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Trauer

Autor:  hekari
Ich beschäftige mich mal wieder intensiv mit dem Tod.

Das liegt zum Einen daran, dass ich vorgestern unseren alten Hund habe einschläfern lassen, "einschläfern lassen" klingt so distanziert und human, aber Fakt ist: Ich habe ihn getötet, da führt kein Weg dran vorbei.

Unser vierzehn Jahre alter Dackelmischling, Mittelpunkt der Familie seit meiner Pubertät, hatte im letzten Jahr angefangen zu humpeln und im Herbst haben wir herausgefunden, dass er einen Tumor in der Schulter hat.
Bei so einen alten Hund ist es abzusehen, dass er die Narkose nicht verkraftet und wahrscheinlich hätte man das Geschwür nicht wirklich operieren können, die Aussichten waren schlecht. Doch unser "Alter Mann" hat sich ganz gut arrangiert. Täglich humpelte er noch mit meinem Opa durch den Ort und schien recht glücklich.
Um Weihnachten herum hat sich die Situation dann sehr schnell verschlechtert und die Familie hat angefangen, darüber nachzudenken, dass man eventuell an Einschläfern denken muss. Doch wer denkt schon gern zu Weihnachten daran ein Familienmitglied umzubringen.
Zu unser aller Erstaunen hat er sich auch wieder mal mit den erschwerten Bedingungen arrangiert. Doch wirklich gut ging es unserem Alten Mann wohl nicht. Tägliche Schmerztabletten und keine Spaziergänge mehr, waren für mich die Zeichen. Obwohl sein Zustand stagnierte, fand ich es schon nicht mehr wirklich schön, wie er so dahin humpelte und schwankte.
Dann kam jedoch der Egoismus. Ich bin im Februar für zwei Monate nach London geflogen zum Jobben in einer Computerspielefirma(Berichte werden wahrscheinlich noch nachgeliefert.)
Ich wollte einfach nicht mit den Gedanken fliegen, ich hätte ihn umgebracht. Also schob ich es wieder mal auf. Um ehrlich zu sein, hoffte ich schon seit letztem Jahr darauf, dass er im Schlaf von uns geht, bei dem Alter und er Größe des Tumors (inzwischen Tennisball groß) hatte er wahrscheinlich schon Metastasen in Lunge und Darm, ein allgemeines Organversagen ist da eigentliche fast vorprogrammiert. Aber den "Gefallen" hat er mir leider nicht getan.
Als ich letzte Woche aus London zurück kam, hat mich meine Mutter sofort um meine "fast tierärztliche" Meinung gefragt und schon hineingeflochten, dass es wohl auf Tötung hinausläuft. Der Tumor hatte jetzt schon fast Handballgröße.

Das letzte Wochenende war schlimm, weil die ganze Familie noch mal drüber gesprochen hat und es mir so vorkam, als würde man einen Mordkomplott stricken.
Montag war richtig grausam, in Gedanken zählte ich die Stunden, die ihm noch vergönnt sind. Am liebsten hätte ich es gleich nach dem Aufstehen hinter mich gebracht, nach einer schlaflosen Nacht. So zog sich der Tag hin bis zum späten Nachtmittag ...

Es ging ihn für so einen alten kranken Hund noch erstaunlich gut, er humpelte überall im Haus hin, treppauf treppab, sprang noch auf Betten und Sofa nur um ja beim Rudel zu sein, wedelte freudig mit dem Stummelschwänzchen und sah einen mit treuen Äuglein an. Man kam sich vor wie der letzte Meuchelmörder. Mein Vater hat es ganz gut beschrieben. All das war zwar noch da, doch der wirkliche Glanz, das Blitzen der Freude in seinen Augen, war in den letzten Wochen verschwunden. Die Freude war nur noch oberflächlich, darunter war Leid.
Hätte ich es nicht getan, wäre das reiner Egoismus gewesen. Die sogenannte emotionale Tierliebe, die mein Tierschutzprofessor immer beschrieben hat. Wir hätten den Alten Mann für uns und nicht für den Hund am Leben erhalten, und im Laufe dieses Jahres, wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit von uns gegangen, ich denke, spätestens wenn es wärmer wird, wäre sein Röcheln zu Atemnot geworden, auch Fressen ging nicht mehr sehr gut.
All das wäre Quälerei gewesen, und wir als Tierhalter haben die Verantwortung gegenüber denjenigen, die in unserem Schutz stehen, ihnen jegliches Leiden zu ersparen. So steht es im ersten Paragraphen des Tierschutzgesetzes. Wäre ich Montag nicht zu unserem Tierarzt gegangen, hätte ich mir großes Leid erspart, aber nicht unserem treuen lieben Hund.

Unser alter Dorftierarzt ist über siebzig und führt die Praxis nur noch nebenbei um sich nicht zu langweilen, Montags und Donnerstags machte er mal kurz zwei Stunden Sprechstunde.
Er kennt meine Familie gut und hat schon den Kälbern meines Urgroßvaters auf die Welt geholfen.
Er ist für mich ein Vorbild schlechthin, der Grund weshalb ich Tiermedizin studiert habe und ich schäme mich so vor ihm, es nicht geschafft zu haben.
Dieser Mann ist eine Unikum. In seinem Alter macht er jetzt noch einen Englischkurs an der Volkshochschule.
Was mich so sehr an ihm fasziniert ist, dass er kein Tier aufgibt. Immer will er noch irgendwas versuchen. Einschläfern hasst er. Ich habe so viele Doktoren und Professoren gesehen, die mit viel Distanz Euthanasien vorgenommen haben, dass ich unseren alten Tierarzt fast dafür liebe, dass er nach fünfzig Jahren Praxis und tausenden Euthanasien immer noch so viel Gefühl für die Tiere und die Besitzer aufbringt.
Dummer Weise war Montag sein Hof mal wieder voll mit Patientenbesitzern, so dass er mich wieder nach Hause geschickt hat(für Euthanasien braucht er Ruhe und toter Hund im Behandlungsraum wirkt schlecht auf das Image). Für mich war das psychologisch nicht grade der Aufschwung und der Alte Mann war auch angepisst vom Hin- und Hergetrage.

Wer auch immer schon mal dabei war, wenn sein Tier einschläfert wird, weiß wie das ist.
Das war mein drittes Tier, das ich getötet habe, außerhalb des Tiermedizinstudiums. Zwei davon Tiere mit denen ich mehr als fünf Jahre zusammengelebt habe. Das tut so weh.
Es ist schlimm, wenn sie auf einmal leblos und steif daliegen, (drei meiner eigenen Tiere sind zu Haus ohne Nachhelfen gestorben) man weint und muss die Reste beseitigen. Doch richtig schlimm ist es, sie im Arm zu halten, während man sie tötet. Wenn sie noch atmen, leben und warm sind. Dann sehen sie dich mit diesem wissenden Blick an... und dann...

Ich sage mir, es ist gut, dass er nicht mehr leiden muss. Aber ich glaube, wenn man ihm die Entscheidung überlassen hätte, er wäre lieber noch ein wenig länger mit der Familie zusammengewesen, denn das ist für einen Hund, auch für einen todkranken, das Wichtigste.









So eine Runde geflennt und jetzt zum zweiten Grund meiner Todesgedanken.


Als einzige Gaststätte im Dorf sind wir relativ häufig Ausrichter des Leichenschmaus', eben fast so häufig, wie Leute im Ort sterben, denn wenige richten das Essen nach der Beisetzung zu Hause aus. Warum auch? Ich würde mir das auch nicht antun. Um mein "häufig" zu relativieren, sag ich mal, etwa alle zwei Monate stirbt jemand. Das ist etwas viel, doch letztes Jahr sind sechs Leute gestorben, das benutz ich mal als Reverenz.
Meist sind es alte Leute, die man inzwischen, nach fünfzehn Jahren in diesem Ort fast alle persönlich kennt.
Für diese Trauerfeiern bieten wir die Räume, Kaffee, geschmackvolle schwarzsilberne Deko und Kuchen. Sehr häufig wünschen die Leute mehr zum Essen als nur Süßkram.
Nun ist einem nach so einer Beisetzung zumeist der Hals etwas zugeschürt und Hunger ist eines der entferntesten Gefühle welches mich dann befallen würde, ein Schweinebraten, Roulade oder ein üppiges Büffet sind da nicht das Richtige. Doch viele Beerdigungen sind kurz vor Mittag. Elf Uhr ist hier fast eine Standardzeit. Wenn die Leute also früh auf sind, sich eine Stunde kaltgesessen und -gestanden haben, emotional belastet sind, kommt ihnen tatsächlich eine Mahlzeit ganz gelegen. So bieten wir belegte Brote und Brötchen an. Kleine Happen die appetitanregend arrangiert sind und nach dem ersten Pflichtbissen wird den Leuten bewusst, dass sie hungrig sind und sie essen noch drei Schnittchen.
Kanapees und belegte Brote machen wir sonst nie, die Kosten und der Zeitaufwand sind zu groß, um effektiv zu sein. Aber am Tod wollen wir nichts verdienen und ohne als Samariter dastehen zu wollen, muss ich sagen, so eine Trauerfeier bringt uns kein Geld in die Kasse.
Die appetitliche Arrangierung ist seit jeher mein Job. Das liegt meiner Mutter nicht. Ihr fehlt die Geduld hunderte Schnittchen zu bestreichen, zu garnieren und zum Schluss zu dekorieren. Meine Lieblingskombi ist mein Käsehäppchen: Auf Vollkornbrot mit etwas Paprikabrunch bestrichen und einem Blättchen Salat darunter, liegt eine dicke Scheibe Gouda, zu Blumen geschnittene Weintraubenhälften, pro Häppchen eine dunkle Traubenhälfte eine helle Traubenhälfte und eine sternförmig geschnittene Physalis und die obligatorische Petersilie. Nicht nur das die Dunkelbraun-, Gelb-, Grün-, Orange- und Violetttöne herrliche Kontraste bilden, ich liebe den Geschmack solcher herb fruchtigen Happen.
Auch wenn ich natürlich etwas angenervt bin urst früh aus dem Bett zu kriechen um Schnittchen zu machen, mag ich diesen Teil meiner Aufgaben hier im Haus. Seit ich immer mehr der Verstorbenen auch als Menschen kannte und sie nicht mehr nur Namen sind, sehe ich in meiner Aufgabe eine nette kleine Andacht und Ehrung für den Toten und vor allem für die Hinterbliebenen. Es lag mir noch nie, mit auf dem Friedhof zu gehen, und mich in Kondolenzschlangen einzureihen. Aber stundenlang Brote schmieren und liebevoll zu dekorieren ist viel intensiver, ich stehe da alleine und denke über die Leute nach, an ihr Leben und ihren Tod und wie ich das Essen am besten präsentieren kann. Da schießen einen dann so absurde Gedanken durch den Kopf, wie: Ob Blutwurst auf den Brötchen als unästhetisch für eine Beerdingung gilt? Aber das Dunkle gegen meine weißen in Blätterform gestanzten Rettichscheiben sieht so genial trauerdekorativ aus, hm, was tun, was tun wir bloß?
Der Friedhof ist hinter uns und die Leute gehen am angekippten Küchenfenster vorbei um dorthin zu gelangen ,während ich da die Messer schwinge. Das ist nicht schlimm. mir ist es egal, wenn mir Leute von draußen bei der Arbeit zu sehen, doch extrem peinlich war es mir als die Trauergäste dort standen und ich laut zu meinen MP3-Player "Wir werden alle sterben" von Knorkator vor mich hingesungen habe.
Ich glaube das war unästhetisch.


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