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Unmei no Akai Ito

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Den Wunsch, etwas Vergleichbares wie das Folgende auszuführen hatte ich schon lange. Leider bin ich nach wie vor etwas unschlüssig- und hoffe ein wenig auf eure Mithilfe.

Ning – der Friedliche
Wei – der Starke/Erhabene
Shenmi – das Geheimnis der Götter
Mailin – Schön/Jade Komplett anzeigen

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Drachenblut 2: Fähigkeiten

Die Stärke vieler Frauen: ihre Schwäche; die Schwäche vieler Männer: ihre Stärke.

(Anke Maggauer-Kirsche)


 

Das Zwitschern der Vögel schlich sich nach und nach voran in ihre Wahrnehmung. Dicht gefolgt vom Rascheln der Blätter. Es schien von weit oben zu kommen und zog ihr Bewusstsein behutsam immer mehr aus dem Sumpf ihrer Schläfrigkeit. Als sie der erste Sonnenstrahl an ihrer Nasenspitze wie gewohnt kitzelte, erzitterten ihre Lider. Noch darunter wurde sie sich der federleichten Last auf ihrer Hüfte gewahr. Einen Moment drängte sich die Sorge in ihr empor, sie könnten verschlafen haben. Da beruhigte sie bereits der salzige Geruch der See. Es spannte ihre Lippen zu ihrem hauchzarten Lächeln, als die Bilder der letzten Nacht in ihrer Erinnerung aufleuchteten. Sie waren nicht Zuhause. Einen weiteren Moment beließ sie die Augen geschlossen, zu sehr genoss sie die leichte Schwere seines Arms. Als der Wind letztlich auffrischte und sein Fell seidig über ihre Wangen trieb, hatte sie sich endlich dazu durchgerungen, sie aufzuschlagen.
 

Umgeben von seinem Geruch verblieb sie im ersten Moment in ihrem Hochgefühl verhaftet, ehe der Schock auch noch den letzten Rest in ihr erstickt hatte. Ein-, zweimal blinzelte sie verwirrt, als könnte sie so die Befremdlichkeit korrigieren. Sie wagte nicht, sich zu bewegen. Ihr Atem ging merklich verhaltener, als ihr geweitetes Meeresblau die hünenhafte Silhouette vor sich abwanderte. Zuerst folgte sie den vereinzelten Strähnen, welche die vertraut anmutende Gestalt umgaben. Ihr übernatürlicher Glanz verwies auf ihre einzigartig feine Struktur.

Sie waren schwarz.

Den Drachen, welcher sich vom blauen Hintergrund der Seide silbern abtat, erkannte sie wieder. Dann traf sie auf die hohen Wangenknochen, denen die magentafarbenen Streifen fehlten. Sie hielt den Atem an, als sie bei seiner leeren Stirn angekommen war. So seltsam es anmutete, er schlief. Das waren unverkennbar seine Züge und doch fehlte ihnen alles Dämonische. Obwohl seine Augen noch geschlossen waren, keimte in der Göttin längst die Gewissheit, dass auch ihnen ihr raubtierhaftes Gold abhanden gekommen war.

Wie war das möglich?
 

Sie kam nicht mehr dazu, ihre Sinne nach seiner Yôki auszusenden. Da spannte sich seine Brust unter einem tiefen Atemzug. Sie wagte nicht, sich zu rühren. Stattdessen sah sie fasziniert dabei zu, wie seine Augenlider zu flattern begannen. Wäre er er selbst gewesen, sie hätte es wesentlich mehr zu schätzen gewusst, seinem Erwachen beiwohnen zu dürfen. Unter den gegebenen Umständen jedoch versteifte sie sich instinktiv - vor Anspannung. Es erfolgte wohl aus Reflex, dass er seine Umarmung noch darunter festigte.
 

„Sesshômaru?“, entwich es ihr flüsternd.
 

Zum ersten Mal war sie sich nicht sicher, ob er es überhaupt vernommen hatte. Sie nahm nicht an, dass seine Ohren noch spitzzulaufend waren.

Dann traf ihr menschliches Blau auf sein helles Braun. Erneut verschlug es ihr den Atem, als seine runden Pupillen auf ihren vor Entsetzen geweiteten lagen.

Auch er blinzelte. Mehrmals. Sie nahm an, weil er seine gewohnte Sinnesleistung vermisste.
 

Tatsächlich hatte Sesshômaru den Eindruck, verschwommen zu sehen. Er bemühte sich darum, scharf zu stellen. Vergeblich. Es blieb beim ersten Eindruck.

Das allmorgendliche Gezeter der Vögel, der Wind, der an den Pflanzen riss bis hin zu dem Rauschen der Brandung, alles erreichte sein Gehör wie durch Watte. Nur am Rande erahnte er ihren Geruch. Auch der Seine wirkte befremdlich fern. Bleiern fühlten sich seine Glieder an, ehe er sich in die Sitzende kämpfte. Er konnte sich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, wann er je unter dem Einfluss des dämonischen Getränks in den Schlaf gefunden hatte. So viel hatte er doch gar nicht zu sich genommen.

Da erreichte ihn ihre Musterung von der Seite. Sie wirkte verschreckt, um nicht zu sagen, verängstigt - ging er nach ihren geweiteten Pupillen. Er roch nichts davon.
 

„Was?“, entfuhr es ihm tatsächlich, als seine Hand in sein Blickfeld trat.
 

Allein, dass es ihm entkommen war, bezeugte, wie sehr es ihn schockierte.

Ishizu setzte sich noch darunter auf, blieb jedoch an seiner Seite.
 

Das Erste, was er wahrnahm, waren seine Fingerkuppen. Sie waren abgerundet. Seine Krallen fehlten gänzlich. Dann realisierte er, dass die Streifen unterhalb seiner Handgelenke ebenfalls verschwunden waren. Er verweigerte noch die logische Erklärung, machte allein diese Hand doch so gar keinen dämonischen Eindruck mehr auf ihn. Er schloss die Augen, um sicherzugehen.
 

Sie konnte spüren, dass er in sich ging auf der Suche nach seiner dämonischen Aura.

Als er nur kurz darauf die Augen missmutig aufschlug und sich kommentarlos erhob, sah sie sich bestätigt. Es wirkte weniger geschmeidig als üblich. Das fiel sogar ihr auf. Mochte auch seine Bewegung ein und dieselbe sein.

Es erschreckte sie mehr, als sie es je für möglich gehalten hätte.

Sie wusste, wohin es ihn naturgemäß trieb. Also nahm sie sich die Zeit, um die Luft hörbar auszustoßen. Natürlich war es ihm mit derart stark gebannter Yôki kaum möglich, diese zu erspüren. Wer wusste das besser als sie. Es vermochte sogar, sein Äußeres zu verändern. Damit kämpfte auch sie sich auf ihre Beine, um ihm nachzukommen. Ihre Kleidung richtete sie sich nur notdürftig, ein wenig Wasser tat ihr sicher gut.
 

Er stand bereits knöcheltief in dem unweit entfernten natürlichen Wasserreservoir und besah sich sein Spiegelbild. Seine Sinne mussten es gestern noch ausgemacht haben, so zielgerichtet wie er es angesteuert hatte. Ishizu betrachtete ihn für den Augenblick stumm dabei. Die verhärteten Züge verrieten die tiefe Bestürzung. Noch schienen sie den Ekel fernzuhalten. Sie beschloss, lieber vor ihn zu kommen. Dass sie bis zum Saum ihrer Bekleidung ebenso nass wurde wie sein Beinkleid war ihr dabei egal. Es war sommerlich warm ungeachtet der Jahreszeit. Sie erschrak ebenso wie er, dass sie es vermochte, ihn zu überraschen. So gefangen war er in seinem so absurden Spiegelbild.
 

„Sie ist nur gebannt“, bemühte sie eine Beruhigung.
 

Er war nach wie vor ein Dämon. Nur, wies ihn eben nichts mehr als eben solchen aus.
 

„Ich sehe aus wie ein Mensch“, war so eisig, dass sie es unter der Oberfläche brodeln spüren konnte.
 

So seltsam es war, sie konnte es auch nicht recht erklären. Kräfte zu bannen, veränderte nicht zwangsläufig das Äußere. Da musste sie ihm zustimmen. Dennoch war ihm sein Yôki nicht genommen worden. Sie erspürte es klar und deutlich – unter der Fassade.

Nur am Rande erfasste sie die fremdartige Vertrautheit. Es veranlasste sie dazu, irritiert ihr Näschen zu kräuseln, ehe sie ihn eingehender zu betrachten begann. Wenn sie tiefer hineinfühlte, dann war da nicht nur sein Yôki. Es schien verändert, nein, das traf es nicht ganz. Eher überlagert. Orange war weit entfernt von Purpur und von Blau, dennoch war sie sich ziemlich sicher, dass hier keine Magie im Spiel war. Doch dämonisch oder gar göttlich war diese auch nicht.

Als sie dann jedoch seine Gedanken auffing, schürzte die Göttertochter erst irritiert dann jedoch immer verstimmter ihre zartrosanen Lippen.

Es war so leicht und natürlich, dass sie erschrak. Wie die Gedanken ihrer Schützlinge flossen ihr seine jetzt ungehindert zu. Sie musste sich nicht einmal konzentrieren. Ihr Blick war nicht minder harsch, der den Dämonenprinzen traf, als er vor Wut wild mit Spekulationen um sich zu werfen begann.
 

„Drachen tun so etwas nicht, Sesshômaru. Watatsumi hätte zudem keinen Grund. Es ist keine Magie, nichtmal ein Trank. Vielmehr scheint irgendetwas dein Yôki zu deckeln.“
 

Die Art, wie er sie anfunkelte, war selbst ihr fremd. Nicht einmal zu ihren Anfängen hatte sie sein Zorn so deutlich getroffen. Er schien einzig sie für sein Unglück abstrafen zu wollen. Es war wohl besser, ihn nicht auch noch daraufzustoßen, auf welche naturgegebene Art und Weise sie dadurch verbunden waren.
 

Ihm erschloss sich derweil nicht, wieso sie den Schuldigen nicht ausmachen konnte. Wenn sie also schon ungefragt in seinen Kopf eindrang, wie das scheinbar normal war unter Göttern, wieso fand sie dann nicht den Grund für all das hier heraus. Schließlich war diese Welt von ihrer Familie erschaffen worden. Wie also konnte sie das nicht wissen?
 

Aufseufzend bemühte sie sich darum, es großzügig zu ignorieren. Er war verständlicherweise außer sich.

Also fügte sie dem lediglich hinzu: „Keine Ahnung. Vielleicht ein Mischwesen. Ihre Energien nehmen eigentümliche Formen an. Mir ist bis jetzt noch keine Solche begegnet.“

Woher also sollte sie es da wissen.
 

Und wenn sie es nicht wusste, dann konnte sie auch nicht eingreifen. Erst recht nicht in ihrem momentanen Zustand. Wozu noch gleich war sie die Göttin von ihnen beiden? Sein Blick erdolchte sie nahezu und verdeutlichte damit umso mehr, wie wenig ihm das jetzt half.
 

Sie sah die Anspannung noch um ein Weiteres zunehmen. Da umfasste sie seine Wangen, einem inneren Impuls folgend. Im ersten Augenblick schien es seinen Muskeltonus noch zu steigern; sie spürte seine Wangenknochen hart gegen ihre Handinnenflächen drücken. Dann wurde sie Zeugin, wie die Spannung in ihm einem Kartenhaus gleich in sich zusammenfiel. Es überraschte sie und durchflutete sie mit einem unpassenden Hochgefühl, als er seine Augen schloss. Kaum merklich schmiegte er sich ihren Handflächen entgegen und entlockte ihr so ein liebevolles Lächeln.
 

„Ich glaube, es ist am Abend wieder vorbei. Der Bann scheint nicht stark genug zu sein, um dein Yôki auf Dauer zu binden.“
 

Dafür flukturierten beide zu unruhig umeinander. Mehr wagte sie jedoch nicht zu mutmaßen. Erst recht nicht, warum seine die Fremde scheinbar gewähren ließ. Sie hatte jedenfalls bei sich beschlossen, ihn nicht mit ihren Vermutungen zu verunsichern. Er hatte stets nur Fakten geschätzt. Und so lehnte sie schlussendlich ihre Stirn tröstlich gegen seine, der die Sichel fehlte. Ihre Fingerkuppen streichelten zärtlich seine nackten Wangen entlang. Als er sich darunter noch um ein Weiteres entspannte, wagte sie erneut ein hauchzartes Lächeln.
 

Das leise Winseln ihrer Nefrilin hob seine Augenlider umgehend. Auch sie hatte er nicht wahrgenommen. Er kam sich vor, als sei er blind und taub – wie betäubt. Nur seiner antrainierten Disziplin war es zu verdanken, dass seine Verzweiflung darüber nicht an die sichtbare Oberfläche drang. Er konnte das Gesicht nicht verlieren. Nicht vor ihr. Eisern kämpfte er sie also nieder.
 

Ishizu begegnete seinem menschlichen Braun im ersten Moment blinzelnd, vermochte sie es doch einfach noch nicht, dieses Erscheinungsbild mit ihm in Verbindung zu bringen.

Er schien es ungerührt hinzunehmen, dennoch entglitt ihr ein entschuldigendes Lächeln, ehe sie beschämt die Augen niederschlug. Sie hatte ihn beruhigen, wenn nicht sogar trösten wollen, und ihm nicht das Gefühl vermitteln wollen, er sei anders. Als seine menschliche Hand ihr Kinn auf seine so vertraut umsichtige Art und Weise unterfasste und ihren Blick in seinen hob, vermeinte sie für den Moment sein Gold hintergründig in dem hellen Braun aufblitzen zu sehen. Es spannte ihre Lippen in ihrem zarten Lächeln. Das war eindeutig er, unverkennbar. Egal, mit welchen Augen er sie ansah.
 

„Wir bleiben nicht hier“, war gebieterisch, wie sie es kannte.

Dämonen, wenn auch schwache, waren in seinem momentanen Zustand das Letzte, was sie brauchen konnten. Er war nicht bewaffnet. Ein Gedankengang, der in ihm befremdliche Empfindungen weckte, die er besser ignorierte.
 

„Und, was gedenkst du zu tun?“

Er konnte nicht fliegen.
 

„Wir finden ein Schiff und kehren nach Hause zurück“, umgehend sparte er sich.

„Und du weißt, wo sich der nächste Hafen befindet?“
 

Natürlich verwehrte er ihr eine Antwort, als er stattdessen kommentarlos zu Ai ans Ufer watete. Die begrüßte ihn sogleich mit wedelnder Rute.

Das konnte ja heiter werden. Sie nahm nicht an, dass dem ehemaligen Dämonenprinzen auch nur im Ansatz dämmerte, dass er nun nicht nur fast menschlich war, sondern auch ihre Bedürfnisse höchstwahrscheinlich teilte. Menschen mussten essen, ruhen, schlafen. Da beruhigte sie es nahezu, dass sie in einiger Entfernung bereits das erste Menschendorf erspürte. Etwas, von dem sie ihm wohl besser auch noch nichts verriet.

Rasch sah sie also zu, dass sie sich notdürftig erfrischte, ehe sie ihm nachkam. Jetzt, so vollgesogen, erwies sich der schickliche Stoff doch als arge Erschwernis. Da er bis über die Knöchel reichte, musste sie ihre Beine weit aus dem Wasser heben, um voranzukommen. Sie kam sich albern vor. Und so strafte ihr Meeresblau sein menschliches Braun ab, sobald sie neben ihn ans Ufer trat. Der schalkhafte Glanz darin war unverkennbar.
 

Wortlos griff sie in ihre Frisur und löste die eine Haarnadel, die Yoko noch gestern Abend mühevoll befestigt hatte. Es war blanke Genugtuung, dass er dem Fall ihres pechschwarzen Haarmeers um ihre schlanke Gestalt wie gebannt folgte.

Umso erstaunter vermeinte sie mitverfolgen zu können, wie sein Blick sich überrascht weitete, sobald sie das Utensil am dickeren Ende aufzuschrauben begann. Ein leises Schmunzeln umspielte ihre Züge dabei. Seine gesamte Aufmerksamkeit lag auf ihrer Hand, während sie die winzige Öffnung ganz vorsichtig auf ihre Handinnenfläche klopfte.
 

„Woher hast du den Drachenstaub?“
 

Eine Drachenschuppe war eine Seltenheit per se. Er hatte davon gelesen, dass Magiewesen selbst die abgestoßene Schuppe noch zermahlten, weil sie dem Staub die magischen Fähigkeiten ihrer ehemaligen Träger nachsagten. Dieser war grünlich und glitzerte golden. Ein verwandeltes Drachenwesen also, im Vollbesitz seiner Magie.
 

„Es war ein Geschenk“, lächelte sie nur geheimnisvoll.
 

Sie hatte also nicht vor, ihn einzuweihen.

Als sie daraufhin ansetzte, den Staub über ihre Stirn zu führen und die schmale Raute, welche der bläuliche Gottesstein dort für gewöhnlich bildete, mit ihrem Finger nachzufahren, dämmerte ihm, wieso der Wasserdrache ihre Magie erkannt hatte. Widerstandslos ließ er sie dann an sich herantreten. Sein Blick fing den Ihren ein, nachdem ihre Fingerkuppe eine weitere Portion des Staubs aufgenommen hatte, um sich schließlich auf seine Brust zu senken.

Er wusste, was sie tat, als sie begann über sein Fell und danach über den edlen Stoff seiner Seide zu fahren. Eine elektrisierende Spur dabei über seine Brust nach sich ziehend war er sich einzig noch nicht sicher, ob sie auch wirklich eine jede Kontur nachzufahren hatte. Dennoch wagte er keinen Einspruch, genoss er doch längst ihr betörendes Mienenspiel direkt vor seinen Augen. Er las darin wie in einem offenen Buch.
 

Sie erkannte es an dem Flackern in dem so befremdlichen Braun. Die Fasern waren längst rauer, das schroffe Schaben erreichte sogar sein Gehör, als ihr Finger endlich über seinem Brustbein zum Erliegen kam.

Für einen weiteren Moment war einzig das Rauschen des Meeres in ihren Rücken zu vernehmen, ehe er sich zu ihr hinabbeugte. Sie zögerte, ihm entgegenzukommen verunsichert ob der Befremdlichkeit. Da hatten sich seine Lippen schon auf ihre gesenkt. Instinktiv erwiderte sie den leichten Druck und ließ ihn ein.

Ihr wohliges Aufseufzen legte sich wie Balsam über seine strapazierten Nerven. Einem Feuer gleich schlug sich seine Sehnsucht ihren kribbelnden Weg durch ihren zierlichen Körper, als er ihre schlanke Mitte umfasste. Sie erzitterte kaum merklich gegen seine Brust. Instinktiv erfasste sie das Bedürfnis nach ihrer vertrauten Nähe, den Halt, den er suchte – und gab nur zu bereitwillig.

Als er von ihr abließ, behielt sie ihre Augen noch für einen weiteren Augenblick geschlossen und beschlagnahmte seine Aufmerksamkeit so für einen weiteren Moment. Sie hing dem Gefühl nach, welches leise in ihr verklang. Er hatte längst wieder zurück zu seiner Ausdruckslosigkeit gefunden, sobald sie sie wieder aufschlug. Einzig seine Braue kommentierte das feine Betupfen ihrer Kleidung, mit welchem sie auch diese in den Stoff der hiesigen Bevölkerung verwandelte. Sie tat es mit einem neckischen Schmunzeln ab. Als sie die Haarnadel wieder zuschraubte, meinte er die Drachenklaue zu erkennen. Sie war kohlrabenschwarz und wesentlich fester als die von Dämonen. Er erinnerte sich, dass sie sogar Dämonenschwerter zu brechen vermochten. Es weckte echtes Erstaunen in ihm – und er beschloss, dem zu gegebener Zeit auf den Grund zu gehen.

Da hatte sie ihr Haar in einem einfachen Dutt gebändigt. Ganz so, wie es die Dienerinnen auch im heimatlichen Schloss trugen. Es tat ihm weh, sie so zu sehen - und dennoch wagte er keinen Einspruch. Sie hatte recht. So fielen sie am wenigsten auf, reisten sie doch allein.
 

Als die Sonne ihren Zenit überschritten hatte, ging sie immer noch hinter ihm – einzig Ai an ihrer Seite. Das Plateau hatten sie erfolgreich hinter sich gelassen und trotzdem kam es selbst ihr so vor, als kämen sie nur im Schneckentempo voran.

Wie musste da er sich erst fühlen? Immer noch erschien ihr seine hünenhafte Gestalt so wenig menschlich. Ob er auffiele, sollten sie auf Menschen treffen? Bis jetzt waren sie niemandem begegnet. Ihre Schützlinge schienen das Wäldchen vor dem Plateau zu meiden. Die Göttin erahnte, warum dem wohl so war. Mochten die Dämonen auch bereits abgereist sein, die Spuren ihrer Auren verloschen nur langsam. Allmählich spürte sie die lange gestrige Nacht in ihren Gliedern. Sie war müde und so war sie ihm fast dankbar, als er vor der Weggabelung stehen blieb. Ohne zu murren, schloss sie zu ihm auf – und bereute es noch im darauffolgenden Moment, als ihr Magen verräterischerweise laut aufknurrte. Es konnte selbst seinem menschlichen Gehör nicht entgangen sein. Also traf sie sein verengter Blick von der Seite.
 

Sie verbat es sich, verlegen den ihren zu senken. Es war nur natürlich, dass sie Hunger verspürte – und Durst. Seit dem Morgen waren sie nur gelaufen. Erstaunlich, dass er davon noch nichts spürte. Konnte es sein, und am Ende blieb ihm das erspart?
 

„Ich erspüre Menschen in dieser Richtung“, wagte sie einen Versuch.

Das Menschendorf.
 

Sein Blick war vernichtend. Es war klar, dass sich alles in ihm dagegen sträubte, auch nur diese Richtung zu erwägen.
 

„Soll ich mir jetzt etwa Beeren im Wald suchen?“

„Kein Dämon betritt eine menschliche Siedlung, Menschengöttin“, sah er sich gezwungen, auszuführen.
 

Außer um sich von ihnen zu nähren, unterschlug er geflissentlich, wie beide wussten. Es machte nur allzu deutlich, dass es für ihn keinen triftigen Grund gab - und raubte ihr ein Seufzen. So stolz. So stur. So dumm. Warum Hilfe nicht annehmen, wenn sie einem begegnete?
 

„Wie gut, dass dir gerade das Dämonische abhanden gekommen ist, Dämonensohn“, war riskant.
 

Er erdolchte sie mit seinem menschlichen Blick. Es war surreal. Ob es sein Dämonenblut in Wallung zu bringen vermocht hätte? Sie konnte es nicht sicher sagen. Kurz zögerte sie, wog ab, sodass sich seine Augen zu Schlitzen verengten.
 

Er erwartete das Schlimmste - und war doch nicht darauf vorbereitet, als es ihn kurz und bündig ereilte: „Gut. Dann gehe ich eben und du bleibst hier.“
 

Es vermochte sogar, seine Züge zu entspannen. Das war so absurd, dass nicht einmal er sich mehr darüber echauffieren konnte. Schließlich unterstand sie seinem Schutz - egal in welchem Zustand. Er war für sie verantwortlich - und genau das wusste sie auch; und nutzte es erbarmungslos für ihre unlauteren Ziele.

Als sie sich anschickte, den Weg an ihm vorbei schnurstracks Richtung Menschendorf tatsächlich einzuschlagen – ohne ihn, hielt sein ausgestreckter Arm sie davon ab. Überrascht fand ihr Meeresblau sein menschliches Braun.
 

„Nur um zu essen.“

Sie nickte, nach wie vor erstaunt darüber, doch gewonnen zu haben.

Er war bereits voran Richtung Menschendorf geschritten, als wäre diese Entscheidung die Natürlichste der Welt.
 

Gut, es war wohl mehr als ein kleines Dorf. Sie hatte nicht erwartet, dass ihre Kräfte derart minimiert waren, sodass es einer so großen Menge an menschlichen Seelen bedurfte, um ihr den Weg zu weisen.

Dass sie sich geirrt hatte, war ihr gedämmert, sobald sie die Straße erreicht hatten. Sie war gepflastert.

Generell waren die Straßen breiter als in seiner Heimat. Zu ihren beiden Seiten erhoben sich schmale Streifen, während der Fahrweg erheblich breiter war und sich in der Mitte nach oben wölbte. Es ermöglichte dem Regenwasser beidseits abzufließen. Ishizu war entzückt, einem so deutlichen Vorboten der Zivilisation zu begegnen.
 

Also zierte ihre Züge ihr hauchzartes Lächeln in seinem Rücken, während Ai an ihrer Seite trabte.

Es konnte ihm nicht völlig fremd sein, hatte er doch automatisch den Weg auf einen der schmalen Streifen zu den Seiten gewählt.

Die Gottesdienerin schien ihre Form ein Stück weit anpassen zu können. Sie wirkte nun kleiner auf ihn, weniger groß als ein Wolf und dennoch nicht klein genug für eine Hündin. Hechelnd trabte sie ergeben zu Ishizus Seite, als er sie schweigsam durch die Gasse an eng aneinander gereihten Häusern führte.

Ihre Dächer waren ebenso geschwungen und ausladend zu ihren Seiten, wie in seiner Heimat. Neben ihrer Ornamentik unterschied sie am Deutlichsten die Betonung in die Breite. Dennoch war der rege Austausch beider Länder nicht zu verleugnen.

Sie mussten bald auf die Poststraße treffen. Ob er bereit dazu wäre, von nun an dieser zu folgen? Bargen sie doch eine wesentlich höhere Gefahr, Menschen zu begegnen.
 

Ishizu zuckte leicht zusammen, ob der barsch erhobenen Stimmen der beiden Männer zu ihrer Linken, welche wild gestikulierend ihre Argumente einander entgegenschmetterten. Die Worte wurden zu schnell und zu abgehackt durch ihre erhitzten Gemüter gewechselt, als dass sie alles verstand. Die Heftigkeit ihrer Unterhaltung hatte selbst sie vergessen.

Sesshômaru schloss einzig die Augen, während er unbeirrt voranschritt. Er war nicht einmal im Ansatz gewillt, etwas davon verstehen zu wollen.

Mal schienen sie sich ihre Meinung über ihre Waren hinweg entgegenzuschreien, welche sie vor ihren Behausungen darboten.

Dann brüllten sie einander an und fuchtelten dabei wild mit den Armen herum. Er hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Nicht einmal im Lager der Krieger des Westens nach dem errungenen Sieg. Und da unterstellte man seiner Art das Barbarentum. Es war impulsiv, maßlos aufdringlich und widerte ihn an.

Mit anderen Worten: Es entsprach seinem Bild von ihren Schützlingen.
 

Natürlich blieb es ihr nicht verborgen. Mochte sie sich auch außer Stande sehen, einzugreifen. So gerne wollte sie dem Dämon erklären, dass es eine andere Form der Kultur war, die er hier beobachten konnte, wollte ihre Menschen in Schutz nehmen. Doch dazu hätte sie ihm offenbaren müssen, wie penibel diesmal sie seinen Zustand überwachte.

Sein magischer Schutz war ihm genommen worden. Es hatte einen Moment gebraucht, ehe es ihr in all seinen Auswirkungen vollends bewusst geworden war. Ihre naturgegebene Verbindung zu ihren Schützlingen traf nun auch auf ihn zu. Ein Umstand, dem sie nicht hatte widerstehen können. Zumal sie nicht sicher war, ob er die Warnsignale seines Körpers überhaupt zu deuten wusste. Kannten Dämonen überhaupt das bleierne Bedürfnis nach Schlaf, die schmerzhafte Leere des Hungers im Bauch oder gar den trockenen Geschmack des Dursts?

Also zierte längst ihr hauchzartes Lächeln ihre für eine Menschenfrau ungewöhnlich feinen Züge. Sie hielt sie unter ihrer Kapuze verborgen, seit sie die Grenzen zu den menschlichen Behausungen überschritten hatten. Obgleich die Sonne hoch über ihnen stand. Sie wollte ihnen Ärger ersparen. Menschen, welche Dämonen nicht kannten, erlagen ihrer Faszination für das Übernatürliche wie Kinder der Anziehungskraft von Feuer. Es ließ so manchen all seine Erziehung von jetzt auf gleich vergessen.
 

Trotzdem vermeinte sie den ein oder anderen neugierigen Blick verhalten auf ihnen. Sie war sich sicher, dass er ebenso ihr galt, wie seiner für einen Menschenmann unnatürlich stattlichen Erscheinung. In dieser Zeit sollten sie Fremde längst gewohnt sein. Dennoch war sein Gang der eines stolzen Kriegers – er konnte es nicht verleugnen. Sie passten nicht hierher. Also konnte die Göttin einzig hoffen, dass sie sie als sonderbare Durchreisende akzeptierten. Als sie das leise Gefühl in ihm erspürte, konnte sie das Zucken um ihre Mundwinkel nicht verhindern. Es musste beschämend für ihn sein, sofern er es kannte. Darüber regte sich das Mitgefühl in ihr.
 

Fast glaubte er seine ausgeprägten Hundesinne für den Moment zurück, als ihm der Geruch in die Nase stieg. Er erinnerte ihn aus dem väterlichen Schloss. Mochte er ihm auch nie eine Bedeutung beigemessen haben, so wusste er doch, dass Reis zu ihren Grundnahrungsmitteln zählte. Als angenehm hatte er den aufdringlich-süßlichen Geruch jedoch nie empfunden. Umso rabiater brach das seltene Empfinden in sein Bewusstsein – dicht gefolgt von der bitteren Erkenntnis, dass Hunger wohl selbst die schwächlichen Sinne ihrer Schützlinge zu schärfen vermochte. Einen Augenblick erwog er, abzubiegen - den Weg in die entgegengesetzte Richtung demonstrativ einzuschlagen.

Da erfasste er ihre Gestalt im Augenwinkel bereits den Weg der Nase nach nehmen. Ai wie stets treuergeben an ihrer Seite. Er verbat sich jegliche Unregelmäßigkeit in seiner Atmung und schloss einzig die Augen, ehe er ihr nachsetzte. Je eher sie gegessen hatte, umso rascher hatten sie diesem Dorf den Rücken gekehrt.

Er sah das Schmunzeln nicht, das sie hinter dem wenig gemusterten Stoff kaschierte, als ihre filigranen Finger den Rand der Kapuze fester umfassten.
 

„Wie viel könnt ihr mir hierfür geben?“
 

Der breitschultrige Glatzkopf mit dem dicken Bauch rümpfte seine kolbenartige Nase.

Das Posthaus lag am anderen Ende der befestigten Straße. Ishizu war dankbar um diese Einrichtung. Sie war umgeben von der Verschiedenheit nicht nur dieses Landes. Die Luft war erfüllt vom lebendigen Austausch. Tatsächlich fielen sie unter all der Andersartigkeit kaum auf. Selbst die weiße Hündin, die nicht von ihrer Seite wich, wurde hingenommen.
 

Ungerührt wanderte auch sein Blick über seine Schulter auf das Stofftuch, in welchem Ishizu die Jadearmreifen präsentierte. Sie trug sie selten. Eine Verschwendung sie als bloßes Schmuckstück zu gebrauchen. Jade hatte die Eigenart, Magien zu speichern. Seine Art nutzte das. Er nahm an, die Ihre ebenso.
 

„Frau, es ist mir per Gesetz verboten, Tauschwaren anzunehmen. Das Papiergeld ist die neue Währung“, bestätigte Sesshômaru nur mehr darin, wie selten dämlich ihre Schützlinge waren.
 

Was machte ein Siegel auf Papier wertvoller als Jade? Allein, dass es offenkundig ein Gesetz brauchte, um seine Akzeptanz zu erzwingen, bekräftigte ihn darin, wie wenig sinnvoll dieses Unterfangen war.
 

Ishizu war dagegen nicht überrascht. Dennoch hatte sie sich dazu entschieden, diesen Versuch zu wagen. China war dabei, sich der Welt zu öffnen. Ein Umstand, der den wenigsten seiner Einwohner geheuer war, wie sie wusste. Also hatte sie gehofft, dass ihr Gegenüber gewillt war, das Gesetz zu umgehen. Sie kannte die momentanen Papiere nicht, hatte das Siegel aus Zinnober darauf nie erblickt, welches bereits seit einiger Zeit im Umlauf war. Wie also hätte sie diese herbeizaubern sollen? Sie wollte gerade ansetzen, den Unwillen, den sie in ihrem Gegenüber durchaus erspüren konnte, zu adressieren, da erregte Ais aufkommendes Knurren an ihrer Seite ihre Aufmerksamkeit. Im Augenwinkel registrierte sie die plötzliche Bewegung.
 

Ein Ruck erfasste Sesshômaru, noch ehe sich ihm Ais Knurren erschließen hatte können. Es fühlte sich befremdlich an. Nicht einmal im Kampf hatte man ihn bis dato je so erfasst. Unbändige Wut und Empörung ergriffen pfeilschnell Besitz von ihm. Er hatte es nicht kommen sehen. Einen Wimpernschlag darauf hatte Sesshômaru schon den Schuldigen am Kragen gepackt und mit nur einem Arm vor sich in die Luft erhoben.

Ishizu blinzelte irritiert. Offensichtlich hing seine unmenschliche Kraft nicht an seiner Yôki.

Die Füße des Unwürdigen baumelten ein gutes Stück über dem Boden, als das menschliche Braun den Todgeweihten in seinen erbarmungslosen Fokus nahm.

Unverkennbar, dass er derlei Überraschungen nicht schätzte.

Der Mensch blickte daraufhin etwas verängstigt drein, während er wie ein nasser Sack über dem Boden hing.
 

„Haltet ihn!“, verhallte nahezu ungerührt durch ihre angespannten Sinne.
 

Es war ein Sakrileg, ihn auch nur zu berühren. Dieser Mensch hier hatte ihn angerempelt und ihn unweigerlich damit auch noch auf seine momentan schwächliche Verfassung aufmerksam gemacht.

Es war belanglos, dass es nur aus Versehen passiert war. Wohl auf der Flucht vor den beiden, welche durch die staunende Masse an Umstehenden herbeigeeilt kamen.

Ishizu wagte nicht den Blick von Sesshômaru abzuwenden. Akribisch wanderte sie seine verhärtete Miene ab. Nur im Augenwinkel erfasste sie, dass die Menge sich rasant teilte.

Ungläubig verlangsamten sich die Schritte der beiden breitschultrigen Männer. Sie mochten hochgewachsen sein. Sesshômaru überragte sie dennoch in seiner unmenschlichen Gestalt.

Die einsetzende Stille lastete schwer auf Ishizus wachsender Nervosität. Sie waren bereits zum Mittelpunkt des Geschehens geworden.
 

Sesshômaru, ereilte es ihn zaghaft, unterstützt vom leisen Winseln der Wölfin in Hundeformat.
 

Er ahnte, was sie meinten. In seiner Welt war der Mensch dem Tode geweiht. Als einfacher Mensch jedoch oblag es ihm wohl weniger, über dieses erbärmliche Exemplar dieser Art zu richten. Es würde ihre Tarnung sprengen. Also entließ er ihn unsanft auf den Boden.

Er hatte nervös begonnen um sich zu treten, kaum waren die beiden Anderen in sein Blickfeld getreten. Sie kamen sogleich heran, als er laut plumpsend auf seinen vier Buchstaben landete. Er wurde eilends nicht minder grob auf seine Beine zurückgezogen. Erst jetzt bemerkte Ishizu die Ledertasche, welche die Männer ihm prompt entrissen.

Sie übergaben sie einem weiteren Mann, der ihnen nachgekommen war. Der Fremde bedachte es mit einem dankbaren Nicken, ehe er sie und Sesshômaru ins Auge fasste. Seine Statur war etwas schmächtiger als die der beiden Großgewachsenen, welche den offenkundigen Dieb in ihre Mitte nahmen.

Seine Augen wirkten gütig und aufrichtig. Von ihm ging keine Gefahr aus. Seine Aufmachung ließ eine gute Versorgung jedoch keine hohe Stellung vermuten. Sie war ordentlich und zu Ishizus Überraschung war er dennoch in feinste Seide gekleidet.
 

„Ich danke Euch für Euer mutiges Eingreifen. Ihr habt mir und meiner Familie einen Monatslohn gerettet.“
 

Ishizu verbarg ein ungläubiges Grinsen hinter seinem Rücken und schielte kurz zu ihrer Nefrilin in Wolfsgestalt. Ai wedelte mit ihrer Rute, legte den Kopf jedoch nicht minder überrascht schief. Er schien sich doch tatsächlich Freunde zu machen.
 

„Ihr seid offensichtlich auf der Durchreise. Wenn Ihr erlaubt, so möchte ich mich gerne erkenntlich zeigen und Euch in meinem Haus willkommen heißen“, ereilte sie dann, nachdem er ihre Erscheinung ein weiteres Mal abgewandert war.
 

Sesshômaru verharrte ungerührt. Sein Blick maß den Menschenmann mit der üblichen Abfälligkeit. Er hatte kein Interesse, dem auch nur irgendwie zu begegnen. Also schritt er nicht ein, als Ishizu sich aus seinem Rücken schälte. Ganz im Gegenteil war er froh um ihr Eingreifen, musste er doch so seine Stimme nicht bemühen. Er bereute es noch im darauffolgenden Moment.
 

„Wenn Ihr erlaubt, eine Kriegsverletzung macht es meinem Gemahl unmöglich zu sprechen. So möchte ich gerne an seiner Statt antworten und Eure Einladung dankend annehmen.“
 

Während der Dämon noch über das befremdliche ''Gemahl'' stolperte, hatten sich seine Augen schon im nächsten Moment zu Schlitzen verengt. Noch darunter lugte ihr Meeresblau wohlwissend von der Seite zu ihm hinauf.
 

Es erspart dir den Umgang mit meinen Schützlingen und schont damit deine Nerven , ignorierte sie sein deutliches Missfallen.
 

Selbstverständlich wusste sie, dass es darum nicht ging.

Sein Blick lag vernichtend auf ihr, während sie sich ihm zuwandte und behutsam das Tuch um seinen Hals schlang, in welchem sie zuvor die Armreifen präsentiert hatte. Sie klimperten dabei um ihre zierlichen Handgelenke. Es sollte wohl die erfundene Verletzung kaschieren.

Wäre es ihm möglich, sein Blick allein hätte sie noch darunter wohl niedergestreckt.
 

Ein Dämon nimmt keine Hilfe von... Menschen an, er blieb neutral - ihr zuliebe.
 

Dennoch wäre es ihm fast entkommen. Aus Gewohnheit wohl. Sie war sich sicher, hätte er gesprochen, er hätte vor Zorn geknurrt.

Natürlich war es längst zu spät, wollte er sie nicht bloß stellen. Dennoch war er drauf und dran. Für einen Moment verspürte er die tiefe Bereitschaft dazu.

Sie konnte sehen, wie sich seine Gesichtsmuskeln charakteristisch spannten unter seiner Abneigung. Er rang mit sich.

Abermals wanderte er ihre so unmenschlichen Züge ab. Natürlich erkannte er die Möglichkeit, etwas Zuessen zu bekommen, so wie es sich für sie ziemte. Dieser Ort hier war ihm zuwider - und war definitiv nichts, wo sie hingehörte.

Und so war es einzig der Tatsache zu verdanken, dass sie seinem Blick die ganze Zeit über standgehalten hatte, dass sie sein dezentes Nicken überhaupt wahrnahm, mit dem er widerwillig seine Einwilligung gab.

Sie dankte es ihm mit ihrem bezaubernden Lächeln, ehe sie sich zu ihrem Gastgeber umdrehte.
 

Der stand noch den breitschultrigen Männern zugewandt und verabredete sich mit ihnen im Rathaus für den morgigen Tag.

Menschen hatten eine merkwürdige Art mit Dieben umzugehen. Hielt sich doch sein Vater mit solchen Nichtigkeiten nicht auf. Dämonen entledigten sich solch gesellschaftsuntauglicher Nichtsnutze noch an Ort und Stelle, urteilte Sesshômaru verächtlich, ehe Ishizus Stimme in seinen Gedanken ganz natürlich verklang, fast wohltuend. Hatten ihre Schützlinge weit weniger unter der Präsenz ihrer Götter zu leiden als seine Art?
 

Wir brauchen andere Namen. Sesshômaru ist nicht gerade typisch unter Menschen... kein Mensch würde auch nur in Erwägung ziehen, eine Art und Weise zu töten als Namen für sein Kind zu wählen, das ist barbarisch.
 

Barbarisch wie ein Yôkai, Megami!, donnerte es sofort erzürnt dazwischen.
 

Er war nicht dumm. Sein Vater hatte sich stets mit Menschen umgeben. Also war auch ihm zu Ohren gekommen, was so manche minderbemittelte Seele von ihren Sitten hielt. Nur, dass ausgerechnet sie jetzt damit kam, traf ihn schwerer, als er sich eingestehen wollte.

Erschrocken lag ihr geweitetes Meeresblau sofort auf seinem verengten Braun. Natürlich war es nicht für ihn bestimmt gewesen. Sie hatte sich ihm nicht verschlossen. Tatsächlich hatte sie einfach auf ihre derzeitige Verbindung vergessen.

Instinktiv suchte sie seine Nähe, als ihre zarte Hand an seine Brust fand. Sein Augenpaar lag eisig auf ihr. Das menschliche Braun machte dabei keinen Unterschied.
 

Du bist kein Barbar. Du bist ein Prinz unter den Yôkai... Mein dunkler Prinz, und die Zärtlichkeit in ihrem flackernden Meeresblau vermochten es doch tatsächlich, seine Züge zu entspannen.
 

Fest verfingen sich ihre Blicke. Er ließ sie gewähren, als ihre Augenlider sich bereits wieder verführerisch senkten. Dann stoppte sie abrupt - weit vor seinen Lippen. Noch ehe Ai protestieren konnte.
 

Es ist ihnen unangenehm, offenbarte die tiefe Verbundenheit der Göttin mit ihren Schützlingen.
 

Es hob seine Augenbraue vor Belustigung. Überraschte sie das wirklich?
 

Kein Wunder, so etwas gehört ins Schlafzimmer, Megami, ließ er sich zu einer grausam nüchternen Erläuterung herab.
 

Es ließ sie sofort erröten und senkte verlegen ihren Blick. Zuweilen neigte sie dazu, zu vergessen, in welchem Umfeld sie sich befand. Der Tadel aus hundeartigem Gold kam nicht überraschend.
 

Wenn wir allein wären...

Wiederholte ich alles, was ich gestern Nacht tat, erhob ihren Blick blitzartig zurück auf seine ungerührten Züge.
 

Sie war fassungslos. Er zuckte nichtmal mit der Wimper. Merklich stieß sie die Luft aus, während sein Braun ihr in gewohnter Überheblichkeit entgegenfunkelte.
 

Du bist gemein.

Strafe muss sein, Ishizu.
 

Sie schürzte einzig die Lippen, ehe sie sich von ihm ab und dem Fremden zuwandte.
 

„Ihr mögt mir verzeihen, eine Einladung auszusprechen, ohne mich vorzustellen“, galt wieder ihnen beiden.
 

„Mein Name ist Feng Ning“, deutete eine leise Verbeugung zum Dank an.
 

Es trieb Sesshômarus Braue verächtlich unter seinen Pony. Der Mensch schien noch nicht vielen hochrangigen Würdenträgern begegnet zu sein.
 

„Fa Wei und mein Name ist Fa Ti-shì. Wir sind erfreut, Eure Bekanntschaft zu machen“, lenkte seinen Blick zurück auf ihr Pechschwarz.
 

Sie wählte den Namen ihres Vaters, wie es üblich war. Wenn er das richtig verstand, verehrten sie ihn hier demnach als höchste Gottheit Ti.
 

„Wenn Ihr mir folgen mögt, mein Haus ist nicht weit“, untermauerte Ning noch mit einer einladenden Geste.
 

Ishizu wagte ein Lächeln. Sie erkannte die Aufrichtigkeit in seinem Herzen, noch ehe er sich zum Gehen wandte.

Da hielt sie sein zarter Griff um ihren Oberarm zurück. Automatisch stellten sich ihr die Nackenhaare auf, als sein Atem heiß ihre runde Ohrmuschel traf, ehe sie seine Stimme einem Hauch gleich erreichte.
 

„So gedenkst du also deinen Gedankengang wieder gut zu machen, Megami?“, raubte ihr ein zartes Grinsen.

Der Spott vibrierte nahezu auf vertraut betörende Weise in ihren Gehörgang.
 

Findest du ihn etwa unpassend, Yôkai?

Er war stark und seine Gestalt erhaben. Was wollte er mehr?

Sie sah das Zucken um seine Mundwinkel nicht, hörte jedoch den verräterischen Atemzug nahe an ihrem Ohr, ehe auch er ihre Verbindung nutzte.
 

Wie nennen sie dich hier, Ishizu?
 

Ähnlich wie bei Euch habe ich hier keinen Kult. Deshalb darfst du mich auch Megami und nicht Kami nennen, Sesshômaru. Shenmi kommt dem vielleicht am nächsten, wenn man mich hier adressieren wollte, erklärte sie in seinem Kopf, während sie sich mit Blick zu Ai anschickte, Ning zu folgen.
 

Ein Geheimnis der Götter schien sie demnach auch hier zu sein. Es war also nicht fern der Wahrheit, kombinierte er trocken.

War das ihre Möglichkeit zu lügen, so nahe an der Wahrheit zu bleiben wie möglich? Doch wie erklärte sich dann die fingierte Kriegsverletzung?
 

Ishizu nahm es schmunzelnd hin, ehe sie sich aus seinen Gedanken zurückzog.

Eigentlich hatte die Situation durchaus ihre Vorzüge. Bot sie dem stolzen Dämon doch ungeahnt lehrreiche Einblicke. Eine durchaus göttliche Erziehungsmethode. Ob ihre Tante? Nein, beschloss sie, solch einer Gefahr würde sie sie nicht aussetzen. Egal in wessen Reich sie sich befand.
 

Ning und seine Familie produzierten Seide. Das war Ishizu rasch bewusst geworden, noch während sie den ausladenden Hof betreten hatten und der Wind ihr das Rascheln durch die Blätter der Haine an Maulbeerbäumen zugetragen hatte. Der Rauch, welcher aus einem der zahlreichen Wirtschaftsgebäude in das Orangerot des abklingenden Tages entstiegen war, hatte es nur mehr bekräftigt. Zudem erklärte es die edle Seide seiner Kleidung.

Tatsächlich musste auch Sesshômaru sich eingestehen, dass dieser Mensch sein Handwerk verstand. Der Stoff, gegen den sein Rücken lehnte, erinnerte fast an die magisch feine Seide, welche seine Art nutzte. Der Mensch war offensichtlich stolz auf sein Produkt, war doch der ganze quadratische Raum, den sie ihnen zugewiesen hatten mit Seide verkleidet. Selbst die Wand. Nur am Rande erreichte ihn das Knarzen des Holzes, als sie ihren Fuß zurück auf die Veranda setzte. Das Kratzen und Schaben der Krallen ihres vierbeinigen Schattens verklang bald neben ihr. Ai fand umgehend ihren Weg vor das ihnen zugewiesene Zimmer. Ein charakteristisches Rumpsgeräusch später kündete davon, dass die Hundeartige ihren Schützling seiner Obhut übergeben und sich selbst zur Ruhe begeben hatte.

Die Türen zum Garten standen weit offen.

Die Dunkelheit wurde einzig von dem flackernden Kerzenschein erhellt.

Es genügte bei Weitem nicht, um seine derzeit minderbemittelte Sehkraft auszugleichen. Also beließ er die Augen geschlossen, während sie den Raum betrat. Er wollte nicht sehen, was er vermisste.
 

„Wo warst du?“, lenkte ihren Blick zu ihrer Linken auf seine scheinbar entspannten Züge.
 

Es war seltsam, dass er fragen musste - für beide.

Er wirkte mürrisch. Weil sie in einem Menschenhaus waren?

Es musste weit unter dem Standard liegen, den er gewohnt war – Seide hin oder her. Die Einrichtung war einfach gehalten.

Das Anwesen dagegen war groß mit vielen typisch in die Länge gezogenen Gebäuden. Das Haupthaus in U-form bereits erweitert. Dennoch bezeugten seine eingeschößige Bauweise und nicht zuletzt seine Farben den niederen Stand. Die Kaufleute verdienten besser als die Produktionsstätten. Doch Ning schien gut davon leben zu können – sofern man ihm nicht seinen Geldsack stahl. Seine Frau Mailin war wirklich außergewöhnlich schön. Sie und er waren einfache aber gütige Leute. Beide waren jung – und sie meinte, dass selbst Sesshômarus Blick für einen winzig kurzen Moment auf dem feinzügigen Gesicht der Menschenfrau verweilt war, irritiert ob ihrer ungewöhnlichen Schönheit.

Ob er glaubte, dass nur übernatürliche Wesen schön waren?
 

„Ich habe das Anwesen gesegnet“, öffnete seine Augen.
 

Sein Blick glich dem aus Raubtiergold, als er ihren anmutigen Schritten an seine Seite folgte. Es war klar, dass er es nicht nachvollziehen konnte.
 

„Es soll das Glück einkehren. So bedanken wir uns bei unseren Kindern. Für ihre Hilfsbereitschaft“, trieb seine Augenbraue gen Stirn.
 

Es raubte ihr ein lautes Aufseufzen, das ihn zu amüsieren schien. Zumindest glaubte sie sein menschliches Braun charakteristisch funkeln zu sehen.
 

„Sie laden uns in ihr Haus, teilen ihr Essen mit uns und geben uns eines ihrer schönsten Zimmer.“
 

Dieses „schönste“ Zimmer, wie sie es nannte, würde sein Vater nicht einmal einem ihrer dämonischen Bediensteten zuweisen, geschweige denn einem Gast. Zumal er die Fülle an Seide als unpassend empfand. Die Matten waren einfach, die Möbel brauchbar, sofern man ihrer bedurfte, die Größe nicht viel mehr als eine Kammer im Schloss des Westens. Er war nicht beeindruckt.
 

„Sie bieten uns Obdach für die Nacht, obwohl sie keinen Palast besitzen“, insistierte Ishizu.
 

„Sie sind mir zu Dank verpflichtet“, schürzte ihre zartrosanen Lippen vor Empörung.
 

Das war keine selbstlose Großzügigkeit.

Unter dem leisen Zucken seiner Mundwinkel lehnte er den Kopf wieder zurück und schloss die Augen. Er fand das offenkundig übertrieben und nicht angebracht.

Ishizu stieß hörbar die Luft aus. Das durfte jawohl nicht wahr sein. Wie konnte man nur so überheblich sein?
 

„Dann hätte ein Essen ausgereicht“, kündete ihm eine unliebsam-hitzige Diskussion an.
 

Er verdaute gerade noch die seltsam breiige Nahrung, welche ihre Menschen zu sich nahmen - ohne zu wissen, ob sein Körper diese überhaupt vertrug. Wieder hatte er ihrem Drängen nachgegeben.

Und jetzt fühlte es sich befremdlich an. So hatte sich sein Magen noch nie angefühlt. Er hatte demnach nun wirklich nicht den Nerv dafür, sich von ihr erst anfahren und dann auch noch belehren zu lassen. Also fuhr er ihr barsch dazwischen.
 

„Du hast gelogen, heute“, kam unerwartet und kräuselte ihr kleines Näschen auf ihre verführerische Art und Weise.
 

Es vermochte ihr den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Kurz besah sie sich den Dämonensohn eingehender. Angriff war doch die beste Verteidigung. Sie bedurfte eines Augenblicks, um ihre eigene Empörung niederzuringen. Es hatte ja doch keinen Sinn. Nicht, wenn er so verbohrt war. Soweit kannte sie ihn mittlerweile bereits. Sie redete nur wieder gegen eine Wand. Also lenkte sie schlussendlich ein – seiner und damit ihrer Nerven zuliebe.
 

„Es ist nicht so, dass Götter es nicht vermochten, Sesshômaru. Wir halten nur nichts davon, wenn es nur unserem eigenen Nutzen dient. Hier hilft und schützt es auch Ning und seine Familie“, ganz zu schweigen von ihm.
 

Er hatte also recht behalten. Es war ihr eigener Anspruch, ihr Ideal, das sich dagegen sträubte. Diesmal entlockte es ihm sein schmales Lächeln, was der Göttertochter irritiert die Stirn in Falten legte. Abermals schien sie abzuwägen, als ihr Meeresblau auf ihre einzigartig liebevolle Weise über seine Züge wanderte.
 

„Du erwähntest, es sei am Abend vorbei“, entkam ihm bereits wieder ungerührt – als sei es eine Belanglosigkeit für ihn.
 

Es war klar, dass dem unmöglich so war. Allein, weil er es ausführte. Da er die Augen weiterhin geschlossen behielt, entging ihm ihre sorgenvolle Musterung.
 

„Der Abend hat gerade erst begonnen“, wandte sie zaghaft ein.
 

Was erwartete er?

Er war offenkundig missgelaunt. Kein Wunder.

Körperlich schien es ihm dagegen gut zu gehen. Er hatte lediglich gut gegessen.

Mailin war eine hervorragende Gastgeberin. Also hatte sie umgehend nachgeschöpft, kaum, dass sie eine Schale leer vorgefunden hatte.
 

„Ich hatte erwartet, du hörst auf, sobald du satt bist.“
 

Sie hatte sich zwar gewundert, dass er stets seine Schale geleert hatte. Aber, woher hätte sie auch ahnen sollen, dass er mit japanischen Essgewohnheiten vertraut war. Er war ein Dämon, kein Mensch.

Eingedenk seines Stolzes hatte sie also erst bei der dritten Schale gewagt, ihn auf den gravierenden Unterschied zwischen beiden Esskulturen hinzuweisen. Natürlich fühlte sich sein Bauch daher gut gefüllt an. Obgleich es bereits eine gute Weile zurücklag.

Sie hatte sich nie darüber Gedanken gemacht, was und vor allem wie er und sein Vater Nahrung zu sich nahmen. Dennoch, befand sie, hatte sie eingegriffen, ehe er sich übergessen hatte. Er schien es lediglich nicht gewohnt zu sein, etwas im Magen zu haben.

Er dagegen sah nach wie vor nicht, woher er hätte ahnen sollen, dass eine leere Schale darum bat, gefüllt zu werden anstatt anzuzeigen, dass er geendet hatte.

Er beließ es unkommentiert. Bezeichnenderweise. Es untermauerte nur noch sein Desinteresse an einem Wortgefecht - und heizte die Sorge in ihr an.
 

Nie zuvor hatte sie ihn so erlebt, geschweige denn je gedacht, ihn so offenkundig leiden zu sehen.

Dabei hatte er sich so tapfer geschlagen - trotz der Nähe zu all so vieler ihrer verabscheuten Schützlinge. Er hatte sich sogar beherrscht und den unwürdigen Pechvogel, welcher ihn angerempelt hatte, verschont.

Zudem war er mit hierher gekommen, hatte menschliche Nahrung gegessen, wenn auch mit äußerstem Widerwillen und um seinen eigenen grummelnden Magen zu befrieden. Dann hatte er sie sogar begleitet, als sie Nings Einladung gefolgt war, ihr seine Produktionsstätten zu zeigen. Allein hatte seine Erziehung sie wohl schlecht mit dem Menschenmann gehen lassen können.

Natürlich hatte sie nicht widerstehen können. Und er nicht, sie darauf hinzuweisen, wie barbarisch ihre Schützlinge doch das Leben der Raupen im siedendheißen Wasser opferten, um die Fäden von den Kokons zu lösen. Mit dem einzigen Ziel, an den von Natur aus glänzenden Stoff zu kommen.

Unverkennbar, welcher Absicht er da nachgegangen war. Glaubte er wirklich, sie kannte ihre Schützlinge nicht, wusste nicht um die Untiefen, welchen ihre Seelen anheimfallen konnten? Und da glaubte er seine Art vernünftiger?

Es war seinem Vater zu verdanken, dass sie dagegen hatte halten können. Denn dank ihm wusste sie, dass seine Art zwar nicht die Raupen tötete, ihnen jedoch den natürlichen Schutz nahm, indem sie sie der magischen Fäden beraubte. Sie überantworteten die dämonischen Pendants damit ihren naturgegebenen Fraßfeinden. Es hatte ihn tatsächlich verstummen lassen. Kommentarlos hatte er von da an Nings Ausführungen und Demonstrationen über sich ergehen lassen - ohne sie in ihrer Neugierde auch nur weiter bremsen zu wollen.

Alles in allem hatte er heute also eine Umgänglichkeit bewiesen, die sie dem verwöhnten Dämonenprinzen noch vor zwölf Stunden niemals zuzutrauen gewagt hätte.

Er verdiente eine Belohnung.
 

Das Rascheln ihres Stoffes drang selbst an seine runden Ohren, sobald sie etwas näher an ihn heranrobbte. Mochte es auch seine Augenlider nicht heben, sie wusste sich seiner Aufmerksamkeit sicher.

Also erhob sie ihre Stimme lediglich zu einem zärtlichen Flüstern an seiner Seite.
 

„Ich fand deinen Namen von Beginn an faszinierend“, lenkte sein Augenmerk auf sie.
 

Mutig ihren Gedankengang von heute Nachmittag noch einmal aufzugreifen.

Ihr Lächeln war kämpferisch, mit dem sie seiner skeptisch gezückten Augenbraue begegnete.
 

„Er sagt viel über eure Kultur und Sicht auf die Welt aus. Dein Vater muss sehr stolz gewesen sein, als er ihn wählte.“
 

„Du übersiehst, Megami, dass er auch einen gewissen Anspruch beinhaltet“, gab er zu bedenken.
 

Sie musste sich mehr anstrengen, wenn sie ihm schmeicheln wollte – erst recht nach dem Patzer von heute.

Ihr leises Schmunzeln akzeptierte die Herausforderung bereitwillig.
 

„Dem du unleugbar gerecht wirst. Er ist stolz auf dich“, bekräftigte sie.
 

Natürlich, warum sonst vertraute er ihm sein ambitioniertestes Unterfangen an: Sie.

Doch, wie lange mochte sein Stolz auf ihn noch anhalten?

Er widersprach jeder Verpflichtung, die er seinem Vater schuldete. Ganz zu schweigen von der, die ihn an den Herrscher über seine Art band. Sie war an sich schon unbegrenzt und nie zur Gänze zurückzahlbar.

Und er kam ihr nicht einmal mehr nach - ein jedes Mal, wenn er sie auch nur ansah.
 

„Zuneigung ist keine bewusste Entscheidung – wie die Führung deiner Klinge“, bemühte Ishizu eine Erleichterung.
 

Er ignorierte ihre Daueranwesenheit in seinen Gedanken längst großzügig. Es barg gewisse Annehmlichkeiten. So ersparte es ihm die Konversation mit ihren Schützlingen oder erlaubte eine zwischen ihnen, ohne gar seine Stimmbänder zu bemühen.

Natürlich verstand sie die Funktionsweise seiner Welt nicht. Sie entstammte ihr nicht. Dennoch glaubte er erahnen zu können, was sie meinte.

Die Unruhe, die ihn befallen hatte, kaum hatte er sie das erste Mal erblickt. Sie hatte ihn seither nicht mehr losgelassen. Einzig, wenn er sie berührte, wenn allein sie seine Sinne beherrschte, dann erhaschte er einen flüchtigen Moment der geruhsamen Befreiung. Sie musste es längst ahnen, so regelmäßig, wie er dem mittlerweile nachgab. Nicht nur heute.
 

Wie aus dem Nichts ereilte sie da seine Berührung, als seine Hand über ihre Wange rasch in ihren Nacken fand. Der Zug an seine Lippen erfolgte so rasant, dass er ihr den Atem stahl. Sie musste sich auf ihre Hand abstützen, um nicht gegen ihn zu fallen. Dennoch erwiderte sie seine forsche Zärtlichkeit nicht minder sehnsüchtig.
 

„Es war eine bewusste Entscheidung, deine Gemächer zu betreten“, erfolgte an ihren Lippen, noch während sie merklich Atem schöpfte.
 

Sie erkannte, dass es das war, was er sich vorwarf. Die Entscheidung zum Ungehorsam. Sah er nicht, dass er sich damit selbst in Ketten legte?
 

„Weißt du, in dieser Kultur hier darfst du dich gegen deine Verpflichtungen entscheiden, wenn ihnen nicht mit Wohlwollen begegnet wird, Sesshômaru.“
 

„Das widerspricht jeglichem Ehrgefühl meiner Kultur, Ishizu“, erstickte ihren Versuch erbarmungslos im Keim.
 

Es entlockte ihr dennoch ein versöhnliches Lächeln.

Sie verstand. Es musste für ihn einem Verrat an seinen Werten, wenn nicht gar einer Schwäche gleichkommen.

Als sie seine Züge abwanderte, welche wieder zu seiner scheinbar kühlen Gleichgültigkeit zurückgefunden hatten, musste sie sich letztlich die Ehrfurcht eingestehen, welche er ihr abverlangte; davor, dass er sich derart rigoros solch strikten Normen unterzuordnen bereit war. Sie bewunderte seinen Stolz und seine Disziplin. Ob sie es wollte oder nicht.

Sein menschliches Braun maß derweil ihre Mimik längst wieder auf die vertraute Art und Weise – lauernd, wie das Raubtier seine Beute. Ihr entglitt ein zartes Lächeln darüber, ehe sie ihren Beschluss fasste. Er erkannte es sofort – und war doch völlig überrascht.

Sie saß immer noch auf ihren Schienbeinen, viel zu nahe neben ihm, als dass es nicht ihre letzte Intimität verraten hätte.
 

„Leg dich hin“, wisperte sie daher fast noch gegen seine Lippen.
 

Es hob seinen Blick in ihr Meeresblau.

Sie begegnete ihm mit ihrem geheimnisvollen Schmunzeln.
 

„Auf den Rücken“, war zu zart, um als Befehl durchzugehen.
 

Also folgte er und erhob sich – sehr zu ihrem Erstaunen. Es spannte ihre Lippen vor Entzücken, hatte sie doch einen Moment daran gezweifelt, ob er ihrer Bitte nachkäme. Das klappte ja immer besser.

Die Matten knirschten selbst in seinen schwächlich-runden Ohren wie durch Watte, als er sich darauf niederließ. Er spürte den Boden ungewohnt gegen seine Kehrseite drücken. Neugierig verfolgte sein Augenmerk ihre Bewegungen an seine Seite – ganz das Raubtier, das sie kannte. Ishizu verbat sich jegliche Regung, welche auch nur über ein leises Lächeln hinausging und rang ihre diebische Vorfreude eisern nieder.
 

„Und jetzt schließ' die Augen“, beschwor schlussendlich das Misstrauen seiner Art herauf, sobald sie schicklich an seine Seite gefunden hatte.
 

Es veranlasste sie dazu, belustigt die Luft auszustoßen, als er zögerte.
 

„Traust du mir nicht?“, vermochte letztlich seine Augen zu schließen.
 

Erneut raschelte ihr Stoff vertraut an seinem Ohr. So sehr er sich auch anstrengte, es ließ seine vertraute Sinnesleistung nach wie vor vermissen. So konnte er einzig annehmen, dass sie neben ihm lag und ihren Kopf auf ihren Ellbogen abstützte. Ihr Gesicht musste sie ihm zugewandt haben. Er spürte ihre leisen Atemzüge mehr, denn dass er sie hörte. Kribbelnd trafen sie auf seine vor Anspannung hoch-sensibilisierte Haut. Seine übrigen Sinne warteten nicht minder gespannt darauf, angesprochen zu werden.

Es trieb seine Augenbrauen unter seinen Pony, als ihn der leichte Zug an seinem Gürtel erfasste. Er griff nicht ein, sondern ließ es zu, dass sie ihm diesen öffnete, neugierig darauf, was noch kam.

So sehr er sich auch um Ungerührtheit bemühte. Ihre hauchzarte Berührung traf ihn wie ein Stromschlag und bahnte sich einem ebensolchen gleich seinen elektrisierenden Weg durch sein Sinnesnetz. Automatisch tat er einen tiefen Atemzug, der seine halb entblößte Brust merklich gegen den Stoff seines Obergewandes hob. Dann erst erschloss sich ihm, dass sie einzig ihre Fingerkuppe seine Stirn hinab in einer geraden Linie führte. Sie glitt federartig über seine Haut, diese dabei kaum berührend. Vielmehr glich es einem Windhauch, der liebkosend über sein Gesicht strich. Er war erstaunt.
 

„Entspann dich und hör auf zu denken“, flüsterte sie zu seiner Seite.

Es trieb ihren Atem merklich gegen seine überempfindliche Haut.
 

Sein Stimmkörper vibrierte vertraut unter ihrer Fingerkuppe – ohne, dass er es aufhalten konnte, als sie sein Kinn dabei überwand. Interessiert beobachtete sie die Fluktuation seiner Aura um die befremdlich orangene, während seine Atmung in bemüht gleichmäßigere Bahnen glitt. Es war also doch die Anspannung, die ihn gefangenhielt.

Sie genoss den Weg über seine entblößte Brust eindeutig viel zu sehr. Es brachte ihre eigene Konzentration ins Wanken.
 

„Du klingst unentspannt, Ishizu“, kommentierte er sogleich die Unregelmäßigkeit in ihrer eigenen Atmung.
 

„Wirst du wohl still sein“, tadelte sie.

„Konzentriere dich auf dich.“
 

Die verräterische Wärme, welche dabei von ihren Wangen Besitz ergriff, ignorierte sie geflissentlich. Natürlich entging ihm ihre eigene wachsende Aufregung nicht – noch ließ er sich gar die Gelegenheit entgehen, sie darauf auch noch genüsslich hinzuweisen.

Sie biss sich auf die Unterlippe, in dem Bemühen zurück zur vorherigen Fassung zu finden. Es war längst zu spät. Mit einem Ruck durch seinen Körper brach der Moment. Noch im Nächsten hatte er sich in einer raubtierhaft-eleganten Bewegung auf sie bugsiert. Seine Hände pinnten ihre Handgelenke über ihren Kopf auf den Boden, sein erhitzter Körper begrub sie unter sich. Jetzt prallte sein Atem heiß gegen ihre geröteten Züge, als sein schimmerndes Braun sie in seinen unerbittlichen Fokus nahm.
 

„Du kannst die Führung einfach nicht aus der Hand geben“, beschwerte sie sich unter ihm, noch während sich sein Becken anregend gegen das ihre schob.
 

Es schien ihm ja auf wundersame Weise bereits merklich besser zu gehen. Ihr Meeresblau stach darüber nicht weniger trotzig in sein funkelndes Braun. Ihr Gebaren unter ihm strafte sie Lügen. Seine vertraute Last über ihr besänftigte sie längst. Er konnte in ihrem Blick mitverfolgen, wie ihre Gegenwehr unter seiner sehnsüchtig erwarteten Nähe immer weiter bröckelte.
 

„Wähnst du dich etwa nach nur einem Tag bereits in der Position zu führen, Megami?“
 

Nur weil er ihr heute nachgegeben hatte, ihrem Rat gefolgt war in der Welt ihrer Schützlinge, brauchte sie sich noch lange nicht daran zu gewöhnen.

Schiere Angriffslust lag in seinem Blick. Er erinnerte sie längst wieder an das Raubtier in ihm. Was der richtige Anreiz zur Ablenkung doch so alles vermochte, triumphierte es in ihr und spannte ihre feinen Züge siegessicher. Seine Verstimmung schien wie weggeblasen. Längst genoss sie sein Spiel ebenso sehr wie er das Ihre, welches sie gerade erst eingeläutet hatte.

Neckisch strich ihre Fußspitze seine Wade entlang. Fest stach ihr Meeresblau in sein schimmerndes Hellbraun. Unmöglich, dem jetzt auszuweichen. Sie wollte es auch gar nicht. Aus einem Reflex heraus biss sie sich auf ihre Unterlippe und lenkte allein mit dieser Nichtigkeit all seine Aufmerksamkeit auf diese. Sie hatte längst gewonnen, ob er es einsehen wollte oder nicht. Also kam es ihr nur allzu leicht über die Lippen – ohne zu ahnen, was allein sein Name von den Ihrigen an Chaos in ihm zu stiften vermochte.
 

„Liebe mich, Sesshômaru“, war pure Versuchung.
 

Und er erlag ihr, als er sich zu ihr hinabbeugte, um ihre Lippen mit den Seinen nicht minder begehrlich zu verschließen.

Ishizu meinte sich noch darunter alsbald von den Spitzen seiner Eckzähne auf gewohnte Art und Weise gereizt. Als seine Hände über den Stoff ihre Seiten hinabglitten, glaubte sie bereits die altvertrauten Krallen über die Faser kratzen spüren zu können. Instinktiv bog sie sich ihm entgegen. Einem Impuls folgend vergrub sie ihre Finger in seinem unnatürlich feinen Haar.
 

Abermals war es das Zwitschern der Vögel, das sich immer weiter voran in ihr Bewusstsein schlich. Dicht gefolgt vom Rascheln der Blätter. Erneut schien es von weit oben zu kommen und ihr Bewusstsein behutsam immer mehr aus dem Sumpf ihrer Schläfrigkeit zu ziehen. Als sie der erste Sonnenstrahl an ihrer Nasenspitze wie gewohnt kitzelte, schlug sie ihre Augen abrupt auf.

Sie traf umgehend auf sein Raubtiergold. Es begegnete ihr verhalten. Fast erschien es ihr, als suchte er darin nach irgendetwas. Sie dagegen wanderte fasziniert seine Züge ab. Vom blauen Sichelmond auf seiner Stirn, über die so geliebten Spitzaugen mit den beiden magentafarbenen Streifen auf seinen Wangen. Erst nach und nach drang das Rauschen des Meers an ihre spitzen Ohren. Sie erkannte das Gras unter sich, erahnte die Bäume um sie herum. Sie waren zurück auf der Lichtung - und er ganz er selbst. Als es in ihrem Rücken vertraut winselte, setzte er sich sofort auf. So entging ihm ihr zartes Lächeln.
 

Ein Traum?


Nachwort zu diesem Kapitel:
Für alle, die es genauer wissen wollen:

Für Sesshômarus und Ishizus Debatte am Ende über Pflicht und Ehre habe ich mal wieder Chrysantheme und Schwert (R. Benedict, 2018, 106f.) bemüht - war mal so frei, davon auszugehen, dass er den hohen Idealen verpflichtet ist.
Hierin bezog ich mich auf zwei Formen der Verpflichtungen ''On'' und ''Gimu''.

On
Eine passiv eingegangene Verpflichtung (man empfängt/trägt es) gegenüber Kaiser/Eltern/Feudalherren/Lehrer (On-Menschen).
Dieses ''On'' zahlt man dann reziprok zurück (im Sinne von einer Schuld).

Gimu
Pflichten gegenüber Kaiser/Gesetz/Eltern/Vorfahren/Arbeit.
Gimu gilt unabhängig von äußeren Bedingungen (also keine Ausnahmen!).
Diese können dabei nie vollständig zurückgezahlt werden.

(Ganz im Gegensatz zu Giri (gg. Verwandten):
Kann mit mathematischer Genauigkeit zurückgezahlt werden.
Beispiel: Listen der Hochzeitsgeschenke/Schenkerfamilie, um im gleichen Umfang dem Brautpaar aus der Familie ihr Hochzeitsgeschenk zurückzuzahlen.
Kommt wohl auch unserem altertümlichen Begriff von ''Ehre'' nahe).



In China gibt es die Möglichkeit, Gimu zu widersprechen.
Denn für Loyalität und Ehrfurcht kann der Chinese als Voraussetzung ''jen''-Wohlwollen (japanisch: /jin/ oder /jingi/) postulieren.
Der Kaiser muss demnach wohlwollend seinen Untertanen gegenüber sein, um ''Gimu-chu'' erhalten zu können. Ebenso müssen Eltern wohlwollend ihren Kindern gegenüber sein, dann können sie deren ''Gimu-ko'' einfordern.
In Japan ist das keine Tugend. Komplett anzeigen

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