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Zwischen Molotowcocktails und Shakespeare

von

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Kapitel 7.

Kein Feuerwerk, wie viele den ersten Kuss beschreiben und doch hat noch nie ein simpler Kuss so viel verändert. Alles was ich bisher kannte, hat dieser Kuss ausgelöscht und lässt mich mit mehr Fragen, die ich mir selbst stellen muss, als Antworten zurück. Nach Luft ringend, lehnt meine Stirn an der von Juli. Eng umschlungen stehen wir in meinem Zimmer und geben uns gegenseitig den Halt, den ich im Moment dringend nötig habe. Juli ist es, die uns irgendwann zu meinem Bett schiebt, mich sanft aber bestimmend hinab drückt und zu einem weiteren, vielversprechenden Kuss verführt. Ein Versprechen, das noch warten kann, ein Versprechen, dem ich noch skeptisch gegenüberstehe. Mein Herz pocht so schnell und so laut in mir, dass ich mir sicher bin, Juli kann es hören. »Definitiv verloren?«, frage ich in einer Atempause.
 

»Ja«, haucht sie und raubt mir jegliche Illusion, dass dies, von ihrer Seite, nur ein Ausrutscher gewesen sein könnte. Was ist es für mich?
 

»Macht mich das zur Gewinnerin?«, überlege ich laut und kann noch immer nicht ganz greifen, was gerade passiert. Wie ist aus einer unsicheren, eventuell beginnenden Freundschaft in wenigen Stunden so viel mehr geworden? Juli antwortet nicht verbal, sondern verführt mich zu einem weiteren Kuss. Die Emotionen, die ich in Julis wunderschönen Augen lesen kann, erschlagen mich beinahe. Ich sehe sie an und sie mich. Blicke ihr dabei tief in die Seele und sie in meine. Ich will so viele Fragen stellen, doch die Wut, die ich kurze Zeit in ihren Augen aufblitzen sehe, lässt mich schweigen.
 

»Was macht das aus uns?«, überwinde ich mich schließlich doch, nach einem Moment, in dem wir uns nur anstarren, zu fragen, und küsse Juli meinerseits, als ich vor der eventuellen Antwort Schiss bekomme. Es klopft an meiner Tür und bevor wir uns gesittet hinsetzen können, gar unsere Lippen voneinander lösen können, steht Papa im Türrahmen und sieht mich überrascht an. Sieht von mir zu Juli und zurück. »Wir wollen gleich los, braucht ihr noch lange?«, fragt er und ich kann ein amüsiertes Funkeln in seinen Augen wahrnehmen.
 

»Fünf Minuten«, bringe ich mit erstickter Stimme hervor, weil sich ein Kloß in meinem Hals breitmacht. Was denkt er wohl jetzt? Scheiße. Ich bin nicht bereit, anzuerkennen, was es bedeutet, Juli zu küssen und es gut zu finden. Am liebsten würde ich all die kleinen Schmetterlinge mit einer Schrotflinte erschießen, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich jemals für diese seltsamen Gefühle in meinem Bauch bereit sein werde. Mit Paul gab es keine Schmetterlinge, nur Knoten und unangenehmes Magengrummeln. Ich lausche auf die Schritte, die sich von meiner Zimmertür entfernen und langsam die Treppe hinabsteigen. Kurz darauf knallt die Zimmertür meiner Schwester zu und Lari steckt den Kopf in mein Zimmer. »Kommt ihr?«
 

»Gleich«, raspel ich, räuspere mich und winke Lari aus meinem Zimmer, bevor ich aufstehe. Juli packt mich am Handgelenk und sieht zu mir empor. »Alles, was du willst, das es ist. Gib dir, uns Zeit. Wenn es klappt, gut. Wenn nicht, mein Freundschaftsangebot steht auch dann noch.« Auch wenn sie jetzt sagt, dass das Angebot noch steht, bin ich mir sicher, dass sie genauso gut wie ich weiß, dass alles anderes sein würde, wenn das, was auch immer zwischen uns stattfindet, nicht funktioniert.
 

»Was ist mit dem Internat und der Schule?«, werfe ich ein und bin mir sicher, dass es mit der Toleranz der Schule vorbei ist, wenn es um Homosexualität geht. Immerhin ist es ein katholisches Internat und die Katholiken sind nicht gerade bekannt dafür, Andersartigkeit zu tolerieren.
 

»Ein Schritt nach dem anderen, Romy. Wenn es für dich einfacher ist, sieh das hier als Ausrutscher an und vergiss, was passiert ist.« Ich kann in ihren Augen lesen, wie ungern sie mir diesen Vorschlag unterbreitet. Ich löse ihre Hand von meinem Handgelenk und ziehe Juli nah an mich und umarme sie fest, bevor ich ihr einen zaghaften Kuss auf die Lippen drücke. Küssen macht irgendwie süchtig. Juli erwidert meinen Kuss heftig und ich kann keinen klaren Gedanken mehr fassen. Schwer atmend lösen wir uns voneinander, sehen uns einen Moment schweigend an, bevor Juli als erstes wegblickt und mein Zimmer verlässt.
 

Papas Blick und das Grinsen auf seinen Lippen spricht Bände, als Juli und ich auf die Rückbank seines Autos rutschen und Juli meine Hand ergreift. Lari sagt nichts, aber ich bin mir sicher, dass Papa sie schon gelöchert hat, den der neugierige Blick, den sie mir zuwirft, als sie zu uns schaut und unsere verbundenen Hände bemerkt, sagt mir alles. Bis zum Kino ist es nicht weit. Eigentlich hätten wir das kurze Stück laufen können, wären wir nicht solche Faultiere. Mama ist in unserer Familie diejenige, die am aktivsten ist. Sie geht sogar an drei Tagen in der Woche joggen.
 

»Also«, beginnt Papa, als wir vor seinem Auto stehen und sieht uns der Reihe nach an. »Wer holt Popcorn?«

Lari hakt sich bei Juli unter und sieht Papa zwinkernd an und ich ahne, dass das abgesprochen ist. »Das können Juliet und ich machen.« Zerknirscht sehe ich von Papa, der einige Scheine abzählt und meiner Schwester hinhält, zu Lari.
 

»Cola für mich«, rufe ich den beiden hinterher, als sie schon einige Meter von Papa und mir entfernt sind. Juli dreht sich zu mir um, reckt einen Daumen nach oben und lässt sich dann grinsend von Lari in das Kinogebäude ziehen. Papa räuspert sich und sieht mich neugierig an. Ich wünsche mir, weit weg zu sein. »So, bisexuell? Oder war Paul nur ein Ausrutscher?«
 

»Wirklich, Papa? Willst du dieses Gespräch echt hier führen?«, frage ich und sehe ihm an, wie amüsiert er darüber ist, dass ich mich, ob des Themas, unbehaglich fühle.
 

»Ich habe deiner Mutter noch nicht erzählt, wobei ich euch erwischt habe«, grinst Papa mich offen an. »Deshalb denke ich, dass ich wenigstens eine Antwort auf diese Frage verdient habe. Denkst du nicht auch?« Ich fühle mich unsicher, weil ich mit Papa nie über solche Themen gesprochen habe. Wann immer ich über Jungs reden wollte, habe ich das mit Mama gemacht. Wenn sich jetzt der Erdboden auftun würde, wäre ich die Erste, die in das Loch hineinspringen würde, um dem Gespräch zu entfliehen.
 

»Ich weiß es nicht«, seufze ich schließlich und starre auf meine Füße, die sich in Bewegung setzen um es denen von Papa gleichzutun. Papa hält mir die Tür auf und sieht mich irritiert an. »Wie du weißt es nicht? Das sah ziemlich eindeutig aus, wenn du mich fragst.«
 

»Wie ich es sage. Ich verstehe die Anziehung und generell nicht, was im Moment mit mir los ist«, gestehe ich Papa und spüre seine Hand auf meiner Schulter. Diese kleine Geste, lässt mich erleichtert aufatmen und ich bin überrascht, dass ich überhaupt mit Ablehnung, unterbewusst, gerechnet habe. »Ich verspreche dir, sobald ich weiß, was das ist, bist du der Erste, der es erfährt.«
 

Papa brummt zufrieden, als wir Lari und Juli, vollgepackt, auf uns zukommen sehen. Juli reicht mir meine bestellte Cola und deutet auf eine große Tüte Popcorn. »Die teilen wir uns, okay?«
 

Lari reicht Papa seinen Teil des Popcorns und lässt sich dann von ihm überreden, noch die Eintrittskarten zu holen. Als wir unsere Karten haben, geht Papa voran, hält dem Kontrolleur die Karten hin, der ein Stück davon abreißt und uns hereinwinkt. Wir sitzen ganz oben. Papa rutscht bis nach hinten durch, dann Lari, dann Juli und zum Schluss ich. Mit vier Plätzen ist die Reihe auch schon voll belegt und ich bin froh, dass niemand anderes neben mir sitzen wird. Ich lasse mich in meinen Sitz fallen, stelle mein Getränk auf der dafür vorgesehen Ablage. Als ich mich an der Popcorntüte bediene, streife ich Julis Hand und halte automatisch, für einige Sekunden meinen Atem an, bevor ich mir das Popcorn in den Mund stecke. Juli deponiert die Popcorntüte zwischen unseren Beinen und wir müssen Beide leicht mit unserem Bein gegen die Tüte drücken, damit sie nicht auf den Boden fällt. Als ich abermals in die Tüte greifen will, ergreift Juli meine Hand wie selbstverständlich und verschränkt sie ihrer, wie schon in meinem Zimmer. Ich drücke ihre Hand und wir sehen uns lächelnd an. Als ich Lari kichern höre, blicke ich weg und bin froh, dass das Licht im Saal gedimmt ist, weil ich die Wärme auf meinen Wangen spüre. Ich schaue nach vorne auf die Leinwand, bekomme aber nur wenig von den gezeigten Werbeblöcken mit, zu sehr lenkt mich Julis warme Hand in meiner ab. Als der Film beginnt, beugt Juli sich näher zu mir und raubt sich einen kurzen Kuss, der es mir unmöglich macht, mich auf den Film zu konzentrieren. Dabei habe ich mich verdammt lange auf diesen Teil gefreut. Mit jeder Minute, die verstreicht, werde ich unruhiger, weil sich meine Gedanken überschlagen. Was macht Juli für mich so besonders, dass ich sie, im Gegensatz zu der Dönerbraut in Ruhe lasse? Ob die Türkin mittlerweile medizinisch behandelt wurde? Ich entziehe Juli meine Hand, als ich damit beginn meine Taten anzuzweifeln und gehe unter dem Vorwand, auf die Toilette zu müssen, aus dem Kinosaal. Anstatt die Toilette aufzusuchen, gehe ich aus dem Kino hinaus und lehne mich an die Hausmauer. Neben mir stehen einige Raucher, die eilig eine Zigarette rauchen. Ich atme gierig die frische Luft ein, als die Raucher ins Kino verschwunden sind und kein kalter Rauch die Luft weiterhin verpestet. Nachdenklich starre ich in den wolkenverhangenen Himmel. Dabei merke ich nicht, wie die Zeit vergeht und schnappe erst aus meinen Gedanken, als Papa neben mir steht und sich schweigend eine Zigarette anzündet.
 

»Ich zahle dir das Ticket zurück«, murmel ich und fühle mich plötzlich schlecht, weil ich den Film nicht gesehen habe, obwohl ich ihn unbedingt sehen wollte. Als ich an ihm vorbei, durch die Glastür, in den Vorraum des Kinos sehe, fällt mein Blick sofort auf meine Schwester, die gerade über etwas lacht, dass ihr wohl Juli erzählt hat, denn jemand anders steht nicht in Laris Nähe. Papa atmet den Rauch aus und lacht leise.
 

»Mach dich deswegen nicht verrückt, Pfläumchen. Die Karten waren ein Geschenk von meinem Chef«, grinst er und zieht an seiner Zigarette. Ich beobachte mit Faszination, wie er den Rauch einfach so durch die Nase ausatmen kann, wo mir schon vom Einatmen des Rauches übel wird. »Warum bist du gegangen?«
 

»Ich brauchte frische Luft«, hauche ich und sehe Papa ernst an. »Was, wenn ich es wäre«, beginne ich und knüpfe an unser Gespräch an, dass wir vor dem Film hatten.
 

»Was? Bisexuell, lesbisch?«
 

»Ja, würde es etwas für dich und Mama ändern?«
 

»Du meinst, ob wir dich enterben? Das haben wir doch schon, als du deine erste Gerichtsverhandlung hinter dir hattest, weißt du das nicht mehr?«, scherzt Papa, schnippt seine Zigarette weg und zieht mich fest an sich. »Für deine Mutter und mich zählt nur, dass du glücklich bist. Alles andere ist unwichtig, auch wenn du deiner Mutter wohl etwas Zeit geben solltest, wenn du oder ich, es ihr erzählt haben. Sie träumt noch immer davon, dass du ihr eines Tages einen hübschen Schwiegersohn nach Hause bringst.« Ich weiß, dass ich erleichtert sein sollte. Ich bin es aber nicht. Was ich fühle, ist eine große innere Beklemmung, die stärker wird, wenn ich an Paul und die Dönerbraut von heute Vormittag denke.
 

»Juliet schein ein gutes Mädchen zu sein?«, lächelt Papa und streicht mir sanft über den Rücken. Wegen Juli stehe ich zwischen den Stühlen. Zwischen meinen seltsamen Gefühlen, die immer stärker werden und der Szene, für die ich schon so viel Blut vergossen habe. Ob das so gut ist? »Wenn du das sagst«, hauche ich unsicher und Papa gibt mich frei, nachdem er mir einen kurzen Kuss auf die Stirn gedrückt hat. Wortlos dreht er sich um und hält mir die Tür auf, damit wir durch den Vorraum gehen und das Kino verlassen können. Weder meine Schwester, noch Juli fragen mich, wieso ich nicht zurückgekommen bin, als wir gemütlich in Papas Auto sitzen.
 

»Ich muss gleich gehen«, eröffnet Juli mir, als wir wieder in meinem Zimmer stehen. »Mein Vater hat zwei Mal auf meine Mailbox gesprochen und einige, Nachrichten geschrieben. Ich soll so, Achtung Zitat: Meinen Arsch so schnell wie möglich nach Hause schwingen. Sehen wir uns im Internat?«, fragt sie und sieht mich seufzend an und grinst schief, weil ich einige Schritte Abstand halte. »Ich verstehe.«
 

»Nein tust du nicht«, erwidere ich schroffer als geplant und gehe auf Juli zu, ergreife ihre Hand und drücke sie. »Nur musst du mir Zeit geben. Komm, ich bring dich hin«, schlage ich vor, weil ich trotz allem noch ein bisschen in Julis Nähe sein möchte. Im Internat werden wir genügend Abstand haben, dass ich einmal genauer über diese Sache nachdenken kann und was das aus mir und meiner politischen Einstellung macht.
 

»Bist du sicher?«, fragt Juli und zieht sich völlig ungeniert aus und ihre eigenen Klamotten wieder an. Ich drehe mich weg, bevor ich mich abermals mit ihrer Oberweite konfrontiert sehe. »Ich sagte gestern zwar, dass mein Elternhaus nah ist, aber dennoch ist es ein gutes Stück, zu Fuß.«
 

»Wenn du nicht willst, dass ich dich bringe, kannst du es auch einfach sagen.«
 

»Das ist es nicht«, flüstert Juli und ich höre ihre Schritte hinter mir. Sie umarmt mich von hinten und legt ihren Kopf an meinen Rücken, zwischen meinen Schulterblättern. »Nein, ich würde lieber bleiben, als nach Hause zu gehen.«
 

»Morgen bist du wieder im Internat. Nicht einmal mehr vierundzwanzig Stunden. Und bis dahin können wir texten oder telefonieren, wenn du willst. Willst du die Klamotten nicht mitnehmen? Mir passen die eh nicht mehr.«
 

»Wasch und heb sie für mich auf. Dann habe ich Klamotten zum Wechseln hier«, haucht Juli. Ihr Atem, der meinen Nacken streift, lässt mich erschaudern.
 

»Du denkst also, dass du wiederkommen darfst?« Julis Arme drücken mich fester an ihren Körper. Ich kann aus ihrer Reaktion lesen, dass sie Angst hat, nicht wiederkommen zu dürfen.
 

»Nicht?«, haucht sie und ich spüre, wie mein Herz schneller zu schlagen beginnt, weil sie wiederkommen will, obwohl sie weiß, wer ich bin - was ich bin. Sie will mich, obwohl ich auf der falschen Seite stehe.
 

»Doch, alles gut. Das sollte lustig sein«, erwidere ich leise. Mich in ihrer Umarmung drehend, presse ich meine Lippen gierig auf die ihren und wünsche mir, jemand anderes zu sein. Jemand, mit dem sie es leichter hätte. Meine Schwester wartet im Flur auf uns und umarmt Juli kurz.
 

»Komm bald wieder, Juliet. Ich mag dich und meine Schwester ziemlich offensichtlich auch.« Ich schlage nach Lari, doch sie weicht meinem Hieb lachend aus.
 

»Ich dich auch, Larissa, bis bald«, lächelt Juli und ich frage mich, ob das ein Insider zwischen den Beiden ist, sich bei ihren vollen Namen zu nennen. Hand in Hand gehen wir die Treppe hinab. Meine Eltern sitzen Wohnzimmer, als ich sie bitte, in den Flur zu kommen. »Musst du schon gehen, Liebes?«, fragt Mama und umarmt Juli ebenfalls kurz.
 

»Leider«, lächelt Juli schwach und drückt meine Hand. Mama sieht mich neugierig an, als ihr Blick auf unsere verbundenen Hände fiel. Papa hat wohl noch nichts erzählt.
 

»Romy bringt dich? Dann lass dich gut nach Hause bringen und pass in der Schule ein bisschen auf unsere Tochter auf. Du bist hier immer Willkommen!«, ergreift Papa das Wort und umarmt Juli ebenfalls für einen Moment.
 

»Vielen Dank, Herr Schneider.« Papa zieht ein Gesicht, als ob er auf eine Zitrone gebissen hat.
 

»David bitte. Du wirst ja ab jetzt öfter auf Besuch sein?«
 

»Danke. Ich hoffe es«, erwidert Juli überrascht und lächelt Papa erfreut an.
 

»Bevor du es bei mir auch noch einmal versuchst, Liebes, nenn mich Lisa. Ich freue mich schon darauf, dich wiederzusehen und ich wünsche dir ein schönes Rest-Wochenende.«
 

»Vielen Dank«, lächelt Juli und ich rolle meine Augen, wegen der ganzen Süßholzraspelei.
 

»Wartet nicht mit dem Abendessen auf mich«, murmel ich und schiebe Juli zur Haustür und atme erleichtert aus, als die Tür hinter uns ins Schloss fällt. Tief atme ich die frische Luft ein und ergreife Julis Hand wieder, die ich wohl irgendwann losgelassen habe. Ich spüre ihren überraschten Seitenblick, als wir uns Hand in Hand, immer weiter von meinem Elternhaus entfernen. Vermutlich hat sie nicht damit gerechnet, dass ich ihre Hand in aller Öffentlichkeit halten würde. Ehrlich gesagt, habe ich bis eben auch nicht damit gerechnet. Ich weiß nicht, was mich dazu geritten hat, aber es fühlt sich verdammt gut an, ihre Hand auch hier draußen zu halten. Wir gehen langsam durch die Straßen, die Rechts und Links mit Einfamilienhäusern gesäumt sind, obwohl uns die Zeit im Nacken sitzt. Drei Mal bleiben wir stehen und küssen uns mehrere Minuten lang. Mal ganz heftig und voller Verlangen, von dem ich nicht weiß, wo es her kommt und mal ganz sanft und zaghaft.
 

Als wir durch einen Park gehen, der das Viertel mit einem anderen Stadtviertel verbindet, höre ich hinter mir eine Stimme, die ich unter tausenden wiedererkennen würde. Mir läuft es eiskalt den Rücken hinab und Juli zieht ihre Hand, die mir bis eben Kraft gegeben hat, aus meiner, als sie in meinen Augen erkennt, dass ich eine der Stimmen, die hinter uns erklingen, kenne.
 

»Na so was. Wenn das nicht meine süße Romy ist«, säuselt Pauls Stimme dicht an meinem Ohr und ich spüre seine Hand einen kurzen Moment an meinem Hintern. Langsam drehe ich mich zu ihm um.
 

»Ich dachte, du bist im Gefängnis?«, entfährt es mir und ich stelle mich zögernd, halb vor Juli, weil mir der Blick von Pauls Kumpel, den ich nicht kenne, nicht gefällt. Paul sieht mitgenommen und ausgemergelt aus. Das Gefängnis scheint ihm übel mitgespielt zu haben.
 

»Schubi, mein guter Freund, hat alles auf seine Kappe genommen, nachdem ich ihn, mit einem Knastkumpel freundlich darum gebeten habe.« Das Grinsen welches sich in seinem Gesicht abzeichnet, lässt mich den Paul erkennen.
 

»Bitten?«, frage ich und sehe ihn gespielt belustigt an. »Du kannst niemanden freundlich Bitten. Ihr habt Schubi bestimmt bedroht. Er kuschte doch schon immer vor dir, wenn du nur deine Stimme erhoben hast. So ein Weichei.«
 

»Süße, ich habe dich und deine Art echt vermisst. Dir kann ich einfach nichts vormachen«, lächelt Paul, sieht mich stolz an und sieht dann nachdenklich zu Juli, die ich halb verdecke. »Weißt du, was mit Ralf und Uschi und einigen anderen passiert ist?«, fragt er mich scharf und ich kann Juli hinter mir tief einatmen und wieder ausatmen hören, als Pauls Augen wieder auf mir liegen.
 

»Umgezogen«, erwidere ich und stelle mich ganz vor Juli, weil ich spüre, wie es in Paul zu brodeln beginnt.
 

»Ist das so? Weißt du auch wohin?«, fragt er, lächelt mich unschuldig an und zieht sein T-Shirt grinsend hoch. Dabei sehe ich die Waffe, die halb in seinem Hosenbund steckt und ich spüre eine Angst, die schlimmer ist, als alles, was ich bisher gefürchtet habe. »Ich hätte da nämlich ein kleines Geschenk für die Beiden.«

 



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