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Jacques II Literatur, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Jacques ist Schriftsteller, seine Freundin Kinderärztin.

Abends erzählt sie mir, welcher ihrer Patienten an diesem Tag in ihren Armen gestorben ist. Sie ist aufgewühlt und ich weiß nicht, was ich tun soll, um sie von der Last ihres Schmerzes zu befreien.
"Vielleicht solltest du dir einen anderen Beruf suchen", sage ich, nachdem sie wegen des Todes eines epileptischen Kindes die ganze Nacht geweint hat.
Diesen Satz verzeiht sie mir nie.
"Es ist einfach, den Leuten zu helfen, ohne sie zu sehen, zu berühren oder direkt mit ihnen zu reden. Es ist einfach, es ist bequem, es ist ungefährlich!"
"Du willst doch wohl nicht, dass ich mich zu jedem meiner Leser setze und mit ihm diskutiere?"
"Doch, genau das sollst du tun! Du hast dir diesen Job ausgesucht, um vor der Welt zu fliehen. Mit wem hast du denn schon zu tun, verbarrikadiert in deinem Zimmer, immer nur vor dem Computer? Mit deinem Verleger? Mit deinen wenigen Freunden? Das ist doch nicht die Welt. Du lebst in einer Fantasiewelt, einem kindlichen Universum, das nur in deinem Kopf existiert, egal was, Hauptsache, du musst nicht erwachsen werden. Aber eines Tages wird die wirkliche Welt dich einholen, meine Welt, die, in der ich mich mit meinen Kranken, meinen Deprimierten, meinen Gedemütigten herumschlage. Mit deinen Büchern wirst du nie etwas an dem Elend, dem Hunger und den Kriegen ändern."
Mir gehen Fragen durch den Kopf. Ist mein Beruf wirklich unmoralisch?
Um mich wieder ins Gleichgewicht zu bringen, gehe ich am Abend ins Kino und sehe mir genau die Art von Film an, die ich normalerweise hasse wie die Pest. Dort wird lang und breit all das gezeigt: Arme, Kranke, vom Schicksal Geschlagene und Leute, die sich gegenseitig umbringen. Wenn das die Realität ist, dann ziehe ich das Kino in meinem Kopf vor.
Die Worte wirken mit Verspätung. Ich kann nicht mehr schreiben. Ich bin ein Perverser, der Spaß daran hat, verrückte Geschichten zu verfassen, während die ganze Welt leidet. Soll ich mich jetzt den "Ärzten ohne Grenzen" anschließen? Durch Afrika laufen und jedes Kind impfen, das mir unter die Nase kommt? Ich spüre in mir Anfänge einer Alles-sinnlos-Krise. Bewährtes Mittel dagegen: mich im Klo einschließen und Bilanz ziehen. Ist es eine Schreibblockade? Ist es die Verzweiflung, nicht allen Geplagten auf diesem Planeten helfen zu können? Ist es die Hilflosigkeit, Tyrannen und Ausbeutern gegenüber machtlos zu sein?
Ich reiße mich am Riemen, schicke einen Scheck an eine karitative Organisation und setze mich wieder an den Schreibtisch. Ich liebe das Schreiben so sehr, dass ich sogar bereit bin, dafür zu bezahlen, dass ich mich ihm in Ruhe widmen kann.

"Im Reich der Engel" von Bernard Werber



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