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Mochi-Eis und Rote Bohnen

von

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„Meine Güte Merle, du hattest ja gesagt, dass es ein großer Klunker ist, aber das ist schon eindrucksvoll!“, meine beste Freundin Sophie stellt ihr Weinglas auf den Beistelltisch neben den Liegen auf meiner Terrasse, schiebt ihre Straß besetzte Sonnenbrille auf den blonden Lockenkopf und mustert anerkennend den Brillanten an meinem Finger.

„Mich wundert es ja nur, dass er dir keinen rosafarbenen Stein ausgesucht hat“, kichert Lilli, die sich neben Sophie sonnt und der ich vergangene Woche schon das Prunkstück gezeigt habe.

Ich grinse und strecke meinen Arm aus und betrachte den im Licht der Mittagssonne funkelnden Stein auf meinem Verlobungsring. Das Teil muss ein Vermögen gekostet haben, denke ich nicht ohne schlechtes Gewissen, aber die Freude über den Ring und die Frage ist größer als das schlechte Gewissen.

„Und? Wann ist es endlich so weit? Steht der Termin schon? Und hast du schon Pläne für den Ort, das Kleid, das Motto und...“

„Stopp mal, Sophie!“, unterbreche ich lachend ihren Wortschwall. „Er hat mir letzte Woche erst die Frage gestellt, da ist noch nichts Genaueres geplant! Ich ärgere mich nur, dass ich nicht so wie meine kleine Schwester seit Jahren an der perfekten Pinterest-Hochzeits-Wand gearbeitet habe...“ Fragend hebt Lilli die Augenbrauen. „Sie hatte bei ihrer Hochzeit letzten Mai einfach die Pinnwand an ihre Hochzeitsplanerin gemailt und die hat ihr eine Hochzeit nach ihren Träumen zusammengestellt!“ Ein bisschen neiderfüllt erinnere ich mich an die großen Feierlichkeiten in der kleinen Kapelle auf dem französischen Weingut ihres Mannes in der Provence. Meine kleine, damals erst zwanzigjährige Schwester schwebte in einem schulterfreien Traum aus weißem Tüll den mit Lavendel- und Rosengestecken geschmückten Gang zum Traualtar, wo ihr Verlobter in einem maßgeschneiderten Armani-Anzug auf sie wartete. Er war zum Zeitpunkt der Trauung zweiunddreißig, was meine Eltern, als sie ihn zum ersten gemeinsamen Abendessen mitbrachte, dazu veranlasste, sie kurzerhand für ein gutes Jahr aus der Wohnung zu werfen. Da ihr Freund zu der Zeit aber für ein Jahr zurück nach Frankreich gegangen war, um in Paris am Hôpital Rothschild in Paris zu praktizieren, kroch sie für die Zeit bei mir in der WG unter. Was mich daran erinnerte, wieso ich unseren Eltern immer dankbar gegenüber gewesen bin, dass sie jeder von uns ein separates Schlafzimmer zur Verfügung gestellt hatten.

„Und wie hat er dir den Antrag jetzt gemacht?“ Lilli öffnet die Weinflasche und füllt mir das Glas mit unserem liebsten Grauburgunder auf, den wir bei einer gemütlichen Weinverkostung vor kurzem lieben gelernt hatten. Ein sehr lustiger Abend mit piekfeinen Weinschnöseln, die uns von der erdigen Note des einen Weines und dem vollmundigen Abgang des anderen Weines überzeugen wollten. Und die Nase über uns rümpften, als wir im Laufe des Abends immer lustiger, betrunkener und lauter wurden.

 Ich drehe mich auf die Seite und grinse die beiden an. „So, wie ich es mir gewünscht hab! Ihr habt gute Arbeit geleistet, Mädels!“

Seit ich klein war, habe ich davon geträumt, auf der Spitze eines Riesenrades mit wahlweise Blick über die bei Nacht erleuchtete Kirmes oder Sonnenuntergang über die Stadt, meinen Hochzeitsantrag zu bekommen. Der Fakt, dass ich eigentlich schreckliche Höhenangst habe, hab ich zu dem Zeitpunkt, als ich beschloss, dass ich so und nicht anders meinen Antrag bekommen möchte, leider nicht bedacht. Und nachdem ich mir diese Wunschvorstellung in den Kopf gesetzt hatte, wurde ich nicht müde, jeder Freundin davon zu erzählen, damit sie meinem Zukünftigen instruieren konnte, wie ich den Ring übergeben haben wollte.

Und das hatte auch ganz wunderbar funktioniert.

Zur letzten Frühlings-Kirmes hatte er mich nach einem stressigen Tag im Verlag mit einem kleinen Briefchen in meinem Fahrradkörbchen überrascht, den ich in meiner Müdigkeit beinahe übersehen hatte. Im Briefumschlag war ein ganz altmodischer Brief mit der Frage: „Willst du dich heute mit mir um sieben auf dem Rummel treffen?“ mit drei Mal der Antwortmöglichkeit „Ja, ich will“. Später meinte er, dass er mir nicht abkaufen wollte, dass ich damals keine Idee hatte, dass er mir an dem Abend den Antrag machen wollte. Aber ich hatte es wirklich nicht erwartet. Nachdem er nach bereits vier Jahren Beziehung nicht um meine Hand angehalten hatte, hatte ich es schon fast aufgegeben. Etwas müde und ziemlich gehetzt, da ich erst um halb sieben das Büro verlassen hatte, kam ich am Rummelplatz an, wo er mich vor unserem Lieblingsstand, dem mit den schokolierten Waffeln mit einem breiten Grinsen bereits erwartete.

„Ich dachte schon, du kommst nicht mehr“, meinte er und begrüßte mich mit einem zärtlichen Kuss auf die Stirn. „Erst Essen, Bier oder Fahrgeschäft?“, fragte er, während ich mich zufrieden an seine muskulöse Brust schmiegte.

„Erst Fahrgeschäft, das ist doch die einzig sinnvolle Reihenfolge“, murmelte ich zu ihm hoch.

Auf je eine Runde Kettenkarussell, Break-Dancer und Raupe folgten Karamellpopcorn, schokolierte Macadamia-Nüsse und eine sehr schnelle Maß Bier, bevor er meine Hand nahm und mich in Richtung des Riesenrades zerrte.

„Oh bitte nicht“, stöhnte ich angeschickert. „Ich hab schon zu viel getrunken und gegessen und sowieso, das ist doch viel zu hoch!“ Aber meinen Protest ignorierend zog er mich weiter zu dem riesigen Metallgerüst.

Rückblickend war der Antrag an sich perfekt. Auf der Spitze des Riesenrades hielt unsere Kabine an und über den funkelnden Buden, den lachenden Menschen und blitzenden Fahrgeschäften schwebend, hockte sich mein perfekt gestylter Jan, der zwar nie etepetete war, aber normalerweise nie mit dem dreckigen Boden einer Riesenradgondel in Berührung kommen würde, vor mich und stellte die Frage, auf die ich schon so lange gewartet hatte. Und natürlich rief ich begeistert ja. Und sprang ihm so schwungvoll in die Arme, dass die Gondel beachtlich ins Wanken gebracht wurde. Soweit also wirklich alles perfekt und wie ich es mir jahrelang gewünscht hatte. Nur hörte das Wanken der Gondel nicht auf und mit der darauf hin dazukommenden Bewegung des sich wieder in Bewegung setzenden Riesenrades beschlossen Bier, Schoko-Nüsse und Popcorn, dass es doch an der Zeit währe eine kleine Feier in meinem Magen zu veranstalten.

Den Rest dieses theoretisch sehr romantischen Abends kann man sich vorstellen – es sei nur so viel gesagt: für den diesjährigen Frühlings-Rummel bekam ich Hausverbot auf dem Riesenrad.

Sophie seufzt verträumt. „Ach Mensch, da werd ich ja ganz neidisch! Falls Tobias mir jemals einen Antrag macht, dann wahrscheinlich auch nur per SMS“ Etwas traurig wendet sie den Blick ab und spielt mit dem kleinen Silberkettchen an ihrem Handgelenk.

„Quatsch! Das wird bestimmt auch total romantisch! Und nur, weil er momentan so viel wegen der Arbeit unterwegs ist, heißt das doch nicht, dass eure Beziehung die nächsten Jahre so bleiben muss! Das wird sicherlich bald etwas entspannter bei ihm in der Firma“, versuche ich sie zu beruhigen. Sophie ist seit einem Jahr mit Tobias zusammen, der in einer aufstrebenden Werbeagentur arbeitet. Leider heißt der Erfolg auch, dass Kunden aus ganz Deutschland auf ihn aufmerksam werden und er deswegen selten zu Hause ist. Die Beziehung zwischen ihm und Sophie findet deswegen zu größten Teilen elektronisch statt.

Um sie auf etwas andere Gedanken zu bringen frage ich sie, ob sie nicht Lust hätte, mit mir für Jonas’ Geburtstagsgeschenk zusammen zu legen.

„Ihr müsst doch nicht irgendetwas Großes für ihn besorgen“, winkt Lilli ab. „Er ist erst zwei und freut sich über fast alles, was irgendwie Lärm macht, bunt ist oder ein Auto als Motiv hat!“

Lilli war die erste in unserem Freundeskreis, die Mutter geworden war. Allerdings nicht geplant und von einem One Night Stand, bei dem nach dem vierten Gin Tonic irgendwann der ungezügelte Spaß der Verhütung vorgezogen wurde. Begeistert waren ihre Eltern davon natürlich nicht und strichen ihr kurzerhand die finanzielle Unterstützung im Studium. Lilli musste daraufhin ihr Studium abbrechen und hielt sich die letzten zwei Jahre mit mehr oder weniger schrecklich unterbezahlten Nebenjobs über Wasser. Wo immer wir können, versuchen wir, Lilli einzuladen oder ihr auch mal ein bisschen Geld zu „leihen“, ohne die Absicht zu haben, es jemals von ihr zurück verlangen zu wollen. Aber meistens lehnt sie rigoros ab. Sogar von mir, ihrer ältesten Freundin seit der Kinderkrippe, will sie keine finanzielle Unterstützung. Deswegen sind Geburtstage von ihr oder ihrem Sohn immer die besten Möglichkeiten ihr ein bisschen unter die Arme zu greifen, ohne dass sie das Gesicht zu verlieren braucht.

„Tut mir leid“, erwidert Sophie. „Antonia hatte mich schon gefragt, ob wir zusammen etwas für Jonas besorgen und ich hab ihr bereits das Geld gegeben... Aber geh doch zusammen mit Jan einkaufen! Du hast doch erzählt, dass er sich letztens, als ihr seine Nichte übers Wochenende zu Besuch hattet, so süß um sie gekümmert hat.“

Das stimmt. Obwohl wir noch keine Kinder zusammen haben und sich das auch in den nächsten Jahren erst mal nicht ändern soll, ist Jan so unsagbar kinderlieb, dass in mir in den Momenten, in denen er mit dem kleinen Jonas spielt, immer alle weiblichen Hormone komplett durch drehen und ich mir dann doch so einen kleinen Wurm wünsche. „Gute Idee, zumal er ja selber noch ein halbes Kind ist, da wird er bestimmt Spaß daran haben, mit mir ein Geschenk für einen kleinen Jungen auszusuchen!“

„Wer ist noch ein halbes Kind?“, höre ich von drinnen die sonore Stimme meines Schatzes tönen.

Ich drehe mich auf der Liege um, um einen Blick in die Wohnung zu werfen, wo mich Jan mit vom Motorradhelm zerstrubbelten Haaren frech angrinst. Wie immer schmelze ich innerlich ein kleines Bisschen beim Anblick seiner kleinen Zahnlücke und den perfekten, schmalen und zum Küssen einladenden Lippen. Aber natürlich lasse ich mir das vor ihm nicht anmerken. Zumindest nicht immer. Frau braucht schließlich auch noch ihre Integrität und zu sicher sollte sich der Mann schließlich nicht sein, wie toll man ihn findet. „Du sicher nicht“, erwidere ich grinsend. „Du bist nämlich noch voll und Ganz ein Kleinkind, Schatz!“

Er kommt zu mir rüber, verwuschelt mit gespieltem Ärger meine ordentlich nach hinten frisierten Haare und drückt mir dann einen Kuss auf die Stirn. „Zum Glück bin ich mit der besten Kinderbetreuerin überhaupt verlobt!“

Neben mir ertönen Würgelaute. „Ihr wisst schon, wie seltsam auf so vielen Leveln gerade diese Unterhaltung war, oder?“, lästert Sophie. „Ich würd sagen, ich geh jetzt mal, damit sich Kleinkind und Kindergärtnerin... beschäftigen können!“ Sie leert ihr Weinglas und erhebt sich.

„Bleib doch noch! Ich lass euch gleich wieder alleine, ich bin mit den Kollegen noch zum Squash verabredet!“, meint Jan und schiebt sie sanft wieder auf ihre Liege zurück. „Soll ich euch noch einen Wein holen – so als Entschädigung für den Spruch und die fehlende Begrüßung?“, fragt er zwinkernd.

„Den Weißwein, der noch im Kühlschrank steht, bitte“, bestellt Lilli. „Und ich hab noch eine Tüte Chips auf den Küchenblock gelegt, die bitte auch!“ Sie grinst erst mich und dann ihn an. „Danke, Herr Kellner, das wäre alles!“

Lilli kennt Jan fast genau so lange, wie ich. Da wir uns während der Uni-Zeit eine kleine Wohnung in der Innenstadt geteilt hatten, war sie die erste aus meinem Bekanntenkreis, der ich ihn vorstellte. Obwohl wahrscheinlich ihr erster Eindruck von ihm einprägender war,  als die darauffolgende Vorstellung. Als er nämlich das erste Mal bei mir übernachtete und nachts auf Toilette gegangen war, irrte er sich in der Schlafzimmertür und überraschte Lilli dabei, wie sie gerade mit sich selbst zugange war. Danach war er sie so beschämt, dass es erst ein Mal einen Monat dauerte, bis sie sich wieder aus dem Zimmer traute, wenn er zu Besuch war.

„Die Damen, einen Moment bitte, Ihre Bestellung kommt jeden Moment“, mein Jan und deutet eine Verbeugung an.

„So ein Gentleman“; raunt Sophie mir zu, als er wieder in die Wohnung verschwindet. „Ich wünschte, Tobi wäre auch so zuvorkommend. Oder einfach mal da...“, fügt sie leise hinzu.

Ich gieße uns dreien von dem Weißwein, den Jan mir reicht, ordentlich ein und erhebe mein Glas zu einem Toast. „Mädels, auf uns! Darauf, dass wir uns nicht von unseren komischen, nervigen und wundervollen Kerlen einkriegen lassen – egal, ob sie jetzt große oder kleine Kinder und uns viel oder wenig auf den Keks gehen! Prost!“

„Prost!“, rufen meine Freundinnen. Die Gläser klirren und etwas Wein spritzt auf uns, als wir schwungvoll anstoßen.

 

Müde reibe ich mir die Augen und lege das Manuskript, an dem ich gerade arbeite, für einen Moment beiseite. Wenn die gedruckten Buchstaben vor meinen Augen beginnen zu einem einzigen schwarzen Balken zu verschwimmen, weiß ich, dass es erst Mal reicht. Für einen kurzen Moment schließe ich die Augen und lasse meinen Kopf auf die Lehne meines Sofas fallen. Meine Gedanken drehen sich um die kitschige Heldin des Romans, für den ich gerade als Lektorin zuständig bin. Die Geschichte ist eine weitere rosa, schmalzige Zuckerwatte-Welt, wo die Heldin sich in den ach-so-mysteriösen, gutaussehenden, aber charakterlich leider zurückgebliebenen Kerl verguckt, den sie zu Beginn überhaupt nicht ausstehen kann. Und der sie natürlich viel schlechter behandelt, als ihr bester Freund, der schon seit der Schulzeit in sie verliebt ist und sie quasi auf Händen tragen würde und der sich am Ende damit abfinden muss, die Protagonistin vor dem Altar mit dem Idioten zu sehen. Wenn die Autorin nicht schon so viele sehr erfolgreiche Schmonzetten bei uns im Verlag veröffentlich hätte, dann wäre dieser Mist auch gar nicht erst bis zu mir gekommen, aber mein Chef verspricht sich hohe Verkaufszahlen. Ich sage ein frühes Ende in der Grabbelkiste des Bahnhofsbuchladens bevor. Aber wenn es dem Chef wichtig ist, dann werde ich einen Teufel tun und ihm widersprechen. Schließlich arbeite ich schon ein Weilchen auf eine Beförderung hin.

Nach meinem Germanistik-Studium hatte ich ziemliches Glück, dass ich über einen Freund von Jans Vater eine Stelle in einem großen Verlagshaus bekommen hatte. Eigentlich, meinte mein Chef damals, hätte er nie ein so blutjunges Mädchen wie mich eingestellt. Aber nachdem ich bereits während des Studiums als freie Mitarbeiterin bei einer Tageszeitung gearbeitet hatte, und der Freund von Jans Vater wiederum sein Vorgesetzter war, nahm er mich dennoch. Eigentlich träumte ich von einem Job in einer der großen Tageszeitungen oder einem der Hochglanzmagazine, die noch unter dem Dach der Verlagsgruppe herausgegeben wurden. Aber die letzten zwei Jahre bin ich aus meinem Job als Lektorin nicht heraus gekommen. Nicht, dass ich unglücklich darüber bin. Im Gegenteil, ich bin unsagbar dankbar für diesen Job. Wer kann mit sechsundzwanzig schon sagen, eine feste Stelle mit einem für diesen Job eher unüblich hohen Einkommen zu haben? Aber trotzdem will ich lieber selber schreiben, als mich immer nur um die Geschichten anderer Leute zu kümmern.

Ich höre, wie im Schloss der Schlüssel umgedreht wird und werfe einen Blick auf die Uhr. Es ist halb zwölf.

„Ich bin wieder da“, ruft Jan in die Wohnung. „Es ist etwas später geworden, als gedacht!“ Er wirft seine Sporttasche in die Ecke. Ohne das durchgeschwitzte Sportzeug aufzuhängen. Ich rümpfe jetzt schon die Nase beim Gedanken an den Schweißmuff, der dann erst mal eine Weile in der Wohnung hängen bleiben wird.

Müde ächzend krieche ich vom Sofa und trotte zu ihm in den Wohnungsflur. „Hallo Schatz“, murmele ich und schlinge die Arme um seine Hüften.

Liebevoll streichelt er mit seiner großen Hand über die Haare und drückt mir sanft einen Kuss auf die Stirn. „Hast du wieder bis jetzt gearbeitet?“, fragt er mich und ich höre die Sorge in seiner Stimme. „Du siehst in letzter Zeit so müde aus, vielleicht solltest du mal Steven daran erinnern, dass er doch auch noch ein paar andere Lektoren außer dir hat.“

Ich schüttele, so gut es an ihn gepresst geht, den Kopf. „Ich will ja die Beförderung und wenn das heißt,  für ein Weilchen ein paar Überstunden einzulegen, dann ist das eben so. Es wird ja nicht für immer sein.“ Zumindest hoffe ich das. Aber dass ich schon meine Zweifel daran habe, dass das mit der Beförderung noch in sehr weiter Ferne liegt, kann ich nicht aussprechen. Um die Stimmung etwas aufzuhellen, versuche ich das Thema zu wechseln. „Ich habe jetzt übrigens die Flüge gebucht!“

Seine Augen leuchten auf. „Du bist genial! Ich glaube, wenn ich dich nicht hätte, dann würde der Plan immer noch im Raum stehen, ohne eine Chance, jemals in die Realität umgesetzt zu werden! Hast du die Reiseroute auch schon fertig?“ Lächeln nicke ich und ziehe ihn ins Wohnzimmer, wo mein Laptop noch aufgeklappt auf dem Küchentisch steht.

„Alles ist fertig gebucht!“, verkünde ich nicht ohne Stolz. „Ein Monat Japan-Rundreise. Also zumindest durch den Osten und etwas vom Südwesten. Wir kommen in Tokyo am 27. an und fahren dann mit dem Shinkansen zunächst nach Kyoto. Von dort aus besuchen wir Osaka, Nara und Hiroshima. Nach knapp zwei Wochen geht es weiter nach Kanazawa, einer Kleinstadt im Nordwesten, wo wir aber nur ein paar Tage wohnen werden. Und als krönenden Abschluss: Zwei Wochen Tokyo. Und ich hab auch schon mal geguckt, vielleicht machen wir von da aus auch noch einen Ausflug nach Nikko, zu dem wunderschönen goldenen Tempel mit den drei Äffchen machen. Du weißt schon, die, die nichts Böses sehen, hören oder sagen. Oh, und nach Kamakura und Enoshima würde ich auch ganz gerne noch fahren. Enoshima soll eine wunderschöne Insel sein und vielleicht machen wir dann einfach einen Strandtag dort!“, sprudele ich aufgeregt hervor. Seine Idee, noch vor der Hochzeit eine erste gemeinsame große Reise zu machen, die auch etwas länger als nur zwei Wochen dauert, fand ich zunächst etwas seltsam.  Eigentlich sollte man sich doch solche Ziele für die Flitterwochen aufheben. Doch dann schlug er Japan als Ziel unserer Reise vor. Und damit hatte er mich geködert.

Schon als kleines Mädchen fand ich Japan faszinierend. Ich hatte recht bald jeden Manga aus unserer Bibliothek mindestens zwei Mal durchgelesen und strukturierte meinen Tagesablauf nach den Sendezeiten von Digimon, Pokemon und Sailor Moon auf RTL 2. Irgendwann weitete sich dann die Liebe zum zweidimensionalen Japan auf eine Faszination für die doch sehr dreidimensionale Mode, Architektur und nicht zuletzt auf das Essen aus. Aber Japan war so weit weg, der Flug dauert über 15 Stunden und nicht zuletzt fehlte mir auch das Geld für so eine Reise. Alleine der Hin- und Rückflug erleichtern das Portemonnaie um nicht viel weniger als zwei Tausend Euro. Verständlich, dass ich Jans Angebot der gemeinsamen Japan-Reise also mit Handkuss entgegen genommen hatte. Die Planung des Trips hatte mich dann doch eine ganze Zeit beschäftigt, aber mein Perfektionismus brachte die perfekte Reise-Route zutage.

Beeindruckt nickt Jan. „Das klingt ja wunderbar! Aber glaubst du, dass wir das alles in einem Monat schaffen? Ist das nicht etwas zu viel?“, gibt er zu bedenken. „Ich meine, sollten wir nicht ein paar dieser ganzen Ausflüge streichen?“

Wie bei einem Ballon, aus dem die Luft herausgelassen wurde, sinke ich in mich zusammen. Meine Begeisterung verpufft mit einem Knall. „Aber ich hab doch alles schon gebucht und ich würde das wirklich alles gerne sehen...“, murmele ich enttäuscht. „Ich dachte, ich hätte das alles so perfekt geplant und du würdest dich genau so sehr auf die Reise freuen, wie ich!“

Erschrocken über meinen plötzlichen Stimmungsumschwung rudert er schnell zurück. „Nein, Schatz! Du hast das perfekt gebucht! Und wenn du das alles sehen willst, dann werden wir das auch schaffen, in Ordnung?“ Ich nicke. „Jetzt guck mich bitte nicht so traurig an, du reagierst ein bisschen über. Ich hab doch nicht gesagt, dass ich mich auf die Reise nicht freuen würde!“

Ich schlucke hart und ignoriere den Seitenhieb mit dem Überreagieren. Schließlich will ich keinen Streit am Abend. Wahrscheinlich bin ich wirklich nur müde und etwas entnervt von der Tatsache, dass ich meinen Samstagabend arbeitend verbringe und nicht mit Freunden aus bin.

Jan zieht sein Handy aus der Hosentasche und beginnt darauf rum zu tippen. „Was machst du?“, frage ich grummelig. Ich hasse es, wenn er mitten in der Unterhaltung parallel noch Nachrichten beantwortet.

„Ich, Fräulein Gute-Laune“, antwortet er und zieht mich an sich. „bestelle bei Seita im Midori gerade eine große Platte gemischtes Sushi, mit einer extra Portion Inari-Sushi und vier Matcha-Daifuku! Aber wenn du weiter so muffelig bist, dann muss ich das wohl alleine vor deinen Augen verputzten. “

In dem Moment knurrt mein Magen und ich erinnere mich, dass ich noch nichts zum Abendbrot hatte. Vielleicht bin ich deswegen so schnell reizbar. „Aber es ist kurz vor Mitternacht, da liefert doch niemand mehr was aus!“, gebe ich zu bedenken.

Sein Handy plingt und er hält mir grinsend die Antwort unseres lieblings Sushi-Chefs unter die Nase. „Seitas Sohn schon! Das Midori hat doch eh bis zwei geöffnet und da wir ja quasi die Hälfte ihres Einkommens ausmachen, sind solche Dienste doch schon mal drin.“

Mir läuft das Wasser im Munde zusammen beim Gedanken an die frischen Inari-Sushi, meine absoluten Lieblinge: Kleine Portionen Reis, in etwa so groß, wie die bei einem bekannten Lachs-Nigiri, in einer Tasche aus der Haut von frittiertem Tofu. Manchmal mischt Seita auch noch gerösteten Sesam oder Bambussprossen in den Reis, die das ganze noch interessanter machen. Und dann die klebrigen süßen Matcha-Daifuku zum Nachtisch erst – himmlisch. Daifuku sind gedämpfte Reisküchlein, die aus glutenhaltigem Reismehl hergestellt werden und dann mit einer zuckersüßen roten Bohnenpaste, genannt Anko, gefüllt werden. Der Matcha, japanischer grüner Tee, gibt der Süßigkeit nicht nur eine schöne grüne Farbe, sondern verleiht ihr auch eine leichte Bitterkeit, die einen wunderbaren Gegensatz zu der Süße der Füllung bildet.

Gespielt seufzend ergebe ich mich. „Na gut, ich bin ja schon friedlich! Aber nur, weil du mich mit den Inari-Sushi bestochen hast!“, lache ich und klappe den Laptop zu.

Auch er muss lachen. „Wusste ich es doch, dass das dein Kryptonit ist!“

„Du Nerd“, meine ich und gebe ihm einen Kuss auf den Mund. „Aber du bist mein Nerd, und deswegen ist das schon in Ordnung!“

„Musst du grad sagen, du Obernerd“, murmelt er zwischen zwei Küssen.



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