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Land unserer Väter

Magister Magicae 1
von

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Verbündeter

[Moskau, Russland]
 

„Pipp, lauf nicht so weit weg!“, rief Inessa dem weiß-braunen Hündchen hinterher, mit dem sie gerade Gassi ging. Frau Beloussov, die in der Kollektivwohnung, in der auch Mischkas Familie lebte, immer noch ein Zimmer mietete, war inzwischen überhaupt nicht mehr gut zu Fuß. Sie konnte ihren kleinen Pinscher nicht mehr über längere Strecken Gassi führen. Deshalb hatte es sich schon länger eingebürgert, dass Mischka und Inessa das Tierchen am Wochenende mitnahmen und lange Spaziergänge machten, während Frau Beloussov unter der Woche nur kleine Runden ums Haus drehen konnte.

Inessa lief weit voraus und spielte mit dem Hündchen, während Mischka eher mussmutig hinterdrein trottete. Er hasste diese lästigen Pflichtspaziergänge inzwischen, die er jedes Wochenende aufgehalst bekam.

„Wieso redest du eigentlich kein Wort mehr mit deiner Schwester?“, wollte Waleri nachdenklich wissen, der mit in den Hosentaschen vergrabenen Händen neben dem Jungen her spazierte.

„Weil sie doof ist!“, entgegnete Mischka trotzig.

„Quatsch. Sie ist ein gutes Mädchen. Aber euer Verhältnis ist irgendwie sehr angespannt. Du bist eifersüchtig, weil eure Eltern sie scheinbar mehr mögen, oder?“

„Ich? Nein. SIE ist eifersüchtig!“ Er warf Inessa einen düsteren Blick hinterher. „Früher waren wir ein Herz und eine Seele. Aber seit du da bist, hat sie sich irgendwie verändert. Ich schätze, sie will auch einen eigenen Schutzgeist haben, der nur für sie da ist.“

„Ach was. Sie mag mich doch nichtmal.“

„In den ersten zwei, drei Wochen schon. Aber du hast sie ja abblitzen lassen“, grinste Mischka schief. „Sie hat es mir nie so richtig verziehen, dass ich dich habe. Deshalb genießt sie es auch um so mehr, dass unsere Eltern sie so mit ihrer Liebe überschütten. Ich habe deine volle Aufmerksamkeit, sie hat die volle Aufmerksamkeit unserer Eltern. Ich schätze, das ist für sie ausgleichende Gerechtigkeit.“

„Du solltest versuchen, wieder besser mit ihr auszukommen“, fand Waleri trotzdem. „Es ist schade, wenn eine Familie sich selbst so zerrüttet. Es ist schon schlimm genug, dass deine Eltern dich so abschieben. Wenigstens ihr Geschwister solltet zusammenhalten. Meinst du nicht? Eigentlich liebst du deine Schwester doch. Es gab Zeiten, da hast du dich auf dem Schulhof geprügelt, wenn ihr jemand zu nahe kam.“

Mischka kicherte säuerlich. „Inessa!“, rief er seiner Schwester hinterher, als wolle er das sofort ausprobieren und Waleri vom Gegenteil überzeugen.

Sie hob den Ast auf, den sie schon mehrmals für Pipp geworfen hatte, und kam mit fragendem Blick zu ihm zurück.

„Inessa, es ist doch bald dieser Ball an unserer Schule“, hob er an. „Willst du mit mir zusammen da hingehen?“

Seine Schwester zog ein skeptisches bis ablehnendes Gesicht. „Geh doch mit deinem Genius!“, trug sie ihm auf, als stünde dieser gar nicht daneben.

„Waleri werde ich so oder so mitnehmen müssen. Aber mit dem kann ich ja nicht tanzen. Wie soll das denn aussehen?“

„Ich werde erst recht nicht mit meinem Bruder tanzen! Wie soll DAS denn erst aussehen!? Als ob ich´s nötig hätte!“

„Schämst du dich etwa, dich mit mir zu zeigen?“

„Du bist ein Troll, der einen Haufen Muskeln aber nichts im Hirn hat! Statt dir viermal die Woche im Box-Club die Visage polieren zu lassen, solltest du lieber mal für die Schule lernen! Du wirst deinem Genius immer ähnlicher! Nein, danke, ich hab genug andere Jungs, die mich auf den Ball begleiten würden!“ Mit dieser schnippischen Bemerkung rauschte Inessa wieder davon und spielte weiter mit Frau Beloussovs Wuschelhund.

„Da hast du´s“, kommentierte Mischka erstaunlich gelassen in Waleris Richtung, als hätte er schon vorher geahnt, in welche Richtung sich dieses Gespräch mit seiner Schwester entwickeln würde.

Auch der Schutzgeist ließ sich die offene Beleidigung seiner Person nicht anmerken. „Weiß Sie überhaupt, dass deine Noten langsam wieder besser werden, seit wir über deine Berufswahl gesprochen haben?“

„Ich sag doch, sie ist doof.“ Sie gingen langsam weiter und schwiegen sich gegenseitig an, während seine Schwester mit dem Hund voraustobte. Mischka beschloss, mal Jelena aus der Parallelklasse zu fragen. Er glaubte, dass die für den Schulball auch noch niemanden als Begleitung hatte.
 

Am nächsten Nachmittag stand Waleri mit Yarupolk im Ring und boxte. Für ihn war Yarupolk einer der wenigen brauchbaren Gegner hier. Die meisten anderen Sportler in diesem Box-Club hatten Waleris Schlagkraft nichts entgegenzusetzen. Sie waren halt „nur“ Menschen und entsprechend zerbrechlich. Yarupolk als Bergtroll war mit der einzige, der auf Waleris Level rangierte. Auch er war ein lebender Panzer, mit einem Schädel wie einer Abrissbirne und mit Fäusten, die zu nichts anderem da waren als Gegner zu Brei zu hauen. In seiner menschlichen Gestalt trug er einen kurzen, blonden Pferdeschwanz über einem beidseitigen Undercut. Sein Gesicht war breit und kantig und so unsympathisch wie die Gesichter aller Schlägertypen. Seine kleinen Schweinsaugen machten es nicht besser. Aber als Boxer war er ein feiner, fair kämpfender Kerl. Der End-Dreißiger sah durch seine kompakte Statur erstmal gar nicht so groß aus wie er war. Aber spätestens, wenn man seine Klodeckel von Händen abbekam, wurde man sich seiner Größe schon bewusst. Wenn er in den Ring kletterte, stieg er grundsätzlich über das oberste Ringseil.

„Waleri“, schnaufte Yarupolk und tauchte unter einem Schlag weg. „Kannst du mir einen Gefallen tun?“

„Was denn?“

„Ich erwarte nächste Woche eine gewisse Lieferung, die ich für ein paar Tage irgendwo zwischenlagern müsste.“

„Was für eine Lieferung?“, hakte Waleri nach und hob sich beide Boxhandschuhe vor das Gesicht, um einen Schlag abzufangen.

„Na eine Lieferung eben. Du verstehst schon.“ Yarupolk ließ noch ein paar Schläge folgen, durchbrach die Deckung aber nicht.

Waleri wurde klar, dass es hier wohl kaum um legale Waren ging. Dagegen hatte er aber nichts. Im Keller von Mischkas Eltern war Platz. Sie nutzten den Keller so gut wie nie. Er musste den Bogatyrjows ja nichts davon erzählen. „Du kennst also so gewisse ... naja ... Leute?“, fragte Waleri direkt nach. Da sie im Ring gerade ungestört waren, alle anderen Sportler mit sich selbst beschäftigt waren und kein Trainer weit und breit zu sehen war, konnten sie ganz offen reden. Niemand hörte ihnen zu.

Yarupolk griente dümmlich und verpasste Waleri einen Leberhaken. „An welche Leute denkst du so?“

„An Verkäufer.“ Waleri schlug fest in das Grinsen mit den buschigen, blonden Augenbrauen, erzielte aber keine sichtbare Wirkung.

Yarupolk revanchierte sich mit einem Kinnhaken. „Was brauchst du? Doping? Drogen? Waffen? Informationen? Geld?“

„An das alles kommst du ran?“ Er ließ überrascht seine Deckung leicht sinken.

Der Bergtroll trieb Waleri mit einer ganzen Schlagserie rückwärts in die Ringseile, so dass er nur noch schützend die Arme um den Kopf schlingen konnte. Allerdings war das mehr Waleris Verwunderung als seiner kämpferischen Unterlegenheit geschuldet. „Schon möglich. Kommt drauf an, was du haben willst. Und wieviel. Und wie schnell“, meinte Yarupolk dann gleichmütig, als würden sie hier nur über den Verkauf eines Tüte Tomaten auf dem Wochenmarkt reden. Er trat zurück und entließ Waleri wieder aus den Seilen, in denen er lehnte.

„Ich dachte an eine Schusswaffe. Nichts besonderes. Meinetwegen ein stupider 6-Kammer-Revolver, das würde mir völlig reichen.“

„Hast du was damit vor?“

„Nein.“ Waleri verpasste seinem Gegner eine Links-Rechts-Kombination. „Ich will mich nur gern verteidigen können, falls mal was ist. Als Schutzgeist eines Magiers gerate ich das eine oder andere Mal in Konfrontationen. Und dabei treffe ich auch immer mal wieder auf Gegner, die man nicht einfach K.O. boxen kann.“ Er zog den Kopf zurück, um einem Schwinger auszuweichen. „Ich hätte gern eine Waffe, um mich besser zu fühlen.“

Yarupolk nickte bedächtig. „Ich nehme nicht an, dass du einen legalen Waffenschein hast, wenn du mich schon so fragst. Dann muss also eine Waffe her, die nicht zurückverfolgt werden kann. ... Ich schau mal, was ich machen kann“, entschied er und stempelte Waleri eine gerade Linke ins Gesicht.

Waleri ging sofort rückwärts auf die Bretter und blieb liegen. „Woar, Sauhund!“, fluchte er gedämpft zwischen seinen beiden Boxhandschuhen hindurch, mit denen er sich die Nase hielt, und wand sich am Boden. „Ich hasse es, wenn du das tust! Wieso ist deine Linke so scheiße schnell!?“

„Tja, immer gut aufpassen, tawarisch“, belehrte Yarupolk ihn freundschaftlich und hielt ihm helfend eine Hand hin. „Komm wieder hoch!“

Der Trainer tauchte mit fragendem Blick am Ring auf. „Ist alles gut bei euch?“ Auch wenn Vladimir diese beiden Kolosse noch nie lange am Boden hatte liegen bleiben sehen, sorgte er sich doch pflichtgemäß um das Wohl seiner Sportler.

„Ja-ja, alles bestens“, versicherte Waleri, während er sich von seinem Trainingspartner wieder auf die Beine ziehen ließ. Da sie beide klobige Boxhandschuhe an den Händen hatten, gestaltete sich das nicht so einfach.

„Hab ich euch nicht gesagt, ihr sollt wenigstens Zahnschienen tragen, wenn euch schon die Helmpflicht nicht interessiert?“, maulte Vladimir die zwei Boxer voll.

Sie warteten wortlos, bis der Trainer seine Schimpftriade losgeworden war und wieder verschwand. „Also, was ist?“, hob Yarupolk dann von Neuem an und nahm wieder Kampfhaltung ein. „Kommen wir ins Geschäft?“



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