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Die Monochroniken

02 :: Der Junge und das Seil
von

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Der Fremde

Der Fremde
 

Es war der erste Tag nach dem Fest der Sieben Heiligen. Die Straßen waren verstopft von den Händlern, Gauklern und den heimreisenden Gästen, die für eine ganze Woche unsere Stadt belagert hatten. Mein Onkel hatte fast seine gesamten Lagerbestände verkauft und das noch zu sensationellen Preisen. Zur Feier dieses großen Gewinns wurde abends ein junges Schwein geschlachtet und sogar wir Lehrlinge durften ohne Scham zugreifen soviel wir wollten. Nicht einmal mit dem Wein hatte der alte Herr geknausert, obwohl er doch sonst immer so sparsam war - mit seinem Geld und mit Lob. Doch an diesem Abend klingelten unsere Ohren von seinen Reden, seinen Preisungen und Ehrungen, die auch zum großen Teil an uns Lehrjungen gerichtet waren, denn wir hatten geschuftet wie der Meister selbst. Dieser Abend nun war lang und lustig, die Weberinnen offenherzig vom vielen Wein, ebenso wie die Männer, die sie mit allerlei Albernheiten zum Kichern brachten und dann irgendwann mit ihnen für kurze oder längere Zeit verschwanden.
 

Mein bester Freund arbeitete wie ich als Lehrgehilfe bei meinem Onkel in der Weberei. Die Arbeit war meist hart, denn die Männer hatten den ganzen Tag Berge von Wolle und Garn, Stoffbahnen und Kisten voller Kleidung herumzutragen. Aber da mein Freund und ich erstens noch jung waren und zweitens geschickte Hände hatten, durften wir oft genug den Weberinnen bei der Arbeit helfen. Wir waren aber lange nicht so schnell und geübt wie die jungen Mädchen, die die Schiffchen so hastig hin- und herschossen, dass einem ganz schwindelig wurde beim Zusehen. Wir waren langsamer und machten öfter ein paar Fehler, aber dafür waren unsere Muster und Bilder ganz anders als die der Frauen und verkauften sich prächtig.
 

Ich zog meinen Mund in die ganze Breite, als mich der Meister beim Abendessen ganz besonders lobte wegen meiner fleissigen und vor allem hübschen Arbeit. Und er hatte Recht, denn von meinen Stoffen war kein einziger mehr übrig. Selbst die alten vom letzten Jahr, die dem Meister nicht so sehr gefallen hatten, waren ausverkauft, schon nach dem dritten Tag war nichts mehr da gewesen. Deshalb hatte mich mein Onkel auch genötigt, das Fest hindurch weiter zu weben, damit er die Stoffe ebenso gewinnbringend verkaufen konnte, wie die anderen. Erst hatte ich mich gesträubt, denn im Gegensatz zu mir und ein paar wenigen Weberinnen waren alle anderen mit dem Verkauf der Ware beschäftigt gewesen. Den ganzen Tag auf der Straße, auf dem Markt, vor der Burg, an den Festplätzen.. so viele Menschen, so viele Fremde, soviel Interessantes! Die leckeren Speisen, schon allein die Gerüche, die sich manchmal hier herein verirrt hatten, ließen mir das Wasser im Munde zusammen laufen. Aber ich musste weben, in dieser kühlen, ungemütlichen Stube. Es hatte mich sehr geärgert, aber mein Freund Hallen hat mich oft besucht und mit ein paar ergatterten Leckereien aufgemuntert. Aber jetzt, da der Meister mich so besonders hervorhob unter seinen ganzen Arbeitern, war ich ganz schön stolz und froh, doch gearbeitet zu haben. Als keiner in unsere Richtung sah, drückte mir mein Onkel sogar ein großes Geldstück in die Hand und nickte anerkennend. In diesem Moment platzte ich fast vor Stolz.
 

"Hej Nanik! Der Meister hat dir doch was gegeben, oder? Sag schon! Zeig her!"

Nach der kleinen Feier waren Hallen und ich vor Müdigkeit in die Betten gefallen, aber kaum lagen wir, stand Hallen wieder auf und löcherte mich unentwegt wegen des Geldstücks. Der Frechdachs hatte es also doch gesehen.

"Nö, ich hab nichts bekommen. Einen feuchten Händedruck, nichts weiter.."

Und schon war Hallen über mir und wir balgten uns eine Weile lachend, bis ich mein Geschenk vor seiner Nase schwenkte. Hallen machte große Augen und schnappte sich die glitzernde Münze. Es war wirklich einiges wert und ich glaube nicht, dass Hallen so viel Geld schon einmal in der Hand gehabt hatte.

"Oh Mann, das ist ja.. Wahnsinn! Das hast du von dem ollen Meister bekommen? Und er war nicht schon zu sehr betrunken?" staunte Hallen nicht schlecht und hielt die Münze ins Licht der Kerze, um sie besser betrachten zu können.

"Ja, ich hab mich ja auch gewundert.. und wenn er doch betrunken war, ist mir erst recht egal! Meins bleibt meins!" grinste ich und zupfte meinen Schatz aus seiner Hand, die die geriffelte Seitenfläche gerade befühlt hatte. Jetzt rückte ich selbst an das Licht der Kerze und strich mit leuchtenden Augen über das schwere, warme Metall. Meine Finger waren aufgesprungen und zerschnitten von den vielen Fäden, die ich die Woche hatte hindurchgleiten lassen, doch ich konnte jede Erhebung der Münzprägung genau ertasten. Hallen beobachtete, wie ich das Geldstück auf der Kante kreiseln ließ, aber trotz der Freude über dieses unverhoffte Glück, fielen mir fast die Augen zu.

"Komm, legen wir uns schlafen! Wir bekommen zwar morgen einen freien Tag, aber ich bin trotzdem so hundemüde.." Mit einem Sprung war Hallen auf der anderen Seite im Bett und kuschelte sich in die Decke.

"Ich auch, das war heute ein ganz schöner Trubel. Nacht Nanik!"

"Nacht Hal!"
 

Unser Zimmer war auf einem alten Speicher eingerichtet worden, der gegenüber der Weberei lag. Unter uns lagerten tagtäglich kilometerlange Stoffe, Gebirge von gesponnener Wolle und ein gigantischer Kleiderschrank, in dem die fertigen Sachen lagerten, bis sie verkauft wurden. Jetzt allerdings war der Raum leer bis auf ein paar alter Webstühle, einige Bündel Wolle und Kleider, die von Mäusen oder Motten angenagt worden waren. Morgen war ein freier Tag für alle. Der Meister hatte neues Material bestellt, das aber erst übermorgen geliefert werden konnte, wegen des enormen Bedarfs diese Woche. Ich überlegte beim Einschlafen, was Hallen und ich morgen machen würden. Vielleicht könnten wir zum Angeln gehen. Oder schwimmen. Etwas, wobei ich meine Hände nicht gebrauchen musste, denn sie schmerzten noch immer bei jeder Bewegung. Oh ja, schwimmen wäre eine feine Sache. Dies war einer der letzten Gedanken, als ich einschlief.
 

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Ein schwaches Rütteln weckte mich. Nur schwer konnte ich meine Augenlider dazu überreden, sich hochzuziehen. Bevor ich mich darüber wundern konnte, was der Meister in unserem Zimmer machte, hielt er mir den Mund zu und bedeutete, dass ich Hallen nicht aufwecken sollte. Leise winkte er mich zu sich, als er mit einer Tranlampe zurück zur Tür wackelte. Er sah komisch aus in seinem Nachthemd und mit zerzausten Haaren, doch ich bemühte mich, ihm möglichst leise zu folgen. Draussen war es noch immer stockdunkel und furchtbar kalt. Fröstelnd schlang ich die Arme um den Leib und folgte meinem Onkel um die Scheune.
 

Ich fragte mich, was er dort wollte und warum er mich mitten in der Nacht todmüde aus dem Schlaf gerissen hatte. Aber die Kälte machte mich bald schon hellwach, es hatte geregnet und meine nackten Füße fühlen sich bald an wie Eisklötze.

"Was ist denn, was wollt Ihr von mir mitten in der Nacht?" fragte ich leise, denn ich war sicher, dass uns jetzt weder Hallen, noch sonst jemand mehr hören konnte.

"Psst! Komm weiter! Und leise!" machte er nur und missmutig trottet ich dem auf- und abwackelnden Licht hinterher, das den schmalen Fußpfad zum Fluss hinunterwanderte. Was wollte der Meister am Fluss unten? Konnte das nicht bis morgen warten? Da wollte ich sowieso zum Fluss gehen.
 

Es dauerte noch gut zehn Minuten, bis wir den Fluss erreichten. Meine Füsse waren schon wund wegen der ganzen Steine und Dornen, in die ich getreten war, aber meinem Meister ging es da nicht besser. Am Ufer angekommen, wollte ich ihn endlich zur Rede stellen oder mich wenigstens beschweren, dass er mich nicht wenigstens Schuhe und eine Jacke hatte anziehen lassen, bevor er mich geholt hat. Aber bevor ich den Mund aufmachen konnte, hieß er mich noch einmal still sein und fuchtelte mit den Armen. Er schien jemandem zu winken und tatsächlich raschelte es gleich darauf im Gebüsch und ein Mensch trat heraus. Im schwachen Lampenschein konnte ich weder sein Gesicht, noch etwas anderes ausser den Mantel erkennen, dessen Kapuze die Gestalt bis zu den Augen heruntergezogen hatte. Er trug ein großes Bündel bei sich, wie ich jetzt erkennen konnte.
 

Unsicher stand ich hinter meinem Onkel und musterte den Fremden, der jetzt bis auf ein paar Schritt an uns herangetreten war. Unwillkürlich hielt ich den Atem an, als der Mann begann zu sprechen. Es war eine sanfte, angenehme Stimme, er konnte zudem noch nicht sehr alt sein. Aber etwas in seiner Sprechart ließ mich erschauern. Ohne es zu wollen, beschlich mich eine große Ehrfurcht vor diesem Mann. Er strahlte etwas Erhabenes, Großes aus, das mich ganz kleinmütig werden ließ.
 

"Ist er das? Na, komm mal her, mein Junge." Es war gewiss nur eine Bitte und doch hatte ich das Gefühl, es sei ein Befehl, dem ich mich nicht widersetzen könne. Zögernd trat ich auf den Mann zu und stand nun so nahe bei ihm und der Lampe, dass ich eigentlich sein Gesicht hätte sehen müssen. Aber ich konnte es dennoch nicht erkennen. Als würden meine Augen jedes Mal abgelenkt, wenn ich sie fixieren wollte. Ein grässliches Gefühl!

"Hab keine Angst. Sag, hast du das hier gemacht?" Er streckte mir seine Hand hin. Ein glatter, brauner Lederhandschuh umschloss schlanke Finger, die mir ein Tuch hinhielten. Verwundert sah ich auf die Handarbeit. Die feinen Linien, das geriffelte Muster, den dunkler werdenden Rand und schließlich die winzige Stickerei an den Enden. Es war unverwechselbar eine meiner Arbeiten. Keine besonders gut gelungene, aber es war doch eine von mir. War das etwa ein unzufriedener Kunde? Hatte der Mann das Gefühl, ich hätte ich ihm einen minderwertigen Stoff verkauft? Aber mit dem Verkauf hatte ich doch nie etwas zu tun?
 

Ich sah zu meinem Onkel, der unmerklich nickte und sonst keine Miene machte, die auf Schwierigkeiten hindeutet. Also nickte ich auch und gab zu, dass der Stoff von mir gemacht worden war.

"Wenn er Euch nicht gefällt, werde ich Euch einen neuen machen, wenn Ihr möchtet!" fügte ich noch hinzu, falls er doch etwas zu beanstanden hatte.

"Nein, dieser Stoff ist sehr gut. Aber vielleicht musst du mir wirklich noch einen weben" sagte er und wog das Bündel unter seinem Arm, als ob er etwas schätzen wollte.

"Aber zuerst muss ich etwas von dir wissen. Komm mit." Damit ließ er das Bündel auf den Boden und drehte sich zum Gebüsch. Dieser Mann war mir unheimlich. Ich sah zu dem Meister, aber er winkte mich nur fort, ich solle dem Mann folgen.

"Kommt doch bitte mit, Meister! Ich habe Angst mit diesem Kerl alleine.." flüsterte ich, doch dieser schüttelte den Kopf, schalt mich einen Dummkopf und Angsthasen und drückte mir die Lampe in die Hand.

"Geh, na los! Sonst verlierst du ihn noch!" tadelte er und wartete bei dem seltsamen Packet, während ich unmutig hinter dem unheimlichen Mann herrannte, der schon im Dickicht verschwunden war.
 

Mir war schleierhaft, wie er sich in dieser Dunkelheit fortbewegen wollte, geschweige denn etwas finden. Aber der große Mann wartete nicht auf mich, sondern schritt zügig und zielstrebig aus, so dass ich Mühe hatte, ihm zu folgen. Ich stach mich an Brombeerdornen, stolperte über Wurzeln und wäre fast einmal hingefallen, als ich meinen Fuß an einem umgestürzten Baum anschlug. Ich unterdrückte mein Fluchen so gut es ging und hastete weiter, verlor den Mann jedoch bald schon im Gestrüpp des Waldes.
 

"Na los Junge, wir haben nicht viel Zeit" raunte es so plötzlich neben mir, dass mir vor Schreck fast die Lampe aus der Hand gefallen wäre. Mein Herz machte einen gehörigen Satz und klopfte ärgerlich weiter, als der Mann wie aus dem Nichts neben mir auftauchte und sofort weiterlief. Die nächsten Minuten fiel ich mehr, als dass ich lief und ich war so erpicht darauf, den Mann nicht wieder aus den Augen zu verlieren, dass ich fast in seinen Rücken gefallen wäre, als er plötzlich stehenblieb. Keuchend schnappte ich nach Luft und hielt die Lampe in die Höhe um zu sehen, wo wir uns befanden.
 

Vor uns lag ein kleiner See. Ein alter Ausläufer des Flusses, der nun seine Ruhe gefunden hatte. Der Mann drehte den Kopf auf die Seite, so dass er mich ansehen konnte und stand einfach nur da. Ich war froh über die Pause, denn ich hatte schon Seitenstechen bekommen und ging nun kurz in die Hocke, um meine Lungen zu beruhigen. Als ich so dasaß und über den See blickte, meinte ich ein kleines Licht gesehen zu haben. Der Mann rührte sich nicht, so warf ich noch einen Blick über den See und entdeckte wahrhaftig noch ein Licht. Und noch eins. Glühwürmchen. Ich hatte schon ewig keine mehr gesehen und musste lächeln.
 

"Schön, nicht wahr?" sagte der Mann von oben und jetzt sah ich, dass er in dieselbe Richtung wie ich blickte. War er deswegen hergekommen? Hatte er mich deshalb durch den halben Wald geschleift, nur um mir Glühwürmchen zu zeigen? Etwas verstört stand ich auf und versuchte wieder, einen Blick auf das Gesicht des Fremden zu erhaschen, doch es entglitt meinem Blick wie eine schwarze Schlange, so sehr ich mich auch bemühte.

"Lass das"
 

Schnell wandte ich den Kopf und nahm mir vor, nicht mehr auf sein Gesicht zu sehen. Dieser Mann war so seltsam.. und irgendwie beängstigend. Er stand einfach nur da und sah auf die Glühwürmchen, ich daneben. Das Licht flackerte, meine Hände zitterten vor Kälte und Furcht. Ich hätte ihn so gerne gefragt, warum er mich hierher gebracht hatte, aber ich traute mich nicht. Ich wollte weg hier. Ich wollte zurück in mein Bett. Dieser Fremde machte mir wirklich Angst!
 

Im Licht konnte ich mir jetzt wenigstens seine Kleidung ansehen. Es war ein ausgesprochen schöner Stoff, damit kannte ich mich ja aus. Er war schlicht und nur ein wenig verziert, so wie ich es für gewöhnlich machte. Aber dies war nicht mein Stoff, solch glänzendes Material ließ sich nur schwer verkaufen und der Meister fertigte nur gelegentlich selbst ein kostbares Kleidungsstück für eine adelige Dame, falls diese es verlangte. Dieser Fremde musste wirklich reich sein, wenn er sich solche Stoffe leisten konnte.
 

"Jetzt ist genug geschaut. Los, komm mit!"

Vor Entsetzen schrie ich leise auf, als er mich beim Arm packte und mich hinter sich herzog - geradewegs in den See hinein!
 

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