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Mochi-Eis und Rote Bohnen

von

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Geduldig nickend lasse ich mir zum bereits vierten Mal bei diesem Mittagessen erklären, was für eine außerordentlich emanzipierte Frau doch die Protagonistin aus ihrem neuesten Roman ist und warum sie sich doch so sehr von all den anderen Frauen aus den kitschigen Liebesromanen unterscheidet. Denn im Gegensatz zu diesen ist ihre Protagonistin eine echte Frau. Mit echten Gefühlen, die auch für sich selber einstehen kann. Die junge Autorin, die mir gegenüber sitzt, fuchtelt beim Reden aufgeregt mit ihrer Gabel herum und kommt vor Begeisterung gar nicht dazu, auch nur einen Happen ihrer Pesto-Spirelli zu essen, die über ihren Ausführungen schon ganz kalt geworden sind. Ich wiederum habe nicht nur meine Pasta bereits in Rekordzeit vernichtet, sondern leere gerade erfolgreich die zweite Nachladung des kostenlosen Brotkorbes.

„Ach, Sie wissen gar nicht, wie schön es ist, endlich auch mal eine Lektorin zu haben“, seufzt meine Essensbegleitung. „Mein letzter Roman wurde von einem Herren mittleren Alters lektoriert, der ja gar nicht verstehen, wie sich eine junge Frau fühlt, die versucht, sich in einer von Männern dominierten Welt zu behaupten!“ Ich frage mich, wann wohl der beste Zeitpunkt ist, ihr zu erklären, dass ihre so geschätzte Protagonistin doch nicht so emanzipiert ist, wie sie sie darstellt. Denn am Ende des ach-so-feministischen Romans heiratet die Hauptperson nämlich, welch Überraschung, doch ihren sexistischen Wiederling von Chef, der sie die ganze Geschichte über wie seine persönliche Sklavin behandelt und ihr letztendlich nicht einmal die versprochene Beförderung gibt. Aber nachdem der letzte Roman der jungen Autorin so unverschämt gut gelaufen ist, hielt es mein Chef für unerlässlich, auch ihr nächstes Werk in unserem Verlag zu veröffentlichen.

Mit Fräulein „Meine Romanheldin dreht das Bild der Frau im Liebesroman um hundertachtzig Grad“ ist das nun der siebte Liebesroman, den ich im letzten Monat auf den Tisch bekommen habe. Und genau wie die anderen sechs davor ist er im selben Maße unoriginell, vorhersehbar und schlicht und ergreifend dämlich. Wenn ich schon im Lektor-Job festhänge, dann würde ich mich über etwas anspruchsvolle Literatur freuen. Oder zumindest etwas anderes, als immer nur scheußliche Schmonzetten.

Wie nach jedem Mittagessen mit einem unserer Autoren zahle ich im Anschluss an einen Espresso mit der Firmen-Kreditkarte und verabschiede sie mit einem professionellem Lächeln und der höflichen, wenn auch drängenden, Bitte um Pünktlichkeit mit dem nächsten Kapitel.

Nachdem sie um die nächste Straßenecke verschwunden ist, lasse ich mich stöhnend auf die nächstbeste Bank fallen und krame in meiner Handtasche nach meinem klingelnden Handy.

„Hey Merle, wie war das Mittagessen mit deinem neuen Projekt?“, ertönt Jans Stimme aus dem Apparat. Um mein Missfallen an den sich häufenden Liebesromanen Ausdruck zu verleihen, begannen wir irgendwann damit nur noch von ihnen als „Projekte“ zu sprechen.

„So wie immer – ganz neues, umwerfendes Roman-Konzept, ich bin hin und weg“, seufze ich. „Hast du gerade mal kurz Zeit für mich?“, frage ich um das Thema weg von der Zuckerwatte-Kitsch-Welt, die die Klientin in den letzten zwei Stunden erfolgreich in meinem Kopf erstellt hat, zu bewegen.

Im Handy höre ich es knacken und dann klingt seine Stimme plötzlich näher als vorhin. Er hat den Lautsprecher ausgemacht. „Du meinst für ein kurzes Büro-Intermezzo? Das haben wir schon lange nicht mehr gemacht“, raunt er erwartungsvoll. „Eigentlich ist es zeitlich eher schwierig aber eine halbe Stunde kann ich mir sicher für dich einräumen!“

„Wunderbar, dann hast du ja jetzt genug Zeit, mit mir zusammen in das Spielzeuggeschäft bei deinem Büro um die Ecke zu gehen und zusammen mit mir für Jonas Geburtstag ein Geschenk auszusuchen“ Auch wenn seine Idee wesentlich verführerischer klang, füge ich in Gedanken hinzu. Da unsere beiden Jobs uns tagsüber ziemlich einspannen, sehen wir uns meistens erst abends. Als wir beide noch an der Uni waren, ging es einfacher mal so tagsüber nach Hause zu fahren und... „Also?“, frage ich ihn. „Ich bin in einer halben Stunde bei dir, mach dir schon mal einen Kopf, was man einem so kleinen Bubi schenken könnte!“ Ohne auf seine Widerworte einzugehen lege ich auf und mache mich auf den Weg zurück zum Verlagsgebäude, wo mein Fahrrad auf mich wartet. Nachdem ich vor einem halben Jahr auf dem Laufband eine Paradelandung hingelegt und mir dabei die Beine komplett aufgeschlagen hatte, woraufhin ich knapp einen Monat nicht mehr in Seidenstrumpfhosen raus gehen konnte, sondern nur in blickdichten Hosen, mache ich einen großen Bogen um alles, was auch nur im entferntesten wie ein Fitness-Studio aussieht. Und da mir draußen joggen zu peinlich ist, bleibt mein Drahtesel die einzige sportliche Betätigung in meinem Leben. Die mir nicht nur stramme Beine einbringt, sondern auch die Wucherbeträge für die Monatskarte spart. Und bei Minusgraden durch die Stadt zu fahren hat nebenbei auch den schönen Vorteil, dass das Immunsystem keinen teuren Vitamin-Booster aus der Apotheke mehr braucht.

Die Lukas Grebl Verlagsgruppe hat ihren Hauptsitz in einem großen Bürogebäude direkt im Zentrum von Frankfurt. Hinter der glänzenden gläsernen Fassade arbeiten auf fünfundzwanzig Etagen topmodern gekleidete Damen in schicken Pumps und coole Hipster mit ironisch gemeinten Statement-Krawatten an den „Wie angle ich mir meinen Traumtypen“ und „Welcher Unterton in meiner Haut passt am besten zu welcher Farbe“-Artikeln, der diversen Frauenzeitschriften, bearbeiten Fotos von Landschaftsaufnahmen, Motorrädern oder Hundewelpen oder arbeiten am Cover-Design des nächsten Dan Brown Nachfolgers. Oder dürfen sich, wie ich, durch Manuskripte wühlen, E-Mails sichten, Autoren beraten und auf Messen Kontakte aufrechterhalten. Wie schon gesagt, ich bin wirklich dankbar für meinen Job, aber manchmal denke ich, dass ich wirklich jede andere Stelle im Verlag annehmen würde. Auch wenn das Pumps mit schwindelerregend hohen Absätzen und eine Chefin, wie Miranda Priestly aus „Der Teufel trägt Prada“ bedeuten würde. Aber für eine Anstellung in einer Frauenzeitschrift habe ich wahrscheinlich eh zu wenig Modegespür.

Beiläufig mustere ich mich in der Spiegelung eines Schaufensters.

Aus meiner knallroten highwaisted Karottenhose lugt ein paar dunkelblauer Plateau-Espandrilles, in die ich, der Mode-Gott bewahre, mit Blumen bestickte, semitransparente, ebenfalls blaue Söckchen gezogen habe. Meine weite weiße Bluse habe ich versucht, cool und betont lässig in meine Hose zu stecken, so als hätte ich nicht am Morgen zehn Minuten vorm Spiegel damit verbracht, sie trendig zu drapieren. Vergeblich. Irgendwie sieht die obere Hälfte meines Körpers doch zu altbacken, die untere zu versucht-modern aus. Dabei sah das Outfit bei der Japanerin, der ich es abgeguckt habe, so toll aus.

Während ich noch über meine fehlenden modischen Kenntnisse seufze, schließe ich mein Fahrrad vom Ständer und werfe meine Handtasche in das kleine Körbchen am Lenker.

Jan hatte mich damals ausgelacht, als ich ihm stolz meinen neuen, knall-türkisen Drahtesel präsentiert hatte – mit Körbchen, tiefem Einstieg und einer geblümten Klingel. „Damit schaffst du es doch niemals, schnell durch die Stadt zu fahren“, lästerte er. De facto bin ich aber meist wesentlich schneller als er, wenn es darum geht, sich durch den Verkehr der Innenstadt zu fädeln. Und ich wurde auch noch nie von der Polizei wegen meines eher weniger regelkonformen Fahrstils angehalten.

Wie auf Autopilot schlage ich den Weg zum Büro meines Verlobten ein und beschäftige mich innerlich mit der Frage, die ich die letzten Tage immer vor mir hergeschoben habe: Was kann ich Jonas und noch viel wichtiger eigentlich, was kann ich Lilli bloß schenken? Ich mache wirklich gerne Geschenke, eigentlich viel lieber, als welche zu bekommen, aber das Aussuchen ist  immer eine Qual. Am liebsten verschenke ich Unternehmungen zusammen – so was wie ein gemeinsames schickes Abendessen, ein Besuch in einem dieser Windtunnel, in denen man Fliegen kann oder ein Besuch im Fußballstadion. Aber ob Jonas wohl in seinem Alter schon den Besuch auf der Tribüne zu schätzen weiß? Vielleicht biete ich Lilli an, für ein verlängertes Wochenende auf Jonas aufzupassen, damit sie mal in aller Ruhe etwas entspannen und Schlaf nachholen kann.

Ein Geschenk für Jonas ist das aber noch nicht.

Aus der Entfernung sehe ich schon Jans blonden Lockenkopf und schmelze ein klein wenig beim Blick auf seinen langen schlanken Körper in dem Anzug, der zwar der Mode entsprechend recht körpernah geschneidert ist, aber immer noch locker an ihm hängt. Vielleicht, denke ich mir. Wenn wir uns mit dem Einkauf beeilen, könnten wir ja doch noch in seinem Büro auf seinen ursprünglichen Einfall zurückkommen. Das wäre genau der Energiekick, den ich für den Rest des Tages noch brauchen würde.

Lächelnd komme ich vor ihm zu stehen. „Hallo, mein zukünftiger Göttergatte“, rufe ich etwas zu laut und beobachte amüsiert, wie er sich panisch umschaut, ob nicht einer seiner Kollegen etwas gehört hat.

Mit einem gespielt bösem Blick zieht er mich an sich und drück mir einen Kuss auf die Lippen. „Na warte, mich einfach hier so vor meinem eigenen Büro zu blamieren, das gibt Strafe, junge Dame“, flüstert er und beißt mir leicht auf die Lippen. „Aber nicht hier! Gehen wir, ich hab nur eine knappe halbe Stunde!“

Ich schließe mein Fahrrad an das nächste Straßenschild und schlendere dann, meine Hand in seiner, zusammen mit ihm in Richtung des kleinen Spielzeugladens, der noch nicht von großen Ketten, wie Toys’r’us oder der überbordenden Auswahl in den Spielzeugabteilungen der Kaufhäuser ausgestochen worden ist. „Wie war es bis jetzt im Büro? Stressig?“, frage ich, obwohl die Frage eigentlich überflüssig ist. Nach dem Studium konnte er gleich bei seinem Vater anfangen, der als einer der gefragtesten Architekten der Stadt im Jahr mehr Geld machte, als er wahrscheinlich in seinem gesamten Leben ausgeben konnte. Was aber nicht bedeutet, dass sich deswegen auch nur ein Familienmitglied ein Leben ohne Arbeit leisten darf – Anstrengung, Perfektion und eine fünfzigstunden Woche gehören zu den Tugenden der Familie Brenner. Der Verlobung zwischen mir und Jan haben sie auch nur zugestimmt, nachdem ich einen Vertrag unterschrieben hatte, dass ich auch nach der Hochzeit weiter arbeiten würde und nicht nur auf Kosten der Familie leben würde.

Ich musste damals ziemlich mit den Zähnen knirschen, als mir Jan offenbarte, dass leider eine mündliche Vereinbarung nicht genügte und er mich zu meinem ersten Notar-Besuch schleifen musste. Definitiv eine Erfahrung, die ich nicht unbedingt hätte machen müssen.

Jan seufzt und fährt sich durch die Haare, die bereits so kreuz und quer stehen, als hätte er sich schon einige Male im Laufe des Tages die Haare gerauft. „Kein gutes Thema“, grummelt er aber fährt trotzdem weiter fort: „Der Stadtrat hat zwar endlich den Etat beschlossen, den wir zum Bau der neuen Stadthalle bekommen haben, aber er ist einfach erheblich kleiner, als wir kalkuliert hatten und der gegebene Zeitraum wird bei den Geldern nie im Leben eingehalten werden. Du kannst dir vorstellen, wie begeistert mein Vater davon war, als ich ihm die Neuigkeiten überbracht habe...“ Er schaudert und ich nicke verständnisvoll beim Gedanken an seinen Vater. Nicolas Brenner ist definitiv einer der erfolgreichsten Männer der Stadt, aber wahrscheinlich auch einer der furchteinflößendsten und untreusten. Es ist ein offenes Geheimnis, dass er seine Frau seit Jahren mit allem betrügt, das nicht bei zwei auf den Bäumen ist und über die Dunkelziffer der außerehelichen Kinder wird einvernehmlich geschwiegen. Aber seine Gattin Antonia, die zusammen mit ihm das Architekturimperium Brenner leitet, erträgt das alles stillschweigend – schließlich ist es sicher nicht so einfach den Ex-Partner in der Ehe weiterhin als Geschäftspartner zu haben.

„Aber du kannst ja nichts dafür“, versuche ich Jan aufzumuntern, der etwas geknickt zu Boden blickt.

Wieder seufzt er. „Wenn es nach meinem Vater geht schon – ich hätte aggressiver, wortgewannter, charmanter oder was auch immer auftreten sollen, dann wäre das alles schon so geworden, wie wir es geplant hatten. So meint er das zumindest.“

Wir sind am Spielzeugladen angekommen und ich schließe mein Fahrrad vor dem Schaufenster an. Liebevoll haben darin die Verkäuferinnen von „Charlottes Nest“ eine bunte Welt aus Lego-, Playmobil- und Schleich-Figuren aufgebaut, die inmitten von offensichtlich selbst gebauten Pappmaché-Hügeln und Häusern ihrem täglichen Leben nachgehen. Wenn ich jetzt selber ein Kind hätte, dann würde ich auch mit ihm solche Spielwelten bauen...

„Komms du, Merle?“, holt mich Jan, der schon halb im Laden steht, aus meinen Gedanken.

Im Laden werden wir von einem Mädchen begrüßt, die nicht älter als vierzehn zu sein scheint. „Guten Tag, willkommen in „Charlottes Nest“, kann man Ihnen behilflich sein, oder schauen Sie sich nur um?“, frag sie mit einem so professionellen Lächeln, dass man meinen könnte, sie würde ihre interessierte Nachfrage auch wirklich ernst meinen. „Tante, kommst du? Wir haben Kunden!“, ruft sie etwas leiser.

Hinter einem Durchbruch in der Wand, der von einem bunt gemusterten Vorhang verhangen wird, hört man es scheppern. „Ich bin in eine Sekunde für Sie da!“, mit einer großen Kiste beladen kämpft sich eine Frau Anfang dreißig mit einem wundervollen roten Lockenschopf aus durch den Vorhang und lächelt uns freundlich an. „Willkommen in „Charlottes Nest“, wie...“ Dann stoppt sie und ihr Lächeln wird noch breiter. „Ach Jan, du bist es, schön dich mal wieder zu sehen!“ Ihr Blick wandert von ihm zu mir und wieder zu ihm zurück. „Wo ist denn deine...“

„Haartolle?“, fällt er ihr lachend ins Wort. „Ich dachte, ich versuche es mal damit, meine Haare so zu lassen, wie sie sind!“ Verschwörerisch raunt er mir zu: „Sie hat mich überredet, meine Haare nicht mehr so übertrieben schnöselig zu stylen! Du erinnerst dich an die Frisur?“

Irritiert ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Wer ist diese Frau und wieso kennt sie Jan so gut, dass sie ihm eine Frisur ausreden konnte, die ich ihm schon Jahre lang als Neureichen-Frisur beschrieben habe? Ich bin nicht wirklich der eifersüchtige Typ – nur wenn es wirklich, wirklich Grund dafür gibt skeptisch zu sein, was mein zukünftiger Ehemann so treibt. Und ich finde, die Vertrautheit, mit der er mit der Verkäuferin, die nicht nur wunderschöne Haare hat, sondern auch noch Brüste, über denen sich ihre weiße Button-up Bluse so spannt, dass ich jede Sekunde erwarte, dass mir einer der Knöpfe entgegengeflogen kommt. Kommt er etwa doch nach seinem Vater und betrügt mich jetzt schon, bevor wir überhaupt geheiratet haben?

Jan scheint meine Schweigsamkeit überhaupt nicht zu bemerken – er plappert einfach vergnügt weiter.  „Sina“ Anscheinend der Name des Busenwunders. „Wir bräuchten ein Geburtstagsgeschenk, kannst du uns da wohl beraten?“

Die Rothaarige Schönheit zeigt uns diverse Ritter und Burgen-Sets, hochqualitative Holzklötzchen und Züge, aber ich bekomme das alles nur am Rande mit. In meinem Kopf schwirrt die ganze Zeit nur eine Frage: Betrügt mich Jan etwa? Ich weiß, dass es total paranoid von mir ist, aus dieser Begegnung eine so große Sache zu machen – aber seltsam ist es dennoch. Ich meine, woher sollen die beiden sich denn sonst so gut kennen? Bestimmt haben die beiden sich auf so eine verdammt romantische Art kennen gelernt – er war in der Mittagspause eine Runde spazieren und gerade dabei, sich im gehen eine Zigarette anzustecken, als sie, wieder vollbeladen mit Kisten, aus dem Laden stolperte und ihn fast überrannte. Als Entschuldigung lud sie ihn dann auf einen Kaffee ein und aus einem Kaffee wurden zwei, drei, dann ein Abendessen und zwei Cocktails zu viel und schwupps – so schnell geht ein Betrug.

Ich schüttele den Kopf über mich selber. Was bin ich für eine eifersüchtige Kuh, die hinter jeder etwas hübscheren Frau, mit der mein Mann verkehrt – etwas unglückliche Wortwahl an dieser Stelle – gleich eine Affäre wittert. Und dann auch noch samt seltsam-kitschiger Kennenlern-Geschichte. Das ist es, was die ganzen Liebesromane, die ich im Lektoriat habe, mit mir machen: Meine Fantasie geht mit mir durch und ich bekomme Zweifel, dass mein Jan, der liebste und ehrlichste Kerl, den ich kenne, mein bester Freund und Gefährte, plötzlich zu einem dieser Arschlöcher der völlig verbitterten Autorinnen wird. Das ist doch albern.

Als wir den Laden verlassen, kann ich mich beim besten Willen nicht daran erinnern, was wir jetzt für Jonas gekauft haben. „Alles in Ordnung bei dir?“, fragt mich Jan besorgt. „Du wirkst schon seitdem wir den Laden betreten haben, als wärest du nicht mehr so ganz bei dir – hast du dir beim Mittagessen den Magen verdorben? Oder machst du dir Sorgen wegen des Urlaubs?“ Er streicht meine Haare aus dem Gesicht und drückt mir einen Kuss auf die Stirn

Ich lächele schwach und schüttele den Kopf. „Alles gut, mach dir keinen Kopf!“, antworte ich und beschließe, ihn heute Abend auf die Begegnung im Spielzeuggeschäft anzusprechen. „Ich hab nur die Nacht nicht so gut geschlafen – wir haben momentan einige Projekte parallel laufen und die sind mir noch ein Weilchen durch den Kopf geschwirrt.“ Das war zwar nicht der Grund für meine Abwesenheit, aber dennoch nicht gelogen.

Er legt den Arm um meine Hüften. „Meist du denn, dass du es dann heute Abend überhaupt zum Dinner im Hilton schaffst? Oder bist du zu müde?“ Prüfend blickt er mich an. „Du hast doch nicht die Verabredung zum Gala-Dinner der Kanzlei meines Bruders vergessen, oder?“

Verdammt, das war ja auch noch heute. Klar, dass ich mich daran nicht erinnere: ein gähnendlangweiliges Abendessen, in einem überteuerten Saal, in dem die versammelten Neureichen Deutschlands sitzen, für die Jans Bruder den Rechtsbeistand darstellt. Das auch noch in einem Kleid, das für meine Figur definitiv nicht das optimalste ist, neben dürren Klapperschnepfen, die höchstens ein Salatblat umdrehen, während ich mir spätestens ab halb neun ein Glas Weißwein nach dem anderen hinter die Binde kippe, um die geheuchelt freundlichen Gespräche auch nur halbwegs zu ertragen. Ich kann mir hundert andere Dinge vorstellen, die mehr Spaß machen würden. „Natürlich nicht! Und ich freue mich schon“, antworte ich vielleicht etwas zu überschwänglich. Sosehr ich solche Anlässe nicht ausstehen kann, so ist dieser Abend der erste Event, an dem Jan und ich als verlobtes Paar auftreten. Und an dem ich teilnehme und nicht mehr nur eine Normalsterbliche, sondern als Verlobte von Jan Brenner quasi ein Mitglied der deutschen High Society bin. Und da Jan seit Wochen wegen dieses Dinners aufgeregt ist und bereits angekündigt hat, dass er mich dann stolz allen vorführen wird, kann ich ihm den Spaß nur schwer nehmen. „Wirklich“, setze ich bekräftigend hinzu.

Dann muss das Gespräch eben bis morgen früh warten, denke ich und versuche das flaue Gefühl im Magen auf die Frischkäse-Sauce in meiner Pasta heute Mittag zu schieben.



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