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Vorwort zu diesem Kapitel:
Der ganze Reiz des Fanfiction-Wichtelns liegt für mich darin, sich den Herausforderungen, Wünschen und Fandoms des Wichtelkindes zu stellen. Genau das habe ich mit dieser FF versucht, indem ich mich an ein neues Fandom gewagt habe. Enjoy.

(danke Rix fürs Korrekturlesen <3) Komplett anzeigen

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Die ersten Tage und Nächte an der Totsuki Akademie für kulinarische Künste waren mehr als aufregend gewesen. Von diversen Aufnahmeprüfungen, bis hin zu einer Willkommensparty im Wohnheim hatte Soma eine Menge Eindrücke gesammelt, die es nun zu verarbeiten galt. Für den angehenden Profi-Koch war dies aber lediglich eine kleine Aufgabe, mit der sein Hirn sich im Schlaf beschäftigen konnte. Dafür, dass er 15 Jahre lang nur Zuhause gelebt hatte, bereiteten ihm die neue Lebensumstände wenig Probleme und so war er bereits an Tag Nummer drei vollkommen in seinem Element.
 

Obwohl er kein Heimweh verspürte, musste Soma endlich seinen Vater anrufen, um ihm von den ersten Tagen zu berichten. Das war schon längst überfällig und so schrieb Soma es sich auf die mentale To-Do-Liste, während er gemächlich die Stufen der alten Wohnheimtreppe hinabstieg und den in die Jahre gekommenen Flur entlang schlich, bis er endlich die zur Hintertür erreichte, die hinaus in den Garten führte.
 

Erst vorgestern hatte Satoshi ihm das grüne Paradies gezeigt, in dem eine Menge wohlschmeckender Zutaten und Gewürze schlummerten. Soma konnte es gar nicht abwarten, einige von ihnen zu ernten, um daraus neue kulinarische Kreationen zu schaffen. Die knarrende Holztür gab unter leichter Kraftanstrengung nach und entließ Soma in den Garten. Die Sonne hatte gerade die letzten Bergspitzen erklommen und tauchte alles in wohlig warmes Morgenlicht, das für den Monat April beinahe ein kleines Wunder war. Soma schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch. Während die angenehme Frühlingsluft mit tiefen Zügen einatmete, reckte er die Hände über den Kopf und streckte sich ausgiebig.
 

“Guten Morgen Soma. Hast du gut geschlafen?”, fragte ihn eine vergnügte Stimme von der Seite und ließ ihn leicht zusammenzucken. In seiner Ruhe gestört, öffnete Soma ein Auge und schielte zu Satoshi herüber, der schon mit einer Hacke bewaffnet bereitstand, um den neuen Acker zu pflügen. “Guten Morgen, Satoshi. Du bist ja schon wieder so früh wach.” Der Zweitklässler zwinkerte ihm verspielt zu. “Du weißt doch, Morgenstund' hat Gold im Mund! Hilfst du mir beim Beackern? Ich möchte unseren das Saatgut noch vor dem Frühstück aussäen.”
 

Ohne Widerworte ging Soma zum Geräteschuppen hinüber und kramte das passende Werkzeug hervor. Als er schlussendlich beim Feld angelangt war, hatte Satoshi sich schon zur Hälfte ausgezogen. Anfangs hatte Soma der Anblick eines nackten Satoshi vollkommen verstört. Er war es nicht gewohnt, dass Menschen so freizügig und ungeniert mit ihrem Körper umgingen. Erst recht nicht in der Öffentlichkeit.
 

Dass sich seine Verblüffung und der Schock so während seiner Willkommensparty gelegt hatten, hing damit zusammen, dass weder seine Mitbewohner, noch Satoshi selbst einen Hehl aus dem Umstand machten. Und das, obwohl er gefühlt jedem von ihnen sein durchtrainiertes, nacktes Hinterteil ins Gesicht gehalten hatte.
 

“Du solltest das auch mal versuchen, das befreit Körper und Geist”, riss ihn Satoshi aus seinen Gedanken. Erst jetzt bemerkte Soma, dass er den Älteren wohl angestarrt haben musste und wandte den Blick verlegen ab.

“N-Nein, danke”, stammelte Soma verlegen, ehe er die Hacke in den festen Boden rammte, um die Erde zu lockern. Die darauffolgende Stille war unangenehm und zog sich wie Kaugummi, ehe Soma wieder genug Mut gesammelt hatte, um das Gespräch erneut aufzunehmen.
 

“Wie bist du dazu eigentlich gekommen? Ich meine das mit dem Nacktsein…”
 

Verblüfft vom Interesse des Jüngerem hielt Satoshi kurzzeitig inne, ehe er wieder sein breites Lächeln aufsetzte. “Weißt du, ich habe früher viel mit mir und meinem Körper zu kämpfen gehabt. Ich konnte mich und mein Talent nicht ausstehen und hätte beinahe meine Liebe zum Kochen und Essen aufgegeben, wäre da nicht eine gute Freundin gewesen. Sie hat mir mein Leben und meine Leidenschaft wiedergegeben hat.”

Während Soma diese Worte prozessierte, glitten Satoshis Gedanken zurück zu Nene und ihrer Mittelschulzeit.
 

Fünf Jahre zuvor, Kinokuni-Residenz
 

Bis auf das Blubbern des kochenden Wassers und dem rhythmischen Klopfen des Messers auf sein zugehöriges Schneidbrett war es still in der Küche. Normalerweise konnte Satoshi unter diesen konzentrierten Umständen besonders gut arbeiten. Dieses Mal war die Ruhe jedoch unangenehmer Natur und drückte wie ein Störenfried auf die eigentlich harmonische Atmosphäre.
 

Seit Stunden hatte Nene kein Wort mehr mit ihm gewechselt und ihm nur noch die kalte Schulter gezeigt. Das war nicht das erste Mal, dass sie sich nach einem verlorenen Wettkampf in Schweigen hüllte und ihrer Arbeit mit forcierter Konzentration nachging. Jeglichen Versuch eines Gesprächs seitens Satoshi hatte sie ignoriert.
 

Der Dreizehnjährige konnte es nicht ausstehen, wenn ihn jemand bewusst ignorierte. Lieber wäre es ihm, wenn Nene ihn anschreien oder gar Sachen nach ihm werfen würde. Darauf könnte er zumindest reagieren, aber so verspürte er nur ein mulmiges Gefühl in der Magengegend, welches Übelkeit auslöste und von Minute zu Minute heftiger wurde. So langsam richtete ihn die Ignoranz zugrunde.
 

“Komm schon, Nene. Es war ein fairer und ehrlicher Wettkampf. Außerdem war es richtig knapp, deinem Essen fehlte nur der allerletzte Schliff, um meines zu schlagen. Jetzt sprich doch endlich wieder mit mir”, versuchte Satoshi es erneut, doch Nene ignorierte ihn weiterhin. Als hätte sie unsichtbare Stöpsel in den Ohren schnitt sie weiter ihr Gemüse klein, um es ein wenig später mit geschickter Hand im Topf landen zu lassen.
 

Niedergeschlagen wandte Satoshi sich wieder seinem eigenen Topf zu, in dem das Gemüse langsam garte. Ihre heutige Aufgabe für den Nachmittag war ein Curry zu kreieren, in dem Schweinefleisch die Hauptrolle spielte. Während Nene sich strikt an ihre gelernten Rezepte hielt, war Satoshi experimentierfreudiger. So mischte er kleingeschnittene Früchte unter das Curry, ebenso wie den Saft einiger Früchte, um den gesamt Geschmack abzurunden.
 

Am Ende zahlte sich sein Wagemut aus und Satoshis Curry schmeckte ihrem Lehrer besser. Während der Sternekoch sich kaum auf seinem Stuhl halten konnte vor Geschmacksexplosion, wurde Satoshi immer unangenehmer in seiner Haut. Er konnte fühlen, wie Nenes Hass und Enttäuschung neben ihm aufkochten und ihre Blicke ihn regelrecht durchbohrten. Satoshi zog den Kopf wie eine Schildkröte zwischen seine Schultern und wartete, dass die Welle des Neids und der Abneigung über ihn hinweg schwappte.
 

Als sie vom Unterricht entlassen wurden, fing Satoshi Nene im Gang zwischen Küchentrakt und Haupthaus ab, um um mit ihr darüber zu sprechen. Es war jedoch kaum verwunderlich, dass die Kleinere nicht mit ihm reden wollte, weshalb sie versuchte sich ein Weg an ihn vorbei zu bahnen. Um dieses zu verhindern, setzte Satoshi seinen gesamten Körper ein, bis Nene schließlich mit einem genervten Seufzen aufgab. Sie ließ es sich nicht nehmen, ihre Missbilligung mit einer wütende Grimasse zu zeigen. doch Satoshi blockte ihr den Fluchtweg jedes mal mit seinem Körper, bis sie irgendwann genervt seufzte und ihn aus wütenden Augen anfunkelte.
 

“Was willst du, Satoshi? Hat dir das Lob noch nicht gereicht? Soll ich dir auch noch meine Glückwünsche aussprechen?Oder willst du mir anbieten, dass du zusammen mit mir lernst? Ich kann auf all diese Dinge verzichten”, platzte es aus der sonst so gefassten Erbin der Kinokuni-Kette heraus. Dieser unerwartete Emotionsfluss hinderte Satoshi an jeglicher Erwiderung. Eigentlich hatte er Nene vorschlagen wollen, dass sie gemeinsam eine Serie schauen oder in die Stadt gehen könnten, wie sie es früher immer getan hatten. Doch alles was er jetzt hätte sagen können, hätte lediglich Salz in die Wunde gestreut gewesen.
 

Als er nach einigen Momenten noch immer keine Antwort gegeben hatte, schmiss Nene aufgebracht die Hände in die Luft (und ließ all ihre angestaunten Gefühle der letzten Wochen freien Lauf: “Ich bin nicht so wie du, Satoshi. Ich wurde nicht mit einem natürlichen Talent geboren, sondern muss mir all meine Fähigkeiten mit Fleiß und Mühe hart erarbeiten. Im Gegensatz zu dir muss ich Disziplin und Ehrgeiz aufbringen um eine würdige Erbin zu sein.”
 

“Und diese Arbeit wird doch auch wertgeschätzt, Nene! Dein Curry heute war wundervoll! Es war einfach Glück, dass mein Experiment unserem Lehrer so gut geschmeckt hat. Sicherlich wirst du beim nächsten Mal gewinnen”, versuchte Satoshi sich zu verteidigen und im selben Zug Nene Mut zu geben. Wie sich herausstellte, war das genau der falsche Ansatz, denn jetzt riss Nenes Geduldsfaden endgültig. Rote Zornesflecken bildeten sich auf den sonst so blassen Wangen und sie ballte ihre Hände zu Fäusten.
 

“Würdest du dich auch nur ein Bisschen so sehr anstrengen wie ich, wärst du ein noch wesentlich besserer Koch! Aber nein, für dich ist das ja alles nur ein albernes Spiel! Ich hasse dich, Satoshi! Ich hasse dich dafür, dass du dich nicht mal anstrengst und trotzdem besser bist, als ich!”,schrie sie ihm entgegen und stürmte an ihm vorbei.
 

Dieses Mal hielt Satoshi sie nicht auf, sondern blieb einfach nur regungslos im Gang stehen. Die Worte trafen ihn direkt ins Herz und lösten erneut diese widerliche Übelkeit aus, sodass er würgen musste.
 

Das war der Moment, an dem Satoshi anfing, seine natürliche Begabung fürs Kochen zu hassen. Bisher hatte ihm dieses Talent nur Neid und Hass seiner Freunde eingebracht, sodass er sich mittlerweile fragte, wozu es eigentlich gut waren. Wenn Satoshi sich im Spiegel ansah, blickte ihm ein dreizehnjähriger Junge entgegen, den alle für den nächsten Star-Koch hielten. Für die Erwachsenen war er ein Genie und Überfliegen. Für Gleichaltrige war er lediglich zu einem unbesiegbaren Gegner verkommen, an dem sie sich tagtäglich messen mussten. Wie würde das nur werden, wenn er alt genug war, um auch von den Erwachsenen als Konkurrent anerkannt zu werden?
 

Satoshi wollte nicht in einigen Jahren auf die Totsuki-Akademie geschickt werden, er wollte nicht eines Tages das Familiengeschäft übernehmen. Er wollte kein Teenager und später ein Mann werden, den alle hassten. Das Einzige, was er in diesem Moment wollte, war einfach wieder sorglose Kinder sein und nicht seine beste Freundin zur größten Feindin haben. So beschloss Satoshi alles daran zu setzen, weder erwachsen, noch besser im Kochen zu werden.
 

Sein großer Plan gegen den Fortschritt fing damit an, dass er aufhörte mit Genuss zu essen und nur das Notwendigste zu sich nahm. Sein Abendessen und andere kulinarische Köstlichkeiten, welche die Köche des Hauses zubereiteten, verschmähte er. Stattdessen aß er nur noch trockenes Brot und trank stilles Wasser, wenn es nötig war und er kurz vor der Ohnmacht stand. Ebenso hörte er auf, seine eigenen Gerichte nicht mehr zu kosten. Seine natürliche Begabung brachte zwar noch immer gute Gerichte hervor, allerdings fehlte ihnen oft die Balance der Gewürze, die er sonst durch Abschmecken kreierte.
 

Die Erwachsenen um ihn herum vermuteten, dass er mit dieser Methode versuchte seinen Geschmack zu schärfen und eine Art Fastenzeit einlegte, weswegen sie ihn anfangs nicht behelligten. Nachdem Satoshi jedoch massiv an Gewicht verloren hatte, begannen die ersten besorgten Fragen um seine Gesundheit, weshalb man Ärzte zu Rate zog.
 

Doch auch ihre Diagnosen und Ratschläge halfen nichts, solange Satoshi sich weigerte, etwas an seinem Zustand ändern zu wollen. Somit setzte sich der Teufelskreis noch eine Weile fort und sein Zustand verschlechterte sich von Tag zu Tag. Oftmals kam er nur noch aus dem Bett um dem Unterricht beizuwohnen. Es war sogar irgendwann so drastisch, dass ihm schon beim Kochen das Pressen von Knoblauch oder das Stampfen von Kartoffeln unmöglich wurde.
 

“So kann es nicht weitergehen, Satoshi”, belehrte ihn Nenes Vater, das Oberhaupt des Kinokuni-Clans, stieß jedoch auf taube Ohren, woraufhin der Ältere seufzte. “Wenn du so weitermachst, müssen wir dich zwangsernähren”, auch mit dieser Drohung konnte er keine Regung bei Satoshi erwecken. Der Teenager mit den eingefallenen Wangen und dem unterernährten Körper hatte jeglichen Antrieb und jegliche Motivation verloren.
 

“Nene macht sich auch Sorgen um dich”, war der letzte Versuch, eine Reaktion aus dem Jungen herauszukriegen. Für einen Moment hatte das Oberhaupt die Hoffnung, sein Plan würde funktionieren, doch bis auf eine kurze Zuckung im Gesicht kam erneut keine Regung. “Wenn du in einem Monat nicht zugenommen hast, werden wir dich zur Zwangsernährung einweisen müssen. Bitte Satoshi, sprich doch mit einem von uns oder lass dir von einem Psychologen oder den Ärzten helfen. Du warst so ein lebensfroher Junge, was ist nur mit dir passiert?” Es blieb bei diesem einseitigen Gespräch und der Deadline von einem Monat. Satoshi war es egal und so zog er sich zurück in sein Zimmer, um zu schlafen.
 

Als Satoshi sich den nächsten Tag aus dem Bett quälte, übermannte ihn ein wohlbekanntes Schwindelgefühl, welches sich jedoch nach einigen Minuten wieder legte, sodass Satoshi keine Angst haben musste, in der Dusche umzufallen. Als er das Bad betrat und sich entkleidete, fiel sein Blick auf den schmächtigen Jungen im Spiegel. Zu seiner großen Zufriedenheit stellte er fest, dass sein ausgezehrter Körper mehr dem eines Kindes, als eines Teenagers glich. Trotzdem war er noch immer nicht glücklich und Nene hasste ihn weiterhin.
 

Seine ehemalige beste Freundin hatte sich seit ihrem Wutausbruch von ihm ferngehalten. Auch während des Unterrichts sprach sie nur mit ihm, wenn es unbedingt nötig war. Wenn sie es tat, waren ihre Worte kalte und drehten sich lediglich um das Thema, welches sie aktuell behandelten. Auch ihre letzten Siege bei ihren Kochduellen hatten sie anscheinend weder friedlich, noch glücklich gestimmt. Ganz im Gegenteil sogar: Immer wenn sie gegen Satoshi gewann, schien sie noch wütender zu sein als vorher. Satoshi hatte sich mittlerweile damit abgefunden, dass ihre Freundschaft beendet war.
 

Gerade, als er sich angezogen hatte und zum Unterricht gehen wollte, klopfte es an seiner Zimmertür. „Was ist?“, grummelte er, erhielt jedoch keine Antwort, sodass er gezwungen war, selbst nachzuschauen. Als er die Tür öffnete, war niemand mehr da, allerdings stand ein kleines Tablett mit einer Tasse Kakao und einem Teller Speck und Eier auf der Schwelle.
 

Der angehende Koch konnte auf den ersten Blick erkennen, dass Ei und Speck auf den Punkt zubereitet worden waren. Der Speck war knusprig und nicht zu fettig, während das Ei fluffig und mit Schnittlauch durchzogen worden war. Beides duftete herrlich, sodass Satoshi einen Moment lang einfach nur das Essen anstarrte, ehe seine Miene sich verfinsterte und er einen großen Schritt über das Tablett hinweg tat.
 

Selbst wenn sie ihm das Essen vor die Tür brachten, würde es sich dessen Genuss verweigern. Wozu sollte er auch? Essen behob keine Probleme, sondern schaffte lediglich welche. Aus dem Augenwinkel konnte er eine Bewegung wahrnehmen, die er vage als huschenden Schatten verbuchte. Satoshi hielt in seiner Bewegung inne und wartete, dass eben jener Schatten sich zu erkennen geben würde. Nachdem sich aber nichts mehr tat schnaubte er lediglich genervt und setzte seinen Weg fort. Ob mit oder ohne Stalker war ihm egal.
 

Die folgenden zwei Wochen fand Satoshi jeden Tag Essen vor seiner Tür. Jeden Morgen stand ein Teller mit diversen Gerichten vor seiner Tür, die in Präsentation und Handwerkskunst kaum zu überbieten waren. Doch noch immer rührte er sie nicht an, obwohl es ihm von Tag zu Tag schwerer fiel, das Essen einfach erkalten zu lassen. Um sich von der Scham und der Wut abzulenken, die diese Geste in ihm auslöste, machte er es sich zur Aufgabe, die Quelle allen Übels aufzuspüren.
 

Bis auf diesen einen Schatten vor einigen Wochen, hatte der abgemagerte Junge nie wieder etwas von seinem heimlichen Essenslieferanten gesehen und egal, wie früh oder spät er sich auf die Lauer legte, immer wieder überlistete diese Person ihn. Entweder stand das Essen an einem anderen Ort in der Nähe, oder Satoshi schien den Moment zu verpassen, in dem der Teller auf magische Weise vor seiner Tür auftauchte.
 

Die Jagd nach dem heimlichen Essenslieferanten gab ihm und seinem geschwächten Körper neue Kraft. Doch je länger sich das Katz- und Mausspiel hinzog, desto mehr Reserven verbrauchte Satoshi. Der Schlafmangel und die lange Wartezeiten, in denen er auf der Lauer lag, zehrten an den letzten Energiereserven, die er noch übrig hatte.
 

Eines Morgens lauerte er in Hockstellung lauerte und mit Hilfe eines Glases, dass er gegen die Wand und sein Ohr presste, auf den ungewollten Samariter wartete. Diese Technik hatte er erst letztens in einem Spionagefilm gesehen. Tatsächlich schien sein Plan aufzugehen, denn er hörte hastige Schritte näherkommen, die um diese Uhrzeit vermutlich nur vom Täter stammen konnten.
 

Hastig kam Satoshi auf die Beine und riss die Zimmertür auf. Durch die hektische Bewegung sackte sein Kreislauf ab und ihm wurde schwarz vor Augen, sodass er zwar die Tür aufriss, dann aber das Gleichgewicht verlor und vornüber fiel. Das Letzte was er sah, war ein aschblonder Haarschopf.
 

Als Satoshi wieder zu sich kam, saß er an sein Bett gelehnt in seinem Zimmer. Sein Kopf schmerzte, ebenso waren seine Knie und Ellenbogen vom Sturz aufgeschürft und bluteten leicht. Nachdem er wieder etwas klarer im Kopf war, erkannte er endlich, dass ihm eine Person gegenüberstand und mit besorgtem Gesichtsausdruck auf ihn hinab blickte. Schnaubend rappelte er sich auf.
 

“Natürlich warst du das, ich habe es mir schon die ganze Zeit gedacht”, grollte Satoshi und verschränkte die Arme vor der Brust. Wütend starrte er seine ehemals beste Freundin an, deren Pokerface er nicht durchschauen konnte. Das wiederum machte ihn noch verärgerte ihn umso mehr. “Satoshi, du musst essen”, war Nenes Eröffnung dieser längst überfälligen Diskussion, dabei klang sie wie ihr Vater. “Ich muss überhaupt nichts, niemand kann mich hier zu irgendwas zwingen!”.
 

Nene seufzte und schüttelte den Kopf. Im Gegensatz zu ihrer Mimik hatte sie ihrer Stimme nicht unter Kontrolle. Als sie erneut zu sprechen begann, meinte Satoshi ein leichtes Zittern zu erkennen: “Ich mache mir Sorgen um dich. Merkst du nicht, wie sehr du dich verändert hast? Du hast dich von jeden abgewendet. Du lachst nicht einmal mehr, sondern starrst nur erbost vor dich her! Es ist fast so, als bestündest du nur noch aus Hass, der dich nicht nur äußerlich zerfrisst.“
 

Der Junge schnaubte verächtlich und verlagerte sein Gewicht vom einen auf das andere Bein. “Was interessiert es dich, Nene? Du bist doch diejenige, die mich hasst und mich verabscheut, nur weil ich besser bin als du. Du solltest doch diejenige sein, der darüber am glücklichsten ist: Endlich bist du die Nummer eins!” Langsam bröckelte die Fassade der sonst so gefassten und kühlen Jugendlichen. Verzweifelt schmiss sie die Hände in die Luft, während sich erste Tränen hinter den Brillengläsern bildeten.
 

“Verdammt nochmal Satoshi, ich hasse dich nicht! Ich hasse mich dafür, dass ich nicht mit dir mithalten kann, obwohl du dich noch nicht einmal richtig anstrengst! Ich hasse mich dafür, dass ich dir vor Neid manchmal nicht ins Gesicht schauen kann, weil mein Stolz es mir verbietet und ich hasse mich dafür, dass ich nicht für dich da war, als du mich am meisten gebraucht hast!“, platze es aus Nene heraus, während Satoshi sich wie vor den Kopf gestoßen fühlte. Mit so einem Geständnis und dem damit verbundenen Ausbruch hatte er nicht gerechnet.
 

Während seine beste Freundin noch regungslos im Raum stand und er seinen Mund lautlos öffnete und wieder schloss, fing Nene an zu weinen. Die ganze Anspannung und Verzweiflung brach in einem Schwall aus Tränen aus ihr heraus, sodass Satoshi irgendwann zu ihr ging und sie vorsichtig in den Arm nahm. Sein Kopf war wie leer gefegt und er wusste nicht, was er fühlen sollte.
 

Es dauerte etwa eine Viertelstunde, bis beide Teenager sich beruhigt und gefasst hatten. “Ich kann nicht mehr Nene. Ich will nicht erwachsen werden, ich will nicht noch mehr Feinde haben, weil ich gut kochen kann, ich will mit Essen nichts mehr zu tun haben”, gestand er leise mit gebrochener Stimme. Nene schwieg einige Augenblicke, ehe sie zu Satoshi mit verquollenen Augen aufblickte. “Erwachsenwerden ist gar nicht so schlimm, wenn man Freunde hat, die einem helfen. Verantwortung und Erwartungen lassen sich auf mehreren Schultern tragen”, sagte sie, ehe sich das erste Lächeln nach einer Ewigkeit auf ihre Lippen stahl. ”Das sollte nicht so kryptisch klingen. Was ich damit sagen will: Ich werde auch erwachsen und wir beide kommen da wohl oder übel nicht drum herum. Aber gemeinsam kriegen wir das schon hin.”
 

Der zuversichtliche Ausdruck in Nenes Augen und das warme Gefühl in seiner Brust, ließen den ausgezehrten Jungen hoffen. Beschämt schaute er den Teller mit erkalteten Waffeln und Himbeeren an, den Nene ihm heute vor die Tür stellen wollte. Das war früher eine seiner Leibspeisen gewesen. “Danke für all die Male, die du mir Essen vor die Tür gestellt hast.” Nene lächelte ihn vorsichtig an und zog den Teller mit Essen zwischen sie.
 

„Probier mal, ich habe ziemlich viel Arbeit hineingesteckt und bin der Meinung, es ist um einiges besser geworden, seitdem du es das letzte Mal gegessen hast.“ Unschlüssig beäugte Satoshi den Teller. Sein Kopf sagte ihm, dass er die Waffeln nicht essen sollte. Immerhin war Essen die Wurzel allen Übels. Nenes Worte waren nicht an seinen Kopf, sondern an sein Herz gerichtet. Es war kein Flehen, keine Drohung und kein versteckter Versuch, den magersüchtigen Jungen zum Essen zu bringen, es war ein Angebot.
 

Genauso wie die Teller vor seiner Tür war auch das hier ein Angebot, dass er annehmen oder ablehnen konnte, ohne zu irgendetwas gezwungen oder verurteilt zu werden. Anscheinend war Nene über ihren Schatten und ihren Stolz hinweg gesprungen und hatte den ersten Schritt in Richtung Erwachsensein und Verantwortung getan, indem sie aus ihren Fehlern lernte. Jetzt war es an Satoshi, sich seinem Schatten zu stellen. Mit zittrigen Fingern brach er eine Ecke der Waffel ab und steckte sie sich zwischen die Lippen. Auch in erkaltetem Zustand erweckte sie noch in ihm eine Extase, von der er dachte, er hätte sie längst verloren.
 

Viel mehr als einen zweiten Bissen von der Waffel nahm er nicht, doch es brauchte nicht mehr, um ihn auf den Weg seiner Heilung zu führen. Fortan aß er immer einen kleinen Bissen dessen, was Nene ihm zubereitete. Langsam lernte er, dass Essen und Kochen wieder zu lieben und akzeptierte, dass sein Körper sich veränderte. Solange er Nenes Hilfe hatte, konnte er anfangen die Veränderung nicht nur zu ertragen, sondern auch mit ihnen zu wachsen. Während dieser schwierigen Zeit fand er jedoch auch einen Lichtblick, der ihn bis heute noch begleitete: Die Gartenarbeit und der damit verbundene Gedanke des Naturalismus.
 

Mit dieser neuen Leidenschaft, hatte der Teenager endlich einen Ausgleich zum stressigen Lebensweg als Koch gefunden. Im Garten hatte er seine Ruhe und konnte sich von all den Lasten, die auf seinen Schultern lagen, erholen. Dabei lernte er die Schönheit und Natürlichkeit Mutternaturs kennen, zu der er sich immer mehr hingezogen fühlte.
 

Seine Beziehung zu Nene veränderte sich kaum merklich. Nachdem er wieder zu Kräften gekommen war, fing sie an, ihn für seinen Mangel an Disziplin und Motivation zu rügen. Doch niemals waren ihre Worte böser Natur. Im Gegensatz zu einigen Monaten zuvor, wusste Satoshi genau, dass sie nur das Beste für ihn wollte und sich mit ihm Maß.
 

Gegenwart, Totsuki Akademie
 

“Ich kapiere immer noch nicht, warum du gerne nackt durch die Gegend läufst”, gestand Soma und schüttelte den Kopf, während er weiter die Erde beackerte. Daraufhin lachte Satoshi vergnügt und zuckte mit den unbedeckten Schultern. “Weißt du, man kann viel von der Natur lernen, sie befreit uns. Außerdem treibt es Nene in den Wahnsinn. Sie ist immer noch der Meinung, ich habe dieses Sei-wie-du-bist-Motto vollkommen falsch verstanden.”
 

Bei dem Gedanken an seine beste Freundin wurde Satoshi warm ums Herz und er dankte ihr im Stille dafür, dass sie ihn aufgefangen und wieder auf die Beine gestellt hatte. Obwohl viele dachten, Nene blicke zu ihm auf, war es in Wahrheit doch genau andersherum: Sie war Satoshies Licht, dass ihn durch seine dunkelste Stunde geführt hatte und das ihm noch heute, wie die Sonne, Kraft spendete.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  DragomirPrincess
2019-06-25T12:42:55+00:00 25.06.2019 14:42
Ich muss mich entschuldigen, dass du so lange auf deinen Kommentar warten musstest, irgendwie standen in der letzten Woche mehr Termine an als ich erwartet hatte. Aber jetzt nehme ich mir die Zeit dafür!
Zu aller erst einmal: Herzlichen Dank für diese wirklich tolle Geschichte! Sie hat mir wirklich sehr gut gefallen!
Ich habe dir die Unerfahrenheit in diesem Fandom auf jeden Fall nicht angemerkt und fand, dass du die Figuren wirklich sehr gelungen und in character dargestellt hast. Die Rahmung mit Soma und Satoshi fand ich sehr realistisch und die Kombination von einem Anime über Gourmet-Küche und Essstörungen fand ich extrem faszinierend.
Gerade die Beziehung von Satoshi und Nene fand ich hierfür sehr gut gewählt, gerade weil Satoshis Ticks ja irgendwoher gekommen sein müssen. Ich finde, du bist sehr sensibel mit dem Thema umgegangen, sowohl emotional wie auch mit den gesundheitlichen Aspekten, die damit zusammenhängen. Besonders die Angst davor, dass irgendwann auch die Erwachsenen ihn als Konkurrenten ansehen würden und er dann ganz alleine dastehen würde.
Sprachlich fand ich es wunderbar lesbar und es gab keine Rechtschreibfehler, die mir aufgefallen wären, dasselbe gilt auch für Grammatik oder ähnliches.
Ich habe deinen Schreibstil als sehr flüssig empfunden und sehr genossen, der Geschichte zu folgen.
Mir ist beim Lesen nichts aufgefallen, dass ich an dieser Stelle kritisieren könnte. Dass du dich entschieden hast, nicht mit dem Thema zu arbeiten, finde ich absolut nicht störend. Also lasse ich es jetzt einfach so positiv stehen.
Vielen Dank für diese wirklich schöne Wichtelgeschichte!
In meinen Augen kannst du gerne öfter zu Shokugeki no Soma schreiben!

Liebe Grüße!
Antwort von:  Zaizen
25.06.2019 22:13
Vielen lieben Dank für die netten Worte! Ich freue mich immer noch sehr, dass dir die FF so gut gefällt und dir das Thema nicht sauer aufstößt. Ich hatte etwas Angst, dass ich mit so einem sensiblen Thema einen wunden Punkt treffen könnte oder so, wollte die Idee aber auch nicht fallen lassen. Während ich Shougeki no Soma geschaut habe, ist mir immer wieder aufgefallen, dass Essen beinahe ausschließlich als Hochgenuss und Prestigeobjekt/hohe Kunst dargestellt wird, weswegen die Versuchung groß war, auch einmal die Schattenseiten zu beleuchten. Den Anstoß zu der Idee gab mir übrigens der Film "Delicious", der eine ähnliche Thematik verfolgt allerdings vollkommen anders aufgebaut ist. ^^

Ich gebe zu: Bei dem Wichtel-Thema habe ich mich etwas herummanövriert und mich dagegen entschieden das Thema "Ein Hauch von Freiheit" wörtlich einzubauen. Viel mehr sind es für mich viele kleine Aspekte wie Satoshis Nudismus oder seine "Befreiung" von der Esstörung durch Nene, die mit dem Thema zu tun haben. ^^

Lange Rede kurzer Sinn: Vielen lieben Dank für den ausführlichen Kommentar. Vor allem das Lob an meine Rechtschreibung und den Schreibstil bedeutet mir viel (ich arbeite sehr hart daran, ihn zu verbessern) <3
Von: Calafinwe
2019-06-19T14:58:33+00:00 19.06.2019 16:58
Liebe Zaizen,
 
durch die Wichtelaktion bin ich auf deine Geschichte gestoßen. Ein netter kleiner OneShot über zwei Nebencharaktere von Shokugeki no Soma, von denen wohl zumindest eine wohl nicht so viel Aufmerksamkeit erfährt.
 
Ich finde, dass du das Verhältnis zwischen Satoshi und Nene sehr schön darstellst. Er scheint ja tatsächlich so etwas wie ein Naturtalent zu sein, das sich nicht groß anstrengen muss. Gerade deshalb finde ich Nenes Ansatz, dass er trotzdem sein Bestes geben und den Drang zum Verbessern der eigenen Fähigkeiten haben sollte, sehr sympathisch. So nach dem Motto "Es wird immer einen geben, der besser ist als du. Bereite dich darauf vor!"

Schreibtechnisch hat sich das Ganze anfangs ziemlich gut runter lesen lasse. Ab etwa der Mitte wurde es jedoch recht holprig, wo zwei Arten von Sätzen in eines gemischt wurde. Vielleicht magst du da noch mal drüber gehen.
 
LG
Cala~
Antwort von:  Zaizen
20.06.2019 19:19
Liebe Cala,

vielen vielen Dank für den Kommentar und das Feedback. :)

Charaktere, denen wenig Aufmerksamkeit zuteil wird, sind mein Fluch und Segen gleichermaßen. Sie sind ein Fluch, weil du nur wenige Referenzen hast und gleichzeitig ein Segen, weil du so viel unausgeschöpftes Potential nutzen kannst.

Nene ist jemand, der viel Arbeit in das steckt, was sie tut und erwartet genau dasselbe von ihren Mitbewerbern. Erst recht jenen, die ihr am Herzen liegen. Sie erkennt in Satoshi so viel Potential, das er einfach nicht nutzt, weil er es aktuell nicht braucht, weswegen sie nicht nur sich selbst in den Arsch tritt (er ist besser, obwohl er nichts dafür tut), sondern auch Satoshi (du kannst besser sein, als du bist und wenn du dich zulange ausruhst, wird dich irgendwer übertreffen). Satoshi hingegen sieht das Ganze erst andersherum. Er hofft darauf, dass ihn jemand übertrifft und er sich endlich im Mittelfeld einordnen kann, weil er mit dem psychischen Druck und der Abneigung, die ihm seine Konkurrenten entgegen bringen, nicht klar kommt. Da kommt dann Nene ins Spiel, die ihm zeigt, dass Erfolg auch etwas gutes und erstrebenswertes sein kann. So ergänzen sich die beiden sehr gut und treiben sich gegenseitig voran.

Sobald ich genug Zeit habe, werde ich die FF nochmal etwas überarbeiten. Ich habe zum Schluss hin fragmentarisch geschrieben, was sich anscheinend sehr auf den Lesefluss auswirkt - danke für den Hinweis. :)


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