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Die Monochroniken

02 :: Der Junge und das Seil
von

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Der Fluch des Amuletts

Der Fluch des Amuletts
 

Tante Gilda hatte Wort gehalten. Am Morgen, also eine knappe Stunde später, holte sie mich und Hallen aus dem Bett zum Frühstück. Allerdings nur, weil sie sah, dass ich bereits wach war, Hallen hatte sich derart bewegt im Bett, dass ich immer wieder davon aufgewacht war. Zudem wollte die Müdigkeit nie lange anhalten. Und das Frühstück würde mir auch guttun. Ich ließ mir Zeit beim Anziehen und Hallen, der schneller fertig war und auf mich wartete, musterte mich lange.
 

"Mit dir stimmt was nicht, oder?" fragte er schließlich, als ich meine Füße in die durchgelaufenen Schuhe zwängte. Ich sah nicht auf, als ich meine Geschichte von gestern abend wiederholte, allerdings ohne das Theater, das ich bei Tante Gilda veranstaltet hatte. Hallen gab keinen Kommentar und so sah ich doch hoch, um in seinem Gesicht abzulesen, ob er das nun glaubte oder nicht. Er tat es natürlich nicht.
 

"Nanik.. hast du schonmal in den Spiegel geschaut? Du bist..." Er unterbrach sich und legte seine ebene Stirn in viele Falten, als suchte er angestrengt nach einem Wort, das passend für mich wäre. Ich wurde ärgerlich, als er nicht weitersprach und winkte ab. Konnte ja sein, dass ich etwas übermüdet aussah, immerhin hatte ich seit Tagen nicht mehr geschlafen. Aber es kam schließlich häufiger vor, dass einer von uns morgens noch ziemlich verpennt aussah. Trotzdem nahm ich mir vor, im Vorbeigehen einen Blick in den Spiegel zu werfen. Was ich aber dann vergaß. Mein Magen knurrte schon wieder wie ein wildes Tier.

Hallen wunderte sich wieder, als ich beim Frühstück wie gewohnt eine übermäßige Portion verdrückte und immer noch Brot und Käse in mich hineinschaufelte, als die anderen schon fertig waren mit Essen. Mein Onkel funkelte mich etwas mürrisch an, sagte aber kein einziges Wort und ich wusste, dass Tante Gilda ihren Wunsch durchgesetzt hatte, mich heute im Bett zu lassen, denn er drängte mich nicht beim Essen. Als die anderen dann aufstanden und sich zu ihren Arbeitsplätzen begaben, kaute ich gerade an meinen letzten paar Bissen Brot. Ich war gerade mal satt geworden, nicht überfressen. Unglaublich für meine Verhältnisse, ich hatte in den letzten paar Tagen so viel gegessen wie sonst in mehreren Wochen.
 

"Wie geht's dir, Nanik? Fühlst du dich ein bisschen besser? ... Am Besten gehst du sofort wieder ins Bett, du bist ganz blass!" Auf ihrem Gesicht stand die Sorge geschrieben und ich bemühte mich, nicht allzu kläglich dreinzuschauen, was aber nichts an ihrem Gesichtsausdruck änderte. Sie bestand weiterhin darauf, dass ich das Bett hüten sollte und wenn ich ehrlich war, kam mir das gerade recht. Bald schon darauf kuschelte ich mich ins warme Bett und freute mich auf einen sehr angenehmen, entspannenden Tag. Viel Schlaf, keine Arbeit, Ruhe und Entspannung. Leider fehlte mir ersteres, denn ich konnte nicht einschlafen. Hellwch lag ich im Bett und jedes Mal, wenn Tante Gilda zu mir hereinschaute, war sie besorgter, weil ich nicht tief und fest am Schlafen war. Sie dachte wohl, mich quälten wieder Alpträume. Beim letzten Besuch hatte sie eine heiße, lecker duftende Suppe hinterlassen, die ich sofort auflöffelte. Kaum zu glauben, dass ich schon wieder leichten Hunger verspürte.
 

Stunden später, zur Mittagszeit, schaute Hallen bei mir vorbei und wünschte mir eine gute Besserung. Er meinte auch, dass ich schon besser aussehe, als heute morgen. Er sagte das, als wäre ich ein alter Mann auf dem Sterbebett, der noch ein paar weitere Tage zu leben erwarten könnte. Als Hallen gegangen war um weiterzuarbeiten, stand ich auf, denn schlafen konnte ich sowieso nicht. Jetzt endlich kramte ich in der alten Kommode und holte einen Handspiegel heraus, den wir sonst nur benutzten, wenn wir uns fein machen mussten für einen hohen Besuch. Normalerweise scherten wir uns nicht sehr um verstrubbeltes Haar oder verknitterte Kleider, oder ob jemand von uns ein bisschen Kreide im Gesicht hatte. Jetzt aber ineressierte mich mein Aussehen doch. Und als ich mein Spiegelbild erblickte, hätte ich den Spiegel fast fallen gelassen.
 

Die Schatten unter meinen Augen waren so dunkel und so tief, dass ich glaubte einen Geist zu sehen. Obwohl hier drinnen gedämpftes Licht herrschte, konnte ich sehen, dass meine restliche Haut unnatürlich bleich war. Und irgendwie... Ich betastete meine Wangen und bemerkte, dass sie nicht mehr so weich waren wie sonst. Ich konnte sogar den Knochen sehen, der wie ein leichter Hügel aus meinem Gesicht ragte. Was war denn jetzt los? Hatte ich so sehr abgenommen? Ich sah an mir herunter und es kam mir wirklich vor, als hätte ich an Gewicht verloren. Aber das war doch unmöglich, so viel wie ich in letzter Zeit gefuttert hatte? Kein Wunder sorgte sich Tante Gilda so um mich..
 

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Langsam aber sicher wurde ich dann doch schläfriger. Ich vertrieb mir die Zeit solange mit Nachdenken. Hauptsächlich dachte ich daran, welche Abenteuer ich erleben könnte, wenn ich erst ein Magier wäre. Mit Kaleb, dem Magier auf Wanderschaft gehen. Menschen helfen, Unheil vernichten, Anerkennung bekommen. Oh ja, als Magier hatte man es in diesem Land sehr gut. Keiner würde es wagen einem Magier die Gastfreundschaft zu versagen, ein Magier konnte alles verlangen und würde es bekommen. Der Meister hätte ihm mit Freuden eine ganze Scheune unserer besten Stoffe überlassen, denn der Dank eines Magiers ist mit keinem weltlichen Besitz aufzuwiegen. Beliebt und bewundert, von Pöbel und Adel gleichermaßen! Wie toll musste es nur sein, sich alles zu schaffen, wozu man Lust hatte? Ich konnte die nächsten drei Nächte kaum erwarten. Kurz vor dem Abendessen verfiel ich in einen leichten Schlaf, Tante Gilda würde mich nach dem Abendessen wecken, wenn sie des Essen zu mir hochbringen würde. Und tatsächlich, als ich das nächste Mal aufwachte, sah ich in ihr rundes, zufriedenes Gesicht, das mich anlächelte.

"Na endlich bist du wach. Du hast bestimmt einen Bärenhunger! Ich hab dir extra die doppelte Portion hochgebracht!" Sie strich mir über den Kopf und sah bei Weitem nicht mehr so besorgt aus wie noch heute Mittag.
 

"Du hast dich prächtig erholt! Der Schlaf scheint dir wirklich gut getan zu haben. Aber jetzt iß, sonst wird es noch kalt!" Ich hatte wirklich großen Hunger, wenn er auch nicht mehr so stechend war wie letzte Nacht. Auch fühlte ich mich sehr viel besser. Meine Arme fühlten sich wieder kräftig an und Tante Gilde bestätigte, dass ich längst nicht mehr so blass aussah, wie vorher. Erfreut fing ich an zu essen, doch schon nach der Hälfte war ich schon fast zu satt. Ich würde den Rest aufheben und heute Nacht mit zum Webstuhl nehmen, falls ich wieder solch elendigen Hunger bekommen sollte.

"Oh, du bist endlich wach? Na so ein Glück ich hatte mir schon Sorgen gemacht!.. du siehst auch viel besser aus, Nanik!" Hal warf ein Bündel Stoff in die Ecke und setzte sich neben mich aufs Bett.

"So lange hab ich nicht geschlafen, ich lag die meiste Zeit wach.. Aber ich fühl mich trotzdem gut!" Es irritierte mich, dass Hal den Kopf energisch schüttelte und grinste.

"Natürlich hast du lange geschlafen! Eine Nacht und fast einen Tag lang. Tante Gilda meinte, dir würde der Schlaf sicher gut tun und dass dich keiner wecken sollte. Und wie man sieht, hat es dir wirklich nicht geschadet."

Ich war wie vom Donner gerührt. Was? Eine Nacht? Und einen Tag dazu?

"Aber.. ich bin doch.." Ein leiser Anflug von Panik mischte sich in meine Gedanken, die fieberhaft das Gehörte verarbeiteten. Ich hatte die Nacht verschlafen?! Die paar Minuten wie ich dachte, waren 24 Stunden gewesen?! Hal lachte ob meiner Verwirrung und ich starrte ihn an wie ein Geier. Wie.. konnten sie mir das antun?!
 

"Warum hat mich denn keiner geweckt?!" schrie ich so plötzlich, dass Hal erschrocken aufsprang. Sein Lachen verstummte jäh, als er sah, wie aufgeregt ich wurde und sofort aus dem Bett sprang. Ich lief zum Fenster und starrte hinaus. Die Sonne verschwand hinter einem milchigen Schleier, der über dem Horizont hing. Einen ganzen Tag! EINE NACHT!!! Ich hatte schon wieder eine Nacht verloren! Das könnte ich nie wieder aufholen!!

"Verflucht Hal!! Wieso hast du mich nicht geweckt?" fuhr ich meinen Freund an, der immer mehr Distanz zwischen uns legte und mich entsetzt anstarrte.

"Aber du warst so tief im Schlaf, wir dachten du brauchst das und... iiieeehhaa!!! Lass mich los! Aua!! Was ist denn los mit dir?! Du tust mir weh!!" Hallen schrie vor Angst, als ich mich voller Zorn auf ihn gestürzt hatte. Er wusste ja nicht, was er getan hatte! Vielleicht hatte er meinen größten Traum zerstört! Mein ganzes weiteres Leben! Die Chance, ein Magier zu werden! Und das nur, weil sie sich um meine Gesundheit sorgten, die ihnen doch sonst auch schnuppe gewesen war!
 

"Nein!! Das darf nicht wahr sein! Warum habt ihr das getan, das ist nicht fair!!" Ich war wie von Sinnen. Ich musste sofort los. Ich musste die verlorenen Nacht aufholen! Ich ließ Hallen los, der sofort zu Boden rutschte und nach hinten wegstob. So wie ich war, ohne Schuhe, ohne Essen rannte ich los.

"Nanik? Nanik!! Wo willst du hin?! Bleib hier, was ist denn los mit dir?"
 

[ # ]
 

Es war kaum halb dunkel und eine Weberin, die auf dem Heimweg war, sah mich an den Hofhäusern vorbeijagen und rief mir etwas nach, das ich aber ignorierte. Ich musste so schnell wie möglich zum See, so schnell wie möglich an den Webstuhl! Im Nachhinein verfluchte ich meine Hast, denn der stachlige, steinige Waldboden malträtierte meine Füße, bis sie so sehr schmerzten, dass es mir fast die Tränen in die Augen trieb. Aber ich rannte wieiter, bis meine Lunge so sehr stach, dass ich einige Minuten gehen musste. Völlig fertig kam ich an den See. Erst jetzt wurde mir das Ausmaß meiner Dummheit bewusst. Ohne Schuhe keine Schnürsenkel. Ich hatte heute abend keinerlei Absicherung. Ich musste es also schaffen, mich rechtzeitig vom Stein loszureißen. Alles oder nichts, das war es, was ich hier machte. Ich hätte mich wirklich ohrfeigen können! Und dann auch noch so unvorsichtig sein, loszulaufen, wenn es noch hell war. Die Weberin hatte gesehen, dass ich in Richtung Fluß gelaufen war. Wenn sie das meiner Tante erzählen würde... Tante Gilda würde sofort zum Fluß laufen um mich zu suchen und jeden Mann mitnehmen, den sie fassen konnte. Sie würde vielleicht denken, dass ich sie ebenso verlassen hätte wie ihre Söhne. Den Weg zum See würden sie wahrscheinlich schwerlich finden. Und wenn, wäre ich bis dahin schon längst an meinem Webstuhl. Die Magiefunken würden sie ganz sicher wie ich für Glühwürmchen halten.Trotzdem.. ein unnötiges Risiko! Sie würden heute nacht auf mich warten... mich vielleicht einsperren in der nächsten Nacht..
 

Mein Kopf war voller Panik. Trotzdem beeilte ich mich nun, in den See zu kommen. Es war kälter als sonst, mein Körper so erhitzt vom Laufen erteilte mir einen Kälteschock und ich musste ein paar Momente innehalten, um meinen hetzenden Puls zu beruhigen. Dann tauchte ich ab. Meine Schläfen pochten heftig, meine Lunge verlangte viel zu früh nach Luft. Nur mit Mühe schaffte ich es zum Stein, der mir in freudiger Erwartung eine ganze Wolke Magie entgegenschickte, um mein Unwohlsein zu mildern. Tatsächlich war es gleich schon viel angenehmer, meine Lunge beruhigte sich, das Pochen wurde leiser und verschwand schließlich. Meine brennenden Fußsohlen prickelten angenehm und nichts weiter blieb als ein warmes, weiches Gefühl. Ich drückte mich an den Stein und genoss diese unendliche Sanftheit und Wärme, die mich sofort erfüllte von Kopf bis zu den Zehen. Aber mein Kopf blieb klar. Noch konnte ich meine Gedanken unter Kontrolle halten, obwohl sie immer zuversichtlicher wurden. Das sanfte Fließen durch meinen Körper spürte ich schon bald nicht mehr. Alles wurde leicht, eine große Erleichterung machte sich in mir breit. Ich hatte keine Sorge. Die Arbeit würde ich mit Links schaffen und die Belohnung war mir gewiss. Aber ich war schon zu lange hier. Irgendwann sollte ich dann doch anfangen zu weben.
 

Mit diesem Gedanken riß ich mich widerstrebend los von dem Stein und trudelte zur Oberfläche. ich fühlte mich zum Bersten voll mit Energie. So viel, dass ich das Gefühl erst einmal verkraften musste. Ich glaubte, aus allen Nähten zu platzen. Hätte ich Zeit gehabt, ich hätte versucht ein paar Bäume auszureißen. Aber so verlegte ich mich auf etwas anderes - Laufen. Einem galoppierenden Pferd gleich preschte ich durch den Wald, in unglaublich kurzer Zeit war ich schon am Waldrand und musste mein Tempo scharf zurücknehmen und in Deckung gehen.

Fackeln loderten in der Nacht und erhellten das nahe Flußufer. Mindestens drei Leute liefen umher und schrien, einen davon hätte ich fast nicht gesehen, er kam so nah an mir vorbei durch die Büsche, dass ich mich hinter einen dichten Strauch ducken musste. Auch das noch! Meine Befürchtung hatte sich bestätigt. Die Weberin hatte gepetzt und nun suchte mich Tante Gilda, ich konnte ihr Rufen hören, das weiter flussabwärts zu uns herüberscholl. Ich wartete ungeduldig, bis der Suchende an mir weit genug vorbei war, dann schlich ich mich ungeheuer leise an ihm vorbei. Den anderen Fackelträgern auszuweichen, war nicht ganz so leicht, ich musste schliesslich eine ebene Fläche überqueren, die keinerlei Sichtschutz bot. Ich beschloss auf Risiko zu gehen und lief geräuschvoll aus dem Wald. Jemand rief zu mir herüber, ob ich etwas gefunden hätte. Ich bemühte mich, meine Stimme zu verändern, was ertaunlich gut klappte - ich hätte mich selbst fast nicht wiedererkannt!
 

"Nein, nichts! Und bei euch?"

"Auch nichts.. der arme Junge!"

"Ja.. ich werde weiter oben weitersuchen!"

"Schrei, wenn du was findest!"

"In Ordnung!"
 

Zum Glück war mein Gesprächspartner zu weit weg, als dass er mich erkannt hätte, der Lichtschein endete ein ganzes Stück vor mir. Ich hob kurz die Hand und machte mich auf den Weg zurück in die Stadt. Weiter oben fiel mir auf, wie gut diese List geklappt hatte. So etwas hätte ich mir sonst gar nicht zugetraut. Ich war, zugegeben, ein klein wenig stolz auf meine Leistung. Und nun ging ich auch etwas bedachter vor. Obwohl ich geradezu strotzte vor Energie, war ich dennoch sehr bedacht, so wenig Geräusche wie möglich dabei zu machen. Auch in der Stadt begegnete ich stellenweise dem ein oder anderen Suchtrupp, aber hier auszuweichen war deutlich leichter, ich musste mich lediglich hinter einer Hauswand verstecken oder in eine Gasse schlüpfen.
 

Am Stadtrand war niemand. Keiner kam auf den Gedanken mich so weit weg zu vermuten, was mir auch sehr gelegen kam. Ich rannte deshalb wieder ohne Rücksicht und war, kaum losgelaufen, auch schon am Ziel. Jetzt konnte ich meine Energie endlich ausleben. In Windeseile war der Rahmen gespannt und ich begann zu weben. Zuerst sehr langsam, das Schiffchen ging mir nicht so recht von der Hand, aber ich vermutete, dass es daran lag, dass ich eine Nacht ausgesetzt hatte. Trotzdem machte ich munter weiter. Aber nach ein paar weiteren Minuten erkannte ich, dass es nicht daran lag. Das Weben ging so schleppend, wie es mir normalerweise auf solch einem Webstuhl von der Hand gegangen wäre. Was machte ich falsch? Ich spürte doch die Magie in mir? Aber sie wollte nicht fließen, sie wollte nicht heraus. War ich doch zu lange an dem Funkenstein gewesen? War wieder etwas passiert, das mich jetzt behinderte, anstatt mir zu helfen? Oder lag es gar an diesem blöden alten Webstuhl?
 

Verärgert über diese Entwicklung hielt ich inne und wusste nicht wohin mit meiner Kraft. Ich schlug mit der flachen Hand gegen die Wand neben mir und erschrak, als beim Aufprall ein grellglühender Blitz aufzuckte und mit meinen Ärmel versengte. Meiner Hand aber war nichts geschehen. Magie! Das war Magie gewesen! Ich hatte gezaubert! Ich war so erregt von dieser Erkenntnis, dass ich fast meine Arbeit vergessen hätte. Aber es war einfach zu unglaublich! Ich hatte eine Blitz gezaubert! Mein erster Zauber... unglaublich! Dieses Gefühl machte mich ungeheuer stolz und ich schwor mir, nach der Arbeit weiterzuzaubern. Wenn es einmal klappte, dann funktionierte es auch noch öfter! Aber zuerst musste ich die Magie dazu bekommen, mit mir weiterzuweben. Was mir auch beim nächsten Versuch nicht gelang. Ich hätte beinahe den Rahmen zertrümmert vor Wut. Aber die Wut wurde schnell zur Verzweiflung. Irgendwas war hier verkehrt! Ich hatte doch Magie und konnte sie benutzen, also warum nicht an diesem vermaledeiten Webstuhl? Ich konnte doch keinen anderen nehmen! Und wieso sollte er jetzt auf einmal nicht mehr funktionierten?
 

Etwas knarrte hinter mir und ich erschrak zu Tode. Eine riesige Gestalt stand im Türrahmen und beobachtete mich mit funkelnden Augen. Ich stolperte zurück und fiel über den Stützbalken des Webstuhls, landete hinterrücks auf dem Hosenboden und rappelte mich sofort wieder auf. Aber die Gestalt war weg. Die Türe war zu. Mir fiel auf, dass die Tür kein einziges Mal geqietscht hatte, obwohl sie das jedesmal sehr ausgiebig zu tun pflegte, wenn ich sie öffnete oder schloß. Hatte ich mir das eingebildet?
 

Bevor ich mich allerdings vergewissern konnte, ob es jetzt Einbildung oder Wirklichkeit gewesen war, entdeckte ich etwas, das meine Aufmerksamkeit bannte. Unter dem Webstuhl, hinter den Stäben, also unsichtbar, wenn man direkt davorsaß, aber gut sichtbar, wenn man wie ich dahinter auf dem Boden lag, hing etwas, das hier nicht hingehörte. Jemand hatte hier etwas mit einer Schnur um den Balken gebunden. Ich griff danach, aber sobald sich meine Hand diesem Etwas näherte, glühte es auf und wurde so heiß, dass ich mir die Finger verbrannte, obgleich ich es nicht einmal angefasst hatte. Was war das? Noch ein Zauber? Ich holte die Kerze und hob sie so dicht es ging an dieses festgezurrte Ding. Es sah so aus wie ein Stückchen trockene Rinde, etwas verknorrt und verdreht. Als ich noch näher sah, wurde mir heiß und kalt gleichzeitig. Keine Rinde. Es war Hallen's Katzenzungen-Amulett.
 

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Ich versengte mir noch zwei Mal die Finger bei dem Versuch, das Amulett vom Webstuhl zu lösen. Mir war sofort klar, dass dieses Ding dafür verantwortlich war, dass ich nicht mehr weben konnte. Ich musste das Amulett loswerden. Ich wollte gar nicht daran denken, wie es dort hingekommen war. Hallen war also hier gewesen. Er hatte das Ding da unten hingebunden, um mich am Weben zu hindern. Aber warum? Woher wusste er, was er zu tun hatte? Woher wusste er überhaupt von dieser Hütte? Wahrscheinlich war er mir doch nachgeschlichen.. dieser elende Kerl! Und das wollte mein Freund sein? Warum hinderte er mich daran, meinen Auftrag zu erfüllen?! Neidisch war er, er gönnte mir nicht meinen freien Wunsch!

".. oh warte... wenn ich dich in die Finger bekomme, Hal!" zischte ich und wäre Hal jetzt hier gewesen, ich hätte ihm den Hals herum gedreht! Ich schlich zur Tür und riß sie mit einem Zug auf. Aber draußen war niemand. Auch entdeckte ich nicht Hallen, noch sonst jemanden, als ich um das Haus schlich. Ich war mit meinem Problem allein.
 

Wieder unter dem Webstuhl funkelte ich das Amulett böse an. Wer hätte gedacht, dass wirklich Magie in diesem albernen, ekelhaften Anhänger steckte? Dann war wohl dieser alte Tattergreis ein wirklicher Magier gewesen. Ein wirklicher Wahrsager? .. hatte er nicht über mich etwas gesagt? Naja.. wenn, dann hatte ich es vergessen. Tatsache war, dass dieser fremde Magier mein Feind war. Er wollte mich aufhalten. Wenn dieses seltsame Amulett wirklich magisch war, wer sagte dann, dass man es nicht mit Magie auch wieder lösen könnte?

Aber ich hatte keine Erfahrung, nicht mal die kleinste! Ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte, um dieses Teil vom Balken zu lösen, ich konnte nur ausprobieren. Und das tat ich auch. Ich versuchte krampfhaft, mich an vorhin zu erinnern, als ich diesen Blitz gemacht hatte. Meine Hand hatte da auch keinerlei Schmerz verspürt oder war angesengt worden. Wenn ich das wieder hinbekäme, so könnte ich vielleicht das Band lösen, ohne meine Finger zu verkohlen.

Ich brauchte länger als eine Stunde, um diesen Zufall zu wiederholen. Ich merkte mir ganz genau, was ich tat. Ich brauchte Wut. Ich musste sie auf ein Objekt lenken und mit aller Konzentration meine Gedanken einengen, bis sie nur noch in eine Richtung verliefen. Und dann zuschlagen. Ein weiterer Blitz verließ meine Finger und knallte gegen den Lehmboden, der daraufhin dampfte.
 

Meine Augen glänzten vor Aufregung. Ich sah meine Hände zittern. Aber trotzdem musste ich lächeln. Ich hatte es geschafft, ich konnte meine Magie kontrollieren! Diesmal würde ich es direkt an dem Amulett probieren. Es war nicht schwer, meinen Zorn auf diesen Anhänger zu lenken, der schliesslich der Grund für allen Ärger war! Viel schneller, als ich dachte zuckte der Blitz und ich erschrak dabei. Ein weiteres Mal, diesmal darauf bedacht, diesen Blitz nicht von meiner Hand zu lassen, gefangen zu halten. Ruhig, vorsichtig, mein Hass steigerte sich langsam. Meine Hand begann zu glühen. Ich zwang mich, nicht daran zu denken, sondern weiterzumachen und wahrlich, es funktionierte! Kleine Flämmchen züngelten von meiner Hand und als ich sie ausstreckte, das Amulett zu greifen, loderten sie auf! Ich fasste das Amulett, das grell glühte, ärgerlich und blendend strahlte, aber meine Hand fasste es, ich fühlte nicht mehr als ein Stich wie mit einer Nadel, riss an dem Anhänger, der sofort nachgab. Ich warf den Anhänger gleich zu Boden, wo er verglühte und nicht mehr zurückließ als ein winziges Stück verkohlter Haut.

Ich hatte es geschafft! Aber ich verschob meine Freude auf später, es drängte mich zum Weben. Und kaum saß ich diesmal auf dem Webstuhl, floß das alte, vertraute Gefühl. Das Schiffchen huschte, das Garn webte, meine Finger verwischten vor meinen Augen, so dass ich irgendwann gar nicht mehr hinsah.
 

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Ein leises Pochen drang in meinen Geist. Es fiel mir schwer, ihm zu folgen. Irgendwer rief einen Namen. War es mein Name? Er klang so seltsam. Ich wollte sehen, wer da rief, aber meine Augen ließen sich nicht öffnen. Das Dunkel wurde weicher und ich stellte mit einer seltsamen Ergebenheit fest, dass meine Augen schon offen waren. Das Dunkel wirbelte und ich fühlte, dass etwas mit meinem Körper geschah.

"Nanik! Nanik, komm zu dir! Wach auf, bitte!!" Ich kannte diese Stimme. Sie war hoch und schrill und bereitete mir augenblicklich Kopfschmerzen. Ich strengte meine Augen mehr an und aus dem finsteren Düster wurde nach und nach ein schwammiges Dämmerlicht. Hallen schüttelte mich wie irre und rief immer wieder nach meinem Namen. Ich wollte ihn anbrüllen, er sollte seine Klappe halten, aber meine Kehle machte nicht mit, sie war wie Sandpapier. Ich musste mich begnügen, mit den Augen zu rollen. Hallen hielt inne und senkte seine Stimme, wofür ich ihm auch sehr dankbar war. Allmählich erkannte ich die Umgebung wieder. Ich lag auf dem Boden der alten Hütte, neben mir der Webstuhl. Hallen bemühte sich gerade, mich etwas aufzusetzen. Jeder Zug war wie, als ob er mir meine Glieder ausreiße. Ich stieß ihn beiseite und stützte mich auf die Arme. Sie klappten sofort ein und ein gequälter Schrei kam über meine Lippen.

"Nicht! Bleib liegen! Nanik, du... es ist etwas Furchtbares passiert! Du musst etwas trinken, schnell!" Er hielt mir eine Schüssel Wasser vor's Gesicht. Trinken. Wasser. Ich riss es ihm aus der Hand und schüttete das Wasser gierig in meinen Mund, meine Lippen brannten, meine Kehle juckte. Wieder versuchte er mich hochzuziehen, aber diesmal konnte ich mich besser verständlich machen.

"Nimm die Finger weg!! Lass mich in Ruhe!!" schrie ich ihm entgegen, aber er zog weiter an mir, drückte mich gegen den Webstuhl und griff nach der Schale, um weiter Wasser einzufüllen. Ich sah ihn mit brennenden Augen an. Sein Gesicht war vor Angst und Entsetzen verzerrt, sein Körper zitterte ununterbrochen. Er verschüttete die Hälfte des Wassers beim Eingießen und wagte nicht, mir ins Gesicht zu sehen. Ich spürte selbst, dass etwas nicht in Ordnung war. Mein Körper fühlte sich hart und unangenehm an, steif und kalt. Meine Arme ließen sich kaum heben, kaum konnte ich mich darauf stemmen, um mich bequemer hinzusetzen. Hallen drückte mir hastig die Schale in die Hand, ich sah, dass sie voller Blut war. Noch während ich in gierigen Zügen das Wasser einsog und das Stechen meines Magens alles bisher dagewesene überbot, fiel mein fahriger Blick an den Webstuhl. Der Stoff lag schimmernd und seidig-weich in der Ablage. Ich hatte ein wahnsinniges Pensum geschafft! Ich hatte die verlorene Nacht fast eingeholt, kein einziger Fehler war zu sehen. Und doch fiel mein Blick auf das kleine, verkohlte Etwas, das nicht weit neben mir auf dem Boden lag.
 

"Du... du Verräter! Du gemeine, kleine Ratte!! Wegen dir bin ich nicht so weit gekommen! verfluchter Bastard!!!" kreischte ich und rappelte mich auf, soweit es meine Schwäche in allen Gliedern erlaubte. Hallen rutschte in Panik vor mir davon, ich warf mit der Wasserschale nach diesem verfluchten Hund und wurde nur noch zorniger, als er daraufhin schrie.

"Nanik!! Bitte hör auf, du bist ja ganz irre! Merkst du nicht, was das Ding aus dir gemacht hat?!" Unbändiger Zorn, gebündelt und geleitet auf einen einzigen Punkt...

"Arrrgh!!!" Der Schmerz zerriß in meiner Hand und kletterte rasend schnell den Arm hinauf. Bevor das Feuer sich durch den Stoff gefressen hatte, wurde es erstickt. Der Schmerz in meinem Arm machte mich rasend. Ich zerrte und trat, schlug so lange auf den weichen Körper ein, bis er mit einem quälenden Laut von mir rollte. Hallen hustete verkrampft und seine Augen waren nass, als er wieder zu mir aufsah. Ich hatte mich auf die Beine gestellt, sie waren schwächlich und ich musste mich am Webstuhl festklammern, um nicht einzuknicken.

"Verschwinde! VERSCHWINDE!! Na los!! Sonst..!!"

"Nanik, komm doch zu dir!" Hallen atmete schwer, ich hatte ihm wohl mit meinen Tritten eine Rippe zertrümmert. Er versuchte aufzustehen, umklammerte dann jedoch seinen Brustkorb. Ich konnte dabei zusehen, wie der Schmerz in seinem Oberkörper zunahm.

"Sieh doch, was du hier tust! Ich.. ich wollte dir doch nur helfen! Der Wahrsager hatte recht! Er meinte, du würdest in Lebensgefahr sein!"

"Du.. hast auf diesen dreckigen Marktnarren gehört?! Ich webe hier, verflucht!!! Dein verdammter Neid hätte mich fast um den Auftrag gebracht!!" Schon allein der Gedanke daran machte mich so wütend, dass ich Lust bekam, gleich noch einmal zuzutreten, dieses Mal in sein schönes, hässliches Gesicht, mit dem er mich so flehend anschaute, dieser verlogene Hurensohn!!

"Der Auftrag bringt dich um!" heulte dieses Miststück und streckte mir den Taschenspiegel zu, den er mitgebracht hatte. "Schau, was diese Arbeit mit dir gemacht hat!"

Ich zertrat den Spiegel auf seiner Handfläche. Er schrie wie am Spieß und heulte dann wie ein kleines Kind. Dieser Narr! Wenn ich die Macht dazu hätte, ich würde ihn in einen mickrigen Wurm verzaubern! Oder in eine Schlange, eine hinterhältige, verdorbene Schlange! Nur sein Neid war größer als seine Angst! Wenn ich erst Magier wäre, würde er seinen Dank schon noch bekommen!
 

Ich fühlte meinen unbändigen Hunger immer deutlicher. Auch der Durst meldete sich erneut. Ich ließ diese Mißgeburt nicht aus den Augen, als ich seine Sachen durchwühlte. Er hatte Brot dabei, Käse und ein Stück Wurst, drei Äpfel und Birnen. Sofort stopfte ich alles in mich hinein, während Hallen mich aus entsetzt geweiteten Augen dabei beobachtete. Hielt sich seine blutende Hand an den zitternden Leib. Er durfte nicht gehen. Er würde Tante Gilda holen und den Onkel. Und noch mehr Menschen. Sie würden mich nicht weiterweben lassen. Hallen musste hierbleiben. Nein, nicht hier, er würde schreien und die Hütte stand zu nah noch an der Straße. Den ersten Hunger gestillt fixierte ich Hallen, der es zu seinem Glück nicht wagte, noch etwas zu sagen. Schlange. Der Morgen stieg milchig über die Berge. Hunger. Durst. Kraft. Ich wollte meine Kraft wiederhaben. Ich musste zurück in den See. Ich konnte nicht bis heute abend warten! Und Hallen? Sie würden ihn ganz sicher auch vermissen. Und suchen. Ich konnte ihn nicht mitnehmen. Also würde er hierbleiben, bis ich wissen würde, was ich mit ihm machen sollte.
 

"Los, geh! Verschwinde, und komm niemals wieder!!" schrie ich Hallen an, der zögerte, sich dann zu besinnen schien und schnell zur Tür rutschte. Kaum war die Tür auf und Hallen drehte sich um, griff ich nach dem Webstuhl und warf ihn unter Aufbringung jeglicher Kräfte nach dem Verräter. Es krachte, der Stuhl traf Hallen an der rechten Schulter, der Körper kippte mit einem Schmerzensschrei nach vorne, es polterte, als der helle Kopf gegen den Türrahmen prallte. Fast anmutig fiel der Rest von ihm auf den Boden und blieb dort regungslos liegen. Ich atmete heftig, nicht nur wegen der Anstrengung. Im Nachhinein tat es mir fast leid. Selbst wenn Hallen eifersüchtig gewesen war, es war hart, ihn so zu behandeln. Immerhin war er jahrelang mein Freund gewesen. Ich hoffte, dass er nicht zu heftig getroffen worden war und dass ausser einer Beule nichts davon bleiben würde. Was musste er sich auch in Dinge einmischen, die ihn nichts angingen?
 

Mühselig zog ich Hallen wieder in die Hütte zurück und zog ihm das Hemd über den Kopf. Ich zerriss es in kleine Streifen und band ihn an den Händen zusammen. Die wiederrum zurrte ich an den hinteren Teil des Webstuhls, wo er nichts anstellen konnte, sollte er wach werden. Mit dem Rest formte ich einen Ballen und drückte ihm Hallen in den Mund. Ein Band drumherum und niemand würde ihn hier hören. Ich sah ihn mir noch einmal genauer an, konnte aber kein Blut ausmachen. Vorsichtig stand ich auf und musste meine ganzen Kräfte zusammennehmen. Hunger. Durst. Kraft.
 

Ohne noch einmal zurückzublicken machte ich mich auf den Weg zum See.



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