Zum Inhalt der Seite

Die Chroniken der Vier Jahreszeiten

Winters Passion
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Hochsommer III

"Mein Prinz", rief sie und sämtliche Gefühllosigkeit schmolz dahin. Angst, Panik, Wut - die Gefühle drohten überzuschäumen, wenn da nicht der Hochsommer wäre und jegliche Wintermagie im Keim ersticken ließe. So glühten lediglich die Augen der Mutter in dunkelblauem Glanze, die Wangen zogen einen Hauch von Röte mit sich, als der Winterprinz ihr das Wiesenkind überreichte. Eiskristalle wurden durch Schweißperlen ersetzt, die Lippen bibberten vor Anstrengung. Der Hochsommer setzte jedem Winterling zu, doch gerade waren der Sommer und seine Lasten vergessen.

Ein Schluchzen entfuhr der Mutter, die ihr Kind fest gepackt hatte, als wollte es die Kleine zurück in seine Knospe quetschen. Die kleinen Arme des Wiesenkindes krallten nach dem kühlen Tuch, das die Mutter wie eine Tunika um ihren Leib gebunden hatte. Ein leicht scharfer Ton lag auf der Zunge der Winterblüte. Die Gefühle - ein tosendes Meer aus Liebe und Hass. Sie schimpfte mit der Tochter, liebkoste und tröstete es im selben Maße wie es die Kleine schalt und bestrafte. Mit den Händen rüttelte sie die Kleine zurecht, presste es zurück an die Brust und spie tausend Worte aus - ein verworrenes Gemisch aus Flüchen und Gebeten, die weder für Mutter Erdes Ohren, noch für die des Prinzen gedacht waren. Schweigend beobachtete Tyledion das Schauspiel, das Wechselbad der Gefühle, das in einem sanften Schaukeln innigster Erleichterung endete. Ein Glitzern und die beiden verschwanden aus seinem Sichtfeld. Umringt von knapp zwanzig Soldaten der Wintergarde, die Tyledion unmittelbar nach der Rettung gerufen hatte, wurden sie zurück ins Winterreich geleitet. Die Eskorte sorgte für die nötige Sicherheit, während die ausgebildeten Burschen die erforderliche Versorgung gewährleisteten. Allmählich kehrte Ruhe ein. Die restlichen Winterlinge, die hilflos mit angesehen hatten, wie das kleine Wiesenkind nur knapp der Verbrennung entkommen war, scharrten nacheinander aus, und diejenigen, die sich zusammengerottet hatten - angetrieben von Erschütterung und Ärger - verscheuchte der Winterprinz durch einen einzigen, scharfen Blick. Nun also noch mehr Geflüster, noch mehr Gerüchte. Der junge Winterprinz hatte genug. Tyledion zog die Augenbrauen zusammen. Missmut war nichts zu den Empfindungen, die sich in seinem Innersten anzustauen begannen. Er musterte den Übungsplatz, das goldene Gras, aus dem die ersten frischen Keimlinge emporstiegen. Langsam erwachte das neue Leben auf dem Boden des neutralen Gebietes. Die Mittagssonne, so furchtbar sie auch war, dauerte nur ein paar schmerzvolle Wimpernschläge an. Dann sprossen sachte die ersten Grashalme. Blätter schüttelten sich den trockenen Staub von den Schultern und die Erde rüttelte sachte an ihrer ausgedörrten Oberfläche. Der Beginn der Mittagshitze war gleichzeitig das Ende der Hochsommerzeit. Noch zwei Tage und das letzte große Sommergewitter würde den unvermeidlichen Abschied des Sommers verkünden.
 

Die Lippen waren zu einer streng geraden Linien geformt, die Augenbrauen so tief verzogen, dass kleine Falten zwischen den breit geschwungenen Brauen auftauchten. Er tat einen tiefen Atemzug, als er schließlich den Blick abwandte und die Ankunft des Generals der Winterarmee erwartete. Kaum war die Mittagshitze vorüber und die ersten Burschen der Frühlingsschar wagten sich auf die Wiesen, erreichte ihn die rechte Hand des Königs. General Galantius - oberster Heerführer in sechster Generation und ein Verwandter dritten Grades, den eine enge Bindung mit König Asparagos nachgesagt wurde. Tyledion musste zugeben, dass der General ein hohes Ansehen bei seinem Vater genoss und gewisse Privilegien die Vermutung bekräftigen, dass der Winterkönig ihm wohlgesonnen war.

Mit einem strengen Salut begrüßte er den Kronprinzen, der ihm lediglich kurz zu nickte.

"Mein Prinz", begann der General, sichtlich gefasster als dessen Gemahlin, "ich bin so schnell gekommen wie ich konnte. Ich…", doch auch sein Gemütszustand schien kurz ins Wanken zu geraten, "mir fehlen die Worte, mein Prinz. Wärst du nicht da gewesen…" Seine Augen sprühten Funken. Weniger Panik denn eisigen Zorn hatte General Galantius ergriffen. Zorn, den er nun wie jeder gehorsame Winterling zu unterbinden hatte - wenn er nicht bereits vom Sommer verschluckt worden war. "Kennt man denn schon den Verantwortlichen?" Auf die Frage hatte sich Tyledion bis zu seiner Ankunft vorbereitet. Der Winterprinz verschränkte die Arme hinter seinem Rücken. Der Blick war zurück zu dem Ort des Geschehens gerichtet. "So sehr ich es bedauere zu sagen, General", begann Tyledion ruhig und sachlich zu erzählen, "aber den Verantwortlichen konnte ich bisweilen nicht ausfindig machen."

"Verstehe", entgegnete der Wintergeneral ebenso stoisch.

"Aber ich glaube, die Ursache zu kennen." Tyledion wandte sich General Galantius zu. "Schattenmagie."

"Schattenmagie?", wiederholte der General.

"Es war nur für einen kurzen Moment, doch bin ich mir sicher, sie gesehen zu haben. Außerdem passt das Verhalten der Kleinen in das Muster. General", Tyledion, der den General um einen ganzen Kopf überragte, straffte die Schultern, wie er es unzählige Male bei seinem Vater beobachtet hatte, "ich fürchte, jemand hat es auf die Tochter des Generals abgesehen."

"Du meinst, es war kein Unfall." Die Augen des Generals verdunkelten sich.

"Wenn Schattenmagie im Spiel war", erklärte Tyledion, "können wir davon ausgehen, dass jemand zielgerichtet nach ihr gesucht hat. Du selbst weißt, dass Anschläge dieses Kalibers ein Zeichen setzen und die Schwächen der königlichen Winterarmee aufzuzeigen versuchen." Die Augen seines gegenübers wurden hart wie Stahl. Ohne Rücksicht - denn Rücksicht war in Augen der Winterlinge ein Zeichen von Schwäche - fuhr der Winterprinz fort. "Die Stellung des königlichen Generals ist in der Tat eine verlockende Position. Ich muss dir nicht sagen, wie viele sich um diesen Posten reißen würden. Wenn dich jemand zu warnen oder gar zu diskreditieren versucht, ist diese Methode durchaus effektiv."

Der General verschränkte die Arme vor der Brust. Die Gedanken des Prinzen nährten seinen Geist und schließlich wurden Tyledions Gedanken zu den seinigen. "Mir fielen ein paar Burschen ein, die mit meinem Führungsstil nicht einverstanden sind. Aber wir reden hier von einem Anschlag auf meine Jüngste. Wen, aus meinen Reihen, sollte ich des Verrats bezichtigen, ohne ein Zerwürfnis innerhalb des Zweigclans heraufzubeschwören? Ganz zu schweigen, was ich dem König sagen soll. Immerhin ist er der einzige, der die Winterlinge mit Schattenmagie befehligen kann und der weiß, welcher meiner Männer dieser Fähigkeit mächtig sind."

"Ich kann mit Sicherheit sagen, dass der König nichts von dem Anschlag wusste." Niemand erwartete Tyledions Betätigung, doch gerade in solchen Momenten wäre ein weiteres Zerwürfnis, ein weiterer Keimling des Zweifels verheerend. Der Winterprinz konnte dem General nichts garantieren, und dennoch musste er es tun. Allein wegen des Gesichts seines Gegenübers. General Galantius schien in den letzten Minuten um zehn Jahre gealtert. Aus Sorgenfalten wuchsen Narben der Verbitterung. Verbitterung, die schnell in Rachegelüste umschwenken konnte. Sein Gegenüber wollte weniger Antworten denn einen Schuldigen, dem ihm jemand auf dem Silbertablett servieren sollte. Und das möglichst bald. Aber so einfach war es nicht. So überzeugend Tyledions Rede war, so fest er die Schlinge zugezogen hatte, blieben seine Worte nichts weiter als vage Vermutungen und tief in seinem Innersten wusste das der General.

"Natürlich nicht", grummelte der General Galantius, welcher im Geiste bereits die nächsten Schritte durchging. Tyledion sah es in seinem Blick. Das gesamte Potential aus Zorn und Verdruss wandelte sich in Eifer um - einer Fähigkeit, die sich die Erben Hiemes' zu eigen gemacht hatten. Der Winterprinz hoffte, dass dieser Gemütszustand noch eine Weile anhielte. Wenn sich General Galantius der Sache annahm, konnte Tyledion für einen Moment aufatmen. In erster Linie galt es, seinem Vater über die Ereignisse in Kenntnis zu setzen. Diesen Part dürfte er wohl General Galantius überlassen können. Auch wenn es sich lediglich um reine Formalität handelte, da Vorfälle wie diese schnell die Runde machten, war es dennoch von Bedeutung, dass sich der General dieser Aufgabe annahm und damit das Vertrauen zum König einmal mehr bestätigte.

Kurz besprachen der General und der Prinz die weitere Vorgehensweise. Mit einem knappen Einverständnis seitens des Winterprinzen verabschiedete sich General Galantius von dem winterlichen Thronerben. "Ich stehe tief in deiner Schuld, mein Prinz." Eisiger Wind streifte Tyledions Kragen, als der winterliche Heerführer seinen Umhang hinter sich warf und davon schritt. Er hätte ihn gern korrigiert, gesagt, wem sein wahrer Dank gebührte. Aber Tyledion kannte das Wintervolk nur zu gut, und er war froh, das Sommerreich während ihrer Unterhaltung außen vor gelassen zu haben - ganz so, wie es der Winterprinz geplant hatte. Also beließ es Tyledion mit einem weiteren stummen Nicken. Der General verschwand hinter dem nächsten Hügel und ließ den jungen Kronprinzen mit seinen eigenen Gedanken zurück. Nach und nach traten die Erben der vier Jahreszeiten ihre Heimreise an. Nur noch wenige Burschen waren auf den Wiesen. Die Blüten des Sommerreiches stellten sich in Reih und Glied, an jeder Hand ein Wiesenkind, das den Gräsern entschuldigend über das Haupt strich. Weiter abseits tänzelten die Zwillingsprinzessinnen des Frühlings ihrem großen Bruder hinterher, der sich einmal mehr durch die Haare raufte. Scidellos Mähne ragte wie der Strauch Kugeldisteln, in denen er hineingelaufen war, empor; kleine, spitze Dornen hatten sich in seinem aufstehenden Pony verfangen. Den ganzen Nachmittag war er über den Rasen marschiert, hatte den Übungsplatz inspiziert, dass seine Wangen jetzt so feurig wie das Temperament der Herbstlinge, ihren stillen Gegenspielern, waren. Auch ihm stand der Frust ins Gesicht geschrieben. Wenn auch aus einem ganz anderen Grund als Tyledion, der sich von all dem abwandte. Erst waren seine Schritte bedächtig, ein falsches Spiegelbild kontrollierter Emotionen. das erst zum Erliegen kam, als er das Haupttor der Bibliothek durchquerte. Er achtete nicht einmal auf seine Umgebung. Nicht wie sonst ließ er die Blicke von links nach rechts schweifen oder prüfte, ob jemand hinter den Bücherregalen verweilte. Seine Augen verschlangen die Sommerprinzessin, die am Fuße des Ganges stand und die Ankunft des Winterprinzens herbeigesehnt hatte. Myoso hatte die Hände vor der Brust gefaltet. Ihre Augen glänzten im trüben Schein der untergehenden Sonne. Mit angehaltenem Atem schaute sie zu Tyledion hinauf, der Myoso fast erreichte hatte.

"Geht es ihr gut?" So viel Flehen in der Stimme. Als wäre es ihr Kind, um das sie bangen müsste. "Sie wird sich erholen", antwortete Tyledion. Erleichtert stieß sie einen tiefen Atemzug aus. Ihre Wangen wirkten noch blasser, noch erschöpfter als sonst - daran änderten nicht einmal die Sonnenstrahlen, die zwischen den Fenstern hindurchschienen.

"Bin ich froh", hauchte Myoso und ehrlicher konnten Worte nicht klingen. Den Winterprinzen zerriss es von innen. Den eigenen Gefühlen erliegend wirbelte er die Sommerprinzessin herum, verschwand mit ihr im Schutze des ersten großen Bücherregals, das die Herbstchroniken von der Anthologie des Winters trennte, und presste Myoso an eine Reihe eingestaubter Werke. Zwischen den Händen des Prinzen gefangen erwiderte sie den Kuss, dem so viel Leidenschaft und Qualen innewohnten, dass es die Sommerprinzessin mit Sorgen erfüllte. Tyledion presste seine gierigen Lippen auf ihren warmen, weichen Mund, schmeckte den Sonnenschein auf den Lippen, kostete den Morgentau auf ihrer Zunge, die ganz zaghaft seine stürmische Leidenschaft erwiderte. Erst ein Seufzen brachte die verdrängten Gefühle ans Tageslicht. Eng umschlang sie den Winterprinzen. Fast schien es als verschmolz Myosos Leuchten mit dem ihres Liebsten, so nahe waren sie sich, so innig und schmerzhaft ntensiv war die Berührung des anderen, dass die beiden Königskinder für einen Augenblick vergaßen, wer oder was sie waren. Doch die gesellschaftlichen Konventionen, die Verpflichtungen an das künftige Reich trieben Tyledion zurück in die Wirklichkeit. Keuchend ließ er von seiner Sommerprinzessin, deren Wangen nun doch einen frischen Rotstich bekommen hatten, und legte seine Stirn an die ihre. Die Augen blieben geschlossen, während ihn erneut der Ärger packte. Nicht genug, dass ihre Liebe unter einem ungünstigen Stern geboren worden war. Dass die Überbrückung der Feindseligkeit alles an Anstrengung und Kraft kostete. Jetzt bahnte sich ein neues Problem an, das der Winterprinz unmöglich ignorieren konnte. Er stieß laut die Luft aus, dass kleine Eiswölkchen um die beiden Königskinder schwebten.

"Wann wird das enden?", murmelte er und öffnete die Augen. "Wenn ich ihnen nicht bald einen Schuldigen präsentiere, wird es wieder in Chaos und Verbitterung enden. Die Ermittlungen werden sich über Wochen hinziehen, wenn nicht sogar über Monate." Tyledion ballte die Hände zur Faust. "Ich müsste das Duell gegen meinen Vater verschieben. Die Übernahme fände nicht vor übernächster Wintersonnenwende statt…", die Fäuste knackten. Eis zersprang im Inneren und sickerte zu mehreren Splittern zwischen den Fingern hindurch. "Ich könnte mein Versprechen nicht vor Ende nächsten Jahres halten. Myoso", seine Stimme wurde kratzig, "wenn wir noch länger warten…"

"Ich warte so lange es nötig ist", entgegnete Myoso, "das habe ich dir versprochen."

"Aber nicht dein Vater."

"Ich habe mit ihm geredet", beteuerte sie, wissend, welche Gedanken den Winterprinz verfolgten, "er würde mich nie zu einer Heirat zwingen."

"Und dennoch wird ihm keine andere Wahl bleiben. Euer General wird nicht so geduldig sein wie du und sobald deine Tante den König überzeugt hat…Ich weiß, dass sie mich dir wegnehmen werden. Das kann ich nicht zulassen!"

"Tyledion", die Sommerprinzessin umfasste das Gesicht des Prinzen, "wir werden es durchstehen. Egal, wie"

Wie gern wollte er den Worten der Prinzessin glauben schenken. "So einfach ist das nicht", raunte er. "Das, was auf der Weise geschehen ist, war kein Unfall, Myoso. Jemand hat es auf den Frieden abgesehen, und ich weiß noch nicht, ob es Krieg innerhalb des Winterreiches geben wird oder jemand etwas viel Größeres plant."

"Aber Tyledion", Myosos Augen weiteten sich.

"Dass das Wiesenkind auf dem Übungsplatz war, ist kein Zufall gewesen. Jemand hat sie mit Schattenmagie dorthin gelockt."

"Schattenmagie? Was ist das?"

"Magie, die Schattenwesen erschaffen. Geschöpfe, ohne freien Willen, Sklaven der Nacht. Unreine Magie, Myoso." Die Sommerprinzessin wusste um die Flammenmenschen - Geschöpfe, die in ihrem Reich als unrein galten und nur von denjenigen erweckt wurden, die Böses im Sinn hatten. Myoso schauderte bei dem Gedanken. Indes fuhr Tyledion fort. "Sie wird nur von einer Hand voll Winterlingen beherrscht. Schattenwesen werden sonst nur zu Spionagezwecken missbraucht. Weil sie sich in ihre Opfer schleichen, ihre Gedanken abhören können, sind sie im Krieg unverzichtbare Werkzeuge. Ist ihr Opfer jedoch schwach, ergreift der Schatten Besitz und da er kein Lebewesen ist, verfällt es mitsamt Träger in eine Starre."

"Wer würde denn so etwas tun?" Myoso hielt sich die Hände vor dem Mund. Weitere Tränen drohten, ihre glasigen Augen zu verlassen.

"Jemand, der Hass schüren will", erwiderte Tyledion, "ich sehe nur drei Möglichkeiten: Die erste wäre, jemand versucht, den General zu stürzen. Ich weiß, dass sein Neffe ihm zürnt und die Nachfolge anstrebt."

"Aber dafür die eigene Cousine opfern?" Die Sommerprinzessin schüttelte den Kopf. Myoso kannte das Wintervolk nicht so gut wie Tyledion, doch vorerst wollte er ihr die raue Wahrheit ersparen.

"Die zweite Möglichkeit wäre, dass mein Vater den Befehl erteilt hat. Nur er kennt die Winterlinge, die Schattenmagie wirken können und nur er darf den Befehl zur Beschwörung erteilen."

"Das glaubst du nicht, oder?" Aus dem linken Auge tropfte eine Träne ihr Kinn hinab, streifte seine Weste, die sie sich sofort einverleibte.

"Nein", entgegnete er trocken, "General Galantius ist sein engster Untergebener. Er vertraut ihm. Den General aus dem Weg zu räumen, würde bloß seinem eigenen Ansehen schaden."

"Und die dritte Möglichkeit?", Myoso wusste nicht, ob sie wirklich noch mehr hören wollte. So viel Grausamkeit, welche Tyledion ohne mit der Wimper zu zucken aussprach.

"Die dritte Möglichkeit - jemand verschleiert seine wahren Absichten." Er ließ die Arme sinken, schaffte eine Handbreit Abstand. "Ist es nicht ein eigenartiger Zufall, dass ausgerechnet heute der Anschlag geplant war? Während einer militärischen Übung der Sommerarmee, am heißesten Tag des Jahres?"

"Tyledion-"

"Es ist klar, wem das Wintervolk zuerst die Schuld in die Schuhe schieben würde, und der Plan wäre aufgegangen, wenn du nicht gewesen wärst und die Zeit angehalten hättest - was im Übrigen bemerkenswert war." Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, das augenblicklich erlosch. "Vorerst konnte ich den General überzeugen, in den eigenen Reihen nach dem Schuldigen zu suchen. Niemand würde mir glauben, wenn ich ihnen sage, was ich wirklich denke."

"Aber du musst es ihnen sagen, Tyledion." Sie griff nach seinen Händen, die so eisig waren, dass es sie frösteln ließ.

"Das geht nicht, Myoso. Sobald ich die Vermutung in den Raum werfe, wird das Ganze in eine völlig falsche Richtung ausarten. Da Schattenmagie unrein ist und unreine Magie keiner Jahreszeit zugeordnet werden kann, wird es immer Zweifel geben. Am Ende würde es so ausgelegt werden, dass ihr es wart, die Magie gewirkt und die Kleine auf den Platz gelockt habt." Er drückte ihre Hand, ließ dabei die Kälte zurück in sein Innerstes wandern, nachdem Myosos Finger anfingen blau anzulaufen. "Egal, aus welcher Perspektive ich es betrachte, ich komme zu keinem zufriedenstellenden Schluss. Es ist, als würde mir die Antwort durch meine Finger entgleiten. Ich übersehe etwas, und ich weiß einfach nicht, was."

"Schon gut", entgegnete die Sommerprinzessin. Sie überwand den Abstand, führte ihre linke Hand zu seiner Brust. "Die Verantwortung der ganzen Welt muss nicht allein auf deinen Schultern lasten. Ich weiß, wie sehr dich die Situation bedrückt. Mir geht es genauso. Aber du musst da nicht alleine durch." Sie legte den Kopf an die Stelle, spürte wie sein innerstes Leuchten aufflackerte. "Wir haben uns geschworen, den Rest unseres Lebens zusammen zu sein. Freud und Leid miteinander zu teilen. Auch wenn wir im Moment nicht so können wir wir es gerne wollen, so können wir uns doch den Rücken stärken, uns unterstützen und Kraft geben."

Tyledion schlang seine Arme um ihre Taille, sog den Duft ihres Kleides und den Klang ihrer Stimme ein. An ihren Worten zweifelte der Winterprinz nicht. Ihm war einfach zu wichtig, Myoso zu beschützen, sie vor dem Urteil des Winterreiches fernzuhalten, dass ihm keine andere Wahl blieb, als dieses Problem allein aus der Welt zu schaffen. Das war er sich und seinen Prinzipien schuldig.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück