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Festival of Blood

von

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8

Samantha saß noch eine Weile alleine auf der Veranda. Ihr Kopf pochte, ihr Herz hämmerte heftig gegen ihre Brust und ihre Gefühle fuhren Achterbahn, von ihren Hormonen ganz zu schweigen.

„Ich soll die Partnerin eines Werwolfes sein…“, murmelte sie grüblerisch vor sich her, „sein Weibchen…“

Sie ließ den Blick über das Geländer schweifen, bis zur Weide mit den Schafen hinüber. Die Tiere sahen für sie nicht sonderlich appetitlich aus, mal abgesehen davon, dass ihr Geruch in Samanthas Nase fürchterlich biss.

Für Earl und Tommy musste es unerträglich stinken, dachte sie sich, ihre Sinne waren schließlich um einiges sensibler.

Die junge Frau blickte in die andere Richtung, an der Scheune vorbei, hinter welcher der dichte Wald aus dem Boden ragte, durch welchen sie bereits gejagt worden war. Wenn sie nun hier bleiben würde, müsste sie dann weiterhin das Tier mit den roten Augen fürchten müssen?

Als Mensch wahrscheinlich ja.

Tommy oder Earl konnten schließlich nicht immer in ihrer Nähe sein und wenn sie sich irgendwann einmal alleine im Wald aufhalten würde…

Samantha schüttelte ihren Kopf, warum in aller Welt sollte sie alleine in den Wald gehen? Sie hatte allen Grund, genau das nicht zu tun, wollte sie eine weitere Begegnung mit diesem Vieh vermeiden.

Das Tier mit den roten Augen…

Wenn es kein Werwolf war, was könnte es denn dann bloß sein? Auf gar keinen Fall ein normaler Wolf oder ein wilder Hund, wie es ihr bis jetzt alle weiß machen wollten. Es war dafür viel zu groß gewesen.

„Earl?“, rief Samantha in das Haus hinein.

Kurz darauf erschien Tommys Onkel im Rahmen der offenstehenden Haustüre.

„Wenn einer von euch Tollwut bekommen würde…“, begann sie und blickte ihn über ihre Schulter hinweg an, „würde er sich dann auch wieder in einen Menschen zurückverwandeln, oder in seiner Wolfsgestalt verweilen?“

„Das ist eine sehr gute Frage. Ich müsste allerdings raten, und kann dir deswegen keine genaue Antwort geben.“

„Du sagtest, dass ihr dann die Kontrolle über euch verlieren würdet.“

„Ja.“

„Und, dass das Tier mit den roten Augen definitiv jagt, weil es töten will und nicht weil es muss.“

„Interessante Theorie. Du fragst dich, ob es ein mit Tollwut infizierter Werwolf sein könnte. Leider muss ich dich da enttäuschen. Immer wenn ich es wittern konnte, hat es niemals nach einem von uns oder einem kranken Tier gerochen.“

Samantha ließ seufzend ihre Schultern nach vorne rollen und zog einen Schmollmund. Es hätte ja einmal einfach sein können…

„Plage dich nicht, meine Liebe…“, rief sie der alte Mann zurück in die Realität, „wir versuchen es seit über zwanzig Jahren zu fangen...und irgendwann werden wir Erfolg damit haben!“

Sie lächelte ihn dankend an und ließ den Blick wieder in die Ferne schweifen.

„Wann wird er denn wieder nach Hause kommen?“

„Keine Sorge! Er wird kommen. Im Moment muss er nur den Kopf frei bekommen, er macht sich fürchterliche Vorwürfe wegen heute Nacht.“

„Sein Jeep steht gar nicht in der Scheune.“

„Weil er damit weggefahren ist. Damit du ja nicht auf die Idee kommen könntest, ihm zu folgen.“

Earl schmunzelte sie wissend an, während Samantha die Augen theatralisch verdrehte. Eine Weile schwiegen die beiden, der laue Wind blies den herben Duft des Waldes zu ihnen rüber, als Samantha schließlich auf ihre Schenkel klopfte und aufstand.

„Kann man wohl nichts machen“, seufzte sie und winkte Earl zum Abschied, „dann werde ich es Tommy gleich tun, und bei einem langen Spaziergang ebenfalls den Kopf frei kriegen.“

„Pass auf dich auf“, sagte Earl fast schon fürsorglich, „auch bei Tageslicht sollte man immer wachsam sein.“
 

~*~
 


 

Samantha schlenderte die Wege nahe des Waldrandes entlang, sie hatte noch mehr als genügend Zeit, bis sie heute Abend bei Wilma eingeladen sein würde oder Tommy von seinem Selbstfindungstrip zurück kam. Wie wohl das eigene Mondscheinfest der Wicca aussehen würde? Samantha grinste breit, als sie sich diverse Waldtiere beim tanzen um ein Lagerfeuer vorstellte, während sie und Wilma auf improvisierten Instrumenten Musik machten.

„Ich habe wirklich eine blühende Fantasie…“, schüttelte die junge Frau den Kopf und strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr.

Vorher würde sie noch einmal ausgiebig in die Badewanne gehen, das Kleid, welches sie gestern Abend bereits angezogen hatte würde Wilma sicherlich auch sehr gut gefallen. Samanthas Grinsen wurde noch breiter, sie freute sich wirklich auf den heutigen Abend, welchen sie mit der rothaarigen Frau verbringen würde. Wilma hatte ihren Fuß geheilt und war sonst auch immer nett und zuvorkommend zu ihr gewesen. Das sie Tommy nicht leiden konnte versetzte Samantha einen leichten Stich ins Herz, wie gerne hätte sie einen Abend mit den beiden zusammen verbracht…

Die junge Frau blieb stehen, blickte sich in ihrer aktuellen Umgebung um und musste feststellen, dass sie über einen Umweg gelaufen war. Sie hatte dank ihrer intensiven Gedankengänge nicht mitbekommen, dass sie anscheinend einen völlig anderen Pfad als ursprünglich geplant genommen hatte.

Kleine trockene Äste knackten unter ihren Füßen, die von eben noch so angenehme Brise hatte sich zu einem unangenehmen Wind entwickelt. Die junge Frau begann allmählich zu frösteln und sie rieb sich ihre Arme. Wie zum Teufel war sie nur hier rein geraten?!

Ach ja. Ihr Leihwagen war plötzlich stehen geblieben, als sie auf dem Weg zur Hochzeit ihrer Cousine gewesen war.

Genau in diesem Moment hörte sie Motorengeräusche. Samantha reckte den Kopf und bemerkte das gräuliche Auto, welches mit ordentlicher Geschwindigkeit durch den Wald fuhr. Es war Hunters Auto gewesen.

Samanthas Magen zog sich zusammen, sie kannte mittlerweile die Wahrheit über die Täter, welche seine Familie abgeschlachtet hatten. Er dürfte niemals erfahren, wer es tatsächlich gewesen war, ansonsten würde er Tommy und Earl…

Sie schüttelte hastig den Kopf, versuchte dadurch den Gedanken zu vertreiben. Dann fiel ihr wieder ein, dass der Jäger ebenfalls das Tier mit den roten Augen jagte. Vielleicht konnte sie ein wenig mehr über dieses Vieh erfahren, Hunter musste den wirklichen Grund ja nicht wissen. Schnellen Schrittes nahm sie die Verfolgung auf, trat auf den Pfad, welchen das Auto ebenfalls genommen hatte und ging in die Richtung, in der seine Hütte stand.

Nach einer Weile konnte sie den alten Mann in einigen Metern Entfernung vor sich kniend sehen, er schien gerade etwas zu suchen, sein Blick war auf den Waldboden geheftet und der Kopf wiegte sich in gleichmäßigen Bewegungen von links nach rechts.

Die junge Frau ging weiter auf ihn zu, sprach ihn sogar an, jedoch schien Hunter so in seiner Suche vertieft zu sein, dass er sie nicht wirklich wahrnahm.

„...es...war...hier“, murmelte der in die Hocke gegangene Jägersmann und ließ seinen Kopf gelegentlich hin und herwandern, „es ist...hier durchgelaufen…“

Samantha ging einen weiteren Schritt auf ihn zu, trat auf einen trockenen Ast und blieb sofort erschrocken stehen. Hunter war in seiner gehockten Stellung schnell wie der Blitz zu ihr herumgefahren und hielt ihr nun eine silberne Klinge entgegen gestreckt. Sein eines Auge funkelte sie dabei so düster, beinahe schon mordlustig an, dass Samantha ein Kloß im Hals stecken blieb. Hunters Klinge würde, insofern er sie geschmissen hätte nun tief in ihrem Oberschenkel stecken.

„...die Arteria femoralis ist als Fortsetzung der Arteria iliaca externa, die Arterie zur Versorgung des Beins. Sie gibt kurz unter dem Leistenband die etwa gleich starke Arteria profunda femoris ab, die in die Tiefe abbiegt und die hauptsächliche Versorgung des Oberschenkels leistet…“

Samantha starrte ungläubig auf den grauhaarigen Mann vor sich, welcher wie im Gebet vor sich her murmelte, doch den Rest konnte sie nicht mehr verstehen, da ihr Blut in den Ohren viel zu laut rauschte. Sie wich vorsichtig einen halben Meter zurück, schob dabei einen Laufhaufen zusammen und schluckte mehrmals.

„Ich hätte dich töten können“, brummte der Jäger verärgert und blickte mit seinem einen Auge tadelnd zu ihr auf.

„Zum Glück hast du es nicht“, versuchte die junge Frau die Stimmung wieder zu lockern, „bist du was großem auf der Spur?“

„Du warst bei mir im Keller“, brummte der einäugige erneut und funkelte sie über seine Schulter hinweg herausfordern an.

„N...nein“, wehrte Samantha sofort ab und hielt ihre ausgestreckten Hände zum Schutz vor sich, „ich bin lediglich nur über deinen Teppich gestolpert und habe dadurch die Luke entdeckt. Aber ich war nicht in deinem Keller!“

Er wandte ihr jetzt sein Profil zu, erhob sich aus seiner Hocke und steckte das Messer zurück in seine Halterung, dadurch wurde Hunters Ledermantel herumgewirbelt und Samantha konnte auf dem Boden die Fußspuren erkennen. Ihr zog es den Magen fürchterlich zusammen, als sie erkannte, wie sie langsam von einem Pfotenabdruck zu einem menschlichen Fußballen wurden.

Tommy!

„Du...hast sie...also nicht gesehen?“, fragte der Jäger heißer, sein eines Auge unruhig auf Samantha geheftet.

Sie schüttelte wild ihren Kopf und wich einen weiteren Schritt zurück: „Ich schwöre dir, dass ich wirklich nicht in deinem Keller war und nichts gesehen habe! Wilma hat deine Vorräte aufgefüllt und dann sind wir wieder gegangen!“

„Du würdest ganz anders reagieren, wenn du sie tatsächlich gesehen hättest…“

Hunter blickte jetzt grübelnd zu Boden, direkt auf die Fußspuren, er stand so da und regte sich keinen Millimeter. Samantha bemerkte, dass ihre immer noch ausgestreckten Hände zu zittern begonnen hatten, während ein kalter Wind ihr hinten in den Rücken fuhr und in Mark und Bein überging. Wieso hatte sie in Hunters Gegenwart plötzlich so viel Angst? Er hatte vorher schon kauzig und etwas verrückt auf sie gewirkt, doch jetzt, nachdem sie selber die Fußspuren und das dazugehörige Monster gesehen hatte…

„Wirst du ihn jetzt jagen?“, hauchte sie so leise, dass es normalerweise kein menschliches Ohr hätte hören können.

Hunter hatte sie allerdings gehört. Sein Kopf wandte sich langsam, beinahe wie in Trance in ihre Richtung. Er kniff sein eines Auge argwöhnisch zusammen.

„Was hast du eben gesagt?“, fragte er monoton.

„Ob du jetzt jagen gehen wirst.“

„Du…“, raunte er und ging einen Schritt auf sie zu, „du hast ‚ihn‘ gesagt. Ob ich ‚ihn‘ jetzt jagen werde.“

„N...nein…“, winkte sie unsicher ab, „ich habe gestottert. Du musst dich verhört haben!“

„Du hast aber nicht gestottert, Samantha“, sagte er ziemlich selbstsicher, kam einen weiteren Schritt näher, „und ich habe mich auch nicht verhört. Mein Körper mag langsam durch sein Alter verfallen, doch meine Ohren haben schon immer die leisesten Geräusche vernommen, Dinge gehört, welche dich um den Verstand bringen würden.“

Samantha wich erneut zurück, nachdem Hunter immer weiter auf sie zuging, sie lief rückwärts direkt in einen Baum hinein, zuckte erschrocken zusammen und starrte dem Jäger mit ängstlich geweiteten Augen ins Gesicht.

„Du bist zwar noch recht neu in Wolfsburrow, und dennoch weißt du bereits mehr, als jeder andere Neuankömmling jemals zuvor.“

„Ich weiß gar nichts!“

„Oh doch…“, grinste Hunter breit und kam jetzt so nah an sie heran, dass sie seinen warmen Körper spüren könnte.

Er hob seine Hand an ihr Gesicht und fuhr Samantha mehrmals mit seinen rauen Fingern an der Wange hoch und runter. Wäre diese Geste von Steve, Earl oder gar Tommy gekommen, dann hätte sie wohl fürsorglich oder liebevoll wirken sollen, aber Hunter machte ihr mittlerweile genauso viel Angst wie Tommys Anblick von heute Nacht, oder gar das Tier mit den roten Augen.

„Weißt du...ich habe heute Nacht nämlich seinen Schrei gehört…“, lächelte der Jägersmann nun triumphierend, seine Hand wanderte von Samanthas Wange hinter in ihren Nacken, „und ich bin mittlerweile zu einhundert Prozent überzeugt davon, dass du junges Fräulein ganz genau weißt, wer das gewesen sein könnte.“

„Schrei? Welchen Schrei meinst du? Heute Nacht habe ich geschlafen, wie ein Baby...AUA!“

Hunters Finger hatten sich in ihren offenen Haaren festgekrallt und ihren Kopf so ruckartig zurückgezogen, dass sie einen stechenden Schmerz vernommen hatte.

„Hör auf, mich für dumm zu verkaufen!“, fauchte der grauhaarige Mann sie jetzt böse an, „du wirst mir auf der Stelle den Namen sagen!“

„Au! Du tust mir weh, Hunter! Ich habe keine Ahnung, wovon du redest!“

„HÖR AUF MICH FÜR DUMM ZU VERKAUFEN!“, schrie er sie jetzt an und zog noch fester an ihren Haaren.

„ICH WERDE DIR GAR NICHTS SAGEN!“, schrie sie ebenfalls unter dem Schmerz auf.

Sein Auge starrte sie jetzt wissend an, um seine Lippen zeichnete sich ein gehässiges Schmunzeln. Für einen Moment standen die beiden wortlos so da, dann zerrte Hunter sie hinter sich her, ging direkt auf seine Hütte zu.

„Du lässt mir tatsächlich keine andere Wahl, meine Liebe“, sagte er entschieden und ging mit ihr nach drinnen, wo er sie mit Schwung nach vorne schleuderte und auf den Boden schmiss.

Als Samantha ängstlich zu ihm aufsah zeigte er auf die Stelle neben ihr, wo sie gestern noch über den Teppich geflogen war.

„Runter mit dir!“, befahl er.

„Nein!“

„Du wirst da jetzt runter gehen und sie dir ansehen!“

Er schob den Teppich mit einem kräftigen Kick zur Seite und öffnete die Luke, bevor er erneut sein Messer zückte und sie damit bedrohte.

„Oh nein…“, wimmerte Samantha und schüttelte ihren schmerzenden Kopf.

„Du lässt mir keine Wahl! Ich muss sie dir zeigen!“

„Wen meinst du mit ‚sie‘?“

Erneut deutete er nach unten, hielt ihr die Klinge direkt an ihren Hals.

„Es liegt nur an dir, wie viel Schmerzen ich dir noch zufügen werde…“

Sie schluckte schwer und schniefte laut, Hunter verzog jedoch keine Miene. Vorsichtig blickte Samantha die staubigen Stufen nach unten, welche in seinen Keller führten und bemerkte, dass die brüchige Holztüre nun offen stand.

„Wenn ich mir ansehe, was du mir so dringend zeigen möchtest…“, schluckte sie erneut, „wirst du mich dann am Leben lassen?“

„Du hast mein Wort, dass ich dir kein weiteres Haar krümmen werde.“

Sie konnte den Geruch, welcher ihr in dem unteren Kellerraum in die Nase stieg nicht zuordnen, doch Samantha war sich in diesem Moment bewusst, dass sich dieser Duft für immer in ihr Gedächtnis gebrannt hatte. Sie ging voraus, Hunter mit gezückter Klinge direkt hinter ihr bis die beiden durch einen kleinen Flur schließlich im eigentlichen Kellerraum angekommen waren.

„Warte hier“, befahl er und schlich an ihr vorbei.

Durch die mangelnden Lichtverhältnisse konnte die junge Frau nur Schemen erkennen, konnte nur erahnen, wo sich Hunter gerade aufhielt. Dann flammte plötzlich eine alte Öllampe auf, eine zweite und eine dritte. Samantha blickte sich sofort in dem Raum um, konnte jedoch außer einem abgeschlossenen Waffenschrank und einigen vollgestopften Wandregalen nichts sonderbares erkennen. Was zum Teufel wollte der alte Kauz ihr so unbedingt zeigen? Sie sah nach oben, wo dutzende getrockneter Sträuße Eisenhut von der Decke hingen, ihr Blick wanderte daran entlang, bis sie schließlich unter vorgehaltener Hand einen erschrockenen Aufschrei unterdrückte. Augenblicklich wandte sie ihr Gesicht von dem ab, was sie so schockiert hatte, ihr wurde schlagartig übel und sie erbrach sich.

„Sieh sie dir nur an…die beiden sind mein größter Fang“, murmelte Hunter wie in Trance und hob eine Lampe näher an die beiden Menschenköpfe, welche wie seine anderen Jagdtrophäen an der Wand befestigt waren.

„Du Monster…“, würgte Samantha und hustete heftig.

„Jetzt magst du mich noch für ein Monster halten...hab nur noch ein wenig Geduld.“

„Geduld? Worauf soll ich denn warten? Dass die beiden Highway to hell singen?!“

Hunter zog einen alten klapprigen Holzstuhl von der gegenüber liegenden Wand weg und stellte ihn Samantha direkt vor die beiden Köpfe.

„Vertrau mir. Du wirst mich verstehen. Lass uns hier zusammen noch ein bisschen warten.“

„Ein bisschen?“

„Nur ein bisschen.“

Er tätschelte die Sitzfläche des Stuhls, ging dann wieder an die gegenüber liegende Wand zurück und lehnte sich lässig dagegen. Samantha dachte gar nicht daran, sich direkt vor diese Freakshow zu setzen, sie hatte nicht mal den Mut, die beiden genauer anzusehen. Stur zu Boden starrend knetete sie nervös ihre Hände durch und versuchte ruhiger zu atmen. Sie hatte absolut keine Ahnung wie lange die beiden hier unten mittlerweile verweilten.

„Da!“, fuhr Hunter plötzlich auf und stieß sich aufgeregt von seiner Wand ab.

Die Frau schreckte zusammen und wurde von dem Jäger am Arm gepackt und mitgezogen. Er schob sie zielstrebig vor sich her, direkt vor die beiden Menschenköpfe, umfasste ihr Kinn feste mit einer Hand und richtete ihr Gesicht so aus, dass sie darauf schauen musste.

„Sie es dir an…“, raunte er ihr ehrfürchtig ins Ohr, „dann verstehst du es…“

Erst jetzt erkannte Samantha, dass es sich bei den beiden Köpfen um einen Mann und eine Frau handelte, welche sie aus grau trüben Augen anstarrten. Ein heißer Stich fuhr ihr ins Herz, als sie vermutete zu wissen, wen sie da gerade ansah. Eines der Gesichter begann sich plötzlich vor ihren Augen zu bewegen, Samantha blinzelte unglaubwürdig mehrmals, sie musste träumen.

„Aber!“, stieß sie heißer hervor, als sie feststellte, dass sich nun beide Gesichter tatsächlich bewegten.

„Ja...endlich…“, flüsterte Hunter erfreut und trat neben sie.

Die beiden Gesichter, welche eigentlich tot sein sollten und sich somit nicht mehr bewegen durften eröffneten ihr dramatisches Schauspiel, wobei Samantha in regelmäßigen Abständen hörte, wie deren Gesichtsknochen knackten. Bei dem Mann begann sich langsam seine Nase und Oberlippe ein wenig nach vorne zu schieben, eine kleine Schnauze zu bilden, bei der Frau wuchsen die Ohren zuerst in die Länge, wurden immer spitzer. Beinahe gleichzeitig verfärbte sich ihre Haut zu einem dunklen graubraun, beinahe schon schwarz, ihre menschlichen Zähne fielen einer nach dem anderen aus und zu Boden, machten Platz für ihre langen spitzen Fangzähne.

„Nein…“, raunte Samantha, während ihrem Verstand nun endlich bewusst wurde, wen sie hier beobachtete.

Heiße Tränen rannten ihr über die Wangen und ihre Unterlippe bebte heftig, während Henry und Louise, Tommys Eltern ihre Transformation zum Werwolf allmählich abschlossen. Vier leuchtend gelbe Augen starrten Samantha nun entgegen, zwei weit aufgerissene, mit langen Fangzähnen bestückte Mäuler waren bereit nach ihr zu schnappen, um große Stücke Fleisch aus ihr zu reißen.

„Endlich zeigen sie ihre wahre Schönheit…“, verkündete Hunter und ging nach vorne, um die beiden Köpfe abwechselnd zu streicheln.

Sie waren wieder zu toten Trophäen erstarrt und doch sahen sie für Samantha so lebendig aus. Sie wischte sich ihre Tränen weg, schluchzte noch ein letztes Mal laut.

„Sieh sie dir nur an…“, schwärmte Hunter und kraulte einem der beiden Köpfe das Kinn.

„Du bist krank.“

„Krank?“, erkundigte er sich getroffen, ließ von dem Kopf ab und wandte sich seinem Gast zu, „was ist krank dabei, seine Familie zu rächen, welche von diesen Bestien zerfleischt wurde?!“

„Auch sie haben nur ihre Kinder beschützt!“, rief Samantha ihm wütend entgegen.

Hunter ging direkt auf sie zu, packte ihren Arm und sah ihr aufmerksam mit seinem einen Auge ins Gesicht.

„Kinder?“, wiederholte er und ein leichter weißer Schaum bildete sich in seinen Mundwinkeln, „plural?“

Sie erstarrte, als sie verstand, dass sie Tommy in diesem Moment verraten hatte, dass sie gerade eben sein Todesurteil unterschrieben hatte. Um Hunters schäumende Mundwinkel bildete sich jetzt ein hasserfülltes Lächeln, sein eines Auge funkelte voller Mordlust, er blickte ein letztes Mal zu den beiden Werwölfen an seiner Wand.

„Jetzt weiß ich es…“, lachte er dann so plötzlich hysterisch auf, dass Samantha die Gunst der Stunde nutzte, sich von ihm losriss und panisch aus dem Keller rannte, dabei sogar ihre Schuhe verlor.

Als sie gehetzt die Stufen der Veranda alle auf einmal herunter sprang konnte sie Hunters Stimme ein letztes Mal schreien hören.

„JETZT WEIß ICH ES ENDLICH!!“
 

~*~
 

Blanke Panik erfüllte Samanthas Herz, während sie wie gehetzt durch den Wald zurück zur Ranch rannte. Verdammt noch mal! Wie hatte sie nur so dumm sein können? Durch sie würde Tommy jetzt von Hunter gejagt werden, welcher bereits seine Eltern ermordet hatte! Sie versuchte so gut wie nur möglich die beiden Köpfe an seiner Kellerwand aus ihrem Gedächtnis zu drängen, doch je mehr sie dies versuchte, umso mehr spielte ihre Fantasie ihr einen Streich und fügte Tommys Kopf nur noch hinzu.

Sie rannte mit Tränen in den Augen, so schnell sie nur konnte, bemerkte direkt vor ihr die Baumwurzel nicht, welche sich hinterhältig unter einem Laubhaufen versteckt hatte, stolperte und flog so heftig zu Boden, dass sie in ihrem Körper etwas leise knacken hören konnte.

Samantha schrie unter dem heftigen Schmerz so laut auf, dass sie von ihrer eigenen Stimme erschrak. Sie wälzte sich über den Waldboden, so dass sie jetzt wieder auf dem Rücken lag und versuchte zu Atmen, doch der Schmerz, welcher von ihren Rippen aus ging war so stark, dass ihr für einen Moment die Luft wegblieb. Heiße Tränen rannten ihr nur so über die Schläfe, während ihr panischer Blick gen Himmel gerichtet war, welcher mittlerweile dunkel geworden war. Unten in Hunters Folterkeller hatte sie jegliches Gefühl für die Zeit verloren gehabt, jetzt war die Abenddämmerung im vollen Gange.

„Muss...ihn...warnen…“, keuchte sie, hustete dann heftig, so dass ihr ganzer Körper sich schüttelte.

Nur sehr langsam konnte Samantha sich aufsetzten, ihre Rippen schmerzten so sehr, dass ihr mehrere laute Schluchzer entfuhren. Hoffentlich war Tommy wieder zu Hause, wenn nicht würde sie Earl dermaßen bedrängen, dass er es ihr endlich verraten musste, wo sein Neffe sich aufhielt!

Eine Hand auf ihre Rippen gepresst versuchte sie erneut zu rennen, konnte jedoch immer nur sehr kurze Abschnitte etwas schneller gehen, bevor die Schmerzen wieder zu groß wurden.

„Bitte...bitte...lass ihn zu Hause sein…“, wimmerte die junge Frau, während sie die Lichter der Ranch endlich erblickte.

An der Veranda machte sie Halt, musste erst einmal verschnaufen, was ehr einem Keuchen als Atmen ähnelte. Zum Glück würde Wilma sie wieder heilen können, diese Schmerzen waren so unerträglich, dass Samantha drohte den Verstand zu verlieren.

Langsam stieg sie die Treppe zur Haustüre empor, klopfte schnell und kräftig gegen diese und rief nach Earl und Tommy. Das komplette Haus lag still vor ihr. Zu still.

„Der Alte kann doch noch nicht schlafen…“, fluchte die junge Frau und ging auf der Veranda ums Haus herum.

Sie blickte gleich beim ersten Fenster ins Innere und konnte Earl tatsächlich in der Küche am Tisch sitzen sehen, seinen Kopf auf seine Hände gestützt. Um ihn herum lagen mehrere Blüten verstreut, welche Samantha in den letzten Tagen mehrmals gesehen hatte. Wolfswurz.

Hastig klopfte Samantha gegen das Glas der Scheibe und der alte Mann schreckte hoch. Sie erstarrte sofort bei seinem Anblick, denn seine sonst so dunkelbraunen Augen leuchteten in einem kräftigen Gelb, die Pupillen so klein wie Stecknadelköpfe. Earl blickte sie ebenfalls erschrocken an, schien allerdings noch mehr Mensch als Wolf zu sein, denn seine mittlerweile heißere röchelnde Stimme fragte sie, warum zum Teufel sie jetzt hier war.

„HUNTER!!“, rief sie panisch aus, „ER WEIß ES!“

Earl verstand augenblicklich, sein Gesichtsausdruck verwandelte sich in sekundenschnelle von erschrocken zu wütend, dann zu hilflos und er starrte auf seine Hände, welche auf der Tischplatte ruhten. Seine Fingernägel waren gerade dabei sich zu verfärben...

Samantha war gerade dabei das Fenster nach oben aufzuschieben, als er sie mit seinen gelben Augen fixierte und zu knurren begann.

„Komm ja nicht rein!“, brummte er gefährlich tief, „meine Transformation ist bereits zu weit fortgeschritten!“

„Ich dachte du kannst dich anhand seines Alters nicht mehr verwandeln?!“

„Ich habe gesagt, dass es meinem Körper einiges abverlangt…“

„UND GEGEN DICH HILFT DAS BESCHISSENE ARMBAND WOHL NICHTS, ODER WIE?!“

„Dummkopf...du wirst nicht hier gebraucht, sondern woanders...“

„Wo ist Tommy? Ich muss ihn warnen!“

Earls Hand streckte sich nach vorne aus, seine Fingernägel waren bereits zu schwarzen langen Klauen geworden. Er begann zu röcheln, sein Atem ging unregelmäßig. Samantha bemerkte, dass seine grauen Haare immer lichter wurden, er hatte beinahe eine Glatze.

„Geh...zur...Hauptstraße…“, keuchte er heißer, seine Stimme klang jetzt viel tiefer, „und...dann...durch...den...Wald…“

„Einfach nur in den Wald?“

„Er...wird...dich...finden…“

Natürlich würde Tommy sie finden. Er hatte ihr von Anfang an gesagt, dass er sie immer finden würde…

Earl stand unter schwerem Keuchen vom Stuhl auf und stützte seine Hände auf die Tischplatte, wodurch er mehrere der verteilten Blüten auf den Boden fegte, verweilte so einen kurzen Augenblick, dann starrte er zu Samantha rüber.

„WAS MACHST DU NOCH HIER?! LAUF!!“

Bei seinem letzten Wort verwandelte sich seine Stimme nun endgültig in den Schrei eines Tieres, welchen Samantha nur zu gut kannte. Sie drehte sich hastig um und rannte so schnell es ihre Schmerzen erlaubten in die Richtung, welche Earl ihr beschrieben hatte.

Sie musste regelmäßig Pausen machen, hatte dadurch panische Angst, dass ihr die Zeit davonlief und sie zu spät zu Tommy kommen würde. Hoffentlich würde Hunter ihn niemals finden! Sie könnte sich das nie verzeihen…

Der weiche Waldboden wechselte zu harten Asphalt, Samantha blickte sich kurz um und sah direkt in den tiefen dunklen Wald hinein, welcher vor ihr aus dem Boden ragte. Ihre Fantasie spielte ihr einen üblen Streich und ließ sie mehrere leuchtende Augenpaare daraus direkt auf sie starrend sehen. Schnell schloss Samantha ihre Augen und schüttelte ihren Kopf, bis ihr fast schwindelig wurde.

„Ihr seid gar nicht da!“, rief sie wütend aus und kniff sich heftig in den Arm.

Als sie dann die Lider wieder öffnete waren die eingebildeten Augen tatsächlich verschwunden.
 

~*~
 


 

Ihre nackten Füße versanken in dem kalten feuchten Moos, ein dichter Nebelschleier nahm ihr die Sicht auf ihren Weg, so dass Samantha mehrmals fluchend auf kleine spitze Äste trat. Ihre Hand ertastete einen Baum, welcher dicht mit Efeu bewachsen war, sie blickte an ihm hoch, um mit Hilfe des Mondes erahnen zu können, wo sie sich befand. Doch der Himmel war eine einzige graue Fläche, kein einziger Lichtstrahl drang durch die dicke Wolkendecke hindurch. Sie ging ein Stückchen weiter, lauschte bei jedem noch so kleinen Geräusch auf, welche ihr plötzlich so ungewöhnlich laut vorkamen. Sie hörte eine protestierende Maus zu ihren Füßen fiepsen, Samantha blickte sie an, so als könnte sie sie tatsächlich verstehen.

„Nein…“, raunte die junge Frau und blickte die Maus ungläubig an, „dass kann nicht sein…“

Doch anstatt im nächsten Erdloch zu verschwinden flitzte das Tier den Baumstamm direkt neben Samantha empor, und verschwand genauso schnell in dessen Krone.

Ein unwohles Gefühl machte sich in ihr breit. Sie konnte sich nicht mehr genau an den Traum erinnern, allerdings war sein Ausgang immer noch in ihrem Kopf verankert. War die Maus tatsächlich verschwunden, oder würde sie gleich Kehrt machen, um zu Samantha zurück zu kommen?

„Ich muss mich beeilen…“, murmelte die junge Frau, „es zählt jede einzelne Sekunde!“

Sie kämpfte sich durch ein dichtes Gestrüpp, wurde von zurück schnellenden Ästen gepeitscht, stolperte beinahe erneut über eine Wurzel, welche sich hinterhältig über den Boden schlängelte, doch als sie dies alles bezwungen hatte wurde sie mit einem unheimlichen Déjà-vu konfrontiert, welches ihr das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Sobald sie den Wald verlassen hatte warf sie den Kopf gen Nacken, der dunkelblaue Himmel war mit unendlich vielen weiß leuchtenden Sternen übersät, der gewaltige Vollmond spiegelte sich anmutig in dem See, welcher nur wenige Meter vor ihr lag. Es raubte ihr buchstäblich den Atem so schön und unheimlich zugleich war dieser Anblick für sie, Samantha ging langsam durch das hohe Gras auf den See zu, immer wieder stehen bleibend um sich nach Gefahren umzusehen. Die Wasseroberfläche war völlig bewegungslos, nur das Spiegelbild des Vollmondes, welcher die komplette Umgebung beinahe wie ein Flutlicht erhellte war darin zu sehen. Sie fühlte sich beobachtet, blickte immer wieder unruhig zu allen Seiten, es machte Samantha fast wahnsinnig, dass dieser Moment ihr so vertraut vorkam, wobei er ihr doch eigentlich völlig fremd sein müsste.

Die junge Frau bemerkte den roten Jeep, welcher ein paar Meter vom Seeufer entfernt stand. Er musste also hier sein!

Sie versuchte sich durch tiefes ein und ausatmen wieder zu beruhigen, rieb sich die fröstelnden Arme und ihr Blick wanderte unruhig über das Seeufer und blieb an etwas hängen, was auf halber Strecke auf sie zugelaufen kam. Samanthas Herz setzte für einige Sekunden aus, sie hielt ruckartig den Atem an und starrte auf den dunklen Fleck, welcher immer näher und näher kam. Die Gestalt war jetzt so nahe, dass die junge Frau seine leuchtend gelben Augen erkennen konnte, welche Tommy auf sie gerichtet hielt. Erst direkt vor ihr blieb er stehen, sein Gesicht war völlig ausdruckslos, weder ein Lächeln oder irgendein Anzeichen von Freude, dass er sie endlich wiedersah war zu erkennen. Einige Sekunden lang blickten sich die beiden wortlos in die Augen, nur das leise Rauschen des Windes war zu vernehmen.

„Bist du auch endlich angekommen?“, lächelte Tommy Samantha dann endlich an und legte seine Hand liebevoll auf ihre Wange, „du hast dir aber schön Zeit gelassen.“

„Es tut mir so leid…“, wimmerte sie und dicke Tränen liefen ihr augenblicklich übers Gesicht, „aber ich glaube, ich habe alles kaputt gemacht!“

Er schwieg, streichelte weiterhin ihre Wange und wischte mit seinem Daumen die Tränen weg, dann spürte sie, wie er ihre Hand nahm und ihren zitternden Körper an den seinen zog und sie in seine Arme schloss.

„Dich trifft keine Schuld…“, raunte Tommy ruhig und sog den Duft ihrer Haare tief ein, „ich war viel zu leichtsinnig gewesen!“

„Hätte ich dir und deinem Onkel nur von Anfang an geglaubt, es wäre nie soweit gekommen, wie es jetzt ist! Ich bringe alleine mit meiner bloßen Anwesenheit dein Leben in Gefahr!“

„Ich lasse dich jetzt aber nicht mehr gehen“, sagte Tommy entschlossen und ergriff beide ihrer Hände.

„Hast du mir eben nicht zugehört? Dein Leben ist in Gefahr! Hunter weiß was, nein wer du bist, und er wird nicht aufhören dich zu jagen, bis er dich...“

„Er wird mich niemals erwischen“, grinste Tommy triumphierend, küsste Samanthas Stirn und blickte ihr danach tief in die Augen, „alleine weil ich jetzt so viel habe, um das es sich zu leben lohnt!“

„Du Spinner“, weinte sie erneut und schüttelte den Kopf, löste sich aus seiner Umarmung, „ich versuche hier gerade dein Leben zu retten und du Idiot vergeudest diese Chance, nur um bei mir zu bleiben?“

„Bei euch.“

Samantha starrte Tommy mit weit aufgerissenen Augen an, seine funkelten sie liebevoll und fürsorglich an, dann küsste er sie erneut behutsam auf die Stirn.

„Was zum Teufel meinst zu damit?“, flüsterte sie ehrfürchtig und trat einen Schritt von ihm weg.

„Ich werde euch beide mit meinem Leben beschützen...weil ihr das einzige seid, für das ich jetzt noch existiere“, sagte er, streckte die Hand nach ihr aus, wobei nur seine Fingerkuppen ihren unteren Bauch durch den Stoff ihrer Kleidung berührten, was sich für Samantha wie ein Stromschlag anfühlte.

„Aber wir haben doch nur...einmal...“, wich sie erschrocken einen weiteren Schritt zurück, „woher willst du das so genau wissen? Was, wenn du dich täuscht?“

„Du weißt, welchen Tag wir gestern hatten…“, murmelte er und blickte ehrfürchtig zu Boden, „und du weißt, dass dieser Tag heilig für mich war, in mehr als nur einer Hinsicht…“

„Oh mein Gott…“, flüsterte die junge Frau, legte sich eine Hand flach an den Mund und keuchte.

„Zusammen mit dir an meiner Seite“, raunte Tommy, „wird die Ära der Werwölfe zu neuem Glanz erstrahlen.“

Samanthas Lippen bebten, sie war in diesem Moment überwältigt von dem Chaos an Emotionen, aber vor allem hatte sie gerade jetzt nur noch größere Angst um sein Leben, dass sie Tommy am Liebsten ganz weit weg von hier bringen wollte. Der Drang zur Flucht war größer denn je.

Erst jetzt viel ihr mit Schrecken der Mond wieder ein, welcher immer noch sein helles Licht auf sie strahlte. Samantha wandte ihr Gesicht ruckartig dem Himmel zu, starrte auf den riesigen Vollmond und eine noch nie dagewesene Furcht erfüllte jede Faser ihres nun stark zitternden Körpers. Als sie wie in Zeitlupe erneut zu Tommy blickte hatte dieser bereits seine Augen auf die helle Scheibe über ihnen geheftet.
 

Stille.
 

Eine unheimliche Stille erfüllte alles um den See herum. Es war so ruhig um sie, dass nicht einmal eine Grille zu hören war, kein Grashalm raschelte, während der Wind sanft blies.

„Tommy…“, flüsterte Samantha mit ängstlicher, kaum hörbarer Stimme und wich einige Schritte von dem jungen Mann zurück.

Er wandte seinen Blick ohne zu blinzeln vom Vollmond ab und seine gelb leuchtenden Augen brannten sich in die ihren. Sie hörte, wie sein Atem allmählich schwerer ging, zu einem heißeren Röcheln wurde, während er sie immer noch starr ansah.

„Bitte nicht…“, wimmerte sie, ihre Lippen bebten so stark, dass sie fast kein richtiges Wort mehr herausbrachte, „du musst...dagegen...ankämpfen...“

Er öffnete seinen Mund, wollte ihr anscheinend eine Antwort geben, allerdings formte Tommy seine Lippen so, als müsste er sich gleich übergeben, wodurch die ersten seiner noch menschlichen Zähne herausfielen. Er ging mit schmerzverzerrtem Gesichtsausdruck langsam auf seine Knie, hielt sich mit einer verkrampften Hand seinen Brustkorb, sein Mund und Hals waren mit seinem eigenen Blut bedeckt worden, welches durch den akuten Zahnwechsel nur so gelaufen war.

„Tommy...Hunter wird...dich töten...wenn er dich...so sieht“, weinte Samantha bittere Tränen, wich jedoch einen weiteren Schritt von ihm, ging rückwärts langsam auf den roten Jeep zu.

Der Ton, welchen Tommy mittlerweile beim schweren ein und ausatmen von sich gab hatte nichts menschliches mehr an sich, sein Oberkörper zuckte heftig, kippte nach vorn über und er stützte sich mit beiden Händen vom Boden ab. Seine sonst so zerzausten schwarzen Haare fielen ihm büschelweise aus, sein Oberkörper wölbte sich unnatürlich, während die Wirbelsäule gewaltig hervortrat. Er stemmte seine nackten Füße gegen den Boden, rutschte immer wieder ab, so als wolle er sich auf einen Sprint vorbereiten. Allmählich hatte Tommys Hautfarbe einen gräulich braunen Ton angenommen, seine Stimme klang jetzt wie die eines wilden Tieres. Samantha stand immer noch wie eine Salzsäule da, zitterte am ganzen Körper und weinte, nicht, weil das, was sie eben mitansehen musste sie so sehr schockierte, sondern weil ihr die Konsequenzen bewusst waren, was danach passieren könnte. Sollte Hunter Tommy in seiner Werwolfform sehen, würde er ihn ohne zu zögern erschießen.

In diesem Moment zuckte Tommys Kopf auf und er starrte Samantha mit seinen leuchtend gelben Pupillen direkt an. Sein Gesicht sah deformiert aus, er gab laut knurrende Geräusche von sich, während sich sein Unterkiefer langsam nach vorne schob, seine Ohren wuchsen in eine längliche Form und seine restliche Muskulatur schwoll immer mehr an. In diesem Moment hatte Samantha keine brilliante Idee, keine letzte Chance, wie sie Tommy das Leben retten konnte. Sie erwiderte seinen animalischen Blick ein letztes Mal, wandte sich ruckartig von ihm ab und rannte zu dem Wagen hinüber. Aus irgendeinem Grund wusste sie, dass Tommy den Schlüssel hatte stecken lassen und tatsächlich, als Samantha die Türe aufriss erhaschte sie schon einen Blick auf den Schlüsselanhänger. Hastig stieg sie ein, knallte die Wagentüre wieder zu und verriegelte den Jeep. Dann hielt sie für eine Sekunde inne.

„Du weißt aber schon, dass es einen Werwolf nicht interessiert, ob der Wagen verschlossen ist oder nicht? Wenn er rein will, dann kommt er rein!“, schimpfte sich die junge Frau selber, wischte ihre letzten Tränen aus dem Gesicht und drehte den Schlüssel um.

In dem Moment ertönte ein lautes langgezogenes Heulen nur wenige Meter entfernt von ihr, Tommys Transformation war jetzt abgeschlossen, er würde nun jagen gehen.

„Verdammt! Spring endlich an!“, rief die Frau verzweifelt, als der Motor nur klägliche Laute von sich gab.

Sie wagte einen schnellen Blick zu riskieren, der Werwolf befand sich immer noch in einer am Boden kauernden Position. Sein Körper war völlig haarlos, groß und schlank, dennoch waren die durchtrainierten Muskeln gut zu sehen, an seinen Beinen hatte sich ein zusätzliches Gelenk gebildet. Sein Gesicht hatte sich nicht wie in sämtlichen Horrorfilmen in eine längliche Schnauze verformt, nein es sah äußerst menschlich aus, was es dafür umso gruseliger machte. Anscheinend hatte Tommy sie völlig vergessen, was Samantha einige Sekunden Vorteil bringen könnte.

„Nun mach schon…!“, knurrte die junge Frau den Jeep an und schlug zweimal kräftig auf das Lenkrad ein, erwischte beim letzten Mal natürlich die Hupe.

Abrupt hielt sie still, ihr Gesicht drehte sich hastig nach links, von wo aus nun zwei gelb leuchtende Augen auf sie und den Wagen gerichtet waren.

„FUCK!“

Der Werwolf fletschte laut knurrend seine Zähne und Samantha versuchte immer hektischer den Wagen zum Laufen zu bringen, während die Bestie sich langsam pirschend in Bewegung begab.

„KOMM SCHON, KOMM SCHON!“

Plötzlich wippte der rote Jeep heftig nach links und rechts, Samantha schrie entsetzt auf und wurde auf den Beifahrersitz geschleudert, während der Werwolf, welcher sich eben noch gegen das Fahrzeug geschmissen hatte nun lauernd seine Kreise darum zog.

„Von wegen das Lederarmband schützt mich vor seinem Angriff! Das blöde Ding muss kaputt sein!“, fluchte Samantha unter einem genervten Ächzen, setzte sich wieder auf und drehte den Schlüssel erneut im Zündschloss um, ohne auch nur noch einmal nach draußen zu sehen.

Der Motor sprang laut brummend an und Samantha trat prompt das Gaspedal bis zum Anschlag, die Reifen drehten kurz durch und dann begab sich der rote Jeep schon in Bewegung. Nach nur wenigen Metern blickte sie in den Rückspiegel, der Werwolf wurde von den Schlussleuchten rot angestrahlt und sah jetzt nur noch bedrohlicher aus. Bei diesem Anblick machte sich eine gewaltige Gänsehaut auf ihrem gesamten Körper breit.

Der Werwolf gab ein lautes kehliges Jaulen von sich und spurtete dann dem Wagen hinterher, zuerst nur auf zwei, dann auf vier Beinen. Samantha gab noch mehr Gas, den Blick zwischen dem Feldweg vor sich und der jagenden Bestie hinter sich wechselnd. Wo zum Teufel sollte sie jetzt nur hinfahren? Nach Wolfsburrow? Keine schlechte Idee, nur würde Tommy sie allerspätestens dann erwischen, wenn sie den Wagen verlassen, und zu einem der Häuser rennen würde. Sie hatte ja mittlerweile herausgefunden, dass das Lederarmband doch nicht funktionierte.

Zur Ranch? Natürlich! Als wäre ein Werwolf noch nicht genug Problem für sie, also warum dann nicht gleich zwei von der Sorte?

Plötzlich schwankte der Jeep heftig, Tommy hatte anscheinend einen der Hinterreifen erwischt und zerfetzt, Samantha versuchte laut schreiend das Lenkrad gerade zu halten. Mit aller Kraft gelang es ihr noch die Abbiegung vor sich zu erwischen, dann zerstörte der Werwolf auch noch den zweiten hinteren Reifen und das Auto geriet ins Schleudern. Mit einem gewaltigen Aufprall fuhr die junge Frau gegen einen großen Stein, die Scheinwerfer des Wagen gingen sofort aus, der Motor versagte. Alles, was sie jetzt nur noch vernahm war das tiefe hungrige Knurren, welches direkt neben ihr ertönte. Sie zwang sich durch die Nase zu atmen, ihren Puls einigermaßen wieder unter Kontrolle zu bringen, den Blick stur geradeaus gerichtet, trotzdem bemerkte sie die Bewegungen außerhalb des Wagens aus ihrem Augenwinkel. Gleich wird er zuschlagen...



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