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Grüner Jade und Blaue Perle

von

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Act II: Drangst ein

in mein Leben
 

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"I cannot find a way to describe it

It's there inside

All I do is hide

I wish that it would just go away

What would you do

You do if you knew

What would you do
 

(...)
 

I feel like I'm all alone

All by myself I need to get around this

My words are cold

I don't want them to hurt you

If I show you

I don't think you'd understand

'Cause no one understands" [1]
 

~ "Take me away" von Avril Lavigne aus dem Album "Under my

skin" ~

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Gedankenverloren spielte er mit dem wunderschönen,

haselnussfarbenen Haar, das wie Seide durch seine langen Finger

glitt, sich nicht ein einziges Mal in ihnen verfing und dabei ein kühles

aber sonderbar... _weiches_ Gefühl auf den Innenseiten seiner

Finger zurückließ.

Ihm war klar, dass Shinjus ehemalige und jetzige Mitschüler wohl

kaum dasselbe Verzücken wie Hisui ob dieses unglaublich süßen und

warmen Blutes verspürten, denn Hisui bezweifelte, dass je einer von

ihnen versucht hatte, davon zu kosten. Doch während das fremde

Blut in ihn floss und seinen Körper, sein Herz wärmte, war auch ein

Teil von Shinjus Wesen in Hisui übergegangen. Ein Teil seines

Wesens und damit all seine Erinnerungen, seine Gedanken. Und Hisui

Shiro konnte einfach nicht verstehen, wie man einen so

wundervollen Menschen nicht mögen konnte.

Eine leichte, aber noch recht frische Nachtbrise, letzter Bote des

fast vergangenen eher kühlen Frühjahrs, umspielte ihn. Leise stand

er auf, um die Shôji[2] zuzuschieben, die bis eben einen

atemberaubenden Blick auf die Gärten und den See geboten hatte.

Sämtliche Wohngebäude des Internats waren noch von der

traditionellen Art und lagen in mehreren Ebenen, die durch zahllose

alte Holztreppen und Pfade miteinander verbunden waren, verstreut

auf einem Hang. Das alles entbehrte natürlich nicht eines gewissen,

einfach nur japanisch zu nennenden Charmes...

...doch Hisui hatte nichtsdestotrotz nur Augen für seinen neuen

Zimmernachbarn, hatte die Aussicht kaum beachtet, die nun durch

das dünne Reispapier verwehrt wurde.

Zugegebenermaßen war Hisui doch leicht erschrocken, als Shinju

plötzlich ohnmächtig in seine Arme gefallen war und für einen

unendlichen Moment hatte er ernsthaft befürchtet, zuviel getrunken

zu haben, obwohl er doch nur wenige Schlucke genommen hatte,

gerade genug, um das Feuer seines Verlangens nach diesem

scheinbar geschlechtslosen Knaben endgültig zu entfachen und

Shinjus Wesen in sich aufzunehmen, damit er den Jungen näher

kennen lernen konnte. Schließlich hatte er sich, was Blut und

Lebenswärme anging, bereits ausgiebig bei einem unglücklichen

Studenten im Zug nach Kyoto bedient, dem er im Tausch gegen

sein rotes Leben den ewig währenden Traum einer wundervollen

Unendlichkeit geschenkt hatte, nachdem Hisui selbst schon

tagelang kein Blut mehr zu sich genommen hatte. Tatsächlich war

dies auch nicht nötig. Das Blut hielt sich eine ganze Weile in seinem

Körper, je nach den Umständen eine Woche und mehr. Was jedoch

immer wieder erneuert werden musste, damit er wie ein ganz

normaler Mensch leben, schlafen, essen und trinken konnte, das

war die Körperwärme, die sein toter Körper nicht mehr - oder nicht

im ausreichenden Maße - selbst herstellen konnte, weil jegliche von

ihm selbst produzierte Wärme wie von einem schwarzen Loch

angesogen einfach in der Leere verschwand.

Mittlerweile war ihm natürlich klar geworden, dass es einfach nur

zuviel des Guten für den armen Kleinen gewesen war.

Entschuldigend strich er über die im Schlaf vollkommen glatte,

entspannte Stirn, war allerdings doch zufrieden mit sich, weil er mit

Fug und Recht behaupten konnte, dass es nur zuviel des _Guten_

für "Kimura-kun" gewesen war und es ihm somit gefallen hatte.

"Gib mir etwas Zeit", flüsterte er Shinju ins Ohr, der wie schlafend

in seinem Futon auf den Tatamiboden lag, sorgfältig mit der

Oberdecke des schlichten, schwarzen Bettzeugs zugedeckt. "Ich

verspreche dir... Bald wirst du mir gehören... mir ganz allein..."

Zur Antwort begannen Shinjus Lider zu flattern. Er träumte.

Doch sicher war er bald wach. Es war schon spät und die

Nachtruhe bereits eingetreten. Nur bei ihnen brannte noch das

ruhige, sanfte Licht einiger im Zimmer aufgestellter Windlichter. Der

Schularzt hatte sich Shinju noch einmal angesehen, ihnen beiden

das Abendessen auf das Zimmer bringen lassen und sich dann

verabschiedet. Und Hisui hatte indessen, wie der Schulobrigkeit und

sich selbst versprochen, an seinem Lager gewacht - und weiter den

bannenden Anblick der wunderschönen, beinahe weißen Haut und

dieser feingeschnittenen Züge in sich aufgenommen...

Vor einiger Zeit hatte sich dann die Ruhe des Schlafs über das

gesamte Internatsanwesen gelegt, doch in dem kleinen Haus, in

dem ihr Zimmer lag, herrschte von jeher eine zauberhafte Stille, die

nur durch das leise Murmeln eines klaren Baches vor der Terrasse

untermalt wurde. Sie beide ganz allein waren hier untergebracht,

was zum vielleicht gar nicht so hohen Preis einer gewissen

Einsamkeit den Vorteil mit sich brachte, dass sie das Ganze ohnehin

nur sehr kleine Haus für sich allein hatten, ja selbst das Bad mit der

kleinen Onsen[3]. Wenn man die normalen Gegebenheiten in Japan

betrachtete, so war die Privatsphäre, die sie so erhielten und Zufall

und Einsamkeit gemeinsam geschaffen hatten, ein wahres Kleinod.

Mochte sein, dass der Weg bis zum eigentlichen Schulgebäude oder

dem Essensaal und überhaupt allen "wichtigen" Orten auf dem

Anwesen von hier im Vergleich gesehen sehr weit entfernt waren,

aber dafür konnte wohl nicht einmal der Schuldirektor von sich

behaupten, mehr Intimsphäre zu besitzen - denn die nächsten

menschlichen Lebewesen waren mindestens 15 Meter weit entfernt,

getrennt durch eine schmale hölzerne Treppe und einige, wenn

auch nicht sehr tondämpfende Wände.

Ja, jetzt waren sie ganz allein und der einzige, der sie noch

beobachten mochte, war der helle Vollmond hoch oben am

Firmament...
 

Shinju blinzelte leicht und stöhnte leise, während er die Augen

aufschlug und ihn verwirrt ansah.

Hisui dagegen lächelte.

"...Hisui-kun? Wo bin... was ist passiert?", nuschelte Shinju

schläfrig und mit schwerer Stimme, als wäre er noch immer in

seinem Traum gefangen.

Der Vampir[4] beugte sich mit einem schmalen Lächeln zu Shinju

hinab, drückte seine Lippen sachte etwas unterhalb des verlockend

pulsierenden Ohrläppchen auf die noch schlafwarme Haut und

hauchte dem Erwachenden leise ins Ohr: "Du bist ohnmächtig

geworden..."

"Ohnmächtig?", wiederholte Shinju leicht verstört und drückte ihn

weg, jedoch nur um ihm in die Augen sehen zu können, denn als

sich Hisui aufrichten wollte, hinderten ihn zwei schlanke, vom Schlaf

entkräftete Hände, die sich im Stoff seines Hemdes vergraben

hatte, daran.

"Ohnmächtig", bestätigte Hisui leicht belustigt aufgrund des

verdutzten Gesichtsausdruckes.

Mit schlafroten Wangen kniff Shinju die Augen zu und fuhr sich

angestrengt durch das Haar, was jedoch nicht viel half. "Ich weiß

gar nichts mehr... totaler Black-out...", flüsterte er und man musste

kein Vampir sein, um die Beunruhigung in seiner Stimme

herauszuhören. "Nur noch, dass ich...", seine Stimme senkte sich

furchtsam zu einem bloßen Hauch, "dass ich dich beleidigt habe..."

Hisui lächelte weiterhin, brachte den armen Shinju so vollends aus

dem Konzept. "Soll ich dir ein bisschen auf die Sprünge helfen,

Shinju?"

Der Jüngere schielte unsicher aus seinen azurblauen Augen unter

einer langen, braunen Haarsträhne hervor. Ja, er hatte durchaus

japanische Züge, besonders die Augenform, doch ansonsten hatten

sich die Götter wohl in den Farbtöpfen vergriffen. Hisui für seine

Wenigkeit hatte jedenfalls noch nie einen _vollblütigen_ Japaner mit

hellbraunen Haaren und hellblauen Augen gesehen, wenn er nicht

mit Haarfärbemitteln und Kontaktlinsen nachgeholfen hatte.

Behutsam strich er die kecke Haarsträhne hinter Shinjus Ohr. "Nun?"

Zaghaft ob Hisuis verwirrender Freundlichkeit nickte der Kleinere,

kam etwas höher, indem er sich mit den Ellbogen auf seinem

Bettzeug abstützte, sodass sein - um das Atmen zu erleichtern -

bis zum Bauch geöffnetes Hemd verrutschte.

Nonchalant wanden sich Hisuis Hände streichelnd an Shinjus

entblößten Seiten vorbei und verschränkten sich in seinem Rücken,

umschlangen seine Arme den zarten Körper und hoben ihn sich

entgegen, sodass sein Mund zu dem begehrten Tor aus rosenem

Blütenschaum fand, sich zärtlich darauf legte.

Shinju gab einen leisen, unartikulierten Laut der Überraschung von

sich und Hisui legte den plötzlich aller seiner Kräfte beraubten

Jungen schon nach kurzer Zeit zurück in sein Bettzeug. Er wollte die

Lust in sich nicht erneut wecken - noch nicht... Erst musste sich

Shinju erinnern.

Auch den letzten Hauch dieses Kusses genießend, fuhr sich der

Ältere mit der Zunge über seine Lippen, fragte leicht amüsiert: "Und

nun? Weißt du es nun wieder?"

Er wurde hilflos aus zwei himmelfarbenen Perlen angeblickt.

Als könne er es nicht fassen, fuhr sich Shinju über seine Lippen,

tastete fast vorsichtig seinen Mund ab. "Du... du hast mich ja

geküsst!", entfuhr es ihm bestürzt.

Hisui lachte amüsiert. "Ja, allerdings..."

"A-Aber...", die Augen des Kleinen wurden groß unter der

plötzlichen Erinnerung. "und... ich dich auch..."

Mit einem fast gefährlich lasziven Blick beugte sich der Vampir über

Shinju, zog vorsichtig das Hemd aus der Hose des Jüngeren, strich

ohne ihren Blickkontakt zu unterbrechen mit seinen Lippen liebevoll

über die schöne Wölbung eines zarten Hüftknochens.

Shinju wagte es nicht einmal mehr unter seinen Berührungen zu

atmen und Hisui spürte wie der Kleinere leicht erschauerte, seine

Hüfte leicht zu zittern begann.

"Was... was machst du da?", fragte Shinju schwach.

Hisui antwortete nicht, fuhr stattdessen weiter nach oben, neckte

zärtlich die hübsche Vertiefung seines Bauchnabels, streichelte mit

seinen Lippen, die sich in ahnungsvoller Erwartung aufrichtenden

Brustwarzen, umwarb die zerbrechliche Linie des fein

geschwungenen Brustbeins.

"Magst du das?", fragte Hisui leise, war selbst ein wenig erstaunt

über den leicht angerauten Ton seiner sonst so samtigweichen,

fließenden Stimme.

"Ja...", hauchte Shinju bebend, nicht fähig sich von den magischen

Rabenaugen des Vampirs abzuwenden.

Trunken von dem lieblichsüßen Duft des Knaben unter ihm, ließ er

eine Hand unter Shinjus Becken gleiten, hob es leicht an, bis der

Jüngere von selbst den Rücken durchbog und sich hilflos und nur

einer leisen inneren Stimme folgend an den über ihn gebeugten

jungen Mann drückte. Sachte ließ der seine Zunge über die gesamte

Länge des mondlichthellen Halses, über das schöne Ohrläppchen,

die einladend vollen Lippen streichen, knabberte schließlich leicht an

jenen, ohne sie jedoch des warmen Blutes zu berauben, dass unter

ihnen lag.

"Hisui-kun", kam es wie ein schwacher Hauch an sein Ohr

geschwebt, "Das... wir dürfen das nicht tun..."

"Aber es gefällt dir", wandte Hisui leise ein. "Warum sollten wir es

dann nicht tun dürfen, Shinju, warum nicht?"

"Weil...", machte Shinju, hielt inne, als Hisui aufhörte ihn so zu

berühren, ihn nur noch aufmerksam betrachtete und einer

kommenden Antwort lauschte. Der Jüngere senkte mit brennenden

Wangen den Blick.

"Nicht aufhören...", flehte er wispernd wie ein leichter Windhauch.

Hisui lächelte liebevoll und schüttelte den Kopf. "Nein", erwiderte

er. "Ich werde nicht aufhören, wenn du es nicht möchtest..."

Fast wie von selbst glitt der dünne Stoff des leichten

Sommerhemdes von der seidigglatten Haut des Jüngeren. "Komm

her..."
 

Matt lächelnd schmiegte Shinju seine erhitzte Wange an die breite,

nackte Brust des Größeren.

Noch immer fast ehrfürchtig strich der Jüngere über die flache

Bauchdecke mit den sichtbar ausgeprägten aber nicht unschön

protzigen Bauchmuskeln, was sich ihr Besitzer gerne gefallen ließ.

Diese Fingerkuppen waren wirklich so geschmeidig wie angewärmte

Perlen und fuhren in ihrer Leichtigkeit einem Windhauch gleich über

seine Haut.

"Du bist so schön", flüsterte Shinju beinahe erstaunt. "Obwohl du

viel größer und muskulöser bist als ich, bist du schlank und

geschmeidig wie ein Weidenzweig. Und deine Haare sind wie

schwarze Silberfäden..."

Hisui lachte leise. "Du weißt nicht, was du da redest, Shinju - ich

bin nur makellos und anziehend, aber das hat nichts mit wahrer

Schönheit wie der deinen zu tun."

Shinju stemmte sich einen Moment in die Höhe, um verwirrt den

Blick der verträumt geschlossenen Augen zu suchen. "Wie meinst du

das?", wollte er wissen.

Der Vampir öffnete lächelnd die Augen. "Nicht so wichtig", erwiderte

er und hob sich das hübsche Gesicht zu einem flüchtig-zarten Kuss

entgegen, zog die schmale Gestalt dann wieder an sich und schlang

die wärmespeichernde Decke etwas fester um sie beide.

"Du _bist_ schön", widersprach Shinju nachdrücklich. "Wie eine

Kyotopuppe: Deine Haut ist weiß wie Porzellan, deine Augen sind

wie zwei Perlen aus poliertem Obsidian und du hast ganz feine, rote

Lippen, fast wie angemalt... Man sagt, Kyotopuppen sind irgendwie

unheimlich, aber du bist nicht unheimlich - nur schön..."

"Dann musst du aber ein Engel sein", neckte Hisui ihn und strich mit

seinen Lippen ziellos über das weiche Haar, die glatte Stirn, einzig

und allein in dem schlichten Bestreben, soviel wie möglich von dem

jungen Knaben in seinen Armen zu erhaschen.

Shinju sah ihn neugierig an. "Du kennst mich doch gar nicht!"

Hisui lächelte. "Vielleicht doch..."

Der Jüngere schüttelte ausdrücklich den Kopf. "Wir haben uns ganz

bestimmt noch nie zuvor gesehen!"

Ein wissender Ausdruck schlich sich in seine schwarzen Augen. "In

der Realität sicher nicht, aber... vielleicht in einem Traum?"

"Du bist komisch...", Shinju blies lautlos seufzend die Luft aus

seinen Lungen und strich wie suchend über Hisuis Halsbeuge, "aber

lieb."

Der Vampir lachte leise. "Ja, vielleicht bin ich das."

"Bist du", nickte Shinju und fügte leiser hinzu: "Deswegen mag ich

dich so."

Der Ältere drückte ihn schweigend an sich. "Du solltest noch ein

wenig schlafen, Shinju - morgen müssen wir sehr früh aufstehen."

Shinju schmollte leicht, gab aber klein bei und nachdem er ihm einen

Gute-Nacht-Kuss auf den roten Mund gehaucht hatte, schmiegte er

sich mit einem leisen "Oyasumi"[5] zufrieden an seinen großen

Freund und war bald darauf eingeschlafen.
 

War eingeschlafen, ohne es bemerkt zu haben.

Hisui setzte sachte einen Kuss auf die Stirn des Schlafenden. Nein,

er hatte es nicht gemerkt, hatte nicht gemerkt, dass Hisui kein

Mensch war - nicht mehr...

Leise und vorsichtig stand er auf um Shinju nicht zu wecken.

Obwohl der Kleine den ganzen Tag durchgeschlafen hatte, hatte er

die Erholung doch noch immer bitter nötig und Hisui wollte sie ihm

gewiss nicht rauben.

Shinju murrte leise im Schlaf und suchte seine Wärmequelle zu

halten, doch der Schlaf hatte ihn gänzlich seiner Kraft beraubt und

so fiel es dem Vampir nicht schwer, die schmalen Finger von seinem

Unterarm zu lösen.

So leise wie die japanische Schiebetüre geöffnet wurde, so leise

wurde sie auch wieder geschlossen und Hisui trat tief einatmend auf

die Terrasse.

Kein Laut, und sei er noch so leise, war zu hören, als sich Hisui von

der Kante der Veranda niederließ und baren Fußes die wenigen

Meter über das grüne Frühlingsgras bis hin zu dem kleinen lieblichen

Bach lief. Vollkommen nackt ließ er sich am Ufer des Bächleins auf

die Knie sinken, starrte auf das Spiegelbild des stummen, silbernen

Wächters hoch oben am dunklen Schleier der Nacht. Er wollte die

Oberfläche des klaren, kühl dahinfließenden Wassers berühren und

konnte es doch nicht, blickte stattdessen in das spiegelnde Nass

und konnte sich selbst doch nicht erkennen.

/Natürlich nicht... Baka[6]! Ein Vampir hat kein Spiegelbild, das weiß

doch jedes Kind.../, dachte er bitter und riss sich die Jadeperle, die

von jeher an einem schmalen schwarzen Lederband um seinen Hals

gehangen hatte, vom Leib, zerstörte damit dieses Bildnis einer

japanischen Nacht. Denn obwohl er doch in ein fließendes Gewässer

geschaut hatte, floss das Wasser des Bächleins so langsam dahin,

dass die Oberfläche so vollkommen glatt war wie diejenige des

Spiegels an der Wand.

Hisui zog die Knie an und umschloss sie mit den Armen, wiegte sich

scheinbar gleichgültig und empfindungslos zu dem Wiegenlied des

Nachtwindes, der ihn besorgt mit seinen sanften Armen

umschmiegte, dieses bekümmerte Kind der Nacht zu trösten suchte.

Und so sehr Hisui auch versuchte sie zurückzuhalten, die blutigen

Tränen fielen eine um die andere zu Boden, benetzten das kühle

Gras auf dem er saß.

/Selbst als man mich wider meines Willens zum Vampir machte, habe

ich nicht geweint. Nun weine ich... Wie lange schon habe ich nicht

mehr geweint?/, dachte er traurig. /Ja... ich muss damals noch ein

Kleinkind gewesen sein. Ich weiß es und weiß es doch nicht. Noch

vor wenigen Monaten hätte ich es ganz genau sagen können, nun

verblassen die Erinnerungen, werden immer flüchtiger und alles, was

ich nicht aufgeschrieben habe, wird bald für immer vergessen sein...

vergessen von mir und der ganzen Welt... Ist er das? Der Fluch des

Vampirs? Das Vergessen...? Kann ich deshalb mein Spiegelbild nicht

sehen? Damit ich vergesse, wer ich bin und vor allem anderen: wer

ich _war_? Oder ist es nur, damit ich mich nicht selbst in meine

abscheuliche Makellosigkeit verlieben kann, so wie einst der

unglückliche Jüngling Narziss?/

Hisui wurde kalt. Je länger er seinen Blick über das silberglänzende

Wasser gleiten ließ, desto durchlässiger wurde es, desto stärker fiel

ihm die Jadeperle ins Auge, die er doch nicht sehen wollte!

Und je schärfer das Bild wurde, je deutlicher er sie sah, desto mehr

hatte er das Gefühl seine eigene Seele zu sehen. Seine Seele,

gefangen in dem kugelrunden Stück Jadestein, das erste Geschenk

seines Vaters an seine Mutter, welches Hisui schließlich seinen

Namen gegeben hatte.

"Nein!", schrie Hisui und fuhr mit seiner Hand wütend über das

Wasser als wolle er es zerschlagen, doch die Tränen erstickten

seine Stimme und alles was aus seinem Munde kam war ein leises

Keuchen, das ungehört in die weite Dunkelheit entfloh. Tatsächlich

aber schien es ihm unter dem weißsilbernen Schein des Mondes, als

zerspränge das unruhige Wasser in tausend splittrige Scherben, die

am Grunde des Baches zerschellten, vom Fall unbarmherzig

zerschmettert wurden.

Scherben seiner selbst... Ja, sein Leben, wenn man es denn noch

unvermessen so nennen durfte, es lag in Scherben. Und schon ihr

Anblick war zu scharf, schnitt zu sehr in sein Herz, seine Seele, als

dass er es wieder hätte zusammensetzen können. Zu klein war

jeder Splitter, als dass ein einziger noch hätte wichtig erscheinen

könnte, zu klein, sodass ihm sein vergangenes, sein wahrhaftiges

_Leben_ nun unbedeutend und nichtig vorkam... Und doch war es

seine Vergangenheit, die ihn geformt hatte, war es jede einzelne

kleine Erfahrung, die er als Mensch gemacht hatte, die aus ihm das

geschaffen hatte, was dieser vollkommene, nur wenige Meter weit

von ihm entfernt schlafende Jüngling so sehr verehrte, so sehr...

"...liebte", hauchte er leise.

Ja, es war wahr. Hisui wusste nicht, wie lange Shinju das Schicksal

der Einsamkeit mit ihm geteilt haben mochte, doch ohne es einfach

nur so dahingesagt zu haben, hatte diese Perle der Menschheit ihm

seine Liebe gestanden, sie ihm... versprochen.

Nicht einen Tag lang hatten sie sich gekannt und doch hatte Shinju

mit ausdrücklicher Bestimmtheit bejaht, als Hisui ihn leise gefragt

hatte, ob er sich dessen ganz sicher sei.

Was war es, das Shinju so für Hisui eingenommen hatte, dass er ihm

mit ruhiger Gewissheit geschworen hatte, ihm überallhin zu folgen,

wohin er auch gehen mochte?

Es konnte nicht Hisuis Schönheit sein - sie war nur schöner Schein,

ein schönes Blendwerk, um über seine hässliche Seele

hinwegzutäuschen.

Es konnte nicht die Faszination des ewigen "Lebens" sein - Shinju

wusste nicht um Hisuis Unsterblichkeit, hatte nicht bemerkt, dass

Hisuis Herz nicht aus eigener Kraft schlug, dass es nicht sein

eigenes Blut war, welches durch diesen perfekten, fehlerfreien

Körper floss, dass es nicht Hisuis eigene Wärme war, die Shinju vor

dem Auskühlen durch die kalte Nacht bewahrte.

Und er glaubte auch nicht, dass Shinju so naiv war, sein Herz nur

wegen einer wunderschönen Liebesnacht zu verschenken.

Nein, Hisui konnte es beim besten Willen nicht erraten, dieses

Etwas, das ihn so besonders für Shinju machte, und doch war es

da, irgendwo tief in ihm versteckt. Und hatte sich von Shinju finden

lassen, bescherte Hisui damit das größte Glück, das er je hätte

erfahren können: Liebe.

Obwohl er nur ein erbärmlicher toter Körper mit einer geradezu

kranken Seele war, nur lebte, weil andere unglücklich waren und für

ihn und den wunderbaren ewigen Traum, den er ihnen schenkte,

starben, trotz alledem wurde er von diesem reinen Herz mit Liebe

nur so überschüttet.

Hisui stand auf und ging lautlos zurück, huschte ungesehen,

ungehört, zurück in das kleine Haus und legte sich wieder neben

den schlafwarmen, träumenden Shinju, der leicht erschauerte, ob

Hisuis vom Nachtwind ausgekühlter Haut, und sich doch näher an

ihn drängte, als wolle er Hisui wärmen und ihn mit seiner

wundervollen Wärme über all seine bittertraurigen Gedanken

hinwegtrösten.

"Ich liebe dich auch, Shinju", flüsterte Hisui und küsste ihn zärtlich.

Und der im Schlaf lächelnde Shinju war das Letzte, was Hisui in

dieser Nacht sah.
 

- - - - -

[1]

"Ich kann keinen Weg finden um es zu beschreiben

Es ist da drin

Alles was ich tue ist verstecken

Ich wünschte, dass es einfach weggehen würde

Was würdest du tun

Du tun, wenn du wüsstest

Was würdest du tun
 

(...)
 

Ich fühle mich als wäre ich ganz allein

Ganz allein mit mir, ich muss darüber hinwegkommen

Meine Worte sind kalt

Ich möchte nicht, dass sie dich verletzen

Wenn ich es dir zeigen würde

Ich denke nicht, dass du es verstehen würdest

Weil es niemand versteht"

[2] Schiebetüren, die mit durchscheinendem Reispapier bespannt

sind, dass noch genügend Außenlicht in die Zimmer dringen lässt,

weshalb solche Türen oft zum hauseigenen Garten hinausgehen.

Leider muss das Reispapier häufig erneuert werden. Wenn sich

Regen oder scharfer Wind ankündigt werden die so genannten

"Amado" vorgehängt. Dies ist eine Schiebetüre aus Holz - ohne

jegliches Fenster, da sie ja die Shôji schützen soll. Dadurch wird es

bei traditionellen japanischen Häusern - wie dem Internat - dann

jedoch auch ziemlich finster, wenn man nicht für andere

Lichtquellen sorgt... *buuh* ^.^

[3] Natürliche heiße Quelle, als Badegelegenheit genutzt und bei

den Japanern sehr beliebt. Manchmal gibt es in den Onsen auch ein

rotemburu (in dem Manga "Love Hina" ist es Schauplatz vieler

lustiger Szenen -.^), was praktisch die Freiluftversion ist. Vorher

wird sich nur schnell (aber gründlich!!) eingeseift und abgespült

(wobei das obligatorische Höckerchen nicht fehlen darf ^.^) und

dann geht's ab in das oft sehr heiße Wasser *plansch plansch* Und

wenn man Glück hat, gibt es auch noch eine schöne Aussicht zu

bestaunen, während man relaxt ^.^

[4] Aaah, jetzt ist es raus -.^ Was für eine Überraschung *gg* Das

hättet ihr jetzt echt nicht gedacht, eh?

[5] "Gute Nacht"

[6] das japanische Wort für "Idiot"



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