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Die Monochroniken

02 :: Der Junge und das Seil
von

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Der Funkenstein

Der Funkenstein
 

Wie ein störrisches Pferd stemmte ich mich gegen den Zug, drückte die Fersen tief in die weiche Erde und versuchte die Hand wegzudrücken, die mich immer stärker zum Wasser zog. Meine Zehenspitzen berührten gerade das kalte Nass, als der Mann sich umdrehte und in einem ärgerlichen Ton befahl, ich solle mich nicht

so sträuben. Obwohl dieser Befehl so scharf war, dass ich fast ohne Willen nachgegeben hätte, stemmte ich mich dennoch dagegen. Dieser Kerl war verrückt! Er wollte sich wohl ertränken und mich gleich mit! In voller Kleidung stand er bereits knöcheltief im Wasser und zerrte mich zentimeterweise weiter mit sich. Ich schrie, er solle mich loslassen, aber sein Griff wurde nur noch fester, so dass es jetzt wirklich weh tat.
 

"Lasst mich los, bitte! Ich will nicht! Ihr seid ja verrückt!! Eure Kleidung!.. Aua!!" schrie ich und der Mann machte einen Schritt zur Seite. Gleichzeitig zerrte er mich zur anderen Seite, dass ich das Gleichgewicht verlor und im Wasser landete. Seine Hand hielt noch immer meinen Arm festgepackt und ich schrie jetzt vor Schmerz, da ich mir beim Sturz den Arm überdrehte. Doch der Fremde störte sich nicht daran, er zog mich unsanft nach oben und lief ungerührt

weiter in den See. Ich konnte nur noch hinter ihm herstolpern und immer wieder beschwören, mich doch laufen zu lassen.

"Sei endlich still! Und heul nicht wie ein kleines Kind! Ich habe doch gesagt, dass dir nichts passiert!" donnerte er und schliesslich ergab ich mich meinem Schicksal und schritt immer weiter in den See. Zum Glück war er nicht ganz so kalt, wie ich vermutet hatte, aber es reichte, um mir gehörig die Zähne klappern zu lassen.

"Kannst du schwimmen?"
 

Wenigstens konnte ich das. Wenn dieser Verrückte schon ertrinken wollte, würde ich zumindest davonkommen. Aber entgegen meiner Vermutung kam er sehr gut zurecht im Wasser, seine Kleider störten ihn nicht im Mindesten beim Schwimmen. Er schwamm etwa zur Mitte des Sees und sah immer wieder zurück, aufdass ich ihm auch ja folgte.
 

Mit der Zeit wurde mir auch wärmer und da ich sowieso nicht viel Kleider am Leib hatte, behinderten sie mich auch nicht beim Schwimmen. Über die Nasenspitze hinaus sah ich jetzt noch viel mehr Glühwürmchen, die auch gelegentlich um mich herumschwirrten. Was wollte dieser Kerl mitten in der Nacht in einem See?!
 

"Kannst du tauchen?" Verwirrt nickte ich auf diese Frage und er nickte zurück. Gleich darauf war er unter der Wasseroberfläche verschwunden. Zurück blieb bewegtes Wasser, das sich noch etwas von den aufsteigenden Luftbläschen kräuselte. Für mich eine gute Gelegenheit, um zu verschwinden. Aber ich wusste nicht, was der Fremde mit mir machen würde, falls ich einen Fluchtversuch unternehmen würde und er mich doch noch erwischte. Ich erinnerte mich an die Szene im Wald, als er völlig unerwartet neben mir aufgetaucht war und entschied, mir anzusehen, was der Mann dort unten wollte. Wenn er dann Ruhe geben würde, war mir das recht. Also holte ich tief Luft und tauchte unter.
 

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Je tiefer ich mich nach unten stieß, desto heller wurde es. Ich riss die Augen auf vor Unglauben, als ich das erste Glühwürmchen unter Wasser sah, das zu mir heraufschwirrte. Fast hätte ich die gesamte Luft auf einmal aus den Lungen gelassen. Das leuchtende Ding war gar kein Glühwürmchen! Es tanzte vor meinen Augen, als wollte es mit mir spielen, aber es war kein kleines Insekt, es war einfach nur.. ein leuchtendes.. Leuchten! Ein kleiner Funke, aber unter Wasser! Es wirbelte um mich herum, ich drehte mich, weil ich es nicht aus den Augen lassen wollte, aber da war es weg. Ich stieß nach oben, holte wieder Luft und war sofort wieder auf dem Weg nach unten. Noch mehr Glühwürmchen, die keine waren. Es wurden immer mehr, je tiefer ich tauchte und immer heller wurde es. Und ich tauchte tiefer und tiefer, eingehüllt von einem kleinen Schwarm Funken.
 

Ich hätte längst wieder auftauchen müssen. Aber meine Lungen waren immer noch voller Luft und so sank ich weiter, bis ich auf den Grund sehen konnte. Es war irrsinnig hell hier unten und ich fragte mich, wieso man das Licht nicht vom Ufer aus gesehen hatte. Vor dem Licht war ein großer Schleier und erst als er sich bewegte, erkannte ich, dass es die Kleider des Fremden waren. Er winkte mir zu, er hatte hier auf mich gewartet. Die ganze Zeit?! Musste er keine Luft holen? Aber ich merkte, dass ich ebenso noch kaum von der Luft verbraucht hatte, die ich beim Luftholen aufgeschnappt hatte.
 

Aber diese Luft stieg in diesem Moment in großen, silbrigen Blasen nach oben. Mein Mund stand offen und ich starrte dieses Wunder an. Auf dem Seegrund lag ein Stein, der leuchtete. Heller als alle Lampen, die ich kannte, fast so wie eine kleine Sonne. Und das war noch nicht das Schlimmste. Aus diesem Stein strömten Funken. Leuchtende kleine Mini-Sonnen, die ich noch vorhin für Glühwürmchen gehalten hatte. Hunderte.. nein Tausende! Sie waren überall, schwebten um den Stein oder flitzten durch das Wasser, an mir vorbei, um den Fremden herum.
 

Dieser fuchtelte nun ungeduldig mit der Hand, ich solle näherkommen. Völlig fasziniert gehorchte ich und behielt die ganze Zeit diesen Stein im Auge, auf dem die Funken tanzten wie leuchtende Schmetterlinge.
 

Und dann tat der Fremde etwas, das mir doch Angst machte. Er legte eine Hand auf den Stein und im selben Moment sprudelte eine ganze Wolke dieser Lichter aus dem Fels, ergoss sich wie ein Funkenregen auf den Mann und - verschwand in ihm! Entsetzt wich ich zurück und stob nach oben, doch er packte mich am Fuss und zerrte mich wieder nach unten. Ich zappelte und versuchte zu schreien, aber nur mit dem Ergebnis, dass mein Mund mit Wasser vollief und ein quäkender Laut

hervorbrach. Ich bekam Panik. Die Funken umschwirrten mich noch immer, doch ich beobachtete einen von ihnen. Er hüpfte mir über die Haut und glitt dann einfach hinein! Ich spürte nichts davon, aber es war der reinste Horror, das zu sehen. Ich schlug nach den Funken, aber sie sprühten nur um so zahlreicher um mich und schlüpften einer nach dem anderen in meinen Körper. Ich zappelte und trat, wollte so schnell wie möglich weg von hier, als mich etwas so wuchtig im Genick traf, dass ich kurzzeitig benommen war.
 

Und dann wurde es warm. Wunderbar warm, und weich.. wie ein Bett aus feinsten Daunenfedern. Wohlig schmiegte ich mich an diese seidige Oberfläche und wurde ganz entspannt. Nichts schmerzte mehr, eine kuschelige Wärme umfing mich und ich fühlte mich wohl wie schon lange nicht mehr.
 

Als ich wieder klar zu sehen begann, war alles hell um mich herum. Mein Nacken schmerzte dumpf und als ich mich bewegen wollte, wurde ich gewahr, dass mich der seltsame Mann mit dem Bauch auf den leuchtenden Stein drückte. Seltsamerweise ließ ich es geschehen, ohne mich zu wehren. Der Griff im Nacken lockerte sich etwas, die Wärme und Weichheit meiner Umgebung nahm sofort wiede zu. Ich konnte nur auf die Lichtpunkte starren, die wie ein warmer Sommerregen auf mich einprasselten, sie schienen vor Freude zu hüpfen und tanzen, bevor sie in meiner Haut verschwanden. Hunderte davon. Tausende. Ich hatte noch nie etwas so Schönes gesehen. So etwas Wundervolles gefühlt! Es fühlte sich an wie warmer Honig, es kitzelte etwas, es streichelte, es war einfach.. unbeschreiblich!
 

Ich konnte mich in diesem Moment nur freuen, über alles in meinem Leben. Meine Arbeit, die mir so gut gefiel, mein bester Freund Hallen, mein tolles Geschenk, die Natur und die Menschen um mich - alles war einfach wundervoll! Alle Ängste, alle Sorgen, die ich mir gemacht hatte waren einfach weggewischt. Ich konnte unter Wasser bleiben, ohne atmen zu müssen. Das kam mir in den Sinn und ich freute mich darüber. Ich war so unbeschreiblich glücklich. Nie wieder wollte ich

von hier weg.
 

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Prustend kam ich an die Oberfläche zurück und schüttelte den Arm ab, der mich hinaufgezerrt hatte. Sofort wollte ich wieder nach unten tauchen, als mich eine wohlbekannte Hand im Genick packte.

"Das reicht für heute! Verstanden? Das reicht! Los, raus hier!"

Seltsam weggetreten ließ ich mich von dem Fremden aus dem Wasser ziehen. Ich konnte nur noch an diesen wunderbaren Stein denken mit diesen herrlichen Funken. Selbst jetzt sah ich sie noch, denn zwei von ihnen spielten über der Wasseroberfläche miteinander. Diese wundervollen Funken..
 

Der Schlag tat nicht so sehr weh, wie ich gedacht hatte, aber mein Kiefer protestierte trotzdem über diese harte Behandlung. Der Fremde schimpfte mich böse, aber ich hörte nur mit halbem Ohr hin. Mein Inneres war völlig durcheinander. Ich wusste gar nicht mehr, was ich denken sollte. Und was war eigentlich passiert? Irgendwas lief hier völlig schief. Ich lag auf dem Waldboden und hielt mir meine Backe, die nicht das kleinste Bisschen mehr wehtat. Der Fremde stand daneben und murmelte etwas, das ich nicht verstand.
 

Merkwürdig war auch, dass mir nicht kalt war, obwohl ich erbärmlich frieren müsste, so nass ich war und so kühl es heute Nacht sein musste. Aber ich fror nicht, eher noch war mir angenehm warm. Hatte ich wohl Fieber?

Oder lag das an den Funken..?
 

"Steh auf. Wir gehen zurück."

Ich beeilte mich, ihm zu folgen, denn ich wollte nicht noch einmal seine schlagende Hand abbekommen. Zu meiner weiteren Überraschung hatte ich jetzt nicht mehr die geringste Mühe, dem Mann zu folgen. Meine Füße spürten keinen Schmerz, als ich durch die Dornen trat, die Müdigkeit war wie weggeblasen. Schon nach ein paar Minuten waren wir aus dem Wald, obwohl der Hinweg unendlich viel länger gedauert hatte. Bevor wir jedoch zum Fluss traten, hielt der Mann auf einer kleinen Lichtung an.
 

"Hör zu. Ich werde dir jetzt einen Auftrag geben." begann er und bedeutete mir, mich zu setzen. Er selbst ließ sich ebenso nieder und legte die Hände aufeinander.

"Und hör genau zu, ich werde es nicht noch einmal wiederholen. Ab heute wirst du jede Nacht zu diesem See gehen. Du wirst nach unten tauchen und den Stein berühren. Und dann gehst du zurück und wirst weben."

Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen. Ich sollte jede Nacht da runtertauchen? Und danach nach Hause gehen und weben?! Was sollte das denn?

"Du wirst mir einen Stoff weben aus dem Garn, das ich dir geben werde. So, wie du es immer tust, verstanden? Mein Garn und deine Webkunst. Doch weben darfst du nur nachts. Jede Nacht und erst nachdem du im See warst! Und das Wichtigste - niemand darf etwas davon wissen. Weder von dem See und dem Stein, noch von meinem Auftrag. Du wirst in der kleinen Hütte am Stadtrand weben, ich habe einen Webstuhl hinbringen lassen. Und immer nur bis Sonnenaufgang. Verstanden?"
 

Ich war wie vor den Kopf gestoßen. Jede Nacht? An einem Webstuhl in der alten Wächterhütte? Dieser Mann wollte mich wohl zum Narren halten. Aber seit dieser Erfahrung im See, begann ich etwas aufgeschlossener zu werden, was seltsame Ereignisse betraf.

"Aber.. Herr.. ich muss doch auch irgendwann schlafen.." versuchte ich, ihn zu überzeugen, dass dies niemals funktionieren konnte. Und jede Nacht zu diesem See? Das konnte er unmöglich von mir verlangen!
 

"Sag, mein Kleiner.. wie heißt du?" fragte er plötzlich sehr sanft und die ungewohnte Betonung ließ mich schon wieder unsicher werden.

"Nanik. Nanik Alluya, Herr"

"Nun Nanik. Bist du müde?" Die Frage war seltsam, aber ich bemerkte, dass meine Antwort schon die Antwort auf die eigentliche Frage war. Ich war hellwach und voller Energie, obwohl ich eine ganze Woche wie ein Esel geschuftet hatte und bis vor zwei Stunden noch tief und fest und vor allem sehr erschöpft geschlafen hatte.

"Nein, Herr.."

"Na siehst du. Und deshalb wirst du zuerst in den See gehen und danach für mich weben. Sonst funktioniert es nämlich nicht. Verstanden?"

"Herr.. wenn ich fragen darf.. was waren das für Lichtfunken?"

"Das ist Magie, Nanik. Meine Magie. Ich habe sie dort unten versteckt. Nur für dich. Damit du für mich weben kannst. Deshalb darf auch niemand etwas von diesem See erfahren, hast du gehört? Auch nicht deine besten Freunde oder dein Meister. Das bleibt unser Geheimnis."

"Ihr.. seid ein Magier?" Ich hatte noch nie einen leibhaftigen Magier getroffen. Das war unglaublich! Ein echter Magier.. und Magie! Ich hatte Magie in mir! Ich konnte es nicht fassen! Das erklärte alles Seltsame an diesem Mann. Ich schämte mich, dass ich nicht vorher darauf gekommen war. Der Magier musste mich wohl für

einen besonders dummen Jungen halten. Einen Magier nicht erkennen, wenn er vor einem steht! Oh, aber..
 

"Aber mein Meister hat euch gesehen! Und er wird fragen, was Ihr von mir wolltet! Er hat Euch sicher erkannt! Und das Garn.. hat er auch!"

"Du bist ein kluger Kopf, Nanik. Aber ich sorge schon dafür, dass dein Meister vergisst, was heute abend passiert ist. Er wird morgen aufwachen und sich an nichts mehr erinnern. Das Garn steht dort, wo ich es liegengelassen habe. Nimm es mit dir und trag es morgen Nacht zur alten Hütte. Verstanden? Du vergisst meinen Auftrag nicht. Und wenn du tust, was ich dir heute aufgetragen habe, dann wirst du eine tolle Belohnung bekommen."
 

Mein Gesicht muss Bände gesprochen haben, denn er lächelte und beantwortete meine stumme Frage mit einem Grinsen.

"Ich werde dir einen Wunsch erfüllen"



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