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Du kannst weglaufen...

...aber du kannst dich nicht verstecken
von

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Game over

„Tsukiyono!“ Die Stimme seines Biologielehrers peitschte in sein Ohr. Omi schrak zusammen und riss die Augen auf. Der Mann knallte ihm wutschnaubend ein Buch auf den Tisch. „Das ist dein Thema für das Referat am Montag. Thema sind Singvögel Europas. Du nimmst die Amsel.“

Omi senkte ergeben den Kopf. „Ja, Herr Lehrer.“

Während der Unterricht weiterging, blätterte Omi lustlos im Buch. Die Hausaufgaben würden ihn umbringen. Und dann auch noch ein Referat? Wie sollte er das alles schaffen? Er war an der Stelle angelangt, an der der Text über Amseln stand. Ein Bild eines schwarzen Vogels mit organgerot leuchtendem Schnabel prangte auf der Seite. Omi hatte ganz kurz eine interessante Assoziation, schob diese aber beiseite und las.
 

„Die Amsel (Turdus merula) ist ein etwa 25 Zentimeter großer in ganz Europa heimischer Vogel der Unterart Drosseln (Turdiae) Er ernährt sich von Schnecken, Würmern, Beeren und...“ Die Buchstaben begannen vor seinen Augen zu verschwimmen. Das war ja sterbenslangweilig. Er klappte das Buch wieder zu und versuchte dem regulären Unterricht zu folgen. Das war nur gar nicht so einfach, wenn man die halbe Nacht nicht schlief.
 

Seit Omis Auftritt bei Perser vor ein paar Tagen schmiss Kritiker sie mit Arbeit zu und zwar bevorzugt mit welcher, die Omi zu erledigen hatte. Sicherlich, Ken half ihm am Computer aus, wo er konnte, aber er hatte einfach nicht Omis Fachwissen. Jemand machte sich an Kritikers Datenbanken zu schaffen. Die Angriffe waren gezielt und nicht vorhersehbar. Bisher war kein nennenswerter Schaden entstanden, aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie es schafften, an sensible Daten zu gelangen. Vielleicht sogar an Aufzeichnungen über Weiß. Omi wusste, es lag auch in seinem Interesse, den Hacker dingfest zu machen, aber es nervte ihn trotzdem. Immerhin hatten sie eine mögliche Quelle der Angriffe ausmachen können. Ein Bürokomplex etwas außerhalb der Stadt. Heute Nacht sollte der Zugriff stattfinden. Omi gähnte noch einmal. Wenn er während der Mission die Augen offen behalten wollte, musste er sich unbedingt noch einmal hinlegen. Vielleicht in Geschichte. Da saß er ganz hinten und bei dem langweiligen Stoff fielen oft nicht nur ihm die Augen zu.
 


 

Aya ließ das Licht der Kellerlampe über sein Katana fließen und steckte es wieder zurück in die Scheide. Ken überprüfte den Sitz seiner Bugknucks.

„Wisst ihr, wir sollten Omis Geburtstag wirklich feiern“, sagte er, als die Krallen richtig saßen.

„Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, Siberian“, wies Aya ihn zurecht.

„Ach, Abyssinian, wann wäre denn der richtige Zeitpunkt?“, giftete Ken zurück. Pissiges Arschloch konnte er auch. „Vielleicht, wenn Omi mit im Zimmer ist? Ich dachte, wir wollten unseren Freund überraschen?“

„Bombay ist nicht mein Freund“, erklärte der Weißanführer und verließ Raum.

„Wäre mir nicht aufgefallen“, knurrte Ken. Er sah zu Yoji. „Ideen?“

„Ich hab dir gesagt, wir gehen eine Sauftour mit ihm machen. Mädchen, Schampus, Clubs. Alles was er sich endlich angucken darf, ohne rausgeworfen zu werden.“ Yoji grinste breit. „Auf jeden Fall wäre das mein perfekter Geburtstag.“

„Omi ist aber nicht wie du, Kudo!“, gab Ken augenrollend zurück. „Ich hab mir überlegt...wie wäre ein Ausflug zum Strand? Wir fahren mit dem Zug nach Kamakura und dann...“

„Kannst du vergessen.“

„Warum?“

Yoji seufzte. „Weil du Aya nie in einen Zug bekommst. Oder wenn doch, setzen die uns an der nächsten Station wieder aus. Ohne Rückfahrkarte.“

„Dann lassen wir ihn hier“, antwortete Ken ungerührt. „Ist sowieso lustiger ohne ihn. Oder kannst du dir Aya in Badehose vorstellen?“

Die beiden sahen sich an und prusteten unisono: „Näää!“

Als Omi den Keller betrat, lachten die beiden anderen Weiß immer noch, wurden jedoch schlagartig ernst, als sie ihn sahen. Hatten sie etwa über ihn geredet? Misstrauisch sah er von einem zum anderen. Von schlechter Stimmung konnte allerdings keine Rede sein. Kein Wunder, Aya war ja auch nicht im Raum.

„Komm, Omitchi, wir müssen los. Böse Hacker fangen.“ Yoji wuschelte ihm durch die Haare und Ken schob ihn sanft aber bestimmt die Treppe rauf. Wenn er nur gewusst hätte, worüber die zwei geredet hatten.
 


 

Schuldig war gerade im Begriff, die Wohnung zu verlassen, als Crawford sich ihm in den Weg stellte.

„Wo willst du hin?“, wollte er wissen.

„Ausgehen?“, gab Schuldig unbestimmt zurück. „Ich brauche ein bisschen frische Luft.“

„Nagi hat mir gesagt, dass du ihn gebeten hast, einige Sachen für ihn zu erledigen.“

Schuldig fletschte die Zähne. „Du bist eine miese, kleine Petze, Naoe“, fauchte er in Richtung des Jungen, der sich an einer Türöffnung herumdrückte. Offensichtlich wollte er sehen, wie Schuldig zusammen gestaucht wurde.

„Es war richtig von ihm, mich zu informieren“, brachte Crawford das Gespräch wieder an sich. „Wenn du Nagis Arbeitskraft abziehst, will ich, dass etwas dabei raus springt. Du bist immer noch hinter dem Weiß her?“

Schuldig hatte sich schnell wieder im Griff. Er lächelte jovial. „Das Spiel der König, Crawford. Weiß gegen Schwarz. Wie beim Schach, verstehst du?“

Crawford Miene war ausdruckslos. „Ich will, dass du alles protokollierst. Namen, Daten, Adressen, alles.“

„Möchtest du auch noch Pommes und ne Coke dazu?“, fragte Schuldig explizit höflich. Er wusste, dass er es tun würde. Er tat immer, was Crawford sagte. Mehr oder weniger.

„Also schön“, knurrte er schließlich. „Ich schreib´s auf. Aber nicht in Schönschrift. Lass dir das meinetwegen von Prodigy abtippen.“

Er verließ die Wohnung. In seinen Ohren klang süß das Protestgeheul des jüngsten Schwarz-Mitgliedes. Wenigstens das hatte er geschafft. Aber jetzt galt es, sich auf das vor ihm Liegende zu konzentrieren.
 

Im Treppenhaus schälte sich eine Gestalt aus dem Halbdunkel. Ein einzelnes, bernsteinfarbendes Auge fixierte Schuldig.

„Kann ich mitkommen?“, fragte Farfarello. In seiner Hand glitzerte ein Messer, an dessen Schneide Blut unbekannten Ursprungs klebte. Vermutlich würden sich die Nachbarn wieder beschweren, dass einer ihrer fetten Köter abgeschlachtet worden war. Er war nicht gut, wenn Farfarello sich langweilte.

Schuldig überlegte. Er war gerne mit dem anderen Schwarz unterwegs. Dessen Gedanken bezüglich seiner Umwelt und seiner Mitmenschen, insbesondere das, was er ihnen anzutun gedachte, waren für Schuldig immer recht unterhaltsam. Und eigentlich hätte er eine Ablenkung gut gebrauchen können. Jemand der mit dem Rest von Weiß ein bisschen Katz und Maus spielte, während er sich deren Jüngsten vornahm. Aber irgendwie scheiterte er daran, sich Farfarello als Maus vorzustellen. In seiner Vorstellung wuchs der Ire schnell zu einer tollwütigen, einäugigen Ratte mit narbenbedecktem Fell heran, die sich mit gebleckten, gelben Reißzähnen auf einen Haufen verschreckter Kätzchen stürzte. So etwas konnte er jetzt nicht gebrauchen.

„Heute nicht“, antwortete er deshalb. „Warum gehst du nicht alleine ein paar Kirchenmänner erschrecken. Aber denk daran: nur erschrecken, nicht umbringen. Crawford war sehr deutlich, was das anging.“

Farfarello schien zu überlegen. Dann teilte ein breites Lächeln sein Gesicht, das selbst Schuldig schauern ließ.

„Das ist eine wundervolle Idee“, gurrte er und verschwand wieder in den Schatten.
 

Der Bürokomplex lag in völliger Dunkelheit da. Die Sicherheitsvorkehrungen an der Tür waren ein Witz gewesen. Omi hatte kaum drei Minuten gebraucht, um sie reinzulassen. Unschlüssig standen sie in der dunklen Eingangshalle. Jeder der Gänge, die von dem gläsernen Konstrukt ausgingen, sah völlig gleich aus.

„Wir trennen uns“, bestimmte Abyssinian. „Siberian rechts, Balinese links, Bombay, du kommst mit mir geradeaus.“

Omi wunderte sich zwar etwas über diese Aufteilung, folgte seinem Anführer aber widerspruchslos in den unbeleuchteten Gang. Sie öffneten eines der Büros nach dem anderen, aber nirgendwo war etwas Ungewöhnliches zu entdecken. Schließlich wies Aya auf einen der Computer.

„Sieh zu, ob du was findest. Ich suche oben weiter.“

Omi machte sich gehorsam an Werk und musste zugeben, dass ihm das erheblich mehr lag, als ausgerechnet mit Abyssinian durch die Gänge zu schleichen. In seiner Gegenwart fühlte er sich immer ein wenig beklommen. Diese Takatori-Sache stand zwischen ihnen, egal wie sehr sich Omi auch gewünscht hätte, dass es anders wäre. Und egal wie sehr Aya es auch versuchte zu leugnen. Insgeheim schwang es trotzdem immer mit. Er hoffte nur, dass sie bald Gelegenheit finden würden, darüber zu sprechen und das ein für alle Mal zu bereinigen.
 

Auf dem Gang schepperte etwas. Omi war sofort in Alarmbereitschaft. Er verließ seinen Schreibtisch-Posten und schlich zur Tür. Vorsichtig spähte er in den dunklen Gang. Es war niemand zu sehen. Er schaltete das Headset ein.

„Bombay hier, alles ok bei euch? Over.“

„Siberian hier, alles ruhig. Over.“

„Balinese hier. Es ist zum Gähnen langweilig. Over.“

„Abyssinian hier. Bin im dritten Stock. Alles ruhig. Over.“

Omi wollte sich gerade wieder in das Büro zurückziehen, als er aus den Augenwinkeln eine Bewegung am Ende des Ganges sah. Ein Schatten, der sich nach links entfernte. Abyssinian hatte gesagt, er wäre im dritten Stock, die anderen ganz woanders. Es musste noch jemand im Gebäude sein. Omi wollte eine Meldung durchgeben, aber in seinem Headset knackte und rauscht es plötzlich. Entweder waren die anderen außer Reichweite oder das Ding war kaputt.

'Verfluchter Mist', dachte er und schlich kurzerhand hinter dem Schatten her. Als er um die Ecke kam, war niemand dort. Er stand vor einem kurzen Gang, der an einer Verbindungstür endete. Von dort kam man in einen anderen Gebäudekomplex. Zwei Glastüren hintereinander waren durch elektronische Systeme verriegelt. Omis Blick wanderte nach oben und blieb an einer grünen Lampe hängen. Die Türen waren offen. Plötzlich begann die Lampe zu flackern. Das Flackern wurde schneller. Vermutlich ein Warnsignal dafür, dass sich die Tür gleich wieder verriegeln würde. Kurzentschlossen drückte Omi die Tür auf und glitt hindurch.
 

Auf der andere Seite angekommen klackte es. Das Licht über ihm leuchtete rot.

'Na das hast du ja super hingekriegt.'

Er tippte gegen das Headset, doch das Ding weigerte sich, etwas anderes als atmosphärische Störungen von sich zu geben. Seufzend schaltete er es ab und folgte dann geduckt dem Gang, der ebenso wie der vorherige nur aus weißen Wänden und weißen Türen bestand. Der Innenarchitekt hatte sich nicht sehr viel Mühe gegeben.
 

Über ihm erklang ein leises Türklappen. Wäre es nicht so totenstill gewesen, hätte man das Geräusch vermutlich nicht einmal wahrgenommen. So aber wusste Omi, wo er hin musste. Auf Zehenspitzen schlich er in den ersten Stock. Er linste um die Ecke, aber da war nichts. Doch. Am Ende des Ganges wurde der Schatten durch eine haarfeine Linie aus Licht unterbrochen. Sie drang aus einer nicht ganz geschlossenen Bürotür. Langsam und vorsichtig schob er sich an die verdächtige Tür heran. Er streckte die Hand aus und schob sie zentimeterweise auf.
 

Der Raum im Inneren war ein Büro wie die anderen. Es wurde vom bläulichen Licht des Computerbildschirms erhellt. Davor stand eine Gestalt in einem langen Mantel. Omi atmete unwillkürlich scharf ein. Er kannte den Mann.

„Nabend Bombay“, begrüßte ihn Schuldig. „Du erlaubst doch, dass ich dich setze?“

Bevor Omi etwas erwidern konnte, hatte der anderen ihn gepackt und auf den Bürostuhl befördert. Er nahm Omis Hände und führte sie hinter der Stuhllehne zusammen. Dabei lehnte er sich über ihn, sodass sich ihre Wangen berührten, der Atem des anderen in seinen Nacken blies. Es klickte, als die Handschellen einrasteten.

„Gut so oder soll ich sie noch fester machen?“, fragte Schuldig in sein Ohr. „Ich hoffe, du entschuldigst die Unannehmlichkeiten, aber ich habe zu arbeiten.“

Damit wendete er sich wieder von Omi ab und ging zurück an den Bildschirm. Er tippte etwas ein und summte dabei ein Lied, das Omi nicht kannte. Seine Hand glitt zur Maus, klickte, ließ den Zeigefinger über der Taste schweben, klickte wieder. Er schien völlig versunken.
 

Omi rutschte unbehaglich auf dem Stuhl hin und her, soweit es seine Fesseln zuließen. Er überlegte, was er sagen könnte, aber es fiel ihm einfach nichts ein. Schließlich konnte er sich zu einem lahmen „Ist das nicht unbequem, wenn du die ganze Zeit stehst?“ durchringen.

Schuldig drehte sich halb zu ihm herum. „Du hast den einzigen Stuhl. Wo sollte ich mich denn hinsetzen? Auf deinen Schoß?“ Er zwinkerte Omi zu und wandte sich wieder dem Bildschirm zu.

Omi blinzelte ein paar Mal, bevor das Gesagte wirklich in sein Gehirn vordrang. Ohne es verhindern zu können, wanderte sein Blick zu Schuldigs Hintern. Was wenn...Omi fühlte eine leichte Röte in sein Gesicht kriechen. Das war wirklich zu absurd.

'Warum?', wollte eine kleine Stimme in seinem Kopf wissen. 'Ist ja nicht so, dass du davon nicht schon mal gehört hättest, oder? Wobei es vielleicht eine gute Idee wäre, wenn du oben sitzen würdest. Ist sicherlich bequemer.'

Das Bild, das in Omis Kopf entstand, ließ seine Wangen noch intensiver erröten. Er dankte innerlich dafür, dass es gerade dunkel und Schuldig beschäftigt war. Dann rief er sich selbst zur Ordnung. Er war hier auf einer Mission und Schuldig, soweit er das beurteilen konnte, sein Gegner. Da war kein Platz für solche Fantasien.

'Ich höre mich schon an wie Aya...nein, wie Abyssinian. Wenn wir auf Mission sind, hat er immer so einen Kommandoton drauf. Der schlägt seinen normalen Bosston um Längen.'
 

Omi rüttelte vorsichtig an den Handschellen, aber Schuldig hatte die Dinger so eng gemacht, dass er nicht an den Verschluss herankam. Wenn er hier raus wollte, musste er auf die anderen warten, denn dass Schuldig ihn einfach so laufen lassen würde, bezweifelte er trotz allem stark.

'Dienst ist Dienst, und Schnaps ist Schnaps.', dachte er und wunderte sich, woher er solche Sprüche kannte.

Er sah sich im Raum um und überlegte, ob er wohl irgendwie Krach schlagen konnte. Wenn er Glück hatte, würde Balinese, der in dem Flügel gleich nebenan unterwegs war, ihn hören. Wenn er nicht gerade eine rauchen war. Zuzutrauen wäre es ihm. Siberian war in jedem Fall zu weit weg. Sein Flügel ging zur anderen Seite ab. Am wahrscheinlichsten war es wohl, dass Abyssinian ihn suchen kam. Wenn er nur irgendeinen Hinweis hinterlassen hätte, in welche Richtung er gegangen war. Eine Markierung oder irgendwas. Aber er war einfach so losgelaufen, ohne zu überlegen. Abyssinian würde ihm nachher dafür den Kopf anreißen, so viel war sicher. Wenn er das hier denn überlebte. Aber weiter im Text. Womit könnte er auf sich aufmerksam machen?

„Falls du gerade überlegst, wie du deine Kollegen auf dich aufmerksam machen kannst, vergiss es. Sie werden ohnehin zu spät kommen.“
 

Omi hatte nicht bemerkt, dass Schuldig ihn schon seit einer Weile beobachtete. Er lehnte am Schreibtisch und hatte die Arme locker vor der Brust verschränkt. Jetzt, da Omi ihn bemerkte, kniete er sich vor den Schreibtischstuhl, legte seine Hände auf Omis Oberschenkel und fixierte ihn mit den Augen.

„Ich bin fertig“, sagte er sanft und griff nach dem Headset an Omis Ohr. Er betrachtete es und schaltete es wieder ein. Sofort drangen die Stimmen von Omis Teamkollegen daraus hervor. Sie waren bereits auf der Suche nach ihm. Omi wusste nicht, ob er darüber traurig oder erleichtert sein sollte. Er wollte den Mund öffnen und ihnen antworten, doch Schuldig legte seinen Zeigefinger über Omis Lippen.

„Sch...“, machte er. „Wir wollen doch ein unangenehmes Zusammentreffen zwischen ihnen und mir verhindern, oder nicht?“

Omi konnte nicht anders, als zu nicken.

„Sehr schön. Dann sage ich dir, was wir machen. Ich lasse dir das Ding hier und mache mich auf den Weg. Du zählst bis 50 und dann darfst du um Hilfe rufen. Aber erst dann.“

Omi nickte wieder und fühlte, wie die Finger von seinen Lippen gehoben wurden und stattdessen zu seinem Ohr wanderten. Schuldig legte ihm das Headset wieder an und stand auf. Er ging zum Fenster und öffnete es. Mit einem Sprung war er auf der Fensterbank und drehte sich noch einmal zu Omi herum.

„Das nächste Mal vielleicht lieber wieder ein privates Treffen“, schlug er vor, zwinkerte Omi noch einmal zu und war verschwunden.
 

Omi atmete hörbar aus. In seinem Ohr überschlugen sich die anderen. Er überlegte, wollte schon anfangen zu zählen, dann rief er sich zur Raison. Er war hier auf Mission.

„Bombay hier. Over.“

Die Reaktion riss ihm fast das Trommelfell entzwei.

„Wo bist du?“, fauchte Abyssinian.

„Ist dir was passiert?“ Siberian.

„Bleib wo du bist, wir kommen dich holen.“ Balinese.

„Ich bin im zweiten Gebäudekomplex. Am Endes des Hauptganges geht links ein Korridor ab. Die Tür ist verriegelt, aber ich kann euch gerade nicht helfen. Ihr müsst sie so aufkriegen. Over.“

„Wir kommen. Over.“
 

Omi musste nicht lange warten, bis die Bürotür aufgerissen wurde und die anderen drei hereinstürmten. Siberian warf ihn in seiner Eile fast mit dem Stuhl um und Omi knallte mit der Stuhllehne gegen den Schreibtisch.

„Omi, da bist du ja endlich“, fiel er aus dem Missionsmodus. „Wir suchen dich schon seit über einer halben Stunde. Wie bist du nur hierher gekommen?“

„Ich dachte, ich hätte etwas gehört und bin der Spur gefolgt“, antwortete Omi und wich Ayas Blick aus. „Ich weiß, ich hätte Bescheid sagen sollen, aber das Headset fiel auf einmal aus. Also bin ich alleine los, um den Hacker zu stellen.“

„Du hast ihn gefunden?“ Balinese sah sich suchend um. „Hier?“

„Ja, aber er hat mich überrumpelt und an den Stuhl gefesselt.“
 

Aya sagte nichts. Er trat zu Omi und packte dessen Arme. Dann zog er sie mit einem Ruck nach vorne. Er traf auf keinen Widerstand. Omi starrte auf seine leeren Handgelenke. Die Handschellen waren verschwunden. Und mehr noch: Sie hatten keinerlei Spuren hinterlassen.

„Das verstehe ich nicht“, murmelte er. „Ich hab doch genau gehört...eigenartig.“

„Und was bedeutet das da?“, grollte Aya und wies auf den Bildschirm. Omi drehte den Stuhl herum und blickte minutenlang auf die Buchstaben, die dort standen.

„Ist das...Mahjong?“, fragte Yoji schließlich. „Soll das heißen, du hast hier Mahjong gespielt, während wir uns den Arsch aufgerissen haben, um dich zu finden?“

„Sieht aber cool aus“, versuchte Ken die Situation aufzulockern. „Was für eine Version ist das? Wo kriegt man die? Ich mag die Fische.“

Yoji schien ernsthaft erstaunt. „Du spielst Mahjong, Ken?“

„Klar, ich liebe das. Aber meins ist nicht so schick wie das da. Ob man das kaufen muss?“

„Quatsch, so was kriegt man doch als Freeware im Netz. Du findest alles im Internet heutzutage. Glaub mir.“

„Schluss jetzt!“ Ayas Stimme war bereits mehrere Grade unterhalb des Gefrierpunkts. „Wir packen zusammen und brechen die Mission ab. Das wird ein Nachspiel haben, Bombay“

Omi nickte nur stumm. Er war immer noch von den zwei Sätzen auf dem Bildschirm gefangen.
 

Keine weiteren Züge mehr möglich. Möchten Sie ein neues Spiel starten?
 


 

Schuldig, der unter dem Fenster stehen geblieben war, hatte genug gehört und verließ seinen Posten. Das war besser gelaufen, als er gedacht hatte. Jemandem etwas einzuflüstern war nicht so leicht, wie Gedanken zu lesen. Derjenige musste schon auf Empfang sein oder sehr abgelenkt, damit das klappte. Oder eben einfach dämlich; davon gab es ebenfalls genug auf dieser Welt. Umso zufriedener war er mit dem Ergebnis. Zumal er noch die eine oder andere nützlich Information erhalten hatte.
 

'Mission erfüllt', dachte er bei sich und wanderte fröhlich pfeifend zurück zu seinem Auto. Er tänzelte im Takt der Melodie über das aufgesprungene Pflaster des schon lange verlassenen Parkplatzes, balancierte auf dem Randstein entlang und sprang schließlich mit einem gestreckten Sprung über die Absperrung, hinter der sein Auto stand.

Er ließ sich auf den Sitz gleiten, angelte sein Telefon aus der Tasche und wählte.

„Was?“

'Oha, der Kleine ist immer noch angepisst.'

„Hallo Nagi. Wo ist Crawford?“

„Weg. Farfarello hat hier in der Nähe eine Kirche auseinander genommen und den Geistlichen krankenhausreif geschlitzt. Crawford regelt das gerade.“

'Ups.'

„Ich rufe an wegen dieser Sache...“

„...“

„Komm schon, Nagi. Crawford hat gesagt, es ist in Ordnung. Und ich schreib die Ergebnisse auch selber auf. Du brauchst mich nur mal an den Computer zu lassen.“

„Vergiss es“, fauchte es aus dem Hörer. Manchmal war ihr sogenanntes Wunderkind echt berechenbarer, als er wahrhaben wollte. „Ich richte das heute noch ein. Aber du weißt schon, dass das krank, pervers und widerlich ist.“

Schuldig grinste. „Hast reingeguckt, eh?“

Ihm antwortete nur das Klickgeräusch, mit dem Nagi auflegte. Und Schuldig lächelte. Sehr, sehr, sehr breit.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Für die Interessierten übrigens noch die musikalische Untermalung: Schuldig ist heute klassisch unterwegs. Er summt das Thema der Katze aus „Peter und der Wolf“ und pfeift „In der Halle des Bergkönigs“ aus der Peer Gynt Suite.

Übrigens hab ich nachgeschaut, dass man mit 18 in Japan eigentlich noch nicht volljährig ist. Aber so lange können wir jetzt mit der Geschichte nicht mehr warten. Die bewegt sich schließlich im deutschen Rechtsraum. ;) Komplett anzeigen

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