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Die Chroniken der Vier Jahreszeiten

Winters Passion
von

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Sommersonnenwende I

Umringt von Gänseblümchen, die durch den Schein der Mittagssonne und dem frischen Tau des Morgens einen weiß goldenen Schimmer aufgesetzt bekommen hatten, versammelten sich die Wiesenkinder des Sommers und pflügten vorsichtig die Blüten von den Stengeln. Wie sie über den saftigen Boden tappelten streichelte der letzte Hauch des Frühlingswindes ihre nackten Beine, die jeden Tautropfen in sich auffingen. Herabfallende Zweige, die gegen das vergangene Gewitter nicht angekommen waren, wurden von ihren kleinen, leuchtenden Händen aufgesammelt. Grashalme wurden behutsam abgebrochen, nachdem die Jüngsten ihnen zugeflüstert und versprochen hatten, sich gut um sie zu kümmern. Waren sie doch zu etwas Besonderem bestimmt. Einem Begrüßungskranz, sowie einem Armgeflecht, welches seit Jahrtausenden Tradition hatte und endlich wieder seinen rechten Platz erhalten sollte. Ganz aufgeregt waren die Wiesenkinder gewesen, als König Ginko ihnen von der Neuigkeit erzählte. Ihnen ihre Pflichten darlegte, während jedes von ihnen aufgeregt zu hüpfen begonnen hatte. Noch nie durften sie an den Vorbereitungen für die Sommersonnenwende teilnehmen. Nie die Bräuche pflegen, die einst die vier Reiche miteinander verbunden hatte und durch die Grausamkeit des Krieges in Vergessenheit geraten waren . Keines der Wiesenkinder, noch der führenden Generation war es jemals vergönnt gewesen, die Sommersonnenwende in Beisammenkunft der Nachbarreiche zu feiern - wie es an diesem Tag auch sein sollte. Der Tag, an dem das Reich des Frühlings seinen Stab niederlegte um dem Sommer seinen Platz einzuräumen. Wenn Königin Allilaea die letzten Knospen aufsprießen ließ und ihrer Arbeit Ruhe gönnte. Wenn Blätter die ganze Macht der Sonne zu spüren bekamen, dass sie wie ausbreitende Schwanenflügel empor ragten, dann führte das Sommerreich diese Erde. Tränkte sie in den buntesten Farben. Ließ Licht aus allen Winkeln erstrahlen. Glänzende Flüsse, in warmes Gewässer getaucht und funkelnde Berge, deren Gestein zufrieden knackste, wenn die Sonnenstrahlen seine Spitze tränkte - dies zeichnete der Sommer und er fühlte sich wohl darin. König Gingko würde an diesem Abend erneut seinen Stab ausstrecken und der Welt seine verdiente Jahreszeit gewähren.
 

Zufrieden betrachtete der Sommerkönig die Wiesenkinder, wie sie im Kreis saßen, während ihr Mittelpunkt Prinzessin Myoso bildete, die ihnen mit viel Geduld das volkstümliche Flechten beibrachte, dass sie gespannt ihren zarten Fingern zusahen. Obwohl König Gingkos älteste Tochter noch nie einer traditionellen Sommersonnenwende beigewohnt hatte, wusste sie sehr wohl um deren Riten. War sie schon als Wiesenkind neugierig und lehrreich gewesen, verkörperte sie als aufgehende Blüte das Wissen vieler Generationen. Mit Präzision band sie aus Gänseblümchen und Halmen einen königlichen Kranz, während die Zweige dazwischen gesteckt wurden, dass sie wie Dornenkronen in den Himmel zeigten. Wie ein Fächer legte sie die Blüten um die dünnen Hölzer. Muster und Linien entstanden, dass die Gänseblümchen ein neues Bild entwarfen. Etwas wehmütig wurde dem König, wie er seine Tochter zwischen den unzähligen Sprösslingen beobachtete. Ihr Liebreiz und ihr gütiges Wesen hätten aus ihr eine Königin gemacht, welche die Liebe jedes einzelnen Untertan gewiss gewesen wäre. Nur Mutter Erde schien andere Pläne mit der Prinzessin. Ihre geschwächte Gestalt machte es für ihn unmöglich, den Stab an Myoso weiter zu geben. Der Stab selbst würde ihrer nicht anerkennen - nicht wenn sie so krank bliebe.
 

König Gingko seufzte. Jeden Winter, den er auf Menschenerde verbringen musste, bangte er mehr um seine große Tochter, die seit ihrer Geburt unter dem Schnee und der Kälte litt wie es keinem von Mutter Erdes Erben bisher ergangen war. Die Krankheit machte es ihm unmöglich, unbesorgt zu bleiben. Mit jedem Jahr wurde der Prinzessin etwas mehr von ihrem Leuchten genommen und es war nur eine Frage der Zeit bis sie dasselbe Schicksal ereilte wie ihrer Mutter. Sein Blick verdunkelte sich. Er musste schleunigst die negativen Gedanken aus seinem Kopf vertreiben. Es bedarf einer gereinigten Seele, wenn er den Sommer einläutete, da ihm sonst schwüle und drückende Stunden drohten. Nein, er durfte für das Schicksal nicht undankbar sein. Jedes Leben war ihm kostbar, jede Stunde war seiner wert. Lieber wollte er sich der frohen Nachricht seiner Schwester erfreuen, dass Myoso in diesem Winter weniger ans Bett gefesselt gewesen war. Er sollte Hoffnung in sich tragen. Vielleicht hatte ihr Schicksal doch einen Weg ins Lebens gefunden.
 

"Gingko" - die Stimme seiner Schwester Pensea ließ den König zur Seite blicken. Neben ihm verneigte sich die Jüngere und deutete auf den Palast hinter sich. "Es ist alles vorbereitet. Unsere Gäste werden bald eintreffen."

"Dann sollten wir sie in Empfang nehmen", nickte König Gingko und sah wieder zu seiner Tochter. Eine seiner Untertanen hatte sich hinter die Prinzessin gehockt und war daran, ihr langes Haar zu kämmen. Ein paar der Wiesenkinder hatten bereits ihre Flechtarbeit beendet und waren dabei, Myoso kleine Äste von Kirschbäumen ins Haar zu befestigen. An den Seiten ragten kleine Blätter, die sich in ihren hell schimmernden Strähnen verfangen hatten. Myoso lächelte die Kinder an, deren leuchtendes Innere zum Vorschein kam. Welch hohes Zeichen ihrer tiefen Zuneigung zu ihrer Prinzessin.
 

"Dieses Mädchen", seufzte Pensea und versuchte durch übertriebenes Winken die Aufmerksamkeit der Prinzessin auf sich zu ziehen, "ich verstehe die Jungen heutzutage nicht. Früher konnten sie es kaum erwarten zu heiraten und heute muss man sie förmlich dazu drängen."

"Du machst dir viel zu viele Gedanken", entgegnete der Sommerkönig, "es hat keine Eile, sie zu vermählen. Wenn die Zeit gekommen ist, wird sie es uns mitteilen."

"Aber ob Lathyrus' Familie solange warten wird…?" König Gingko war davon überzeugt. Ihm war im Laufe der Stunden nicht entgangen, wie geradezu beiläufig Lathyrus' Blicke immer wieder zu Myoso fanden. Das Blau seiner Seelenspiegel nahm etwas Leuchtendes an, wenn er in das Gesicht der Prinzessin sah.

"Zwingst du sie", fuhr König Gingko fort und verschränkte die Arme vor der Brust, "wird sie sich gänzlich der Idee verschließen."

"Also glaubst du auch noch an eine Heirat?", das Funkeln kehrte in Penseas linker Iris zurück, "auch wenn Myoso nicht die künftige Königin wird, sollte ihre Position nicht ungeachtet bleiben. Die Prinzessin ist beliebt, viele würden es begrüßen, sie neben den zukünftigen Herrscher sitzen zu sehen. Da wäre es töricht, die Wahl ihres Gemahls außer Acht zu lassen."

"Wir werden zu einem späteren Zeitpunkt darüber reden", hob Gingko an als seine Tochter den fuchtelnden Arm ihrer Tante bemerkte und geradezu schwebend auf die beiden zukam. An jeweils einer Hand hielt sie ihre Geschwister, die sich anlässlich der Sommersonnenwende in ihre zeremoniellen Kleider herausgeputzt hatten; weiße Kleider mit einem golden umrahmten Saum. Myoso selbst trug ein ebenso schlichtes Gewand, das an einer Seite ihren Arm entblößte und den anderen gänzlich darin einhüllte, dass nur ihre zierliche Hand zu sehen war. Wie sie ihrem Vater näher kamen, zeigte sich nur zu deutlich wie Myosos Haut sich von denen ihrer Geschwister unterschied. So als triebe Mutter Natur bittere Scherze mit seiner Sommerprinzessin. Myoso selbst störte sich kaum an ihrer sichtbaren Schwäche.

"Treffen unsere Gäste ein?", fragte sie, dass ihre eigene Aufregung zum Vorschein kam. Ihr Vater nickte, bedeutete mit seinem Arm, dass sie sich bei ihm einhaken sollte und blickte erhobenen Hauptes zu seinem Palast hinauf. Verschlossene Sommerblumen, Dhalien in den buntesten Tönen und Geranien, die von der Spitze hinab hingen und beinahe den Boden küssten, warteten nur darauf, vom Sommer erleuchtet zu werden.
 

Auch Myoso betrachtete ihr Zuhause, dass ihr Innerstes erstrahlte.

"Danke, Vater", sagte sie, dass der Sommerkönig verduzt zu ihr hinuntersah. "Wieso verdiene ich deinen Dank?" Langsam schritten die auf das Gemäuer zu.

"Weil es ein wundervoller Tag wird. Da bin ich mir sicher", ihr Blick sah durch die Fensterscheiben hindurch, "ich habe mir schon immer gewünscht, dass alle vier Reiche zusammen kommen-"

"Alle vier?", rümpfte Pensea die Nase und zog die Jüngsten der Königsfamilie mit sich, "ich glaube wohl kaum, dass sich das Eisvolk die Ehre erweist." Ein Lächeln huschte über ihre Lippen, leichte Verachtung lag in ihren sonst weichen Gesichtszügen. "Asparagos besaß nicht einmal die Höflichkeit, sich zu entschuldigen. Aber was soll man von diesem Eisklotz auch anderes erwarten." Myosos Blick ging auf den Boden. Ihr Schritt verlangsamte sich als sie die Flure erreichten. "Vater", flüsterte sie, "glaubst du das auch?"

"Nun", König Gingko strich mit den Fingern über ihren Handrücken, "Königin Allilaea und der junge König Asteros werden unserer Sommersonnenwende beiwohnen. Ich bin für jeden Funken des Friedens dankbar." Myoso verstand ihren Vater. Ebenso seine Zurückhaltung, wo er nur wenige Stunden vor seiner bedeutsamsten Aufgabe des Jahres stand.
 

Kurz nachdem die Eilbriefe verschickt worden waren, hatte ein persönlicher Bote des Herbstreiches verkündet, dass das frisch vermählte Königspaar die Einladung annähme. Trotz - oder gerade wegen - ihrer Neutralität war es ein großes Zeichen, besonders da das Paar den Segen erhalten sollte. Jener Brauch, der Glück, Frieden und Einigkeit bedeutete.
 

Als die Haupttore des Schlosses aufgebrochen wurden und mit den Strahlen der Sonne die Vertreter des Herbstreiches anreisten, strahlten Myosos Augen zu dem königlichen Paar, das seine knapp hundert Gefolgsleute anführte.
 

König Asteros und seine Braut waren ganz im Sinne der herbstlichen Vermählung gekleidet: von Rot- und Goldtönen dominierende Gewänder. Die junge Königin trug ein bodenlanges Kleid, das von Rosenblüten gehalten wurde. Dazu eine Schleppe, die aus dem Laub des herbstlichen Lebensbaumes geschneidert wurde. Gehalten wurde es von Trägern aus feinsten Blitzen, von welchen die Hauptfamilie des Herbstreiches im Stande war, sie mit bloßen Händen einzufangen. Grell funkelten die Träger als könnten sie noch ihre Energie entladen. Doch das wahre Augenmerk Myosos galt ihrem Schopf. Das feuerrote Haar war mit Dornen, Ästen und kleinen Zapfen aufwendig hochgesteckt worden. Die Sommerprinzessin hatte schon immer die Mähnen des Herbstvolkes bewundert. So gut passten sie zu ihrem versteckten Temperament. Ebenso die kastanienfarbenen Augen, die von bunten, gesprenkelten Punkten umspielt wurden. Besonders König Asteros, der erste Sohn und somit Nachfolger Ceanthos, war voller Sprossen, die zur Abenddämmerung ein besonderes Flimmern annahmen.

Mit einer Hand vor dem Brustkorb blieb das Königspaar unmittelbar vor König Gingko und seiner Tochter stehen. Asteros tat eine steife Verbeugung: "Wir danken für die großzügige Einladung." Daraufhin ließ der Sommerkönig von seiner Tochter, verneigte sich ebenso vor dem jungen König und hießen ihn und sein Volk willkommen. Auch Myoso strahlte das junge Paar an. Nur flüchtig huschte der Anflug eines Lächelns auf Asteros Lippen, bevor er sich von der jüngsten Tochter König Gingkos durch den Sommerpalast führen ließ. Dabei winkte er mit dem Arm, dass in gleichmäßigen Schritten seine Gefolgschaft ihm nachlief.

Kaum dass der letzte durch die Flure gewandelt war, tauchte aus dem Süden ein grün gelbes Leuchten auf, dass sich wie ein Rauchschwaden in Richtung der sommerlichen Königsfamilie näherte. Die Schwaden wurden dichter bis sie sich materialisierten und die Königsfamilie des Frühlingsreiches aus ihnen hindurch schritt. Hinter ihnen wanderten die wichtigsten Vertreter und Vertraute, dass sie mindestens so zahlreich waren wie das Herbstreich. An vorderster Stelle dominierte Königin Allilaea. Der letzte Hauch ihrer Frühlingsmacht ließ den Boden unter ihren Füßen sprießen; zaghaft wagten sich Stengel nach draußen, behutsam wuchs das Gras als scheute es sich vor den Augen der Königin zu gedeihen. Direkt hinter ihr lief ihr ältester Sohn, Prinz Scilledos, der in einigen Jahren ihren Platz einnehmen sollte. Sein braunes, zerzaustes Haar wurde nur durch seine grünen Augen übertrumpft, dass sie der Wiese zu ihren Füßen Konkurrenz machte.
 

Die Erben Anox' waren nicht nur stolz, die triste kahle Landschaft des Winter wiederbeleben zu dürfen. Ihre gesamte Erscheinung übertrug sich auf dieses Gefühl, dass die knielangen Röcke der Zwillingsprinzessinen Irida und Iris zu hüpfen begannen und kleine Knospen aus ihrem fein gewebten Stoff hindurchdrangen. Grün und gelb schimmerte in bescheidenen Nuancen auf ihre Kleider. Das restliche Gefolge tat es ihnen gleich, dass die weißen flatternden Blusen kleine Blütenblätter bildeten und verschnörkelte Verzierungen schuf. Die männliche Haupt- und auch ein paar Mitglieder der Zweigfamilie, die ebenfalls erschienen waren, trugen gelbe Hemden, die in eine weite knöchellange Hose gesteckt wurde. Ein grüner - aus allerlei Blumen und Sträuchern geflochtener - Gürtel war darum gebunden. Ebenso zierte die Brust eine hellgrüne, mit Regentropfen getränkte Scherpe, welche im Sonnenschein wie Tau hinabtropfte und kleine, grün schimmernde Flecken hinterließ, aus denen wiederum Wurzeln entstanden, die sich genüsslich um die Hüften schlengelten.
 

"Sommerkönig", umarmte Königin Allilaea ihren Jahrhunderte alten Verbündeten, "welch freudiges Ereignis feiern zu dürfen - und dies zur Sommersonnenwende", ihre jadefarbenen Augen betrachteten die Prinzessin neben ihm, "und die zarte Sommerprinzessin wird auch von Tag zu Tag schöner. Da können wir wohl bald auf eine erneute Zusammenkunft hoffen." Auch Myoso nahm die Königin in ihre Arme, dass sie den vertrauten Duft von frischer Erde in sich aufnahm. Die Sommerprinzessin verdrängte die Anspielung, die Königin Allilaea wohl aus dem Geplauder mit ihrer Tante aufgeschnappt haben musste. Heute ging es lediglich um das herbstliche Königspaar, dass sich Myoso aus tiefster Seele darüber freute, das Frühlingsreich an seiner Seite zu wissen. War es keine Selbstverständlichkeit Frühling und Herbst vereint zu sehen. Lag seit vielen Jahren kühles Schweigen zwischen den Reichen, seit sich der Frühling mit dem Sommer verbündet hatte.
 

"Und du, kleiner Cynos", verbeugte sich die Herrscherin des Frühlings vor dem jungen Sprössling, dass er die Arme vor der Brust verschränkte. Er konnte es nicht leiden, klein genannt zu werden. Schließlich würde er bald so groß sein wie sein Vater und dieser überragte Königin Allilaea mindestens um einen Kopf. Darum verzog er auch die Miene als sie ihm seinen blonden Schopf tätschelte. Er war doch keine Knospe mehr, welcher man noch zu Leben beibringen musste. Versucht war er, etwas zu

erwidern. Nur der ruhige Blick seiner großen Schwester hinderte ihn daran etwas Unangebrachtes zu sagen. Stattdessen verneigte er sich vor Königin Allilae und ihrer Gefolgschaft, wie man es ihm gelehrt hatte, dass die Zwillingsprinzessinen zu kichern begannen.

"Königin", murmelte Cynos mit leicht knurriger Stimme, "bitte folge mir."

"Ja, kleiner Prinz." Mit sicheren Schritte begleitete sie den Sommersprössling durch die Palastflure, dabei ihr Volk bedeutend mit ihr zu kommen. Nur noch kurz warfen sich Iris und Irida um Myosos Hals, flüsterten ihr etwas ins Ohr und folgten schließlich im Eiltempo ihrer Mutter, nachdem ihr älterer Bruder an ihren Haaren gezogen hatte.

Myosos Grübchen zeigten sich als sie die Erben Anox' beobachtete. Ihre Gemüter waren manchmal etwas schrill und laut, aber im Grunde waren sie gütig und fürsorglich. Dies hatte sie am eigenen Leibe erfahren dürfen. Schließlich verdankte sie Königin Allilae, dass sie aus dem schützenden Kreis des Lebensbaumes hinausgetreten war.
 

"Es ist Zeit", riss sie die Stimme Penseas aus ihren Träumereien, "wir sollten zu ihnen gehen und die Zeremonie des Segens beginnen." Daraufhin fasste die Prinzessin ihren Vater am Ärmel: "Nur noch einen kurzen Moment", bat sie und sah hoffnungsvoll zu ihrem Vater hinauf. Dieser konnte ihr diesen Wunsch nicht abschlagen. Er nickte und ließ Myoso wieder bei sich einhaken. Beide sahen sie zur tiefer gehenden Sonne, deren Anblick ihnen nicht die Augen verbrannte. Stattdessen sogen ihre Seelenspiegel das Licht wie eine Energiequelle in sich auf. Hinter ihnen atmete Pensea tief aus, erwiderte jedoch nichts, da sie ihren Bruder nicht weiter mit schlechten Gedanken nähren wollte. Für Beschwerden hatte sie nach der Sommersonnenwende genug Zeit.
 

Mit der freien Hand fasste sich Myoso an die Brust und spürte die lodernde Aufregung ihres Innersten. Ihr Leuchten war nicht zu kontrollieren. Nicht heute, an dem so viel Wundervolles geschehen sollte. So freudige Anlässe zusammen führten und sie sich stärker denn je nach der Hand Tyledions sehnte, die sie am liebsten nie mehr los lassen wollte. Auch nur der kleinste Gedanke an ihn, machte das Warten zu einer Zerreißprobe - ebenso ihre Beherrschung. Je tiefer die Sonne sank, umso brennender glühte ihr tiefstes Leuchten. Ihre Augen blieben klar auf einen Punkt gerichtet, dass sie beinahe durch ihn hindurch blicken konnte. Kleine Diamanten begannen vor ihren Augen zu tanzen. Myoso musste blinzeln. Erst einmal. Dann ein zweites Mal.

"Sie kommen", hauchte die Prinzessin, dass König Ginko sich leicht zu ihr herunter beugte um sich zu vergewissern, ob er sie richtig verstanden hatte.

"Unmöglich", entgegnete Pensea aufgeregt und sah nun ebenfalls in die Richtung, die Myoso fixiert hatte. Auch ihre Augen begannen kleine Diamanten zu sehen bis sie ihnen gänzlich die Sicht nahmen. Pensea rieb sich die Augen und blinzelte. Erst einmal. Dann erneut. Und ein Weiteres mal: "Bei Mutter Erde", murmelte sie und starrte mit offenem Mund zu dem kleinen Fleck, der immer größer wurde und sich mit jedem weiteren Mal deutlicher zeigte: Aus dem Osten näherten sich die Vertreter des Winterreiches. Weit weniger zahlreich wie ihre Nachbarn, doch das minderte ihre Erscheinung nicht: Zwanzig Winterlinge schritten auf den Sommerpalast - angeführt von Königin Cycla und...

"Aparagos?", Pensea schüttelte den Kopf und rieb sich die Augen, "nein, er kann es nicht sein. Sein Mahl. Es ist nicht da", ihr anfänglicher Unglaube wich erneutem Ärger: "Es muss sein Sohn sein. Ich habe gehört, dass er seinem Vater zum verwechseln ähnelt. Es hätte mich auch gewundert, wenn er sich gezeigt hätte. Es ist immer wieder dasselbe."

"Es ist ein Anfang", erwiderte König Gingko, der das Strahlen seiner Tochter beobachtete. Diese Tochter blickte erwartungsvoll zu der königlichen Familie,von denen ein paar aus den Zweigstämmen mitgekommen waren. Neugierig sah sie zu dem braunhaarigen jungen Mann, der dicht hinter Tyledion stand und seinen Blick flüchtig nach vorne richtete. Kurz schienen sich ihre Seelenspiegel zu treffen. Myoso spürte die enge Verbundenheit zu ihm. Ebenso die Wärme, die von ihm ausstrahlte. Umso mehr zerriss es sie, als er sich schleunigst abwandte und bemühte, keine Gefühle nach außen zu tragen. Seine Abneigung schmerzte sie als wäre eines der sommerlichen Wiesenkinder verloren gegangen. Ihr Gefühl bestärkte sich als sie die Emotionen ihrer Tante Pensea spürte, deren Nasenflügel leicht zu beben begannen. "Ich muss zugeben", entgegnete Pensea mit zittriger Stimme, "ich hätte nicht geglaubt, dass sich auch nur einer von ihnen ins Sommerschloss wagt."

König Gingko nickte: "Cycla und ihr Sohn sind gekommen. Der zukünftige Herrscher des Winterreiches. Dies lässt weitaus mehr auf die Zukunft hoffen als ich es mir jemals ausgemalt hatte."

"Vater", Myoso wandte sich von Winso ab und betrachtete nun Tyledion, den sie für seine Selbstbeherrschung bewunderte - wusste sie doch, was er dahinter verbarg - "stimmt es, dass Prinz Tyledion wie sein Vater aussieht?"

"Die Erscheinung ist dieselbe."

"Dann kann König Asparagos auch nicht so schlecht sein. Sein Sohn ist auch zu uns gekommen. In seinem Innersten empfindet der König vielleicht genauso."

"Vielleicht", entgegnete ihr Vater und bereitete sich darauf vor, Hiemes' nähesten Vertrauten zu begrüßen. Das restliche Wintervolk hielt etwas Abstand als sich die Winterkönigin der sommerlichen Königsfamilie näherte. Selbst Tyledion stand einen Schritt hinter seiner Mutter und verschränkte die Arme hinter seinem Rücken.
 

Von allen Aufmachungen besaß das Wintervolk die strengste Kleidung.Sie erinnerte stark an die der königlichen Armee: dunkelblaue Uniformen, mit seitlichen Schneeflocken-Knöpfen. Aus den Hosentaschen lugten ein weißes Paar Handschuhe hervor, die das Wintervolk bevorzugt im Sommer verwendete. Nur Königin Cycla trug ein dunkelblaues funkelndes Kleid, dass aus Sternenstaub gemacht schien. Auf ihrem langen schwarzen Haar steckte die Krone, die aus nie schmelzenden Eis geformt wurde. Wie gekrümmte Eiszapfen verbeugten sie sich auf ihrem Haupt und funkelten im Schein der Abenddämmerung. Ihre tiefenblauen Augen sahen zu dem klaren Blick des Sommerkönigs hinauf und ließen es nicht zu, aus ihnen zu lesen.

"König Gingko", begann Königin Cycla, dass Myoso Gänsehaut ob ihrer feinen Stimme verspürte, "es ist lange her."

"Die letzte gemeinsame Sommersonnenwende war auf eurer Vermählung", antwortete der Sommerkönig und setzte zu einem ehrlichen Lächeln auf.

"Und ich muss zugeben, dass mir der Segen das zugesprochene Glück zuteil werden ließ", ein leichter Anflug eines Lächelns zierte ihre Lippen, "genau deshalb sind wir gekommen. Ich denke, es steht dem jungen Königspaar zu, von allen Reichen gesegnet zu werden."

"Das stimmt."
 

In dem sie ihm drei Küsse auf die Wange gegeben hatte - immer von der rechten beginnend, außer man gehörte der Familie an, dann fing es mit der linken Wange an - drehte sie sich zu der jungen Sommerprinzessin. Ihre Augen verschlangen geradezu die bleiche Haut. "Deine Tochter ist sogar noch schöner als es Königin Lilith gewesen ist. Sie hat denselben ehrlichen Blick. Aber da ist noch mehr...Sehr interessant."

"Du siehst auch wunderschön aus", erwiderte Myoso, dass sie sichtlich Verwunderung bei der Königin hervorrief. Weitaus weniger wegen ihrer Worte. Sondern wie sie dabei von der Sommerprinzessin angesehen wurde. Wie das Innerste Myosos in warme Sommertöne überging. So etwas hatte die Königin noch nie zuvor gesehen. Geradezu erleichtert war sie als Myoso sich abwandte und das Wintervolk durch den Palast führte.
 

Die Zeremonie konnte beginnen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Rina2015
2020-12-02T11:19:40+00:00 02.12.2020 12:19
Deine Geschichte ist wirklich sehr schön:) ich freue mich weitere Kapitel von dir zu lesen:)
Antwort von:  Lady_of_D
02.12.2020 21:02
Vielen lieben Dank :)
Antwort von:  Rina2015
03.12.2020 17:05
Gerne:)


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