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Die Harmonie der Elemente

von

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Elementare Konflikte

„Beruhige dich -", sagte Elenora und legte ihre Hand sanft auf Vincents Schulter. Doch das Berühren seiner Haut war wie der Kontakt mit glühendem Eisen, und sie zog ihre Hand reflexartig zurück, als hätte sie sich an ihm verbrannt.

„Fass mich nicht an!“, fauchte Vincent. Seine Stimme klang wie das Grollen eines wilden Tieres, das in die Enge getrieben wurde. Elenoras Worte schienen seinen Zorn weiter zu entfachen. Das Weiß des Schnees färbte sich in sattes Dunkelrot und Vincent schlug um sich. Die Aura, die ihn umgab, strahlte Finsternis aus und schien sie förmlich zu verschlingen.

Verbitterung kämpfe sich an die Oberfläche, gepaart mit einer Art Lähmung, die es Elenora erschwerte zu handeln. Vincent würde verbluten, wenn sie die Blutung nicht stoppte. Erfahrung ließ sie wissen, welch kritischer Faktor Zeit war. In dieser Situation war jede Sekunde kostbar, und sie wusste, dass sie handeln musste. Im menschlichen Körper flossen etwa fünf Liter Blut - wie viel noch in seinem Körper?

"Vincent, hör auf!", Elenoras Stimme schnitt durch die explosive Atmosphäre. "Lass nicht zu, dass deine Wut dich beherrscht." Ihre Worte schienen ihn zu erreichen. Vincent war ermüdet, seine Bewegungen verlangsamten sich. Seine Augen, von einem wirren Glanz erfüllt, trafen ihre. In diesem Moment schien es, als ob sich zwei Seelen in einem Konflikt gegenüberstanden.

Als er schließlich nachgab und zusammensank, half sie ihm, seinen Kopf abzulegen. Sofort handelte sie, ihr Windelement konzentrierte sich, während ihre Hände über seine Schulter glitten. Elenora spürte die Energie in ihren Handflächen, die Macht des Windes, den sie beherrschte. Der Wind umhüllte sie beide, eine unsichtbare Barriere zwischen ihnen und der Welt. In einer fließenden Bewegung legte sie ihre Hände auf seine Wunden. Elenora schluckte schwer. Eine Kugel hatte an seiner Schulter Schaden angerichtet und Gewebe und Adern zerfetzt, sowie Rückstände in seinem Fleisch hinterlassen. Eine Operation war unausweichlich.

Die Stille um sie herum war erdrückend. Die Dunkelheit des umliegenden Waldes und der Geruch von Blut vermischten sich zu einer surrealen Kulisse. Elenora schloss die Augen und konzentrierte sich, ließ ihre Energie in die Wunden fließen, um diese notdürftig zu verschließen. Ihre Finger arbeiteten konzentriert, während sie versuchte, sein Leben zu retten.

Nachdem sie Vincent stabilisiert hatte, machte sie sich auf den Weg zu den anderen Soldaten, die noch vor wenigen Stunden ihre Begleiter gewesen waren. Die Szenerie, die sich ihr bot, war ein Bild des Schreckens – tote Körper, Trümmer und das Fehlen jeglicher Anzeichen von Levin oder dem Kommandanten. Ein Schaudern lief über ihren Rücken, als sie begriff, dass sie inmitten einer verlorenen Schlacht stand. Elenoras Atem stockte, als sie einen schmerzhaften Kloß in ihrer Kehle spürte. Tränen brannten in ihren Augen, während sie die Ausmaße des Grauens um sich herum erkannte. Sie weinte um das Leben, das verloren gegangen war, und um ihre eigene Unschuld, die in dieser Nacht gestorben war. Die Grausamkeit eines realen Schlachtfeldes war ihr bisher verwehrt geblieben. Sie dachte an Vincents Worte, als er sie als wohlbehütete Hochgeborene bezeichnet hatte. In diesem Moment hatte sie das Gefühl, dass das Atmen nicht funktionierte. Sie versuchte es mit aller Kraft, schien es jedoch verlernt zu haben. Schneeflocken segelten vom Himmel, würden mit der Zeit das Rot im Schnee bedecken, das sich an diesem Ort breitgemacht hatte. Doch sie machte sich bewusst, dass sie nicht aufgeben durfte. Mit einem entschlossenen Blick wandte sie sich um und lief zurück zu Vincent. Sie wollte, dass er weiterlebte. Dafür waren Materialien wie Verbände oder eine Zange, um das Geschoss zu entfernen, notwendig.

Schnee rieselte sanft auf den durchgefrorenen Boden im Höllental. Der Himmel war in leuchtendes Blau getaucht und läutete die Abenddämmerung ein. Wo die Wolken aufgebrochen waren, konnte man einen hellen Schein sehen. Obgleich dieses wunderschönen Naturschauspiels unterschied sich das Höllental von Elenoras Vorstellung. Die Gebäude waren aus gräulichem Gestein errichtet, um Schutz vor der unbarmherzigen Kälte zu bieten. Während Elenora sich fortbewegte, wurde sie von einer Schneeflocke bei ihrem langsamen Fall begleitet. Kaum hatte diese den Boden berührt las Elenora in altertümlicher Schrift „Lazarett von Hohenheim“. Ihre zitternden Hände formten sich zu einer Faust, um an den Hauseingang zu klopfen.

Der Türspalt öffnete sich, und eine Frau in einem blauen Kittel erschien. „Es tut mir leid, es ist bereits geschlossen“, begann sie, bevor ihre Augen auf den reglosen Körper von Vincent fielen und sie innehielt, ihre Miene von Überraschung gezeichnet.

„Ich bin auf der Suche nach meinem Großvater: Paracelsus von Hohenheim.“, flehte Elenora.

„Elenora?“, ertönte eine vertraute Stimme aus dem Inneren des Lazaretts.

„Großvater?“, rief Elenora, ihre Augen füllten sich mit Tränen der Erleichterung. Gemeinsam bugsierten sie den bewusstlosen Vincent auf eine Pritsche im Eingangsbereich. Von hier aus hatte sie einen Blick auf den geräumigen Flur, der in eine warme Stube führte. Dort saß ein alter Mann, von seinen Büchern und Schriften umgeben. Elenora hatte ihn in ihrer Kindheit oftmals in seinem Büro besucht und von ihm gelernt. Vielleicht war sie nach ihm gekommen – er hatte ihren Wunsch die Welt zu erkunden geweckt. Die Faszination für die Geheimnisse der Heilung, die die Natur barg.

„Als ich dich das letzte Mal gesehen habe, warst du ein Mädchen, das gerade dabei war, im Lazarett eine Ausbildung zu beginnen. Was führt dich in diese abgeschiedene Gegend?“, erklang die sanfte Stimme ihres Großvaters. Ihr Herzschlag beschleunigte sich, als sie ihren Großvater ansah, der in einem Sessel mit Rollen saß – ein Zeichen der Zeit, die voranschritt.

Ihr Großvater, der offenbar ihre Erschütterung bemerkte, erwiderte nur: „Keine Angst, in meinem Leben habe ich alles gesehen und durchlebt.“ Paracelsus lächelte warm und öffnete die Arme in einer einladenden Geste. Elenora eilte zu ihm und ließ sich von seinen Armen umfangen.

„Was ist mit ihm?“, fragte die Frau die Elenora die Türe geöffnet hatte.

„Er hat eine Kugel in der Schulter, wir müssen ihn sofort operieren!“, erklärte Elenora.

„Ich hole die nötigen Materialien“, erklärte die Frau im blauen Kittel, und eilte hinaus, um die benötigten Instrumente bereitzulegen.

„Es ging alles rasend schnell“, murmelte Elenora, den Blick zu ihrem Großvater gewandt. „Ich weiß nicht, wie viele Soldaten gestorben sind oder was genau geschehen ist, doch es gibt nur mich und einen weiteren Überlebenden.“

„Die Dinge sind manchmal unerklärlich, Elenora“, antwortete Paracelsus ruhig. Seine Aura der Gelassenheit schien auf sie überzugehen und milderte die Aufregung, die noch immer in ihr tobte. Gemeinsam bereiteten sie sich auf die Operation von Vincent vor. Mit zusammengezogenen Augenbrauen konzentrierte Elenora ihr Windelement, um herauszufinden, an welcher Stelle die Kugel sich befand. Die Frau, die sich als Diane vorstellte, leiste Assistenz während Paracelsus die Wunde öffnete, um mit einer Zange das Geschoss zu entfernen.

Die Uhrqualität ihrer Familie war die Luft. Luft, das als Element der Heilung und des Lebens galt. Vincents Körper bäumte sich unter der Behandlung auf, doch Elenora drückte ihn kontrolliert auf die Pritsche. Der letzte Rest Aufregung wich ruhiger Präzision.
 

„Und so habe ich beschlossen dich aufzusuchen.“, endete Elenora ihre Schilderung der Geschehnisse, die zu ihrer Verbannung aus Hallstatt und ihrem Erscheinen am heutigen Abend geführt hatten. Die Reisen ihres Großvaters hatten diesen ins Höllental geführt, wo er ein Lazarett eröffnet hatte. Die rustikal eingerichtete Stube ihres Großvaters wurde von einem flackernden Kaminlicht warm erleuchtet. Das Abendessen hatte aus aufgewärmten Resten bestanden, deren Duft noch in der Luft hing.

„Du wurdest von Vincent Wolf verraten?“, fasste Diane zusammen, die ihre Erzählungen ebenfalls gehört hatte. In ihren jungen Jahren war Diane von einem Gebäude gestürzt und dabei schwer verletzt worden. Während ihr Großvater nun regelmäßig ihre Schmerzen linderte, unterstützte Diane diesen im Lazarett.

„Dieser Nachname…“, Elenoras Großvater fuhr sich nachdenklich durch das Haar und ließ dabei sein fortgeschrittenes Alter erkennen. Elenora begutachtete eine Kugel, die sie zwischen Daumen und Zeigefinger drehte, um sie aus allen Winkeln zu untersuchen. Diese musste mit ungeheurer Geschwindigkeit abgefeuert worden sein. „Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Inzwischen habe ich an so vielen Orten gelebt, da können Einzelheiten schon mal durcheinandergeraten. Seine Eltern kamen aus Winterthur. Seine Mutter war eine Metabolische, und sein Vater war ein bekannter Politiker. Die Familie wurde ermordet.“

„Seine Eltern wurden ermordet?“, fragte Elenora überrascht und blickte ihren Großvater an, der nachdenklich nickte.

„Ein Konflikt, der bereits Generationen andauert: Sich für die Metabolen einzusetzen, kann ein Todesurteil bedeuten und die beiden waren politisch aktiv." Ihr Großvater wandte seinen Blick nicht ab, doch es schien, als ob er in die ferne Vergangenheit blickte. "Der Schmerz des Verlustes oder der Ausgrenzung kann Hass in Menschen entfachen. Gewalt verursacht Gegengewalt. Solange Menschen nicht lernen zu vergeben und die Kette der Rache durchbrechen, werden sie in diesem endlosen Kreislauf gefangen bleiben.“

„Was mir Sorgen macht", begann Elenora, ihre Zähne fest aufeinandergebissen „ist diese dunkle Aura der Wut, die ihn umgeben hat.“

„Es ist allgemein bekannt, dass Metabolen gewalttätig sind. Das Chaos schlummert in ihnen und früher oder später bricht es aus. Viele haben durch Metabolen Angehörige verloren. Die Zivilbevölkerung in Winterthur ist wütender und aufgebrachter denn je.“, bemerkte Diane mit einem Hauch von Resignation in ihrer Stimme.

„Was Metabolen unterscheidet, ist die Tatsache, dass sie mehrere Elemente besitzen. Dadurch entsteht ein unberechenbarer Zustand. Sie wird auch Uhrqualität des Wahnsinns genannt. In meinen Schriften habe ich diesen Zustand als Chaos betitelt.“, erklärte Paracelsus ruhig. „Vermischt man die Elemente, hat ein Kind beispielsweise Elternteilte mit der Uhrqualität Erde und Wasser, erweckt ihr Kind das fünfte Element. Dieses Kind trägt ein weiteres Element in sich: eine Dunkelheit. In Hallstatt halten wir die Elemente daher strikt getrennt: Menschen mit den Uhrqualitäten leben in isolierten Vierteln, während die Metabolen in den Elendsvierteln hausen. Doch außerhalb von Hallstatt gibt es Menschen mit gemischten Uhrqualitäten. Das führt immer wieder zu Unruhen, Verfolgungen und Morden, und Metabolen werden von der Zivilbevölkerung gefürchtet und gejagt."

„Das habe ich mit eigenen Augen gesehen.“, sagte Elenora. „Ein Mann wurde auf einem Scheiterhaufen verbrannt. Sie nannten es Reinigungsritual.“ Doch auch die Elendsviertel in Hallstatt waren unerträglich. Elenora fragte sich, wo die Metabolen leben sollten. Weder in Hallstatt noch sonst in dieser Welt schien es Platz für sie zu geben. „Kann man das Chaos verhindern?“

„Darüber haben sich viele den Kopf zerbrochen. Ich vermute, dass das Chaos durch die Geister beeinflusst wird. Es ist deshalb nicht beherrschbar. Ich bin der Meinung, dass Metabolen unausweichlich früher oder später alles in ihrer Umgebung zerstören.“

„Jeder Metabole?", fragte Elenora nachdenklich. Elenora dachte an Vincent, der sich in ihrer Obhut befand. Er hatte sie verraten, doch sie hasste ihn nicht, viel mehr versuchte sie seine Lage zu verstehen.

Ihr Großvater atmete tief durch, bevor er antwortete, seine Stimme von einer ungewöhnlichen Schwere durchdrungen. „Vincent Wolf ist ein Metabole, und sein Inneres wird vom Chaos verzehrt werden."

„Er ist dennoch ein Mensch“, beharrte Elenora, ihre Augen auf Paracelsus gerichtet. Die Zukunft der Metabolen hing in der Schwebe, und sie erkannte, dass Lösungen nicht einfach waren.

„Sein Menschsein wird nach und nach vom Chaos überdeckt. Sein Arm, hast du ihn gesehen? Die schwarze Veränderung des Fleisches – das ist das Chaos, das in ihm wütet, es ist weit fortgeschritten. Du solltest dich von ihm fernhalten, wenn dir dein Leben lieb ist.“, erwiderte ihr Großvater unverblümt. Seine Worte klangen wie ein düsteres Urteil.

„Wieso haben wir ihn dann gerettet, wenn wir ihm nun nicht helfen können?" Elenora seufzte und faltete ihre Hände in ihrem Schoß.



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