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Freunde mit gewissen Vorzügen

von

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Das Erste, was er wahrnahm, war Wärme. Es war warm um ihn herum. Keine Schmerzen, nur angenehme Wärme. Das nächste war die Tatsache, dass er Kleidung trug. Eine Hose und ein T-Shirt. Seine Sachen offenbar. Gewaschen. Er versuchte die Augen zu öffnen und schloss sie schnell wieder. Die weiße Helligkeit vor seinen Lidern war schmerzhaft und verursachte ihm Kopfschmerzen. Er versuchte stattdessen, sich zu bewegen. Er lag auf etwas Weichem, aber es war kein Bett. Ein Sofa vielleicht?

Stimmen näherten sich und er erkannte, dass eine davon Schuldigs war. Er schien aufgebracht.

„Ich weiß“, sagte er gerade. „Das war ja so auch nicht geplant. Und Nagi hat sich schon keinen Zacken aus der Krone gebrochen. Du verhätschelst den Jungen zu sehr.“

„Das ist nicht deine Entscheidung“, antwortete eine andere, männliche Stimme, die Ken nicht kannte. Vermutlich gehörte sie dem vierten Schwarz, Crawford.

Die beiden blieben in einiger Entfernung stehen und Ken beschloss, einfach weiter zu tun, als wäre er ohnmächtig. Vielleicht bekam er so etwas zu hören, das ihm hier raus helfen konnte.

„Was soll das, Schuldig?“ Crawford war eindeutig verärgert. „Ich wünsche nicht, dass dein Haustier hier auf der Couch herumliegt.“

„Aber du bist doch derjenige, der drauf bestanden hat, dass ich ihm etwas anziehe, wenn er hier oben ist“, nörgelte Schuldig. Er trat neben das Sofa, Ken fühlte, wie er gepackt und unsanft auf den Boden befördert wurde. Er unterdrückte mit Mühe einen überraschten Laut.

„Besser so?“, äzte Schuldig. „Oder soll ich ihn noch an eine Leine legen?“

„Du sollst ihn wieder in den Keller bringen, wenn er wach ist. Am besten jetzt gleich, das macht am wenigsten Scherereien.“

„Jaja, ich mach's gleich. Geh nur zu deinem Termin, ich kümmere mich um alles.“ Er murmelte noch etwas, das vermutlich niemand verstehen sollte, und ihm einen warnenden Laut von seinem Vorgesetzten einbrachte.

„Ich verlasse mich darauf, Schuldig“, sagte Crawford und Ken hörte, wie sich Schritte entfernten und eine Tür klappte. Schuldig ließ sich auf das Sofa fallen und stupste Ken mit dem Fuß an.

„Du kannst aufhören, dich totzustellen, Kätzchen. Er ist weg.“

 

Ken öffnete die Augen und sah halb unter dem Couchtisch liegend zu Schuldig nach oben. Der grinste ihn an. „Und? Wie fühlst du dich?“

„Besser“, gab Ken einsilbig zurück.

„Das will ich doch stark hoffen. Hab dich schließlich eigenhändig hier hoch geschleift. Man, du hast Farfarello ja ordentlich aus dem Häuschen gebracht. Was hast du gemacht? Mit ihm über Gott geredet?“

Ken nickte nur. Schuldig schnalzte vorwurfsvoll mit der Zunge. „Sollte man nicht tun. Am besten lässt du das Thema einfach gut sein. Ich weiß nicht, ob ich nächstes Mal auch wieder schnell genug bin, um dir deinen süßen Hintern zu retten.“

Ken wusste nicht, wie er mit dem plötzlichen Wechsel umgehen sollte. Beim letzten Mal war Schuldig noch derjenige gewesen, der ihm fast den Kopf von den Schultern geschlagen hatte, und jetzt machte er einen auf netter Typ? Ken traute dem Frieden nicht.

„Ich war eben ein bisschen überarbeitet. Kann doch mal passieren“, sagte Schuldig mit einem entschuldigenden Lächeln. „Komm, ich helfe dir hoch.“

 

Er griff nach Ken und beförderte ihn wieder auf die Couch. In seinen Augen funkelte es, als er sich neben Ken setzte und diesen halb auf seinen Schoß zog. Ken wollte sich wehren, aber Schuldig hielt ihn fest.

„Ah-ah-ah, Kätzchen, du willst doch nicht schon wieder Ärger machen? Wo ich dir doch gerade so viele schöne Annehmlichkeiten verschafft habe. Ein warmes Plätzchen, Kleidung, Schmerzmittel. War ein ziemlich böser Stich, den du da hattest. Ich dachte mir, da könnten so ein paar bunte Bonbons nicht schaden. Wenn die Wirkung allerdings nachlässt, wird das ganz schön ziepen, weißt du. Es wäre bestimmt von Vorteil, wenn du deine Nachschublinie nicht einfach so kappen würdest.“

Er kräuselte die Lippen und fuhr Ken mit der Hand durch das Haar. Ken wollte aufbegehren, aufspringen, Schuldig sagen, dass er sich zum Teufel scheren wollte, aber er konnte einfach nicht die Kraft aufbringen. Der Inhalt seines Kopfes fühlte sich an wie Zuckerwatte. Vermutlich lag das an den Medikamenten. Oder Schuldig setzte wieder seine Gabe ein, um ihn gefügig zu machen.

Der andere Mann grinste. „Ach, nur ein wenig. Damit du dir deine Wunden nicht gleich wieder aufreißt. Wäre doch schade um die gute Couch.“

 

Er ließ seine Hände langsam über Kens Oberkörper wandern und spielte mit dem Saum des T-Shirts. Ken spannte sich, als die Finger unter den Stoff und über seinen Bauch glitten.

„Schhh!“, machte Schuldig. „Keine Bange. Ich tu dir schon nichts.“

Er strich weiter mit den Fingern über den Bauch, zeichnete die Linien auf der leicht gebräunten Haut nach. „Mhm, ganz schön muskulös. Du machst viel Sport, oder?“

Ken antwortete nicht. Die Finger wanderten höher, streichelten über den Rand seiner Brustmuskeln und glitten dann an der Seite mit dem Verband wieder hinab. Er atmete scharf ein. Schuldig schmunzelte.

„Du bist viel zu verkrampft. Man könnte meinen, du seist noch Jungfrau.“

Ken spürte, wie ihm die Röte ins Gesicht schoss. „Was? Nein! Was hat das denn jetzt damit zu tun?“

„Kein Grund, sich so aufzuregen“, feixte Schuldig und Ken wäre am liebsten wieder auf den Fußboden gerollt. Stattdessen blieb er liegen und blickte zu Schuldig hoch. Der sah ihm nicht ins Gesicht, sondern folgte stattdessen seiner Hand, die sich jetzt wieder unter dem Stoff hervorschob und wieder höher wanderte, mit den Augen

„Du bist wirklich ein hübsches Kätzchen, Ken. Ich kann mir vorstellen, dass du dich vor Verehrerinnen kaum retten kannst. Ich würde dich auch nicht von der Bettkante schubsen.“

Ken traute seinen Ohren nicht. Hatte Schuldig gerade angedeutet, dass er...

„Dass ich was, Kätzchen? Dich attraktiv finde? Nun, dazu gehört ja nicht viel, oder? Es tut mir leid, wenn wir einen schlechten Start hatten. Mein Temperament muss da ein bisschen mit mir durchgegangen sein.“

 

Seine Hand hatte jetzt den oberen Rand von Kens T-Shirt erreicht und er fuhr mit einem Finger sanft darunter entlang, bevor er über den Hals und das Kinn und schließlich über die linke Wange strich. Ken erwartete halb, dass es schmerzen würde, da sowohl Schuldig wie auch Farfarello ihn dort getroffen hatten. Was für Medikamente ihm Schuldig auch gegeben hatte, sie wirkten zuverlässig und er spürte nicht mehr als ein leichtes Spannen. Es war angenehm, keine Schmerzen zu haben.

 

Schuldig streichelte mit dem Daumen über Ken Lippen. Es kribbelte ein bisschen und Ken fühlte einen Knoten in seinem Bauch rumoren. Das war so surreal, das er vor lauter Verblüffung gar nicht daran dachte, sich von Schuldigs Schoß wegzubewegen. Das Zuckerwattegefühl wurde stärker.

„Ein sinnlicher Mund“, ließ sich Schuldig vernehmen. „Du kannst bestimmt toll küssen. Ich frage mich, was du sonst noch alles damit anstellen könntest.“

Er strich weiterhin über Ken Lippen und ohne es zu wollen, öffnete Ken den Mund leicht. Schuldig lächelte und ließ den Daumen zwischen die Lippen wandern. Er drang nicht tief vor, eben so, dass die Spitze seines Fingers manchmal die Zähne berührte und fuhr weiter auf den Lippen entlang.

„Köstlich“, schnurrte er. „Mir fiele da eine ganze Menge ein, was man damit anstellen konnte. Was meinst du, Ken? Was könntest du wohl mit deinen Lippen tun, was mir gefallen würde?“

 

Er schob seinen Finger jetzt tiefer in die Mundhöhle und die Assoziationen, die Ken dazu hatte, waren ihm ganz und gar nicht recht. Er stand nicht auf Männer und schon gar nicht auf Schuldig, aber dieses anzügliche Gerede und die Berührungen machte ihn ganz wuschig. Es führte außerdem dazu, dass ihm ziemlich warm wurde und das auch an einer Stelle, an der er eine solche Reaktion überhaupt nicht wollte. Zumal wenn er auf dem Rücken völlig ohne Deckung auf Schuldigs Schoß lag. Verdammt, er würde jetzt nicht...er konnte nicht... Scheiße!

Schuldigs Blick wanderte kurz tiefer, bevor er belustigt zu Ken Gesicht zurückkehrte. „Wie ich sehe, haben wir da ähnliche Ideen. Hast du diesbezüglich Erfahrung?“

Ken schüttelte leicht den Kopf, Schuldigs Daumen immer noch zwischen den Lippen.

„Dann sollte ich dir vielleicht erst mal zeigen, wie das geht, meinst du nicht? Würde dir das gefallen?“

Die flüsternde Stimmen, die durch Kens Kopf geisterte, war die reinste Folter. Sein Geist wehrte sich dagegen, schrie immer wieder, dass Schuldig aufhören sollte, während sein Körper ihn betrog und auf das reagierte, was die Stimme ihm zuraunte. Heiße Hitzewellen fluteten durch sein Inneres und das Ergebnis seiner Erregung war inzwischen nur allzu deutlich sichtbar. Er fluchte lautlos und wollte hier nur noch weg.

 

„Schuldig!“ Nagi schneidende Stimme peitschte durch den Raum und holte Ken ein wenig aus seiner durch Schuldig induzierten Glücksseligkeit. Er wollte sich erheben, aber Schuldig hielt ihn eisern fest. Seine Augen waren schmal geworden.

„Was willst du, Nagi?“

„Du weißt, was Crawford gesagt hat. Schaff ihn wieder in den Keller.“ Die Arme des Jungen hingen an seiner Seite herab, aber Ken konnte deutlich sehen, das er die Hände zu Fäusten geballt hatte. Sein Ärger umgab den schmalen Jungen wie eine wabernde Aura.

„Ich kann tun und lassen, was ich will“, zischte Schuldig zurück.

„Wenn Crawfod davon erfährt, wird er nicht begeistert sein“, sagte Nagi leise. Sein hasserfüllter Blick richtete sich auf Ken. „Vielleicht sollte ich ihn selber nach unten bringen.“

„Untersteh dich“, knurrte Schuldig und die Drohung in seiner Stimme war unmissverständlich. „Du wirst ihn nicht anrühren, es sei denn, ich befehle es dir.“

„Du hast mir gar nichts zu befehlen, Schuldig.“ Nagi schoss noch einen finsteren Blick auf Ken ab und ging dann in die Küche. Er holte etwas aus dem Kühlschrank, öffnete und schloss eine Schublade und ging dann, ohne sich noch einmal umzusehen, aus dem Raum. Hinter ihm knallte die Tür ins Schloss.

 

Schuldig murmelte etwas, das Ken nicht verstand. Die hellblauen Augen richteten sich wieder auf Ken und das Lächeln kehrte zurück. „Kleine Meinungsverschiedenheiten unter Kollegen. Kommt vor. Aber die Stimmung ist wohl ruiniert. Möchtest du noch etwas essen?“

Ken zuckte bei der Frage zusammen. Schuldig strich ihm durch die Haare und lächelte.

„Keine Angst, dieses Mal darfst du selber essen. Es sei denn, du möchtest, dass ich dich füttere.“

Ken schüttelte energisch den Kopf. Die Assoziation, die ihm allerdings bei diesen Worten kam, ließ noch einmal einen Schauer durch seinen Körper wandern. Eine Erdbeere, die sich zwischen seine Lippen schob, der rote Saft, der an den Seiten herunterlief, Schuldigs Mund, der sich auf seinen presste und eine Zunge, die hungrig sein Innerstes plünderte. Oh verdammt, er war so was von am Arsch.

Schuldig grinste ihn an. „Du magst Erdbeeren?“

Ken presste die Augen fest zu und wünschte sich woanders hin. „Hörst du eigentlich alles, was in meinem Kopf vorgeht?“

„Wenn du so laut denkst.“

„Das war ich nicht. Das warst du!“

Schuldig lehnte sich über ihn, sodass Ken seinen Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. „Und wenn? Würdest du es ausprobieren wollen? Ich meine, ich habe keine Erdbeeren, aber...“

'Nein! Nein! Nein!', schrie es in seinem Kopf. Er wollte das nicht, er wollte hier weg, er wollte...wollte...wollte. Was wollte er noch gleich?

„Du solltest eines wissen.“ Schuldigs Gesicht schwebte immer noch über seinem, „Ich kann dich zwingen, es zu tun, aber ich kann dich nicht zwingen, es zu wollen oder zu mögen. Das ist allein deine Entscheidung.“

Damit lehnte er sich wieder zurück und tat, als wenn nicht gewesen wäre. Seine Hand fuhr wie geistesabwesend durch Ken Haar und der war sehr froh darüber, dass er gerade nichts sagen musste. Einfach hier liegen war in Ordnung. Er merkte, wie ihn das alles angestrengt hatte und wie sein Geist langsam wieder in einen Dämmerzustand abdriftete. Wahrscheinlich war das alles hier sowieso nur ein völlig verrückter Traum und Omi oder Aya würden ihn gleich wecken kommen. Ja genau, so war es bestimmt. Es war alles in Ordnung, solange er nur hier liegen blieb und sich streicheln ließ. Es ist alles in Ordnung.

 

 

 

 

 

Schuldig beendete die Bewegung in dem Moment, als er merkte, dass der andere eingeschlafen war. Fast hätte er gelacht. Es war so einfach. Viel zu einfach eigentlich. Wenn man erst einmal herausgefunden hatte, wie ein andere Mensch in seinem Inneren tickte, konnte er das mit Leichtigkeit aushebeln und ihn dazu bringen, das zu tun, was er wollte. Besonders wenn er, wie in diesem Fall, so viel Zeit dazu hatte. Es hatte ihn ein bisschen davon gekostet, herauszufinden, wie er Siberian genau behandeln musste, damit es in die richtige Richtung ging, aber jetzt hatte er einen Plan.

 

Schuldig lehnte sich zurück und genoss den Triumph. Er hatte sich lange Gedanken gemacht, wie man die vier Kätzchen am besten leiden lassen konnte. Mit Bombay war es recht einfach gewesen. Ein Test. Die Naivität, seine verkorkste Familiengeschichte und die Suche nach seiner Vergangenheit hatte den Jungen anfällig gemacht. Seine Streben nach Wahrheit war ihm zum Verhängnis geworden. Man durfte von Schuldig keine Wahrheit erwarten. Selbst wenn man sie bekam, steckte immer eine Absicht dahinter, die sich dem unbeteiligten Beobachter oft nicht sofort erschloss. Er war allerdings zum Ende des Spiels ein wenig nachlässig geworden. Als er Farfarello die Waffe überließ, hatte dieser das Mädchen erschossen. Das war nicht sein Plan gewesen. Schuldig hatte nie so recht herausgefunden, ob er auf sie oder auf Bombay gezielt hatte oder ob gar Crawford ihm gar den Auftrag gegeben hatte, Takatoris Tochter zu töten. Er hatte sich nicht die Mühe gemacht, Schuldigs Fragen diesbezüglich zu beantworten. Es machte auch keinen Unterschied mehr. Er würde den kleinen Weiß mit Leichtigkeit zerquetschen können, wenn es soweit war.

 

Balinese war ebenfalls ein vielversprechendes Opfer. Er amüsierte Schuldig und es hätte ihn wirklich interessiert, den Kopf des Mannes einer näheren Betrachtung zu unterziehen. Irgendwo unter diesem smarten Auftreten, der Lässigkeit, den Frauen und dem Alkohol lag eine gequälte Seele, die sich in Schuld und Schmerz erging und sich im Sumpf ihrer eigenen Sündhaftigkeit suhlte. Schuldig hätte nur zu gerne mal an seiner Oberfläche gekratzt, um das Dunkle im Inneren freizulegen. Allein das Fehlen eines ersten Ansatzpunktes hatte Schuldig bisher davon abgehalten, sich den Kater bereits früher zu schnappen. Man brauchte eine feste Oberfläche, wenn man ein Ei aufschlagen wollte. Er war sich jedoch sicher, dass es nicht schwer sein sollte, einen solchen zu finden, wenn er ihn erst einmal hatte.

 

Blieb Abyssinian. Den, so war sich Schuldig sicher, musste man erst einmal komplett brechen, bevor man mit ihm spielen konnte. Obwohl da tief im Inneren etwas war, das ausbaufähig sein konnte, wenn man es geknackt bekam. Was es war, war sich Schuldig nicht ganz sicher. Eitelkeit, Ehre, Moral oder etwas ganz anderes? Ein Held in schimmernder Rüstung oder ein Wolf im Schafspelz? Die alles entscheidende Frage war, was schneller ging und was mehr Spaß machte. Er war mit Sicherheit der am schwersten zu brechende Weiß, aber wenn er an dessen Unterlegenheit bei ihrem letzten Zusammentreffen dachte, war er positiv gestimmt, dass er auch ihn würde überwinden können.

 

Um die tiefen Gedanken eines Menschen an die Oberfläche zu zerren, gab es mehrere Möglichkeiten. Man konnte ihn körperlich so weit schwächen, dass sein Geist es einfach aufgab, sich zu wehren. Krankheit und Hunger vermochten diese Wirkung zu haben. Auch Angst sorgte dafür, dass sich das Denken auf die Instinkte zurückzog und den Weg freigab auf die tieferen Schichten, in denen Schuldig sich umzusehen wünschte. Wut sorgte ebenfalls dafür, machte allerdings das Ziel oft auch körperlich aggressiv. Auch wenn er die Fähigkeit besaß, gleichzeitig Gedanken zu lesen und auf ihn einprasselnden Schlägen auszuweichen, so zog er es doch vor, beides nicht zur selben Zeit tun zu müssen, wenn es sich vermeiden ließ.

 

Die andere Möglichkeit, tief in den Geist eines Menschen einzudringen, war, ihm positive Gefühle zu verschaffen. Alkohol und Drogen waren dafür ein brauchbares Mittel, wenngleich letztere auch zu Angstzuständen führen konnte, wobei das im Grunde egal war, da das Ergebnis dasselbe war. Außerdem gab es sexuelle Erregung. Ein Mittel, das Schuldig bisher vornehmlich bei Frauen eingesetzt hatte. Es war so viel einfacher, ihnen die Geheimnisse aus dem Kopf zu ziehen, wenn sie sich mit ihm in den Laken rekelten, als wenn sie ihm an einem Verhandlungstisch gegenüber saßen. Wobei man sich auch auf einem Verhandlungstisch gut rekeln konnte, wie er hatte feststellen können. Er grinste bei der Erinnerung und sah auf den schlafenden, jungen Mann in seinem Schoß herab.

 

Ursprünglich hatte er gedacht, dass Siberian am ehesten durch Schmerz und Folter beizukommen sei. Die Wut und Wildheit, mit der er ihn im Kampf erlebt hatte, sprachen dafür. Es gab leichte Ähnlichkeiten zu Farfarello, wenngleich er sich aus dem Kopf seines irischen Teammitglieds lieber heraushielt. Meist machte das, was man zu hören bekam, zu wenig Sinn, als dass er sich damit beschäftigen wollte. Farfarellos Geist hatte eine ganz eigene Logik. Er war nicht dumm, sondern im Gegenteil manchmal sogar ein ziemlich scharfsinniger Beobachter. Von einem auf den anderen Moment konnte die Stimmung jedoch kippen oder in ein sinn- und zusammenhangloses Gedankenchaos umschlagen und Schuldig machte diese Sprunghaftigkeit Kopfschmerzen.

Bei Siberian war es noch nicht so weit, dass er komplett fiel. Etwas lauerte in der Tiefe, strich unter dem glatten Spiegel seines Selbst entlang und schlug an der Oberfläche kleine, sich kräuselnde Wellen. Aber wo Farfarello sich mit Freude dem Wahnsinn entgegenwarf, kämpfte Siberian dagegen an. Sein Festhalten an seiner „guten Seite“, wie Schuldig sie mit einem abfälligen Unterton nannte, war noch zu stark. Allerdings war sein Halt nicht gefestigt. Er suchte nach etwas, das ihm helfen konnte. Nach etwas oder jemandem, der ihn in dieser Welt verankerte. Das war der Punkt, an dem Schuldig anzusetzen gedachte.

 

Er musste zugeben, dass ihm das etwas schwerer fiel, als er zunächst angenommen hatte. Er musste, wie sich herausgestellt hatte, tatsächlich richtig nett zu dem Kätzchen sein. Zuckerbrot und Peitsche funktionierte nur bedingt, da Siberian an einer altmodischen und romantischen Sicht der Welt festhielt, die sie in Gut und Böse einteilte. Es gab kein Grau in seiner Vorstellung. Normalerweise war es recht einfach, diese Grenzen bei den Menschen zu verwischen. Sobald man ihnen etwas wegnahm, was ihnen lieb und teuer war, oder ihnen etwas in Aussicht stellte, das zu erreichen sie begehrten, wurden sie zu Bestien. Die einen mehr, die anderen weniger. Einige sprachen eher auf das eine an, die andere auf das andere. Und dann gab es solche wie Siberian.

Er besaß nichts und traute sich, trotz seines Verlangens nicht, sich zu nehmen, was er wollte. Zu tief waren Moral und Werte in ihn eingegraben worden. Schuldig musste sie vorsichtig ablösen, um keinen Verdacht zu erregen, und erst dann würde er zuschlagen können. Er musste also tatsächlich durchgehend den „guten Cop“ spielen, wenn er ihn an sich binden wollte. Eine Rolle, die ihm nicht besonders stand und ihn kurz darüber nachdenken ließ, ob er Siberian nicht doch einfach Farfarello überlassen sollte, auch wenn das vielleicht bedeutete, dass dieser ihn umbrachte. Gestört hätte es Schuldig nicht wirklich. Andererseits wuchs man bekanntlich mit seinen Aufgaben und vielleicht ließ sich ja tatsächlich noch ein bisschen mit dem Kätzchen spielen, bevor es ihm zu langweilig wurde.

 

Schuldig Blick fiel auf die Tür, die Nagi hinter sich zugeknallt hatte. Der Junge konnte möglicherweise ein Problem werden. Schuldig wusste, dass er einen persönlichen Groll gegen Siberian hatte. Er wollte ihn leiden sehen. Durchgehend. Nagi würde Siberian eher alle Knochen brechen, als freundlich zu ihm zu sein. Wenn es nach ihm gegangen wäre, wäre Weiß längst Geschichte gewesen. Aber Nagi gehorchte Crawford und der wusste von Schuldigs Plänen. Er würde ihn machen lassen und Nagi im Zaum halten, solange es Schuldig nicht übertrieb. Außerdem brauchte Schuldig noch einen „bösen Cop“, um sein Spiel vollständig zu machen. Farfarello war für diese Aufgabe zwar geeignet, aber, wie der Zwischenfall gezeigt hatte, zu unberechenbar. Er würde ihm weiterhin eine Rolle zukommen lassen, aber stärker unter Aufsicht halten müssen.

Schuldig überlegte kurz, ob er Nagi einweihen sollte, ließ den Gedanken aber wieder fallen. Der Junge hätte keinen Sinn für die Raffinesse von Schuldigs großem Masterplan gehabt, dessen war er sich sicher. Sie kamen zwar eigentlich gut miteinander aus, aber für dieses Spiel war Nagi einfach noch zu jung. Später würde er ihn vielleicht mal mitspielen lassen, aber diese Runde würde Schuldig alleine bestreiten. Eventuell würde er Siberian noch über Nagis Fähigkeiten in Kenntnis setzen. Einfach um den Effekt zu unterstreichen. Der Junge war weniger harmlos, als er aussah.

 

Er sah noch einmal auf seinen Schoß, wo Siberian friedlich schlief. Sein Blick wanderte zu dessen Mund und einer seiner Mundwinkel wanderte nach oben. Vielleicht war das, was er vorhin impliziert hatte, sogar einen Versuch wert. Die Reaktion, die der Junge gezeigt hatte, waren recht eindeutig gewesen. Wahrscheinlich war es nur angestaute Begierde. Dass er sich diesbezüglich nichts erlaubte, war unübersehbar in seinen Geist geschrieben gewesen. Aber Schuldig würde wissen, wie er diese unerfüllte Leidenschaft zu seinem Vorteil nutzen konnte. Er musste sie nur auf sich kanalisieren und dann zusehen, wie sich schon mal ein Teil der moralischen Wertvorstellungen verabschiedete. Zumal ihm Abyssinian und Balinese die perfekte Vorlage dafür geliefert hatten. Oder wie Crawford es ihm gegenüber so schön ausgedrückt hatte: A lay is a lay. Der Amerikaner war diesbezüglich recht pragmatisch.

 

Er erlaubte sich ein anzügliches Grinsen und lehnte sich dann über den Schlafenden, um sich in dessen Träume zu schleichen. Ein bisschen Vorarbeit konnte nicht schaden, bevor sie sich das nächste Mal in der wachen Welt begegneten. Siberian begann sich unruhig zu bewegen und Schuldig betrachtete mit Wohlgefallen, was seine kleinen Stupser an den richtigen Stellen mit dem schlafenden Geist anstellten. Er würde ihm verfallen wie einer Droge. Unaufhaltsam und unwiderruflich. Am Ende würde er ihn fallen lassen und niemand würde ihn mehr retten können. Nicht einmal seinen kleinen, lächerlichen Freunde, die sich jetzt vermutlich gerade selbst zerfleischten. Oh ja, diese Kätzchen waren wirklich ein interessantes Spielzeug und ihr Leiden war köstlich, süß und berauschend. Er würde sie ganz verschlingen und ihre Überreste in die Asche dieser Welt spucken, die Crawford zu hinterlassen gedachte. Es war alles nur eine Frage der Zeit.

 

 

 

 


Nachwort zu diesem Kapitel:
Soundtrack:
„Post blue“ - Placebo
„No more heroes“ - Aviators



Ich habe da so eine kleine Stimme in meinem Kopf, die gerade "Sympathy for the devil " summt. Ich frage mich, was sie meint... ^_~


Was ich noch überlege: Are you still with me? Bei einigen weiß ich es ja, aber ich habe gerade das Gefühl, die Geschichte dümpelt? Stimmt das oder ist es ok, wenn ich momentan ein wenig Raum für die "innere Welt" gebe? Würde mich mal interessieren, wie das so ankommt. Also nicht, dass ich es weglassen können wollen könnte, sondern einfach ob es noch Spaß macht, das zu lesen. Irgendwie ist die Geschichte recht viel länger geworden, als gedacht. :D Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  radikaldornroeschen
2018-04-26T08:51:59+00:00 26.04.2018 10:51
Dieses Kapitel war mehr interessant als spannend, aber das ist in Ordnung. Ich bin eh sehr an dieser "analytischen" Seite interessiert, und Schuldig hat die vier Weiß ja sehr schön psychologisch inspiziert ^^
Danach darf es aber gerne wieder ein wenig mehr Action geben :D
Und Ken als Schuldigs Sexsklave zu sehen... wäre vielleicht nicht ganz verkehrt, harharhar....
Antwort von:  Maginisha
26.04.2018 13:59
Ja so richtig bei Action sind wir leider noch nicht angekommen. Da fehlt leider noch so einiges dazwischen, fürchte ich. Von daher wollte ich mal eine Meinung zur Entwicklung haben.

Ich habe schon eine Idee fürs nächste Kapitel, aber Herr Fujimiya stellt sich quer und findet sie blöd. Ich find´s aber witzig und werde ihn schon noch überredet kriegen. ^_~

Du willst tatsächlich Schuldig auf den armen Ken loslassen. Also so ernsthaft. o_O Also eeeiiigentlich war ja kein Lemon mehr geplant. Aber mal sehen. Eine Idee hätte ich und für fleißige Reviewer kann man ja auch mal ein bisschen Fanservice betreiben. :D
Antwort von:  radikaldornroeschen
26.04.2018 14:05
Naja, wie Schuldig schon erkannt hat: So ganz abgeneigt war Ken ja nicht... auch wenn er danach wahrscheinlich vor Scham Harakiri begeht XD
Die Frage ist, wie Schuldig damit umgeht? "Ehrliches" (körperliches) Verlangen wäre vielleicht nicht unrealistisch. Aber mental sollte die Distanz schon gewahrt bleiben, sonst passt es nicht in die Geschichte.

Haha, zum Glück ist das dein Problem und nicht meins ^;^
Ich bin nur die grinsende Leserin mit zuviel Kopfkino XD
Antwort von:  Maginisha
26.04.2018 15:26
Ja nee, das ginge wirklich nicht. Ich glaube, das hat das letzte, halbe Kapitel wohl deutlich gemacht. (Mit ein Grund, warum ich es geschrieben habe...) Die Story wird weiterhin nur ein Pairing haben.

Ken schreit übrigens aus dem Hintergrund, er würde sich benutzt fühlen. Ob es dir reichen würde, wenn er mal sein Shirt auszieht. *rofl*
Antwort von:  radikaldornroeschen
26.04.2018 20:25
Ääääh, neee, lass mal... das wär nur im Zusammenhang mit Schuldig attraktiv XD
Ansonsten bin ich eher der Yoji-Verehrer ^____^


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