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Die Harmonie der Elemente

von

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Geist der Flammen

Die morgendlichen Strahlen warfen Schatten auf den Boden. Die aufgehende Sonne beleuchtete die hölzernen Schnitzereien an den Wänden, und ein Sonnenstrahl versuchte, das düstere Zimmer zu erobern. Es wäre ihm gelungen, hätte nicht jahrelanger Schmutz alle Fenster verdeckt. Vincent lag auf dem Rücken und gestand sich ein, dass er nicht schlafen würde. Er drehte seinen Kopf zu der Person neben ihm. Ihr Körper war zusammengerollt und ihre Stirn in Falten gelegt. Ihr hellbraunes Haar war wild und verworren, eine Beschreibung, die auch zu seinen derzeitigen Gedanken passte und zu der unerklärlichen Spannung, die in dem Zimmer herrschte.

Constantin erlangte zunehmend politische Macht und veränderte das Land zu einem Menschenverachtenden. Seine Worte hatten sich in Vincents Gedanken festgesetzt. „Es ist meine Bestimmung Metabolen Angst beizubringen. Ihr werdet gejagt und hingerichtet." Leben endeten in Blut und Elend. Vincent schloss seine Augen schmerzerfüllt. Ob die Menschen, die er einst Familie genannt hatte Angst gehabt hatten, bevor sie gestorben waren?

Sein Seufzten erfüllte das Zimmer, während er sich aufsetzte und seine schmerzende Hand betrachtete. Auch wenn seine körperliche Verfassung bedenklich war, würde ihm nur ein Ortswechsel helfen einen klaren Kopf zu bekommen. Das, was ihm bei seinem Weg aus dem Zimmer verriet, war das laute Quietschen der Holztür. Elenora fuhr aus ihrem Schlaf hoch in eine sitzende Position, während er die Türklinke hinunterdrückte. Er versteckte seine Hand unter seinem Mantel, doch Elenora hatte das Zittern bereits bemerkt. Ein deutliches Zeichen, dass das Chaos seine Handfunktion bereits einschränkte.

„Wohin gehst du?", fragte Elenora und unterdrückte ein Gähnen, „Du weißt, dass ich dir wegen deiner Hand helfen kann." Es musste an den Strapazen der letzten Tage liegen, dass ihr Verstand sich verabschiedet hatte und sie mit dem Verräter gehen wollte. Doch er war momentan ihre beste Option. Sich allein durchzuschlagen, ohne ihnen Großvater, wäre unvorsichtig.

Sein Nicken signalisierte ihr, dass sie ihm folgen sollte. Ungläubig sprang sie auf und massierte ihre verschlafenen Augen. Auch wenn er es sich nicht gerne eingestand, waren sie aufeinander angewiesen. Nur wenn er die Mission erfolgreich abschloss, hatte er eine Chance in Hallstatt an Macht zu kommen.

Wenig später folgte Elenora ihm aus der Unterkunft einen verschneiten Weg entlang, welcher aus dem Dorf einen Hügel hinaufführte. Vor den Beiden offenbarte sich eine schneebedeckte endlose Landschaft und ein ruinenhaftes, gewaltiges Gebilde aus grauem Stein.

„Was ist das für eine Kirche?"

In diesem Moment fragte er sich, ob sie bisher noch nichts von der Welt gesehen hatte.

„Das ist ein Ort der Vorfahren, als diese noch an Elementargeister geglaubt haben."

„Das ist die Feuerkirche, habe ich recht?", flüsterte Elenora erstickt. Eine Stimme verriet es ihr. Sie war laut und ungezähmt, rau. „Winterthur beherbergt vier Kirchen, die uns Elementen gewidmet sind.", sagte die dunkle Stimme. Die pompös errichteten Kirchen schienen verlassen, zerfallen und seit Jahrhunderten vergessen.

Vincent schenkte Elenora, die an seiner Seite ging einen schiefen Blick. „Die Feuerkirche wird noch immer bewacht von Frauen, die nur einen Sinn haben: Dafür zu sorgen, dass die ewig lodernde Flamme im Inneren nicht ausgeht."

„Ewig lodernd?", fragte Elenora.

Sie betraten die Kirche und tatsächlich standen einige Frauen zu beiden Seiten, sie schienen sie zwar anzusehen, doch schwiegen ihnen gegenüber und ließen sie ins Innere weitergehen. Fast schien es, als hätten diese jungen Frauen auf die Beiden gewartet. Die Kirche glich aufgrund der Dunkelheit im Inneren einer düsteren Höhle, von Schatten umhüllt. Die Dunkelheit verschlang die Beiden und die Kälte umfing sie wie eisige Klauen, während sie immer tiefer ins Innere vordrangen. In der Ferne hörten sie ein leises, flackerndes Geräusch, das einem schwachen Flüstern glich. Ihr Herz pochte schneller, als sie der Geräuschquelle folgten. Instinktiv wusste Elenora, dass sie sich dem Naturgeist näherten, dessen Stimme sie bereits vor der Kirche gehört hatte.

Je näher sie kamen, desto heller flammte ein Licht auf. Sie traten in einen weiteren Teil der Höhle ein, der von einer geisterhaften, bläulich schimmernden Flamme erhellt wurde. In ihrer Mitte glaubte Elenora für einen Moment eine anmutige Figur zu erkennen, die glühte. Doch die Geister besaßen keine feste Form, sie waren nicht greifbar, wie Wind.

„Vincent", sprach der Feuergeist. „Du bist hier, weil du die Dunkelheit in dir trägst?"

Verwirrt und fasziniert zugleich trat Vincent näher. Elenora war überrascht, dass Vincent den Feuergeist hören konnte, dies war wahrlich ein sonderbarer Ort.

„Ich bin der Geist des Feuers, Ignisa. Das Element, das in dir brennt, aber vom Schatten der Vergangenheit erstickt wird."

Vincent senkte den Blick, seine Gedanken wurden von Erinnerungen an das Chaos und den Hass überflutet, der in ihm wuchs.

„Du musst das Chaos überwinden, Vincent. Nur so kannst du deine wahre Bestimmung erfüllen."

Langsam hob Vincent den Kopf, sein Blick klärte sich. „Aber wie kann ich das tun?"

Sein Licht flackerte heller auf. Die Flamme wurde zunehmend größer. Elenora fragte sich, ob diese Flamme wirklich ewig loderte.

„Indem du dir selbst verzeihst, Vincent. Lass die Vergangenheit los und finde Stärke in deinem Inneren und Frieden. Nur dann wirst du in der Lage sein, die Dunkelheit zu kontrollieren und deine Heimat zu retten. Nicht alle Familienmitglieder sind tot. Hilf Robin, der in der Hauptstadt versucht uns zu retten. Die Macht, die du dir im Hallstatt erhoffst, wirst du nie erhalten."

Vincent atmete tief und spürte, wie die Last der Schuld und des Zorns von ihm abfiel. Er konnte das Feuer in sich spüren, wie es langsam stärker wurde und den Raum um ihn erleuchtete.

Der Feuergeist sprach noch einmal: „Du bist der Träger des Feuers, und es wird dich beschützen und leiten. Gehe und erfülle deine Bestimmung."

Mit einem Gefühl der Entschlossenheit in seinem Herzen verließ Vincent die Höhle und Elenora folgte ihm.

Sie bewegten sich an einem eingefallenen Boden vorbei und kletterten über Steine, bis sie in dem überdimensionierten Saal im inneren ankamen. Vincent setzte sich in der Mitte auf den Boden und schloss die Augen. Er lauschte dem Nichts und unweigerlich dem Hall, den Elenoras Absätze auf dem Boden verursachten, während sie sich im Saal umschaute. Er hatte Jahre damit verbracht, die Elemente zu üben. Ein Schlüssel dazu war Konzentration. Das Leben als Soldat unterstützte ihn dabei, dem Chaos möglichst lange zu entkommen, denn es machte Disziplin notwendig. Doch nun schien seine Zeit begrenzt.

Elenora ließ sich Vincent gegenüber sinken. Sie konnte ihre Augen nicht von ihm ablassen und ergriff die Gelegenheit ihn unverfroren anzustarren. Wie konnte sie nur herausfinden, was genau mit seiner Familie geschehen war? Und was dachte er über die Vorhersage des Elementargeistes? Viele hielten ihre Vorhersagen für Täuschungsversuche. Einem Elementargeist konnte man nicht vertrauen.

„Machen dir deine Wunden nicht mehr zu schaffen?", fragte sie irgendwann.

„Du beherrscht dein Handwerk.", so viel musste er ihr zugestehen. „Was weißt du über das Chaos?" Was scherten ihn in Anbetracht von seiner Bestimmung alte Wunden? Er hatte größere Ziele. Sein Heimatland scherte ihn einen Dreck, er wollte Macht und wenn er diese in Hallstadt nicht erhalten würde, dann vielleicht in diesem Land.

„Der Äther ist die Substanz, aus der alle Elemente hervorgegangen sind. Er beherrscht und durchdringt die gesamte Schöpfung. In den alten Schriften steht geschrieben: Wer sie nicht kennt, die Elemente, ihre Kraft und Eigenschaft, ist kein Meister über die Geister."

Vincent öffnete seine Augen und blickte auf den Schriftzug, der in Stein gemeißelt an den Wänden zu finden war. „Die Geister lassen sich nicht beherrschen.", sagte Vincent.

„Manchmal kommt es mir vor, als hätten die Menschen irgendetwas wichtiges im Laufe der Geschichte vergessen. Die Menschen interessierten sich schon lange nicht mehr für die Elementargeister und dieser Ort bezeugt das." Elementargeister waren wie Luft, willenlos und machtlos.

„Du redest du viel, Elenora von Hohenheim.", sagte er dann. Nach wie vor verstand er diese Frau nicht, weder ihre Motivation noch ihr Wesen.

„Was erwartest du sonst von mir?"

„Kämpf mit mir."

„Was?", schnappte Elenora.

„Wenn du die Luft beherrscht, solltest du dich verteidigen können."

„Ich beherrsche die Luft feingranular, doch kämpfen erfordert eine andere Technik. Dazu muss man die Luft schneller und grober manipulieren. Das habe ich nie gelernt und dafür offenbar auch kein Talent." Im Lazarett Hallstadt war Kampferfahrung überflüssig gewesen.

„Lass mich selbst sehen."

Er wollte kämpfen? Aufgrund seiner Wunden konnte sie ihm nur davon abraten, doch sie bezweifelte, dass er sich von ihr etwas sagen ließ. Vincent erhob sich und brachte Abstand zwischen die Beiden, bevor er sich in Kampfposition begab. Elenora schluckte, wenn sie ehrlich war, galten mittlerweile andere Regeln als die, die sie gewohnt war. Sie begriff seine Absichten nicht, sie konnte sich nur auf ihre Intuition verlassen.

Sie verlor keine Zeit und wollte das Überraschungsmoment für sich zu nutzen. Vincent war ihr in Punkto Schnelligkeit überlegen und diesem Vorteil musste sie entgegenwirken. Die Luft, die sie in ihren Händen freisetzte, wurde mit geballten Fäusten auf ihn losgelassen, als sie nach vorne hastete, um ihn mit einem Faustschlag im Magen zu treffen. Vincent wich mit einer eleganten Bewegung aus. Als hätte Elenora mit dieser Reaktion gerechnet, drehte sie sich im selben Moment, um ihn mit ihrem anderen Arm im Gesicht zu treffen. Auch diesem Angriff entkam er spielerisch, indem er sich zurückbeugte. Elenora war langsam, die Energie ihrer Hände fand sich konfrontiert mit seiner Schnelligkeit und Wendigkeit.

Sie startete einen weiteren Versuch, donnerte auf ihn los, doch drei Schläge gingen ins Leere. Er war schnell, so verflucht schnell. Seine Art sich zu bewegen, ließ sie lächerlich wirken. Selbst wenn er verletzt war, rechnete sich Elenora keine Chancen aus. Aus dem Augenwinkel sah sie, dass er sich rechts neben ihr befand. Sie versuchte ihn mit ihrem Bein zu treten, um ihn von den Füßen zu reißen. Mitten im Angriff änderte sie ihre Taktik und zog ihren Arm nach. Diesem Angriff entkam er nur knapp. Elenora lag ein Grinsen auf den Lippen, denn sie war stolz ihn in die Zwickmühle gebracht zu haben. Leider kostete ihr dieser kurze Augenblick ihre Deckung. Vincent benutzte das Windelement und landete einen Volltreffer, woraufhin Elenora zu Boden stürzte und einige Male auf dem staubigen Boden aufkam, bevor sie zu Liegen kam. Keuchend rappelte sie sich auf, sein Schlag hatte es in sich gehabt.

„Du lässt deine Gedanken und Gefühle das Beste aus dir holen, du hast gezögert.", bemerkte Vincent.

Elenora seufzte. „Du besitzt im Gegensatz zu mir praktische Kampferfahrung und mehrere Elemente."

„Ich verwende nur den Wind. Als Windgeborene solltest du dich verteidigen können. Meine Annahme, dass du sterben wirst, scheint ziemlich naheliegend."

Elenora fühlte Wut in sich hochsteigen, sie ließ keine Zeit verstreichen, kam auf die Beine und steckte alles in die Schläge, mit denen sie ihn aus dem Gleichgewicht bringen wollte. Seine Worte lösten etwas in ihr aus, dass ihr half noch kontrollierter zuzuschlagen. Der Kampf war plötzlich mehr für sie. Er sollte sie anerkennen. Blitzschnell bewegte sie ihre Faust, um einen Treffer zu landen. Schließlich befand sich eine Mauer in seinem Rücken und er konnte nicht mehr zurückweichen. Mit einer schnellen, unerwarteten Bewegung krallte sie ihre Finger in seine Kleidung, um ihn zu fassen zu bekommen und mit der Faust sein Gesicht zu treffen.

Vincent verlor das Gleichgewicht rücklings. Elenoras Hand, die sich in seine Kleidung verkrampft hatte, tat ihr übriges und beide fielen Richtung Boden und landeten in einer unkomfortablen Position. Elenora stürzte auf ihn und er lag flach auf dem Boden unter ihr. Ihre Gesichter waren knapp voneinander entfernt, doch sie erkannte nur Umrisse, denn eine Staubwolke vernebelte die Sicht.

Elenora fühlte sein Schwert, dessen Klinge sich an ihrer Kehle befand, während ihre Faust den Boden neben seinem Kopf zertrümmert und Staub aufgewirbelt hatte. Sie hatte ihn verfehlt und Vincent hatte die Oberhand. Der Kampf war vorüber. Es war unfassbar, dass sie soeben den Boden sichtbar deformiert hatte.

Sie sah ihm in die Augen, keuchend vor Anstrengung „Du bist verdammt schnell."

„Ich will, dass du redest.", sagte er und presse die Klinge fester an ihre Kehle.

„Was?"

„Was ist deine wahre Motivation?"

„Ich will das Chaos erforschen und Metabolen damit..."

Er hatte gesehen, was die Welt mit Metabolen anstellte anhand von denen, die er einst Familie genannt hatte. Metabolen waren keine Geister und keine Menschen, ihr Leben hatte keinerlei Wert. Metabolen hatten zwei Möglichkeiten bis zum Ausbrechen des Chaos: als Soldat dienen und dabei getötet werden oder bei Metabolen-Verfolgungen hingerichtet werden. Wenn ihn das Chaos letzten Endes auffraß, waren seine Tage ohnehin gezählt und er würde sterben, ohne jemals Macht erhalten zu haben. Er würde so elend sterben wie ein jeder anderer Metabole vor ihm. Machtlos und rechtelos.

„Die Welt kann besser werden.", fügte Eleonora noch hinzu.

„Lüg mich nicht an.", schrie er. Elenoras Körper bebte und ihr Hals schnürte sich zu. Er ließ keinen Zweifel daran, dass er es gerade ernst meinte und sie entschied sich dazu, ihm ihren wahren Beweggrund zu verraten.

„Meine Schwester Helena kennst du bereits. Doch wir sind drei Schwestern." Elenora berührte ihren Armreif, jenen ihrer Mutter. Diese hatte jeder ihrer drei Töchter ein Schmuckstück überreicht. Helena besaß ein Medaillon und Adela eine Brosche.

„Ein Hochgeborener fiel über meine ältere Schwester Adela her. Sie bekam einen Sohn, ein Metabole. Ich möchte .. ich will ihm helfen, meinem Neffen und meiner Schwester. Sie haben bereits genug ertragen, so viel Leid. Es muss eine Heilung für das Chaos geben. Ich würde mir nie verzeihen, wenn er ..."

Sie dachte an die Worte ihres Großvaters: Warum sind wir uns so nahe und mögen uns so? Liegt es am Blut?

Langsam ließ Vincent sein Schwert von ihrem Hals sinken und sah sie an, sein Blick war unergründlich. Ihre Wangen färbten sich, als sie realisierte, wie anzüglich sie im Moment auf ihm saß. Diese Tatsache entging auch Vincent nicht. Für den Bruchteil einer Sekunde kam ihm der Gedanke, wie es wohl mit ihr wäre. Schnell zog sie sich von ihm hinunter und versuchte vom offensichtlichen abzulenken.

„Du hast gut gekämpft, Verräter.", meinte sie.

„Nenn mich nicht so.", sagte er beherrscht und sie wunderte sich, dass ihm das offenbar etwas ausmachte.

„Du hast gut gekämpft, Vincent.", wiederholte sie und rang um ihre Fassung. „Weshalb bist du so wütend? Ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen und bin zu dem Entschluss gekommen, dich am besten zu fragen."

Er konnte nicht leugnen, wie aggressiv er sich ihr gegenüber verhielt. Dabei spielten mehrere Faktoren eine Rolle. Vom ersten Moment an hatte er sich daran gestört, dass sie eine Hochgeborene war. Doch ihn nervte auch ihre Person selbst, die Lebenslust, die sie ausstrahlte. Elenora tanzte im Licht und diese Tatsache erinnerte ihn daran, wie sein Leben als Metabole bisher verlaufen war. Doch die Niederlage gegenüber Constantin war der wundeste Punkt, der sein Blut zum Kochen brachte. Und Elenora hatte das Pech Zeugin zu sein und aus einem ihm unverständlichen Grund seine Nähe zu suchen. Zumindest ihre Erklärung, warum sie eine Heilung für das Chaos suchte, erschien ihm plausibel. Seine Wut würde sich früh genug entladen, wenn er seinem Gegner gegenüberstehen würde.

„Du bist eine Hochgeborene", war seine schlichte Antwort und sie war nur halb ehrlich. Sie erinnerte ihn an ein verwundbares Kind, welches er nicht beschützen hatte können: Sich selbst.

„Ich kann mich nicht dafür entschuldigen, was oder wer ich bin.", gab sie kleinlaut bei. „Aber glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass ich das Beste für Metabolen möchte?"

„Hm."

„Wir werden sehen.", meinte er, ehe er sein Schwert in der Scheide versenkte. Er hatte sein Leben lang vergeblich versucht seine Sünden zu büßen. Es war nicht seine Absicht, neue an ihr zu begehen. Was er wollte, war Macht. Was ihm Frieden geben konnte, war das Begleichen seiner Schuld. Er musste zugeben, dass er zu weit gegangen war und nahm sich vor, gleichgültiger auf Elenora zu reagieren. Nur einige Meter hatte er zurückgelegt als ihn ihre Worte erneut innehalten ließen.

„Es könnte immer so sein.", meinte sie, bevor sie sich aufrichtete, um sich ihm anzuschließen. Alle Emotion war von seinem Gesicht weggewischt. Sie tat es schon wieder. Sie näherte sich ihm an. Dafür war er der Falsche, warum begriff sie das es nicht? Er fühlte die giftigen Worte in sich aufkeimen, um sie zum Schweigen zu bringen, stattdessen beschwichtigte er sich selbst. Er wusste nicht, wie er mit Annäherungen umgehen sollte, es überforderte ihn schlichtweg. Solche Dinge waren nicht für ihn bestimmt, daher wehrte er sie für gewöhnlich mit abweisenden Gesten ab.

„Wir brechen morgen Richtung Hauptstadt auf! Wir suchen meinen Onkel Robin - wie es der Feuergeist prophezeit hat.", befahl er und ignorierte ihre Worte, bevor er wütend voranging und versuchte seine Gefühle zu schlucken.
 


 


 

8 Die Hauptstadt

Die beiden wanderten durch die unberührte Landschaft, bis sie auf einem schmalen Pfad kamen. Als sie das Wort an Vincent richtete, erhielt sie nichtssagende Antworten, deshalb gab sie auf und genoss stattdessen die Natur. Der Weg entpuppte sich als halsbrecherisch und es blieb wenig Zeit für Worte, denn Vincent wollte ihn offenbar in rekordwürdigem Tempo hinter sich bringen. Doch dann teilte sich der Wald vor ihnen und gab den Blick auf gewaltige Gebäude frei.

„Jetzt sind wir beinahe angekommen“, durchbrach Elenora die Stille als sie die Stadt erblickte und konnte ihren lauten Atem kaum unterdrücken.

Ein eisiger Hauch wehte durch die Straßen, als Elenora und Vincent das Stadttor von Bern passierten. Die Mauern der Hauptstadt ragten hoch über ihnen auf, von Wachttürmen gekrönt, die über das Treiben der Stadt wachten. Der Geruch von Rauch und Gewürzen hing in der Luft, während das sanfte Klappern von Pferdehufen und das Rauschen von Stimmen das Echo der Stadt bildeten.

Bern war eine Stadt der Kontraste, geprägt von ihrem Reichtum und ihrer Geschichte. Die gepflasterten Straßen führten vorbei an prächtigen Palästen und schäbigen Hütten, an bunten Marktständen und schattigen Gassen. Überall strömten unterschiedliche Menschen durch die Straßen, von noblen Hochgeborenen in seidigen Gewändern bis hin zu einfachen Handwerkern und armen Bettlern.

Die Architektur der Stadt war ebenso vielfältig wie ihre Bewohner, mit gotischen Türmen und Fachwerkhäusern, die sich entlang der engen Gassen drängten. Über allem thronte ein imposanter Palast, dessen silberne Türme im warmen Licht der untergehenden Sonne glänzten.

Sanfter Wind strich durch Elenoras seidiges Haar, während Vincent den Palast betrachtete, der immer näher rückte. "Bälle dienen dazu, politische und gesellschaftliche Beziehungen zu festigen, besonders in wohlhabenden und adligen Kreisen", erzählte er.

„Schlägst du vor, einen Ball im Palast zu besuchen?“ erkundigte sich Elenora.

Er hatte darüber nachgedacht, wie er seinen Onkel finden und was er ihm sagen würde. Wahrscheinlich war dieser mit diplomatischen Schachspielen beschäftigt.

„Es dürfte für dich kaum ein Problem sein“, erwiderte Vincent. „Wir sollten uns unter die Leute mischen“, überlegte er, ehe er seine Schritte fortsetzte und die Beiden kurze Zeit später Teil des Trubels wurden. Vincent mochte es nicht unter Menschenmassen zu sein, war lieber für sich. Doch wenn sie unentdeckt bleiben wollten, mussten sie sich unauffällig verhalten. Die Straßen waren mit bunten Laternen geschmückt und erleuchtet, ein sonderbarer Brauch. Der Markplatz, auf dem sie ankamen, war brechend voll mit Menschen in ihren besten Gewändern, die in Feier Laune zu sein schienen.

„Was erhoffst du dir davon?“, fragte Elenora.

„Mein Onkel wird mit hoher Wahrscheinlichkeit teilnehmen, wenn er in der Stadt ist und wir sollten die politischen Gegebenheiten ausforschen."

„Gut, wir werden gemeinsam herausfinden, was im Land vor sich geht", schlug Elenora vor.

„Mir ist es nicht gestattet bei politischen Zusammenkünften zu sprechen", erklärte er. „Mit etwas Glück erhalte ich Zutritt als dein Wächter."

Während sie durch die belebten Straßen wanderten, dachte sie, dass sie sich an einem Ort befanden, in dem womöglich nicht alles so schön war, wie es auf den ersten Blick schien. Außerdem musste sie sich den Herausforderungen zu stellen die auf diesem Ball warteten. Es war entscheidend, ob sie Personen auf den Bällen hier kannte und wie das politische Geschehen im Land bestimmt wurde. Doch sie war unsicher, ob sie die Rolle der edlen Hochgeborenen spielen konnte, die notwendig sein würde. Elenora blickte zu Vincent und dann auf das Geschäft vor ihnen, das feinste Kleidung aus Seide verkaufte und folgte ihm in das Gebäude. Sie würde so tun, als ob sie diese feine Person war, im Grunde hatte sie diese Rolle schon oft gespielt.

Nach einem Gespräch mit der Angestellten hatten sie erfahren, dass an diesem Abend ein Ball stattfand und deshalb auch die Straßen geschmückt waren. Für den Anlass hatte die Dame Elenora ein Kleid herausgesucht. Sie betrachtete sich im Spiegel, feinste Seide schmiegte sich um ihren Körper. Die Hauptstadt hatte Läden zu bieten, von denen viele Frauen träumten. Elenoras Finger berührten die feinen Roben und teuren Stoffe. Unwillkürlich fragte sie sich, ob Vincent das Kleid gefiel, zumindest hatte er sie darin betrachtet. Achtete Vincent auf derartiges?

„Ich hasse Bälle", gestand Elenora und Vincent blickte sie an. „In Hallstadt habe ich an einigen teilgenommen.“

„Ich würde gerne deine Macht besitzen", sagte Vincent, bevor er sich abwandte. Metabolen waren auf Bällen kaum anzutreffen. Sie blickte ihm nach, während sie die Stunden bis zum bevorstehenden Ball zählte. Elegant gekleidete Menschen strömten in die Richtung des prächtigen Gebäudes, dessen Tore sich für eine Nacht voller Glanz und Pracht öffneten.

Die Wächter am Eingang kontrollierten Elenoras Papiere und nach einem skeptischen Gespräch ließen sie schließlich beide passieren.

Im Inneren des Ballsaals herrschte Aufregung. Das Klirren von Gläsern und Silberbesteck mischte sich mit dem gedämpften Murmeln der Gäste, die sich in kleinen Gruppen versammelten, um Gespräche zu führen. Die Wände des Saales waren mit üppigen Stoffen und Kristallleuchtern geschmückt, die das Licht der Kerzen reflektierten und einen funkelnden Glanz über die Tanzfläche warfen. Überall im Raum waren kunstvoll arrangierte Blumen zu sehen, ihre Düfte vermischt mit dem Hauch von Parfüm.

Die Musiker auf der Bühne spielen eine klassische Melodie, und Paare glitten elegant über das Parkett, ihre Bewegungen perfekt synchronisiert mit der Musik. Elenoras Kleid glitzerte im Kerzenlicht, und Vincents Kleidung betonte sein gutes Aussehen. Sie wurden von neugierigen Blicken begleitet, als sie sich unter die Gäste mischten.

„Welch eine Ehre, eine von Hohenheim in unserer Mitte", bemerkte plötzlich ein Mann, und Elenora wandte sich erschrocken um. Richard von Epstein, der ihr ihre Heimat genommen hatte, stand unmittelbar hinter ihnen und hatte sie sofort entdeckt. Hatten sie bereits verloren?

Trotz ihres Unbehagens verbeugte sich Elenora vor ihm, denn der Schein war alles, was zählte. „Ich bin verwundert, euch hier zu sehen, vor allem an seiner Seite“, bemerkte von Epstein.

„Es sollte euch wenig wundern mich nicht mehr in Hallstadt anzutreffen“, erwiderte Elenora.

Ein Mann, der offenbar mit Richard von Epstein den Tisch teilte, gesellte, sich zu ihnen und küsste Elenoras Hand in einer eleganten Geste. „Es würde mich freuen, diese Schönheit einem Platz an unserem Tisch anzubieten.“, sagte der Mann.

Elenora nickte ihm leicht zu und konnte deutlich Richard von Epsteins Ablehnung an seinem Gesichtsausdruck erkennen. Dennoch erhielt sie einen Platz an dem Tisch. Vincent folgte ihnen und stellte sich einige Meter neben dem Tisch an die Wand.

„Elenora von Hohenheim.“, stellte sie sich freundlich vor.

„Robin Wolf.“, sagte ihr Gegenüber und Elenora erstarrte. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass Vincents Onkel so plötzlich zu treffen.

Bereits bevor das Essen serviert wurde, hatte sie einige Fakten erfahren. Robin Wolf stammte aus einer Hochgeborenenfamile und hatte sich durch seine diplomatischen Fähigkeiten und seine Hingabe an die Kantone des Landes ausgezeichnet. Als Landammann arbeitete er daran, die Interessen der Kantone zu vertreten und die Unabhängigkeit der Schweiz in einer Zeit großer politischer Turbulenzen zu bewahren. Als Landammann war er der Vorsitzende der Tagsatzung, dem höchsten politischen Gremium der Schweiz, und repräsentierte die Interessen der Kantone nach außen.

„Und ihr? Seid ihr etwa mit Paracelsus von Hohenheim verwandt?", fragte ein Mann am Tisch. Er war gutaussehend und von kräftiger Statur mit hellen Augen.

„Er ist mein Großvater.“, erwidere Elenora und stocherte in ihrem Essen herum. Wurde Vincent nichts angeboten? Sie widerstand dem Drang zu ihm zu blicken, es ließ sich nur schwer mit der Rolle vereinbaren, die sie heute spielte.

„Eine unglaubliche Ehre. In der Schweiz leben nur wenige Windgeborene und ich bin einer von ihnen.“, fuhr der Herr fort und Elenora hatte den Eindruck, dass er sie etwas zu anzüglich betrachtete.

„Ich versichere euch, dass sie keine gute Partie für euch darstellt.“, sagte Richard von Epstein, dem seine Blicke ebenfalls nicht unbemerkt geblieben waren. Er verzog den Mund zu einem ernsten Strich. „Sie vertritt heikle Ansichten und eine offensichtliche Vorliebe für Metabolen.“

Von Epstein und die Männer richteten ihre Aufmerksamkeit auf Vincent, der stumm neben ihnen stand.

„Er wärmt euer Bett, Lady von Hohenheim?“, erkundigte sich der Windgeborene und Elenora schluckte.

„Vincent ist mein Leibwächter.“, eröffnete sie und blickte zu Vincent, der noch immer kein Wort gesagt hatte. Er stand steif neben dem Tisch und blickte zu Boden. „Er beschützte bisher mein Leben.“

„Ich braucht euch nicht rechtfertigen. Hier in Winterthur halten viele Hochgeborene Metabolen für das Bett. Euer Großvater veröffentlichte grandiose Schriften, die dies ermöglichen. Ein wichtiger Mann für unser Land, hat er doch die Kastrationspflicht für Metabolen in seinen Schriften propagiert und aufgezeigt, wie gefährlich sie für die Gesellschaft sind."

Elenoras Atem stockte, sie hatte nie geglaubt, dass ihr Großvater ein derartiges Monster sein könnte. Vincent tat ihr leid, wie er dastand und kein Recht hatte zu sprechen oder zu essen. Es zerriss ihr das Herz. Er war die zahlreichen Metabolen vor ihm, unbedeutend und darauf wartend bei einer Metabolbenjagt entsorgt zu werden. In diesem Augenblick begriff sie Vincents Streben nach Macht - er wollte Mitspracherecht. Während sie den Druck verspürte, sich zurückzuhalten, um mehr Informationen zu erfahren, schmerzte ihr Herz wegen ihm, der in dieser Gesellschaft keine Stimme hatte und für alle Metabolen, die in diesem Land Qualen erlitten.

„Dieses grauenvolle Gesetz hätte längst abgeschafft gehört.“, stellte Robin Wolf fest.

„Seid auch ihr ein Freund der Metabolen? Oder liegt es daran, dass er euer Neffe ist?“, sagte Richard von Epstein. „Ihr könnt wohl kaum die unkontrollierte Verbreitung von Metabolen gutheißen?“

„Um das Gesetz abzuschaffen, bräuchtet ihr die Einwilligung jedes Kantons.“, sagte der Windgeborene.

„Darf ich ihre weiteren Getränkewünsche erfragen?“, gab die Kellnerin am Tisch zu verstehen.

„Den feinsten Wein für alle.“, antwortete Richard von Epstein und die Kellnerin verschwand.

„Entschuldigt mich, ich werde die Runde aussetzen, denn ich habe politische Pflichten zu erledigen.“, sagte Robin Wolf und begab sich auf die vor ihnen liegende Bühne, um eine Rede anzustimmen: „Meine lieben Unterstützer.“, sprach er, während die Kellnerin Elenoras Weinglas füllte. „Wie ihr wisst findet in nur drei Tagen eine wichtige Wahl zum Landamman statt. Wie bereits letztes Mal stehe ich für die Wahl bereit. Lasst mich sagen, dass es für mich nichts Wichtigeres gibt als unser Land! Wer an ein friedliches Zusammenleben glaubt, für den werde ich einstehen! Für jeden einzelnen der mir seine Stimme zusichert!“

Vincent blickte zu Elenora, wie sie an ihrem Glas Wein nippte. Wenn sie ihr Vorhaben beendet hatte, würde sie zweifellos betrunken sein. Nachdem Robin die Ansprache beendet hatte, wanderte er von einem Tisch zum nächsten, um mit potenziellen Wählern zu sprechen. Elenora stand nach einer gefühlten Ewigkeit vom Tisch auf, nachdem jeder sein Essen beendet hatte und sagte, sie wolle sich etwas unter die Leute mischen. Richard von Epstein musterte sie aus kalten Augen und verzog den Mund zu einem ernsten Strich.

Sie bewegten sich durch die Menge und hörte, wie Vincent ihr folgte, bis sie Robin erreichten, der sie mit zugekniffenen Augen anlächelte. Er bemerkte leise: „Es ist leider nicht ungefährlich mich mit euch sehen zu lassen, doch wir haben einiges zu Besprechen. Kommt morgen nachts in mein Haus in der Kramgasse. Aber lasst euch in der Zwischenzeit nicht erwischen, es ist nicht besonders klug in dieser Stadt als Metabole Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.“

„Wie gefährlich ist es für Vincent in der Hauptstadt?“, flüsterte Elenora.

„Sein Leben steht auf dem Spiel, die Einheimischen haben keine Skrupel Metabolen zu töten.“, erwiderte dieser ernst „Passt auf euch auf!“ und wandte sich kurzerhand ab. Alles sollte wirken wie an jedem anderen Tisch und mit jeder anderen Gruppe, mit der er sprach.

„Ich hoffe ihr bleibt bis zum Feuerwerk.“, fügte er winkend hinzu und hatte seine Maske, die des fröhlichen Politikers, wieder aufgesetzt. Es verging eine halbe Stunde in der keiner der beiden etwas sagte und die Show auf der Bühne belustigte die Hochgeborenen offenbar, denn die meisten verfolgten sie aufmerksam. Doch Elenora beobachtete Vincent, der mit nachdenklichem und abwesendem Gesichtsausdruck an ihrer Seite stand. Als sie endlich den Palast verließen und die dunklen Straßen der Hauptstadt begingen konnte sie es kaum erwarten, endlich seine Stimme zu hören. Draußen schienen die Einheimischen zu feiern, genau wie die Hochgeborenen in der Burg, wenn auch auf andere Weise. Die Stimmung war ausgelassen und festlich. Da die beiden mittlerweile einige Meter vom Palast entfernt waren und das Licht gedämpft war, schien es gefahrlos zu sprechen.

„Woran denkst du?“, platze sie ungeduldig heraus.

„Elenora ..“, brummte er und signalisierte, dass es unpassend war ein Gespräch zu beginnen.

„Ich für meinen Teil habe gedacht, dass der Abend nicht schlecht verlaufen ist. Wir haben deinen Onkel gefunden und können ihn morgen treffen, auch wenn es nicht ungefährlich für dich in dieser Stadt zu sein scheint. Vielleicht sollten wir den Abend gemütlich ausklingen lassen. Die Laternen und die Menschen, die feiern sind irgendwie festlich, findest du nicht? Und dein Onkel sagte, wir sollen das Feuerwerk betrachten.“

Er sah sie an, doch antwortete nicht. Auch wenn es ihn nervte, die festliche Stimmung, der Alkohol und die vielen ausgelassenen Menschenstimmen hatten sie eigenartige Stimmung versetzt. Es wirkte, als solle sie ihn aufheitern. Manchmal wunderte er sich über ihre Art die Welt zu sehen. Die feiernden Menschen waren Dinge, die er zwar sah, aber die für ihn keine Bedeutung hatten. Irgendetwas in ihm befand es gut, dass wenigstens sie diese Dinge wertschätzte. Nur wünschte er sich, dass sie ihre Konzentration auf die bevorstehende Wahl richtete. Elenora beschloss es vorerst dabei zu belassen. Im Moment war Vincent nicht wütend und nachdem ihre Tarnung nicht auffliegen durfte, war es besser, wenn es dabeiblieb. Doch sie hatte nach dem, was im Palast gesagt worden war das diffuse Bedürfnis seine Laune zu verbessern. Doch das Feuerwerk über ihren Köpfen und die feiernden Menschen schienen seine Laune nicht zu verbessern. Vielleicht brauchte er eine andere Art von Gespräch.

„Als du mit diesem körperlosen Elementargeist gesprochen hast habe ich mir die Frage gestellt, was der Körper wirklich ist. Dieses Gefäß, das uns durch das Leben trägt?“

„Ein Zusammenspiel von Materie und Energie.“, erwiderte Vincent und atmete hörbar aus, wie ein tanzender Mann ihm zu nahegekommen war.

„Was ist der Elementargeist dann? Nur Energie?“, sagte sie und schluckte.

„Du bist betrunken.“, sagte Vincent doch etwas in seiner Stimme klang interessiert, fast aufgeregt und sie vermutete, dass sie einen Nerv getroffen hatte und beschloss weiterzusprechen.

„Ich glaube, der Körper ist ein Gefäß, in dem eine Seele wohnt. Aber ist der Körper nur ein mechanisches Gebilde, gesteuert von biochemischen Prozessen? Oder ist er mehr – ein Medium, das unsere Seele mit der Welt verbindet?“ Elenora legte die Hand auf ihr Herz.

„Wenn der Körper leidet, spürt die Seele dann nicht denselben Schmerz?“, fragte Vincent.

„Der Körper spürt die Kälte des Windes, die Wärme der Sonne. Aber die Seele – sie ist das unsichtbare Band, das uns mit allem verknüpft. Ich glaube, die Seele ist mehr als nur Empfindung. Sie ist der Ort, an dem unsere Träume, unsere Sehnsüchte, unsere Liebe entstehen. Die Seele - sie sehnt sich. Der Körper mag vergehen, aber die Seele?“

„Elementargeister sind Seelen ohne Körper?“, fragte Vincent und sah sie einen Augenblick lang intensiv an. Dann blickte er in den Himmel und schwieg, doch Elenora konnte ihren Blick nicht von ihm nehmen.

„Vielleicht ist der Körper nur ein vorübergehendes Gasthaus für die Seele.“

Elenora schluckte und fragte sich, ob sie ihm das auch angetan hatten ihn zu kastrieren, doch sie traute sich die Frage nicht zu stellen. Vielleicht hatte er in einem nächsten Leben das Glück einen Körper zu erlangen, der von der Gesellschaft nicht herablassend behandelt wurde, ein Körper, der nicht der Körper eines Metabolen war.



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