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André Gide: Uns nährt die Erde Buchvorstellung, Zitatsammlung

Autor:  halfJack

"Mein Buch lehre dich: Mehr mit dir selbst als mit ihm dich zu beschäftigen - und mit allem anderen mehr als mit dir."

"Wahnwitzige Krankheiten gibt es:
Wen sie befallen, will, was er nicht hat.
-
Auch wir, sprachen sie, auch wir werden die klägliche Langeweile unserer Seelen erleben müssen!"

"Begehre niemals, Nathanael, die Wasser der Vergangenheit wieder zu kosten.
Nathanael, suche niemals, in der Zukunft die Vergangenheit wiederzufinden. Ergreife jedes Augenblickes unvergleichliche Neuheit und bereite dir nicht deine Freuden - wisse, dass am vorbereiteten Ort Freude anderer Art dich überraschen wird.
Wie konntest du nicht begreifen, dass alles Glück Begegnung ist und sich jeden Augenblick wie der Bettler am Wege vor dich hinstellt. Du Ärmster, wenn du wähnst, dein Glück sei tot, weil du nicht solcherart dein Glück dir erträumt hattest - und weil du's nicht annehmen willst, es entspreche denn jenem deinem Wunsche.
Lust bringt der Traum von morgen - aber die Lust von morgen ist eine andere -, und nichts zum Glück gleicht dem Traumbild, das man sich davon gemacht hat, denn neu und anders ist die Bedeutung eines jeden."

"Ich kann Gott so wenig Dank wissen dafür, dass er mich geschaffen hat, als ich es ihm nachtragen könnte, dass ich nicht wäre - wenn ich nicht wäre."

André Gide
Uns nährt die Erde

Eine langweilige Erzählung, in dreifacher Hinsicht. Erstens handelt sie von den Sinnesfreuden, vom Sinn des Lebens, von der Langeweile der Seele und Sinnlosigkeit des Daseins. Zweitens ist dieses Thema, ohne dass es eine fortschreitende Handlung neben all den Gedanken gäbe, sehr langwierig und auschweifend erzählt. Drittens liest sich das alles für mich auch ziemlich langweilig.
André Gide meint im Vorwort, sein Buch sei nicht gut aufgenommen oder überhaupt groß rezipiert worden. Offenbar hat sich kaum jemand anfangs dafür interessiert, was ich leider verstehen kann. Auf mich wirkt es zuerst wie eine Aneinanderreihung von pathetischen Gedanken, danach übergehend in Balladen, alles durchsetzt von Verweisen auf historische oder mythische Figuren, und irgendwann scheint es nur noch ein Reisebericht mit überquellenden Landschaftsbeschreibungen von Italien, Afrika, dem arabischen Raum zu sein. Irgendwo zwischen dem ganzen schwülstigen Gerede taucht immer wieder eine gegensätzlich deutbare Moral auf, mit der sich der Erzähler an Nathanael wendet, um sich selbst zu belehren und vielleicht auch diesem eine Richtung zu weisen. Beim Lesen wohnt man endlosen Ausschweifungen bei, doch betont Gide im Vorwort, dass sein Werk stattdessen ein "Lobpreis der Entsagung" sei. Also schauen wir nochmal genauer hin.

Die Erzählstruktur, die Thematiken, das Pathos, die Metaphern des Einstiegs erinnern alle ein wenig an Nietzsches Also sprach Zarathustra. Gide hat dieses Werk zum Zeitpunkt des Verfassens von Uns nährt die Erde nicht gekannt. Später jedoch verehrte er Nietzsche regelrecht und entdeckte im Zarathustra die gleichen grundlegenden Aussagen, die er selbst verdeutlichen wollte; obwohl er einräumt, Nietzsche sei das mit Zarathustra in absoluter Vollendung gelungen, im Gegensatz zu dem eher unausgereiften Jugendwerk von Gide. Wir haben hier demnach ein ähnliches Fundament und tatsächlich ähnelt sich auch der Stil am Anfang sehr, bloß dass Uns nährt die Erde ein religiöseres Vokabular und einen stärkeren Gottesbezug aufweist. Dieser Eindruck bzw. der Vergleich, den man hier ziehen könnte, verschwindet allerdings vollends, sobald es in den Reisebericht übergeht.

Man merkt Gide an, dass er all diese Orte, von denen er erzählt, selbst besucht hat; dass er sich offenbar Ausschweifungen hingab und diese Erinnerungen in seinem Werk festhielt. Hier ähnelt er eher jenen beiden französischen Autoren, die gern mit ihm auf einer Ebene genannt werden: Paul Valéry und Marcel Proust.
Bevor Gide Uns nährt die Erde schrieb, traf er in Algerien auf Oscar Wilde (in Begleitung von Alfred Douglas), der ihm offenbar die Scheu vor der Auslebung seiner homosexuellen Neigungen nahm. Das Büchlein Die Ringeltaube ist ein Resultat von Gides beginnender Offenheit mit diesem heiklen Thema. Man entdeckt diese Tendenzen auch in Uns nährt die Erde, einen freizügigeren Umgang mit dem Laster und der Achtsamkeit.
Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ist es schwierig, ausschließlich etwas Negatives in den beschriebenen Ausschweifungen zu sehen. Mir fiel beim Lesen zuerst der bekannte Auszug aus Henry David Thoreaus Walden ein: "Ich ging in die Wälder, denn ich wollte wohlüberlegt leben und nur den wesentlichsten Dingen des Lebens gegenüberstehen. Ich wollte versuchen, ob ich nicht seine Weisheiten empfangen könnte, damit ich nicht in der Todesstunde innewürde, dass ich gar nicht gelebt hatte. [...] Intensiv leben wollte ich, das Mark des Lebens in mich aufsaugen. Hart und spartanisch wollte ich leben, um alles auszurotten, was nicht Leben war [...]" Ähnlich wie bei Thoreau ist das absolute, wohlüberlegte Leben doppelt deutbar. In Walden ist es die Zurückgezogenheit, weltabgewandt und fern von allen Lastern; bei Uns nährt die Erde ist es das genaue Gegenteil, immer in Bewegung, immer in Kontakt mit verschiedenen Menschen. Beides scheint mir aber richtig zu sein, beides ist Bejahung und Auskosten des Lebens.

Getrübt wird dieser Eindruck von der stilistischen Gestaltung bei Gide. Die Metaphern sind sehr neuartig, klingen fremd, außergewöhnlich. Die Worte graben in "röchelnde Erde" und "Bäume schreien mit all ihren Blättern". Es gibt viele Widersprüche, in denen eigentlich positive Beschreibungen einen negativen Nachgeschmack erhalten. Das Blau des Himmels ist strahlend und frei und durchbohrt den durchscheinenden Leib. Das Lachen der Menschen lässt die Ohren ertauben. Ein zuckriger Geschmack von frischen roten Früchten krallt sich in den Rachen wie Säure. Der an einen Reisebericht erinnernde Text wird immer wieder von solchen Beschreibungen regelrecht zerschnitten. Gide spricht in seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe die Übersetzung an, die stark vom Französischen abweichen soll und daher mit neuen Bildern arbeitet, die nicht übertragbar waren. Er empfiehlt sogar, man solle für weitere Übersetzungen die deutsche Ausgabe zu Rate ziehen. Dieser widersprüchliche Stil zeigt am besten den negativen Ton der Ausschweifungen, die unter diesem Aspekt eher an Dorian Gray zu gemahnen scheinen.

Zum Schluss findet sich in dem letzten Hinweis an Nathanael eine Aufforderung, dieses Buch nun, nachdem man es gelesen hat, wegzuwerfen. Obwohl es ein paar interessante Aspekte hat, sollte man es vielleicht von Beginn an nicht in die Hand nehmen.



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