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Zwischen den Zeilen

Mimato Woche
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hi ihr Lieben ^^

hier kommt mein Lieblingskapitel. Der Song, den ich euch gleich verlinken werde und den ich auch mit in die Geschichte eingearbeitet habe, hat mich sehr zu diesem Kapitel inspiriert. Der Text passt perfekt <3
Viel Spaß damit!
Bryan Adams - When You're Gone ft. Melanie C Komplett anzeigen

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Musik

Ich ziehe mir den Schal höher ins Gesicht, als ich am Freitag Abend das Tonstudio verlasse und auf die Straße trete. Inzwischen haben wir Dezember und es ist unfassbar kalt geworden.

»Das waren wirklich gute Aufnahmen heute, Mimi«, sagt mein Kollege, der ebenfalls Feierabend macht und klopft mir im Vorbeigehen anerkennend auf die Schulter. »Gute Arbeit.«

»Danke, bis nächste Woche«, sage ich lächelnd und mache mich auf den Weg nach Hause. Heute war ein anstrengender Tag. Mein Hals fühlt sich ganz rau an.

Da ich schon immer gerne mit meiner Stimme gearbeitet habe und das mit dem Porno Musical damals ja leider nach hinten los ging, habe ich mich irgendwann dazu entschieden, synchron zu sprechen. Erst habe ich das nur nebenbei gemacht, aber inzwischen bin ich so gut darin geworden, dass ich einen Auftrag nach dem anderen erhalte. Es ist schön, wenn man etwas gefunden hat, worin man gut ist und was einem zusätzlich noch Freude bereitet.

Als ich zu Hause ankomme, bin ich etwas aufgeregt. Yamato hat mir seit drei Wochen keinen Brief mehr geschickt, weil die Ausbildung in Matsushima anstrengend ist und er nur wenig Freizeit hat. Ich kann immer noch nicht fassen, dass er wirklich zur Armee, genauer gesagt, zur JASDF - der japanischen Air Force, gegangen ist. Mir war klar, dass er schon immer einen kleinen Sprung in der Schüssel hatte - spätestens als er damals vom Dach der Schule gesprungen ist - aber, dass er das wirklich durchzieht, hätte ich nicht gedacht. Irgendwie macht es mich auch ein klein wenig stolz auf ihn, dass er etwas so Sinnvolles mit seinem Leben anfängt.

Ich gehe geradewegs auf meinen Briefkasten zu und ein breites Lächeln legt sich auf meine Lippen, als ich ihn öffne und mir ein großer Luftpolsterumschlag ins Auge springt. Ich klemme mir die Post unter den Arm und laufe eilig hoch in meine Wohnung, nur um meine Sachen in eine Ecke zu schmeißen und den Umschlag aufzureißen. Ich lasse mich aufs Sofa sinken, da fällt mir auch schon eine Musikkassette auf den Schoß.

Ich drehe und wende sie, als wäre sie aus Gold. Wow, so ein Teil habe ich das letzte Mal gesehen, als ich noch ein Kind war. Aber warum schickt er mir das?

Dann falte ich den Brief auseinander, der ebenfalls mit in dem Umschlag lag. Ich bin gespannt darauf, was er geschrieben hat. Irgendwie hat es sich in den letzten Monaten so eingeschlichen. Wir haben immer noch keine Handynummern ausgetauscht, um die Spannung aufrecht zu erhalten. Alles, was ich von ihm weiß, ist, wo er sich momentan aufhält.
 

»Liebe Mimi,
 

Als Erstes: du hast es sicher schon gesehen, ich habe dir ein Mix-Tape geschickt. Da wir ja so ganz altmodisch Briefe schreiben und Spotify langweilig geworden ist … hier ein paar wirklich, wirklich gute Songs. Einige davon sind ziemlich alt, aber sie sind es Wert, gehört zu werden. Ich hoffe, sie gefallen dir. Ich habe die Playlist selbst zusammengestellt. Betrachte es als vorzeitiges Weihnachtsgeschenk von mir ;-)

Ist es wirklich schon Dezember? Die Zeit hier in Matsushima vergeht so schnell, dass ich das Gefühl habe, seit der Party, auf der wir uns getroffen haben, nur ein mal geblinzelt zu haben. Es ist immer noch anstrengend und das Training ist verdammt hart. Aber ich liebe es. Es war die beste Entscheidung meines Lebens, hierher zu gehen. Wenn ich da oben in der Luft bin, kann ich alles andere um mich herum vergessen. Irgendwann musst du mich hier mal besuchen kommen. Aber erst Mal komme ich an Weihnachten nach Hause, um meine Familie zu sehen. Darauf freue ich mich schon sehr.

Ich habe dich neulich im Fernsehen gehört. Klingt komisch, oder? :-D Ich habe die Serie geguckt, von der du mir erzählt hast und deine Stimme sofort erkannt. Du machst deine Arbeit wirklich gut, Tachikawa. Ist doch irgendwie gemein, dass ich deine Stimme hören kann und du meine nicht, oder was meinst du? Vielleicht wäre es doch so langsam an der Zeit, Telefonnummern auszutauschen. Wobei ich momentan so sehr eingespannt bin, dass ich eh kaum zum telefonieren komme. Ob du es glaubst oder nicht, aber ich verstecke mich gerade auf dem Klo, um dir diesen Brief zu schreiben …«
 

Ich lache laut auf. Oh mein Gott. Ich liebe seinen Humor. Deshalb freue ich mich auch immer so sehr, wenn er mir wieder schreibt. Seine Briefe heitern mich auf, sie bringen mich zum Lachen. Diese Leichtigkeit hat mir seit der Trennung von Kouji sehr gefehlt.

Ich lese den Brief zu Ende, in dem mir Yamato noch mehr über sein Training und seine Ausbildung erzählt und fragt, was ich die letzten drei Wochen über so getrieben habe. Wie automatisch hole ich danach meinen Schreibblock und einen Stift und setze an, um ihm zu antworten. Doch schon nach der ersten Zeile halte ich inne. Ich werfe einen Blick auf den Kalender an der Wand. Noch fünf Tage, dann ist Heilig Abend. Er sagte, er würde über Weihnachten nach Hause kommen, um seine Familie zu besuchen. Das wäre eine fantastische Gelegenheit, um ihn zu überraschen. Schließlich habe ich seine Adresse und weiß, wo er wohnt.

Ich kaue auf meinem Stift herum und überlege kurz, ob ich das wirklich machen soll. Immerhin haben wir bis jetzt nur schriftlichen Kontakt. Was, wenn wir uns privat total ätzend finden?

Ich denke darüber nach. Natürlich kann der Besuch in die Hose gehen. Aber … wer nicht wagt, der nicht gewinnt, richtig? Und ich habe, wirklich, wirklich Lust, ihn zu sehen - persönlich.
 

Am Abend vor Weihnachten mache ich mich auf den Weg zu Yamatos Wohnung, in die er seit seiner Ausbildung bei der Air Force nur noch selten zurück kehrt. Ich bin etwas nervös, weil er nichts davon weiß, dass ich gleich vor seiner Tür stehen werde. Ob er sich freuen wird, mich zu sehen?

Ich war noch nie bei ihm zu Hause, wir haben noch nie miteinander telefoniert und wir haben uns seit der Retro Party auch nicht mehr gesehen. Alles, was wir haben, sind diese Briefe - und die Hoffnung, dass wir uns irgendwie gut tun.

Es dauert nicht lange, bis ich Yamatos Wohnung in dem großen Wohnkomplex in Tokyo gefunden habe. Am Klingelschild steht nur »Ishida«, er wohnt also alleine. Erleichtert atme ich aus. Dann klingle ich, bevor ich es mir anders überlegen kann. Ich warte einige Sekunden lang, doch es macht keiner auf. Ist er vielleicht gar nicht zu Hause?

Ich runzle die Stirn und klingle noch mal. Enttäuscht senke ich den Blick, als sich wieder niemand meldet. Ich mache auf dem Absatz kehrt und will schon gehen, als sich plötzlich die Tür hinter mir öffnet.

»Äh, hallo?«, höre ich Yamato sagen und ich zucke zusammen. Mein Herz schlägt ganz aufgeregt gegen meine Brust, als ich mich verlegen zu ihm umdrehe.

Unsere Blicke treffen sich und ich sehe, wie ihm die Überraschung ins Gesicht geschrieben steht. Er sieht mich an, als hätte er einen Geist gesehen.

»Mimi?«, fragt er. »Was machst du hier?«

Ja … was mache ich hier? Das ist nicht die Begrüßung, mit der ich gerechnet habe.

»Yamato. Hey … ich äh …«, stammle ich und halte schnell das Päckchen in die Höhe, das ich mitgebracht habe. »Ich wollte dir nur schnell was vorbei bringen. Weil du ja sagtest, du wärst über Weihnachten zu Hause.«

Verdutzt sieht er erst mich an, dann das Päckchen und dann wieder mich. Schließlich schleicht sich ein kleines, kaum merkbares Grinsen auf sein Gesicht.

»Du wolltest mir nur das da geben?«, hakt er nach. »Mehr nicht?«

Ich schlucke schwer. Oh, man. Was mache ich hier nur?

Ich nicke schwach, doch Yamato lehnt sich lässig gegen den Türrahmen und sieht mich amüsiert an.

»Na ja, also, wenn du schon mal hier bist, dann könntest du auch rein kommen. Meinst du nicht?«

Wie angewurzelt stehe ich da und sehe ihn an.

»Mimi? Was ist jetzt?«, rüttelt er mich wach und ich setze mich in Bewegung.

»Klar will ich reinkommen.« Dafür bin ich schließlich hergekommen.

Yamato schließt die Tür hinter uns und ich sehe mich kurz in seiner Wohnung um. Es ist eine kleine Wohnung, mit nur einem Schlafzimmer. Aber es ist gemütlich, sehr sogar. An den Wänden hängen alte Schallplatten und hier und da sehe ich ein Foto von ihm und Takeru, seinem jüngeren Bruder.

»Ich bin überrascht«, sage ich aufrichtig. »Ich habe mir deine Wohnung immer etwas anders vorgestellt.«

»So? Wie denn?«

»Hmm, irgendwie … schmutziger?«

Yamato lacht auf und tritt hinter mich. »Und ich bin überrascht, dich hier zu sehen. Ich hätte nicht erwartet, dass du her kommst.«

Ich atme tief ein, weil er mir ziemlich nahe steht. Dann drehe ich mich zu ihm um und sehe zu ihm auf.

»Na ja, ich wusste, du würdest nicht zu mir kommen. Deshalb bin ich zu dir gekommen«, sage ich schulterzuckend.

»Woher willst du das wissen?«

»Was?«

»Dass ich dich nicht besucht hätte.« Yamato tritt einen Schritt zurück und grinst frech. »Tja, nun wirst du das nie erfahren.«

Ich zische. »Du bist ein Idiot.«

Yamato zuckt mit den Schultern und geht dann in die Küche, die sich direkt im Wohnzimmer befindet.

»Ich weiß. Möchtest du eine heiße Schokolade?«

»Ja, gerne.« Während ich ihm dabei zusehe, wie er Milch heiß macht und Schokolade einrührt, fällt mir auf, wie gut er aussieht. Ich meine, er war noch nie hässlich oder unattraktiv. Aber … es sind immerhin zehn Jahre vergangen. Er hat sich verändert. Er ist ein richtiger Mann geworden. Das Bild des schmächtigen Jungen mit der E-Gitarre in der Hand, dass ich die ganze Zeit in meinem Kopf hatte, wenn ich seine Briefe gelesen habe, gibt es nun nicht mehr.

Yamato hebt den Kopf, als er fertig ist und bemerkt, dass ich ihn die ganze Zeit über beobachtet habe. Seine Mundwinkel zucken. »Was ist da drin?« Mit einer Kopfbewegung deutet er auf das Päckchen, dass ich immer noch in den Händen halte. Ich stelle es auf dem Tisch ab und ziehe nun auch endlich meinen Mantel aus.

»Tja, das wirst du nun nie erfahren«, kontere ich und strecke ihm die Zunge raus. Er lacht auf, während ich ihm das Päckchen nun doch rüber schiebe.

»Was wohl? Es sind natürlich Plätzchen. Die, die du so gerne hast.«

Seine Augen leuchten auf. Was für ein Anblick. Dann stürzt er sich auf das Päckchen und reißt es auf. Seit ich ihm das erste Mal Plätzchen geschickt habe, ist er ganz vernarrt in die Dinger. Kein Wunder. Wenn er wüsste, was für eine Geschichte dahinter steckt …

»Und ich habe noch etwas mitgebracht.« Ich ziehe eine Kassette aus der Handtasche. »Das Mix-Tape, das du mir geschickt hast. Ich habe leider keinen Kassettenrecorder, deshalb dachte ich, wir könnten es vielleicht bei dir anhören. So … so wie früher.«

Mit gleich zwei Plätzchen im Mund und einem Seufzen sieht er zu mir auf.

»Mmh, himmlisch. Äh, ich meine, klar, das können wir gerne machen.«

Ich lächle zufrieden. Genau das hatte ich gehofft.
 

»Wenn du weiter so viel davon futterst, wirst du noch Bauchschmerzen bekommen.«

Wir liegen in seinem Wohnzimmer auf dem Fußboden, während wir das Mix-Tape anhören. Yamato hat extra seinen alten Walkman ausgekramt, der tatsächlich noch funktioniert. Er gab mir einen Kopfhörer und steckte sich den anderen ins Ohr und nun leckt er sich die Finger zu »Sweet Child O'Mine« von »Guns N' Roses« ab.

»Ich kann einfach nicht damit aufhören«, schwärmt er, was mich ein wenig verlegen macht. »Das ist wie eine Sucht. Sie erinnern mich irgendwie an früher.«

Ich grinse unsicher und weiche seinem Blick aus, als er mich ansieht, weil ihm gerade etwas auffällt.

»Wie hast du das vorhin eigentlich gemeint? Als du sagtest: wenn wir das zusammen anhören, wäre es wie früher?«

Ich stütze mich auf meinen Ellenbogen ab. »Das ist dir nicht entgangen, ja?«

Er grinst. »Mir entgeht nie etwas.«

Fast hätte ich aufgelacht, aber das verkneife ich mir. Die Situation ist eh schon unangenehm genug. Trotzdem räuspere ich mich. »Du weißt es nicht mehr, oder?«

Yamato zieht fragend eine Augenbraue in die Höhe. »Nein, was denn?«

Oh, man. Er schenkt mir eine Musikkassette und hat ernsthaft keine Ahnung, wovon ich rede. Im Grunde könnte ich beleidigt sein.

»Du hast mir mal Nachhilfe gegeben«, erzähle ich ihm, als wäre er nicht selbst dabei gewesen. Jetzt sieht er noch irritierter aus.

»Habe ich?«

»Ja, du Idiot!«, fauche ich nun doch etwas beleidigt. Wieso weiß er das nicht mehr?

»Ich war gerade aus Amerika zurück gekommen und hatte ein paar Probleme beim Lernstoff wieder Anschluss zu finden. Du hast mir mal geholfen, ein Referat vorzubereiten. Erinnerst du dich wirklich nicht mehr daran?«

Hoffnungsvoll sehe ich ihn an, doch Yamato runzelt nur mit der Stirn. Dann weiten sich seine Augen und er schnippt mit dem Finger.

»Jaah, aber natürlich«, fällt es ihm wie Schuppen von den Augen. »Du konntest dich überhaupt nicht konzentrieren und hast nicht einen vernünftigen Satz zustande gekriegt.« Jetzt verzieht sich sein Mundwinkel zu einem amüsierten Lächeln, während ich erröte, weil ich mich noch sehr genau daran erinnern kann, wie furchtbar dämlich ich mich angestellt habe.

»Richtig«, stimme ich ihm trotzdem zu. »Du meintest, ich soll mich mal etwas entspannen und hast mir dann …«

» … ich habe dir mein Mix-Tape gezeigt. Wir haben es zusammen angehört. Genau wie jetzt gerade, auf dem Fußboden.«

Ich nicke lächelnd und sehe in Yamatos Gesicht, während hinter seinen Augen genau dieselben Erinnerungen aufflackern wie bei mir.

»Ja, deswegen dachte ich, das wäre der Grund, warum du mir dieses Mix-Tape geschenkt hast«, sage ich, doch er verzieht nur peinlich berührt das Gesicht.

»Oh Gott«, nuschelt er. »Ehrlich gesagt hatte das gar nichts damit zu tun. Ich fand es einfach eine schöne Idee. Aber jetzt, wo ich mich wieder daran erinnern kann, ist es schon ziemlich cool. Und auch ein bisschen romantisch, findest du nicht?« Er grinst breit und wirft mir einen triumphierenden Blick zu, woraufhin ich auflache und ihm gegen den Oberarm schlage.

»Du bist so albern.«

»Gleichfalls. Was ist eigentlich aus unserem Spiel geworden?«

»Du meinst, Wahrheit oder Lüge?«

Er sieht mich herausfordernd an. »Ja, das haben wir lange nicht gespielt.«

Ich lege den Kopf schief und schürze die Lippen. »Willst du das wirklich spielen? Du warst nicht besonders gut darin. Bis jetzt habe ich viel öfter gewonnen als du«, reize ich ihn, was ihn nur noch mehr anstachelt.

Er grinst schief. »Nur, weil ich dich immer habe gewinnen lassen, du freche Göre.«

»Sicher, genau so war es«, lache ich und zucke dann mit den Schultern. »Gut, wenn du die Demütigung ertragen kannst. Aber ich fange an.«

»Klar, bitte«, überlässt er mir den Vortritt und sieht mich erwartungsvoll an, während ich rasch überlege, welche Lüge ich ihm auftischen könnte. Mit der Wahrheit verhielt es sich ähnlich schwierig. Durch unsere zahlreichen Briefe wusste er ohnehin schon ziemlich viel, doch ich wollte noch nicht alles von mir preisgeben.

»Ich habe mal eine streunende Katze bei mir aufgenommen. Sie war einer Nachbarin entlaufen, was ich allerdings erst später erfahren habe. Als ich es wusste, habe ich die Katze trotzdem noch über eine Woche bei mir behalten, weil ich mich nicht von ihr trennen konnte.«

Yamato wirkt schockiert. »Puh, das ist ziemlich fies, Mimi.«

»Warte, es kommt noch schlimmer«, sage ich verheißungsvoll und lehne mich weiter nach vorne, als würde ich ihm gleich mein schlimmsten Geheimnis anvertrauen. »Als ich noch bei meinen Eltern gewohnt und nur Taschengeld bekommen habe, wollte ich mir unbedingt ein Shirt kaufen, hatte aber kein Geld mehr dafür. Also habe ich es geklaut - und wurde erwischt. Ich habe so getan, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf, das hat den Verkäufer wohl verunsichert und er hat mich laufen lassen. Meine Eltern wissen bis heute nichts davon.«

Yamato prustet los und nickt dann schwergewichtig.

»Das ist einfach. Die erste Geschichte ist gelogen und die zweite wahr. Du würdest niemals so egoistisch handeln und etwas für dich behalten, obwohl du weißt, dass es anderen weh tut. Aber du fährst total auf Klamotten ab. Kann mir gut vorstellen, dass du deine Finger nicht bei dir behalten konntest und das Teil geklaut hast. Ja, das passt zu dir.«

Ich seufze. Dann hole ich tief Luft.

»Falsch.«

Yamato reißt die Augen auf. »Falsch?« Ungläubig zieht er die Augenbrauen in die Höhe. »Du hast ernsthaft eine Katze behalten, obwohl du wusstest, dass sie dir nicht gehört und ihre Besitzer sie suchen?« Er wirkt ehrlich schockiert über diese Erkenntnis und kurz bereue ich es, dass ich ihm etwas derart Schlechtes von mir erzählt habe.

»Tja, was soll ich sagen?«, meine ich und streiche mir eine Haarsträhne hinters Ohr. »Ich bin nicht stolz drauf, aber niemand ist perfekt, oder? Ich kann ziemlich egoistisch sein, wenn ich will. Das ist eine meiner schlechten Eigenschaften. Und ich wusste, du würdest mir die Nummer mit dem geklauten Shirt eher glauben, als das.«

Irgendwie erwarte ich, dass er jetzt keine Lust mehr hat, zu spielen, weil wir bisher immer nur lustige oder positive Geschichten erzählt haben. Doch dann entspannen sich seine Gesichtszüge wieder und er lächelt sanft.

»Okay, das hat mich jetzt wirklich überrascht.«

»Tut mir leid«, sage ich schulterzuckend, dann nicke ich ihm zu. »Du bist dran.«

»Puh, okay«, sagt er und rollt sich auf den Rücken, um an die Decke zu starren. Er überlegt ziemlich lange, während ich ihn dabei beobachte und mich frage, was gerade in seinem Kopf vorgeht.

Schließlich grinst er.

»Mir ist mal die Badehose gerissen, im Schwimmbad.«

Ich keuche auf. »Oh Gott.«

»Ja, das war ziemlich peinlich«, lacht er. »Ich musste mir ein Schwimmbrett davor halten, um irgendwie wieder zurück in die Umkleidekabine zu kommen. Ein paar Mädchen haben das gesehen und mich ausgelacht. Ich wäre am liebsten im Erdboden versunken.«

»Das glaube ich sofort«, lache ich auf. Auch Yamato grinst bei der Vorstellung daran, doch sein Lachen erstirbt, als ich ihn nach der zweiten Geschichte frage.

»Und weiter?«

Warum sieht er plötzlich so ernst aus? Wieder überlegt er. Doch diesmal wirkt sein Gesichtsausdruck beinahe so, als müsste er körperliche Schmerzen aushalten. Er presst die Kiefer aufeinander und ich spüre, wie ich mich anspanne. Ich ahne schon, dass gleich etwas kommt, dass ich nicht hören will.

»Ich wünschte, ich wäre niemals mit Sora zusammengekommen.«

Oh mein Gott.

Ich schlucke hart.

»Manchmal wünschte ich einfach, dass sie damals nie zu diesem verfluchten Konzert gekommen wäre. Dass sie mir niemals diese verfluchten Plätzchen geschenkt hätte und dass sie mir niemals ihre Gefühle gestanden hätte. Dann hätte ich mir den ganzen Schmerz ersparen könne, weil sie mich ja letztendlich doch nur verlassen hat.«

Ach du scheiße. Mir läuft es eiskalt den Rücken runter und ich muss mich anstrengen, um die Fassung zu wahren. Eine ganze Weile sagt keiner was von uns. Wir hören einfach nur die Musik, die immer noch aus den Kopfhörern klingt. Diese bedrückende Stille ist kaum auszuhalten.

»Hmm«, mache ich schließlich irgendwann und räuspere mich. »Ich würde sagen, dass die erste Geschichte wahr ist.«

Yamato sieht immer noch ausdruckslos zur Decke. Dann zeichnet sich ein leichtes Grinsen auf seinen Lippen ab.

»Natürlich. Verdammt, du hast schon wieder gewonnen.« Er rollt sich wieder zurück auf den Bauch, um mich anzulächeln und jegliche negativen Schwingungen, die eben noch wie eine dunkle Wolke über uns schwebten, sind verschwunden.

»Tja, ich sagte doch, dass du keine Chance hast.«

Der Song, der eben läuft, verklingt und ein neues Lied beginnt. Ich keuche auf.

»Was ist?«, fragt Yamato erschrocken, als er meine geweiteten Augen sieht.

»Das ist einer meiner Lieblingssong. Woher wusstest du das?«

Yamato lacht auf. »Pure Intuition. Oder einfach nur Glück.«

Ich kann mich nicht halten und wippe im Takt mit, während meine Finger ungeduldig auf den Boden trommeln. Dann schließe ich die Augen und singe.

»I've been wandering around the house all night, wondering what the hell to do.

But I'm trying to concentrate but all I can think of is you.«

Ich bin voll in meinem Element, singen habe ich schon immer geliebt. Plötzlich spüre ich, wie Yamato nach meiner Hand greift und mich auf die Beine zieht.

Etwas perplex sehe ich zu ihm auf, während er mich an sich zieht und beginnt zu tanzen. Dann singt er die zweite Strophe des Liedes und ich bekomme eine Gänsehaut, weil er so eine schöne Stimme hat. Wir tanzen und drehen uns im Kreis, was mich auflachen lässt. Beim Gitarrensolo in der Mitte lässt er meine Hand los und wir hüpfen wild herum, wie kleine Kinder. Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal so viel Spaß hatte. Mit ihm fühlt es sich so leicht an. So einfach. So natürlich.

Bei der letzten Strophe zieht er mich wieder an sich und nun singen wir beide aus voller Kehle.

»Baby, when you're gone, I realize I'm in love.

Days go on and on and the nights just seem so long.«

Wir sind so laut, dass sogar noch die Nachbarn was davon haben werden, da bin ich mir sicher. Aber das ist uns egal. Als das Lied endet, lachen wir und fallen uns in die Arme.

»Das hat Spaß gemacht«, sage ich immer noch breit grinsend an seine Brust gelehnt. »Ich hatte ganz vergessen, dass du so gut singen kannst.«

Yamato lacht. »Gleichfalls, Goldkehlchen.«

Wir hören das Mix-Tape noch zu Ende, danach bestellt Yamato uns eine Pizza und wir essen gemeinsam zu Abend. Als es schließlich spät geworden ist und ich mich verabschieden muss, werde ich plötzlich sentimental. Das soll es jetzt schon gewesen sein? Ein paar gemeinsame Stunden, mehr nicht?

»Es war wirklich schön, dich zu sehen«, sage ich, während wir beide im Türrahmen stehen. »Weißt du schon, wann du wieder mal hier sein wirst?«, frage ich und versuche dabei nicht all zu viel Hoffnung heraushören zu lassen.

Yamato fährt sich durch die blonden Haare und zuckt mit den Schultern.

»Die Ausbildung lässt nicht viel Freizeit zu. Aber in ein paar Monaten habe ich Urlaub, dann komme ich nach Hause.«

In ein paar Monaten …

Ich versuche mir meine Enttäuschung nicht anmerken zu lassen und grinse stattdessen. »Gut. Dann bis bald. Grüß Takeru von mir, wenn du ihn morgen besuchst.«

Wir umarmen uns eine Sekunde zu lang und am liebsten würde ich ihm sagen, wie schwer es mir fällt, ihn wieder ziehen zu lassen.

Verdammt.

Ehe ich es richtig realisiert habe, hat er sich in mein Herz geschlichen. Wie konnte das nur passieren? Wie konnte ich das nur zulassen? Das ist nicht gut. Gefühle auf Distanz sind niemals gut - einseitige schon gar nicht.

»Mach's gut«, verabschiede ich mich und will gehen, doch Yamato hält meine Hand fest.

»Warte«, sagt er und kommt einen Schritt auf mich zu. Ich weiche unwillkürlich zurück, als er sich hinab beugt, dann aber einfach nur in meine Hosentasche greift und mein Handy hervor holt. Mit einem Grinsen tippt er darauf herum. Ich runzle die Stirn, als er es mir wieder überreicht.

»Hier. Meine Nummer.«

Überrascht sehe ich auf mein Telefon und auf die Nummer, die er eben eingegeben hat.

»Du kannst dich immer bei mir melden, wenn dir danach ist.«

Ich sehe zu ihm auf und mir wird ganz schwer ums Herz. Ich möchte so sehr, dass er bleibt. Das tut weh.

»Das mache ich, danke.«

Wir lächeln uns an, als wäre alles gut, aber das ist es nicht. Nicht mehr.

Dann drehe ich mich um und gehe, ohne noch mal zurück zu blicken. Kurz und schmerzlos. Weil es so das beste ist … für uns beide.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Linchen-86
2021-09-30T18:12:23+00:00 30.09.2021 20:12
Hallo meine Liebe,

oh man heute war so ein voller Tag. Ich habe heute morgen angefangen und bin eben fertig geworden. Der Tag war echt voll.

Ach das Kapitel war einfach toll 🙂 Dass sich so eine Brieffreundschaft entwickelt hat und jetzt auch noch, sich wahrhaftig gegenüber standen.

Man merkte gleich wie nah sie sich durch ihre Spiel schon gekommen waren und auch, dass sie jetzt schon eine besondere Verbindung haben :)

Ja, den Song kenne ich. Lange nicht gehört, aber hat gut zu ihnen gepasst und damit hätten sie schon mal ihren Song. Der Teil hat mir am besten gefallen 🙂
Ich bin sehr gespannt wie Matt alles sieht, gerade Rückblickend auf ihren gemeinsamen Tag.
Aw man, sie hätten sich nochmal treffen sollen. Er war ja noch da gewesen...

freue mich aufs Nächste 😀
Antwort von:  Khaleesi26
30.09.2021 22:31
Hallo meine Liebe :) Ach, wem sagst du das... ich bin froh, dass ich überhaupt zum Hochladen komme >.<
Umso schöner, dass du dir trotzdem die Zeit genommen und es gelesen hast. Danke dafür!

Ich denke auch, dass ihre Verbindung besonders ist und auch Mimi scheint das langsam klar zu werden. Allein schon, wenn man sehnsuchtsvoll auf den nächsten Brief wartet ;) Und von Angesicht zu Angesicht haben sie sich ja dann auch ganz gut verstanden.

Ich mochte den Teil mit dem gemeinsamen Song auch am liebsten <3 Irgendwie habe ich mir schon gedacht, dass du das Lied kennst :D Du hast einen guten Geschmack!

Wie gut, dass das nächste Kapitel aus Matts Sicht geschrieben ist. Dann erfahren wir auch ein bisschen was von ihm :)

Bis bald!
Von:  Hallostern2014
2021-09-29T19:53:01+00:00 29.09.2021 21:53
Guten Abend meine Liebe 😘

Das Kapitel gefiel mir bis jetzt am besten 😁

Mimis Beruf finde ich echt klasse. Schön, dass das andre in die Hose gegangen ist. Jetzt wissen wir warum Matt gesprungen ist 🤣.

Der Brief von Matt fand ich wieder toll..Und das Mimi ihn nun Persönlich sehen will war ja irgendwie klar, wenn er schon in der Nähe ist. Die Idee mit der Kassette ist so toll. Und dann noch alte Lieder die darauf sind 😍.

Ich glaube die beide wissen das das Letzte von Matt die Wahrheit war..Ich bin gespannt ob Mimi wirklich solange auf einen Treffen warten muss..aber sie hat ja nun seine Nummer.

Ich bin gespannt sehr wie es weiter 😁
Glg 😘😍❤
Antwort von:  Khaleesi26
30.09.2021 22:28
Hallo Liebes :)

Ich mag die Briefe zwischen Matt und Mimi auch echt gerne <3 Auch übers Schreiben kann man sich ja näher kommen ^^

Ja, ich denke, das hat man wohl gemerkt, dass eigentlich Matts zweite Aussage gestimmt hat, nur Mimi wollte die Situation retten... aber ob sie sich wirklich bei ihm melden wird?! Wir werden sehen :)

Bis dann!


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