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Blut, Stahl und Rauch

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Das folgende Projekt ist das erste einer Serie von einzelnen, abgeschlossenen Geschichten, die alle dadurch verbunden sind, dass ihre Protagonisten – Fionnlagh und Anju – immer dieselben sein werden.

Angesiedelt sind alle Geschichten in dem Universum von Supernatural, aber sie folgen nicht der Storyline der Serie. Das Gleiche gilt für Anju, der ein Hexer ist, wie man ihnen in den Videospielen des Witchers 1 bis 3 begegnen kann. Das bedeutet, dass meine Serie stark von diesen anderen beiden Serien inspiriert, sowie beeinflusst ist und das sowohl aus dem einen, als auch dem anderen Universum viele Elemente auftauchen werden, zum Beispiel die Teufelsfalle aus Supernatural oder die Tränke aus dem Witcher. Auch Hintergrundinformationen, wie zu den Engeln oder Dämonen oder der Spährenkonjunktion werden zu Sprache kommen.

Trotz dieser klar erkennbaren Elemente habe ich mich dennoch dazu entschieden, die Serie als Original online zu stellen, da ich glaube, das die Welt an sich auf eigenen Füßen stehen kann und ich würde mich freuen, wenn die Geschichten dem einen oder anderem Leser gefallen. :)

Arani Shadon Komplett anzeigen

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Gestrandet

~Gestrandet~
 

„Sei vorsichtig, hörst du Fion? Der Glawackus mag ein Hirngespinst sein, aber irgendetwas ist in den Wäldern und es hat bereits drei Menschen aufgeschlitzt.“

„Ich bin immer vorsichtig, das weißt du, Ems.“ Das Handy zwischen Ohr und Schulter geklemmt, damit er die Hände frei hatte, packte Fionnlagh diverse Arten von Kugeln für seine 9mm, einen selbst gebauten Flammenwerfer und Leuchtfackeln ein. Er mochte es, auch auf Unvorhergesehenes vorbereitet zu sein. „Mach dir keine Gedanken.“

Eine kurze Pause, die Fionnlagh sagte, dass sein Freund sich dennoch sorgen würde, dann: „Melde dich?“

Er summte leise und legte auf, ohne sich zu verabschieden. Das tat er auf einem Job nie. Stattdessen griff er nach seiner Taschenlampe, schwang den Rucksack über seine Schulter und schloss den Wagen ab, über welchen er ein Tarnnetz warf. Er hatte gelernt, dass einsam abgestellte Fahrzeuge im Wald Aufsehen erregten und er hatte wirklich keine Lust, nach dem Job noch auf dem Parkplatz der nächsten Polizeistation einzubrechen, nur um sein konfisziertes Auto mitgehen zu lassen.

Wenn das hier erledigt war, dann würde er sich ein paar Tage Auszeit nehmen und vielleicht zu Emrys fahren – der andere Mann wurde nervös, wenn er Fionnlagh nicht ab und an in Fleisch und Blut vor sich stehen sah. Mit einem versonnenen Lächeln an seinen langjährigen Freund marschierte er in Richtung Norden in den Wald hinein.

Das letzte Opfer war eine Meile von der Hauptstraße entfernt gefunden worden und als Fionnlagh am Tage hier gewesen war, hatte er Spuren entdeckt, die die Polizei für die eines wilden Tieres gehalten hatte: Abgeknickte Zweige, Kratzspuren an den massiven Stämmen der Bäume hier. Es könnte sich um einen Schwarzbären handeln; zwar war die Population in Connecticut nicht besonders hoch, aber ihre Gier nach Essen brachte sie häufig in die Nähe von Menschen. Vor allem jetzt im Herbst fraßen sie alles, was ihnen vor die Schnauze kam. Momentan gingen Polizei und Jäger von einem einzelnen, aggressiven, möglicherweise kranken Tier aus und hatten Erlaubnis gegeben, dieses zu schießen. Aber Fionnlagh hatte in einer Scharte ein Stück Haut und ein paar Haare gefunden, die keinem Tier oder Wesen gehörten, dem er je begegnet war.

Die einzelnen Strähnen waren lang, borstig und die Spitzen äußerst widerstandsfähig, die Haut hingegen bleich und grau, wie die eines Toten, aber in ihrer Beschaffenheit fester als das Leder seiner Messerscheide. Außerdem war es mit kleinen und großen Flecken übersät. Diese dienten vielleicht zur Tarnung, je nachdem wie groß das Monster war, dessen Fährte er aufzunehmen gedachte.

Fionnlagh brauchte nicht lange, um den Fundort der letzten Leiche zu finden. Im Strahl seiner Taschenlampe war das getrocknete Blut am Boden unübersehbar, doch zumindest hatte die Spurensicherung die fehlenden Stücke von Justin Argerson bereits eingesammelt und eingepackt. Die Lippen zu einer dünnen Linie zusammengepresst, ließ sich Fionnlagh in der Mitte der Lichtung in die Knie sinken, um die Perspektive seiner Umgebung zu ändern. Dann leuchtete er einmal, sorgsam, um dreihundertsechzig Grad um sich herum. Freß- und Schleifspuren führten in südöstliche Richtung, genau dort, wo Fionnlagh die Kratzspuren an den Bäumen aufgefallen waren. Er folgte, seine Schritte behutsam und beinahe lautlos. Es war Mitte Oktober, was gut und schlecht war, denn es bedeutete, dass der Waldboden nicht trocken war, aber auf der anderen Seite vergrößerte es die Gefahr, bei schnellen Bewegungen auszurutschen. Ideale Kampfbedingungen sahen anders aus.

Eine gute Stunde später war Fionnlagh auf weitere Spuren gestoßen – die gleichen Kratzspuren, die er auch schon am Tatort gesehen hatte und die möglicherweise eine Art Revier markierten. Wendigo waren dafür bekannt, Jäger in Fallen zu locken, indem sie bewusst solche Spuren setzten, aber das hier, das war kein Wendigo, dessen war sich Fionnlagh sicher. Dazu waren die Hiebe in der Rinde zu breit und zu tief. Außerdem führten sie ihn nicht in einem Kreis, sondern geradewegs auf das hüglige Terrain zu. Er presste die Zähne aufeinander. Großartig. Nun kamen auch noch alte Schächte oder Minen mit ins Spiel. Genau das konnte er nun brauchen. Als es wenig später auch noch zu regnen anfing, kam er nicht umhin, die Augen gen Himmel zu wenden und sich im Stillen zu fragen, was er getan hatte, um dass jetzt zu verdienen.

Er erhielt keine Antwort. Aber das war auch wenig verwunderlich. Manches Mal, da vermutete er, dass man da oben ohnehin nichts anderes machte, als Däumchen zu drehen, bei der ganzen Scheiße, die hier unten so ablief.

Mit einer Mischung aus Missmut und Anspannung bewegte sich Fionnlagh weiter. Konzentriert glitt der Lauf seiner Waffe mit seinen Bewegungen mit, ab und an verharrte er, wenn er glaubte, einen Schatten oder eine Regung wahrgenommen zu haben. Das stetige Tropfen des Wassers und das Rauschen des Windes in den Bäumen verhinderte, dass er andere Geräusche hörte.

Der Regen wurde mit jedem Schritt schwerer, tränkte seine Kleidung bis auf seine Haut und verringerte die Sicht auf wenige Meter. Mit einer Hand wischte sich Fionnlagh über das Gesicht, als er neben einer Eiche stehen blieb, einen Unterarm gegen den Stamm gelehnt, während er den Strahl seiner Taschenlampe im Kreis rotieren ließ. Es wäre klüger, den Rückzug anzutreten und morgen Nacht wieder zu kommen. Doch das würde bedeuten, ein weiteres potentielles Opfer zu riskieren. Zwar war die Bevölkerung von der Polizei dazu angehalten worden, vorsichtig zu sein und sich bei Nacht nach Möglichkeit in fest verschlossenen Räumen aufzuhalten, doch es gab immer wieder Dummköpfe, die dachten, dass sie unverwundbar seien. Vor allem wenn sie glaubten, ein Gewehr abfeuern zu können.

Sei vorsichtig.

Emrys Stimme wisperte in seinem Geist, Bitte und Warnung zugleich, weswegen Fionnlagh kurz die Faust ballte und gegen die Rinde schlug. Verdammt. Einen langen Moment kämpfte sein passioniertes Herz gegen die kühle Logik seines Verstandes, dann entschied er, die Jagd abzubrechen. Tot nutzte er niemanden und in den derzeitigen Bedingungen war ihm auch die hier ansässige nocturnale Wildnis überlegen. Behutsam trat er einen Schritt zurück, richtete sich zu seiner vollen Körperhöhe auf und wollte sich herum drehen, da verharrte er abermals.

Schien, als wäre es zu spät. Er konnte es fühlen, den Blick des Monsters in seinem Rücken.

Die feinen Haare in seinem Nacken und an seinen Armen stellten sich auf, jeder seiner Muskeln spannte sich an – wie die Sehne eines Bogens kurz vor dem Schuss. Ein lautloser Fluch brach sich von seinen Lippen, seine Atmung und Herzschlag erhöhte sich. Adrenalin pumpte durch seinen Körper und verstärkte seine Sinne. Das Monster stand schräg hinter ihm, nicht dicht genug, dass er es riechen konnte, aber nah genug, dass er hörte, wie sich der Regen auf der Haut brach, was ein Geräusch produzierte, als hätte irgendjemand plötzlich einen gewaltigen Regenschirm aufgespannt.

Er festigte seinen Griff auf Waffe und Taschenlampe, atmete langsam und gezielt aus, während er stumm von drei rückwärts zählte. Er hatte die Null noch nicht ganz erreicht, da wirbelte Fionnlagh herum und feuerte drei Mal in Richtung des Monsters. Zweimal auf den massiven Leib, einmal auf den Kopf.

Es wurde unter dem Einschlag der Kugeln ein Stück zurückgeworfen, aber nicht zu Fall gebracht. Eher im Gegenteil: Das Brüllen, dass ihm entgegen schlug, klang einfach nur angepisst. Na, ganz toll. Das fehlte ihm gerade noch. Fionnlagh wich mit einem Hechtsprung und einer Abrollrolle zur rechten Seite aus, als das Vieh auf ihm zustürmte. Es folgte ihm schneller und wendiger, als dessen Größe vermuten ließ.

„Fuck!“

Er flüchtete zwischen zwei Bäumen hindurch, wirbelte herum, feuerte ein weiteres Mal. Ein direkter Treffer, nah am Hals des Monsters, aber nicht genug, um seinen Verfolger aufzuhalten. Er wuchtete seinen Rucksack auf beide Schultern, rutsche eine Senke hinab, kontrollierte seine Bewegung mit den Füßen und einem Ellenbogen. Unten angekommen, war er sofort auf den Beinen. Er duckte sich unter einem Prankenhieb weg, der Borke, Blätter und Äste auf ihn herab regnen ließ. Ein Brüllen folgte seinem Haken, so laut, dass er die Hände über die Ohren reißen musste.

Der beschissene Regen nahm ihm die Sicht und er hatte keine Zeit auf seinen Kompass zu schauen, was ihm die Orientierung raubte. Fionnlagh wusste, dass er sich hier potenziell in ein Terrain begab, mit dem er nicht fertig werden würde. Allerdings hatte er keine große Wahl, denn das Vieh ließ nicht locker und es wurde nicht langsamer, obwohl er noch zwei Mal geschossen und getroffen hatte. Fionnlaghs Körper hingegen spürte den Stress der Hetzjagd. Lungen und Muskeln brannten, sein Herzschlag glich einem Presslufthammer. Er vibrierte an seiner Schädeldecke entlang und klang in seinen Ohren wieder.

Sein Blick glitt kalkulierend über die Bäume seiner Umgebung. Konnte er es riskieren, hoch zu klettern? Es würde ihm vielleicht den nötigen Abstand geben, den er brauchte, um die Situation unter Kontrolle zu bringen. Der Flammenwerfer in seinem Rucksack richtete möglicherweise mehr Schaden an, als die Handfeuerwaffe. Anderseits könnte er auch als netter Snack enden, wenn das Monster auch klettern konnte. Wenn er wenigstens an seine Leuchtfackeln heran kommen würde. Das grelle Licht würde ihm wertvolle Sekunden schenken.

Fuck, fuck und noch einmal fuck.

Fionnlagh brach nach links weg, setzte über einige niedrige Büsche hinweg, rutsche auf dem nassen Untergrund aus und schlug mit der Schulter gegen einen Stamm. Schmerz pulsierte bis in seine Fingerspitzen und kostete ihn beinahe den Griff auf seine Taschenlampe. Über ihm splitterte Holz, weswegen er sich auf den Boden warf und dann nach rechts wegrollte.

Alle Farben der Umgebung mischten sich zu einem einzigen verschwommenen Matsch. Seine Bewegung endete jäh an einem großen Findling. Fionnlagh benutzte ihn, um auf die Füße zu kommen, den Stein zwischen sich und das Wesen zu bringen, aber er war zu langsam.

Es erwischte ihn mit einer Pranke, schleuderte ihn hoch und durch die Luft. Fionnlagh prallte hart auf den Boden. Etwas in seinem Rucksack bohrte sich direkt zwischen seine Schulterblätter. Er verlor die Lampe, deren Licht matt den Waldboden beleuchtete. Seine Waffe hatte er noch und er nutzte sie, um das Magazin in den massiven Leib zu schießen, bevor ihn die Krallen erwischten.

Dann schrie er.

Fionnlagh hatte unzählige Narben. Das brachte der Job mit sich. Bevor er seinen ersten Werwolf getötet hatte, war es dem Mistkerl gelungen, sein Bein aufzuschlitzen. Er hatte geblutet wie ein Schwein und er wusste bis heute nicht, wie es Emrys gelungen war, ihn wieder zusammen zu flicken. Ein Wendigo hatte ihm ein nettes Andenken auf dem rechten Schulterblatt hinterlassen und diverse Geister hatten ihn mehr als nur eine Gehirnerschütterung eingebrockt.

Aber nichts davon war mit dem hier zu vergleichen. Seine gesamte Welt hatte sich auf ein Minimum konzentriert. Kälte drang in seinen Körper, betäubte seine Hände und Füße. Er versuchte seine Finger zu krümmen, doch es gelang ihm nicht. Sein Herzschlag dominierte jedes andere Geräusch. Es verdrängte den Regen und das Brüllen des Monsters. Fauler Atem schlug ihm entgegen und er stöhnte gebrochen, als er das Gewicht auf seiner Brust fühlte.

Schien, als würde er nicht verbluten, sondern ersticken, weil seine Rippen seine Lungen durchbohren würden. So oder so, es war ein beschissener Tod.

Sorry, Ems.

Ein schiefes Grinsen zupfte an seinem Mundwinkel. Das würde Emrys ihm nie verzeihen.

Grelles Licht flutete einen Moment später die Umgebung, blendete ihn, so dass Fionnlagh stöhnend die Augen zusammen kniff. Wenn das dass berühmte Licht ins Jenseits war, dann sollten die Engel oder sonst wer noch mal über die Farbgebung nachdenken. Giftgrün, bei dem der Wunsch aufkam zu kotzen, konnte wohl nicht der richtige Ansatz sein. Oder es lag an Fionnlagh – ihm war jedenfalls barbarisch schlecht.

Das einzig Positive war, dass der Druck auf seiner Brust verschwand. In Reaktion schnappte Fionnlagh nach Luft, so viel und so schnell er zu fassen bekam. Leider kam davon nichts in seinen brennenden Lungen an. Er war wie ein Fisch auf dem Trockenen und Gott, wie er dieses Gefühl hasste. Seine Kehle, staubtrocken, die sich immer weiter zusammen zog. Die aufkeimende Panik eines sterbenden Körpers, das unkontrollierbare Zucken seiner Gliedmaßen.

„Atme.“

Ein einzelnes Wort. Ruhig und auffordernd gesprochen.

„Tiefe, ruhige Atemzüge. Folge den meinen.“

Eine Hand packte die seine, führte sie. Fionnlaghs Finger zuckten, krümmten sich, mühten sich ab, die Textur unter ihnen zu erkennen. Nass, glatt, kühl. Leder? Unter seinem Handballen unregelmäßig, kalt, aber nicht schmerzhaft. Ein Gefühl, wie die Klinge seines Messer. Metall? Er konnte sich nicht konzentrieren, konnte seinen Blick nicht fokussieren. Aber er fühlte den Atem. Langsam und übertrieben, damit er ihn besser spüren konnte. Automatisch folgte er und einen kurzen Moment später fühlte er, wie sich seine Lungen weiteten.

„Gut. Gut so. Atme weiter.“

Diese Stimme. Sie war hypnotisch und legte sich wie eine warme Winterdecke um seinen kalten Körper, nahm ihm die Panik, den Schmerz. Sie war anders, als alles, dass er jemals in seinem Leben gehört hatte. Fionnlagh drehte den Kopf, als seine Hand losgelassen und auf seine Brust gelegt wurde, blinzelte träge. Viel sah er nicht, verschwommene Umrisse eines anderen Menschen, die sich dunkel von dem noch immer viel zu hellen Hintergrund abhoben. Er hörte das Klirren eines Schwertes – zu laut und zu deutlich, wie ein extra dramatischer Effekt in einem Film – und er erkannte das Monster, wacklig und wabernd, wie unter Wasser.

Ein mächtiges Geweih, der Kopf zum Angriff gesenkt. Hinterbeine, so dick wie die Baumstämme, die sie umgaben. Es scharrte über den Waldboden, bereit jederzeit anzugreifen. Fionnlagh öffnete die Lippen, versuchte den anderen zu warnen, aber es kostete zu viel Kraft. So etwas wie Reue flutete durch Fionnlagh. Er hätte dem Fremden gerne gedankt. Allein zu sterben, war eben doch totaler Dreck. Er blinzelte und vermochte ein wohl bekanntes Grinsen im Licht zu sehen, Züge, die er so gut kannte und von denen er gedacht hätte, er würde sie nie wieder sehen.

„Áed?“

Keine Sorge, Kiddo. Du gehst hier nicht drauf.

Er schnaubte leise. War ja klar, dass seinem toten Freund nichts besseres einfiel, als ihm zu sagen, dass er in diesem beschissenen Wald nicht verbluten würde. Trotzdem war es seltsam beruhigend und es passte zu Áed, dachte Fionnlagh noch, bevor er in die Ohnmacht sank und das Licht und das Brüllen und das Klirren des Stahls immer schwächer wurden. Zumindest hatte er noch einmal die lang vermisste Stimme gehört.

Vielleicht sahen sie sich ja in der Hölle wieder.
 

~~~~~
 

Flammen waren das erste, dass Fionnlagh registrierte, als er wieder zu sich kam.

Huh?

Das Höllenfeuer war aber weit kleiner, als er sich das ausgemalt hatte. Es glich eher einem... einem Lagerfeuer?

Es knisterte gemütlich, schien leise zu murmeln, während er es beobachtete. Helles Gelb im Inneren, Orange und Rot in den äußeren Bereichen, dazwischen dünne Äste, zum Teil noch unversehrt, zum Teil schon so verbrannt, dass nur die grau-weiße, rissige Oberfläche übrig geblieben war.

Er drehte den Kopf und blinzelte gegen eine dunkle Decke, die zu hoch lag, als das er Einzelheiten erkennen konnte. Eine Höhle? Eine Mine? Möglicherweise. Unter seinen Fingern fühlte er Moose und Flechten, die ihn vom Untergrund isolierten. Er konnte sie auch riechen, unter dem Geruch des Feuers und der feuchten Luft des Sturms. Der Rest seines Körpers war etwas schwerer auszuloten. Seine Füße steckten nicht mehr in seinen Stiefeln, dazu konnte er seine Zehen zu weit krümmen, seine Jeans klebte schwer und nass an seinen Beinen. Seine Jacke war verschwunden, sein Pullover auch. Zumindest sein Shirt trug er noch. Langsam tastete er mit seinen Fingern über seinen Oberschenkel, hoch zu seinem Bauch.

Fionnlagh konnte sich noch nicht an alles erinnern, das passiert war, aber er wusste, dass ihn das Monster getroffen und verletzt hatte. Es war wichtig, dass er möglichst zügig beurteilte, wie schlimm es war. Alle Jäger waren gut in Erste Hilfe und Fionnlagh nähte seit seinem neunten Lebensjahr Wunden zusammen. Er konnte gut abschätzen, wann er mehr Hilfe benötigte und wann nicht.

Seine Stirn runzelte sich, als er einen Verband fühlte. Er schob einen Finger darunter, tastete nach der Wunde. Zu seiner Rechten gab es eine Bewegung, dann wurde sein Handgelenk festgehalten.

„Lass die Finger davon.“

Diese Stimme. Fionnlagh tat einen bebenden Atemzug, die Augen geschlossen, um sich zu sammeln. Dann öffnete er sie und sah direkt in das Gesicht seines Retters. Es war ein bisschen, als würde er einen Vorschlaghammer vor die Brust bekommen.

Sein Gegenüber war im gleichen Alter wie Fionnlagh, vielleicht sogar etwas jünger. Und er hatte extrem anziehende Züge, anders konnte man es wirklich nicht sagen. Umrahmt von schwarzen, dichten Haar saßen in einem symmetrischen Gesicht eine perfekte Nase und ebenso perfekte Lippen. Selbst die dunklen Brauen spannten sich in einer gleichmäßigen, eleganten Kurve über den Augen.

Sie waren es, die Fionnlagh gefangen hielten, selbst als er sich auf seinen Armen soweit zurück katapultierte, wie es ihm möglich war. Seine Füße schrammten hart über den lockeren Boden, wirbelten Dreck und Geäst auf, welches zischend in den Flammen landete. Seine Körpermitte schrie in Protest, Schmerz blitzte harsch und grausam bis in seine Fingerspitzen. Fionnlagh keuchte dagegen an, griff nach seiner Waffe, die neben dem Lager auf seiner zusammengelegten Jacke lag und richtete sie auf den Fremden. Sie sackte nach unten, seine Arme schwer wie Betonblöcke, aber so nah wie sie sich waren, würde jeder Treffer fatal sein.

Die Augen – unheimlich intensiv – blickten ihn ruhig entgegen. Sie waren groß, wie die Rehaugen von Megan, in denen er sich noch vor zwei Wochen in einer sinnlichen Nacht verloren hatte. Und an sich war das auch nichts ungewöhnliches, wenn die Pupillen nicht das Licht reflektieren, oder sich wie die einer Katze senkrecht verengen würden.

„Was bist du?“

Fionnlaghs Frage klang wie ein Grollen eines Wolfes, heiser und kaum zu verstehen. Sein vor ihm hockendes Gegenüber schien unbeeindruckt von seinem Ton und seiner Waffe.

„Ein Hexer.“

Hexer? Fionnlaghs Gedanken rasten. Er hatte noch nie ein Wesen mit solchen Augen gesehen. Es gab Kitsune, aber sie hatten normale Augen. Erst im Augenblick ihres Todes, sah man, dass sich die Pupille in einen senkrechten Schlitz wandelte. In seinem Kopf riss er Hunderte von Schubladen auf, glitt fahrig über Legenden, Mythen und Geschichten. Nichts. Er fand keinen Fetzen, kein Gerücht, kein Wispern in den Schatten von schmierigen Spelunken. Gestaltenwandler, Vampire, Besessene. Sie alle waren humanoid, bewegten sich in beiden Welten. Es gab Gerüchte über Engel und über Trolle, Wichtel und Wechselbälger. Es gab Hexen, männlich und weiblich.

Meinte der Andere so etwas? Möglich, aber mit solchen Augen unwahrscheinlich. Hexen waren hundertprozentig menschlich und abgesehen von ihren widerlichen Ritualen und ihrem Hang dazu, überall Körperflüssigkeiten zu verteilen, gab es keine äußeren Anzeichen.

„Woher kommst du?“

„Kaer Morhan.“ Der Andere verlagerte leicht das Gewicht, beugte sich etwas weiter zu Fionnlagh. „Allerdings bezweifle ich, dass du je davon gehört hast. Du solltest mich das ansehen lassen. Es blutet.“

Den Worten folgte eine Handbewegung in Richtung von Fionnlaghs Verletzung. In Reaktion darauf, hob dieser seine 9mm höher, zielte einige mühsame Sekunden direkt auf den Kopf des Anderen. Zwischen einem donnernden Herzschlag und dem nächsten fiel ihm auf, dass die Waffe zu leicht war – Erinnerungen blitzten auf: Die Jagd im Regen, die Schüsse auf das Monster, als er unter diesem gelegen hatte. Das Magazin war leer. Fionnlagh presste die Lippen zu einer dünnen Linie zusammen. Gut, dann würde ein Bluff reichen müssen.

„Fass mich nicht an!“, befahl er barsch, was sein Gegenüber offensichtlich amüsierte. Ein Mundwinkel hob sich in einem schiefen Grinsen, was in Fionnlagh den Wunsch auslöste, es mit einem ordentlichen Kinnhaken aus dem Gesicht zu schlagen.

„Ich glaube, dass es dafür zu spät ist“, wurde ihm milde entgegnet. Die Hand des Fremden bewegte sich erneut, eine fahrige Bewegung, die für Fionnlagh keinen Sinn ergab. „Ich habe dich hierher getragen und ich habe dich versorgt, bis du aufgewacht bist. Bitte. Lass es mich ansehen. Ich bin nicht dein Feind.“

Die Waffe sackte erneut tiefer. Fionnlagh hatte zunehmend Schwierigkeiten klar zu sehen und seine gekrümmte Position behinderte ihm beim Atmen. Obenauf kam diese verfluchte Stimme. Er fühlte regelrecht, wie er unter ihr nachgab, schwächer wurde, als wäre er eine Motte, die vom unwiderstehlichen Licht angezogen wurde.

Finger legten sich auf den Lauf der Pistole, einer nach dem anderen, bis sein Gegenüber diesen nach unten drücken konnte. Die Waffe fiel zwischen ihnen auf den Boden, dann schob sich die zweite Hand des Fremden in Fionnlaghs Nacken, stützte seinen Kopf, während er sich flach auf den Boden legte. So nah über ihm waren diese verfluchten Augen unheimlich faszinierend. Trotz der Flammen, die die Farbe verfälschten, konnte Fionnlagh sehen, dass sie grün waren und er wagte kaum daran zu denken, wie sie erst bei Tageslicht aussehen würden.

„Wie ist dein Name?“

„Anju.“ Die Augen fixierten einen Moment lang die seinen. „Wie nennt man dich?“

„Fionnlagh“, brummte er, bevor er erschöpft die Augen schloss. Die Berührungen des Hexers waren behutsam, als sie über seinen Bauch glitten. Sie lösten den Verband, dann hörte Fionnlagh das Plätschern von Wasser, bevor ein feuchtes Tuch über seine Haut strich und das Blut abwischte. An den Stellen, an denen es getrocknet war, verweilte es einen Moment länger, bis das ekelhafte Gefühl der Spannung und des Kribbelns verschwunden war. Fionnlagh würde niemals zugeben, wie gut es tat und wie sehr er sich unter der wiederholenden Bewegung entspannte.

„Das ist ein interessanter Name. Er hat einen schönen Klang.“

Anju hatte sich halb weg gedreht, um nach einem weiteren Tuch zu greifen. Es war sorgsam zusammengefaltet und als er die Ecken anhob, um es zu öffnen, entfaltete sich ein würzig-herber Geruch von Kräutern. Fionnlagh blinzelte, um zu verfolgen, was der Hexer damit vorhatte.

Die Kunst der Kräuterheilkunde war ihm nicht fremd. Emrys züchtete überall in seinem Haus und Garten Kräuter und Sträucher, aus denen er Tinkturen, Pasten, Tees und Öle herstellte. Allerdings war es eine Sache, seinem langjährigen Freund eine Wunde versorgen zu lassen, eine ganz andere, dies von einem Fremden machen zu lassen, der mehr oder weniger menschlich war.

Ach, zur Hölle damit. Wenn Anju ihn hätte töten wollen, hätte er dazu ausreichend Gelegenheit gehabt und sich sicher nicht die Mühe gemacht, ihn in einen Unterschlupf zu schaffen. Draußen donnerte es, ein lautes krachendes Geräusch, dass Fionnlagh an das Brüllen des Monsters erinnerte. Ein Schauer ran zwischen seinen Schulterblättern hinab.

„Was ist mit dem Monster?“

„Das Bies? Ich habe es getötet und verbrannt.“

Fionnlagh brummte zufrieden. Zumindest dieses Problem war aus der Welt geschafft und es würde keine weiteren Opfer geben und er war zu müde, als dass er ergründen würde, warum Anju das Monster beim Namen kannte und offensichtlich wenig gerührt von dessen Existenz war. Seine Bauchmuskeln zogen sich unfreiwillig zusammen, als Anju eine kühle und dicke Paste auftrug. Es tat weh, wie alle offenen Wunden, die man berührte, aber der Hexer hörte nicht auf. Zu zögern, hätte es schlimmer gemacht. Das sagte Fionnlagh, dass dieser offensichtlich Erfahrungen mit Wunden hatte. Zu gerne hätte er gesehen, wie schlimm es war, aber sein Magen war flau genug – es würde warten müssen. Nachdem die Wunde wieder verbunden war, half Anju Fionnlagh sich ein wenig aufzurichten und Kopf und Schultern gegen eine zusammengerollte Decke zu lehnen. Nicht mehr ganz flach zu liegen, gab Fionnlagh ein wenig Kontrolle zurück und als er unwillkürlich seufzte, lächelte Anju wissend.

Der Andere streckte sich in einer fließenden Bewegung, um einen Wasserschlauch und ein kleines Röhrchen in das Licht der Flammen zu halten.

„Das hier ist ein Hexertrank“, erklärte er. „Man nennt ihn Schwalbe. Er enthält Extrakte aus Kräutern, die die Wundheilung um ein Vielfaches beschleunigen. Für einfache Menschen sind Hexertränke normalerweise hoch toxisch. Bedenkt man aber, wie tief deine Wunden sind, könnte es das einzige sein, dass dir hilft zu überleben. Du scheinst willensstark zu sein und das sind gute Voraussetzungen.“

Fionnlagh zog die Brauen zusammen und schürzte die Lippen, dann griff er nach dem Röhrchen, dass Anju noch immer offerierte. Die enthaltene Flüssigkeit hatte die Konsistenz von Honig und war rot gefärbt, nicht gerade ein Umstand, der Fionnlagh ruhiger machte. Dennoch gab es in ihm etwas, dass Anju vertraute. Es war vollkommen irrational und passte überhaupt nicht zu ihm. Aber es war unmöglich, sich zu entziehen.

Schicksal, wisperte Áeds Stimme in seinen Gedanken und Fionnlagh tat sein Bestes, sie zu ignorieren.

„Du willst mich also vergiften“, kommentierte er, weit ruhiger, als es für einen gesunden Menschenverstand gut war. „Was ist da drin?“

„Willst du das wirklich wissen?“ Anju hob eine Braue. Nein, eigentlich wollte Fionnlagh es nicht wissen, wenn er ehrlich war, aber er musste. Um das Risiko einzuschätzen. Seine Beweggründe zu erklären, war allerdings allerdings unötig. Anju sprach weiter, während er sich nach hinten sinken ließ, um seinen Arm auf dem angewinkelten Knie abzulegen. „Ein großer Anteil ist Zwergenschnaps, gemischt mit Schöllkraut und dem Gehirn von einem Ertrunkenen.“

„Du willst mich wohl verarschen“, murmelte Fionnlagh. Schnaps, das klang schon widerlich genug. Er trank keinen Alkohol, obwohl er andere Jäger kannte, die ohne ihren guten J.D. nicht normal funktionierten. All die Grausamkeiten, die er in seinem Leben gesehen hatte, ließen sich ohnehin nicht mit Alkohol ertränken und rein waschen würde es seine Hände auch nicht. Schöllkraut wurde zur äußeren Anwendung von Warzen benutzt, war aber giftig, wenn man es in großen Mengen verschluckte. Die Konzentration in dem Röhrchen war demnach vielleicht nicht allzu hoch. Aber das Gehirn eines Ertrunkenen? Ernsthaft jetzt?

„Es ist ein Monster, wenn es dich beruhigt.“

Fionnlagh sah irritiert von dem Röhrchen in seiner Hand auf und zu Anju, der ihn die ganze Zeit stumm beobachtet hatte.

„Das Hirn des Wesens“, stellte der Hexer klar. „Wir nennen sie Ertrunkene. Ein Ertrunkener war menschlich, bevor er im Wasser ums Leben kam, oder seine Leiche nach dem Tod in tiefe Gewässer geworfen wurde. Auf diese Art und Weise verwandeln sie sich in rachsüchtige Kreaturen, die vor allem eines im Sinn haben: Fressen, fressen und fressen.“

„Tut mir ja leid, aber es beruhigt mich nicht. Wie viel muss ich davon trinken?“

Er entkorkte das Röhrchen, schnupperte daran. Es roch widerwärtig nach Schlamm, Fisch und etwas, dass er wirklich nicht genauer identifizieren wollte.

„Die Hälfte und verdünne es mit Wasser.“ Anju gab ihm einen Becher, der so schwer war, dass Fionnlagh ihn als Wurfgeschoss benutzen könnte. Er spekulierte vielleicht nur, aber wahrscheinlich waren die goldfarbenen Elemente aus echten Gold. „Es sollte für deine Größe und Muskelmasse ausreichend sein.“

Der Trank schmeckte noch schlimmer als er roch. Fionnlagh hatte ihn in einem Zug herunter geschluckt und würgte nun einige Male, bevor er hustete und den Arm vor den Mund hielt. Der Laut, der ihm entfloh, war wenig würdevoll, aber Fionnlagh hatte gerade genug damit zu kämpfen, dass Gesöff unten zu behalten, als dass er sich darum sorgen könnte. Anju bedachte ihn mit einem milden Lächeln, das wohl Mitgefühl ausdrücken sollte. Fionnlagh konnte fühlen, wie sich sein Magen einige Male schmerzhaft zusammen zog, bevor er akzeptierte, dass die Schwalbe wohl da bleiben würde, wo sie war.

Der Hexer berührte flüchtig seine Stirn, dann seinen Hals, prüfte Temperatur und Pulsschlag. Er überwachte wohl die Reaktionen seines Körpers und nickte letztlich zufrieden. Hinter sich greifend schüttelte er eine zweite Decke aus – besaß Anju Mary Poppins Wundertasche oder was? – und breitete sie über dem Verwundeten aus.

„Du solltest schlafen. Ich werde Wache halten.“

Fionnlagh schämte sich beinahe, dem Befehl nur Minuten später folge zu leisten.
 

~~~~~
 

Sonnenlicht weckte Fionnlagh. Es brannte auf seiner Stirn und seiner Wange, was ihm sagte, dass es um die Mittagszeit sein musste. Außerdem lag er auf einer Lichtung, wie er feststellte, als er blinzelte. Um sich herum hörte er Insekten, Vögel und ein Pferd. Einem ungläubigen Zwinkern, folgte ein zweites, dann streckte Fionnlagh den Kopf nach hinten über und tatsächlich, wenige Meter von ihm entfernt graste ein dunkles Pferd. Es trug einen Sattel, Zaumzeug und Scheuklappen, die so aussahen, wie die aus Ritterfilmen. Die, die wie eine Panzerung über die gesamte Schnauze des Tieres führten. Rechts neben dem Pferd und am Rand der Lichtung konnte Fionnlagh Anju sehen. Der Hexer stand vor einer Gruppe von verbrannten Bäumen, schien diese intensiv zu mustern.

Fionnlagh setzte sich behutsam auf, die Zähne in Erwartung an Schmerzen zusammen gebissen. Er blieb aus – es gab nicht einmal das Ziehen einer heilenden, von Schorf bedeckten Wunde. Verblüfft schob Fionnlagh eine Hand unter sein Oberteil, konnte aber keinen Verband fühlen. Als er den Saum griff und nach oben zog, entdeckte er drei lange, dünne Narben, die das Licht matt reflektierten. Sie führten von seiner rechten Hüfte diagonal hoch zu seinem linken Rippenbogen.

Fuck.

Fuck, fuck, fuck.

Behutsam glitt er mit einem Finger über eine der Narben. Es war ein Wunder, dass er noch lebte. Fionnlaghs Blick wanderte zurück zu dem Hexer. Sein verfluchtes Wunder hatte einen Namen und strich mit einer Hand über die graue Rinde, zerrieb diese zwischen seinen Fingern. Der Trank hatte ihm geholfen und ihn geheilt. Innerhalb von nicht einmal vierundzwanzig Stunden hatte er eine Verletzung überstanden, die ihn für Monate außer Gefecht gesetzt hätte.

Die Lippen aufeinander gepresst schob er den Gedanken über das Wie in die letzte Ecke seines Verstandes. Stattdessen erhob er sich. Keine zwei Meter von ihm entfernt sah er einen Findling, der auf halber Höhe mit dunklen Flecken besprenkelt waren. Getrocknetes Blut. Sein Blut. Mehr davon fand sich auf dem platt gewalzten Boden in der Nähe des großen Steins. Fionnlagh sog harsch die Luft ein, als er darauf starrte. Das hier hätte sein Grab werden können. Er schüttelte den Kopf und gesellte sich zu Anju, damit er nicht doch noch über das Wie zu sinnieren begann.

Nun, wo sie beide standen, erkannte er, dass der andere Mann ein Stück kleiner war und das er eine Rüstung trug. Fionnlagh erinnerte sich an das Gefühl von Leder und Metall und sah diese Materialien im Wams reflektiert. Feine Kettenglieder schützten Bauch und Rücken des Hexers, an den Seiten gingen diese in festes Leder über, dass geschnürt und so zusammengehalten wurde. Über dem Wams trug er einen beidseitigen Schulterschutz, der mit groben Lederschnallen um die Oberarme gehalten wurde. Er bestand aus den gleichen, feinen Ringen wie Bauch- und Rückenpartie. Unter dunklen blauen Handschuhen ragten braune Armschienen hervor. Wie die hohen Stiefel und Handschuhe waren sie aus Leder. Um die Taille trug Anju einen Gürtel, an dem ein Widerhaken, mehrere runde Gebilde und ein Beutel hingen.

Am beeindruckendsten allerdings waren die Schwerter, die der Hexer über dem Rücken trug. Die beiden Griffe waren lang, so dass man die Waffen mit beiden Händen führen konnte und sie waren unterschiedlich gearbeitet. Die Kreuzstange des einen Schwertes – dessen Färbung heller war, als das des anderen – verlief waagerecht, die des anderen war schräg nach unten gerichtet und darüber hinaus wie ein Blitz gezackt. Es gab kunstvolle Verzierungen an beiden Heften, die durch waagerechte Unterbrechungen gegliedert waren und in einem schweren Knauf endeten.

Der andere Mann sah aus, als wäre er ein hochgradig talentierter Cosplayer, aber die Art, mit der er sich in der Rüstung bewegte, sagte Fionnlagh, dass dieser mit dieser Kleidung lebte und arbeitete. Einen langen Moment fing das einzige Schmuckstück des Hexers Fionnlaghs Aufmerksamkeit. An einer silbernen Kette hing der stilisierte Kopf eines Greifvogels. Das massive Schmuckstück würde wohl bequem in seine Handfläche passen. Über dem geöffneten Schnabel und den mit roten Steinen versehenen Augen, gab es mehrere Vertiefungen, die eine Raute direkt über dem Schnabel und zwei zueinander versetzte Rechtecke über den Augen bildeten. Offensichtlich war es mit großer Sorgfalt hergestellt worden – was es wohl bedeutete?

„Anju.“ Der Hexer drehte leicht den Kopf, ein Zeichen, dass er zuhörte. „Du sagtest, dass du aus Kaer Morhan stammst. Wo liegt das?“

„In den nördlichen Königreichen. Sie liegen nicht in dieser Dimension.“ Der Hexer wandte sich ihm zu und ja, seine Augen waren im Sonnenlicht absolut atemberaubend: Ihr Grün ließ sich nicht auf einen einzigen Farbton festlegen und wurde zu den Rändern hin heller, wo es fast so wirkte, als wäre auch Gelb in ihnen enthalten. Seine Pupillen waren zu kaum erkennbaren Schlitzen zusammengezogen. „Vor sieben Nächten fand eine Sphärenkonjunktion statt. Das ist eine kosmische Kollision mehrerer Paralleluniversen. In diesem Fall war es das meine und dieses hier. Der Bies, ich und mein Pferd sind von der Konjunktion erfasst worden.“

„Und diese Sphärenkonjunktion. Hat sie das hier angerichtet?“

Fionnlagh nickte in Richtung der toten Bäume, aber Anju schüttelte den Kopf, dann fasste er an seinen Gürtel und löste eines der runden Gebilde, dass er Fionnlagh reichte. Es war schwer, ein fester Kern, der von Lumpen und Lederbändern umhüllt und gehalten wurde.

„Der Schaden hier stammt von einer Bombe. Man nennt sie Teufelsborist. Sie entlädt bei ihrer Detonation eine Giftgaswolke. Ich habe sie eingesetzt, um das Bies von dir abzulenken und Abstand zu gewinnen.“

Anju tat eine ausholende Bewegung mit der Hand und Fionnlaghs Braue schob sich in die Höhe. Die Stimme des Hexers und seine Züge waren nüchtern und sachlich. Er war extrem gefasst, wenn man bedachte, dass er in einer ihm fremden Welt gelandet war. Fionnlagh musste nicht nachfragen, wie Anju zu seiner Schlussfolgerung gekommen war. Allein ihre Kleidung unterschied sich wie Tag und Nacht, dann kam eine möglicherweise vollkommen gegensätzliche Vegetation hinzu, außerdem ein anderes Klima und andere Waffen. Zur Hölle, wer wusste schon, ob Anjus Welt nicht aussah, wie das Kunstwerk von einem expressionistischen Künstler, der Felsen in knalligen Orange darstellte.

Wäre Fionnlagh in einer anderen Welt aufgewacht – ein Gedanke, der gar nicht so schwer zu greifen war, wie er befürchtet hatte, denn immerhin gab es ja auch Himmel, Hölle und Fegefeuer, wenn man den Gerüchten glauben schenken durfte – dann würde er sich zugestehen, ein kleines bisschen auszuflippen. Und das auch zu zeigen. Er war kein Fan davon, Munition zu verschleudern, aber mit den bloßen Fäusten oder einer Axt konnte man ordentlichen Schaden an Bäumen und Sträuchern hinterlassen. Fionnlagh hätte es definitiv gebraucht. Er klackte leise mit der Zunge, strich sich dann das Haar mit beiden Händen nach hinten.

„Du bist ziemlich, uh, ruhig“, sagte er und wies mit einer Hand in die generelle Richtung des Hexers. „Ich meine dafür, dass du hier unfreiwillig gelandet bist.“

„Die Emotionen von Hexern sind gedämpft“, erwiderte Anju, fast mechanisch, als hätte er genau diesen Umstand schon Hunderte von Malen erklärt. „Es erlaubt uns, unsere Arbeit besser und effektiver als andere zu verrichten.“

„Und diese Arbeit besteht darin, Monster zu besiegen?“

„Exakt.“ Die grünen Augen fanden die seinen. „Du jagst ebenfalls, oder nicht?“

„Nicht, dass es mir jemand danken würde“, murmelte Fionnlagh für sich, dann studierte er die abgebrannten Bäume und die ebenso verbrannte Erde um diese. Ein perfekter Kreis von etwas vier Metern Durchmesser war das einzige, dass von dem grellen Licht übrig geblieben war, dass Fionnlagh für den Weg ins Jenseits gehalten hatte. Eine Bombe, die eine Giftgaswolke auslöste. Er schnaubte leise. Wie gut, dass das Geschäft mit dem Unmöglichen sein täglich Brot war. Man lernte doch wirklich nie aus.

„Diese Konjunktion, von der du gesprochen hast. Kannst du sie noch einmal erzeugen, um zurück zu gehen?“

Anju schüttelte den Kopf und Fionnlagh sah, dass ein Muskel in dessen Kiefer hervor trat. Er war angespannt.

„Sie sind sehr selten, sehr spontan und nicht zu kontrollieren. Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass die Wesen, die bei der letzten Kollision in den Königreichen gestrandet sind, jemals wieder zurückkehren konnten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass ich nun das gleiche Schicksal teile.“

Fuck.

Allein in einer fremden Welt. So jemanden konnte Fionnlagh nicht sich selbst überlassen. Er presste die Lippen zusammen und ignorierte das wiederkehrende Gefühl des sofortigen Vertrauens, das in seiner Brust pulsierte und das ihn physisch näher zu dem Hexer bringen wollte. Eine Hand auf dessen Schulter, oder um dessen Oberarm, ein Zeichen, dass er Anju nicht im Stich lassen würde.

Jesus Christ, was mache ich denn hier?

Ich muss verrückt sein.

Fionnlagh verschränkte die Arme vor der Brust und studierte Anju, der seinerseits geradeaus starrte. Es war nicht zu erkennen, was der Hexer als nächstes plante. Sich hier im Wald verbergen? Vielleicht eine Hütte bauen? Versuchen sich anzupassen? Würde er stehlen? Andere Menschen verletzen, wenn sie ihn bedrängten?

Das konnte Fionnlagh nicht riskieren.

Er tat einen langen, tiefen Atemzug, von dem er die Luft langsam entweichen ließ, was quasi seine Bedenkzeit einer Entscheidung darstellte, die er schon getroffen hatte. Es würde unverantwortlich sein, ein Wesen wie den Hexer auf seine Welt los zulassen, argumentierte er gedanklich mit sich selbst.

Nein, Anju war am besten bei ihm aufgehoben. Fionnlagh würde ihn anleiten und führen können. Der andere Mann wusste bereits, wie man jagte und war mit Monstern vertraut. Das machte es einfach, ihn auch als Jäger auszugeben. Er würde einen Ausweis brauchen und andere Kleidung und eine Sonnenbrille, um diese krassen Augen zu verbergen.

Fionnlagh richtete sich zu seiner vollen Größe auf, zog die Schultern zurück und nickte einmal, kurz und entschlossen.

„Anju. Du kommst mit mir.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  yamimaru
2018-10-14T12:55:02+00:00 14.10.2018 14:55
Hallo Arani,

so, jetzt hab ich mir dein Kapitel hier durchgelesen und muss sagen, das hat sich wirklich sehr schön gelesen. ^^
Ich bin jetzt was den Witcher oder Supernatural angeht absolut nicht bewandert und dennoch konnte ich der Handlung ohne Weiteres folgen.
Ich hab mal wieder gemerkt, dass du wirklich ein Talent hast Umgebungen oder das Aussehen/ die Kleidung deiner Charaktere zu beschreiben. Nicht zu viel, dass es in Langatmigkeit ausartet, aber genug, um sich alles sehr gut vorstellen zu können.
Die aktionreiche Verfolgungsjagt hat mich absolut in den Bann geschlagen und auch Fionnlaghs Gedanken in dem Moment, als ihn das Monster erwischt hat, waren sehr gut dargestellt und nachvollziehbar.
Ich fand es sehr interessant, dass er quasi im Übergang von leben zu Tod die Stimme seines verstorbenen Menthors gehört hat und auch später am Lagerfeuer noch einmal. Was das wohl zu bedeuten hatte?
Anju ist aber auch ein äußerst interessanter Charakter, sowohl von seinem Äußeren her, als auch von seinem Wesen.

An dieser Stelle muss ich mal neugierig nachfragen.
Wird das hier so etwas, wie eine Serie, sprich Anju und Fionnlagh haben quasi immer so eine Art Monster of the week gegen das sie kämpfen und was der Hauptteil des Kapitels sein wird, aber im weiteren Verlauf lernt man immer mehr über sie und ihre Hintergründe?
Oder wird das hier eine komplett lose Sammlung von Oneshots mit unterschiedlichen Charakteren?

Ich muss nämlich ehrlich sagen, dass ich gerne mehr über Fionnlagh Anju erfahren würde und auch über Emris, den r Fionnlagh anfangs sehr oft erwähnt und mit dem er telefoniert.

Ich bin definitiv gespannt darauf, wie es hier weitergehen wird. ^^

Alles liebe
yamimaru



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