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Dokumentarisches Theater: Punk DDR, Dokumentarisches Theater

Autor:  halfJack

Derzeit arbeite ich an einem Projekt fürs Museum, bei dem die Staatssicherheit der DDR unter dem Aspekt von Emotionen dargestellt werden soll: Angst, Scham und Ohnmacht. Inszeniert wird das ganze mit dokumentarischem Theater. In der Gruppe "Künstler" beschäftigen sich folgende Szenen mit dem Bereich Musik und Punk.

1. Version:

1.      Szene

A sitzt in einer unaufgeräumten Wohnung. B kommt herein.

A: „Die Bullen waren da und haben dich gesucht. Sie wollten wissen, wo du bist. Als wir gesagt haben, wissen wir nicht, sind sie wieder abgehauen.”

B: „Haben sie die Wohnung durchsucht?“

A: „Nein, aber die werden sicher wiederkommen.“

B: „Spätestens, sobald sie mich gegriffen haben. Dann ist es besser, sie werden die Texte nicht finden. Ich habe nicht genügend Durchschläge davon.“

A und B sammeln ein paar Blätter Papier vom Fussboden, A liest eines vor.

A: „‚Ich habe die Geschichte nicht gemacht
Und bin doch abgegrenzt und scharf bewacht
Sie sprechen vom Arbeiter- und Bauerstaat
Und vernichten ihre eigene Saat
Ich weiß nicht, hätte Marx geweint oder gelacht,
könnte er sehen, was ihr mit uns macht
Wir sind neugeboren in Trauer
Wir sind die Fehlgeburten der Mauer.‘1

...Das kann dir eine Menge Ärger einbringen.“

B faltet die Blätter zusammen und schiebt sie hinter die Bücher im Regal.

B: „Ärger habe ich auch so. Andauernd werden wir auf der Straße kontrolliert, werden von der Transportpolizei auf einem Bahnhof so lange festgehalten, bis unser Zug abgefahren ist, oder bekommen ein Verbot für öffentliche Plätze und ganze Stadtviertel ausgesprochen, wenn wir uns dort nur mit Freunden treffen. Ich darf praktisch nur noch die Strecke zwischen meiner Arbeitsstelle und meiner Wohnung benutzen. Willkürliche Festnahmen sind eine Alltäglichkeit, und obwohl der ständige Bullenstress auf die Dauer nervt, habe ich mich mittlerweile daran gewöhnt.“

A: „Die Bezeichnungen sind nicht korrekt, Genosse. Im Neusprech des Staatsapparats nennt man das anders. Ansammlungen von mehr als drei Personen können als 'Zusammenrottung' geahndet werden und die offizielle Form der Festnahme heißt 'Zuführung'.“

B: „Man kann ohne weiteres bis zu 24 Stunden lang auf irgendeiner Polizeistation 'zur Feststellung eines Sachverhaltes' zugeführt sein. Ich frage mich, wo ich die nächste Nacht wohl verbringen werde. Wieder im Hof eines Polizeireviers, festgeknotet an einem Fahnenmast?“

A: „Letztens wurde ich für zwölf Stunden in Polizeigewahrsam genommen, weil ich die Straße diagonal überquert habe. Die Polizisten haben mich mal wieder in eine Diskussion über mein 'unsozialistisches und dekadentes Aussehen' verwickelt, das aus schwarz gefärbten Haaren und Schnürstiefeln besteht. Ich habe aus der DDR-Verfassung zitiert, dass jeder aussehen darf, wie er will und es nicht auf das Aussehen ankommt, dann wies ich darauf hin, dass Margot Honecker, unsere Volksbildungsministerin und die Frau des Staatsratsvorsitzenden, sogar blau gefärbte Haare hat. Als ich die Genossen in Widersprüche verstrickte, kam der überzeugende Satz: 'Nun werden se nich noch frech!'“

B: „Den Satz müssen sie wohl in der Ausbildung wieder und wieder üben.“

A: „Wir fuhren auf irgendein Polizeirevier und ich musste mich dort ausziehen, damit meine Sachen genau überprüft werden konnten. Die haben jeden Zettel gründlich studiert und jede Kassette abgehört, während ich mehr oder weniger nackt daneben stand.“

B: „Wie krank muss ein System sein, damit es sich vor seiner Jugend fürchtet?“

 

2.      Szene

Zwei Personen sitzen Rücken an Rücken in einem leeren Raum. (Andere Version: Mehrere Personen sitzen durcheinander in einem leeren Raum, schauen einander nicht an.)

A: „Durch das permanente Agieren der Staatssicherheit fühlten wird uns von Anfang an umsorgt und umlagert. Unser erstes Konzert hatten wir mitgeschnitten, und die Aufnahmen wurden uns sofort geklaut. Heute weiß ich, wer es war, die wurden von einem Freund bei der Stasi abgeliefert. Wir waren fast umstellt. Wir haben versucht, das zu machen, woran wir Spaß hatten, und mit Texten nach unserem Gestus umzugehen. Und hinterher musste man schauen, was passierte, und notfalls seinen Arsch retten.“

B: „Das eigentlich Überraschende für uns war im Nachhinein, dass die Stasi direkt unter uns gewirkt hat, also aktive Macher in der Szene hatte. Wir hatten geglaubt, dass sich die peripheren Mantelträger um uns kümmern. Wir haben nicht gewusst, dass da Freunde und Kollegen involviert sind.“

A: „Einmal hatte ich ein Aha-Erlebnis, als die Stasi mir ganz detailliert Sachen erzählte, die kaum einer wusste. Aber ich war zu naiv zu erkennen, dass die eventuell von einem Freund kommen könnten. Ich dachte einfach nicht, dass die uns so nah stehende Leute haben.“

B: „Ich hab mich immer auf mein Gefühl verlassen. Die Paranoia war real und man musste sich irgendwie damit auseinandersetzen und darauf achten, mit wem man wie spricht.“

A: „Bei öffentlichen Konzerten war das eine richtig blöde Atmosphäre. Du hast gemerkt, die Stasi ist da und lauert nur darauf, die ganze Veranstaltung abzubrechen, bloß weil jemand auf die Bühne geht und da irgendwas von sich gibt, vielleicht sogar noch ein Instrument in die Hand nimmt. Du siehst von denen nichts, aber du spürst, dass du beobachtet wirst und dass da was läuft, hinter den Kulissen.“

B: „Warum hat man manche so sehr gefürchtet? Das Problem war der ‚Multiplikationsfaktor‘. Bei der einen Inszenierungen kommen, wenn immer ausverkauft ist, pro Jahr höchstens soundso viele Leute hin. Falls ein Gedichtband die Runde macht und weiterverschenkt wird, lesen das maximal soundso viele Leute. Das ist alles abschätzbar. Doch bei einer Szene, die irgendwo in einer Kneipe auftritt oder an einer Straßenecke oder beim Picknick im Wald, da kennen wir den Multiplikationsfaktor nicht.”

A: „Wenn möglich wollte der Staat dieses Potenzial einbuchten oder wegschicken. Unsere Leute wurden in den Westen abgeschoben, viele von ihnen nicht ganz freiwillig. Vor die Alternative gestellt, ‚Westen oder Knast‘, wählten sie lieber den Weg durch die Mauer. Einen Weg, den viele von ihnen von sich aus nicht gesucht hätten. Die erste Generation von ‚staatsfeindlichen Subjekten‘ in der DDR wurde so binnen kürzester Zeit nahezu gänzlich ‚zersetzt‘. Als ich nach meinem ‚Dienst an der Waffe‘ zurück durfte, stellte sich der Osten trostloser dar als zuvor. Zwei Drittel meines Freundeskreises waren nahezu spurlos verschwunden. Ich war allein.“

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1 Liedausschnitt von The Leistungsleichen

Nächste Bearbeitung:
1. Erzählte Situation mit Polizisten ausgliedern, zu eigener Szene schreiben
2. Emotionen klarer herausstellen, womöglich Kommentator eingliedern
3. Szene freier und mit weniger Text gestalten, Zeitzeugenaussagen einfügen und deutlich abgrenzen



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