Zum Inhalt der Seite

Du kannst weglaufen...

...aber du kannst dich nicht verstecken
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Familie

Omi schaffte es, sich geistesgegenwärtig im Rauslaufen noch eine Hose überzuziehen, bevor er ins Wohnzimmer stürzte. Das Bild, das sich ihm bot, war...grotesk. Aya lag lang hingestreckt auf dem Boden. Um ihn herum lag der Boden voller Scherben, einige von ihnen mit Blut bespritzt. Ken brüllte wie ein Irrer wüste Beschimpfungen und wurde von Yoji festgehalten, der alle Mühe hatte, den anderen unter Kontrolle zu bringen. Und dann war da noch Nagi, der die beiden mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Das alles wäre noch im Rahmen dessen gewesen, was Omi sich vorstellen konnte. Das wirklich Eigenartige war ein bizarres Mobile aus verschiedenen Geschirrteilen, die wie an unsichtbaren Fäden hängend über der Szenerie schwebten, als hätten sie vergessen, dass sie eigentlich der Schwerkraft unterlagen. Es schien, als hätte in diesem Teil des Wohnzimmers ein unsichtbares Kraftfeld die Physik außer Kraft gesetzt und durch etwas ersetzt, das nicht von dieser Welt war.
 

Schuldig, der keuchend neben Omi zum Stehen kam, konnte sich offensichtlich schon eher einen Reim darauf machen. Er fluchte und bewegte sich dann weiter auf die Streitenden zu.

„Bring den Idioten irgendwie zum Schweigen, sonst tue ich es“, herrschte er Yoji an, der Ken inzwischen in einem festen Knebelgriff hatte.

„Er hat ihn umgebracht. Wenn ich ihn in die Finger kriege, dann...“, randalierte Ken, bis Schuldig mit der Faust ausholte und ihm einen Faustschlag in die Körpermitte verpasste. Mit einem erstickten Geräusch brach Ken zusammen und hing nun leblos in Yojis Armen. Schuldig hingegen konzentrierte sich weiter auf Nagi.
 

„Nagi“, sagte er mit leiser, fast flehender Stimme. „Ich bin da. Hörst du mich? Ich bin bei dir. Komm schon, sieh mich an, Nagi. Ich bin´s. Komm schon, sag mir, dass du mich hörst.“

Omi konnte das alles nicht begreifen. Er tappte wie in Trance zu Yoji, der Ken inzwischen auf den Boden gelegt hatte. Omis Blick glitt zu Aya, der ebenfalls auf dem Boden lag. Was war hier los? Was war passiert?

„Wie...“, flüsterte er, aber Yoj schüttelte nur den Kopf.

„Ich hab keine Ahnung.“

„Haltet die Klappe, ihr Schlaumeier, sonst passiert was“, fauchte Schuldig. Er drehte sich um und sprach weiter auf Nagi ein, die Hände ausgestreckt, als könnte er ihn so besser erreichen.

„Komm schon, Nagi, es wird alles gut. Es war bestimmt ein Unfall. Du hast nichts falsch gemacht. Komm schon, rede mit mir.“

Nagi blinzelte plötzlich, sein Blick irrte unstet im Raum herum, bis er Schuldig erblickte, der ein Stück von ihm entfernt stand. Ein Laut irgendwo zwischen einem Schluchzen und einem Aufheulen verließ seine Kehle.

Schuldig machte ein beruhigendes Geräusch. „Komm schon, Nagi. Stell die Sachen wieder hin und dann komm her zu mir. Du kannst das. Komm, stell sie hin.“

Nagi schwankte. Er streckte die Hand aus und das Geschirr, das immer noch in der Luft schwebte, sank langsam zur Erde. Es bildete um Aya herum ein eigenartiges Stillleben. Nagi machte einen unsicheren Schritt, dann noch einen. Schuldig überbrückte schließlich die restliche Distanz zwischen ihnen und nahm ihn in den Arm. Omi hörte leise Schluchzer und undeutlich gemurmelte Worte. Neben ihm atmete Yoji hörbar auf.

„Ich weiß nicht, was das war, aber ich glaube, es ist vorbei“, sagte er. „Pass auf Ken auf, ich sehe mal nach Aya.“

Omi nickte mechanisch und kniete sich neben Ken auf den Boden. Er atmete gleichmäßig, schien nur bewusstlos. Yoji drehte Aya herum, dessen Gesicht weiß wie Kalk war. Eine seiner Wangen war blutverschmiert und an seinem Kinn begann sich ein großer Bluterguss zu bilden.

„Komm, hilf mir mal“, wies Yoji Omi an. Er hob Aya mit Omis Hilfe hoch und lagerte ihn auf die Couch um. Omi flitzte in die Küche und kam mit einem kalten, nassen Handtuch wieder. Yoji hatte inzwischen zwei Kissen unter Ayas Beine geschoben. Omi wischte das Blut aus Ayas Gesicht und sah, das dieses aus einem langen, schmalen Schnitt quoll. Eigentlich war es nicht viel mehr als ein tiefer Kratzer. Nichts, was eine Narbe hinterlassen würde. Einigermaßen beruhigt wandte sich Omi Schuldig und Nagi zu.
 

Nagi saß inzwischen wieder auf dem Stuhl, auf dem er wohl schon vorher gesessen hatte. Auf dem kleinen Schreibtisch stand Omis aufgeklapptes Laptop.

„Was ist passiert?“, fragte er Schuldig.

„Ich weiß es noch nicht genau“, antwortete der. „Nagi steht noch unter Schock. Wir haben Glück, dass er uns nicht das Haus über dem Kopf eingerissen hat. So habe ich ihn lange nicht mehr erlebt.“
 

In diesem Moment begann Aya sich wieder zu regen. Er stöhnte, wehrte Yojis Hand mit dem nassen Handtuch ab und sagte: „Ich bringe Ken um.“

„Was?“ Omi glaubte, sich verhört zu haben.

Aya bestand darauf, sich hinzusetzen, obwohl Yoji der Meinung war, dass das keine gute Idee war.

„Nimm endlich die Hände von mir, Kudo!“, knurrte Aya. „Mir geht’s gut. Ich bin nur gestürzt. Über die Tasche von diesem dämlichen, schusseligen...wo ist der Kerl?“

Sein Blick fiel auf Ken, das Geschirr, Schuldig und den völlig neben sich stehenden Nagi.

„Was ist denn hier los?“

„Mhm“, machte Yoji und betrachtete die Szene genauer. Er ging Richtung Küche und hob mit einem vielsagenden Blick eine Sporttasche auf, dessen langer Tragegurt lose an ihrer Seite herunter baumelte.

„Das erklärt dann schon mal die Scherben und die Beule“, stellte er fest. „Aber warum ist die Hälfte der Sachen nicht zerbrochen, sondern...“ Er wedelte mit der Hand in der Luft herum.

„Das war Nagi“, sagte Omi.
 

Er hatte jetzt ein Bild davon vor Augen, was wahrscheinlich passiert war. Aya hatte das abgewaschene Geschirr in die Anrichte im Wohnzimmer bringen wollen. Dabei war er anscheinend über den Gurt von Kens Tasche gestolpert und Nagi? Nagi hatte ganz automatisch versucht, den Sturz aufzuhalten. Er musste zu spät gekommen sein, um Aya zu erwischen, hatte aber wenigstens einen Teil des Geschirrs in der Luft halten können. Warum Ken dann so durchgedreht war, konnte Omi nur vermuten, aber wahrscheinlich hatte es einfach sehr seltsam ausgesehen. Aya am Boden liegend, Nagi über ihm, die schwebenden Tassen. Ken hatte wohl die falschen Schlüsse gezogen und vermutet, dass Nagi Aya angegriffen hatte und war durchgedreht.

„Durchgedreht?“ Schuldig, der Omis Gedankengänge offensichtlich verfolgte hatte, schnaubte verächtlich. „Er hat ihm eine Heidenangst gemacht. Hat gedroht, er würde ihm jeden Knochen einzeln brechen.“

Nagi, der stumm neben Schuldig getreten war, war fast ebenso blass wie Aya. Er schrak zusammen, als Ken sich wieder zu regen begann.

„Ich wusste doch, dass man dem Kerl nicht trauen kann“, stöhnte Ken und drehte sich auf den Rücken. Er hielt sich den Bauch und hustete. „Der schlägt ja zu wie ne Dampfwalze.“

„Du hättest eigentlich gleich noch eine verdient, du Idiot“, brauste Schuldig auf, aber Omi bat ihn mit einer Geste zu schweigen.

„Ken, es war alles ein Missverständnis. Aya ist nur gestolpert. Nagi hat ihn nicht angegriffen.“

Ken blinzelte ein paar Mal. Dann schloss er die Augen wieder und ließ den Hinterkopf auf den Boden sinken.

„Ich Esel...“ stöhnte er. „Ich hab gedacht, er hat ihn umgebracht.“

„Nein, hat er nicht“, knurrte Aya. „Aber ich hätte nicht übel Lust, dir dieses Schicksal angedeihen zu lassen. Wie oft habe ich dir schon gesagt, dass du deine Sachen ordentlich wegräumen sollst? Wie oft?“

Ken zog jammernd den Kopf ein und fing an, eine Entschuldigung zu stammeln, Aya fauchte ihn weiter an und Yoji begutachtete immer noch das unzerbrochene Geschirr. Er blickte zu Omi.

„Du sagst, das war Nagi? Wie das?“

Omi seufzte. „Ich glaube, es wird Zeit für das Gespräch. Aber lass uns zunächst mal hier aufräumen. Das wird ne längere Geschichte.“
 


 

Schuldig saß wieder zwischen Omi und Nagi auf dem Sofa. Letzterer hatte sich inzwischen wieder beruhigt und sich von Omi zu einem Schokoladenriegel überreden lassen. Still und blass saß er auf dem Sofa und harrte der Dinge, die da kommen sollten. Aya hatte ein großes Pflaster im Gesicht und einen Eisbeutel in der Hand, den Yoji ihm immer wieder an den Kopf hielt, was nach Ayas offensichtlicher Meinung total übertrieben war. Ken wiederum saß wie ein Häuflein Elend auf dem Boden und wagte nicht, irgendjemanden aus der Runde anzusehen.

„Also?“, sagte Yoji schließlich. „Wer fängt an?“

„Nagi beherrscht Telekinese und Schuldig ist ein Telepath“, sprudelte Omi hervor, bevor ihn Schuldig daran hindern konnte.

'Was soll das denn jetzt?'

'Ich dachte, ich mache es wie beim Pflaster. Kurz und schmerzlos.'

Schuldig verdrehte die Augen.

'Dass du bei euch für die taktische Planung zuständig bist, halte ich aber für ein Gerücht.'

„Telekinese? Telepath?“ Yojis Gesichtsausdruck sprach Bände. Er hatte keine Ahnung, worum es ging.

Schuldig seufzte. „Ich kann Gedanken lesen und Nagi bewegt Dinge, ohne sie zu berühren. Daher auch die fliegenden Tassen. Klar soweit?“

„Aber...aber...aber so was gibt es doch gar nicht“, wagte Ken einzuwerfen. Er sah Schuldig mit zusammengekniffenen Augen an.

Schuldig verzog missbilligend den Mund. „Die Frage „Was denke ich gerade?“ ist nicht unbedingt das Intelligenteste, was du heute von dir gegeben hast.“

Er warf einen Blick auf Yoji und sagte: „92. Ich bin aber kein Taschenspieler, der dir nur verrät, an welche Zahl du gerade gedacht hast. Ich sehe alles, was in deinem Kopf vorgeht.“

Als Yoji ein wenig weiß um die Nase wurde, setzte er mit einem Grinsen hinzu: „Ja alles.“

Er drehte den Kopf und wollte den Mund schon öffnen, als Aya ihm zuvorkam.

„Wage es ja nicht“, knurrte er. „Ich will, dass du dich aus meinem Kopf raushälst.“

Schuldig pustete sich eine Strähne aus dem Gesicht. „Na mit Vergnügen. Ist sowieso nur langweiliges Zeug. Schwester hier, Takatori da...“

Aya sprang auf. „Du...“
 

Er wollte wohl noch etwas anfügen, wurde aber von einer Teetasse abgelenkt, die vor seine Nase schwebte. Die Kanne erhob sich ebenfalls vom Tisch, goss die Tasse knapp voll und setzte sich dann sanft wieder ab. Aya starrte die Teetasse an, als würde sie ihn gleich beißen.

„Möchtest du einen Tee?“, fragte Nagi, der seine Hand in Richtung der Tasse erhoben hatte. „Sonst nehme ich sie.“

Aya sah ihn an, sah die Tasse an, sah noch einmal Nagi an und griff dann zu, um sich mit der Tasse wieder zu setzen. Er zögerte, dann trank er einen Schluck. Er murmelte etwas und stellte die Tasse wieder ab.

„Also schön“, meinte er dann. „Das hätten wir dann wohl geklärt. Und jetzt sagt mir endlich, was ihr mit meiner Schwester vorhattet.“

„Ist das alles, was dir dazu einfällt?“ Ken schien völlig aus dem Häuschen. „Wir haben hier zwei...ich weiß nicht...“

„Pass auf, was du sagst“, erinnerte ihn Schuldig. „Ich warte nur auf eine Gelegenheit, dich nochmal auszuknocken.“

„Das ist wirklich ungewöhnlich“, bemerkte Yoji. „Aber Ayas Frage ist nicht ganz unberechtigt. Was wolltet ihr mit seiner Schwester.“

Schuldig schwieg einen Moment. Omi sah, wie es in seinem Kopf arbeitete.

„Schwarz untersteht einer Organisation namens SZ“, sagte er schließlich. Neben ihm sog Nagi scharf die Luft ein. „Sie werden eine Order an uns richten, dass wir das Mädchen besorgen sollen. Was genau sie mit ihr vorhaben, weiß ich nicht. Selbst Crawford war sich nicht ganz sicher.“
 

Yoji nickte zunächst, dann stutzte er. „Sagtest du, sie werden es noch tun? Woher wisst ihr das?“

Schuldig fuhr sich mit Daumen und Zeigefinger über das Kinn. „Weil Crawford die Zukunft voraussehen kann.“

„Ja genau“, lachte Ken auf. „Und ihr habt euch noch fliegende Drachen und sprechende Kobolde und seid allesamt von Fuchsgeistern besessen.“

„Kobolde? Nein, nur einen Iren, der ziemlich gut mit Messern umgehen kann. Obwohl der vielleicht als besessen durchgehen könnte. Frag mal Omi.“

Ken starrte Omi nur ungläubig an, als der bestätigend nickte.
 

„Und du hast ihnen geholfen?“, fragte Aya stattdessen und fixierte Omi mit einem kalten Blick. „Du hast diesen...Monstern meine Schwester ausgeliefert?“

„Ich...ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte“, stotterte Omi. „Er hat gedroht, euch alle umzubringen. Außerdem hat er versprochen, dass Aya nichts passiert.“

„Wage es nicht, ihren Namen in den Mund zu nehmen“, fauchte Aya.

„Das könnte ein bisschen schwierig werden, wo du dich doch genauso nennst“, merkte Schuldig an. „Außerdem hätte es sowieso nichts geändert. Wir hätten das Mädchen ohnehin früher oder später bekommen.“

Aya funkelte ihn wütend an. „Wie meinst du das?“

„Mal angenommen, wir wären an dem Tag nicht im Krankenhaus gewesen, dann hätte sich Schreient dein Schwesterlein geschnappt. Wir hätten dann nur dafür sorgen müssen, dass sich Weiß und Schreient über den Weg laufen, und hätten deine Schwester über eure toten, kalten Körper hinweg einfach zu Tür hinaus getragen, nachdem ihr euch gegenseitig zerfleischt hättet. Das wäre übrigens das Szenario gewesen, das Crawford bevorzugt hätte. Aber selbst wenn ich das Mädchen doch hätte selber holen wollen, was hätte mich dann daran gehindert, alle notwendigen Informationen einfach aus Omis Kopf zu lesen? Dass er es mir gesagt und mich hingeführt hat, war eigentlich nicht notwendig.“
 

Ayas Gesicht war eine emotionslose Maske. „Warum hast du das dann nicht getan? Warum hast du ihn gezwungen, seine Freunde zu verraten?“

„Du weißt es“, erwiderte Schuldig. „Du weißt es und verstehst es. Weil ich es kann. Weil ich sehen wollte, wie er es tut. Weil ich ihn von euch trennen wollte. Weil ich wollte, dass ihr ihn hasst. Darum. Aber du hasst den falschen Mann, Aya. Wenn du jemanden hassen musst, dann nur mich. Omi hat lediglich getan, was ihm sein kleines, dummes Herz gesagt hat. Er wollte euch schützen. Das ist sein einziges Verbrechen.“

„Nicht ganz“, sagte Omi leise. „Ich habe mich auch in den Mann verliebt, der all das angerichtet hat. Ich...es tut mir leid.“

Er konnte nicht verhindern, dass Tränen in seine Augen schossen. Jetzt, da er das alles so vor sich ausgebreitet sah, kam er sich erneut unheimlich dumm vor.

Schuldig drehte ihn zu sich herum, nahm ihn bei den Schultern und zwang ihn, den Kopf zu heben. „Du vergisst etwas, Omi. Du wusstest nicht, was ich kann. Du wusstest nicht, dass alles nur ein Spiel war. Und glaube mir, das ist es inzwischen auch nicht mehr. Ich wäre kaum hier, wenn es so wäre. Ich bin hier, weil ich euch helfen will.“
 

Schweigen breitete sich aus. Es senkte sich über den Raum wie ein Leichentuch. Erdrückend, schwer, endgültig. Bis Yoji sich endlich räusperte.

„Also mit unserer Partnerwahl scheinen wir ja alle nicht so sehr viel Glück zu haben“, sagte er und grinste Omi ein wenig schief an. „Aber immerhin ist dein Partner noch hier und am Leben. Also von daher: Herzlichen Glückwunsch!“

Kens Kopf ruckte herum. „Bist du irre? Die beiden sind doch kein Paar. Also...Omiiii?“

Das letzte Wort hatte er ziemlich panisch gekiekst. Omi musste gegen seinen Willen lachen. Er wurde wieder ernst und sah Schuldig an.

'Sind wir denn ein Paar?', fragte er in Gedanken, weil er sich nicht recht traute, die Frage auszusprechen.

'Ich versohl dir auf jeden Fall den Hintern, wenn du mit jemand anderem in die Kiste steigst. Reicht dir das vorerst?'

'Ja, das reicht vollkommen.'

Omi schlang die Arme um Schuldigs Hals und küsste ihn. Hinter ihm gab Ken krächzende Geräusche von sich, Yoji lachte laut und Aya...Aya stand auf und verließ den Raum. Omi sah ihm nach und wusste, es würde Zeit brauchen. Aber mit sehr, sehr viel Glück, würde vielleicht doch wieder alles gut werden.
 

Ken wusste nicht recht, wo er hinsehen sollte. Omi und Schuldig saßen immer noch ineinander verschlungen auf dem Sofa, Yoji war inzwischen in die Küche gegangen und bereitete etwas zu Essen vor und Nagi hatte sich wieder an den Laptop gesetzt. Ken gab sich einen Ruck und ging zu ihm. Er blieb ein Stück weit vom Schreibtisch entfernt stehen und starrte auf seine Schuhe. Als er merkte, dass Nagi ihn ansah, wagte er, ihn anzusprechen.

„Es tu mir leid“, murmelte er. „Ich meine, das vorhin. War ne dämliche Aktion.“

„Ja ziemlich“, gab Nagi zurück. Er machte nicht den Eindruck, dass er mit Ken reden wollte. Der ließ sich davon nicht beirren und linste auf den Bildschirm.

„Was machst du denn da?“

„Nichts“, antwortete Nagi und klappte den Laptop zu.

„Mhm ok. Also...“ Ken lachte plötzlich auf.

Nagi sah ihn prüfend an. „Was ist so komisch?“

Ken kicherte. „Ich hab nur gerade gedacht, dass ich froh bin, dass ich nicht gegen dich kicken muss. Du würdest ja voll schummeln beim Tore schießen.“

Nagi legte den Kopf schief.

„Kicken. Fußball. Du weißt schon. Das Spiel mit dem Ball? Das musst du doch mal gemacht haben.“

„Nein, nie“, gab Nagi zu. Er schien unsicher zu sein, wo das Gespräch hinführen sollte.

„Gut, du siehst auch nicht gerade wie eine Sportkanone aus“, meinte Ken. „Ist nicht böse gemeint. Aber sag mal, hast du eigentlich auch was anderes anzuziehen als diese Uniform?“

Nagi schüttelte den Kopf.

„Ok, das müssen wir dringend ändern. In dem Ding kann man sich ja nicht bewegen. Yoji und ich wollten sowieso mal zum Einkaufen. Da kommst du mit und wir besorgen dir was anderes zum Anziehen. Und dann bringe ich dir mal bei, wie man mit einem Ball umgeht. Wirst sehen, das macht Spaß.“

„Ich glaube nicht, dass ich das möchte.“ Nagi sah Hilfe suchend zu Schuldig, der allerdings mehr als abgelenkt war. Sein stummer Hilferuf verhallte ungehört.

„Hey“, sagt Ken und lächelte Nagi an. „Das wird schon. Wirst sehen, wir raufen uns schon zusammen. Weißt du, mit Aya hab ich mich auch an unserem ersten Tag geprügelt. Und jetzt sieh uns mal an. Wir sind ein prima Team. Fast so was wie eine Familie.“

„Eine Familie mit einer sehr grantigen Mutter“, konstatierte Nagi trocken und Ken musste so laut lachen, dass Schuldig und Omi aufsahen.
 

„Was machen die beiden da?“, fragte Schuldig.

„Ach weißt du, Ken ist eigentlich gar nicht so übel, wenn man ihn mal näher kennt. Er kann super mit Kindern umgehen.“

Schuldig runzelte die Stirn. „Nagi ist aber kein Kind.“

„Das stimmt. Aber ich denke, er braucht trotzdem ein Zuhause. Eine Familie. Einen Platz, wo er hingehört. Ich glaube, das hatte er bisher in seinem Leben nie so wirklich, oder?“

Schuldig sah aus dem Fenster. „Schwarz war bis jetzt seine Familie.“

Omi schnaubte empört. „Eine lausige Familie, wenn du mich fragst.“

„Ja, antwortete Schuldig. „Da magst du Recht haben.“
 

Schuldig wirkte abwesend, so als würde er etwas lauschen, das nur er hören konnte. Omi musste nicht lange überlegen, worum es sich dabei handelte.

„Was ist?“, fragte er trotzdem.

Schuldig befreite sich aus Omis Umarmung und stand auf. „Ich gehe nochmal mit Aya reden.“

„Ich glaube nicht, dass das eine gute Idee ist.“, murmelte Omi. „Du solltest ihm Zeit lassen.“

„Wir haben aber nicht ewig Zeit“, gab Schuldig zurück. „Die Lage ist zu ernst für solche Mätzchen. Ich komme mir zwar schon vor, wie ein verdammter Seelenklempner, aber was soll´s. Irgendeiner muss es ja machen.“

„Soll ich mitkommen?“ Omi wollte sich bereits erheben.

„Nein, das mache ich alleine. Was ich ihm zu sagen habe ist nicht unbedingt für alle Ohren bestimmt.“

Omi legte die Stirn in Falten, sagte aber nichts. Er sah Schuldig nur nach, der langsam die Treppe nach oben ging und fühlte, wie sich sein Herz zusammenzog. Warum nur musste das alles so schwierig sein?
 


 

Aya saß auf dem Bett seiner Schwester. Neben ihm stand eine Schüssel mit Wasser und er tauchte immer wieder einen kleinen Lappen ein, mit dem er sie wusch. Seine Bewegungen waren gleichmäßig, wirkten aber seltsam mechanisch, so als wäre er mit seinen Gedanken nicht bei der Sache. Als es an der Tür kloppte, sah er auf.

„Nein“, knurrte er.

Die Tür ging auf und Schuldig betrat den Raum.

„Hast du Probleme mit den Ohren?“, knurrte Aya. „Ich habe gesagt, du sollst draußen bleiben.“

Schuldig sah ihn an, schloss die Tür und blieb mitten im Raum stehen.

„Die Nummer zieht bei mir nicht“, erklärte er. „Ich hab dir noch was zu sagen.“

Aya schnaubte wütend. „Tust du eigentlich auch noch etwas anderes? Ich habe das Gefühl, ich höre den ganzen Tag nur deine nervige Stimme.“

„Geht mir mit deinen Gedanken nicht anders“, konterte Schuldig. „Die schwirren hier rum wie eine dunkle Wolke, der ich nicht entfliehen kann.“

„Dann hör doch nicht hin.“
 

Schuldig schwieg einen Augenblick. Aya wandte sich ab, unschlüssig, ob er die Pflege seiner Schwester fortsetzen sollte, während Schuldig noch im Raum war oder nicht.

„Ich kann es nicht“, sagte der plötzlich.

„Was kannst du nicht?“, spottete Aya. „Dich aus meinem Kopf raushalten.“

„Ja genau. Ich kann es nicht abstellen. Es ist einfach immer da ununterbrochen, ohne Pause. Dein Gedankenkarusell macht mich noch kaputt. Normalerweise würde ich mir ja einen Spaß draus machen, dich noch weiter darin zu verstricken, aber wie ich dir heute Morgen schon erklärt habe, brauche ich dich. Nagi könnte dir beibringen, wie du dich abschirmst, doch ich fürchte, so viel Zeit haben wir nicht. Darum will ich dir ein Angebot machen.“

Aya sah auf. Schuldig wirkte auf ihn merkwürdig ruhig und er fragte sich insgeheim, was für eine neue Teufelei er wohl ausheckte.

Schuldig verdrehte genervt die Augen. „Meine Güte, ich weiß ja, dass ich ein Arschloch bin. Aber könntest du mir wenigstens kurz nicht immer gleich was Schlechtes unterstellen. Ich möchte dir anbieten, dass ich mir deine Schwester mal ansehe, wenn das hier vorbei ist. Ich denke, ich könnte sie aufwecken.“
 

Ayas Gesicht blieb unbeweglich. Er hatte gehört, was Schuldig gesagt hatte, aber der Sinn der Worte wollte nicht in sein Gehirn vordringen. Seine Schwester aufwecken? Das war etwas, das seine Vorstellungskraft überstieg. Wie sollte das möglich sein?

Schuldig grinste freudlos. „Ich bin Telepath, schon vergessen. Ich pfusche in anderer Leute Köpfe herum. Warum also nicht mal versuchen, was wieder gerade zu biegen, das kaputt ist.“

Aya Miene bewegte sich immer noch nicht. „Wird es funktionieren?“

Schuldig zuckte mit den Achseln.

„Ich weiß es nicht. Ich würde es nicht hier wagen wollen, wo wir sie im Fall der Fälle nicht ordentlich versorgen könne. Ich bin kein Arzt. Aber möglich wäre es. Ich habe...im Krankenhaus etwas gespürt. Sie ist noch da, aber ich kann dir nicht sagen, ob ich sie wieder von dort zurückholen kann, wo sie momentan ist.“

Aya sagte kein Wort. Er verengte die Augen zu schmalen Schlitzen und warf Schuldig einen eisigen Blick zu.

„Das ändert aber nichts zwischen uns. Und wenn du Omi was antust, werde ich dich finden und dir deinen Telepathenkopf von den Schultern schneiden. Haben wir uns verstanden?“

„Vollkommen verstanden“, antwortete Schuldig. „Mehr wollte ich auch nicht. Um Omi musst du dir aber keine Sorgen machen. Ich passe gut auf mein Lieblingsspielzeug auf. Immerhin ist er meine einzige Ablenkung, um zwischendurch mal die Gedanken von euch drei anderen aus meinem Kopf zu kriegen.“

Aya hob fragend die Augenbrauen, da hörten sie von unten ein lautes Klirren, ein Fluchen und Yoji, der durch das Haus brüllte:

„Wer von euch Idioten hat das Salatöl im Bad stehen lassen? Ich mache die Schweinerei nicht wieder weg.“

„Ich glaube, man verlangt nach mir“, grinste Schuldig und verschwand aus dem Zimmer.

Aya nahm die Hand seiner Schwester, die so klein und leblos in seiner eigenen Hand lag. Er spürte, wie sein Herz etwas schneller schlug, und fühlte etwas in sich aufsteigen, dass er schon lange nicht mehr gespürt hatte. Hoffnung.
 


 

Yoji war bereits wieder in der Küche, als Schuldig die Treppe hinunterkam. Man hörte Omi im Bad vor sich hin meckern und Schuldig lachte leise. Ohne Fleiß, kein Preis. So hatte er immerhin Zeit, sich den letzten des Teams vorzunehmen. Er schlenderte in die Küche und setzte sich auf die Arbeitsfläche.

„Was macht der Salat?“, grinste er und wackelte mit den Augenbrauen.

Yoji schnitt weiter Gemüse. „Ach du warst das. Was wolltest du denn...“ Er stockte im Satz, schnaubte kurz und griff nach dem nächsten Gemüsestück.

„Ist gut für die Haut. Solltest du auch mal probieren“, grinste Schuldig und schnappte sich ein bereits geschnittenes Stück Karotte.

„Nein danke, ich bleibe lieber bei altbewährten Mitteln“, gab Yoji mit einem kurzen Schmunzeln zurück. „Die Damenwelt wäre sicherlich enttäuscht, wenn sie mich verlieren würde.“

„Aber sie hat dich doch gar nicht“, schoss Schuldig einen Pfeil ab. „Nicht wirklich. Du bist nicht wirklich frei, weißt du das?“

Yojis Gesichtsausdruck verdüsterte sich. „Ich wüsste nicht, was dich das angeht.“

„Oh, es geht mich etwas an, wenn mein Leben von der Professionalität meiner Mitstreiter abhängt. Gefühle sind im Gefecht nur im Weg. Sie hindern einen daran zu tun, was getan werden muss.“

„Ach hör auf mir irgendwelche Vorträge zu halten. Ich bin Profi-Killer, schon vergessen?“ Yoji schob mit dem Messer das fertig geschnittene Gemüse in eine Schüssel und richtete die Schneide dann auf Schuldig.

„Wenn ich irgendwelche Ratschläge zu meinem Leben haben will, dann frage ich dich. Oder möchtest du dir von mir anhören, dass du Omi nur ins Bett zerrst, weil es das einzig Gute in deinem beschissenen Leben ist. Weil du eiskaltes Monster an sein warmes Herdfeuer gekrochen kommst, um dich ein bisschen aufzuwärmen? Weil dir der Sex mit ihm die Nähe gibst, die du brauchst, dir aber nicht zugestehst. Weil du schuldig bist an so vielem...“

Yoji schwieg abrupt. Er nahm eine Pfanne aus dem Schrank, stellte sie auf den Herd, ließ die Herdplatte aber abgestellt.

„Vermassel es nicht“, sagte er mit dem Rücken zu Schuldig. „So jemanden wie Omi findest du nicht oft.“

„Ich weiß“, gab Schuldig zurück. Er nahm sich noch eine Karotte und schickte sich an, die Küche zu verlassen. Am Tresen, der der Übergang zum Wohnzimmer markierte, blieb er noch einmal stehen.

„Du solltest sie vergessen. Sie ist weg“, sagt er zu Yoji.

„Wer?“

„Asuka. Ich hab...ich war in Neus Kopf. Als wir im Krankenhaus gekämpft haben. Da ist ein massiver Block. Wie in Beton gegossen. Die alte Persönlichkeit eingefroren und versenkt. Irgendjemand hat da ganze Arbeit geleistet. Ich glaube nicht, dass sich da noch was machen lässt.“

Er verließ die Küche und Yoji blieb allein zurück. Er stand, die Hände neben dem Herd abgestützt, einfach da und starrte auf das schwarze Metall der Pfanne. Als ein Tropfen auf die dunkle Oberfläche fiel, wischte er sich mit dem Handrücken über das Gesicht und schaltete den Herd an. Es wurde Zeit, das Essen zu kochen.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Jaa, Schuldig wird langsam aber sicher OOC. Die Kuschelszene mit Nagi. Ich konnte es aber einfach nicht über mich bringen, dass er ihm eine klebt. Wer weiß, was dann passiert wäre. o_O Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  radikaldornroeschen
2018-03-16T07:05:02+00:00 16.03.2018 08:05
Waaaaaaaaaah, mein armer Yoji T_____T Tu ihm das nicht an....
Ganz ehrlich - dahinter verblasst der Rest des Kapitels ^w^;;;


Zurück