... jetzt schon? Es ist einfach zu schade!
Aber Naraku hat ja noch 50 Jahre Zeit...vllt bist du ja nochmal kreativ und setzt da an :)
Insgesamt ein sehr gelungenes Stück. Klasse Lesefluss auch wenn man sich immer mehr wünscht. Doch man weiß bei dir dass Storys komplett sind und man muss keine Angst haben dass nichts mehr kommt. Immer wieder toll!

Kommt als nächstes wieder ein Krimi oder wie gehen deine Wundertollen Geschichten weiter?
Antwort von:  Hotepneith
13.11.2018 07:59
Dankeschön
Ja, der Krimi: Lass die Toten ruhn. Da sind zwei Kapitel online, das dritte kommt am Mittwoch. Das sind neun Kapitel (fertig:))
Im Moment habe ich sowohl eine neue Brüdergeschcihte angefangen als auch einen Krimi im alten Ägypten, der zweite Teil von Unter den Schwingen des Horusfalken Ich schreibe immer 500 Wörter pro Tag - mal sehen, was zuerst fertig wird....


hotep

Antwort von:  MissVegeta
13.11.2018 15:04
Bin sowieso noch an einer deiner Vampirgeschichten dran ;) kann mir nur keine Titel merken höhö.
Hatte dann deine Fanfic Seite wohl noch nicht aktualisiert hehe hatte den Krimi daher noch nicht gesehen.
Bis bald :)
Von:  Sanguisdeci
2018-11-11T18:46:15+00:00 11.11.2018 19:46
Eine wundervolle Geschichte und tolle Wendungen.

Ich gebe den vorherigen Kommentatoren recht: Ein plötzliches Ende. Mein Gefühl sagt, etwas fehlt, auch wenn selbiger mir nicht verraten mag, was.

Ich muss sagen, dein Schreibstil sagt mir mehr und mehr zu. Ich werde also gespannt auf weitere Geschichten warten und in der Zeit die älteren Stücke durcharbeiten. Immerhin war dies die erste Inuyasha-Geschichte, die ich von dir las ^.^
Von:  nicoleherbster
2018-11-11T16:46:31+00:00 11.11.2018 17:46
Das Kapitel ist dir wieder sehr gelungen. Aber das Ende finde ich zu abgehackt als ob du schnell zum Ende kommen wolltest. Es wäre schöner gewesen wenn sie schwanger wäre wenn die Geschichte endet. Zudem fehlt mir der Epilog.
Antwort von:  Hotepneith
11.11.2018 17:52
Danke, ja, mein Beta fand es auch schon zu abgehackt...
Andererseits..

Ich habe ja schon weiter entworfen gehabt udn fand in einer beginennden Schwangerschaft oder so einfach keijnen Ounkt mehr, wo es zum Aufhören gegangen wäre. Also, besser.
Hm. Epilog.


Mal sehen, was sich machen lässt:)


hotep
Von:  Miyu-Moon
2018-11-11T14:21:17+00:00 11.11.2018 15:21
Hm, das ist ein ziemlich abrupptes Ende. Wird es ein Sequel dazu geben? Und hätte ich beim letzten Kommentar nicht soviel spekulieren sollen?
Von:  SUCy
2018-11-11T12:53:25+00:00 11.11.2018 13:53
Ach man, wenn man da schon wieder auf die Dinge schaut die da angekrochen kommen <.<
Aber ja, da hat er echt gute Freunde :) hoffentlich das die Panther Dämonin erkennt das sie einer falschen gegenüber steht.

Ein schönes, so friedliches Kapitelende :) Gönnen wir den 2. die Zeit bis zum nächsten Sonntag :)
Antwort von:  Hotepneith
11.11.2018 15:05
SUCy....ich wollte das als Ende machen^^


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