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Buchvorstellung: Deutschland schafft sich ab Buchvorstellung, Umfrage

Autor:  halfJack

Thilo Sarrazin
Deutschland schafft sich ab

Zwischen meinen Unterlagen habe ich plötzlich den vor langer Zeit gesuchten Entwurf zu dem nun folgenden Weblogeintrag gefunden. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben, dieses Blatt Papier mit den in Bleistift hingekritzelten kleinen Buchstaben in engen Zeilen überhaupt noch zu finden. Mir war die Lust vergangen, noch einmal aufzuschreiben, was ich damals über dieses Buch von Sarrazin beim Lesen dachte. Dabei wollte ich doch schon längst einen ergänzenden Weblogeintrag schreiben, in welchen ich die vor anderthalb Jahren gestartete Umfrage einbetten kann.
Nun gut, ich werde mich wohl damit begnügen, diese Notizen einfach nur noch abzutippen, obwohl das Thema mittlerweile verjährt ist. Vielleicht ist es ganz gut, dass es nicht mehr aktuell ist und sich deshalb niemand mehr dafür interessiert, dann muss ich mich wenigstens nicht mit intellektuellen Diskussionen herumschlagen.

 

 

Deutschland schafft sich ab: Was haltet ihr von Thilo Sarrazin?
Nach der Veröffentlichung von "Deutschland schafft sich ab" wurde in den Medien eine ganze Weile nur über die umstrittenen Meinungen Thilo Sarrazins zur Migration und allgemeinen Lage in Deutschland berichtet. Jeder schien dazu eine Meinung zu vertreten, obwohl die wenigsten sein Buch gelesen haben. Mich würde interessieren, wie hier, auf einer an der Jugendpopularität orientierten Seite wie Animexx, darüber gedacht wird.
Die Umfrage ist beendet

 


1. Zukunftsaussicht
Thilo Sarrazin nutzt Statistiken, verzeichnete Tendenzen von Entwicklungen und bloße Mutmaßungen, um zu skizzieren, wie es seiner Meinung nach mit Deutschland weitergehen wird. Die Annahme, dass die deutsche Bevölkerung aussterben würde, halte ich allerdings für völlig absurd. Das ist im Folgenden zwar ziemlich hart ausgedrückt, aber nicht einmal die Nationalsozialisten haben es "geschafft", eine Menschenkultur auszulöschen, obwohl ihre Maßnahmen weit effizienter waren als die angebliche Bedrohung durch die Migration. Im Zuge der Globalisierung werden wir multikulturell. Wieso sollen wir alle Alarmglocken läuten, wenn Deutschland keineswegs ein Spitzenreiter dieser Multikultur ist?
Man kann demografische und andere Entwicklungen durchaus logisch fortführen, sogar zu einem vermuteten sozialen und wirtschaftlichen Resultat in der Zukunft. Vielleicht ist es in politischer Hinsicht sogar angebracht, derartige Erhebungen vorzunehmen, um die Notwendigkeit einer Reaktion auf negative Entwicklungen zu erkennen. Doch besonders als Historiker bin ich bei allen teleologischen Konzepten vorsichtig. In der Regel kommt es nämlich sowieso anders, als man denkt. Sarrazin hat sich bei der Reichweite seiner Zukunftsvoraussicht enorm weit aus dem Fenster gelehnt.

2. Standpunkt des Autors
Möglicherweise unbeabsichtigt unterstreicht Sarrazin manches Mal zu stark seinen eigenen Standpunkt, selbst wenn er an diesem Beispiel nur veranschaulichen möchte. An vielen Stellen wirkte dies wie eine Zurschaustellung seiner eigenen Person. Früher sei ja ohnehin alles besser gewesen, obgleich gerade hiermit auch ein jahrtausendealter Generationskonflikt zu Tage tritt. Wie gesagt, das betrifft nur seine Wirkung auf mich, weil ich das Gefühl hatte, er würde seinen eigenen Standpunkt und die persönlichen Erfahrungen überschätzen. Ein längerer Bericht über seine Kindheit trägt eben nicht zwangsläufig zum besseren Verständnis oder der Anschaulichkeit des Textes bei und wird somit überflüssig. Dennoch möchte ich mit dieser Kritik nicht das Bild vermitteln, Sarrazin spräche in diesem Buch die meiste Zeit nur von sich selbst. Dem ist nämlich nicht so, denn grundsätzlich hält sich solcherlei Berichterstattung in Grenzen.
Bei den Darstellungen kam mir jedoch immer wieder ein Gedanke: anders bedeutet nicht besser oder schlechter, sondern einfach nur anders. Es erscheint mir ungerechtfertigt, einen Zustand zu verteufeln, nur weil eine Veränderung eingetreten ist. Heute mögen manche Wege verschlossen sein, aber dafür eröffnen sich andere. Und damit bin ich bei einem Schwerpunkt von Sarrazins Buch...

3. Kritik an modernen Medien
Vielfach wird im Buch kritisiert, dass Kinder fernsehen oder Computerspiele spielen, anstatt zu lesen oder sich sportlich zu betätigen. Natürlich finde ich, dass diese Argumente ihre Berechtigung habe, aber trotzdem schließt das eine das andere nicht aus. Dahingehend wurde viel zu wenig differenziert, denn immerhin sind Filme und Videospiele meines Erachtens ebenso ein Kulturgut wie Bücher, auch wenn vielen Älteren diese Bezeichnung besonders im Bezug auf Videospiele vermutlich im Hals stecken bleibt. Auch Computerspiele können viel vermitteln, den Kopf trainieren und motorische Fähigkeiten fördern. In unserer technisierten Welt hat der Umgang mit modernen Medien ohnehin enorm an Bedeutung gewonnen. Natürlich ist stupides Konsumieren vor dem Fernseher keineswegs besser als das Lesen eines Buches. Aber besonders in einer stetig moderner werdenden Welt ist es wichtig, nicht allein auf die Medien der Vergangenheit zu verweisen, sondern die neuen Medien so aufzuarbeiten, dass sie zunehmend eine Bereicherung und keine Last mehr sind. Früher gingen Menschen ins Theater und wurden beim Lustspiel unterhalten, was den Gebildeten als stupide erscheinen mochte. Heute wird mit dem Theater fast ausschließlich ein kulturell wertvolles Gut verbunden. Früher begann man Groschenromane und Fortsetzungsromane in Zeitungen zu lesen und selbst zu verfassen; zum Beispiel lasen Frauen Romane, die von einigen (insbesondere männlichen) Schichten als Schund empfunden wurden. Heute kann man offenbar froh darüber sein, die Tendenz zu beobachten, dass solche Filme wie "Herr der Ringe", "Harry Potter" oder "Twilight" dazu geführt haben, dass Kinder und Jugendliche überhaupt zu Büchern greifen.
Es ist keinesfalls selbstverständlich, dass Eltern ihre Kinder in dieser Hinsicht unterstützen. Bedauerlicherweise werden Filme, Videospiele und Comics noch immer per se misstrauisch beäugt, wohingegen Bücher, egal welchen Inhalts, nahezu problemlos an jede Altersgruppe vergeben werden. Hierzu fällt mir eine in meinen Augen unglaubliche und lächerliche Geschichte ein: die Mutter meines Schwagers erlaubte ihrer noch minderjährigen Tochter "Die Tribute von Panem" zu lesen. Obwohl es in diesen Büchern relativ gewalttätig zugeht, ist das nicht einmal etwas, was ich kritisieren würde. Als besagte Tochter eines Tages jedoch mit dem ersten Teil von "Harry Potter" nach Hause kam, den sie sich von einem Klassenkameraden geliehen hatte, musste sie dieses Buch ungelesen wieder zurückgeben. Es wurde ihr verboten, "Harry Potter" zu lesen, weil darin angeblich "echte Zaubersprüche" vorkämen und Hexen schließlich die Boten des Teufels wären. Man muss bedenken, dass es sich hier um eine Familie aus einem kleinen Vorort in Louisiana handelt, deren Mitglieder wegen des christlichen Glaubens äußerst vorurteilsvoll geprägt sind und sogar die Evolutionstheorie für ausgemachten Unsinn halten, wie übrigens nicht wenige andere Amerikaner auch.

4. Fazit
Unter der Umfrage finden sich bei den Kommentaren noch Ergänzungen zu meiner Meinung, die ich hier nicht noch einmal aufgreife. Jetzt habe ich kaum etwas über die Migrantenpolitik geschrieben. Es ist durchaus interessant, dass Sarrazin manche Zusammenhänge durch Fakten darlegt. Meiner Meinung nach sollte man jedoch eindeutig beachten, dass "Deutschland schafft sich ab" weitaus weniger provokativ und heikel ist, als man das bei den ganzen Debatten und dem allgemeinen Aufbegehren der Öffentlichkeit hätte erwarten können. Ein paar Stellen sind versuchsweise extremer formuliert, wahrscheinlich um die Diskussion überhaupt erst einmal anzukurbeln. Möglicherweise hat man sich deshalb auch bei der Aufmachung des Buches der allseits bekannten drei Nazi-Farben bedient, um zusätzlich zu provozieren; ob diese Wahl jetzt so vorteilhaft war oder nicht, sei mal dahingestellt. Die Schwerpunktlegung und der Tonfall lassen "Deutschland schafft sich ab" oft so objektiv erscheinen wie eine Fotografie. Man sieht eben nur das, was der Beobachter einfängt und ins "rechte" Licht rückt.



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