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Champ Stories

Band 1: Endynalos
von
Koautor:  Flordelis

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Ich hatte gehofft, dass du das sagst

In der Gegend um den Dyna-Baum herum zogen sich mehrere Wassergräben, aus denen in unregelmäßigen Abständen immer wieder einige Karpador mehrere Meter in die Höhe plantschen, was stets lustig anzusehen war. Verschiedene Grüppchen aus Waumboll schwebten langsam durch die Luft, ließen sich entspannt vom Wind tragen. Manchmal rannte ein aufgeregtes Geradaks auf den Weg, verschwand jedoch schnell wieder mit flinken Bewegungen im hohen Gras, in dem sich bestimmt noch viele andere Pokémon versteckten.

„Ich liebe es hier~“, betonte Raelene, während sie tief Luft holte und die Stimmung in sich aufnahm. „Eine lebhafte Atmosphäre voller Pokémon ist mir viel lieber als die Hektik in der Stadt.“

Delion lief gemütlich neben ihr her und atmete ebenfalls durch. „Das geht mir auch so.“

Sie waren beide in Furlongham aufgewachsen, ohnehin ein kleines Dorf, in dem es hauptsächlich Wollys gab. Natürlich liebte Raelene diesen friedlichen Ort, ihre Wurzeln, doch im Vergleich dazu war jede Großstadt wie ein eigenes, aufregendes Abenteuer gewesen. Erst recht die Wildnis, in der man unzähligen Pokémon in ihrem natürlichen Revier beobachten konnte. Deswegen ging es Delion in der Hinsicht wohl genauso wie ihr.

„Pokémon sind auch unkomplizierter als Menschen“, fügte Raelene hinzu.

„Du sagst es.“

Seit dem Fall mit Rose damals hatte Raelene gelernt, dass man nie sicher sein konnte, wer vertrauenswürdig war. Oder man bekam es plötzlich mit Typen wie Schwerthold und Schilderich zu tun, die aus rein egoistischen Gründen Ärger machten. Es waren natürlich auch nicht alle Pokémon gänzlich unkompliziert, aber man hatte schlicht das Gefühl sie insgesamt viel besser einschätzen und vor allem verstehen zu können.

Plötzlich stürmte ein wildes Bellektro hinter einem Baum hervor und stieß geradewegs gegen Delion, den das kaum ins Schwanken brachte – anscheinend konnte ihn so leicht nichts zu Fall bringen. Er war nur ein wenig zurückgeschreckt, weil er damit nicht gerechnet hatte, ebenso wenig wie Bellektro selbst. Das Pokémon schüttelte sich kräftig und schien verwirrt zu sein, also war es wohl keine Absicht gewesen.

„Alles in Ordnung?“, fragte Raelene, womit sie direkt beide ansprach.

„Bei mir schon.“ Besorgt fixierte sich sein Blick auf Bellektro. „Hey, alles klar?“

In der Naturzone waren die Pokémon schon teilweise übermütig, aber in den Kronen-Schneelanden musste man noch wachsamer sein, wie Raelene wieder mal bemerkte. Die Pokémon kamen hier nicht sonderlich viel mit Menschen in Kontakt, deshalb konnte so etwas leicht passieren.

Bellektro sah sie mit seinen großen, verspielten Augen an und bellte aufgeregt. Es rannte um sie beide herum und begab sich in Spielstellung, schien aber ständig von der Umgebung abgelenkt zu werden. Schließlich stürmte es dann auch schon wieder davon, als etwas anderes doch interessanter zu sein schien.

„Offenbar geht es ihm gut.“ Raelene schmunzelte amüsiert. „Bellektro gibt es hier viele. Die eignen sich gut für Wettrennen. Das haben Liberlo und ich schon mit ihnen gemacht~.“

Delion sah dem Bellektro hinterher. „Es sah aus, als ob es wirklich spielen wollte.“

Immerhin war Bellektro die Weiterentwicklung von Voldi – und die waren auch allesamt sehr verspielt. Irgendwie fand Raelene es schön, dass manche Pokémon ihre Natur beibehielten, auch nach ihrer Entwicklung. Viele veränderten sich dagegen so sehr, dass man sie hinterher kaum wiedererkannte.

„Liberlo hat bestimmt viel Spaß, wenn er mit ihnen um die Wette läuft.“

„Und ob. Ich komme da mit dem Rotom-Rad nur schwer hinterher.“

Manchmal wurden sie bei solchen Wettrennen aber auch von wilden Pokémon unterbrochen, die weniger freundliche Absichten hegten, zum Beispiel von dieser riesigen Fledermaus ... deren Namen sich Raelene einfach nicht merken konnte. Hin und wieder stürzte die sich aus dem Nichts von oben auf Liberlo und die Bellektro, hatte letztendlich gegen die Mehrheit jedoch nie eine große Chance.

„Wenn wir uns öfter treffen, wird Liberlo dich und Glurak bald auch zu einem Wettrennen herausfordern. Mach dich darauf gefasst~.“

Schmunzelnd konzentrierte Delion sich wieder gänzlich auf Raelene. „Wir sind auf jeden Fall bereit.“

Sogar Delion hätte gegen Liberlo wahrscheinlich keine Chance, sein Glurak könnte da schon deutlich bessere Karten haben. Bislang hatten sie Liberlo aber noch nie richtig sprinten sehen, sondern nur einen Einblick in seine Beinkraft während einigen Kämpfen gewinnen können. Daher dürfte das für Delion und Glurak trotzdem eine Überraschung werden, sobald es mal wirklich zu einem Rennen käme.

„Das wird mal eine andere Herausforderung für Glurak“, merkte Delion an.

„Ich bin wirklich gespannt, wer ein Wettrennen gewinnen würde.“

Natürlich tippte Raelene auf Liberlo, weil sie wusste, wie schnell er war. Delion hatte aber Erfahrung darin, seine Pokémon für jegliche Lage genau richtig zu trainieren, um alles aus ihnen herauszuholen. Glurak war unglaublich stark und auch flink. Schade, dass sie ihn ewig nicht mehr live kämpfen gesehen hatte.

„Du und ich, wir werden aber garantiert verlieren, so viel steht fest“, hielt Raelene fest.

Gespielt betrübt nickte Delion, lächelte dabei aber. „Das werden wir. Sowas von. Aber ist ja auch nicht weiter schlimm.“

Liebevoll klopfte Raelene ihm auf den Rücken und lächelte. Irgendwann würde sie ihn fragen, ob er nochmal gegen sie kämpfen wollte. Allerdings erst, wenn sie absolut sicher sein könnte, dass es ihm tatsächlich nichts mehr ausmachte, zu verlieren. Und das war noch nicht der Fall – zumal sie selbst vorher sicherstellen müsste, dass eine Niederlage ihr nichts ausmachte.

„Hey, willst du mal eines von vielen Geheimnissen in den Kronen-Schneelanden sehen?“, sagte Raelene, mit tiefer Stimme, um es spannend zu machen.

Ohne eine Antwort abzuwarten, griff sie nach seiner Hand und zog ihn ein Stück mit sich, am Ufer des Sees entlang, in dessen Mitte der Dyna-Baum thronte. Nach einer Weile blieb sie stehen und deutete zu einem kleinen Landfleck mitten in einem anderen Wassergraben.

„Was fällt dir an dieser Mini-Insel auf?“

Nachdenklich betrachtete Delion die Stelle, von der sie sprach. „Na ja ... sie ist echt winzig …“

Auf der Insel war niemand zu sehen, nicht mal irgendein kleines Pokémon. Dafür gab es einen großen Baum – und daneben stand etwas, das für jeden seltsam unpassend wirken musste. Auch Delion bemerkte diese Kleinigkeit schließlich, nachdem Raelene ihm ein bisschen Zeit gelassen hatte.

„Hat da jemand seinen Topf vergessen?“

„Vielleicht“, flüsterte sie geheimnisvoll. „Er steht dort schon ewig! Es gibt Fußspuren eines Pokémon auf der Insel, vor allem in der Nähe des Topfes. Oder ist es gar kein Pokémon? Vielleicht ein Geist? Warum holt niemand den Topf ab? Worauf wartet dieses Wesen, das da immer wieder herumzulaufen scheint?“

Sie breitete die Arme aus und sprach in einer normalen Lautstärke weiter: „Klar, es könnte auch nur ein stinknormaler Topf sein, den wirklich nur jemand vergessen hat, aber es macht mich verrückt, dass es auch etwas ganz anderes sein könnte – und ich nicht weiß, was.“

Wenn es nur ein normaler Topf war, stellte sich natürlich auch die Frage, warum irgendjemand ausgerechnet auf dieser kleinen Insel Halt machen würde. Und wie vergaß man diesen Topf dann einfach, wenn das Eiland so übersichtlich war, dass sicher nicht mal Delion sich dort verlaufen könnte?

„Mysteriös“, stimmte er ihr zu. „Egal, ob es ein normaler Topf ist oder nicht, das muss einen echt neugierig machen.“

Raelene starrte weiter zu der kleinen Insel. „Ich war zwar schon einige Male bei Tag da, aber mir ist nie etwas anderes aufgefallen, außer die Fußspuren. Andere Pokémon trauen sich scheinbar gar nicht erst an Land.“

Unruhig sah sie nun Delion an. „Bei Nacht war ich noch nie dort, weil ... der Grabstein nicht ganz so weit weg ist.“

Das machte sie zu nervös. Was, wenn am Ende wegen Raelene ihre Pokémon und sie selbst von einem rachsüchtigen Geist verschlungen wurden, nur weil sie zu neugierig gewesen was?

„Hey, kein Problem“, versicherte Delion, voller Zuversicht und mit einem besonders hinreißendem Lächeln. „Jetzt bin ich ja bei dir, da musst du dir keine Sorgen wegen irgendeinem Grabstein oder so machen.“

Ob Delion sich in dem Punkt so sicher war, weil er Katapuldra an seiner Seite wusste? Als Geist-Pokémon käme er natürlich mit vielerlei Spuk schon zurecht, doch trotz der Anwesenheit von Gorgasonn war Raelene oft noch unsicher bei solchen Dingen. Womöglich färbten ihre Gefühle auf ihr Pokémon ab und bei Delion und Katapuldra wäre es ganz anders.

„Oh gut~. Es gibt da nämlich auch noch ein Gerücht über eine langhaarige Frau, die nachts beim Friedhof herumspuken und etwas suchen soll. Und ich kann das nicht sein ... hoffe ich.“

Wäre Raelene Schlafwandlerin, hätten ihre Pokémon ihr das sicher irgendwie versucht mitzuteilen. Außerdem wäre ihr Pyjama morgens dann nicht immer noch so sauber ...

„Denk jetzt aber nicht, ich hätte zu viel Angst“, fügte sie rasch hinzu.

Daraufhin nahm sie eine möglichst selbstbewusste Pose ein und schob die Brust nach vorne. „Ich bin schließlich der Champ! Wenn es sein muss, lege ich mich mit allem an.“

„Oooh~.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah sie prüfend an. „Dann hast du dich nur noch nicht damit beschäftigt, weil es nicht sein muss?“

Für eine Sekunde entglitten Raelene die Gesichtszüge, doch kaum hatte Delion das gesagt, schmunzelte er auch schon wieder, damit sie wusste, dass er es nicht zu ernst meinte. Deshalb grinste sie kurz darauf und nickte entschlossen.

„Genau~. Ich meine, welcher gute Champ verschwendet denn seine Zeit damit, alle Geheimnisse der Kronen-Schneelande aufdecken zu wollen, wenn das nicht sein muss?“

Als sie das gesagt hatte, hielt sie wieder inne. Sie schielte kurz nachdenklich zur Seite, bis sie ein kleinlautes „Oh ...“ von sich gab. Genau das war es, was sie im Grunde schon eine ziemlich lange Zeit lang tat. Und aktuell war sie der Champ.

„Du würdest es mir sagen, wenn ich nicht genug für die Allgemeinheit tue, weil ich mich zu viel mit anderen Dingen beschäftige, oder?“

Delion stemmte eine Hand in die Hüfte. „Keine Sorge. Wenn es Gründe gäbe, an deinen Qualitäten als Champ zu zweifeln, hätte ich dir das schon längst mitgeteilt.“

Eigentlich war das eine blöde Frage gewesen. Während ihrer Rebellen-Phase hatte Delion sie ziemlich oft überaus deutlich und schonungslos kritisiert, sobald sie es zu weit trieb. Da nahm er also kein Blatt vor den Mund, wie sie wusste. Mittlerweile erschien ihr das wie eine Ewigkeit her, zumal sie auch nicht gerne daran zurückdachte.

„Aktuell ist es in Galar sehr ruhig, also gibt es auch nicht so viel für die Allgemeinheit zu tun. Und zu deinen Terminen erscheinst du ja immer pünktlich.“

Nach ihren pubertären Fehltritten war das Raelene auch ziemlich wichtig gewesen. Obwohl sie als eine der wenigen einen genervten Delion kennenlernen konnte, wollte sie das zukünftig lieber weiterhin vermeiden. Natürlich auch im Sinne aller Angestellten, die ihretwegen sonst nur mehr unnötige Arbeit und Stress hätten.

„Stimmt, ich mach mir da wohl zu viele Sorgen.“ Ihre Körperhaltung entspannte sich wieder und sie lächelte. „Das war jedenfalls eines der kleineren, eher harmlosen Geheimnisse.“

Statt etwas zu sagen, sah Delion Raelene eine Weile abwesend an. Irgendetwas schien ihm durch den Kopf zu gehen, doch sie wollte nicht zu aufdringlich sein und wartete einen Augenblick ab, ohne ihn nach seinen Gedanken zu fragen.

Schließlich ballte Delion entschlossen eine Hand zur Faust. „Lass uns allem zusammen auf den Grund gehen! Wir bekommen das hin!“

Raelenes Gesicht strahlte vor Freude. „Ganz genau! Mit doppelter Champ-Power~.“

Energiegeladen fuhr sie herum und rannte ein Stück weiter, bevor sie sich wieder umdrehte. Auffordernd winkte sie Delion mit beiden Händen zu.

„Komm schon, Training für das Wettrennen mit Liberlo! Einmal um den See herum, zum Camp zurück. Der Verlierer muss dem Gewinner ein kleines Geschenk machen~.“

„Dann überleg dir schon mal was!“, riet er ihr.

„Du dir besser auch!“, gab sie zurück.

Bestimmt hatte Raelene nicht vor, es ihm leicht zu machen, obwohl er derart überzeugt von seinem Sieg wirkte. Sie konnte sich aber schon denken, dass Delion mit großer Wahrscheinlichkeit sportlicher war als sie. Schon an seinem tollen Körperbau war das zu erkennen.

Okay, nicht zu sehr mit den Gedanken abdriften.

Da Delion bereits dabei war ihr zu folgen, indem er angefangen hatte zu joggen, sollte sie ihren kleinen Vorsprung lieber ausnutzen. Also gab Raelene alles, damit er zumindest etwas überrascht über ihre Schnelligkeit wäre. Ihr Haar flatterte wild hin und her, kaum dass sie motiviert Richtung Camp sprintete.

Das Ziel kam schnell näher und Raelene blieb größtenteils vorne, weshalb sie umso überraschter war, als Delion auf einmal in ihrem Augenwinkel auftauchte. Er schien nicht mal ansatzweise an sein Limit zu gehen, so locker wie er an ihr vorbeizog und die Führung übernahmen.

Über die Schulter hinweg zwinkerte Delion ihr verschmitzt zu. „Ich warte dann auf dich~.“

„Angeber~!“, rief Raelene ihm hinterher.

Ein verdammt süßer Angeber. Einholen würde sie ihn aber wohl nicht mehr, so schnell wie er nun war. Sie hätte nicht sofort so viel Gas geben sollen, denn dadurch fehlte ihr die Reserve, mit der sie sonst nochmal einen Satz drauflegen könnte. Hoffentlich nahmen sich ihre Pokémon daran kein Beispiel.

Da sie nun aber bereits alles gab, zog sie das auch bis zum Ende durch. Schon damit sie Delion trotzdem weiterhin im Blick hatte und sie ihn warnen könnte, falls er doch falsch abbog. Was vermutlich durchaus ziemlich wichtig war, auch wenn der Baum kaum übersehen werden konnte. An einer Stelle schien es nämlich so, als wolle er tatsächlich nach rechts abdriften, wo der Weg abschüssig werden und ganz woanders hinführen würde – müsste ihm nicht auffallen, dass dort viel mehr Gras war als vorher?

Den richtigen Pfad zum Baum übersah Delion am Ende nur deswegen nicht, weil eines seiner kleinen Grolldras plötzlich um ihn herum schwebte und sehr deutlich die Richtung vorgab. Dank seiner Geschwindigkeit schaffte er es dadurch selbst mit kurzen Verwirrungen schließlich als erster am Ziel anzukommen. Und er war immer noch kaum aus der Puste, während er auf Raelene wartete.

Sie kam zwar nur kurze Zeit später an, war aber eindeutig die Verliererin des Rennens. Zuerst holte sie einige Male Luft und stupste vorsichtig das kleinen Grolldra an, das Delion so lieb den richtigen Weg gezeigt hatte. Grolldra schien darüber leise zu kichern.

„Du hast gewonnen. Glückwunsch“, lobte Raelene ihn. „Das war zwar zu erwarten, aber ich wollte es trotzdem mal versuchen. Hätte ja sein können, dass die ganze Bürokratie dich etwas verlangsamt hat.“

Wie schnell mochte Delion wohl erst sein, wenn er sich in seiner Hochform befand? Egal, viel geändert hatte sich nicht. Schon damals war er immer mit Leichtigkeit an ihr vorbeigezogen, sobald Hop ein Rennen ins Leben gerufen hatte. Manches änderte sich eben nie. Ein schönes Déjà-vu.

Delion hob unschuldig die Arme. „Das lustige ist, dass die Bürokratie mich wirklich etwas verlangsamt hat. Aber noch nicht genug. Ich gehe immer noch mehrmals die Woche joggen, wenn es sich einrichten lässt.“

Das sah ihm ähnlich. Auch als Liga-Präsident wollte er sich nicht einfach dem Verfall hingeben und wahrscheinlich auch mit gutem Beispiel für alle Trainer vorangehen.

„Ich hätte also noch schlechter dastehen können als jetzt.“ Raelene atmete nochmal durch. „Puh, dann hab ich doch ganz gut abgeschnitten.“

Zamazenta warf ihnen einen besorgten Blick zu. Offenbar dachte er, sie wären in Gefahr, weil sie so schnell zurück zum Camp geeilt waren. Schnell erkannte er aber, dass es sich nur um ein Rennen zum Spaß gehandelt hatte. Also richtete er seinen Blick wieder in die Ferne. Nächstes Mal sollten sie Zamazenta vielleicht vorwarnen, erst recht wenn er ohnehin schon unruhig war.

„Jetzt schulde ich dir ein kleines Geschenk, wie es aussieht.“

„Ja, so sieht es aus~“, bestätigte Delion vergnügt. „Hast du dir schon etwas überlegt?“

Erwartungsvoll lächelte er sie an. Lange warten müsste er tatsächlich nicht, denn Raelene hatte sich schon etwas überlegt, bevor sie überhaupt losgerannt war – eventuell nicht ganz ohne einen gewissen Eigennutz.

„Wie wäre es mit einem Foto?“, schlug sie vor. „Exklusiv für dich. Ob nur von mir, wir beide zu zweit oder mit unseren Pokémon, das darfst du dir aussuchen~.“

Etwas unbeholfen nahm Raelene eine von vielen Model-Posen ein, die ihr eingehämmert worden waren. „Kate hat mir ein paar Tipps für Fotoshootings gegeben, also kriege ich fast alles hin.“

Natürlich war sie immer noch eine blutige Anfängerin. Ihre Leidenschaft waren eben doch Pokémon-Kämpfe, darin war sie gut. Ihr blieb es schleierhaft, wie Kate es gelang, sowohl den Posten als Arena-Leiterin als auch das Modeln unter einen Hut zu bekommen. Beides führte Kate immerzu mit unglaublich viel Leidenschaft und endloser Energie aus. Dafür bewunderte Raelene sie.

„Dann lass uns ein Foto von uns beiden machen“, beschloss Delion sofort.

„Ich hatte gehofft, dass du das sagst“, gab sie leise zu.

Sicher, es gab einige wenige Fotos, auf denen sie zusammen zu sehen waren, doch dabei handelte es sich immer nur um ältere, unangenehme Presseaufnahmen. Sicher war es daher auch Delion wichtig, endlich ein richtiges Bild zu bekommen. Raelene lächelte und griff nach seinem Arm, um ihn sanft Richtung Baum zu führen. Sie fand, dass das der perfekte Hintergrund für ein gemeinsames Foto war. Zwei Champs vor dem Dyna-Baum.

„Bereit, wenn du es bist.“

Da es ein Foto für Delion wäre, sollte es auch mit seinem Handy gemacht werden – außerdem kannte er diesbezüglich sicher mehr Tipps von Roy als sie. Hinterher würde sie ihn dann darum bitten, es ihr auch zu schicken.

Delion griff in seine Tasche und zog auch sogleich sein Handy hervor. Sorgfältig achtete er darauf, sie beide gut in den Fokus zu bekommen. Dafür legte er sogar einen Arm um Raelenes Hüfte, was ihren Herzschlag spontan wieder beschleunigte. Nun berührte er sie schon das dritte Mal auf diese Weise und es jagte ihr immer noch die Hitze ins Gesicht.

Er streckte den Arm so weit wie möglich aus, um einen besseren Winkel zu erreichen. „Okay, dann bitte lächeln, ja~?“

Raelene versuchte, sich zu konzentrieren. Das musste ein schönes Foto werden! Ein kurzer Blick zu Delion genügte, damit sich ein warmes Lächeln auf ihre Lippen schlich. Daraufhin schlang sie selbst einen Arm um Delion und sah gut gelaunt in die Kamera.

„Champ-Time~!“

Das genügte offenbar, um auch Delion zum Lächeln zu bringen. Rasch knipste er das Bild, dann senkte er die Kamera wieder, ohne Raelene dabei loszulassen. Interessiert betrachtete er das Foto in seiner Galerie und wirkte zufrieden.

Anschließend hielt er Raelene das Display gut sichtbar hin. „Na, was sagst du?“

Hoffnungsvoll sah sie sich das Foto an. Beklagen konnte sie sich nicht, sie waren gut zu erkennen und sahen wirklich glücklich zusammen aus.

„Ich sage, es ist perfekt~.“ Sie lächelte immer noch, während sie das Foto weiter anstarrte. „Kannst du es mir auch schicken? Bitte?“

Raelene brauchte doch einen Beweis dafür, dass das die Realität war. Jeden Morgen, den sie ohne ihn erlebte, könnte sie sonst wieder denken, nur geträumt zu haben.

„Denne, denne~!“ Dedenne war derweil heimlich auf ihre Schulter geklettert und schien ebenfalls begeistert von dem Foto zu sein. „Dedenne, denne, denne.“

Delion machte sich bereits daran, ihr das Bild zu schicken. Dabei lächelte er Dedenne zu. „Na? Wolltest du uns fotobomben?“

Das Wort kannte auch Raelene nur, weil Roy sich schon manches Mal darüber aufgeregt hatte, wenn jemand ihm gute Fotos überraschend zerstört hatte. Das war aber sicher nicht Dedennes Plan gewesen und Delion klang dabei auch eher scherzhaft.

Raelene lachte amüsiert. „Aha, Dedenne. Ich wusste ja gar nicht, dass du so einer bist~.“

Dedenne verstand nicht wirklich, was sie meinten, schien aber sichtlich belustigt und plapperte munter vor sich hin, während er sich in ihre Haare kuschelte. Sie holte in der Zwischenzeit ihr eigenes Handy hervor und wartete darauf, dass das Foto ankam.

„Angekommen!“ Glücklich drückte sie das Handy an ihre Brust. „Selfies sind ja doch gar nicht so übel.“

„Ja, wenn man es mit den Selfies nicht übertreibt, sind sie wirklich gut.“

Ohne Vorwarnung knipste Delion dann plötzlich schnell noch ein weiteres Foto, während Dedenne noch in Raelenes Haaren lag. Seine Zufriedenheit hatte dadurch offensichtlich ein neues Level erreicht, als er sich das Ergebnis in seiner Galerie ansah, denn er nickte sich selbst zu.

„Tja, da hab ich mir direkt noch ein kleines Geschenk gestohlen~.“

Diese Aktion war so schnell verlaufen und noch dazu unerwartet gekommen, da hatte Raelene gar nicht reagieren können. Sie blinzelte nur überrascht, während Dedenne ebenfalls äußerst zufrieden darüber zu sein schien, es doch noch auf ein Foto geschafft zu haben. Raelene kraulte seine Stirn und lachte leise.

„Okay, ist eigentlich nur fair“, meinte sie schließlich. „Immerhin wollte ich ja selbst gerne ein Foto von uns beiden, also ist das jetzt dein richtiges, kleines Geschenk.“

Er zwinkerte ihr zu. „Danke~. Damit sind wir jetzt quitt~.“

Falls Raelene das richtig mitbekam, stellte Delion das Foto, das er sich zusätzlich ergattert hatte, sogar sofort als Hintergrundbild auf seinem Handy ein. Ein Teil von ihr war gerührt, sowohl im glücklichen als auch peinlichen Sinne. Wenigstens könnte sie das nun selbst auch ungeniert tun, nur mit einem Foto von Delion.

„Du hast übrigens recht, dieser Ort ist wirklich ideal für Fotos.“ Als er das sagte, wandte er den Blick in Richtung des Baumes. „Aber was ist das hier eigentlich für ein Baum?“

„Die Leute in Freezedale nennen ihn Dyna-Baum“, erklärte Raelene, während sie ihr eigenes Handy wieder in die Tasche steckte. „Er steht bestimmt auf einer Energiequelle.“

Sie hätte nie erwartet, dass auch die Natur derart beeinflussbar sein könnte und ein Baum dynamaximierte. Es gab aber mit Sicherheit noch eine andere, gute Erklärung dafür. Womöglich hätte Sania darauf eine wissenschaftliche Erläuterung parat, würde man sie diesbezüglich fragen. Oder Hop hatte etwas darüber gelesen und wusste genauer Bescheid.

„Angeblich halten sich hier am Baum manchmal legendäre Vogel-Pokémon auf, aber ich habe noch nie einen gesehen, wenn ich hier war.“

Ein wenig befürchtete Raelene, dass sie ihr Glück, auf legendäre Pokémon zu treffen, mit Zamazenta vollkommen verbraucht hatte. Aber das war in Ordnung. Sie war dankbar dafür. Viele Menschen bekamen in ihrem ganzen Leben nicht mal die Chance überhaupt einen flüchtigen Blick auf etwas Legendäres zu erhaschen. Trotzdem wollte sie gerne mit Delion all diesen Gerüchten auf den Grund gehen.

Als hätte er ihre Gedanken gelesen, sprach er das auch direkt von sich aus nochmal an: „Irgendwann starten wir eine Expedition, um herauszufinden, ob sie wirklich hierher kommen.“

„Wir haben jedenfalls eine Menge vor uns.“ Fragend sah sie ihn an. „Und? Sollen wir dann nochmal ein paar Runden mit unseren Pokémon spielen? Ich werde auch mal Zamazenta gut zureden, damit er mitmacht. Er kann etwas Ablenkung heute gut gebrauchen.“

Er nickte grinsend. „Ja, eine sehr gute Idee!“

Dafür müssten sie nur kurz sicherstellen, dass ihre Pokémon auch wieder fit genug dafür waren. Aber es sah gut aus, denn die Babys kletterten schon wieder vergnügt auf Maxax herum, also dürften die anderen auch bereit sein.

„Gut, dann sammeln wir mal unsere Pokémon ein~.“

Raelene begab sich direkt zu Zamazenta und kniete sich neben ihn. Sie wusste, dass er nicht der Typ für Spiele war, aber vielleicht konnte sie ihn doch überreden. Es war nicht gut, wenn er die ganze Zeit so angespannt war. Falls doch etwas passieren sollte, würden sie sofort gemeinsam aufbrechen und für Ordnung sorgen – das versprach sie ihm.

Anscheinend erkannte Zamazenta ihren guten Willen und gab nach, um sich für einige Runden einem Team anzuschließen. Zufrieden ging sie mit ihm zum Spielfeld, wo sie auch ihre anderen Pokémon zusammenrief. Alle schienen fit und voller Energie zu sein, weshalb einer weiteren Spielzeit nichts im Wege stand.



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