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Von der Banalität des Bösen Zitatsammlung

Autor:  halfJack

Der SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann war nach dem Ende des "Dritten Reiches" untergetaucht und Jahre später in einer spektakulären und nicht ganz legalen Aktion aus Argentinien entführt und in Israel 1961 vor Gericht gestellt worden. Hannah Arendt berichtete über diesen Prozess:

Gelegentlich bricht die Komik in das Grauen ein und bringt dann Geschichten hervor, an deren Wahrheit kaum zu zweifeln ist, deren makabere Lächerlichkeit aber alles übertrifft, was dem Surrealismus zu diesen Dingen je hätte einfallen können. Eine solche Geschichte erzählte Eichmann während des Polizeiverhörs über den Kommerzialrat Storfer aus Wien, einen der Vertreter der jüdischen Gemeinde, der, wie Eichmann meinte, ein ehrenwerter Mann, aber ein Pechvogel war. Eichmann hatte von Rudolf Höß, dem Kommandanten von Auschwitz, ein Telegramm bekommen, dass Storfer ins Lager eingeliefert worden sei und dringend verlangt habe, ihn zu sehen.

"Und da hab ich mir gesagt: Gut, der Mann war immer ordentlich gewesen, man hat die ganzen Jahre schließlich und endlich, er für sich und ich in meiner Zentralstelle, jeder am Strang gezogen. Das lohnt sich mir, da fahre ich hin, da wollen wir mal sehen, was da los ist. Und bin auf dem Wege zu Ebner [dem damaligen Leiter der Wiener Gestapo], und Ebner sagte mir - ich erinnere mich heute nur dunkel -: Ja, sagte er, hätte er sich nicht so ungeschickt benommen, hier hat er sich versteckt gehalten und wollte flüchten, oder irgendetwas war da gewesen. Da haben die Beamten zugegriffen, haben ihn eingesperrt, ins Konzentrationslager gesteckt, nach dem Reichsführerbefehl, wer drin war, durfte nicht wieder heraus. Konnte nichts gemacht werden, weder ein Dr. Ebner noch ich, noch irgendjemand konnte da etwas machen. Konnte nicht rauskommen. Ich fuhr nach Auschwitz und sage - besuchte, suchte Höß auf - und sagte: Hier sitzt Storfer ein - 'Ja, er wurde einem Arbeitsblock zugeteilt.' Dann ist er geholt worden. Storfer, ja, dann war es ein normales menschliches Treffen gewesen. Er hat mir sein Leid geklagt. Ich habe gesagt: 'Ja, mein lieber guter Storfer, was haben wir denn da für ein Pech gehabt?' und habe ihm auch gesagt: 'Schauen Sie, ich kann Ihnen wirklich gar nicht helfen, denn auf Befehl des Reichsführers kann keiner Sie herausnehmen. Ich kann Sie nicht herausnehmen, Dr. Ebner kann Sie nicht herausnehmen. Ich hörte, dass Sie hier eine Dummheit gemacht haben, dass Sie sich versteckt hielten oder türmen wollten, was Sie doch gar nicht notwendig gehabt haben.' [Hiermit meinte Eichmann, dass jüdische Funktionäre nicht deportiert wurden.] Aber ich weiß nicht mehr, was mir darauf gesagt wurde. Und dann sagte mir Storfer - sagte ich ihm, wie es ihm geht - sagte er: Ja, er möchte doch bitten, ob er nicht arbeiten brauchte, es wäre Schwerarbeit, und dann hab ich dann Höß gesagt: Arbeiten braucht Storfer nicht. Sagte Höß: Hier muss aber jeder arbeiten. Da sag ich: Gut, sage ich, ich werde eine Aktennotiz anlegen, sagte ich, dass Storfer hier mit dem Besen (vor der Kommandatur war ein Garten, eine Gartenanlage), mit dem Besen die Kieswege in Ordnung hält. So kleine Kieswege waren dort, und dass er das Recht hat, sich jederzeit mit dem Besen auf eine der Bänke zu setzen. Sage ich: Ist das recht, Herr Storfer? Passt Ihnen das? Da war er sehr erfreut, und wir gaben uns die Hand, und dann hat er den Besen bekommen und hat sich auf die Bank gesetzt. Das war für mich eine große innere Freude gewesen, dass ich den Mann, mit dem ich so lange Jahre, den ich so lange Jahre zumindest sah - und man sprach."

Sechs Wochen nach diesem "normalen, menschlichen Treffen" war Storfer tot - offenbar wurde er nicht vergast, sondern erschossen.

"Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen" von Hannah Arendt

Datum: 31.12.2020 16:04
Furchtbar, wir können nur hoffen das wir nicht eines Tages selbst eine solche Aussage machen.
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Datum: 25.01.2021 15:32
TR38
Ehrlich gesagt habe ich das auch schon gedacht. Adolf Eichmann war ein typischer Schreibtischtäter. Er hatte keine Waffe in der Hand, hat nicht geprügelt oder gefoltert, nicht mal auf einen Knopf gedrückt. Dennoch sind durch sein Tun unzählige Menschen ums Leben gekommen. Dieses Bewusstsein schien bei ihm nicht zu existieren.
Es ist zwar ein heftiger und unpassender Vergleich, wenn man das auf unsere heutige Zeit ummünzt, und überhaupt halte ich es für absolut unangebracht, ständig auf den Nationalsozialismus zu verweisen, obwohl es völlig unverhältnismäßig ist. Dennoch ist mir dieser Gedanke - "Wir können nur hoffen, dass wir nicht eines Tages selbst eine solche Aussage machen" - auch schon durch den Kopf gegangen, beispielsweise bei der Flüchtlingskrise und den zahlreichen Toten im Mittelmeer. Es wird bagatellisiert und weggeschaut. Natürlich stecken wir niemanden mehr aktiv in Gaskammern. Aber auch unter Wasser kann man schlecht atmen.


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