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Sex, Guns & Rock 'n' Roll

„Herzlich willkommen beim Schicksalslos!“
von

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„Hab ich dich.“

Ich stoße instinktiv einen Schrei aus und will Sasuke die Tür vor der Nase zuwerfen wie gerade eben Kiba, doch er fängt sie mit der Hand auf und ist schon mit einem Fuß in meiner Wohnung. Ohne darüber nachzudenken, was ich tue, hole ich aus und schmettere ihm den Stein ins Gesicht.

Er stößt ein Knurren aus und taumelt zurück. Ich knalle die Tür zu, lasse den Stein fallen. Er poltert laut über den Boden.

Meine schweißnassen Finger versuchen den Schlüssel zu fassen zu kriegen. Mal wieder spinnt das Schloss. Ich rüttle mit beiden Händen, aber ich kann ihn nicht herumdrehen.

Die Klinke wird nach unten gerissen, und ein kräftiger Stoß gegen die Tür lässt diesmal mich taumeln. Ich werfe mich mit aller Kraft dagegen, aber Sasuke hat bereits wieder seinen Schuh in den Türspalt geschoben.

Scheiße! Was tue ich jetzt? Wie kriege ich ihn aus meiner Wohnung raus?

Ich lasse von der Tür ab und springe zurück in das Zimmer. Eine Waffe, ich brauche eine Waffe … Ich habe keine Ahnung, was er vorhat, aber er wird mir sicher nicht erklären wollen, warum er mir einen Stein zur Versöhnung geschenkt hat!

Die Nachttischlampe fällt mir als Erstes ins Auge. Ich packe sie und reiße das Kabel aus der Steckdose in dem Versuch, sie möglichst bedrohlich zwischen mich und Sasuke zu bringen, der mir gefolgt ist.

„Hab ich dich“, knurrt er.

Er sieht furchtbar aus. Die Schwellungen in seinem Gesicht sind noch nicht ganz abgeklungen, und jetzt hat er auch noch ein blutiges Cut dort, wo der Stein ihn getroffen hat … Verdammt, der Stein! Er liegt noch bei der Tür. Er wäre die bessere Waffe gewesen. In meiner Küche hätte ich Messer, aber um dorthin zu kommen, müsste ich noch einmal quer durch den Raum und an Sasuke vorbei …

„Was willst du?“, frage ich und versuche meinen tobenden Herzschlag zu beruhigen. Reiß dich zusammen! Es ist nur Sasuke! Du kennst ihn von früher! Du bist nicht mehr so ängstlich wie damals! Du hast eine Menge Sachen getan, die dich ins Gefängnis bringen könnten! Selbst dort hätten sie Respekt vor dir! Du fürchtest dich doch wohl nicht vor einem einzigen Mann in deinen eigenen vier Wänden?

Keines der Argumente greift. Verdammt, wenn ich die kalte Wut in seinen Augen sehe, wird mir ganz anders. In seiner Gegenwart fühle ich mich wieder wie das schwächliche Mädchen von damals … Mir kommt wieder der Gedanke, dass ich vielleicht überhaupt erst deswegen mit ihm geschlafen und ihn anschließend ausgeliefert habe, weil ich mir etwas beweisen wollte.

„Kannst du dir nicht denken, was ich will?“, knurrt er gefährlich. „Die haben ja echt rührend auf dich aufgepasst. Treue Freunde hast du da. Leider sind sie ein bisschen dämlich.“

„Mach, dass du verschwindest“, speie ich ihm entgegen. „Wir sind fertig miteinander.“

„Ach ja?“ Er wird lauter und kommt näher. Meine Lampe beeindruckt ihn kein bisschen. Selbst ist er unbewaffnet, wie ich feststelle. „Fühlst du dich plötzlich unwohl, Sakura?“

Du solltest dich unwohl fühlen“, fauche ich. Mit Wut versuche ich meine Furcht zu übertünchen. Es klappt ganz gut, den Umständen entsprechend. „Ich hab Leuten schon Schlimmeres angetan, als sie mit einer Lampe zu verdreschen. Und ich wollte diese Woche ohnehin jemanden niederschlagen.“

„Wie kampfeslustig wir auf einmal sind.“ Er fängt meine Hand ab, als ich zuschlagen will, und reißt mir die Lampe aus den Fingern. Sie zerklirrt an der Wand. „Apropos Lust. Reden wir doch darüber, wie schnell deine Lust in Mordlust umschlagen kann. Oder was waren das für Typen, die da plötzlich in dieser Hütte aufgetaucht sind? Deine Zuhälter?“

„Pass auf, was du sagst“, zische ich. „Hast du vergessen, was ich dir gesagt habe? Ich bin nicht mehr wie früher. Du solltest dich besser nicht mit mir anlegen.“

„Umgekehrt. Du solltest eigentlich wissen, dass man sich besser nicht mit mir anlegt. Schon gar nicht so hinterhältig wie du.“

Ich schlucke. Er steht ganz nah vor mir. Ich rieche kalten Zigarettenrauch in seinem Atem … oder ist es so etwas wie seine kalte Wut? Seine Augen scheinen mich mit Blicken aufspießen zu wollen. „Du zitterst“, sagt er.

„Von wegen.“ Ich zittere wirklich nicht, fällt mir auf. Auch wenn ich innerlich eine leichte Panikattacke durchstehen muss, scheint mein Körper sich mit dem Nervenkitzel bereits abgefunden zu haben – drei Jahre lang wöchentliches Training sollte sich ja schließlich auszahlen.

„Deine Bodyguards scheinen nicht in der Nähe zu sein“, stellt Sasuke fest. „Also klären wir das wie erwachsene Menschen. Unter vier Augen. Was zum Teufel sollte das?“ Er sagt es gefährlich leise und so nah an meinem Gesicht, dass mir ein Schauer über die Haut kriecht.

Ich schweige eisern.

„Ich frag dich noch einmal. Was sollte das letzten Dienstag? Bist du irgendwie psychisch abgedreht oder so? Hast du ernsthafte Probleme? Oder hat dein Minderwertigkeitskomplex irgendeine extreme Form angenommen?“

„Mit mir ist alles in Ordnung!“, werfe ich ihm entgegen. „Ich habe keinen Minderwertigkeitskomplex!“

Er schenkt mir einen seiner überheblichen Blicke, die mich früher oft verletzt haben. Nun läuft ihm auch noch Blut aus dem Cut ins Auge, was dem Ganzen einen ernsteren Touch verleiht. „Solltest du aber“, sagt er.

Ich schnappe nach Luft und trete ihm wuchtig zwischen die Beine.

Das heißt, ich versuche es.

Irgendwie scheint er die Bewegung erahnt zu haben, denn ich treffe nur sein Knie. Er knurrt vor Schmerz auf, aber die erhoffte Langzeitwirkung bleibt aus. Er packt mich grob an den Armen und wirft mich auf mein Bett. Die Matratze federt quietschend unter meinem Gewicht, und vor Schreck bleibt mir die Luft weg.

„Heute geht es anders aus“, höre ich ihn irgendwo außerhalb meines Blickfelds knurren. „Glaubst du, es macht Spaß, mit lauter blauen Flecken in einem winterlichen Park aufzuwachen?“

„Ich dachte, Mister Sasuke Uchiha ist durch so was nicht kleinzukriegen“, gebe ich mich trotzig.

Ehe ich mich aufrichten kann, kniet er auf meiner Brust und umklammert meinen Hals. Röchelnd versuche ich nach Luft zu schnappen. Sein Gesicht ist wie erstarrt, aber sein Blick scheint zu brennen. Weiß er noch, was er tut?

„Du bleibst erst mal schön liegen, während ich überlege, wie ich dir das am besten heimzahle“, knurrt er.

Meine Augen treten aus den Höhlen, meine Lunge schreit schmerzhaft nach Luft. Meine Versuche, seine Hände von meiner Gurgel zu lösen, werden fahriger. Als er das merkt, lockert er den Griff etwas und rutscht halb von mir herunter, sodass seine Knie nicht länger gegen meinen Brustkorb drücken. Ich ringe nach Luft. Immer noch habe ich das Gefühl, dass kein bisschen Sauerstoff meine Lungen erreicht. Mir wird langsam schwarz vor Augen, meine Gedanken werden zäh wie kandierender Honig.

Obwohl mein Sichtfeld zunehmend körniger wird, meine ich zu erkennen, wie Sasukes Blick über meine Lippen bis zu meinem Dekolleté gleitet. Himmel, er will doch nicht etwa …

„Ich muss sagen, am Dienstag hast du mir besser gefallen“, sagt er mit heiserer Stimme. „Aber du hast mir ja mehr als deutlich gemacht, dass du es gern etwas rauer magst.“

Ich beginne heftiger unter ihm zu strampeln. Sein Gesicht nähert sich meinem immer weiter, bis ich die Blutergüsse sehen kann und das Blut, das noch immer auf seiner Stirnwunde glitzert.

„Sasuke“, würge ich hervor, „hör auf! Das ist … Das ist Vergewaltigung!“

Das Wort lässt ihn innehalten. Er starrt mich an, als hätte er für einen Moment seine Wut auf mich vergessen. Schließlich klettert er endgültig von mir herunter. Ich richte mich auf, auf der Suche nach Atemluft, und die ersten Züge, die ich wieder voll ausschöpfen kann, scheinen meine Lunge zum Bersten bringen zu wollen. Minutenlang, wie mir scheint, sitze ich nur da und versuche, meinen Zellen wieder den Sauerstoff zuzuführen, von dem sie so lange abgeschnitten waren.

„Wenn du mit Keuchen fertig bist, verrätst du mir ja vielleicht endlich, was ich wissen will“, knurrt Sasuke. Er steht mit verschränkten Armen neben dem Bett und stiert bitterböse auf mich herab.

Ich lasse mir mehr Zeit, als ich brauche. Ich habe keine Lust mehr, mich mit ihm anzulegen. Er ist zumindest körperlich stärker.

„Damit wir uns verstehen, mir sind drei Dinge klar“, beginnt er und füllt die Stille. „Erstens, du hast dich verändert in den drei Jahren. Von mir aus, das ist dein gutes Recht. Zweitens, du hast mit mir geschlafen und mich hinterher von irgendwelchen Typen zusammenschlagen lassen. Drittens, ich habe keine Ahnung, wieso und wie das mit Erstens zusammenhängt. Aber auch wenn du es mir nicht sagen willst, werde ich dich in einem ähnlichen Zustand zurücklassen – also kannst du mir verflucht nochmal verklickern, wieso ich dich gleich schlagen werde?“

„Du würdest wirklich eine Frau schlagen?“, frage ich. Mein Hals fühlt sich an, als würden darin glühende Kohlen aneinander schaben.

„Ich spiele niemandem den Kavalier vor, der so etwas mit mir abzieht. Das lasse ich einfach nicht auf mir sitzen, verstehst du?“, knurrt er. „Aber du hast recht. Sich mit dir zu prügeln ist sicher nicht so befriedigend wie mit Naruto. Ich werde schon was finden, womit ich dein Leben runterwirtschaften kann, bis wir Quitt sind. Wo du wohnst, weiß ich ja jetzt.“

Ich weiß, dass er es ernst meint. Sasuke meint das meiste von dem, was er sagt, ernst. In der Hinsicht hat er sich nicht verändert.

„Okay“, seufze ich heiser. „Ich erklär’s dir.“

„Ich bin gespannt. Glaub aber nicht, dass du dich rausreden kannst.“

„Ich hab mich verändert“, wiederhole ich klipp und klar. „Die alte Sakura gibt es nicht mehr. Die neue ist sich nicht zu schade dafür, Männer auszunutzen.“

„Und was genau hattest du davon, diese beiden Bulldoggen auf mich loszulassen?“, knurrt er.

„Das waren … Wie soll ich’s dir erklären?“

„Das frag ich mich auch schon eine Weile.“

„Hör zu, ich hab ein paar Leute kennengelernt, ja? Meine Mutter würde sie wahrscheinlich einen schlechten Umgang oder falsche Freunde nennen, wenn sie davon wüsste.“ Das ist nicht mal gelogen. Jedenfalls ist es näher an der Wirklichkeit als so manche Ausrede, die ich mir hätte einfallen lassen können. Ihm die ganze Wahrheit zu erzählen, kommt natürlich nicht in Frage.

Er zieht eine Augenbraue hoch. „Und was sind das so für falsche Freunde?

„Leute mit viel Geld. Die mich für gewisse gefährliche Jobs einspannen. Gefährliche und schmutzige.“

Er lacht. „Du willst mir jetzt aber nicht erzählen, du wärst neuerdings eine Auftragsmörderin?“

„Ich habe noch nie jemanden umgebracht“, sage ich eisig, „aber alles andere wahrscheinlich schon.“

„Hm.“ Das gibt ihm zu denken. „Und deine reichen Freunde sind wohl von der Mafia? Du redest Müll.“

Ich zucke mit den Schultern. „Kommt drauf an, ob du ein paar reiche, alte Säcke so bezeichnen willst, wenn sie für ein wenig Kurzweil Geld ausgeben wollen. Und dafür, dass gewissen Leuten eine Lektion erteilt wird“, füge ich schnell hinzu. Dass ich Leute im Namen des Gremiums bestrafe, ist zwar völliger Blödsinn, aber es macht die Sache glaubhafter, denke ich.

„Leuten wie mir, ja?“, fragt er schneidend. „Als hätte man dich dafür bezahlt, mich zu verarschen, am zweiten Tag, an dem ich wieder in der Stadt bin!“

„Das war etwas anderes“, lüge ich. Ich kann definitiv überzeugender lügen als noch vor drei Jahren. Sasuke fällt es bestimmt nicht auf, wenn ich von der Wahrheit mehr als drei Querstraßen abzweige. „Das sind eben die Schattenseiten meines Jobs. Ab und zu schicken sie ein paar Schläger, die mich daran erinnern sollen, dass ich nicht einfach aussteigen kann, verstehst du? Ich hab schon länger keine Aufträge für die erledigt, darum haben sie sich in mein Privatleben eingemischt. Die beiden Muskelprotze sind mir gefolgt und haben den richtigen Moment abgewartet, um mich daran zu erinnern, dass der Job wichtiger ist als mein Privatleben.“

„Ja, klar“, schnaubt er. „Lass dir was Besseres einfallen.“

„Es ist die Wahrheit!“, sage ich zornig, was meine Worte glaubhafter macht. Auch das hoffe ich zumindest. „Weißt du noch, als ich drüben in dem anderen Zimmer war? Ich bin dort rausgegangen, um mit meinem Boss zu telefonieren. Ich hab ihn gebeten, seine Leute abzuziehen, aber er hat gemeint, ich solle mitspielen und dir zeigen, was für eine … hinterhältige Frau ich bin“, sage ich geknickt. Gedanklich klopfe ich mir auf die Schulter für die geniale Idee, mich selbst in die Opferrolle zu schwingen.

Sasuke wirkt nicht wirklich überzeugt, aber er sagt nichts mehr, steht nur weiter wie eine gegossene Statue mit verschränkten Armen vor mir. „Sakura, die für die Mafia arbeitet“, murmelt er. „Ich kann’s einfach nicht glauben.“

„Tja, deine blauen Flecken sprechen eine andere Sprache.“ Ich lächle unglücklich. „Ich wollte das echt nicht, Sasuke. Ich wollte dir vielleicht beweisen, dass ich nicht mehr so unsicher bin wie früher – darum hab ich mich so schnell auf dich eingelassen. Und eigentlich … hat es mir sogar gefallen. Sehr.“ Ich beiße mir auf die Zunge, ehe zu viel Wahrheit aus meinen immer noch schmerzenden Stimmbändern rutscht. Er zuckt mit keinem Muskel. „Tja, das ist mein neues Leben“, meine ich und breite demonstrativ die Arme aus. „Du kannst meinen Job wohl ein Art investigativen Journalismus nennen. Unbefristet vertragsgebundener investigativer Journalismus mit erweiterter Handlungskompetenz. Ich wollte nicht, dass du da mit reingezogen wirst, aber ich kann dir Schmerzensgeld zahlen, wenn du willst. Unter der Hand, natürlich. So viel du willst. Man sieht es meiner Wohnung nicht an“, schon gar nicht mit dieser verfluchten Tür, denke ich, „aber ich verdiene ziemlich gut dabei. Ich hab einiges auf die Seite geschafft. Lass mich dir eine Entschädigung zahlen, ja?“

„Du glaubst, du kannst diese Demütigung mit Geld abbüßen?“, knurrt er.

„Keine Ahnung! Sag mir, was ich tun soll!“, rufe ich verärgert. Ja, ich habe ihn verraten. Ja, ich muss wieder jemanden verraten … Ich hab was anderes im Kopf, als mich ständig für meine Taten rechtfertigen zu müssen!

Er zögert. Er zögert wirklich. Aber so, wie ich ihn kenne, liegt das nicht daran, dass meine Geschichte so überzeugend war. Nein, ich vermute, jetzt, wo wir geredet haben, ist seine aufgestaute Wut weit genug verraucht, dass er nicht mehr weiter weiß. Er ist in der Absicht hergekommen, sich zu rächen – aber er hat keinen Plan gehabt, wie er sich rächen will. Dieser reine Rachedurst ohne ein letztendliches Ziel kommt mir nun zugute.

„Ich werde mir was überlegen“, sagt er schließlich. „Glaub nicht, dass du aus dem Schneider bist. Du wirst mir sagen, wo ich diese beiden Kerle finden kann. Und für dich überlege ich mir auch noch was.“

Mein Mund ist trocken, als ich sage: „Ich versuche, über sie rauszufinden, was ich kann.“

Sasuke betrachtet mich noch mit einem langen, eingehenden Blick, bei dem sich meine Nackenhaare aufrichten. Dann zieht er unheilvoll die Brauen zusammen – und zuckt leicht, als die Bewegung ihn an seine Kopfwunde erinnert. Er betastet die Blutkruste. „Und das kriegst du auch irgendwann zurück“, droht er leise. Dann macht er auf dem Absatz kehrt und stampft nach draußen. Die Tür bleibt offen, aber ich sinke in meinem Bett zusammen und bin einfach froh, dass ich noch lebe.

 

„Danke, dass du hier mit mir hochkommst“, sage ich zu Neji. Der kalte Winterwind bläst uns um die Ohren und rötet unsere Wangen. Ich finde, dass mein Cousin viel zu leicht angezogen ist, aber ich wage es nicht, ihm das zu sagen.

„Keine Ursache“, sagt er. „Wann immer du etwas brauchst, sag es mir.“

Ich bin wirklich froh darüber, dass er mich begleitet. Die Dachterrasse des Krankenhauses ist zwar öffentlich zugänglich, aber mir kommt es so vor, als schauten mich die Schwestern und der Portier im Erdgeschoss schon schief an, weil ich seit Sonntag jeden Tag hierher komme. Eigentlich könnte man mich ja für die Angehörige eines Kranken halten, hat Neji gemeint, aber da ich weiß, dass ich das nicht bin, nagen Gewissensbisse an mir, und ich glaube, dass die Krankenhausmitarbeiter das spüren.

Wahrscheinlich bemühe ich Neji also völlig umsonst, aber trotzdem ist mir wohler.

„Was war dein Chip? Der Gipfelstürmer?“, fragt er.

Ich nicke. „Mir ist nichts Besseres eingefallen als das hier …“ Vom Krankenhausdach hat man einen tollen Ausblick über diesen Teil der Stadt und es gehört zu den höchsten Gebäuden. Diesiges Nachmittagslicht hängt über den Betonkötzen, die wie zufällig ausgestreut wirken. Der Himmel ist zugezogen, und die Sonne lässt die ganze Wolkenfläche von hinten leuchten. Eigentlich gefällt mir der Anblick. So gesehen ist meine Aufgabe dieses Mal wieder eine leichte … fast jedenfalls.

„Und dein zweiter Chip?“, fragt Neji, als hätte er meine Gedanken gelesen.

Ich lasse den Kopf hängen. „Sparta“, sage ich.

„Sparta?“

Ich nicke. „Ich kann mir eigentlich gar nicht vorstellen, was ich da machen soll … Es ist einer von diesen Männern drauf abgebildet, von diesem Film …“

„300?“

„Genau der. Hast du irgendeine Idee, was ich tun könnte, was mit Sparta zu tun hat?“

„Hm.“ Ich weiß nicht, ob Neji den Film gesehen hat. Er ist ja auch schon etwas älter. „So wie ich die Spielmacher einschätze, sollst du jemanden mit orientalischen Wurzeln verprügeln“, sagt er grimmig.

Ich zucke zusammen. „Das … das kann ich nicht.“ Ich bin schon immer die Schlechteste in diesem Spiel gewesen. Die meisten Schandtaten traue ich mir nicht zu, und in einem Spiel, in dem Schandtaten das meiste Geld bringen …

„Dann fällt mir nur dieser Spruch von König Leonidas ein“, sagt Neji. „Das ist Sparta!, hat er gerufen, und den persischen Botschafter in dieses Loch gestoßen. Mit dem Fuß.“

Plötzlich sieht er mich an, die Augen geweitet, den Mund leicht geöffnet. Wir haben beide diese Augen, deren Ausdruck man kaum lesen kann, aber gerade deswegen können wir es gegenseitig. Ich weiß sofort, was er denkt. „Ich würde dich nie hier vom Dach stürzen!“, rufe ich entsetzt. „Was denkst du da über mich?“

Er fährt zusammen und wendet beschämt den Blick ab. „Entschuldige“, murmelt er. „Es ist dieses Spiel … Ich werde noch paranoid.“

„Ich weiß, was du meinst“, sage ich leise und spüre einen Kloß im Hals. Wir sind alle nicht mehr die, als die wir ins Spiel eingestiegen sind. Das Schicksalslos macht uns verrückt. Es macht Verrückte aus uns, Verbrecher, Halunken … Ich meine es bei meinen Freunden zu sehen. Sie stumpfen ab. Ich kann ihnen das nicht sagen. Ich bin froh, dass wenigstens mein Cousin auch die Schattenseiten sieht.

Aber Aussteigen ist nicht möglich.

Neji rührt sich nicht und verharrt wie ein Wasserspeier auf dem Dach. Sein Haar weht im Wind. Er sieht verloren und einsam aus … Ich weiß, dass auch er sich von den anderen entfremdet.

Eigentlich habe ich ja Naruto bitten wollen, mich zu begleiten. Aber der ist seit dem Wochenende unauffindbar. Ich frage mich, was er für Chips gezogen hat.

 

Die Sache ist mehr als nur seltsam. Ich war so kurz davor, meine ganze aufgestaute Wut über diesen unrühmlichen Dienstagabend an Sakura auszulassen – und dann bin ich einfach unverrichteter Dinge abgezogen. Ich habe mir ihre Geschichte angehört, die so haarsträubend klingt, dass es mir schwer fällt, ihr zu glauben. Aber ist es wirklich so abwegig? Drei Jahre können einen schon ziemlich verändern, egal, was andere sagen. Ich weiß selbst, wie das ist, wenn einem der Boden unter den Füßen weggezogen wird und sich das Leben um hundertachtzig Grad dreht.

Aber Sakura, eine Fast-Auftragsmörderin? Das Gerede von dem ganzen Geld, das sie hortet?

Dabei ist es gar nicht das, was mich am meisten beschäftigt. Wie ich so von ihrer Wohnung wegtrotte und dem kalten Winterwind trotze – es hat stärker zu schneien begonnen, als wollte der Schnee eine Mauer zwischen mir und ihr aufbauen –, denke ich weniger an Sakura, sondern mehr an mich. Und an das, was ich empfinde.

Ich habe nie viel mit Frauen anzufangen gewusst. Das heißt, ich weiß natürlich sehr wohl, wie was sie mir Gutes tun können. Mein Aussehen und offenbar auch irgendwie meine schroffe Art lassen sie mir zufliegen wie Mücken einem offenen Honigglas. Aber abgesehen davon habe ich nie die Notwendigkeit gesehen, irgendeine Form von Beziehung mit einem Mädchen aufzubauen.

Mein Bruder hat mich einmal einen Sozialphobiker genannt. Daraufhin habe ich ihm auch einige ablehnenden Bemerkungen an den Kopf geworfen, aber Tatsache ist, dass mich andere Menschen nicht wirklich interessieren, egal welchen Geschlechts. Sie sind laut, nervtötend, aufdringlich, naiv. In diesem Sinne geht es mir im Hinblick auf Frauen sogar besser als mit Männern: Bei Frauen weiß ich wenigstens mit ihren Körpern was anzufangen. Ihre Persönlichkeiten haben mich dagegen noch nie interessiert, und ihr Herz und das alles ist sowieso nur kitschige Homöopathie.

Dachte ich zumindest immer.

Diese beiden Treffen mit Sakura verwirren mich deswegen. Klar, letzte Woche war ich auf Aufriss, und ich habe es eigentlich dabei bewenden lassen wollen. Nach dem, was sie dann abgezogen hat, habe ich jetzt eigentlich allen Grund, sie zu hassen. Und trotzdem habe ich nun gemerkt, dass ich sie begehre. Ich will das von Dienstag wiederholen, und wenn diese beiden Arschlöcher nicht dazwischengekommen wären, hätten wir beide uns vielleicht sogar noch länger amüsieren können.

Damit wir uns richtig verstehen: Plötzliches Verlangen nach einer bestimmten Frau ist mir alles andere als fremd. Der Eisklotz in mir hat hin und wieder Momente, in denen er zu tauen beginnt, ehe die nächste Eiszeit anbricht. Aber ich habe selten mehrmals Verlangen nach ein- und derselben Frau gehabt. Wenn es schon eine bestimmte sein musste, dann aus einem bestimmten Grund – weil sie eine Herausforderung bedeutet, zum Beispiel. Aber Sakura … Ich kenne sie ewig. Sie hat mich hintergangen, meinen Stolz verletzt und mich jetzt vielleicht sogar schamlos angelogen. Warum will ich sie plötzlich? Warum will ich eine Frau, die ich hasse? Hatte sie tatsächlich Erfolg damit, mir zu imponieren? Etwa sogar mit dem krassen Zeug, das sie abgezogen hat?

Am Ende der Straße drehe ich mich um. Ich kann das Haus durch den Schleier des fallenden Schnees kaum noch erkennen. „Scheißdreck“, murmle ich.

Ich hasse es, wenn ich meine eigenen Gefühle nicht mehr verstehe.

 

„Bist du sicher, dass du das tun willst?“, frage ich Tenten. Wir sitzen in meiner Wohnung, weil sie selten Ruhe vor ihren Mitbewohnern hat.

Tenten nickt fahrig. „Wenn ich es jetzt nicht mache, krieg ich das Ding zu spät. Und bevor mich der Mut verlässt, will ich’s hinter mich bringen. Ich will Ino nicht wieder damit nerven, also kannst du mir seelischen Beistand leisten? Bitte, Neji.“

Hinata hat mir von Tentens Dilemma erzählt. Es ist wirklich furchtbar, was sie für Chips gezogen hat. Ich schweige, und sie scheint es als Zustimmung aufzufassen.

„Es reicht, wenn du meine Hand hältst. Drück einfach meine Hand ganz fest, damit ich das sagen kann, was ich sagen muss.“

„Ich kann das nicht gutheißen“, sage ich entschlossen. „Das ist viel zu gefährlich, Tenten. Es muss eine andere Lösung geben.“

„Es gibt aber keine“, meint sie unglücklich lächelnd. Sie wirkt, als hätte sie sich mit ihrem Schicksal abgefunden … In den letzten drei Jahren ist mein Glaube daran, wie ergeben man sein Schicksal akzeptieren sollte, gehörig ins Wanken geraten. „Ich muss das hier tun, sonst kommt mein Konto so weit ins Minus, dass sie wer weiß was mit mir machen.“

Ich mahle mit den Zähnen. „Tenten, das ist …“

„Ruhig jetzt.“ Sie legt mir einen Finger auf die Lippen. Ich zucke vor der Berührung weg. „Bitte nicht“, sagt sie leise. „Wenn du zweifelst, komm ich auch wieder ins Zweifeln. Ich will mich nicht noch mal dazu entschließen müssen. Im Moment bin ich gewappnet. Bring mich bitte nicht von der Idee ab.“

„Jemand muss dich aber von dieser Idee abbringen!“, brause ich auf. „Tenten, das ist Wahnsinn. Wir zahlen dir jeder eine kleine Summe, und dein Konto wird es überstehen.“

„Danke, aber das will ich nicht“, gibt sie zu. „Es hat in all den Jahren noch nie jemand einem anderen helfen müssen. Ich will meine Aufgaben auch alleine schaffen. Versteht du das?“

Ich verstehe es, aber ehe ich das zugebe, schweige ich lieber grimmig.

„Bitte, Neji. Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll. Du musst nichts weiter tun, als zu verhindern, dass ich das Telefon wegschmeiße oder plötzlich auflege, okay?“ Sie hält mir ihre Hand hin.

Warum sucht sie überhaupt Kraft für so eine Sache? Ist es ihr egal, dass mich mein Gewissen umbringen wird, sollte ihr etwas zustoßen? Auf ihren flehenden Blick hin ergreife ich schließlich ihre Hand. Ihre Finger sind eiskalt.

„Danke“, flüstert sie und wählt auf ihrem Handy Olgas Nummer. Es dauert offensichtlich nicht lange, bis unsere blondgelockte Betreuerin abhebt.

„Ja, hallo …“, sagt Tenten mit kratziger Stimme. Sie schluckt einmal, aber es wird nicht besser. „Hier ist Tenten … Ja, genau. Sie haben gesagt, dass Sie uns mit Material aushelfen können, wenn wir selbst nicht die Gelegenheit haben, da ran zukommen. Ja. Genau. Also ich, ich brauche …“ Sie atmet tief durch und sieht mich an. Ich will wegsehen – oder ihr am besten das Smartphone aus der Hand reißen und es an der Wand zerschmettern. Aber ich zwinge mich dazu, ihrem Blick standzuhalten. Vielleicht hat Hinata recht, und wir stumpfen alle ab. Tenten schluckt noch einmal und sagt: „Ich brauche eine Pistole. Irgendeine, ich kenn mich da doch nicht aus! Ja, mit Munition … aber ein Schuss reicht.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  lula-chan
2018-05-06T19:29:33+00:00 06.05.2018 21:29
Oh Mann. Diese Geschichte hat es wirklich in sich.
Wenn man bei so einem "Spiel" mitmacht, ist es klar, dass man irgendwann abstumpft. Das ist echt nicht ohne. Die Gefühle der Mitspieler kommen sehr gut rüber. Man kann ihre Verzweiflung (besser: ihre Abgestumpftheit) sehr gut nachvollziehen und mit ihnen mitfühlen.
Ich bin schon gespannt, wie es weitergeht, und freue mich auf das nächste Kapitel.

LG
Antwort von:  UrrSharrador
09.05.2018 22:01
Danke für deinen Kommentar! Freut mich, wenn sich ihre Gefühle nachvollziehen lassen, da es ja teilweise wirklich um sehr krasse Dinge geht.
lg
Von:  EL-CK
2018-05-06T18:14:38+00:00 06.05.2018 20:14
WOW ich bin geplättet... dieses Kapitel hat es in sich... aber ich befürchte das wird noch schlimmer....
dennoch ich bin schon auf neues gespannt...
Antwort von:  UrrSharrador
09.05.2018 22:00
Danke für deinen Kommi mal wieder ;)


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