Zum Inhalt der Seite

Die Chroniken der Vier Jahreszeiten

Winters Passion
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Spätsommer II

"Tyledion?"

"Hm?"

"Du wirst beobachtet", unauffällig zeigte Winso auf die Prinzessinnen der Nachbarreiche, "meine Augen täuschen mich nie. Ganz gewiss sieht die Frühlingsprinzessin zu dir herüber." Am Stamm gelehnt, wandte sich Tyledion von seinem Buch ab und blickte zu den beiden Blüten herüber. Unbemerkt stahl er sich einen Moment, um in das unschuldige Antlitz der Sommerprinzessin zu blicken, einen flüchtigen Moment ihres Liebrreizes zu erhaschen. Ein Schulterzucken und der Winterprinz war auch schon wieder in seine Lektüre vertieft.

"Vielleicht", feixte der Jüngere, "hat sie ja Gefallen an dir gefunden. Womöglich wartet sie nur darauf, dass du hingehst und sie ansprichst."

"Nein, danke", entgegnete Tyledion trocken.

"Ach Cousin, warum denn nicht?"

"Nicht mein Geschmack."

Mit aufgerissenem Mund starrte Winso zu Tyledion hinauf. Es folgte ein Moment der Stille, bis Winso lauthals zu lachen begann, sich beinahe an seinem Grashalm verschluckte, der ihm in den Mund gefallen war und hustend aus seiner Lunge vertrieb.

"Bei Mutter Erde, Tyledion!", prustete Winso, "wie kannst du nur so eine ernste Antwort geben?!"

"Du hast mich gefragt", erwiderte Tyledion, ohne dass seine Mundwinkel zuckten, "dir sollte bewusst sein, dass ich gegen deinen Sarkasmus immun bin."

"Fürwahr. Das hast du gerade sehr deutlich demonstriert, lieber Cousin." Winso schlug die Beine übereinander, schnappte sich einen neuen Grashalm und pfiff einen leisen Ton hinein. Zwischen den Fingern seiner ausgestreckten Hand, welche den Sonnenschein abwehren sollte, blickte Winso zu den beiden Blüten herüber. Prinzessin Iris' schrilles Lachen hallte über die Wiesen. Ihr langer Zopf wirbelte von einer Seite auf die andere, während Myoso ihre Begleiterin zu beruhigen versuchte. Die Blüten waren wie Tag und Nacht. Die eine ruhig und anmutig, die andere laut und überschwenglich. Winso grinste in sich hinein. "Ich frage mich", der Mischling ließ den Blick schweifen, starrte hinauf in den Himmel, der den zweiten Regenschauer ankündigte, "wie sich wohl deine Eltern kennengelernt haben."

"Wie kommst du plötzlich auf diese Frage, Winso?", Tyledion, der den ersten Regentropfen abbekommen hatte, streckte den linken Arm in die Höhe. Mit gespreizten Fingern beschwor er eine Eiswand, die über seinem Kopf wie ein Regenschirm aufgespannt wurde.

"Naja", entgegnete Winso und schmunzelte, "du bist das Abbild deines Vaters und jeder weiß, dass Aussehen und Charakter eines Erdlings nahe beieinander liegen. Ich will mir einfach vorstellen können, welche Blüte zukünftig an deiner Seite stehen könnte. Und da du mir hinsichtlich deiner Vorlieben nichts verraten willst-"

"Schon gut", erwiderte der Kronprinz seufzend. Er ließ die Hand, mit welcher er das Buch festhielt, sinken. "Um auf deine Frage zurückzukommen: mein Vater hatte meiner Mutter einen Antrag gemacht, kurz bevor er sich gegen meinen Großvater duellierte. Meine Mutter war selbst überrascht, als der älteste Prinz sie plötzlich ansprach und verkündete, er wolle sie heiraten."

"Willst du damit sagen, Onkelchen hat Königin Cycla einfach seine Absichten bekundet, ohne sie wirklichen gekannt zu heben?"

"Ja."

Mit dem linken Daumen klappte Winso die Kinnlade hoch. "Das ist…also-"

"Hast du etwas anderes erwartet?" Tyledion schlug die nächste Seite auf. "Wirklich erstaunlich ist nur, dass meine Mutter damals eine Bedingung gestellt hat."

"Und die da wäre?"

"Das hat sie mir nie erzählt. Aber sie muss schwerwiegend gewesen sein, sonst hätte mein Großvater niemals darauf bestanden, dass er sich eine andere Braut nehmen soll."

"Aber er hat es nie gemacht", zählte Winso eins und eins zusammen, "vielleicht steckt ja doch ein Romantiker in ihm. Dann gibt es noch Hoffnung für dich, mein lieber Prinz." Winso ließ sich zu einem breiten Grinsen hinreißen, das der Ältere bewusst aus dem Weg ging. In dieser Hinsicht konnte er Winso nichts vormachen. Darum versuchte es Tyledion erst gar nicht.

"Wo wir gerade bei Vätern und ihren Söhnen sind", schlagartig wechselte Winsos Stimmung. Seine blauen Augen verloren ihr Funkeln, die Mundwinkel zuckten lediglich, als die Tropfen zu mehreren über den Mischling einprasselten. Er schloss die Augen, tat so, als genoss er die kalte Regendusche, die viel zu heftigen Ergüsse, die ihm Jacke und Hemd durchnässten. In der Hoffnung, Tyledion würde seine Worte ignorieren, schwieg der Mischling und zählte die Tropfen auf seinem Gesicht. Trotz geschlossener Augen spürte er Tyledions Blick und er wusste, es würde ihn zermürben, weiterhin so zu tun als wäre nichts.

"Wie war mein Vater denn so?" Ein schwüler Windhauch drückte sich zwischen die frischen Regenschauer. Winso hörte, wie Tyledion sein Buch zuklappte (worin las sein Cousin eigentlich die ganze Zeit?) und sich dem Mischling zuwandte. "Wie ich hörte, soll er ein richtiger Schürzenjäger gewesen sein."

"Hm", Winso lächelte träge, "kannst du dir das vorstellen? Ich, umringt von den schönsten Blüten des Reiches? Eigentlich müssten die Schönheiten Schlange stehen, wenn sie mich sehen. Irgendwas ist wohl schief gelaufen."

"Kommt alles noch", wenn es ihm auch nicht behagte, versuchte der Winterprinz etwas auf Winsos Sarkasmus zu erwidern.

"Ich glaube", Winso hatte jetzt wieder die Augen geöffnet, "sie sagen das nur, um seine Anbandelung mit einer Sommerblüte auf irgendeine Weise zu rechtfertigen."

"Den meisten missfällt die Vorstellung, dass zwei Wesen aus verfeindeten Reichen Gefühle füreinander hegen könnten."

"Missfällt sie dir nicht?!", Winso setzte sich auf. Die Unbeschwertheit in seiner Stimme war verflogen.

Die beiden Cousins tauschten einen langen intensiven Blick aus. Der Ältere war es, der das Wort ergriff: "Du sagst das so, als zweifelst du die Aufrichtigkeit ihrer Gefühle an."

"Natürlich tue ich das!" Ganz rot wurden die Wangen des Mischlings, dass ihm die Wassertropfen aus dem Gesicht rutschten. "Nach allem, was geschehen ist, wie soll ich da glauben, dass Liebe im Spiel gewesen sein soll? Sie wussten von den Konsequenzen. Mein Vater war der Prinz! Dass ein Kind die Gemüter erhitzen würde, sollte ihnen bewusst gewesen sein. Jemand, der so egoistisch handelt, versteht nichts von aufrichtigen Gefühlen." Die letzten Worte schrie der Jüngere hinaus. Erst als die Welle des Zorns langsam abebbte, wurde sich Winso seines Ausbruchs gewahr. Betreten sah er zur Seite. "Verzeih', Cousin. Ich weiß, so ein Verhalten ziemt sich nicht. Schon gar nicht in deiner Gegenwart." Er stieß einen Seufzer aus. Tyledion, der etwas darauf erwidern musste, jedoch nicht die richtigen Worte finden konnte, sah schweigend zu seinem Cousin herunter. Wie lange schon verbarg der Mischling seine Gefühle?

Die peinliche Stille endete abrupt, als ein Schatten vor ihnen auftauchte, gefolgt von einer roten Mähne, an der sich zwei, drei fingerdicke Regentropfen verfangen hatten.

"Prinz Tyledion", begrüßte ihn der junge König Asteros. Leicht neigte er sein Haupt. Tyledion tat es dem Herbstkönig gleich, während Winso vom Boden aufsprang, den Kopf auf die Brust gedrückt, dass der Regen von seinem Pony tropfte. "Majestät", nuschelte Winso, der nur langsam in die Etiketten des königlichen Hofes umschwenken konnte.

"Hallo, Winso", sagte der etwas ältere König Asteros, dass Winso den Kopf hob. Dann wandte sich der oberste Vertreter des Herbstes wieder dem Winterprinzen zu. "Hättest du einen Augenblick Zeit für mich?"

Tyledion nickte, blickte in Winsos Richtung, dass dieser verstand und sich zurückzog. Dann folgte er dem Herbstkönig Richtung Westen. Über die Klatschmohnwiese, vorbei an der Frühlingsschar, die im Halbkreis vor ihrem Prinzen hockte. Weiter in Richtung der verblühten Lavendelfelder, die einen vergangenen Duft hinterherzogen. Das Gewitter war nun vorüber, die Sonne lockte die Schröpflinge zurück nach draußen und die Hitze brannte unermüdlich auf die Rücken der königlichen Erben.

"Was kann ich für dich tun, Herbstkönig?", Tyledion, der die Arme hinter dem Rücken verschränkt hatte, sah zu dem jungen König herüber. König Asteros winkte mit seiner behandschuhten Hand. Die schneeweißen Handschuhe waren ein völliger Kontrast zu der rotbraunen Uniform, die sich hinter einem langen schweren Mantel aus Laub und Hagebuttenzweigen verbarg. Seine Krone hatte er nicht aufgesetzt, aber das war auch nicht nötig. Strotzte seine gesamte Erscheinung von königlichem Glanze - von dem feurigen Haarschopf bis hin zu den goldenen Spitzen seiner Stiefel. Obwohl seine Krönung nicht lang zurücklag, schien es, als wäre Asteros Zeit seines Lebens ein König gewesen. Die Augen, so wachsam und feurig wie die seines Vaters, erinnerten kaum mehr an den jungen Burschen, den aufmüpfigen Prinzen, den Tyledion einst gekannt hatte. So manches Mal hatten die beiden Kronprinzen zusammen gesessen. Wenn König Ceanthos seinen Vater in sein Herbstschloss eingeladen und Tyledion zusammen mit Asteros einen Wettstreit in dessen Gemächern veranstaltet hatte, welcher der beiden Prinzen wohl einen heftigeren Sturm erzeugen konnte. Es hatte viel Streiterei zwischen den Thronerben gegeben. Gezanke, und Diskussionen. Es würde geneckt und geärgert, und so manches Mal auch herzlich gelacht. Der Herbstkönig war ihm einst ein teurer Gefährte gewesen. Nie hatte der Winterprinzen so ausgelassen und frei reden können, wie mit dem herbstlichen Burschen und bis heute erinnerte sich Tyledion gerne an jene unbeschwerte Zeit zurück. Die Jahre hatte die beiden Erben verändert. Genauso wie Tyledion nicht mehr der engstirnige Winterprinz war, hatte sich auch Asteros zu einem prächtigen Thronerben gemacht.
 

"Die Herbstlese steht bald bevor", verkündete König Asteros, als wüsste Tyledion nichts von dem baldigen Wechsel der Jahreszeit. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht, dass die Sommersprossen unter seinen Augen zu hüpfen begannen. "Was hältst du von einer weiteren Zusammenkunft der vier Reiche?"

"Mich erstaunt, dass du meinen Rat einholst. Wie ich die Berater der Herbstreiches einschätze, werden sie deiner Idee bereits zugestimmt haben. Im Sinne des Aufbaus einer Sommer-Herbst-Beziehungen durchaus schlüssig."

"Deine objektiven Schlüsse lob ich mir, Winterprinz. Fürwahr stimmen meine Berater dafür und die Gründe scheinen durchaus berechtigt. Aber", der Herbstkönig fuhr mit der Hand über sein Kinn, "ich möchte keine Missverständnisse aufkommen lassen. Die Sommersonnenwende war ein gelungener Auftakt für eine friedliche Koexistenz unserer vier Reiche. Ich möchte nicht sagen, dass mich Kong Gingkos Einladung dazu nötigen würde, eine ähnliche Feierlichkeit auszurichten. Die Ausgangslage von Sommer und Herbst sind eine völlig andere. König Gingko konnte dabei nur gewinnen. Diesbezüglich bewundere ich den Sommerkönig für seine Art, Dinge…unkompliziert erscheinen zu lassen. Wohingegen ich jeden meiner Schritte genauestens überdenken muss.

Dennoch bin ich sehr angetan von der Idee, alle vier Reiche an meiner Festtafel zu versammeln." König Asteros klopfte die letzten Tropfen von seinem Umhang. "Bevor ich die Briefe jedoch aussenden lasse, muss ich sicher sein, dass alle vier Reiche der Einladung folgen würden." Sein Blick wurde streng, die Sommersprossen hörten auf zu hüpfen und glühten blassrosa auf. "Wir sind nicht das Sommerreich. Wir können uns nicht erlauben, König Asparagos' Unmut auf uns zu ziehen. Ebenso wenig kann ich nicht auf die Anwesenheit des Winterreiches verzichten. Eine Zusammenkunft ohne unseren östlichen Nachbarn sähe wie eine stille Partnerschaft zwischen Frühling, Sommer und Herbst aus." Der Herbstkönig blieb stehen. Die Hände vor der Brust verschränkt drehte er sich zu dem gleichaltrigen Winterprinzen herüber. Tyledion erwiderte seinen Blick. Die undurchschaubare Kühle des einen sowie die tief lodernde Berechenbarkeit des anderen ließen den Platz um die königlichen Erben erschaudern. Obwohl keiner dem anderen grollte, duckten sich die Überreste des Lavendels vor der gefürchteten Kraft der beiden Jahreszeiten.

"König Asparagos", sprach Tyledion, "wird auch in Zukunft die guten Beziehungen des Herbstreiches pflegen wollen."

"Aber er wird nicht erscheinen, wenn ich den Sommer einlade." Beendete König Asteros den Satz.

"Ich weiß es nicht", antwortete Tyledion ehrlich, "mein Vater ist sehr beschäftigt."

"Aber du wirst kommen", die roten Seelenspiegel des Herbstkönigs begannen wie flammendes Kerzenlicht zu flackern. Flüchtig war das Lächeln, doch hatte es Tyledion nicht übersehen. "Ich baue auf deine Loyalität und Vernunft, Winterprinz. Aus dem Grund habe ich dich aufgesucht. Mir ist bewusst, dass eure Anwesenheit zur Sommersonnenwende deiner Überredungskunst geschuldet war. Mein Vater sagte mir, dass König Asparagos niemals der Einladung gefolgt wäre."

"Ich handle nie gegen den Willen des Königs", erwiderte Tyledion, der sich seiner eigenen Handschuhe bedient, welche aus seiner Uniformjacke hervorlugte. Er ließ sich Zeit, die Finger durch den Stoff zu schieben. Dass der alte König Ceanthos seinen Vater gut einzuschätzen vermochte, war wohl kein Geheimnis. Wie bereits bei seiner Mutter musste er die richtigen Worte finden, um sein Widerhandeln zu seinem Vorteil umzubenennen. "Selbstverständlich habe ich das Einverständnis des Königs eingeholt und wenn es sein muss, werde ich auch diesmal nicht davor scheuen, meinen Vater davon zu überzeugen, der Herbstlese beizuwohnen."

"Sehr schön", lächelte der junge Herbstkönig, "ich glaube, das ist der Beginn einer neuen Ära."



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück