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Im Himmel ist der Teufel los

Apokalypse Reloaded
von

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Bonjour Tristesse

Der Aufstieg von der Hölle in den Himmel war nicht gerade leicht und selbst für einen Engel und einen Dämon wie Nazir und Malachiel eine sehr anstrengende Reise. Selbst mit Flügeln verbrauchte es Unmengen an Kraft um von ganz unten nach ganz oben zu gelangen. Das war einer der natürlichen Schutzmechanismen des himmlischen Königreichs und der Hauptgrund, warum die Hölle es bislang noch nicht bewerkstelligt hatte, einen Frontalangriff auf die ätherischen Gefilde zu starten. Es verhielt sich in etwa so, als versuche man auf die Spitze des Burj Khalifa zu gelangen, nur um festzustellen, dass der Fahrstuhl defekt war und der einzige Weg über die Treppen führte. Das waren insgesamt 163 Stockwerke und knapp 2900 Stufen, die man erklimmen musste. Für einen durchtrainierten Treppenläufer, der so etwas als Extremsport pflegte, war das kein Problem, aber für den Ottonormalverbraucher war meist schon nach wenigen Stockwerken Schluss. Dämonen waren zwar übernatürlich, aber bei weitem keine durchtrainierten Spitzensportler. Sie waren eher für Intrigen und Komplotte geschaffen und vermieden sportliche Tätigkeiten, wenn es nicht zu ihren finsteren Plänen gehörte. Deshalb kam es ihnen allein schon aus reiner Bequemlichkeit kaum in den Sinn, eine lange und anstrengende Reise bis in den Himmel anzutreten, nur um dann völlig aus der Puste an der Himmelspforte anzukommen und dann zu kollabieren. Selbst Luzifer hatte seinen Aufstieg in mehreren Zwischenetappen zurücklegen müssen.

Da die Engel aufgrund der Umstände in der Hölle nicht nach unten wollten und die Dämonen nicht völlig entkräftet in die letzte Schlacht ziehen wollten, hatte man sich deshalb auf einen Kompromiss geeinigt und war daraufhin den Mittelweg gegangen. Im wahrsten Sinne des Wortes! Wenn also die Menschen der Überzeugung waren, dass die Erde als Schlachtfeld ausgewählt worden war, weil sie als Gottes wichtigste Schöpfung das Zentrum des Universums waren, musste man sie deshalb enttäuschen. Es war schlichtweg keine bessere Lösung da gewesen, die ein entsprechendes Gleichgewicht auf beiden Seiten gewährleisten konnte.

Selbst Malachiel, der weitaus größere Macht besaß als alle anderen, war ziemlich aus der Puste als er die goldene Pforte erreichte und hatte den armen Nazir, der schon auf halbem Weg schlapp gemacht hatte, zusätzlich tragen müssen. Da er lieber ein Leben als überzeugter Faulpelz frönte und jegliche Arbeit vermied, war er nicht gerade in der optimalen Kondition um einen derartigen Aufstieg zu bewerkstelligen. Sie brauchten knapp eine halbe Stunde Verschnaufpause, bis sie wieder einigermaßen bei Kräften waren, um den nächsten Aufstieg vorzunehmen. Vielleicht hätten sie die Strecke weitaus schneller zurücklegen können, wenn Malachiel etwas besser in Form gewesen wäre. Dann wäre er wieder zurück gewesen, bevor Michael von den Cherubim abgeführt worden war und hätte die Situation vielleicht deeskalieren können. Aber das alles war während seiner Abwesenheit passiert und nun kam er nichts ahnend im Himmel an und wusste nicht, was sich zugetragen hatte. Er merkte nur, dass ein ziemlicher Aufruhr herrschte, maß dem aber keine Bedeutung bei weil die Engel seiner Meinung nah eh zur Überdramatisierung neigten.

Da sie Metatron nicht im ersten Himmel finden und auch nicht erreichen konnten, mussten sie sich über einen Geheimweg bis nach Araboth vorbei am Hauptquartier der Kriegsengel schleichen, damit Nazir unerkannt blieb. Das dauerte auch wieder eine ganze Weile, den ganzen Umweg zu bewältigen und als sie dann endlich den siebten Himmel erreichten, war viel zu viel Zeit verstrichen. Während Nazir sich mit großen Augen staunend in dem luxuriösesten Teil des gesamten himmlischen Königreichs umsah und glaubte, seine kühnsten Träume wären wahr geworden, dachte Malachiel an die Ironie, dass ausgerechnet er Satans Sprössling hierher brachte. Wenn er das Metatron erzählte, würde dieser garantiert vor Schreck einen Herzkasper kriegen. Aber andererseits bestand für ihn auch kein Grund, es überhaupt irgendjemandem zu erzählen. Es hatte ihn persönlich nie interessiert, wer Nazirs Eltern waren und das tat es jetzt genauso wenig. Warum also unnötig die Pferde scheu machen?

Nazir sah sich immer noch neugierig um während sie den Korridor entlang gingen und erblickte die schönsten Gärten und Hallen die er je in seinem jungen Leben gesehen hatte. Er sah Pavillons mit goldenen Dächern, Elfenbeinstatuen, kristallene Blumen und riesige Bibliotheken mit unschätzbar wertvollen Büchern, die das Wissen der gesamten Welt beinhalteten. Weit in der Ferne konnte er am anderen Ende des Gartens eine gläserne Treppe sehen, die zu einem riesigen Tor führte. Er blieb kurz stehen und schaute neugierig zum Tor herüber. Es war ziemlich weit weg aber seine Dämonenaugen vermochten ein seltsames Symbol zu erkennen, das er noch nie zuvor in seinem Leben gesehen hatte. „Meister, was ist das da hinten?“ fragte er und deutete darauf. Malachiel blieb nun ebenfalls stehen und folgte seinem Fingerzeig. Er zog die Augenbrauen ein wenig zusammen um seine müden Augen etwas anzustrengen und erklärte „Das da hinten ist das Tor zum höchsten Heiligtum. Dahinter hat sich Gott vor langer Zeit verschanzt und sich seitdem nie wieder blicken lassen. Laut Metatrons Aussage kann das Tor von keinem Engel geöffnet werden. Die Chance, dass wir den Alten persönlich treffen, ist also ziemlich gering.“

„Aber Ihr seid doch kein ganzer Engel. Könntet Ihr dann nicht das Tor öffnen?“

Das stritt Malachiel durchaus nicht ab, allerdings sah er nicht unbedingt danach aus, als hätte er großes Interesse daran. „Wozu?“ fragte er schulterzuckend. „Ich hab nicht die geringste Lust, mich mit einem verbohrten und cholerischen Egomanen zu streiten, der seine Schöpfung nur als Spielsteine sieht und so behandelt. Soll der sich doch in seinem Zimmer einsperren und schmollen wie ein beleidigtes Kleinkind. Außerdem hast du ja deine Mutter gehört: auf den können wir uns nicht mehr verlassen.“
 

Doch Nazir zögerte noch ein wenig. Auf der einen Seite mochte Malachiel Recht haben und es war vielleicht besser, keine schlafenden Hunde zu wecken. Keiner konnte sagen, wie Gott reagieren würde, wenn man unerlaubt das Tor zu seiner Wohnstätte öffnete und ihn störte. Ganz zu schweigen davon was er davon halten würde, dass sich der missratene Sohn Satans hier im Himmel herumtrieb. Mit Sicherheit würde das nur Ärger bedeuten. Er hatte ja im Alten Testament gelesen, was Gott mit denen zu tun pflegte, die seinen Zorn auf sich gezogen hatten. Aber andererseits war die Neugier groß, wenigstens ein einziges Mal den Schöpfer aller Dinge persönlich zu treffen und zu sehen, wie er eigentlich aussah. War er ein bärtiger alter Mann wie er in den alten Renaissance-Malereien dargestellt wurde? War er eine Frau so wie in Dogma? Sah er aus wie Morgan Freeman? Oder hatte Dante Recht und Gott war bloß ein schwebendes Buch mit drei Ringen und unzähligen Regenbögen? Tja, das würde er wahrscheinlich nie herausfinden. Und nach den jüngsten Erlebnissen in der Hölle hatte er sowieso keine Lust, sein Glück überzustrapazieren. Eine Gefangennahme reichte für heute.

Schließlich erreichten sie eine große vergoldete Tür und klopften an. Es dauerte eine Weile, bis Metatron öffnete. Er wirkte sehr mitgenommen und kreidebleich, auch seine Augen waren trüber als sonst. Doch als er Malachiel sah, kehrte wieder ein wenig Glanz in ihnen zurück und er fiel ihm erleichtert in die Arme. „Da bist du ja wieder!“ rief der König der Engel überglücklich und umarmte ihn stürmisch. „Und? Wie ist es gelaufen? Hat alles geklappt? Gab es irgendwo Schwierigkeiten?“

Malachiel erwiderte die Umarmung und tätschelte beruhigend Metatrons Kopf. Er zeigte nicht gerade dieselbe Energie wie sein Freund, konnte aber sein glückliches Lächeln kaum verbergen. „Du kennst mich doch, ich krieg so was locker geregelt. Nur ein paar kleine Stolpersteine auf dem Weg, aber wir haben es geschafft. Das Fegefeuer funktioniert wieder, Lilith lässt schöne Grüße ausrichten und ihr könnt jetzt mit der Aufarbeitung anfangen.“

„Na wenigstens eine gute Nachricht für heute“, murmelte das göttliche Sprachrohr und ließ die beiden herein. Als Regent aller Engel lebte Metatron am vornehmsten von allen weil es das Klassensystem des Himmels so vorsah. Er selbst machte sich aber nicht wirklich viel daraus und hätte es tatsächlich sogar lieber gehabt, wenn er in einem schlichten kleinen Zimmer in einem einfachen Dorfpfarrhaus gelebt hätte. Müde und lustlos ließ er sich in seinen Sessel fallen, während Sandalphon, der seinen Bruder in dieser schwierigen Situation nicht alleine lassen wollte, ihm ein Glas Wein einschenkte. Ein wenig Alkohol konnte nach einem solchen Durcheinander nicht schaden. Sandalphon drehte sich überrascht zu den anderen um und seine Miene verfinsterte sich misstrauisch, als er Nazir bemerkte. „Warum ist ein Dämon hier im Himmel?“ fragte er sofort.

„Hey Sandy, altes Haus!“ rief Malachiel und hob die Hand zum Gruß. „Schön dich wiederzusehen. Das ist mein Schüler Nazir. Nazir, das ist Sandalphon, Herrscher über den vierten Himmel und Metatrons exzentrischer Zwillingsbruder.“

„Äh… Hallo…“, murmelte der Dämon und musste erst einmal den Anblick verarbeiten. Er hatte ja schon so einige schillernde Travestiekünstler in Magazinen und im Fernsehen gesehen, aber er hätte nie erwartet, dass so einer auch noch ein derart hohes Tier im Himmel war. Aber er beschloss, das lieber unkommentiert zu lassen und setzte sich neben seinen Mentor, nachdem dieser auf einer roten Satincouch Platz genommen hatte.

„Und? Gibt es etwas Neues aus der Hölle?“ hakte Metatron nach und rieb sich mit zusammengekniffenen Augen die Schläfen wie jemand, der gerade mit einer schlimmen Stressmigräne zu kämpfen hatte. „Also irgendetwas, von dem ich wissen sollte?“

„Wie man’s nimmt“, meinte Malachiel schulterzuckend und machte es sich bequem. „Es gab einen kleinen Gefängnisaufstand und die Hölle wird gerade von französischen Revolutionären und russischen Kommunisten überrannt. War eigentlich ganz lustig. Das Fegefeuer läuft wieder einwandfrei und als nächstes wird das Tor im ersten Höllenkreis installiert und im Prinzip bräuchtet ihr nur noch eines im Himmel öffnen, dann könnt ihr mit der Arbeit loslegen. Aber ich schätze, das ist es nicht, was du wissen willst, nicht wahr? Du willst wissen, ob eure Informantin was Wichtiges hat weil hier irgendetwas passiert ist. Spuck’s schon aus, Matt. Was ist los?“

Sandalphon ließ abwechselnd den Blick zu Metatron und Nazir schweifen und gab zu bedenken: „Solch vertrauliche Informationen sollten wir nicht vor dem Feind besprechen“, wobei er mit einem Kopfnicken auf den dämonischen Haushälter wies. Doch Metatron winkte ab und erwiderte „Nein, schon gut. Man kann ihm vertrauen. Also… die Sache ist die, dass es während deiner Abwesenheit zu einem Vorfall gekommen ist. Jemand hat Raphael angegriffen und er ist verschwunden. Wir fanden nur sein verwüstetes Quartier vor, eine große Blutlache und Michael mit der Tatwaffe. Alles deutet darauf hin, dass Michael seinen Kollegen aus Rache getötet hat und nun ist er in Untersuchungshaft in Mathey bis ich ein Urteil gefällt habe.“

„Was?“ platzte es sofort aus Nazir heraus. „Aber wieso sollte ein Engel einen anderen Engel töten?“

„Tja, warum werden Engel überhaupt zu Verrätern wenn Gott ihnen keinen freien Willen vorgesehen hat?“ warf Sandalphon ein und schien diese Frage direkt auf Nazir zu beziehen, obwohl dieser eigentlich kein gefallener Engel war. „Es hat schon seit Anbeginn der Zeit Verräter in unseren Reihen gegeben und es wird sie auch in Zukunft geben. Das ist Teil des…“

„Fang jetzt bloß nicht mit dem unergründlichen Plan an, sonst kotz ich im Quadrat!“ unterbrach Malachiel ihn sofort, der dieses Gerede so langsam nicht mehr hören konnte. „Ihr glaubt doch wohl nicht im Ernst, dass Michael dämlich genug wäre, um einen Mord zu begehen und sich dann auch noch dabei erwischen zu lassen. Matt, du sagtest, dass Raphael verschwunden ist. Wenn er wirklich einen Mord begangen und die Leiche versteckt hat, wieso sollte er mit der Mordwaffe zum Tatort zurückkehren? Und wenn er sie durch ein Wunder verschwinden ließ, macht es keinen Sinn, dass er das Blut, die Waffe und das ganze Chaos so gelassen hat.“

„Danke, das hatte ich mir auch schon gedacht“, bestätigte Metatron und leerte sein Weinglas in wenigen Zügen. Doch selbst der Alkohol verschaffte ihm keine große Erleichterung. Er sah immer noch hundsmiserabel aus. „Aber ich wüsste nicht, wer es sonst auf Raphael abgesehen haben könnte. Und ich glaube auch nicht, dass dieser so abgebrüht wäre, seinen Tod vorzutäuschen. Er ist trotz allem immer noch ein Engel. Michael hatte außerdem ein Motiv, das hat Gabriel bestätigt und ich habe nichts, womit ich ihn entlasten könnte. Alles deutet darauf hin, dass er Raphael erschlagen hat.“

„Was wenn es ein Komplott ist, den Luzifer angezettelt hat?“ gab Nazir zu bedenken, der sich an der Gesprächsrunde beteiligen wollte. „Meine Mutter hat uns gesteckt, dass Luzifer seit seiner Abreise in den Himmel kein einziges Mal in die Hölle zurückgekehrt sei. Entweder hat er den Himmel nie verlassen oder er hat sich zwischenzeitig auf der Erde herumgetrieben. Was wenn der Mord ein Racheakt für seine Verbannung war?“

„Naheliegend, aber unwahrscheinlich“, meinte Sandalphon kopfschüttelnd und verschränkte die Arme vor der Brust. „Sein Zorn richtet sich ausschließlich gegen Gott persönlich. Einen Engel zu töten und einen anderen zum Verdächtigen machen passt nicht zu seinem Stil. Ganz zu schweigen davon, dass sämtliche Quartiere mit heiliger Kraft geschützt sind und er gar nicht eindringen konnte um das Schwert zu stehlen.“

„Stimmt, er hätte den Ruhm ganz alleine für sich eingesackt, um den Alten eins auszuwischen“, bestätigte Malachiel, hatte dann aber eine ganz andere Idee. „Ich glaube eher, dass Samael dahintersteckt.“

Einen kurzen Augenblick kehrte Stille ein und die beiden Zwillingsbrüder tauschten kurze Blicke aus. Dann aber schüttelte Sandalphon energisch den Kopf, wobei seine Ohrringe leise klapperten. „Ach, du und Samael… Nur weil er schlecht auf die Menschen zu sprechen ist, denkst du immer gleich, er wäre schlimmer als Satan.“

„Ist er ja auch“, gab der Halb-Seraph unverblümt zu. „Hab ja selbst heute gesehen, was für eine Pussy Satan eigentlich ist. Außerdem hat Lilith uns gesteckt, dass Samael vermutlich irgendwas plant. Sie wusste zwar nicht was, aber dank ihr wissen wir, dass Samael wohl ein Verhältnis mit Luzifer hat. Wer weiß… vielleicht ist der Mord an Raphael ein Ablenkungsmanöver für seinen eigentlichen Plan.“

„Und was soll er denn schon im Himmel anstellen wollen?“ erwiderte Sandalphon, der zwar wusste, dass der blinde Todesengel Dreck am Stecken hatte, ihn aber nicht gleich als Hochverräter verurteilen wollte. „Sein Hass richtet sich allein gegen die Menschen. Wenn er also irgendetwas plant, dann immer auf der Erde. Ganz gleich ob es eine Pandemie, Naturkatastrophen oder Krieg ist. Er als Engel der Reinheit verteidigt die Gesetze des Himmels energischer als jeder andere von uns. Das würde gar nicht zu ihm passen. Was will er damit erreichen?“

Während dieser Ausführungen hatte Metatron jedoch weitergedacht und angefangen, einzelne Punkte miteinander zu verbinden. Und während er den Worten seines Bruders lauschte, kam ihm ein Gedanke und seine Augen weiteten sich vor Entsetzen. „Großer Gott“, brachte er leise hervor und verlor den letzten Rest Farbe im Gesicht. „Was wenn er vorhat, Eden zu zerstören? Es hat ihm ja noch nie gepasst, dass wir die Menschen nach ihrem Tod im Paradies aufnehmen. Es kann doch sein, dass der Angriff auf Raphael dazu diente, dass wir uns hier die Köpfe zerbrechen, damit er unbeobachtet die Menschen aus Eden vertreiben kann.“

„Ja, das klingt nach ihm und wäre auch nicht das erste Mal“, gab Malachiel nickend zu und auch Sandalphon konnte dieser Theorie kaum widersprechen. Dieser schnappte sich sofort seinen Speer und machte sich abreisefertig. „Ich denke, es ist das Beste, wenn ich sofort nach Shehaqim aufbreche und die Wachen vor dem Tor verstärke. Wir sollten außerdem Anahel benachrichtigen, damit seine Truppen in Alarmbereitschaft bleiben.“

„Gute Idee“, pflichtete der himmlische Regent bei und wandte sich dann an Malachiel. „Aber Samael kann dieses Komplott unmöglich alleine geplant haben. Er ist zwar mächtig, aber nach wie vor blind und ich denke nicht, dass er in der Lage ist, ganz alleine ein Schwert zu stehlen, jemanden zu erschlagen, eine Leiche verschwinden zu lassen und dann auch noch Michael alles in die Schuhe zu schieben. Er muss einen Komplizen gehabt haben, der die Drecksarbeit für ihn gemacht hat. Luzifer scheidet da schon mal aus, weil er nicht in die gesicherten Quartiere einbrechen kann. Es muss jemand aus unseren Reihen sein, der ein Interesse daran gehabt haben muss, Michael aus dem Weg zu schaffen. Du weißt, worauf ich hinaus will, oder?“

Malachiel brauchte nicht einmal großartig nachzudenken um zum gleichen Schluss zu kommen wie Metatron. Er nickte kurz, sicherte seine Unterstützung zu und versprach, sich um die Angelegenheit zu kümmern. In dieser schwierigen Situation, wo sie von einer Krise direkt in die nächste steuerten, wollte der Halb-Engel seinen Liebsten nicht alleine lassen. Das hätte er einfach nicht übers Herz gebracht.
 

Doch Nazir störte etwas an der ganzen Sache und er wagte deshalb noch eine weitere Frage, bevor sie die nächsten Maßnahmen einleiteten. „Irgendwie leuchtet es mir nicht so wirklich ein, warum Samael noch ein Engel ist. Ich meine… wenn er sogar noch gefährlicher als Satan ist und weitaus schlimmere Dinge getan hat als Luzifer, warum ist er dann nicht auch in die Hölle verbannt worden? Das macht doch irgendwie keinen Sinn.“

In dem Punkt hatte er tatsächlich nicht ganz Unrecht. Der Himmel hatte ganz klare Vorstellungen davon, wer alles Zutritt hatte und wer nicht. Ganz zu schweigen davon, dass allen voran Gott extrem penibel war, was gutes Verhalten nach seinem Sinn betraf. Da erschien es doch sehr widersprüchlich, dass ausgerechnet ein hasserfüllter und manipulativer Todesengel jede erdenkliche Gelegenheit nutzte, um Leid und Tod über die Menschheit zu bringen und sie vom Antlitz der Welt auszumerzen. Das war eigentlich etwas, das man eher von der Hölle erwarten würde. Wenn man sich aber das Alte Testament etwas genauer ansah, stellte man aber schnell fest, dass sich weder Himmel noch Hölle sonderlich mit gutem Betragen rühmen konnten. Und die Erklärung dafür lieferte Metatron als erster Stellvertreter Gottes. „Samael ist speziell zu diesem Zweck von Gott erschaffen worden. Während Satan und seine Konsorte als das personifizierte Böse Krieg, Krankheit und Zerstörung über die Menschheit bringen, entfesselt Samael diese Plagen als Teil des göttlichen Zorns.“

„Heißt also im Klartext“, fuhr Malachiel fort als er merkte, dass Nazir nicht sonderlich viel mit der Erklärung anfangen konnte. „Satan ist ein Krimineller, der aus reiner Selbstsucht Leute zum Bösen verführt und umbringt. Und Samael ist der amerikanische Polizist, der ethnische Minderheiten über den Haufen schießt, weil er sie aus Prinzip für Kriminelle hält. Weil er für das Gesetz arbeitet, kann ihm keiner was und es traut sich auch niemand, sich mit ihm anzulegen. Deshalb toleriert der Himmel ihn als notwendiges Übel und ignoriert seine ständigen Eskapaden.“

„Klingt ja noch schlimmer als die Hölle“, murmelte Nazir und schüttelte verständnislos den Kopf. „Ich dachte immer, der Himmel steht für Nächstenliebe, Vergebung und Gerechtigkeit und dann arbeitet so jemand für Gott.“

„Mach dir nichts draus, Nazir. Du wärst nicht der Erste, der an so was glaubt. Wenigstens musst du nicht so wie Jesus enden“, erwiderte Malachiel, klopfte seinem Schüler aufmunternd auf die Schulter und wandte sich zum Gehen. „Ich werde mit Gabriel sprechen, Sandy kümmert sich um Eden und du, Matt, passt bitte auf meinen Schüler auf und zögerst Michaels Verurteilung so weit wie möglich hinaus. Bei der beschissenen Bürokratie hier oben sollte das ja keine große Kunst sein.“

Der dämonische Haushälter wollte erst protestieren, denn er wollte schon bei seinem Mentor bleiben und weiterhin von ihm lernen. Doch daraus wurde erst einmal nichts. In dieser aktuellen Situation war es weitaus gefährlicher für ihn, wenn er sich zu viel herumtrieb und unnötig Aufmerksamkeit erregte. Ansonsten könnte er noch in Verdacht geraten, selbst wenn das absoluter Schwachsinn war. Darum war es wesentlich klüger, wenn er vorerst bei Metatron blieb. Denn wer konnte seine Unschuld glaubhafter vertreten als der König der Engel und Gottes Sprachrohr persönlich?
 

Nachdem Malachiel und Sandalphon gegangen waren, blieben Metatron und Nazir alleine zurück. Der König der Engel saß kraftlos in seinem Sessel und hatte sich ein weiteres Glas Wein eingeschüttet, um seine Nerven zu beruhigen. Das alles passte ihm überhaupt nicht. Überhaupt schien hier rein gar nichts so wirklich zu passen. Selbst wenn sie mit ihrer Vermutung Recht hatten und Samael hatte Raphaels Ermordung fingiert um Eden angreifen zu können, sah ihm das einfach nicht ähnlich. Er hatte sich doch nie gegen seine eigenen Leute gewandt, nur um seinen Willen zu kriegen. Trotz allem war Samael ein Engel, der die Reinheit des Himmels mit größerem Eifer verteidigte als alle anderen zusammen. Nun, vielleicht hatte er Michael aus dem Weg schaffen wollen, weil dieser für die Seelenurteile zuständig war. Bedachte man aber dessen niederschmetternde Inkompetenz als Verteidiger der Menschen der letzten Jahrtausende, erschien ihm das doch mehr als unnötig.

Aber andererseits drohte diese Krise nun das Blatt zu wenden. Immerhin waren sie jetzt dabei, das Fegefeuer wieder in Betrieb zu nehmen und die Menschen vor der endgültigen Verdammnis zu retten. Es konnte durchaus sein, dass Samael fürchtete, dass alles, wofür er so hart gekämpft hatte, rettungslos verloren schien und er sich deshalb zu dieser drastischen Tat gezwungen sah. Aber warum war Raphael und nicht Michael ermordet worden? Es wäre doch viel effizienter gewesen und hätte viel besser zu Samaels Stil gepasst. Vielleicht hatte Raphaels Tod aber auch einen besonderen Grund. Was wenn das eigentliche Ziel von vornherein jemand anderes gewesen war und er Raphael nur deshalb beiseiteschaffen ließ, weil dieser der mächtigste Heiler im Himmel war? Aber auf wen könnte er es sonst noch abgesehen haben?

Je mehr er sich darüber den Kopf zerbrach, umso schlimmer schien seine Stressmigräne zu werden. Warum nur konnte es nicht bei einem einzigen Problem bleiben, um das er sich kümmern musste? „Gott… ich bin wirklich nicht für diesen Job gemacht“, jammerte er und leerte sein Glas. „In meiner Jobbeschreibung stand nur, dass ich Gottes Wort verbreiten soll und mehr nicht. Stattdessen muss ich jetzt alle Entscheidungen alleine treffen…“

„So schlimm ist das nicht“, erwiderte Nazir, der das etwas weniger kritisch sah. „Ich meine… so ergeht es den Menschen tagein tagaus und die kommen ja auch klar. Und so ganz alleine seid Ihr ja nicht. Ihr habt wenigstens jemanden an Eurer Seite, der Euch helfen kann.“

„Das mag schon sein, aber war nie vorgesehen, dass Gott uns einfach so uns selbst überlassen würde“, erwiderte Metatron und vergrub das Gesicht in den Händen. „Warum nur hat er nichts gesagt oder wenigstens einen guten Rat mit auf den Weg gegeben? Ich verstehe das einfach nicht.“

„Das fragen sich die Menschen schon seit Jahrhunderten und sie machen trotzdem irgendwie weiter, ganz gleich wie trostlos es aussieht. Eine andere Wahl bleibt ihnen ja wohl kaum“, meinte Nazir dazu und zuckte mit den Schultern. Er selbst konnte mit dieser Einstellung überhaupt nichts anfangen und verstand auch das Gejammer nicht. Ihn hatte ja auch niemand gefragt, was er vom Leben wollte und ihm hatte auch keiner die Verantwortung abgenommen. Alles, was er jetzt hatte, musste er sich selbst erarbeiten und dieses Konzept schien den Engeln wohl nicht so ganz vertraut zu sein.

„Das war alles nicht so vorgesehen“, erklärte der himmlische Regent mit Nachdruck und fiel immer mehr in sich zusammen. „Engel existieren ausschließlich dazu, Gottes Willen auszuführen. Das ist unsere einzige Bestimmung und wir kennen nichts anderes. Wir haben nie ein Leben außerhalb unseres eigenen begrenzten Horizonts gekannt und der einzige Grund, warum hier noch nichts zusammengebrochen ist, liegt einzig und allein daran, weil ich seit 700 Jahren eine Lüge aufrechterhalte. Ein toller Anführer bin ich, wenn alles, was uns als Hoffnung bleibt, bloß eine verschissene Illusion ist. Wir haben niemanden mehr… Gott hat uns alle im Stich gelassen!“

Auch wenn Nazir zugegebenermaßen Mitgefühl für Metatrons Lage hatte und nicht unbedingt in seiner Haut stecken wollte, konnte er sich diese Selbstmitleidstour nicht eine Sekunde länger ansehen. Und als er sah wie der Seraph dabei war, sich noch ein Glas Wein zu gönnen, hatte er endgültig genug. Er war es ja schon gewohnt, dass sein Brotherr ein fauler Sack vor dem Herrn war, aber er sah sich garantiert nicht mit an, wie dessen Lover in Selbstmitleid versank und sich dabei auch noch betrank. Normalerweise war er sehr zurückhaltend und vorsichtig, wenn er sich auf fremdem Terrain bewegte, aber er sah sich garantiert nicht noch weiter dieses Trauerspiel mit an.

Bevor Metatron die Chance hatte, sich ein weiteres Glas einzuschenken, riss Nazir ihm die Flasche aus der Hand und bedachte ihn mit einem strengen Blick. „Das kann ja wohl nicht Euer Ernst sein. Euer Bruder und Meister Malachiel reißen sich den Arsch auf um Euch zu helfen und alles was Euch einfällt ist rumsitzen, jammern und Wein zu trinken. Ihr heult hier rum weil Gott nicht da ist um Euch zu sagen was Ihr tun sollt. Aber Ihr verschwendet auch keinen einzigen Gedanken daran, was Ihr alles erreichen könnt. Ihr seid doch der König der Engel und Gottes Stimme. Also habt Ihr doch die Macht, um den Himmel zu einem besseren Ort zu machen. Aber Ihr ergreift diese Chance nicht mal. Ich für meinen Teil versuche etwas zu bewegen und kämpfe weiter, obwohl mir alle sagen, dass ich aufgeben sollte weil es sinnlos ist. Ich mache es allein deshalb, weil ich keine andere Wahl habe als weiterzumachen. Welche Ausrede habt Ihr bitteschön, dass Ihr untätig rumsitzen und im Selbstmitleid versinken könnt, wenn Euch gleichzeitig alle Möglichkeiten der Welt offenstehen?“
 

Stille kehrte ein und für einen Moment war Metatron wie erstarrt. Noch nie hatte jemand so mit ihm gesprochen und ihn ausgeschimpft wie ein kleines Kind. Es hätte auch niemand gewagt, ihn derart zurechtzuweisen. Aber er musste wohl oder übel zugeben, dass Nazir nicht ganz Unrecht hatte. Selbst Malachiel hatte es ihm schon bereits in Hollingsworth gesagt: er musste nun Eigenverantwortung übernehmen und aufhören, immer nur darauf zu warten, dass Gott zurückkehren und ihm all die Arbeit wieder abnehmen würde. Es war verdammt schwer und er glaubte jetzt weniger denn je dass er jemals in der Lage sein würde, ein vernünftiger Herrscher über das Himmelreich zu sein. Andererseits war Flucht genauso wenig eine vernünftige Option. Seine Passivität hatte ja erst dazu beigetragen, dass sich die Krise in der Hölle derart verschlimmert hatte. Wenn er jetzt wieder den gleichen Fehler machte, würde das noch im völligen Chaos enden und dann hatte Samael gewonnen.

Viel wichtiger war aber noch die Tatsache, dass er nicht alleine war und niemand verlangte, dass er alles ganz alleine lösen musste. Er hatte doch Malachiel, der ihm immer mit einem guten Ratschlag zur Seite stand und er hatte seinen Bruder und unzählige andere Engel, die seinem Wort folgen würden. Der gesamte Himmel stand immer noch unter seinem Kommando und er musste endlich Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen. Egal wie sehr er es sich auch wünschte, er konnte sich nicht mehr länger darauf verlassen, dass Gott zurückkehren und all seine Probleme lösen würde. Viel zu lange hatte er darauf gewartet und nichts war passiert. Keiner konnte mit Sicherheit sagen, ob Gott jetzt zurückkehren würde. Er hatte lange genug auf ein Wunder gewartet und versucht, jeglicher Verantwortung aus dem Weg zu gehen und es hatte ihn kein einziges Stück vorwärts gebracht.

„Du hast Recht“, sagte er schließlich und stand auf. „Ich muss definitiv etwas unternehmen! Komm, wir gehen zum Himmelstribunal um das Tor zum Fegefeuer zu errichten. Wir dürfen nicht zulassen, dass dieser Vorfall mit Raphael unser ganzes Vorhaben durcheinanderbringt.“

Na also, geht doch!, dachte sich Nazir und grinste zufrieden. Und so verließen sie gemeinsam Araboth, um das Fegefeuer-Projekt in die letzte Schlussphase einzuleiten, während Sandalphon die Sicherheitsmaßnahmen verstärkte und Malachiel die mysteriösen Umstände zu Michaels angeblichem Verbrechen untersuchte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Charly89
2020-12-08T15:04:45+00:00 08.12.2020 16:04
Gib's ihm Nazir! :V
Metatron ist aber auch ein Jammerlappen XD

Nun, harren wir der Dinge die da kommen :3
Antwort von:  Sky-
08.12.2020 17:42
Tja, so ganz verübeln kann man es ihm ja nicht. Die ganze Zeit musste er einfach nur geistlos nachplappern was Gott gesagt hat und nun muss er einen riesigen Scherbenhaufen beseitigen. Nicht jeder kriegt das auf Anhieb so geschmeidig hin. Ein normaler Mensch hat diese Probleme nicht aber zwinge mal ein ehemaliges Sektenmitglied dazu, von heute auf morgen ein selbstständiges und eigenverantwortliches Leben zu führen. Genau das ist der Grund warum es den Leuten so schwer fällt, überhaupt erst auszusteigen und nicht wieder in alte Verhaltensmuster zurückzufallen. Aber wie heißt es auch so schön: man wächst mit den Aufgaben


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