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Zeitlose Augenblicke

Yami/Yuugi/Anzu
von

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Der Mut nach vorne zu sehen

„Lass uns etwas essen gehen!“, kam es begeistert von Anzu und der Pharao sah erneut auf.
 

„Was denn?“, wollte er wissen und legte den Kopf schief.
 

„Yuugi mag Hamburger. Bist du auch so versessen auf Fast Food?“, fragte sie und legte ihren Kopf schief. Der Pharao fand es irgendwie süß, wie ihr Zopf sich nun über ihre Schulter legte.
 

„Absolut nicht“, kam es todernst von ihm.
 

„Was magst du denn? Magst du Japanische Küche?“
 

„Keine Ahnung. Die meiste Zeit befinde ich mich in meinem Seelenraum“, antwortete er wahrheitsgemäß und zuckte wenig begeistert mit den Achseln.
 

„Das heißt, du kennst so gut wie gar keine Gerichte. Komm, dann lass uns Ramen essen gehen. Ich liebe Ramen!“
 

„Was ist Ramen?“, fragte er und warf ihr einen skeptischen Blick zu.
 

„Das wirst du schon noch sehen!“, lachte sie und griff nach seiner Hand, zog ihn quer durch die Fußgängerzone und lief auf ein kleines Lokal zu. Sie blieb breit grinsend davor stehen und stemmte ihre Hände in die Hüften. Stolz verkündete sie, dass das ihr Lieblingsrestaurant wäre, weil es hier die leckersten Ramen in ganz Japan gäbe. Der Pharao erwischte sich selbst dabei, sie als niedlich zu betiteln, weil sie sich über so eine Kleinigkeit so sehr freute. Wegweisend zeigte sie mit dem Zeigefinger auf das Lokal, drehte sich elegant um ihre eigene Achse und sah den Pharao nun mit strahlenden Augen an.
 

„Ich bin mir sicher, dass es dir genauso gut schmecken wird, wie mir!“
 

„Ha, sei dir da mal nicht so sicher“, meinte er und grinste herausfordernd.
 

„Ich wette, dass es dir gut schmecken wird.“
 

„Worauf wettest du?“, wollte er wissen und verschränkte die Arme. Diese Herausforderung nahm er gerne an.
 

„Wenn es dir schmeckt, wirst du endlich aufhören, immer nur deprimiert auf den Boden zu sehen und fängst endlich wieder an, nach vorne zu blicken“, sagte sie dann und wurde immer leiser. Ihre Wangen nahmen einen anderen, viel intensiveren Farbton an und nervös wanderte ihr Blick umher. Der Pharao wusste nicht, wie er reagieren sollte. War er so leicht zu durchschauen? Hatte er ihr etwa Sorgen bereitet? Auch in einem Duell wäre es nicht gerade vorteilhaft, seine wahren Gefühle so durchsickern zu lassen. Verdammt. Er war doch kein Amateur! Wie konnte er nur zulassen, dass sie sich so sehr sorgte? Ging es Yuugi ähnlich? War er auch so besorgt um ihn gewesen? Dabei wollte er doch der Fels in der Brandung für die beiden sein und stets jemand, zu dem man hoch sah. Dass seine Freunde sich um ihn sorgten und er so offensichtlich seine Karten offenlegte, schockierte ihn selbst. Auf einmal wurde ihm bewusst, wie jämmerlich, nein, erbärmlich, er sich verhalten hatte.
 

Er zog seine Freunde mit seiner schlechten Laune nur unnötig runter und distanzierte sich von ihnen. Es tat ihm schrecklich leid, dass er Anzu nicht die Aufmerksamkeit geschenkt hatte, die sie verdiente. Sie war ein so liebes, heiteres Mädchen und es wäre unverschämt ihre Freundlichkeit mit einer kalten Schulter zu beantworten. So jemand wollte er nicht sein. Er wollte niemand sein, denn man ungern bei sich hatte.
 

„Tut mir leid, Anzu. Ich habe dir Sorgen gemacht. Ich werde ab jetzt nicht mehr deprimiert sein. Such dir einen anderen Wetteinsatz aus.“
 

„Nein, so einfach ist das nicht, Yuugi – eh, ich meinte Pharao.“
 

„Nenn mich ruhig Yuugi. Ich habe keinen eigenen Namen und irgendwie habe ich mich selbst schon daran gewöhnt, so angesprochen zu werden“, sagte er mit einem Zwinkern.
 

„Okay. Wenn man traurig ist, muss man über seine Gefühle sprechen und man muss sich nicht schämen, wenn man mal traurig ist und nicht weiter weiß. Du bist nicht allein. Du hast uns. Yuugi. Jounouchi. Honda. Bakura-kun. Wir alle sind für dich da. Und du kannst dich darauf verlassen, dass du immer zu mir kommen kannst, wenn du jemanden zum Reden brauchst.“
 

„Anzu...“, begann er heiser und nickte dann. „Danke. Ich weiß das wirklich zu schätzen.“
 

„Gut. Vergiss das niemals. Und jetzt zurück zum Einsatz!“, sagte sie und bildete ihre Hände zu Fäuste und nahm eine kämpferische Haltung ein.
 

„Wenn dir das Essen hier schmeckt, musst du nächstes Wochenende nochmal mit mir weggehen!“
 

„Was?!“, fragte er erschrocken und riss die Augen auf.
 

„Im Domino Citycenter macht ein neuer Bekleidungsladen auf und ich würde gerne shoppen gehen“, sagte sie mit einem breiten Grinsen. Jeder Mann wusste, was es bedeutete, wenn eine Frau shoppen gehen wollte und auch der Pharao hatte eine gewisse böse Vorahnung.
 

„Lass mich raten: Ich soll deine Taschen halten und dich beraten.“
 

„In etwa. Ich möchte dir gerne ein paar schicke Accessoires aussuchen. Nichts gegen Yuugis Modegeschmack, aber das ist ja eine Totalkatastrophe“, sagte sie und zog eine Augenbraue hoch.
 

„Das habe ich ihm auch gesagt. Yuugi hat keinen guten Geschmack. Ich weiß nicht, wie er auf die Idee kommt, Gold und Silber zu kombinieren. Mal davon abgesehen, dass es ihm nicht mal gut steht“, sagte er und hörte ein leises „Hey, das habe ich gehört!“ in seinem Hinterkopf, das er einfach ignorierte und stattdessen schelmisch grinste.
 

„Wahrscheinlich hat er sich das für dich ausgesucht. Du warst ein Pharao und da hat er sicher gedacht, dass du gerne Gold magst“, meinte sie lächelnd.
 

„Ich mag es auch... aber seine Kombinationen passen vorne und hinten nicht zusammen.“
 

„Und deshalb will ich nächstes Wochenende mit dir einkaufen gehen. Sollte ich verlieren und das Essen schmeckt dir nicht, darfst du dir auch etwas aussuchen. Okay?“
 

„Egal was?“
 

„Egal was!“, sagte sie mit einem vielsagenden Zwinkern.
 

„Gut, dann lass dich überraschen“, meinte er grinsend und gemeinsam betraten sie endlich das Lokal.
 

Der Laden war ziemlich klein und die Innenausstattung war nichts Besonderes. Die Wände waren grün, verziert mit den Bildern von Bambus und Kirschblüten. Eine ziemlich beruhigende Bildkomposition, wie er fand. Sie setzten sich an einen der freien Tische und Anzu griff sofort nach den Speisekarten, wo sie hin und herblätterte.
 

„Was möchtest du haben?“
 

„Ich nehme dasselbe wie du“, sagte er nur.
 

„Das musst du aber nicht“, kam es kleinlaut von ihr.
 

„Doch, wenn wir nicht dasselbe Gericht haben, macht so eine Wette keinen Sinn. Ich vertraue auf deinen guten Geschmack, Anzu.“
 

Anzu nickte und bestellte zweimal Yakisoba Ramen mit gegrillter Hühnerbrust und Ei. Der Pharao staunte nicht schlecht, als der Kellner ihnen die großen Schüsseln vor die Nase setzte und ihnen die Essstäbchen hinlegte. Zudem hatte Anzu noch zwei Getränke bestellt – grüner Tee mit Vanillearoma. Der heiße Dampf duftete köstlich. Ein bisschen erstaunt über ihre Wahl, da es sich scheinbar nur um ein typisch japanisches Nudelgericht handelte, sah er sie an und fragte sie, ob er ihren kleinen Wettkampf ernst nahm. Die Nudeln sahen braun aus, als hätte man sie längere Zeit in Sojasoße gebraten. Nichts Besonderes.
 

„Du hast gesagt, du vertraust mir. Jetzt gibt es kein Zurück mehr. Das sieht normal aus, aber die Würzung ist der Hammer“, sagte sie und griff nach ihren Essstäbchen.
 

Als er seinen ersten Bissen zu sich nahm, wusste er nicht so recht, was er davon halten sollte. Doch beim zweiten Bissen wusste er ganz genau, dass er Ramen jetzt schon lieber mochte als das, was Yuugi in sich hineinstopfte. Vielleicht lag es daran, dass er älter war als Yuugi (immerhin wusste er ja, dass er ein Geist von vor 3000 Jahren war), dass er mit seinen geliebten Fertiggerichten und dem Fast Food nichts anfangen konnte, aber er war sich sicher, dass richtiges Essen so und nicht anders schmecken musste. Gut gewürzt. Frisches Gemüse. Gut gegrilltes Fleisch und ein Hauch von Marinade mit dem zarten Geschmack von Mandarinen. Die Brünette schien ebenfalls zufrieden.
 

„Ich gebe es ja nur ungern zu“, begann er und sah sie anerkennend an. „Aber du hast mich besiegt. Du hattest Recht, Ramen schmeckt fantastisch. Ich glaube, hier möchte ich Stammgast werden“, scherzte er und nahm einen weiteren Bissen zu sich.
 

„Damit wäre ich wohl die erste, die dich besiegt hat“, grinste sie und zwinkerte erneut.
 

„Glückwunsch, meine Dame, Sie haben den König der Spiele besiegt.“
 

„Und? Bin ich jetzt die Königin der Spiele?“, fragte sie nach und kicherte amüsiert.
 

„Eher weniger. Essen ist ja kein Spiel, oder? Außerdem müsstest du dich dann mit Kaiba herumschlagen, wenn er herausfände, dass du mich geschlagen hast“, kam es ebenso amüsiert zurück.
 

„Stimmt, darauf habe ich nun wirklich keine Lust. Obwohl Kaiba-kun sicher ein netter Kerl ist, wenn man ihn etwa näher kennt.“
 

Der Pharao nickte mit einem sanften Lächeln. Anzu freute sich unheimlich, dass er endlich seine Sorgen hinter sich lassen konnte und heute zum ersten Mal aus tiefstem Herzen lächelte.
 

„Bestimmt sogar. Ich hoffe sehr, dass er seine Niederlage im Battle City überwinden konnte. Er ist auf einem guten Weg.“
 

„Solltet ihr euch noch einmal duellieren, wird er sicher ein anderer Mensch sein. Ich glaube, dass Kaiba-kun eingesehen hat, dass du recht hattest und dass es mehr im Leben gibt, als Sieg oder Niederlage. Ich hoffe einfach, dass er...“, sagte sie, doch dann war ihre Stimme nur noch ein Flüstern. Der Pharao sah sie fragend an. Sie schüttelte den Kopf. Nein, sie durfte das Thema nicht totschweigen. Sie musste es aussprechen. Vor allem, damit der Pharao wieder nach vorne blicken konnte und er wirklich aus tiefstem Herzen wieder lachen konnte! Hier ging es nicht um ihre Gefühle!
 

„Ich hoffe, dass er auch ohne dich klarkommt. Wenn du gehst, wirst du eine riesige Lücke zurücklassen und es wird sicher schwierig für uns, normal weiter zu machen, aber wir alle müssen uns im Klaren sein, dass es irgendwie weiter geht. Dass es weitergehen muss und dass es absolut nichts bringt, Vergangenem hinterherzutrauern.“
 

„Anzu...“, hauchte er und nahm seine Schüssel in die Hand und schaufelte sich die Nudeln in den Mund. Er tat dies, damit sie ihm nicht ins Gesicht sehen konnte. Ganz schön feige, sich hinter einer Schale Nudeln zu verstecken.
 

„Versteh mich nicht falsch... wenn es nach mir ginge, könntest du ruhig für immer bei uns bleiben. Wir wären alle froh, wenn es so bleiben könnte, wie es jetzt ist. Aber ist es das, was du willst?“
 

„Nein...“, antwortete er und stellte die Schüssel weg.
 

„Das ist eine schwierige Entscheidung, vor allem für dich, aber du willst es doch wissen. Oder? Wer du bist? Warum du hier bist? Und was dich noch erwartet? Vollkommen egal, welchen Weg du wählst, wir sind bei dir.“
 

„Ich möchte wissen, wer ich bin. All diese Antworten ersehne ich mir, doch ich...“, flüsterte er und seine Stimme wurde leiser.
 

„Ich habe Angst. Angst, dass diese Antworten das Ende bedeuten. Dass ich dann nicht mehr Teil dieser Welt sein kann oder es vielleicht gar nicht mehr sein möchte. Vielleicht ist mein wahres Ich ganz anders als ich. Vielleicht bin ich dann ein völlig anderer Mensch.“
 

„Selbst wenn du jemand anderes wirst, hast du immer noch uns. Wir sind Freunde. Und Yuugi mag dich so wie du bist! Und mir geht es genauso. Auch wenn du dich verändern solltest, ändert es nichts daran, was wir erlebt haben und was wir füreinander fühlen.“
 

„Und was wäre, wenn ich euch vergessen würde?“, fragte er unsicher nach.
 

„Das wirst du nicht. Wenn du uns vergisst, kannst du dir sicher sein, dass wir dir so lange auf die Nerven gehen werden, bis dir wieder alles einfällt.“
 

Er lachte. Dieses warme Lachen gab Anzu das Gefühl, dass es ihm guttat, einfach über diese Dinge zu reden. Sie meinte ihre Worte ernst. Zur Not würde sie einen Weg finden, ihm zu folgen, nur um ihm einen Schlag auf den Hinterkopf zu verpassen, denn Schläge auf den Hinterkopf erhöhten ja bekanntlich das Denkvermögen. Sie würde niemals zulassen, dass er sie vergaß und genauso wenig wollte sie ihn vergessen. Die Erinnerung an diesen Tag, wie sie im Lokal zusammen Ramen aßen und einfach nur Spaß hatten, würde niemals verblassen. Der Gedanke daran, dass er gehen musste, war schmerzhaft, doch viel schlimmer wäre es, würde er sich nun vollends zurückziehen und den Kontakt vermeiden.
 

„Danke, Anzu. Du und auch dieser Film haben mir die Augen geöffnet.“
 

„Du hast also doch über den Film nachgedacht.“
 

„Ja. Dieser Agent hat mich an mich und meine Situation erinnert.“
 

Es war nur ein Film und trotzdem hatte er das Gefühl gehabt, dass er eine geheime Botschaft an ihn hatte. Hatte Anzu diesen Film absichtlich gewählt? Obwohl dieser Agent wusste, dass er sich nicht emotional an diese Frau binden durfte, hatte er um sie gekämpft und ihr am Ende seine Liebe gestanden. Dabei konnten sie gar nicht zusammen bleiben, weil es für ihn als geheimer Agent zu gefährlich war, eine Freundin zu haben. Aufgrund seines schwierigen Berufes würde er sie selten sehen können oder gar nicht. Seine Gedanken drehten sich wie in einem Karussell und er konnte nicht sagen, ob er genauso oder doch anders handeln würde. Diesem Agenten war es egal, dass die Zeit mit ihr nur begrenzt war. Dabei wäre es doch viel einfacher gewesen, sie zurückzulassen und seinen eigenen Weg zu gehen. Dann hätte er ihr Tränen erspart.
 

„Ich verstehe nicht, warum er mit ihr zusammen sein wollte, obwohl er doch wusste, dass es keinen Sinn macht. Sie werden sich wahrscheinlich nie wieder sehen und er hat ihr grundlos Hoffnungen gemacht.“
 

„Pharao... Hoffnung ist sehr wichtig. Wenn ein Mensch seine Hoffnung verliert und nichts mehr hat, woran er glauben kann, ist er verloren. Er hat sein Versprechen ernst gemeint und wirklich das gefühlt, was er gesagt hat. Er wollte, dass sie weiß, dass ihre Verbindung etwas Besonderes ist, das niemand ihnen nehmen kann. Es geht nicht darum, wie oft man sich sieht, sondern wie oft man aneinander denkt. Ich bin mir sicher, dass er sie niemals vergessen wird.“
 

„So langsam verstehe ich, warum Yuugi unbedingt wollte, dass ich mit dir weggehe.“
 

„Hm?“, fragte sie und wurde rot. Mist. Er wusste davon?
 

Endlich war die Schule zu Ende. Fröhlich packte sie ihre Schulsachen ein und achtete besonders sorgfältig darauf, dass ihre Bücher und Unterlagen nicht zerknickt wurden. Heute Abend würde sie zum Ballettkurs gehen und sie freute sich darauf, sich wieder richtig bewegen zu können und nicht mehr auf diesen unbequemen Stuhl sitzen zu müssen. Sie ging ja gern zur Schule, aber die Stühle und Tische waren alles andere als bequem. Da tat es ihr unheimlich gut, ihre Verspannung beim Tanzen zu lösen. Als sie das Schulgebäude verließ, sah sie Yuugi, der scheinbar am Schultor auf jemanden wartete. Eigenartig. Hatte er nicht schon Schulschluss gehabt? Da sie verschiedene Fächer belegten, kam es häufiger vor, dass sie einen unterschiedlichen Stundenplan hatten und sie nur in den Pausen miteinander Zeit verbrachten. Außerdem war Yuugi in keinem Klub, weshalb sie häufiger getrennt den Weg nach Hause antraten.
 

Anzu hatte ein Zusatzfach gewählt, um somit sicher gehen zu können, dass sie bei Prüfungen gute Noten schrieb. Jeden Freitag blieb sie länger und paukte mit den anderen Schülern Mathematik. Naturwissenschaftliche Fächer gehörten zu ihrer größten Schwäche und sie hatte arge Probleme damit, die Formeln richtig anzuwenden und weil sie im Schulstoff nicht hinterherhinken wollte, blieb sie gerne länger, um ihre Defizite auszubessern.
 

Sie erreichte Yuugi und dieser drehte sich freudig zu ihr herum.
 

„Anzu!“, sprudelte es aus ihm heraus. Er hatte also wirklich auf sie gewartet.
 

„Was gibt es, Yuugi? Hast du etwa auf mich gewartet?“
 

„Ja, ich wollte mit dir reden. Also eigentlich geht es nicht um mich, sondern um ihn.“
 

Anzu errötete und fühlte sich auf merkwürdige Art und Weise ertappt.
 

„Du meinst den Pharao?“, fragte sie nach, obwohl sie beide wussten, wer gemeint war. Irgendwie musste sie ihre Unsicherheit überspielen!
 

„Seit dem Battle City Turnier ist er extrem deprimiert. Jetzt, wo er sich sicher ist, dass er nicht in unsere Zeit gehört, kapselt er sich immer mehr ab. Er sagt mir zwar immer, dass es ihm gut gehe, aber ich glaube, dass er mir einfach nur keine Sorgen machen will. Es gefällt mir nicht, dass er so niedergeschlagen ist. Ich möchte nicht, dass er sich zurückzieht...“
 

„Yuugi...“, hauchte sie besorgt.
 

Sie wusste, dass Yuugi das sagte, weil er selbst sehr lange einsam war und sich nicht getraut hatte, über seine Gefühle zu reden. Er wollte niemanden zur Last fallen und schluckte seinen Frust und seine Ängste einfach runter. Yuugi hatte immer so getan, als ginge es ihm gut. Anzu schämte sich dafür, dass sie selbst nicht hinter seine Fassade blicken konnte und sein falsches Lächeln erst viel zu spät erkannt hatte. Sie hatte fälschlicherweise angenommen, sein Großvater wäre gestorben. Nur deshalb war sie am Nachmittag nach der Schule zu ihm gegangen. Um ihm Trost zu spenden. Der alte Mann lebte noch und alberte mit Yuugi herum.Beschämt musste sie an diesem Tag feststellen, dass sie ohne diesen besonderen Anlass nicht vorbeigekommen wäre. Hätte sie nicht geglaubt, dass sein Großvater gestorben wäre, wäre sie niemals zu ihm gekommen und sie hätten weiterhin stumm aneinander vorbeigelebt.
 

Yuugi hatte sehr gelitten. Und es musste ihn unheimlich geschmerzt haben, dass seine einzige Freundin das Land verlassen hatte und bei ihrer Rückkehr ganz schnell neue Freunde fand. Sie hatte sich selbst für ihr schlechtes Verhalten geschämt. Auch für ihr Desinteresse. Sie hätte direkt auf ihn zukommen müssen, wo sie doch wusste, wie schwer er sich damit tat, auf andere zuzugehen.
 

Sie hatte Yuugi das Gefühl gegeben, minderwertig zu sein. Es war auch zum Teil ihre Schuld, dass er sich zurückgezogen hatte, weil sie ihm viel zu offensichtlich gezeigt hatte, dass sie nicht ihn, sondern den Anderen Yuugi sehen wollte. Der, der viel cooler und mutiger war als er. Sie hatte erst spät erkannt, wie kindisch und verletzend ihr Verhalten war. Nachdem ihr bewusst wurde, wie sehr sie ihn verletzt haben musste, hatte sie sich dazu entschlossen, für beide Yuugis da zu sein und eine wahre Freundin zu sein. Sie wollte auf keinen Fall, dass Yuugi dachte, dass sie ihn weniger mochte als den geheimnisvollen Geist des Pharaos.
 

Niemals wieder wollte sie ihm das Gefühl geben, weniger wert für sie zu sein.
 

„Ach, Yuugi! Immer machst du dir Sorgen um andere. Auch wenn ich es schätze, dass dir das Wohlergehen anderer so wichtig ist, vernachlässige dich bitte nicht selbst dabei. Ich mache mir Sorgen um dich, weil du dich genauso zurückziehst.“
 

Anzu hatte instinktiv gespürt, dass Yuugi frustriert war. Seit Isis ihnen gesagt hatte, dass es die Aufgabe des Pharaos war, seine Erinnerungen wiederzufinden und erneut gegen die Finsternis zu kämpfen, wurde ihnen umso bewusster, wie gefährlich die Zukunft war. Auch beim Battle City Turnier wurden so viele Unschuldige verletzt und niemand konnte sagen, was sie noch erwartete. Anzu hatte auch mehrmals davon geträumt, dass der Pharao einfach ging. Wortlos verschwand er aus ihrem Leben. Ohne zurückzublicken schritt er die Stufen einer antiken Pyramide hinauf und verschwand in das Innere. Ihr lautes Rufen und ihr Flehen ignorierte er. Und jedes Mal, wenn sie diesen Traum hatte, wünschte sie sich, er würde sich noch einmal nach ihr umdrehen. Doch nicht sie war es, die diesen Kampf bestritt. Sie war nur eine „Zuschauerin“. Sie war keine Duellantin und außer aufmunternden Worten konnte sie nicht viel beisteuern. Das machte ihr sehr zu schaffen.
 

Dabei war es doch der Pharao, der am meisten litt. Er war es, der gegen die Finsternis kämpfen musste. Es war seine Aufgabe, seine Erinnerungen zu finden. Sie fürchtete, er würde sie vergessen. Was nur würde geschehen, wenn er all ihre gemeinsamen Momente vergaß? Würde er dann immer noch so triumphierend grinsen? Es gab so viele Fragen, die niemand beantworten konnte. Sie machte sich Sorgen um den Pharao, aber auch konnte sie sehen, dass Yuugi sehr unter diesem Druck litt. Für Yuugi musste es unheimlich schwer sein, zu akzeptieren, dass sein Anderes Ich – die Person, die ihm stets Rückenstärkung und Mut gab und immer für ihn da war – einfach aus seinem Leben gehen konnte.
 

Sie verbrachten so viel Zeit miteinander. Sicher waren nicht nur ihre Seelen an den Körper gebunden, sondern auch ihre Herzen vereint. Sie teilten all ihre Probleme und das machte es nur umso schwieriger. Vor allem, weil Anzu genau wusste, dass weder Yuugi noch der Pharao in der Lage waren, ihre wahren Gefühle auszusprechen. So waren Männer nun einmal, oder? Unfähig sich mit ihren eigenen Gefühlen auseinanderzusetzen oder gar darüber zu reden. Immer wollten sie alles alleine schaffen. Dabei war es doch so viel einfacher, wenn man sich einfach mal fallen und sich von seinen Freunden auffangen ließ. Dabei wollte sie für die beiden da sein. Gerne würde sie die ganze Nacht lang wach bleiben, um sich ihre Gedanken anzuhören, weil das echte Freunde nun mal so machten. Doch weder der Pharao noch Yuugi waren sich bewusst, wie schwer die Last auf ihren Schultern ruhte, wie sehr sie zu Boden gedrückt wurden. Anzu fühlte es. Sie beide trugen ein Päckchen mit sich.
 

„Tue ich das?“, fragte Yuugi unsicher nach und kratzte sich verlegen an der Wange.
 

„Ja! Tust du! Du musst mehr aus dich herauskommen und ruhig sagen, wenn es dir schlecht geht.“
 

„Aber es geht mir gut“, kam es entschuldigend von Yuugi.
 

„Wirklich? Jounouchi macht sich auch große Sorgen um dich. Ständig fragt er mich aus, ob ich etwas über dich weiß. Du weißt, wie gern er dich hat und er würde dich niemals bedrängen, also musst du von dir aus sagen, was du zu sagen hast. Wir allen sehen, dass du deprimiert bist.“
 

„Ich werde später mit Jounouchi sprechen. Aber genau genommen, bin ich ja nicht wegen mir zu dir gekommen, sondern wegen meinem Anderen Ich. Ich bin traurig, das stimmt. Aber es liegt nicht an mir, sondern an ihn. Weil er auch mich ausschließt und nicht einmal mit mir reden will.“
 

„Verstehe. Und du glaubst, dass er mit mir reden will?“, wollte sie wissen und sah ihn ungläubig an.
 

„Warum sollte ich ihn zum Reden bringen, wenn selbst du das nicht schaffst, hm?“
 

„Du hast es doch schon einmal geschafft. Damals... vor dem Battle City Turnier warst du mit ihm zusammen und danach ging es ihm wieder besser. Ich weiß einfach, dass du das hinkriegst!“
 

„Das ist lieb von dir, Yuugi. Aber was genau soll ich denn tun?“
 

„Geh am Wochenende mit ihm aus und sorge dafür, dass er endlich mal aufhört, immer nur an die Zukunft zu denken und einfach Mal Spaß hat!“
 

„Was? Wie soll ich das denn hinkriegen?! Ich weiß doch gar nicht, was er gerne macht!“
 

„Tu einfach das, was du immer machst! Sei du selbst und bring ihn zum Lachen“, grinste er und drehte sich nun um, winkte ihr zu und lief rasch davon.
 

„Moment mal! Um welche Uhrzeit und wo sollen wir uns treffen?“
 

„Um 14Uhr am Uhrenplatz!“, sagte er und bog in die nächste Straße ab und war nicht mehr zu sehen. Anzu seufzte laut hörbar. Ihn zum Lachen bringen? Das klang weitaus einfacher, als es war!
 

„Was meinst du damit?“, fragte sie nach und griff nach ihrer Teetasse.
 

„Du hast die besondere Fähigkeit, immer genau das zu sagen, was man am dringendsten hören möchte. Auf einmal habe ich das Gefühl, dass meine Sorgen gar nicht so schlimm sind und dass es totale Zeitverschwendung ist, über etwas nachzudenken, was man eh nicht ändern kann. Ich habe die ganze Zeit nur für mich gegrübelt. Vielleicht hat mich das einfach nur noch mehr runter gezogen, sodass ich gar nicht mehr klar denken konnte.“
 

„Zu viel zu grübeln hilft niemanden. Weißt du, was ich mache, um meine Sorgen zu vergessen? Abends vor dem Schlafengehen schreibe ich mir alles auf, was mich momentan frustriert und wenn es nur eine kleine, unwichtige Sache ist; zum Beispiel dass ich unzufrieden mit meiner Leistung beim Tanzen war, weil mir ein Move, den ich sonst gut beherrsche, Schwierigkeiten gemacht hat – egal was es ist, ich schreibe es mir auf. Und dann lege ich den Block und meine Gedanken zur Seite und verschiebe die Probleme auf ein andermal. Dann geht es mir wieder besser und ich kann reflektieren, worüber es wirklich Sinn macht, nachzudenken.“
 

„Das ist eine wunderbare Sache...“, murmelte der Pharao und rieb sich nachdenklich sein Kinn.
 

„Vieles, worüber du dir jetzt Sorgen machst, kannst du ohnehin nicht ändern. Genieße einfach die Zeit, die du jetzt noch hast. Denn sonst bereust du es nur, dass du diese Zeit mit Grübeln verschwendet hast. Also lass uns Spaß haben.“
 

Der Pharao nickte. Wieder wurde er unheimlich still und für einen Moment glaubte sie, etwas Falsches gesagt zu haben, doch dann hob er seinen Kopf und sah sie an. Seine Augen suchten den Kontakt zu ihren.
 

„Danke, Anzu. Vielleicht bürde ich mir zu viel auf.“
 

Wortlos griffen sie synchron zu ihren Teetassen. Etwas verschämt blickte Anzu zu ihm, nur um im selben Moment den Blickkontakt abzubrechen. Es fühlte sich schön an, dass seine Aufmerksamkeit nun auf ihr lag und sie wünschte sich wirklich sehr, dass es für immer so bleiben konnte. Warum nur musste er gehen? Sie wusste, dass es egoistisch war, aber ein Teil in ihr bat darum, dass wenn der Moment der Entscheidung kam, er sich dazu entschied, hier zu bleiben. Keiner konnte sagen, was sie erwartete. Er war die ungewisse Zukunft und die begrenzte Zeit, die ihnen Sorgen bereiteten und je mehr sich Anzu darum bemühte, sich selbst einzureden, dass es in Ordnung war, wenn er sie verließ, desto lauter wurde der Ruf ihres verzweifelten Herzens. Geh nicht. Bleib hier. Bleib bei uns, flüsterte es ihr zu und sie schämte sich dann, dass sie so dachte.
 

Zumindest konnte sie seinen Schmerz lindern. Sie hatte ihr Ziel erreicht. Der Pharao hatte gelächelt und wirkte wieder etwas fröhlicher. Er hatte neuen Mut gefasst. Doch wer linderte ihren Schmerz? Mit Yuugi konnte sie nicht darüber reden. Warum nur konnte die Zeit nicht einfach stehen bleiben? Sie spürte einen Anflug von Angst aufkommen und es deprimierte sie, dass diese Zeit nur begrenzt war und er nicht bleiben konnte. Irgendwann würde sie ihm diese eine Frage stellen. Diese eine Frage, die ihr im Kopf umher spukte und es ihr unmöglich machte, ruhig zu schlafen.
 

Warum musst du gehen?
 

Und sie wusste die Antwort. Ihr Verstand hatte schon längst begriffen, dass er kein Teil ihrer Welt war, doch ihr Herz weigerte sich, dies zu akzeptieren. Sie schüttelte diese Gedanken ab. Es brachte nichts, darüber nachzudenken und außerdem hatte sie ihm doch gerade erst gesagt, dass es nichts brachte, zu grübeln!
 

„Aber hey... was wäre denn dein Einsatz gewesen, wenn du unsere Wette gewonnen hättest?“, fragte sie dann und grinste ihm keck zu. Mehr um sich selbst von diesen Gedanken abzulenken.
 

„Willst du das wirklich wissen?“, fragte er neckisch nach und hob eine Augenbraue in die Luft.
 

Endlich hatte er zurück zu seinem wahren Ich gefunden. Diesen mutigen und frechen Pharao mochte sie viel lieber. Der Mann, der sich von niemanden in die Karten blicken ließ und stets ein Ass im Ärmel hatte. Auch jetzt provozierte er sie und irgendwie fand sie es ganz lustig, dass er sie herausforderte und über eine so unwichtige Sache ein großes Geheimnis machte.
 

„Mach es nicht so spannend“, sagte sie und stützte ihre Ellbogen nun auf dem Tisch ab, faltete ihre Hände zusammen und lehnte ihr Kinn auf diese, musterte ihn und versuchte ihn zu durchschauen.
 

„Dann hätte ich von dir verlangt, das nächste Wochenende nochmal mit mir zu verbringen.“
 

Anzus Herz schlug plötzlich wild, als wollte es aus ihrer Brust springen und sie spürte eine angenehme Hitze auf ihren Wangen, die einerseits willkommen hieß, andererseits verfluchte, weil sie ihre wahren Gefühle so offen zeigte.
 

„Ganz schön gewieft von dir...“, murmelte sie und senkte den Blick, sodass ihr Pony in ihr Gesicht fiel und er ihr nicht mehr in die Augen sehen konnte. Jedes Mal, wenn er sie ansah, hatte sie das Gefühl, dass er versuchte die Tiefen ihrer Seele zu ergründen und dass er weitaus mehr von ihr wusste, als es ihr lieb war.
 

„Yuugi hat gesagt, ich solle mehr Zeit mit anderen Leuten verbringen und mit dir bin ich gern zusammen. Immer wenn du da bist, geht es mir automatisch besser und alles wird plötzlich bunt.“
 

„Mir geht es genauso“, sagte sie und lachte heiter.
 

Und mir auch. Immer wenn sie da ist, wird alles plötzlich ganz einfach und ihr Lachen ist ansteckend. Ich wusste, dass du es nicht bereuen wirst, Zeit mit ihr zu verbringen, Anderes Ich, hörte er Yuugi in seinem Hinterkopf und er lächelte.
 

»Du hattest recht, Aibou. Mir geht es schon viel besser. Entschuldige, dass du dir meinetwegen Sorgen machen musstest.«
 

Schon gut. Versprich mir aber, dass du mit mir oder Anzu redest, wenn du jemanden zum Reden brauchst und dass du dich nicht mehr in die Dunkelheit zurückziehst.
 

»Versprochen, Aibou.«
 

Im Übrigen bin ich immer noch sauer, weil ihr über meinen Klamottengeschmack gelästert habt.
 

Der Pharao grinste.
 

»Aber es stimmt. Nächste Woche suche ich dir mal was Nettes aus!«
 

Bloß nicht!, lachte Yuugi leise. Die Anspannung war auf einmal verschwunden.



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Songohangirl1990
2018-11-17T10:09:13+00:00 17.11.2018 11:09
Sorry die Kapitel ist ja schon zu Ende das wusste ich nicht, ich fand es spannend ^^👍
Von:  Songohangirl1990
2018-11-17T10:07:12+00:00 17.11.2018 11:07
Echt super spannend ich bin gespannt wie es weiter geht 🙂👍
Von:  SuperCraig
2018-11-11T16:14:18+00:00 11.11.2018 17:14
Damit ist also das Ende erreicht!

Auch wenn ich echt mitgefiebert habe, so bin ich auch ein wenig traurig: Den Pharao kann wohl wirklich nichts in dieser Welt halten. Er kann seinem Schicksal nicht entfliehen, und das finde ich irgendwie bestürzend.

Wie es wohl mit den beiden weitergeht? Anzus Gedankenwelt, genauso wie die der beiden Yuugis hast du perfekt eingefangen und beschrieben. Diese Flashbacks von früher, Anzus Schuldbewusstsein - die Gedanken die du dir um deine Charaktere machst sind wirklich ein Genuss zu lesen.

Ich bin wirklich ein wenig niedergeschlagen, dass die FF (schon) vorbei ist. Auf einer Skala von eins bis zehn, würde ich sie mit zehn bewerten.

Zwei, drei kleine Rechtschreibfehler habe ich entdeckt, die aber keine wirkliche Hürde darstellen.

Ich hoffe abschließend, dass du noch mehr FFs geplant hast, und warte bereits freudig auf die nächste Story aus deiner (virtuellen) Feder!

Alles Gute
SuperCraig


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