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Land unserer Väter

Magister Magicae 1
von

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Reisender

[Verona, Italien]
 

„Hey, ich bin wieder zu Hause.“

„Hi ...“, murmelte Francesca betrübt.

„Na, das nenne ich mal eine herzliche Begrüßung“, scherzte ihr Mann. Er hängte seine Jacke weg, kam mit ins Wohnzimmer und pflanzte sich auf das Sofa. „Was ist los? War der Termin beim Kinder-Doc so schlimm? Wo ist der kleine Wanst überhaupt?“, wollte er schelmisch grinsend wissen, um sie etwas aufzuheitern.

„Urnue und Antreo spielen unten Fußball.“

„Und? Hat es schon Ergebnisse abgeworfen? Einen Verdacht wenigstens?“

Francesca schüttelte den Kopf. „Der Psychologe meint, Urnue ist nach erster Einschätzung völlig normal und es wäre alles in Ordnung mit ihm.“

„Das klingt doch schonmal toll.“

„Ja. Aber wir müssen rausfinden, warum er so zwanghaft in den Norden will.“

Der Vater ließ stöhnend den Kopf in den Nacken fallen. „Der und sein blöder Norden.“

„Das Problem ist nicht Urnue. Das Problem ist der Norden. Irgendwas muss dort oben sein, Giovann. Urnue scheint eine sensiblere Wahrnehmung für irgendwas zu haben, was wir nicht spüren.“

„Du meinst wie ein Zugvogel, der sich am Magnetfeld orientiert?“, wollte der etwas kurz geratene, pummelige Mann mit den zurückgekämmten Haaren wissen. Begeistert klang er nicht gerade.

„Wir müssen jedenfalls rausfinden, warum er so versessen darauf ist.“

„Was willst du denn tun? Ihn einfach gehen lassen?“

Francescas Miene wurde noch eine Spur betrübter. Sie konnte sich jetzt schon denken, wie wahnwitzig ihr Vorschlag klingen musste. „So ähnlich. Urnue wird doch demnächst 6. Ich habe zwar noch ein paar Zweifel, ob es das Richtige ist, aber lass uns ihm zu seinem 6. Geburtstag eine Reise schenken, ja? Rauf in den Norden. Dann hat er seinen Willen und wir werden sehen, was passiert. Anders lösen wir dieses Rätsel nie. Er wird uns sonst bis in alle Ewigkeit immer wieder weglaufen. Und irgendwann werden wir es nicht mehr schaffen, ihn aufzuhalten.“

„Du weißt, daß ich hier nicht weg kann. Nichtmal für eine Woche. Und ins Ausland schon gar nicht“, gab Giovann zu bedenken. „Ich habe wichtige Kunden zu betreuen. Mein Terminkalender ist voll bis ins nächste Jahr.“

„Ja, ich weiß. Ich würde ja auch allein mit ihm losfahren, das ist kein Thema.“

„Hast du denn eine Ahnung, wo es überhaupt hingehen soll?“

Francesca deutete ein Kopfschütteln an. „Wir haben eine Landkarte genommen und von Verona aus einen Strich in die Himmelsrichtung gezogen, die Urnue uns gezeigt hat. Das kann spannend werden. Die Route geht durch die Schweiz, einen Zipfel von Deutschland, durch Frankreich, Belgien, England, Nordirland ... vielleicht sogar bis Island oder sogar Grönland rauf, wenn ich Pech habe. Je nach dem, wie weit in den Norden er will.“

Ihr Mann blies überrumpelt die Wangen auf. „Das wird hart.“

„Ja. Und um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, daß wir in 2 Wochen wieder da sind. Außer wir bleiben schon in der Schweiz hängen.“

„Vielleicht sollten wir mal einen Hellseher fragen.“

„Dazu müssten wir ja erstmal wissen, wonach wir überhaupt suchen. Wir können nicht hingehen und sagen 'Guck doch mal, ob im Norden irgendwas ist!'. Ein paar hilfreichere Angaben wird der schon brauchen. Aber was mir viel mehr Kopfzerbrechen macht, ist, ob ich dich wirklich so lange mit Marilsa und Antreo alleine lassen soll. DAS würde hart werden. Für dich, meine ich.“

Ihr sonst eher fröhlicher Mann ließ den Blick nachdenklich nach unten sinken und überdachte das. „Möglich. Aber nicht so hart wie ein Jugendamt, das uns alle drei Kinder wegnimmt, weil unser 5-Jähriger ständig irgendwo herrenlos von der Polizei aufgegabelt wird und wir angeblich unserer Fürsorgepflicht nicht nachkommen“, entschied er. „Du hast Recht. Grundsätzlich ist das nicht die schlechteste Idee. Ich finde, du solltest gehen.“

„Meinst du?“

„Ja.“ Er legte ihr bestärkend einen Arm um die Schultern.

„Und du schaffst das auch wirklich?“

„Hey, ich bin nicht so unbeholfen wie du denkst!“, meinte ihr Mann gespielt beleidigt. „Und außerdem sind deine Eltern und meine Eltern ja auch noch da. Im Zweifelsfall teile ich die Gören auf sie auf, wenn sie nicht hören.“

Im Kinderzimmer wurden quiekende Rufe laut. Marilsa, ihre 2-Jährige, war also aus dem Nachmittagsschlaf erwacht und verlangte Aufmerksamkeit. Francesca quälte sich antriebslos vom Sofa hoch. So richtig überzeugt war sie noch nicht von ihrem Vorhaben und sicher würde das nicht das letzte Gespräch zum Thema gewesen sein, aber die Zustimmung ihres Mannes machte ihr zumindest etwas Mut.

„Schatz?“, rief Giovann ihr nach, bevor sie im Kinderzimmer verschwand. „Unter einer Bedingung!“

„Ja?“

„Ich will aus jedem Land, durch das du kommst, Ansichtskarten haben!“

Nun konnte sie ein Lächeln doch nicht mehr verhindern. Wenn das seine einzige Sorge war, dann war ja alles gut.
 

Vier Wochen später stieg Francesca auf einem Parkplatz in Frankreich aus dem Auto aus um sich die Beine zu vertreten. Es war jetzt der zweite Tag, an dem sie fast nonstop durchgefahren waren, nur unterbrochen, um zu essen oder zu schlafen. Das Benzin war hier ganz schön teuer, und sowas wie Maut oder Vignetten waren ein Kostenfaktor, den sie vorher nicht bedacht hatte. Sie hoffte, die Ersparnisse, die sie für diese Reise zusammengerafft hatte, würden überhaupt reichen.

Urnue stieg ebenfalls aus und ließ den Blick in die Ferne schweifen. Immer nur nach vorn. Er schaute nie zurück. Francesca spürte, daß er ungeduldig war und am liebsten sofort weitergefahren wäre. Aber er war verständig genug, um einzusehen, daß seine Mutter vom Autofahren Pausen brauchte. Darum lächelte er nur und sagte nichts. Ihm war trotz seines jungen Alters bewusst, was für einen Aufwand es seinen Eltern machte, ihm so eine Reise zu ermöglichen, und wie viel guter Willen da mit drin steckte.

„Und? Wie sieht es aus?“, wollte seine Mutter wissen.

„Es wird stärker.“

„Was wird stärker?“

„Dieses Gefühl. Das Wissen, wo ich hin muss.“

„Es ist dir immer noch nicht weit genug im Norden, was?“, hakte sie etwas resigniert nach. Sie hatte wirklich gehofft, daß er langsam sagen würde, daß es reichte.

Aber Urnue schüttelte den Kopf. „Ich möchte weiter.“

„Ja, schon gut. Aber heute nicht mehr, Kind. Ich bin fix und fertig. Wir suchen uns eine hübsche Pension und übernachten hier, einverstanden?“
 

„Hey, Liebling. Schön, daß du anrufst. Wo seid ihr inzwischen?“, wollte ihr Mann fröhlich wissen, als Francesca ihn an diesem Abend vom Hotel aus anrief.

„Wir sind kurz vor Calais“, gab sie müde Auskunft.

„Himmel, da seid ihr aber schon weit gefahren. Und? Wie stehen die Dinge?“

„Urnue möchte weiter. Ich schätze, wir müssen mit der Fähre nach England rüber, und dann ... keine Ahnung ... mal schauen.“

„Du klingst frustriert. Ist alles in Ordnung?“

„Ich weiß nicht“, seufzte Francesca. „Langsam glaube ich, es war ein Fehler.“

„Hat sich denn noch gar nichts getan?“

„Doch, schon. Urnue sagte, dieses was-auch-immer-er-da-spürt würde stärker werden. Sieht so aus, als kämen wir unserem Ziel langsam näher.“

„Das heißt also, es GIBT ein Ziel. Das ist doch schon mehr als wir vorher wussten.“

„Aber ich habe Angst, was wir dort finden werden. Oder wo wir etwas finden werden. Die Reise war bis jetzt schon viel teurer als ich gehofft habe.“

„Ist dir das Geld ausgegangen?“, wollte Giovann D´Agou alarmiert wissen.

„Nein. Noch nicht. Aber ich muss ja jetzt schon daran denken, daß wir die ganze Strecke auch irgendwann wieder zurück müssen. Ich schätze, wenn wir nach der Hälfte des Geldes unser Ziel noch nicht gefunden haben, könnten wir Probleme kriegen, wieder nach Hause zu kommen. ... Aber ich kann ja zu Urnue jetzt nicht mehr sagen, daß wir umkehren. Dazu ist es jetzt zu spät.“

„Mach dir darum noch keine Sorgen. Konzentriert euch nur darauf, weshalb ihr unterwegs seid. ... Ist Urnue noch wach? Oder hast du ihn schon ins Bett gesteckt?“

„Nein, er ist noch munter“, meinte Francesca mit einem Lächeln in der Stimme.

„Dann gib ihn mir mal ans Telefon. Ich will die Stimme von meinem Sohn auch mal hören, und fragen wie es ihm geht!“

„Da musst du dich noch einen Moment gedulden. Er steht gerade unter der Dusche. Aber wenn er wieder rauskommt, geb ich ihn dir. Erzähl doch mal, was Antreo und Marilsa bei dir zu Hause machen! ... Obwohl, sag nichts! Ich höre es schon“, schmunzelte sie. Sie hörte das Geplärre und Gestreite der beiden ja schon die ganze Zeit durch den Hörer. Vom Lärmpegel her klang es, als würde Antreo seiner kleinen Schwester an den Haaren ziehen und sie ihn dafür mit der Sandschippe verhauen.

„Jaaa~“, seufzte der gemütliche Wiesel-Genius, den sonst nur wenig aus der Ruhe brachte, einsichtig. „Ich gebe zu, alleine mit den beiden Plagen ist es doch nicht so leicht wie ich vorher dachte. Marilsa vermisst ihre Mama, das merkt man.“



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