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Die Chroniken der Vier Jahreszeiten

Winters Passion
von

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Herbstlese I

Gleißendes Licht umhüllte die nächsten Erben des Sommers, warme Strahlen, die der Sonne in nichts nachstanden, tränkten die Königsfamilie und deren Zweigclans in die Macht der heißesten Jahreszeit von allen. König Gingko schwenkte seinen machtvollen Stab und führte die Gruppe von knapp hundert Burschen und Blüten an die Grenzlinie ihres Reiches, von wo sie ihre Reise zum Herbstkönig und dessen Mitglieder fortsetzten. Die Magie aller vier Herrscher war mächtig. So mächtig, dass sie die Grenzen des Seins überschritten, Mauern des Bewusstsein überwanden und die Lichtgeschwindigkeit zu ihren Gunsten gebrauchten. Lichtwanderung, so nannten die Sommerlinge diese unglaubliche Gabe, mit der Königs Gingko sich und seine Untertanen durch das Sommerreich teleportieren ließ. Jeder Jahreszeitenherrscher konnte sich dieser Kräfte bedienen, und jeder König und jede Königin nutzte diese Fähigkeit, um längere Strecken in kurzer Zeit zu überbrücken. Sei es während der Reisen nach Menschenerde oder um ihren Nachbarn einen Besuch abzustatten. Sobald jedoch die Grenze nahte und das Nachbarreich des Nordens am Ufer des Flusses sichtbar wurde, endete auch König Gingkos Lichtwanderung, und das Volk, einschließlich des Königs und seiner drei Kinder, musste den Rest des Weges zu Fuß gehen. Einerseits aus Respekt gegenüber der Herrscher ihrer Nachbarreiche, hielten die Erben der Jahreszeitenstäbe ihre Kräfte zurück. Andererseits schwand ein Teil ihrer unglaublichen Macht, wenn zwei mächtige Stäbe in die Nähe des jeweils anderen kamen. Ganz begründen konnte niemand dieses Phänomen. Die einen glaubten, dass damit der Frieden gesichert werden sollte, während andere davon überzeugt schienen, dass damit einmal mehr bewiesen wäre, wie wenig die Jahreszeiten zusammenpassten.
 

Nun marschierten hundert stolze Sommerlinge in hellgelber Uniform durch den dichten Wald des Herbstreiches. Goldene Knöpfe an Jacke und Mantel erleuchteten den Weg zum Palast, der auf einer Lichtung inmitten von Laubbäumen und Brombeersträuchern auf sie wartete. Der Herbst klopfte an die Tür und für die Sommerlinge war es an der Zeit, die luftigen Gewänder abzustreifen und die biedere Kluft des hiesigen Reiches anzulegen. Die Burschen legten erstmals ihre weißen Handschuhe über, von denen einige mit feinen Monogrammen bestickt waren. Voller Stolz trugen sie das Kleidungsstück, welches so liebevoll von ihren Gattinnen verschönert worden war und als Zeichen tiefster Zuneigung galt. Ihnen gegenüber liefen die Sommerblüten in ähnlich strenger Kluft. Ein langer gelber Mantel, ganz im Stil der Uniform gehalten, lag eng um den Körper der zarten Gestalten. Elegant schmiegte sich der feste Stoff um die Leiber der Sommerblüten, deren kragenloser Ausschnitt von winzigen Pollen bedeckt war. Paarweise reihten sich goldene Knöpfe vom Kragen bis zur Hüfte und verliehen dem Gewand eine gewisse, herrschaftliche Strenge. An der Taille bauschte sich der Mantel ein wenig auf, dass er wie ein Kleid bis zu den Waden gereichte. Dort wurde er von weißen Stiefeln ersetzt, die mit Schnürsenkeln aus fein gearbeiteten Heu festgeschnürt worden waren.
 

Ganz vorne, dicht hinter ihrem Vater, schritt die Sommerprinzessin leichtfüßig über den feuchten Boden des Herbstreiches. Die Stiefel quietschten, als sie den feuchten Boden begrüßten, nachdem sie stundenlang nichts als Trockenheit und Dürre gesehen hatten.

Im grellen Glanz erstrahlte Myosos Innerstes vor Aufregung, dass sie zwischen den dicht bewachsenen Bäumen ein warmes, helles Licht spendete. Noch nie hatte sie das Herbstschloss besuchen, noch nie ihren Vater zu einem seiner vielen Audienzen begleiten dürfen. Von Erzählungen wusste sie um die Pracht des Herbstschlosses. Aus Büchern hatte sie so manche huldvolle Zeichnung gesehen. Die Sommerprinzessin lächelte, dass ihre kleinen Grübchen zum Vorschein kamen. Die Freude überwog den Ärger, den sie noch vor einigen Augenblicken verspürt hatte. Nachdem die Lichtwanderung geendet und Myoso mit Hilfe ihres Vaters den Fluss überquert hatte, war es ihre Tante, die sogleich von der Situation Gebrauch machte. Mit einer beiläufigen Bemerkung hatte sie Lathyrus zu sich heran gewunken und ihm den Befehl erteilt, Myoso während der Wanderung als Begleiter zur Seite zu stehen. Lathyrus, welcher der Königsfamilie keinen Wunsch abschlagen würde (obwohl er der Schwester des Königs zu keinerlei Gehorsam verpflichtet war), hatte der Prinzessin den Arm gereicht und Myoso, die den Sommerling nicht verletzen wollte, hatte dem nichts hinzuzufügen gehabt. Dabei wusste die Sommerprinzessin genau, welche Pläne die Tante verfolgte und dass sie mit dieser schlichten Geste mehr Aufmerksamkeit erregte, als Myoso lieb war. Das Gerede um eine baldige Hochzeit hatte die Landen erreicht und jetzt, nachdem Myoso und Lathyrus Arm in Arm auf das Herbstschloss zuliefen, würde es kaum noch Widerworte geben. Doch noch mehr als über Tante Pensea als Kupplerin, wunderte sie sich ernsthaft über ihren Vater, der zu keinem Zeitpunkt gewillt schien, seiner Schwester zu widersprechen. Dabei hatte er vor Monaten versprochen, Myosos Entscheidung zu akzeptieren. Hatte Tyledion womöglich doch recht? Würde ihr Vater einfach über ihren Kopf hinweg entscheiden, wenn der Augenblick passend schien? Für den Moment musste sich die Sommerprinzessin fügen. Sie würde später noch einmal mit ihrem Vater reden müssen. Am besten, wenn Tante Pensea nicht zugegeben war. Schließlich ging es nicht nur um Myosos Gefühle. Durch Penseas ständiges Einmischen, führte sie auch Lathyrus in die Irre. Dass er mehr als eine Prinzessin in ihr sah, war Myoso bereits seit einiger Zeit bewusst. Myoso selbst hatte damals geglaubt, dass ihre tiefe Zuneigung gegenüber dem Generalssohn romantischer Natur gewesen wäre. Als frische, unwissende Blüte von fünfzehn Jahren hatte Myoso ihre Liebe zu Lathyrus für etwas besonderes gehalten. Erst einige Zeit später verstand sie, dass Freundschaft ein ebenso starkes Band der Liebe erschaffen konnte, doch Liebe und Leidenschaft nicht immer im Einklang stehen mussten. Und so sicher Myoso um ihre Gefühle war, so sehr fürchtete sie sich vor dem Schmerz, den sie Lathyrus zufügen musste, wenn sie sein Liebesgeständnis abweisen müsste. Je länger sie darüber nachdachte, umso erdrückender lastete die Wahrheit auf Myosos Schultern. Eines Tages würde der Augenblick kommen, an dem Lathyrus' Leuchten von Liebesqualen gepeinigt werden würde, aber heute würde sie dem Ganzen einen weiteren Tag Aufschub gewähren.
 

"Sieh' nur", rief Myoso, als sie an violetten Pilzen vorbei gekommenen waren, welche ihre Hüte von den Köpfen nahmen und sich vor der Königsfamilie verbeugten. Pilzköpfe wurden nur selten im Sommereich gesichtet und mit Entzücken betrachtete die Sommerprinzessin die Freundlichkeit der Waldbewohner, welche die Neuankömmlinge aufs herzlichste willkommen hießen. Myoso tat einen Knicks, dass die Pilze einen Salto vollführten, durch die Lüfte purzelten, bevor sie mit ihren Füßen zurück in die Erde hüpften. Hinter der ältesten Sommerprinzessin kicherten die Geschwister, Cynos stupste einen Fliegenpilz an, der wiederum ein lautes Quietschen ausstieß, dass Malwa ihren großen Bruder in die Seite knuffte und ein Streit zwischen den jüngeren Geschwister entfachte, der die sommerliche Gruppe in Aufruhr versetzte, bis Penseas strenge Stimme dem Chaos Einhalt gebieten konnte, gefolgt von einem ebenso mahnenden Blick Seitens des Sommerkönigs. Sofort verstummten die beiden Königskinder und hielten sich für den Rest des Weges die Münder zu. Myoso hingegen blickte sich neugierig um und ließ sich von ihrem Begleiter über die Wunder des Herbstreiches unterrichten. Im Gegensatz zu ihr war Lathyrus bereits das ein oder andere Mal im Herbstreich gewesen. Mit seinem Vater, dem General, hatte er die Grenzen überwacht, die nördlich stationierten Soldaten besucht und den Herbstwald erkundet. Seit Lathyrus seinem Vater Arbeit abgenommen hatte, war der Sommerbursche viel herumgekommen und Myoso freute sich nach jeder Rückkehr darauf, von Lathyrus die neuesten Geschichten zu erfahren. Aufmerksam lauschte die Sommerprinzessin und Lathyrus genoss die Anwesenheit, die Zuwendung seiner Prinzessin, welcher er jede Frage nach bestem Gewissen beantwortete.
 

Allmählich lichtete sich der Wald. Moos bildete eine Straße, die auf einen Berg zusteuerte. Die Lichtung befand sich am höchsten Punkt des Berges, die Spitzen des Herbstschlosses waren bereits zu sehen, erfüllten Myoso Innerstes mit tiefster Bewunderung und Zuneigung. Ihre Augen weiteten sich, strahlten im Schein der tief hängenden Sonne, als sie den Berg erklommen. Zuerst erschienen die Apfelplantagen. Junge Burschen kletterten auf die Bäume, schüttelten die Äste, dass dicke rote Äpfel in einen Weidenkorb fielen, den jeweils eine Herbstblüte über ihren Kopf gestülpt hatte. Es roch nach frischem Most, saftig feuchter Erde und einem Hauch von Zimt. Während Apfel für Apfel in den Korb plumpste, sangen die Herbstlinge ein Lied, summten oder pfiffen eine fröhliche Melodie, die über den ganzen Berg widerhallte. Texte erzählten von Liebe und Sehnsucht, Heimkehr und unendlicher Hingabe gegenüber dem Herbst und ihrem Herrscher. Myoso spitzte die Ohren, lauschte den Liedern, die von so viel feuriger Leidenschaft strotzten.

Dann waren die Birnen und Pflaumen an der Reihe. Die Stimmen wurden lauter, die Burschen und Blüten wilder und unbefangener. Ihre feurige Mähne ein Spiegelbild an Emotionen, die auf Myoso und ihre Begleiter hinab prasselten. Wie die Herbstblüten ihre Glockenröcke baumeln ließen - bunte, aufgebauschte Röcke, die einem Flammentanz Konkurrenz machen konnten - ,sich vergnügt im Kreise drehten, dabei den Burschen schöne Augen machten und immerzu von Liebes- und Heimweh sangen, zogen Myoso in ihren Bann, dass sie sich davon nur schwer losreißen konnte.

Schließlich tauchten die Weinbergfelder auf - der Stolz des Herbstes. Die Blätter waren reich bestückt, üppig hingen die Weintrauben, dass sie beinahe den Böden berührten. Die Sommerprinzessin hielt inne. Lathyrus, der ebenfalls zum Stehen kam, musterte König Gingkos älteste Tochter fragend. Das sommerliche Gefolge tat es ihr gleich, blieb stehen und beobachtete das fröhliche Treiben der Herbstlinge.

"Dort", sagte Myoso und deutete auf einen der vielen großen Tröge. In diesen Trögen hatten sich Herbstlinge eingefunden. Die Hosen bis zu den Knien hochgekrempelt stampften sie und sangen fröhlich vor sich hin. In einem anderen Trog hatte eine junge Blüte den Rock bis an die Oberschenkel angehoben. Sie stampfte ebenfalls, sang und drehte sich im Takt der Melodie. In weiteren Trögen hatten sich die Herbstlinge zu Paaren aufgestellt. Die Finger miteinander verschränkt drehten sie sich abwechselnd, stampften und sangen einander zu. Fasziniert beobachtete Myoso das Schauspieler, die Pirouetten der Herbstblüten, welche sich von dem tiefen Bass der Burschen mitreißen ließen. Neckend besangen die Herbstburschen die jungen Blüten und ebenso wild erwiderten die Blüten die Avancen, streckten sich und stampften, dass der Saft bis zu ihren Kleidern spritzte.

"Schau nur, Lathyrus, diese Rohre", Myoso zeigte auf die Holzrohre. Jedes Einzelne war mit einem Trog verbunden und verlief einmal direkt in die Erde.

"Der ausgepresste Saft fließt durch die Rohre", antwortete Lathyrus. "Unter der Erde verlaufen die Rohre zu einer gemeinsamen Leitung. Das Herbstvolk hat ein erstaunliches, unterirdisches System geschaffen, wodurch das gesamte Reich mit Traubensaft versorgt werden kann." Anerkennung schwang in Lathyrus' Stimme mit. "Wusstest du, dass der Wein nicht nur zu diversen Bewässerungszwecken verwendet wird, sondern auch zu Heilzwecken angewendet werden kann?"

"Du weißt eine Menge, Lathyrus", staunte die Sommerprinzessin und lächelte.

"Einer der Herbstsoldaten hatte es während einer Unterhaltung mit meinem Vater erwähnt. Ich habe lediglich zugehört." Lathyrus wandte den Blick von ihr ab, sichtlich bemüht, Gelassenheit vorzutäuschen. Mit der freien Hand fasste er sich durchs Haar.

"Und weißt du", setzte Myoso ihre Unterhaltung fort, nachdem sie sanft von Lathyrus angehalten wurde, weiterzulaufen, "dass die Menschen von dem Saft ganz trunken werden? Genauso als wenn wir von Königin Allilaeas besonderen Frühlingsregen kosten?"

"Wirklich?!"

"Ja", die Sommerprinzessin begann zu kichern, "und das Ganze nennen sie dann Wein."

"Nicht sehr kreativ", bemerkte Lathyrus und schüttelte lächelnd den Kopf. Obwohl er nicht viel für das Menschenvolk übrig hatte und Myosos Interesse nicht verstehen konnte, faszinierte ihn das gesammelte Wissen der Sommerprinzessin.

Der Palast war nun deutlich zu erkennen. Kein Bild und keine Zeichnung vermochten die wahre Schönheit des Herbstschlosses einzufangen. Myoso sah hinauf, betrachtete die meterhohen Mauern, die ganz in den Farben der bunten Jahreszeit gekleidet waren. Dornen und Ranken schmiegten sich um das feste Gestein, meterhoher Blauregen hing schwer über Brüstungen und Balkonen. Die letzten Sonnenstrahlen hatten die Schlingpflanzen in ein gesättigtes Grün getränkt, doch schon bald würden ihre traubenartigen Blüten verwelken und die Blätter in gold-gelbe Töne tränken. Aber das schien der Natur nichts auszumachen. Freute sie sich bereits auf den Neuanfang, den Wandel, den die Zeit mit sich brächte - und mit ihm eine neue Farbenpracht gestaltete.

Der Eingang bildete ein eindrucksvoller Rundbogen, um den sich hunderte Rosenranken wanden. Geradezu schmeichelnd hatten sie sich um das Metall geschlungen, die Blätter kräuselten sich und die Blüten hielten sich bedeckt geschlossen. Hatte sich die Natur in Geduld zu üben, war ihr doch die Anspannung anzumerken. Wie sich die Rosen danach verzehrten, ihre Blüten zu öffnen, ihre Schönheit zu präsentieren und ihren unverkennbaren Duft hinauszutragen, spürte Myoso bis zu den Fingerspitzen. Die Anspannung war groß, Vorfreude ein ungezügelter Genosse. Das Kribbeln, die Erwartungen - all dies bauschte sich zu einer großen Kugel auf. Die Luft knisterte. Nicht zuletzt wegen ihres treuen Gefährten. Unter jenem Rundbogen stand König Asteros, um seine neuesten Gäste in Empfang zu nehmen. König Ginkgo hob seinen rechten Arm, dass seine Gefolgschaft zum Stehen kam. Die Augen der jungen Sommerprinzessin huschten über die Schultern des Vaters weiter zu dem jungen Herbstkönig. Mit festen Schritten näherte sich König Asteros dem Sommerkönig. Sein Mantel wippte auf und ab, die bunten Blätter raschelten vergnügt. Auf seinem Haupt ragte die Herbstkrone aus feinen Ästen, an denen sich Trockenobst und Kastanien verfangen hatten. Zielstrebig schritten seine Stiefel auf die Sommerlinge zu. Dabei schlängelten sich Schlingpflanzen um die Schnürsenkel, wetteiferten um die Gunst des mächtigen Herbstbewohners. Es war ein Wunder, dass es dem König gelang, nicht über die eigenen Füße zu stolpern, so fest umschlossen die Ranken das feste Schuhwerk.

Die Begrüßung der beiden Könige, als der Herbstkönig an dessen sommerlichen Nachbarn herangetreten war, verlief genauso wie zur Sommersonnenwende. Beide Herrscher verneigten sich vor ihrem Gegenüber, ihre Konversation war kurz und freundlich. König Asteros' Blick glitt zur ältesten Königstochter. Ein flüchtiges Lächeln umspielte seine Lippen, aber Myoso hatte es ganz klar gesehen.

"König Asteros", sprach Myoso und erwiderte sein Lächeln geradezu euphorisch, "die Schönheit deines Reiches hat mich in ihren Bann gezogen. Mit welch Fleiß und Hingabe dein Volk seiner Arbeit nachgeht, lässt mein Innerstes erblühen." Sie deutete nach unten zu den vielen Trögen, in denen unermüdlich der Saft ausgepresst wurde. "Ich wünschte, ich könnte ihnen Gesellschaft leisten. Ihre Leidenschaft ist geradezu ansteckend."

"Ich danke für das Kompliment, Prinzessin", entgegnete König Asteros, dessen Augen zu funkeln begonnen hatten, "wenn es dein Wunsch ist, so verspreche ich dir, dass wir zur nächsten Herbstlese gemeinsam in den Trögen tanzen und Aestos' Wunder besingen werden!"

"Ich nehme dich beim Wort, König Asteros", lächelte Myoso, dass ihr Innerstes kaum heller erstrahlen konnte. Mit einem letzten amüsierten Blick wandte sich der Herbstkönig von der Sommerprinzessin ab. Gemächlichen Schrittes führte er die Gruppe Sommerlinge zu seinem Palast. Die breite doppelseitige Flügeltür wurde aufgerissen und ein langer Flur ebnete den Weg durch das Schloss. Ohne ihre Begeisterung zu zügeln, lief Myoso durch die Flure. Wieder schlängelten sich an den Wänden Dornen und Ranken und wieder schmiegten sich die Blüten der Rosen eng aneinander - wartend auf jenen Moment, an dem sie triumphierend aufplatzen würden. Erwartungsvoll raschelte das Laub unter ihren Stiefeln. Myoso sog die Düfte in sich auf. Es roch nach Pilzen, getrockneten Blättern und aller vier Jahreszeiten. Ihr Innerstes glühte vor Aufregung. Sie alle waren gekommen. Mit der freien Hand fasste sich die junge Sommerprinzessin an die Brust.

Am Ende des Flures ließ der Herbstkönig eine weitere Tür aufgehen, die in den Ballsaal des Herbstschlosses führte. Die Sommerprinzessin ließ von ihrem Begleiter und ließ den Kopf in den Nacken fallen. Eine Glaskuppel hielt als Decke her, zeigte den Nachthimmel in seiner ganzen Schönheit. Nur der Kronleuchter vermochte die funkelnden Sterne zu übertrumpfen. Tropfenförmig hingen Edelsteine in allen Farben weit über den Köpfen der Gäste und schimmerten mit den flackernden Kerzen um die Wette. Das Glas reflektierte die Farben und ließ den gesamten Raum in den Regenbogenfarben erstrahlen. Weiter ließ Myoso den Blick durch den Ballsaal schweifen. Der Laubboden war durch einen rotbraunen Teppich ersetzt worden, der die Geschichte des Herbstreiches nacherzählte. Myoso blieb keine Zeit, ihre Augen über die gewebten Bilder gleiten zu lassen, als das Sommervolk bereits von der restlichen königlichen Herbstfamilie begrüßt wurde. Ihre Augen weiteten sich vor Erstaunen. Die rot glühenden Kleider der herbstlichen Königsfamilie waren eine Augenweide, doch die Herbstkönigin selbst stellte alle anderen in den Schatten. Ihr dunkelrotes Kleid lag eng um ihren schmeichelhaften Körper, eine meterlange Schleppe zierte den Boden und musste von ein halbes Dutzend Wiesenkindern gehalten werden. Die wilde Mähne war in eine aufwendige Hochsteckfrisur gebunden, aus welcher viele kleine Äste und Blätter hervorlugten. Mit kirschfarbenen Lippen zeigte die Königin ihr hellstes Lächeln, dass Myoso ihren Blick senkte, um die eigene Röte in ihrem Gesicht zu verbergen. Ihr Vater meinte schon immer, dass die Herbstlinge ein verstecktes Temperament besäßen und Myoso glaubte, dass er damit nicht nur ihren Charakter meinte. Nur langsam kehrte die vornehme Blässe in Myosos Wangen zurück. Geschmeidig schritt die junge Herbstkönigin auf die Prinzessin zu.

"Myoso. Wie schön, dass ihr gekommen seid", die Königin zog sie in eine innige Umarmung, die Myoso mit derselben Zuneigung erwiderte. Glühend stachen die Sommersprossen hervor, die Königin flüsterte Myoso ins Ohr: "Asteros freut sich ganz besonders. Er war letzte Nacht ganz aufgeregt und hat heimlich vor dem Spiegel geübt", leise kicherte sie, ,"aber verrat' ihm nicht, dass ich es dir gesagt habe. Er würde es bloß abstreiten." Sie fasste Myoso bei den Händen, drückte kurz zu und widmete sich anschließend den anderen königlichen Herrschaften. Nur kurz blieb der Sommerprinzessin Zeit Luft zu schnappen. Wie vom Wirbelwind gescheucht, kamen die Zwillingprinessinnen herbeigeeilt, fielen Myoso um den Hals und begannen sogleich aufgeregt zu erzählen: "Wenn du wüsstest, was während der Lichtwanderung passiert, ist Myoso", plapperten Iris und Irida im Chor, "Scridellos hat doch nicht wirklich-"

"Iris! Irida!", es war Königin Allilaea persönlich. Eine Meter weiter funkelten ihre hellgrünen Augen gefährlich auf und mit einem weiteren Ausspruch befahl sie den Frühlingsprinzessinnen zurück an ihre Plätze zu gehen. Mit einer letzten Umarmung und einem äußerst verschwörerischen Blick wandten sich die beiden von ihr ab und tänzelten zurück in ihre Gruppe. Die Vertreter des Frühlings standen an der linken Seite einer Festtafel, die von allerhand Obst und Blumensträußen verziert worden war. Dicht daneben hatte sich die winterliche Delegation eingefunden. Hundert Burschen und Blüten, einschließlich der Winterkönigin und ihrem Sohn, hatten sich zur heutigen Herbstlese eingefunden. Es war ein seltener Anblick, der sich da bot, Königin Cycla und Königin Allilaea so nahe beieinander stehen zu sehen. Ihre Auren waren zum Greifen nahe, ihr Unmut eine nicht zu leugnende Tatsache. Die Winterkönigin hatte solch einen eisigen Blick, während Königin Allilaea lediglich die Lippen zusammenpresste, dass man kaum sagen konnte, wessen Abneigung größer war. Es war lediglich der königlichen Etikette und dem Anstand geschuldet, dass beide Königinnen ihre Diskrepanzen ruhen ließen. Wenigstens an diesem Abend. Myosos Mundwinkel zuckten kurz, bevor sie ihr Innerstes fest versiegelte. Lange, bevor ihre Augen Tyledion gefunden hatten, hatte sie seine Anwesenheit gespürt. Der Winterprinz stand an einer der Säulen und blickte starr geradeaus. Seine gesamte Körperhaltung verriet die Anspannung. Sein Blick war so eisig, dass selbst die Sommerprinzessin erschauderte. So angespannt hatte sie Tyledion noch nie erlebt. Unruhe machte sich in Myoso breit. Wie gerne wäre sie an ihn herangetreten, hätte seine Hand ergriffen, ihm sanft zugeredet. Er brauchte das jetzt. Genauso wie sie.

"Prinzessin", Lathyrus hatte sich vor Myoso gestellt. Er zeigte auf die Tanzfläche, die sich inmitten des Ballsaals befand. Dort hatte sich König Asteros platziert. Die Vertreter von Sommer, Winter und Frühling waren an ihn herangetreten, dass sie einen Kreis um den Gastgeber bildeten. Nickend folgte die Sommerprinzessin Lathyrus und gesellte sich zu ihrem Vater, der ihr lächelnd über den Handrücken strich. Es war soweit. Der Herbstkönig wandte sich seinen Gästen zu. Erneut begrüßten er die drei Reiche, hieß sie in seinem Schloss willkommen und brachte seine Freude zum Ausdruck, wie es einem Herrschers des Herbstes gebührte. Den rechten Arm nach oben ausgestreckt blitzte der Herbststab in seiner Hand auf. Zwei dicke, ineinander verflochtene Äste bildeten das Gerüst. Ihre roten Spitzen leuchteten, zeigten in den Himmel. "Nun meine Freunde", rief König Asteros, "lasst uns das Fest beginnen." Rote Magie sprang aus dem Stab. Ein lautes Brodeln ertönte. Wo nichts außer der Teppich existiert hatte, sprangen Fontänen aus dem Boden. Wasser und roter Saft plätscherten aus allen Richtungen. Aus dem Nichts erschienen Wasserspiele. Skulpturen erwachten zum Leben, reckten sich und bewegten ihre Glieder, als wären sie zum Tanzen aufgefordert worden. Marmorstatuen schwebten über die Vertreter der vier Jahreszeiten, erfreuten die Gäste mit ausgefeilten Darbietungen, in denen sie immerzu Wasser und Traubensaft ausspien. Wie verspielt das Herbstvolk doch eigentlich war! Schien es nach außen kühl und distanziert, zeigten sie hier jene Leidenschaft und Vielfältigkeit, wie es sie kaum ein anderer zu bieten hatte. Das Schauspiel nahm Myoso ganz für sich ein. Ihre Augen leuchteten, ihre Lippen konnten nicht aufhören zu lächeln. Dies war ein wunderbarer Auftakt und sie spürte, dass der heutige Abend etwas ganz Besonderes werden würde.



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