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Black Hole Sun

von

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[ Somewhere else ]

Langsam geht mir jetzt doch der Mut ab. Ich habe keine Ahnung, wo ich bin, bzw. wir sind und das schon seit ein paar Stunden. Ich sehe zwar jetzt erheblich mehr wie am Anfang, aber meine Beine machen bald schlapp. Wenn mich meine Uhr nicht täuscht ist draussen schon längst die Sonne aufgegangen und ein herrlicher neuer, russischer Tag ist angebrochen. Oder es regnet mal wieder. Aber selbst das wäre mir jetzt lieber gewesen, als noch lange hier unten herumzuirren noch dazu ganz ins Blaue (haha.) hinein. Ausserdem wird meine Lampe schwächer. Ein Blick nach rechts und ich weiss auch wieso. Der kleine Kerl auf meiner Schulter hat einen Laut gegeben und wird wahrscheinlich in den nächsten Minuten aufwachen. Seltsame Angewohnheit, er scheint nur im Schlaf zu leuchten. Wenn er wach ist, tappen wir also wieder im Dunkeln. Und dann?
 

Wie sieht die Dankbarkeit eines radioaktiv verseuchten Albinos aus, der gerade ein Labor mit dem Ausmaß einer mittleren Kleinstadt ausgelöscht hat? Ich will es gar nicht wissen! Andererseits muss ich zugeben, dass ich mich nicht mehr ganz so verzweifelt fühle wie vor letzten zwei Stunden. Das Licht und die Wärme des Jungen sind vielleicht ein zweifelhafter Trost, aber mir hat es gereicht, um mich nicht völlig einsam zu fühlen.
 

Aber jetzt habe ich irgendwie Bammel davor, dass mir der Kleine den Aufenthalt hier unten mit seinem Bewusstsein versüssen könnte. Solange er schläft ist er still und harmlos und praktisch dazu. Aber im Wachzustand? Also was tun? Ich sollte mich schnell entscheiden, denn der Kleine regt sich langsam aber sicher und ich höre seinen Atem schneller werden. Vorsichtig bleibe ich stehen und sehe unschlüssig zu, wie der Junge erschöpft blinzelt und dann versucht den Kopf zu mir zu drehen, während es völlig dunkel wird.
 

Es passiert eigentlich nur aus Reflex. Bevor mich das rote Auge noch ins Visier nehmen kann, fährt meine Hand aus und mit einem dumpfen >> DUMK << landet meine Faust zielgenau auf dem zierlichen Kinn des Jungen. Und ebenso reflexartig fällt der Junge wieder ins Nicht-Bewusstsein zurück und das Licht geht an. Eine Zeitlang starre ich den Kleinen noch an, der wieder schlaff über meiner Schulter baumelt und beglückwünsche mich zu dieser Kurzschlussreaktion. Zwar habe ich nicht sehr doll zugeschlagen, aber doch hat es gereicht, ihn in den siebten Kartoffelhimmel zu befördern. Ernsthaften Schaden dürfte er dadurch nicht genommen haben. Jedenfalls hoffe ich das. Und weiterhin hoffe ich, dass ich schnell genug hier herauskomme - zumindest bevor der Junge nochmal aufwacht und sich für den Kinnhaken bedankt. Wie auch immer der Dank aussehen mag.
 

Das Licht ist wieder hübsch hell geworden, seit der Junge wieder k.o. ist. Zudem muss ich kaum noch befürchten, dass mir hier etwas auf den Kopf fällt, denn in dieser Reichweite hat der Sturm anscheinend nicht sehr gewütet, alles ist zwar staubig und verdreckt, aber sonst sehe ich keine sichtbaren Schäden. Ein weiterer Blick auf die Uhr sagt mir, dass es Zeit für ein Mittagessen wäre. Wie auf Stichwort knurrt mein Magen verdammt laut und ich halte an, um eine kleine Pause zu machen. Boah, meine Beine bringen mich um! So viel bin ich bestimmt in einem ganzen Jahr nicht gelaufen, wie heute hier drin! Ich hab ja damals immer verächtlich die Augenbraue hochgezogen, als meine Studiengenossen von einem gemeinsamen Wanderurlaub durch Schottland erzählt haben. Pfff! Herumlaufen den ganzen Tag mit einem schweren Rucksack auf dem Rücken, geplagt entweder von Regen oder Triaden von Moskitos - na danke! Meine Ferienplanung sah immer gleich aus: Strand, Disko, Mädels. Und jetzt, da ich weiss, was für schöne Erfahrungen so ein Wanderurlaub mit sich bringt, sehne ich mich um so mehr nach Ibiza zurück. Hach.. vor zwei Jahren noch war ich auf einer Yacht eines Bekannten eingeladen.. den ganzen Tag nur Cocktails schlürfen, flirten und die Sonne genießen...
 

Und jetzt "genieße" ich die Dunkelheit und Kälte einer unterirdischen, russischen Forschungsstation mit der Aussicht auf mein baldiges Ableben aus nahrungsmitteltechnischen Gründen. Und natürlich die Gesellschaft einer radioaktiven Albino-Versuchsratte aus dem Sammelsurium eines Killerwiesels. Mahlzeit!
 

* * * *
 

Russland. Nachmittag. Es ist kalt. Die Frisur sitzt. Ich und mein Bond-Girl laufen seit mehreren Stunden durch ein Labyrinth der Dunkelheit. Hunger, Kälte und Müdigkeit sind unsere Feinde, doch noch gelingt es uns, sie erfolgreich zu bekämpfen. Unsere Mission, das geheime Labor des verrückten Wissenschaftlers, der die Weltherrschaft an sich reissen wollte, zu zerstören ist geglückt. Jetzt sind wir auf der Flucht vor dem Tod selbst, doch wir schenken ihm nur ein ironisches Lächeln und kämpfen weiter bis zum letzten Atemzug! God shave the queen!
 

So oder soähnlich sind gerade meine Gedanken. Ich bin schon zu lange hier unten, dass ich sogar anfange, mir so einen Scheiss auszudenken. Aber was kann jetzt noch daran falsch sein, die Situation mit Humor zu nehmen? Mein "Bond-Girl" alias Albino-Ratte ist immernoch weg vom Fenster, ich hoffe mal, dass ich nicht doch zu fest zugeschlagen habe. Einzig ein Lichtblick habe ich dazugewonnen! Wir sind nämlich vor Kurzem am Ende des Ganges angelangt und mit Freudentränen habe ich eine Leiter erkannt, die senkrecht nach oben führte. Der Aufstieg mit dem Jungen über der Schulter war Gott sei Dank halb so beschwerlich, wie ich angenommen hatte, zudem war die Leiter nicht sehr hoch. Aber immerhin! So sind wir dem kilometerhohen Ziel ein paar Stufen näher gekommen. Wenn das mal kein Grund zu feiern ist?
 

Nun ist der Gang breiter. Genau genommen ist er so breit, dass ich die Wände rechts und links garnicht erkennen kann, vielleicht bin ich auch in einer gigantischen Höhle gelandet. Aus der es kein Entkommen gibt! Muahaha. Ich glaube, ich werde grade verrückt. Wer ist so blöd und versucht sich selber noch Angst zu machen in so einer Situation? Aber mal angenommen - das hier wäre eine Sackgasse, mein Name sei nicht James Bond und dieses.. weisse Ding über meiner Schulter würde aufwachen. Halleluja! Ne Bomben-Stimmung!
 

Vielleicht sollte ich dieses Kind ganz aus dem Verkehr ziehen. Immerhin hat Elena mir die Sache ja schonmal vorgemacht. Und der Standpunkt, dieser Knirps sei zu gefährlich für diese Welt, wird von mir bedingungslos geteilt. Also warum mach ich mir Sorgen, was der Kleine mir antun könnte? Ich sollte mir Gedanken darüber machen, was ICH diesem Kerl antun könnte, so dass er überhaupt keine Gelegenheit HAT mir auch nur was antun zu WOLLEN. Oder auch nur daran zu DENKEN mir etwas antun zu wollen in ERWÄGUNG zu ziehen. Oder.. naja. Wie auch immer. Zum Beispiel. Ich könnte ihm den Schädel zertrümmern, während er schläft. Oder den Hals umdrehen. Das Genick brechen? Oder schlage ich ihn jedesmal, wenn er aufwachen will wieder aufs Kinn und halte ihn so am Leben, damit ich nicht in Dunkelheit verhungern muss hier unten.. brrr!! Wie in diesem Film, wo sie den gefrorenen Leichen die Hinterteile zerfleddern um nicht zu verhungern.. waah! Dann würde ich ihn doch lieber den Absatz runterwerfen und hoffen, dass er sich alles bricht, damit nicht...
 

Schluss. Aus. Ich kann das sowieso nicht. Ich werd hier echt noch zum Psychopathen! Ich und töten, das muss an der Luft liegen. Sowas überhaupt zu denken! Dabei eigne ich mich überhaupt nicht für einen Survival-IndianaJones-Verschnitt. Und... naja.. Ausserdem - also man davon abgesehen, dass ich sowas eh nicht übers Herz bringen würde - ist der Junge.. untötbar! Wer ne Salve aus Elenas Revolver in den Schädel überlebt, dem kann ICH schon garnichts anhaben! Mein Gott, dieser Junge ist.. ein Zombie! ... Ich seh schon, wie ich davonlaufe in dieses Dunkel hinein und der Junge kommt langsam schleppend und mit irrem Grinsen hinter mir her und röchelt andauernd: "Du hast mich getötet, Klement, du böser Junge.. komm probier's doch noch mal! Nyahaha!" ... Nun. Vielleicht seh ich mir zuhause auch nur zuviel Horrorfilme an. Aber da könnt doch was dransein, oder?
 

Meine Füsse gehen einfach automatisch weiter und interessieren sich nicht dafür, was sich mein erkranktes Hirn dort oben so alles zusammenspinnt und so vergeht eine weitere halbe Stunde, bis ich an die nächste Mauer gelange. Dieser Raum muss wahnsinnig gross sein, keine Ahnung, was hier so alles rumstehen mag, denn das Licht des Jungen ist doch ziemlich schwach und erhellt somit nur einen kleinen Radius um uns. Die Wand vor uns ist aus Metall und das wundert mich jetzt doch, denn der Boden ist aus dem gleichen Material. Nur ist der so verstaubt, dass ich es erst jetzt bemerke, als ich mit dem Fuss herumscharre und den Schmutz beiseitewische. Das Metall ist kalt und sieht sehr alt aus und ich neige ungläubig den Kopf. Ich gehe rechts an der Wand entlang und Tatsache - der ganze Raum scheint mit Metallplatten ausgekleidet zu sein, jedenfalls zeigen das die Schweissnähte an den Wänden.
 

Was immer das hier ist und wofür es benutzt wurde, die Reinemachefrau gehört gefeuert. So dicken Staub hab ich ja noch nie gesehen! Der staubt auch nicht mehr, sondern ist bröckelig und irgendwie miefig. Aber dafür, dass er so weit unter die Erde gefunden hat, darf er sich das auch erlauben. Ich hätte gerne mal gerufen, um herauszuhören, wie gross dieser Raum wirklich ist, aber ich lasse das, da ich erstens den Jungen nicht aufwecken will und zweitens.. oh mann, das ist wie in einem billigen Ballerspiel! Da kommt man in eine neue Ebene, sieht erstmal garnix und ballert halt mal so rum und wird plötzlich von einem Rudel Monster angefallen, die man damit geweckt hat. Ich hasse Konsolenspiele, ich bin ne absolute Niete und verliere jedes Mal die Nerven sowie meine 3 Leben in Rekordzeit. Naja. Pech im Spiel.. Aber diesmal wünschte ich, ich hätte mehr geübt, das hätte sicher mein Nervenkostüm gestählert.
 

Mit der vagen Hoffnung auf einen neuen Ausgang (ins nächste Level. Ha.Ha...) laufe ich also weiter an der Wand entlang und zu meiner grossen Überraschung - eine Tür! Aus Stahl und sie scheint ziemlich dick und ziemlich abgeschlossen zu sein. Da ich nicht weiss, ob ich drücken oder ziehen soll, probiere ich beides, aber die springt natürlich nicht wie durch ein Wunder auf. Also müssen Muckis ran. Vorsichtig lege ich den kleinen Kerl auf den Boden und sehe mir erst einmal das Schloss an. Eigenartigerweise erinnert mich das Schloss an ein Zahlenkombinationsschloss eines Safes, über der Klinke ist ein Knopf angebracht und durch Drehen klicken verschiedene Symbole in das kleine Schaufenster. Mit einem Stöhnen drehe ich die Runde einmal durch und sehe mir diese komischen, hieroglyph-artigen Symbole an, mit denen ich nichts bis garnichts anfangen kann. Und jetzt? Soll ich hier herumdrehen bis ich a) das Schloss geknackt habe, oder wahrscheinlicher b) schwarz geworden bin? Die Zeichen sind ziemlich fremdartig und scheinen in keiner erkenntlichen Reihenfolge zu stehen. Sicherlich hätte ein Kunsthistoriker seine helle Freude an diesem Rätsel gehabt. Selbst Vorbild Indiana Jones hätte wohl selbst ein heisses Bunny sitzengelassen, um diesen Code zu knacken und Rambo... hätte wohl die Tür kurzerhand mit ner Bazooka weggesprengt. Da ich aber weder der eine noch der andere bin, muss ich mich eben auf mein Glück verlassen. Das mir ja heute ganz besonders hold zu sein scheint. Achtung Ironie.
 

Also gut, sehen wir uns diese Zeichen nochmal genauer an, vielleiht habe ich ja etwas übersehen. Das erste oval mit einem durchgehenden Kreuz durch die Mitte. Das zweite sind ein paar Striche, die wie japanische Hieroglyphen aussehen. Das dritte ist ein einzelner Punkt. Das nächste sieht aus wie eine Steckdose als Sechseck und das darauf folgende unterscheidet sich von dem vorherigen nur, dass dieses drei Ecken hat. Die nächsten zwei sind wieder Striche, die scheinbar wahllos gesetzt sind und mit denen ich mal wieder nichts anfangen kann. Das nächste ist ein Ö mit nem kleinen ö innen drin. Und das letzte sieht aus wie ein explodierender Stern. Na toll. Rein aus Neugierde drehe ich dann mal so los und bringe erstmal alle Strichmuster hintereinander. Nichts tut sich. Naja, wenigstens hab ich's probiert. Nochmal drehe ich wahllos und das Ergebnis ist gleich null. Wieviele Kombinationsmöglichkeiten hab ich eigentlich? 10 Symbole. Und ich weiss nichtmal, wie lang der Code ist. 4 oder 5 Symbole? Jedenfalls zuviel davon. Um meine sinnlose Tätigkeit noch zu vollenden klappere ich jetzt jedes Zeichen nacheinander durch und oh Wunder - passiert nichts. Mit einem erstickten Fluch haue ich gegen die Tür und habe jetzt auch noch eine schmerzende Faust. Das Licht dunkelt wieder und ich sehe zu dem Jungen, aber der liegt immernoch ruhig auf dem Boden. Ob er wieder aufwacht? Anstalten scheint er keine zu machen. Also probiere ich seufzend weiter.
 

Plötzlich passiert etwas seltsames. Ich drehe wie gewohnt seit gut 5 Minuten schon an diesem Rad und mit einem Mal stockt es mitten beim Drehen. Weiterdrehen ist nicht, bis ich ein leises "Klack" höre. Kann das sein? Hab ich etwa schon eins gefunden durch diesen glücklichen Zufall? Ich drehe wieder und eine Weile geht es gut, dann streikt das Rädchen wieder und lässt sich nicht mehr bewegen, bis es wieder klackert. Nervös drehe ich wieder, jetzt geht es wieder kinderleicht. Es klemmt wieder und da ist auch schon das "Klack". Das gibt's doch nicht? Was soll das für ein bescheuerter Mechanismus sein, der anscheinend ganz von selbst das Schloss öffnet? Oder ist das gar eine Falle? Aber wozu? Geht schon wieder mein Sinn für Abenteuerfilme mit mir durch? Aber komisch ist das schon. Nun, vielleicht ist das Schloss schon so alt, dass es eben nicht mehr richtig funktioniert. Klein-Laborratte kriegt davon natürlich nichts mit. Ich drehe nochmal und wie gehabt geht alles wie geschmiert, bis das Rad blockiert und es "klack" macht. Versuchsweise probier ich schon, ob die Tür jetzt auf ist, aber anscheinend fehlt noch eine Kombi. Ich drehe also nochmal und aus dem Augenwinkel bemerke ich plötzlich eine klitzekleine Bewegung und halte inne. Aber da ist nichts. Der Kleine Kerl ist noch immer im Tiefschlaf und hat sich nicht bewegt. Vielleicht habe ich mir das nur eingebildet. Also konzentriere ich mich wieder auf die Tür, drehe weiter, bleibe stecken und das letzte "Klack!" klackt triumphierend.
 

Erwartungsvoll drücke ich den Hebel und schiebe und.. die Tür geht wahrhaftig auf! Das ist ja der Hammer! Vor Freude muss ich leise juchzen, als ich schwach erkenne, was da vor mir liegt. Ein weiterer Raum, ein kleiner diesmal, in dem sich allerhand Gerümpel stapelt. Grosse Kisten mit Stroh gefüllt, Eisenrohre und -stäbe, verschiedene Bretter und Kanthölzer liegen herum, Werkzeuge, Besen, Schaufeln an der Wand, Blechdosen von anno dazumal, Flaschen und ein paar Konserven. Damit ist wenigstens mal das Überleben gesichert, was wir aber nicht mehr nötig haben, denn weiter hinten habe ich die Rettung schlechthin ausgemacht! Es ist ein alter Lasten-Aufzug. Und mal davon abgesehen, dass er seit Äonen nicht mehr benutzt worden zu sein scheint, könnte er sogar noch funktionieren. Neben der Tür ist ein Schalter und auf gut Glück trifft mein Daumen ins Schwarze - eine altersschwache Glühbirne leuchtet auf! Gott weiss, woher die ihren Strom bezieht, denn das Labor scheidet als Energiequelle wohl eher aus. Schnurgerade zum Aufzug, denn der Rest interessiert jetzt nicht. Sieht nicht gerade stabil aus, so morsch wie das Holz ist, aber für zwei Personen sollte es gerade noch reichen. Aber wo der wohl hin führt? Ich lege den Kopf in den Nacken und sehe den Aufgang hoch, eine schier endlose Röhre in völliger Dunkelheit... Au weia. Wenn der Aufzug mittendrin steckenbleibt? Oder die Seile reissen und er abstürzt? Oder der Boden durchbricht?
 

Aber was nützt es, hierbleiben ist ebenso keine Lösung. Also mache ich mich daran, den Aufzug zu inspizieren und habe den Jungen draussen bald völlig vergessen.
 

* * * *
 

Die Seile sind alt, aber stabil. Zum Glück ist die Bedienung so einfach, dass man kein Russisch lesen können muss, um die Anleitung zu verstehen. Ein Knopf nach oben, einer nach unten einer für Stop. Nach mehrmaligem Ausprobieren bin ich guten Mutes - der Strom funktioniert auch bei diesem Gerät und es scheint noch erstaunlich gut zu laufen, trotz seines offensichtlichen Alters. Und jetzt stehe ich vor der grossen Frage. Wage ich den Aufstieg alleine und lasse diesen Unglücksjungen hier unten versauern? Oder nehme ich ihn mit nach oben und sehe dann weiter? Wenn es nur nicht so riskant wäre, ich habe noch immer keine Ahnung, was der Kerl mit mir anstellt, wenn er aufwacht. Vielleicht kann ich ihn ja irgendwie fesseln oder sowas. Brrr.. komm mir schon vor wie ein Entführer. Aber nein, das ist das nur das Beste für dich, Klement!
 

Also gut. Ich schnappe mir ein Seil, das auf dem Boden rumfährt und gehe nach draussen. Es ist stockdunkel. "Eh.." Kein Licht, kein Junge. Er ist weg. Verdammt! Weil ich nicht aufgepasst habe! Nervös sehe ich mich um, aber der kleine Kerl ist verschwunden. Allerdings habe ich jetzt das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden, Und allein der Gedanke lässt mir die Nackenhaare erschauern. Ich stelle mir vor, wie diese roten Augen mich anstarren und schon überlegen, was sie mir antun könnten! Mit einer Hand taste ich nach der Innenwand und bekomme einen Besen zu fassen. Wenn schon, dann werde ich nicht kampflos untergehn! "Na los, dann komm schon raus, Feigling!" rufe ich und der Laut hallt so kraftvoll durch diese riesige Halle, dass mir davon die Ohren dröhnen. DAnn verhallt es. Stille. Unheimlich. Nichts rührt sich vor mir, alles bleibt still und schwarz. Ich fühle schon meinen Puls schneller jagen und in meinem Hemdkragen wird es heiss. Vor Spannung halte ich sogar den Atem an, versuche etwas zu hören.. spielen mir meine Ohren einen Streich? Ich sehe mich um.. war da war?
 

Plötzlich hinter mir - ein Knirschen! Schlagartig fahre ich herum und kann gerade noch einem herabsausenden Stück Holz ausweichen!
 

Ein seltsamer Anblick ist das, wie der Kleine versucht einen Balken herumzuhieven, denn er ist natürlich viel zu schwach, um das Brett nocheinmal hochzuhalten. Seine langen, weissen Haare sind ganz zerzaust und er zittert am ganzen Leib, vielleicht vor Kälte oder auch Angst. Und dieser Junge soll so unvorstellbare Macht besitzen? Im Moment kommt es mir nicht so vor, als könnte er mich mit einem Wimpernschlag ins Jenseits befördern, er scheint vielmehr grosse Angst vor mir zu haben, denn ein Ruck mit dem Besen genügt und schon zuckt er schreckhaft zusammen.
 

"Was ist? Wolltest du mich etwa damit k.o. schlagen? Davon bekomm ich ja nichtmal eine Beule!" In seinen Augen funkelt etwas und er schafft es tatsächlich, den Balken hochzustemmen und mich feindseelig damit zu bedrohen. Keine Ahnung, was er damit bezwecken will, der Anblick löst bei mir nur noch höchstens Mitleid aus. Aber wieder stürzt er ungeschickt vor und verfehlt mich natürlich, diesmal bekommt er jedoch meinen Besen zu spüren und mit einem leisen Keuchen wird der Junge durch den Schlag aus dem Gleichgewicht gebracht und donnert polternd zwischen die Kisten und Dosen. Vielleicht hätte ich nicht so fest zuschlagen dürfen.. dabei hatte ich ihn doch kaum berührt! Es scheppert wieder und ich sehe zu, wie sich der Junge aus dem Stroh befreit, das auf ihn gefallen ist. Anscheinend ist er wild entschlossen, sich von mir eine ordentliche Abreibung verpassen zu lassen.
 

"Hey, lass das! Ich weiss, ich hab dich geschlagen aber.. immerhin hab ich dich mitgenommen, ja!" Mir scheint, der Kleine versteht mich nicht, logisch, er kann wahrscheinlich nur russisch und demnach lassen ihn meine Worte auch kalt. Angriffslustig und gleichzeitig verängstigt langt er nun wieder nach seinem Stock und lässt mich nicht aus den Augen. Vielleicht denkt er ja, dass ich einer von diesen Labor-Typen bin und ihn für seine Tat bestrafen will. Nicht, dass er das nicht verdient hätte, schliesslich hat er Steinbeck und Elena auf dem Gewissen. Aber so richtig böse sein kann ich ihm nicht, wenn ich ihn so vor mir sehe. Warum ist der eingentlich so hilflos auf einmal?
 

Während ich die Albino-Ratte im Auge behalte, fasse ich einen Entschluss. Ich werde den Jungen mit nach oben nehmen an die Oberfläche. Dann werde ich ihn einfach laufen lassen, immerhin ist es nicht mein Problem, was dann mit ihm passiert. Ob er nun zum Massenmörder wird oder ob ihn jemand einfängt oder abknallt - soll mir doch egal sein, ist nicht mein Bier! Ich jedenfalls will damit nichts zu tun haben. Ich nehme ihn mit nach oben, damit ich mich nicht für seinen Hungertod verantworten muss und was danach passiert liegt in Gottes Hand. Amen.
 

Mein Vorhaben ist schneller als gedacht in die Tat umgesetzt. Erst hatte ich noch Bedenken, aber das Bübchen ist wohl wirklich so schwächlich, wie es den Anschein hat. Mit einem Wisch ist er wieder am Boden und bevor er sich wieder aufrappeln kann, hab ich ihn mir gepackt und auf den Bauch gedreht. Durch diese ganzen Haare ist es nicht so leicht gewesen, seine Handgelenke zusammenzubinden, aber letztendlich ist es doch gelungen, obwohl der Unglückliche die ganze Zeit jämmerlich versucht hat, sich herauszuwinden. Tsss. Die Jugend von heute. Muskeln scheint er nicht wirklich zu besitzen, als ob er den Grossteil seines Lebens in einem Bett verbracht hätte. Nun.. vielleicht ist das ja auch der Fall gewesen, man weiss ja nie, was in solchen Einrichtungen alles abgeht. "So! Und jetzt gib Ruhe, sonst lass ich dich wirklich hier unten versauern!" Der Kleine guckt nur trotzig und sagt kein Wort. Immer wieder sehe ich zu dem Kleinen hinüber, aber der macht keine Anstalten mehr, sich zu befreien und sitzt nur wie ein Häufchen Elend an der Wand und starrt auf den Boden. Ein paar Kisten stehen noch auf dem Aufzug, die ich schnell beiseite geräumt habe, damit es mehr Platz und weniger Gewicht für uns gibt.
 

Etwas grob schleife ich den Jungen auf die Pritsche und gucke, dass er nirgends herunterkullert, bevor ich selber draufsteige und den Aufzug anfahren lasse. Laut knirschend setzt sich das Gerät langsam in Bewegung und Stück für Stück gleitet es an dem doppelten Flaschenzug aufwärts. Es ruckelt und wackelt, aber es bleibt stabil und ich hoffe, dass das auch so bleibt. Der Albino ist ganz verängstigt und seine Augen sind vor Entsetzen immens weit aufgerissen. Sowas hat er sicherlich noch nie erlebt, nervös drängt er sich ans Geländer und obwohl er sich nicht festhalten kann, ist er dort wohl auch am Sichersten. Trotzdem wird sein Gesicht immer panischer, je höher der Aufzug gleitet. Und als es dann noch heftig ruckelt, dass selbst ich die Balance fast verliere, fängt er plötzlich an zu schreien vor Schreck. In dem Moment kribbelt mein ganzer Körper und der Strom ist augenblicklich weg.
 

Aus. Ende! Das war's wohl. Wir hängen in ca. 20 Metern Höhe in einem Kanal fest ohne Licht, ohne Strom, weder an Hinauf noch an ein Hinunter ist zu denken. Na super! Tolle Idee! "Verflucht nochmal!!" schreie ich und hämmere auf der Bedienung herum, aber das macht es auch nicht besser. Aber wenigstens fühle ich mich nicht mehr so angespannt. "Scheissteil! Geh wieder an, verdammt!" Hinter mir poltert es und mir schwahnt Übles! Schnell taste ich nach hinten und kriege einen Fuss zu fassen. Ängstliches Japsen ertönt und ich ziehe so fest ich kann, ein schmerzlicher Aufschrei und schliesslich verzweifeltes Schluchzen. Der Junge macht mich noch wahnsinnig! "Willst du da runterfallen?! Du bist wohl lebensmüde, das sind mindestens zwanzig Meter! Verdammt nochmal, setz dich ans Geländer und bleib da sitzen! Wenn es wieder weitergeht, fällst du von der Pritsche, kapiert?" Das hat mir gerade noch gefehlt! Jetzt will der kleine Scheisser auch noch Selbstmord begehen. Meine Güte, vielleicht hat er ja Angst hier oben, aber das ist noch lange kein Grund runterzuspringen. Ich spring ja auch nicht aus dem Flugzeug, wenn ich Flugangst habe.
 

Warum ist nur der Strom weg? Der war doch gerade noch da! Verflucht nochmal, immer muss mir das passieren. Aber das wäre ja alles viel zu glatt verlaufen, war ja klar. Also überlegen. Was kann ich tun? Ich könnte am Seil hochklettern. Aber erstens habe ich keinen Schimmer, wie weit es noch ist und zweitens kann da der Kleine nicht mithalten. Dann können wir nur warten, bis der Strom wieder an geht. Aber vielleicht ist ja jetzt endgültig ne Leitung durch? Dann sollte ich eher nach unten und nach der Elektrik sehen. Dabei kenne ich mich ja auch so gut aus... ich habe ja schon am PC meine Probleme! Das ist doch der reinste Horror hier!!
 

"Und du hör endlich auf zu flennen, das macht mich noch wahnsinnig!" fahre ich den Kleinen an, wobei mir sein leises Heulen wirklich langsam auf die Nerven geht. "..ich könnte sowieso wetten, dass da wieder du dran schuld bist! Hast du nicht geschrien und dann ging das Licht aus? Du - wenn du dich rächen willst, ist das hier ein verdammt ungünstiger Zeitpunkt!" Ich könnte schwören, dass er es war! Und wenn ich wegen ihm jetzt hier bis in alle Ewigkeit festsitzen muss, dann kann er aber was erleben! Dann wird er sich noch wünschen, doch runtergefallen zu sein! Plötzlich geht das Licht an. Aber der Aufzug steht noch immer. Der Grund: der Albino hat sich wieder in ein Glühwürmchen verwandelt. Und da ich ihn jetzt sehen kann, tut es mir leid, dass ich ihn so angefahren habe. Ganz klein hat er sich zusammengekauert und zittert wie ein neugeborenes Häschen. Allerdings scheint ihn das mit dem Leuchten anzustrengen, denn sein Gesicht ist ganz verkrampft und konzentriert.
 

Seufzend lasse ich mich zu ihm in die Hocke und bringe sogar ein Lächeln zustande. "Ich hab's nicht so gemeint. Ich weiss, du hast Angst, du kennst mich schliesslich nicht und verstehst wahrscheinlich auch nichts, was ich dir sage oder wieso ich dich anschreie. Ich bring uns nach draussen, versprochen!" Er hat wohl immernoch Angst vor mir, obwohl ihn meine Stimme etwas beruhigt. "Du musst das nicht machen mit dem Licht, wenn's dich so anstrengt!" Und zu meiner Überraschung nickt er kurz und es wird wieder dunkel. Hat er mich denn verstanden? Aber wieso sollte der deutsch können? Sicher hat es ihn nur zu sehr angestrengt. Hm.. schon komisch, der Kleine. Er verhält sich wie ein Baby, das alles zum ersten Mal sieht und empfindet und nicht weiss, was es mit dem Wissen anfangen soll.
 

Es rumpelt und mit einem harten Ruck setzt sich der Aufzug wieder in Bewegung. Durch diese unerwartete Erschütterung wäre ich fast von der Pritsche gefallen, hätte ich mich nicht festgehalten. Zu meinem Staunen ist das, woran ich mich festhalte, weich und warm und fühlt sich nach weiterem Betasten nach Haut an. Genauer - ein Oberschenkel. "Ah! Entschuldige!" Sofort lasse ich los, aber der Kleine macht keinen Laut. Das Licht ist zum Glück auch so weit unter uns, dass er mein beschämtes Gesicht nicht sehen kann, denn ich spüre immer, wenn ich rot werde. Zum Glück passiert das nicht sehr oft, es ist aber trotzdem unangenehm. Da fällt mir ein, dass der Junge ja noch immer völlig nackt herumsitzt und sich daran nicht ein einziges Mal gestört hat. Nun, dann wird ihm das eben wohl auch egal gewesen sein. Offenherzige Erziehung, würde ich mal sagen.
 

* * * *
 

Der Aufzug fährt weiter rumpelnd nach oben, langsam aber beharrlich. Ein Blick auf die Uhr. Abend. Vor 24 Stunden sass ich noch mit meinem Professor am Flughafen und habe mich mehr oder minder auf die "Geburtstagsparty" dieses Killerwiesels gefreut. Und jetzt? Ein knapper Tag später und ich bin mittendrin in einem unglaublichen Thriller, der schon fast buchreif ist. Ich kann's immer noch nicht glauben. Beweisstück A lehnt am Geländer und hat die Augen geschlossen. Das gleichmässige Rütteln hat ihn wohl müde gemacht, aber ich glaube nicht, dass er schläft. Aber eine verdammt gute Idee. Ich bin hundemüde, ich könnte auf der Stelle einfachlafen. Einzig die Aussicht auf ein baldiges Ende dieser Oddysee lsst mich noch am Wachsein teilhaben. Aber es fällt mir immer schwerer, die Augen auf zu lassen, bei dem Gegähne. Das Gefühl für Entfernung habe ich auch schon längst verloren. Ich bin heute so viel gelaufen, dass ich gut schon in Griechenland sein könnte. Aber nach meinen Verstand dürfte die Reise nach oben nicht mehr allzu lange dauern. Und wirklich, nach ein paar Minuten hält der Aufzug an. "Hey Kleiner, wir sind da!"
 

Ein altes Eisengitter erbaut sich vor dem Ausgang, aber es ist zum Glück nur angelehnt und das rostige Tor schwingt quietschend auf. Der Gang dahinter ist düster aber nicht stockdunkel, wie ich erwartet hatte. Auch riecht es hier zwar muffig und alt, aber lange nicht so stickig wie dort unten. Wo sind wir bloss gelandet? Mühsam hat sich der kleine Kerl aufgerappelt und blickt an mir vorbei in den neuen Raum. Seinem Gesichtsausdruck zu urteilen kennt er ihn nicht. In dem Raum steht nur eine grosse Maschine, die ich nicht erkenne und sonst nichts ausser ein paar Eimer. Aber im Gegensatz zu da unten sieht es hier eindeutig nach Leben aus. Die Staubschicht hält sich in Grenzen und die Wände sind.. tapeziert? An der Decke hängt eine altmodische Lampe und die Tür ist aus Holz. Der Boden knirscht wie die Planken eines alten Schiffs unter meinen Füssen, als ich zur Tür gehe und sie vorsichtig aufmache. Und der Anblick dahinter überwältigt mich. Es ist ein Haus. Ein Haus mit einem Flur und einem Wohnzimmer, rechts neben mir die Küche. Alles scheint, als hätte dieses Haus zum letzten Mal vor 20 Jahren ein Mensch betreten, aber es ist und bleibt ein Haus! Das bedeutet - wir sind wieder an der Erdoberfläche!



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Ley
2004-11-27T23:24:52+00:00 28.11.2004 00:24
Whoaaaaaaaa, ich bin so nachlässig - hab doch glatt das Erscheinen von kapi acht neun und Zehn verpasst - aber auch gut, habe ich jetzt wenigstens gleich mehr zu lesen *freu*
Hat sich auch an meiner Meinung nix geändert, es ist absolut genial und wie immer auch sehr lustig geschrieben. Klements bissiger Humor ist wirklich eine helle Freude. ^^
Weiter so!!


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