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Die Söhne des Drachen

Fortsetzung von "Drachenherz"
von

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Null-Null-Prinz

„Niha?“

„WAS?“ Wie von der Tarantel gestochen sprang Niha auf und versuchte, sich so schnell wie möglich abzuwenden.

„Heulst Du?“, kam es ungläubig von der Tür.

„Nein!“

„Doch, Du heulst!“

„Tu ich nicht. Ich hab nur was im Auge. Und selbst wenn ...“

„Ah. Die `ich hab nur was im Auge´ Ausrede. Originell, aber erschreckend wirkungslos.“

„Geh weg!“

„Nein.“, sagte Lee ruhig.

„Das ist MEIN Stall!“

„Und MEIN Schlafzimmer!“

„WARUM ZUM GEIER STREITEST DU IMMER MIT MIR?“

Jetzt drehte sie sich doch um und bekam einen gekränkten, irritierten Gesichtsausdruck zu sehen.

„Ich? Streite mit Dir? ICH?“, er schnaubte durch diese ungemein bemerkenswerte Nase. „Ich bin so ziemlich der verträglichste Mensch, den man sich denken kann. Ich streite nicht! Und schon gar nicht mit Frauen!“
 

Niha starrte ihn an. Dann fing sie wieder mit dem Heulen an. Aber so RICHTIG! Kurze, unkontrollierte Schluchzer. Bestimmt, weil sie darin keine Übung hatte.

Er hatte recht. Wenn hier jemand ein Streithammel war, dann sie!

Sie war unerträglich. Konnte sich ja nicht mal selbst leiden.

Wie sollte jemand wie sie denn seine jüngeren Geschwister zu glücklichen, aufrechten Menschen erziehen? Oder sie einfach nur beschützen?

Sie bekam das nicht hin! Sie bekam überhaupt nichts hin! Sie war ein fürchterlicher Mensch!
 

„Niha?“

Plötzlich plärrte sie in warmes, trockenes Leinen, das eine breite Brust bedeckte. Zum ersten Mal seit langer, langer Zeit wurde sie in eine schützende Umarmung gezogen, spürte wieder, was Geborgenheit bedeutete. Lee murmelte leise Worte gegen ihre Schläfe, die, obwohl sie keinen rechten Sinn ergaben, unsagbar tröstlich waren. Bestimmt war es diesem Umstand zu verdanken, dass Niha sich in sein Hemd verkrallte und es ordentlich durchnässte. Erst nach einigen Minuten hatte sie sich soweit beruhigt, dass sie seine Worte verstand.

„Ist ja gut! Alles gut, Niha. Wein Dich aus.“

„Nein, ich ...“

„Sch ... Wein Dich einfach aus.“

„Nein!“ Sie schniefte erbärmlich.

„Herrgott Niha, Du bist ...“

„Ich we ... eiss, was ich bi ..in.“

„Wirklich?“ er hielt sie ein wenig von sich weg und versuchte ihr ins Gesicht zu spähen. „Weisst Du das wirklich?“

„Ja! Ein fürchte ... erliches Weib! Das i ... ist es, was ich bin.“

„Fürchterlich?“ Er strich eine Haarsträhne hinter ihr Ohr. „Ja, wenn Du eins bist, dann fürchterlich. Fürchterlich stur. Fürchterlich dickschädlig. Fürchterlich hartnäckig und fürchterlich zäh. Wirklich fürchterlich, wie Du Dich um alles und jeden kümmerst, Niha. Ganz schrecklich fürchterlich, wie Du Dich abrackerst, wie Du Dich durchkämpfst ...“

„Aber ich ... Ich ka ... ann mich ja nicht mal ü ... über was freuen. So ri ... ichtig.“

„Dann lern´s wieder, Niha. Lern es!“

Mitten im Dämmerlicht des stinkenden Schweinestalls stand Prinz Lee, hochwohlgeborener Herzog von Goam, und drückte seine leise weinende Chefin an sich. Die Schmerzen in seinen Händen tangierten Seine Gnaden dabei nur peripher, denn die Schmerzen dieser Frau waren momentan bei weitem wichtiger. Irgendwann waren ihre Schluchzer nur noch sporadisch zu hören und sie wurde, ohne dass sie es mitbekam, auf einen Heuballen gesetzt.
 

„Ich ... es tut mir leid, dass ich von Dir immer nur das schl ... lechteste gedacht hab. A ... aber ...“ Noch immer unterbrachen vereinzelte, abgehackte Atemzüge ihren Redefluss.

„Aber was?“

„Du wirkst so ... so ... Ich weiss nicht. Als sei Dir immer nur gutes und schönes passiert. Als wüsstest Du ni ...icht, wie es ist, wenn man sich vor lauter schwarzen Wolken nicht mehr an das Blau des Himmels erinnern kann.“

Lee ging vor ihr in die Hocke.

„Ich weiss.“, sagte er ruhig. „Ich bin ein Glückskind. Immer gewesen. Ich bin so geliebt und geborgen aufgewachsen, wie man es sich nur vorstellen kann. Ich musste mir nie Gedanken machen, wo ich Kleidung, oder Essen, oder sonst etwas herbekommen sollte. Aber das bedeutet nicht, dass ich nicht wüsste, was Sorgen sind. Oder Schmerzen.“ Eine kurze Erinnerung blitzte auf. An etwas Kaltes, Starres, das sich seiner Seele bemächtigen wollte. Obwohl er erst ein Jahr alt gewesen war, hatte Lee die Erinnerung an den Hass des blauen Drachen nie ganz losgelassen.

„Oder Angst.“, fügte er leise hinzu. „Auch mein Himmel war schon mal tintenschwarz. Man darf sich von diesen Gefühlen nur nicht definieren lassen, Niha.“
 

„Ja. Ich ... ich war wohl zu lange wütend. Aber ich habe mich immer gefragt, warum sie uns allein gelassen haben.“, kam es stockend.

„Eure Eltern?“

„Ich war dreizehn, als Mama plötzlich weg war. Papa war so traurig. Und ich durfte es nicht sein, denn jemand musste sich doch um das Baby kümmern. Sie war so klein und ich ... war so furchtbar zornig auf sie.“

Niha starrte hinunter auf ihre ineinander verschlungenen Hände.

„Ich war zornig auf dieses winzige Ding, obwohl sie nichts dafür konnte.“

„Zerfa?“

Sie nickte.

„Eure Mutter ist also bei ihrer Geburt gestorben.“

„Ja.“

„Und euer Vater?“

„Ich glaube, ihm war danach fast alles egal. Er hat immer gesagt, Mama sei die stärkere von ihnen beiden. Ohne sie konnte er wohl nicht mehr kämpfen. Er war ... er war ein guter Vater, aber ... irgendwann war er nicht mehr für uns da. Er hat nur noch an Mamas Grab gesessen und ... und Sake getrunken, bis er dann ...“

Lee hatte das Gefühl, dass diese Dinge schon seit Ewigkeiten auf ihrem Herzen lasteten, dass niemand ihr diese Last erleichtert hatte.

„Ich finde, Du hast einige sehr gute Gründe zum Weinen, Niha. Also wein es Dir von der Seele. Und dann schieb die Wolken weg und nimm Dein Leben wieder in die Hand. So, wie Du es immer tust. Aber koste es aus. Das Leben. Die kleinen Dinge. Jeden Moment davon. Dann schenkt es Dir mehr, als Du Dir vorstellen kannst.“
 

Niha blickte verwundert auf. DAS steckte also hinter diesem wundervollen Lächeln? Die Kunst, in allem das Positive zu sehen, aus allem das Beste zu machen? Die reine Freude am Leben?

„Ich hab eigentlich viel, über das ich mich freuen kann.“, gab sie leise zu.

„Ja. Hast Du.“

„Meine Geschwister.“

„In der Tat.“

„Auch ... auch den Pflug.“

Lee lächelte leise.

„Und ... eigentlich gibt es kein schöneres Fleckchen Erde, als das hier.“, schniefte sie.

„Eigentlich nicht.“

„Und wir haben zu essen.“

„Na ja ...“, murrte Lee schuldbewusst. „Zur Zeit ein bisschen weniger, als üblich.“

„Du bist eben ein Verschwender!“

„Ja.“

„Bist ... Du mir noch böse?“

Ihr Hilfsarbeiter seufzte abgrundtief.

„Nun, ich befürchte, mein Restgroll ist in Deiner Tränenflut untergegangen.“

„Echt?“, schniefte Niha hoffnungsvoll. „Also, wieder Frieden?

Wenn sie das, was zwischen ihnen herrschte, so nennen wollte ...

„Ja. Von mir aus.“

„Danke!“, flüsterte sie und wischte energisch die letzten Spuren ihrer Tränen fort. „Dann kannst Du jetzt ja Deinen Hintern endlich zu Doktor Kwan bewegen!“,

„Meinen Hintern? Der ist tadellos. Dem fehlt nicht das geringste.“

„Lee!!“
 


 

Schloss Tutuk, am Morgen des gleichen Tages
 

Wie bereits erwähnt, bereiteten auch dem Erbe des Drachenthrons die unplanmässig eingeschobenen Küsse gewisse Sorgen. Lu Ten war es nicht gewohnt, dass sich seine Gedanken derart hartnäckig mit einem weiblichen Wesen beschäftigten.

Seine Hoheit hatte zwar die ein oder andere Liebelei am laufen, doch sie beruhten auf beiderseitigem Einverständnis, waren nett und unverbindlich. Er zog es vor, mit besagten Damen entsprechende, durchaus dauerhafte Arrangements zu treffen, da er im Gegensatz zu seinem ausschweifenderen Bruder die `Jagd´ als reine Zeitverschwendung empfand.

Kurz gesagt: Er hatte besseres zu tun, als jedem Weiberrock hinterher zu hecheln, der ihm vor die Flinte kam.

Ein weiterer, gravierender Vorteil dieses Systems lag darin, dass, sobald er keiner Frau mehr bedurfte, sich das Gemüt Seiner Hoheit ebenso schnell abkühlte, wie seine Bettlaken. Die Begegnungen mit seinen Maitressen gestalteten sich kurz, heftig und unkompliziert. Eben … effektiv. Ganz wie es seinem Wesen entsprach.
 

Der ungebetene, aber unweigerliche Versuch, sich Pineria Tutuk als Gespielin vorzustellen, stellte sich als ebenso verlockend, wie unmöglich heraus. Die Aufschrift „Geliebte“ passte so gar nicht zu dem Waldkäutzchen. Sie war zu naiv, zu unerfahren und bei weitem zu sittsam.

Aus wissenschaftlichem Interesse heraus um Küsse zu bitten. Was dachte diese Person sich nur? Schlich sie sich demnächst in irgendwelche Schlafzimmer, um Paare beim Beischlaf zu beobachten?

Nein, er hätte sie DEFINITIV nicht küssen sollen!

Aber zu sehen, wie sie sich von diesem Milchgesicht hatte abknutschen lassen …
 

Lu Ten ignorierte seine frühmorgendlichen Pflichten, widmete sich statt des Tentos lieber dem Strapazieren des alten Holzbodens und tigerte unruhig auf und ab.

Dieses bizarre Puzzle hier ging ihm gewaltig gegen den Strich. Er mochte Dinge, die keinen Sinn ergaben, ganz und gar nicht. Schon viel zu lange plagte ihn das Gefühl, dass er etwas Essentielles übersah. Eine Lösung musste her, und zwar bald!

Was tat sein Vater in solchen Fällen?

Liste! … Natürlich! Es würde ihm helfen, seine Gedanken zu strukturieren.

Er warf sich auf den zu kleinen Stuhl vor dem ebenfalls zu kleinen Schreibtisch und brachte Vor- und Nachteile Pineria Tutuks zu Papier. Eine zweite Liste befasste sich mit seinem jeweiligen, meist unverständlichen, Reaktionen darauf.

Die Feder (was für ein praktisches Schreibutensil … für rasche Notizen wesentlich geeigneter, als Pinsel) kratze emsig über die Seiten, während er schrieb, verwarf, unterstrich, bereits verworfenes erneut vermerkte ...

Nach einer guten Stunde zog er zwei energische Striche unter die Listen und setzte ein prägnantes Fazit darunter.
 

Er starrte auf die Buchstaben. Unmöglich!

Der Stuhl wäre beinahe umgekippt, so abrupt erhob sich Lu Ten. Er absolvierte zwei weitere Bahnen durch das Gästezimmer, harkte mit beiden Händen durch sein Haar und starrte dann erneut anklagend auf das verräterische Wort.
 

Liebe.
 

Das war unmöglich! Undenkbar! Un … abwendbar.

Er bestritt ja gar nicht, dass es dieses Gefühl gab. Als Sohn von Zuko und Jin Tatzu wäre dies auch ein Ding der Unmöglichkeit. Niemand, der das Glück hatte, seine Eltern kennen zu lernen, würde die Existenz dieser emotionalen Urmacht bestreiten.

Aber ihm? Ihm widerfuhr so etwas doch nicht. Die Liebe war für Träumer, Hitzköpfe, Idealisten und Kämpfer. Nicht für stoische Analytiker, die eher zum Buchhalter, denn zum Prinzen der Feuernation taugten. Er war in dieser Hinsicht unzureichend. Schmerzhaft unterbelichtet.

Die Liebe wartete auf Leute wie seine Geschwister, von denen jeder auf seine Art ein überaus leidenschaftlicher Mensch war. Selbst Aya, die ruhige, gelassene Aya, verbarg in ihrem Inneren ein Herz, das niemals von seinen Träumen ablassen würde.

Aber er? Er hatte keine Träume. Sein Weg hatte immer klar und deutlich vor ihm gelegen. Eine schnurgerade Strasse voll Arbeit, Pflichten und noch mehr Arbeit. Nein, er hatte keine Träume; hatte sie auch nicht sonderlich vermisst. Bis jetzt.
 

Liebe.
 

Er war doch viel zu nüchtern für eine solche Empfindung!

Spontan kam ihm sein Vater in den Sinn. Auch Zuko II war ein sehr nüchterner Mensch. Temperamentsausbrüche und Wutanfälle reichten nicht aus, um an dieser Tatsache etwas zu ändern.

Es hätte Lu Ten auch zu denken geben müssen, wie sein Erzeuger jedes Mal in schallendes Gelächter ausgebrochen war, sobald er das Thema „politische Ehe“ angeschnitten hatte.

Und Mutter hatte ihn bei diesen Gelegenheiten auch immer so seltsam angesehen ...

„Solltest Du es tatsächlich schaffen, eine Vernunftehe einzugehen, hätten wir einen eklatanten Fehler gemacht, Schatz. Und Du weisst, das vermeidet Dein Vater grundsätzlich.“

Und nun sollten sie also Recht behalten. Wieder einmal.
 

Liebe.
 

Dieses dumme, kleine Wort sprang ihn förmlich an.

Es bedeutete Komplikationen. Sein geordnetes, wohlorganisiertes Leben nahm eine Kehrtwende, von der er nicht wusste, wohin sie ihn führen würde. Doch für eine Wahl war es zu spät. Jetzt hatte sie ihn am Wickel, die Liebe. 

Etwaige Zweifel erübrigten sich, durch die Art und Weise, wie er auf Pineria reagierte.

Sein skurriles Radarsystem. Er schien immer zu wissen, wo sie war.

Seine heftige Antipathie gegenüber Nemo.

Die Art, wie ihn ihre Betroffenheit traf. 

Sich bei jedem ihrer Schritte zu fragen, ob sie heute wieder Schmerzen hatte.

Die Tatsache, dass er alles dafür gegeben hätte, dies zu verhindern.

Ihr Eulenblinzeln, das zweifellos das Potential hatte, sein Herz zu schmelzen.

Ihr Geschmack. Der eigens für ihn komponiert zu sein schien.

Ihr aufreizende Klugheit, ihre reizende Dummheit, ihre an seiner Seele zerrende Einsamkeit.
 

Er liebte einen besserwisserischen, lebensfremden, neugierigen Blaustrumpf, der zu Tisch emanzipatorische Reden schwang und sich über die Unsinnigkeit der veralteten Institution Ehe ausliess.

Das würde alles andere als einfach werden. Aber, da es daran nichts mehr zu rütteln gab, wurde es an der Zeit, das Beste daraus zu machen.

Doch wie zum Entengeier sollte er ihr den Hof machen, wenn sie nicht einmal wusste, wen sie vor sich hatte? Seine Werbung stand auf tönernen Füssen, denn es galt Pineria Tutuk für Lu Ten Song zu entflammen, obgleich sie später für Seine königliche Hoheit Lu Ten Tatzu brennen sollte.

Er war sich ziemlich sicher, dass seine Argumente besser verdammt gut sein sollten.

Blicklos starrte er aus dem Fenster hinaus in den großen Park und grübelte über dieses Problem nach, bis eine verhüllte Gestalt seinen Blick fing.

Das war doch .. Nemo? Was zum Teufel suchte diese Quarkspeise bei einem derartigen Wetter und um diese Zeit im Freien?

Lu Tens Augen verengten sich, als er den jungen Mann im Wald verschwinden sah.
 

Pippa stand am Herd. Wieder einmal. Seltsamerweise liess sich die Gewohnheit, für einen gewissen Assistenten das Frühstück persönlich zuzubereiten, einfach nicht ablegen. Verträumt das Brot wendend, fragte sie sich, wann Lu Ten heute wohl erscheinen würde. Normalerweise konnte man nach ihm die Uhr stellen.

Dieser in der Tat überpünktliche Herr stand bereits im Türrahmen und betrachtete den zerzausten, neuesten Dorn in seinem Fleisch eingehend und leicht ratlos. Er hatte noch keine Zeit gehabt, sich über die weitere Vorgehensweise klar zu werden. Nun, eine Begrüßung schien in jedem Falle angebracht.

„Guten Morgen!“

Der Pfannenwender landete scheppernd auf dem Boden.

„Oh! Morgen. Guten Morgen!“

Mit einer gewissen Befriedigung registrierte Lu Ten, dass sie noch verwirrter war, als sonst. Geschah ihr nur recht! Einem Tatzu so mir nichts Dir nichts den Kopf zu verdrehen ...

„Gut geschlafen?“

„Ja! Sicher!“, log Pippa hektisch und klaubte ihr Küchenutensil vom Boden. „Oder spricht etwas dagegen?“, fragte sie mit vorgeschobenem Kinn.

„Nein.“

Lu Ten liess sich auf seinem angestammten Stuhl nieder.

„Und selbst? Haben Sie ebenfalls gut geschlafen? Ich meine ... die ganze Hitze und so ...?“

Dumm! Sie war so dumm! Einfach den Mund zu halten war wohl zu viel verlangt, was? Wenn sie hier so planlos herum eierte, wüsste er doch sofort, dass sie seit gestern Abend ein Nervenbündel war.

„Mir macht `Hitze und so´ nichts aus.“, erwiderte er ruhig und bediente sich an der Teekanne.

„Ja. Sicher. Das ... Sie sind so etwas ja bestimmt gewohnt.“

Er schaffte es, ihren Blick zu fangen, und ihm goldene Ketten anzulegen.

„Sprechen wir über das Klima?“

„Ja! Natürlich! Von ... von der ungewöhnlichen Hitze.“

„Und so. Ich weiss.“

Sein warmer Bass liess Pippas Nacken kribbeln und veranlasste sie, ihre Augen loszureißen.

„Ich wüsste nicht, wovon ich sonst sprechen sollte!“, stiess sie hervor.

„Gewiss.“

Agni sei Dank, klang seine Stimme wieder gewohnt nüchtern. Sie lass in letzter Zeit einfach zu viele dieser Liebes-Schmonzetten und hatte sich die dunkle, verruchte Sinnlichkeit in seinem Tonfall nur eingebildet.

„Geht ihr Experiment nun doch weiter?“, wollte er nach einigen Augenblicken wissen.

„Bitte?“

„Ihr Experiment, von dem Sie behaupteten, es wäre vorbei.“

Sprach er von den Küssen? Heiliger Himmel! Er sprach von den Küssen! Oder?

„Ich ... ich ... Ist es auch!“

„Ach wirklich? Dann ist dieser Brot-Brikett-Hybride nicht für mich?“

„OH!!! Oh, nein!“
 

Beinahe hätte sie in ihrer konfusen Verlegenheit die glühend heiße Pfanne ohne Topflappen vom Herd genommen, doch Seine Hoheit war schneller.

Bevor das Unheil seinen Lauf nahm, riss Lu Ten das gusseiserne Monster blitzartig aus Fräulein Tutuks Wirkungskreis. Fluchend liess er das Ding auf die Marmorne Arbeitsfläche krachen.

Fassungslos und bedebbert wurde er angeblinzelt. Dagegen wäre an sich auch nichts einzuwenden gewesen, nur ... seine Hand tat höllisch weh.

„Ob ich wohl an den Wassereimer dürfte?“, fragte er stoisch.

„Was?“, hauchte Pippa.

„Der Eimer.“, presste ihr Retter durch die Zähne. „Ich bin zwar recht unempfindlich gegen Hitze, aber Verbrennungen sind trotz allem einigermaßen schmerzhaft.“

„Gute Güte! Ach Du liebes Bisschen!“ Sie machte einen hastigen Schritt zur Seite. „Ich wollte nicht ...“

„Ich weiss.“, wurde sie beruhigt. „Kein Grund zur Sorge.“

„Aber ...“

„Würden Sie jetzt bitte aufhören mich anzusehen, als liege ich im Sterben?“

„Tut es denn nicht weh?“

„Es wird schon besser.“

„Besser, oder gut?“

„Gut.“, seufzte Lu Ten. „Es ist gut.“

„Aber ... ist das da eine Blase?“

Er warf nur einen kurzen Blick auf die im Eimer schwimmende Hand.

„Möglich.“

„Irgendwo muss Salbe sein ...“

„Das ist nicht nötig.“

„Aber ...“
 

„Wunderschönen guten Morgen.“

„Morgen, Nemo.“, murmelte Pippa, während sie in einer Schublade kramte.

„Guten Morgen. So früh schon auf?“, fragte Lu Ten ungewohnt redeselig, jedoch gewohnt sarkastisch.

„Nun, wie heisst es doch gleich? Der frühe Vogel fängt den Wurm.", murmelte Nemo verlegen.

„Ja. Äußerst unappetitlich.“

Pineria entschloss sich, jeglichem Streit vorzubeugen. „Haben Sie der alten Ada die Zutaten vorbeigebracht?“, wollte sie wissen.

„Ja. Sie lässt ihren Dank ausrichten. Miss Tutuk ... Ich ... ich hatte mich gefragt, welchen Aufgabenbereich ich denn nun übernehmen soll. Ich meine ... Sie selbst haben bereits einen Assistenten. Und da Herr Song vor mir da war, werde ich mich besser nicht dazwischendrängen und mich lieber anderweitig nützlich machen. Vielleicht hat ja Ihr Vater etwas für mich zu tun?“

„Hm. Ich weiss nicht. Wir werden ihn fragen.“

„Dafür wäre ich sehr dankbar. Ich bin nicht gerne untätig.“
 

Mittlerweile war Pippa fündig geworden.

„Hier ist ja die Brandsalbe.“

Sie fuchtelte vor „ihrem“ Assistenten mit einem Tiegel herum, wurde aber nur verständnislos angestarrt.

„Na los, Finger aus dem Wasser!“

„Das ist wirklich nicht nöt …“

„Herr Song, Sie nehmen jetzt ihre Griffel aus dem Eimer!“

Es gab jedoch nur zwei Menschen, von denen Lu Ten sich herumkommandieren liess. Und von Muttern auch nur, wenn ihm der Sinn danach stand. Er holte tief Luft.

„Ich sagte: Es ist nicht nötig!“

Verdammter Dickschädel!

„WIE bitte?“, presste er durch die Zähne.

„Oh je!“, murmelte Pippa, deren Mundwerk wieder schneller gewesen war, als ihr heute morgen schwer in Mitleidenschaft gezogenes Hirn. 

„Ist doch wahr!“, verteidigte sie sich dann. „Sie sind das sturste männliche Exemplar, das mir je untergekommen ist.“

„Exemplar??“, knurrte er. „Nun, ich wage zu bezweifeln, dass Ihnen schon viele `Exemplare´ UNTERgekommen sind. Die meisten ziehen es nämlich vor, die Damenwelt zu ÜBERkommen!“

Sie blinzelte. Wie war DAS denn nun gemeint.

Nemo schien es verstanden zu haben, denn er keuchte ungläubig.

„Waren Sie eben … unflätig?“, fragte Pineria einigermassen neugierig.

„Nein.“ Lu Ten rieb sich den Nacken. „Ja. Tut mir leid.“

„Ich wäre Ihnen verbunden, wenn Sie in Zukunft Andeutungen machen, die ich auch verstehe.“

„Das bezweifle ich ernsthaft.“, murmelte er.
 

Nemo, bei beiden Streithähnen völlig in Vergessenheit geraten, blies zum Rückzug.

„Ich werde hier wohl nicht mehr gebraucht.“

All zu gerne hätte unser Prinz ihm gesagt, dass „nicht mehr“ nicht ganz den Kern der Sache traf. Doch sein Konto der Taktlosigkeiten war heute schon wieder bedenklich angewachsen.

„Ich ebenso wenig.“, räumte er ein, nahm die Hand aus dem Wasser und trocknete sie ab. „Professor Tutuk bat mich, einige seiner weniger wichtigen Arbeiten zu sammeln und zu ordnen, also sollte ich mich wohl an die Arbeit machen.“

„Aber das könnte ich doch tun.“, meinte Nemo sofort. „Ich meine … Sie und Pineria sind ein eingespieltes Team, das sollte man nicht ändern.“

„Wenn Fräulein Tutuk Verwendung für mich hat.“, sagte Lu Ten gedehnt. „Ich stehe für weitere Experimente zur Verfügung.“

Also gut, DAS war eine Anspielung, die selbst Pippa verstand! Knallrot schnappte sie sich die abgekühlte Pfanne und entsorgte den Inhalt.
 

Zwei Stunden später hinkte Fräulein Tutuk zum wiederholten Male durch ihr kleines Arbeitszimmer. Händeringend. Lippenkauend. Ratlos.

`Ich stehe für weitere Experimente zur Verfügung.´

Oh Gott! Was meinte er damit? Das was sie dachte? Das was sie ... hoffte?

Natürlich meinte er das! Oder etwa nicht?

Wenn sie doch nur mehr Ahnung von Männern gehabt hätte! Dann stünde sie jetzt vielleicht nicht kurz davor, sich absolut, vollkommen und zu Gänze lächerlich zu machen.

Denn: eine Frage brannte in Miss Pinerias Seele. Eine Frage, die der Antwort bedurfte. Eine Frage, die nur ein einziger Mensch zu beantworten wusste.

Gute Güte! Sie KONNTE ihn das nicht fragen. Er würde sie auslachen, oder noch schlimmer, ihr diesen konsternierten, ungläubigen Blick zuwerfen, mit dem er sie schon so oft bedacht hatte ...

Nein, sie konnte die Frage nicht stellen! Denn sie würde nie vergessen, eine solche Frage gestellt zu haben, würde nie die Scham über ein klares, knappes `Nein!´ vergessen.

Als es klopfte, zuckte Pippa zusammen.

„Ja, bitte?“

Ihr scheinbar allgegenwärtiger Quälgeist betrat - wie immer äußerst eindrucksvoll - die Szene.

„Die Petrefakte sind katalogisiert und beschriftet.“

„Meine Versteinerungen? Schon? Haben Sie sie auch in den Schaukasten sortiert?“

„Selbstverständlich. Nach geologischen Zeitaltern geordnet“
 

Heirate mich!

Dieser spontane Gedanke erschreckte Pippa. Abgrundtief! Und doch war er klar und deutlich gewesen. Wenigstens war ihr das Glück vergönnt, ihn nicht laut ausgesprochen zu haben.

„Ist etwas?“, fragte Herr Song. „Sie sind mit einem Mal so blass.“

„Was? Nein! Nein, ich hab nichts!“, versicherte sie hastig und wechselte zu Kirschrot.

„Aha. Na dann. Soll ich die pteralischen Sagen zum Buchbinder bringen?“

„Ja!“, riss Miss Tutuk den rettenden Strohhalm an sich. „Wundervoller Vorschlag! Dazu müssen Sie ja immerhin das Haus verlassen!“

„Bitte?“

„Nichts! Ich meine nur ... im Augenblick regnet es ja nicht, also ist es jetzt der richtige Zeitpunkt, das zu tun, oder?“

„Hm. Scheint so.“ Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. „Dann mache ich mich besser auf den Weg.“

„Ja. Wiedersehen.“

„Mit Sicherheit.“, murmelte er, klemmte sich besagten, zerfledderten Buchband unter den Arm und verliess ihr Arbeitszimmer.
 

Pippa liess sich auf einen Stuhl fallen.

Das durfte einfach nicht wahr sein. War ihr eben wirklich diese haarsträubende Idee durch den Kopf gegangen?

Dass dieser Mensch sie alles, aber auch alles, inclusive Ehe, in einem neuen Licht sehen lies, war schlichtweg inakzeptabel. Sie würde doch hier nicht einfach ihre Weltanschauung über den Haufen werfen, nur weil sie sich eben mal in einen ansehnlichen Kerl vergafft hatte ( Gut, ansehnlich war etwas untertrieben ). Aber einer simplen körperlichen Reaktion auf einen signifikanten, sexuellen Reiz würde sie es auf keinen Fall gestatten, ihren Verstand auszuschalten. Zumindest nicht, solange der Produzent der entsprechenden Lockstoffe nicht anwesend war. Diese Dinge wurden hormonell gesteuert und würden über kurz oder lang vergehen. Sie musste nur lange genug durchhalten, jawohl!

Vielleicht wäre es auch ein guter Plan, das ganze aus dem Kreislauf zu bekommen, wie ihre Mutter sich auszudrücken pflegte. Vielleicht reichte es ja aus, ihre dumme, quälende Neugier zu befriedigen. Doch DAS würde sie wieder vor das Problem stellen, ihm die Frage stellen zu müssen.

Die Frage aller Fragen. Die peinlichste aller Fragen. Die älteste aller Fragen.

Die Frage, die eine ausgeklügelte Wortwahl erfordern würde.

`Sähen Sie sich, unter gewissen Umständen eventuell dazu in der Lage, meine körperlichen Unzulänglichkeiten wohlmeinend zu übersehen, um mit mir einen fortpflanzungsfreien, unverbindlichen Liebesakt zu vollziehen?´

In anderen Kreisen auch als simples „Willst Du mit mir schlafen, hey?“ bekannt.

Herrje! Sie musste sich dringend ablenken! Wenn sie sich nicht irrte, war in wenigen Minuten „Brunnen-Meeting“.

„Mimmi?“

Auf ihren Ruf folgte keine wie auch immer geartete hündische Reaktion.

„MIMMI?“

Na wundervoll! Bestimmt scharwenzelte die Hündin schon wieder um ihren neuen Lieblingszweibeiner herum.

„Dann eben nicht!“, murmelte Pippa. War ihr doch egal, wenn das untreue Vieh einen Narren an ihm gefressen hatte.
 

Wie erwartet, hatten sich Miu und Bell rechtzeitig am Brunnen eingefunden. Sie schienen heute irgendwie ihren Enthusiasmus eingebüßt zu haben. Weder plauderten sie so angeregt wie sonst, noch kicherten sie albern. Aber es war ja auch kein männliches Wesen in Blickweite.

Als Pippa sich näherte, konnte sie hören, dass stattdessen angeregt getuschelt wurde.

„... wo er auf einmal abgeblieben ist. An Ken kann´s ja nicht gelegen haben.“

„Nie im Leben!“
 

„Hallo!“, sagte Pippa vorsichtig, da sie nicht wusste, wie die Mädchen auf ihre Anwesenheit reagieren würden.

„Fräulein Tutuk?!“

„Oh, Guten Tag, Mistress!“

„Pineria.“, murmelte Pippa. „Ich ... hätte ein paar Fragen an euch. Habt ihr vielleicht Zeit?“

„Zeit? Klar, Miss Tutuk.“

„Pineria reicht wirklich! Ich ... äh ... möchtet ihr vielleicht kurz in die Küche kommen? Ich glaube, es gibt sogar Kuchen.“

„In die Küche? Ihre?“

„Nun ... die meines Vaters, ja. Es sind wirklich nur fünf oder sechs Fragen, die ich euch stellen will.“

„Oh, Okay!“

Nach einem kurzen Gänsemarsch betrat das Trio die herrschaftliche Küche des Hauses.
 

„Äh ... Tee vielleicht?“

„Hm ... Fein.“

„Ja, Tee is gut.“

„Wo ist nur ... ach, da!“

Tassen und Kanne wurden auf den Tisch gestellt.

„So! Kuchen. Wo kann der nur sein?“

„Also ... da hinten, auf der Fensterbank steht einer.“, warf Miu ungewohnt schüchtern ein.

„Natürlich! Entschuldigung!“

Sowie Kuchen und Tee an die Frau gebracht worden waren, zückte Pippa ihre Notizen und betrat endlich wieder vertrautes Terrain.

„Aaaaalso ...“

„Hm. Der Kuchen ist lecker!“

„Wie? Oh ... ja. Das, äh, freut mich! Ich werd´s ... ausrichten.“

„Vor allem der Schokoguß!“, schwärmte Bell und leckte sich die Finger ab.

„Ja. Guten Appetit! Um auf meine Fragen zu kommen: Ihr habt doch beide Herrn Song kennen gelernt?“

„Lu Ten?“

Gute Güte! Das war jetzt aber ein Stimmungsumschwung! Durch die beiden ging ja ein regelrechter Ruck.

„Klar haben wir den kennen gelernt!“

„Toller Typ!“, hauchte Miu.

„Ja! Echt!“

„Sicher. Gut.“ Im verzweifelten Versuch, ihre Verlegenheit zu überspielen, rückte Pippa ihre Brille zurecht. „Aber ... warum?“

„Wie, warum?“

„Na, warum ist er denn so ... toll?“

„Äh ... das sieht man doch!“

„Ja, sieht man auf den ersten Blick.“

„Schon.“, murmelte Fräulein Tutuk. „Ich möchte aber jeden einzelnen Punkt erfassen. Jeden Aspekt, der ihn so ... na ja, attraktiv macht.“

„Attraktiv? Er ist einfach der Knaller!“

„Ja! Allein diese Arme! Hach!“

„Hach!“, seufzte nun auch Bell. „In denen möchte man einfach landen!“

„Äh ...“

Das war ein durchaus nachvollziehbarer Wunsch. Das wusste man ja nun aus Erfahrung.

„Und die Schultern! Und er ist so groß!“

„Mir gefällt besonders die muskeline Ausstrahlung.“

„Maskulin!“, korrigierte die anwesende Wissenschaftlerin automatisch.

„Und seine Stimme!“

Jetzt quietschten beide Mädchen in beseeltem Einklang auf.

Ja ... Seine Stimme. Plötzlich bewunderte Pippa verträumt die Pfanne.
 

„Aber, warum möchten sie das denn alles wissen?“

„Was?? Äh ... Warum? Für ... für eine Studie.“ Hektisch kramte sie ihr Schreibzeug hervor. Da hätte sie doch fast das wichtigste vergessen.

„Ich bin dabei sämtliche Merkmale aufzulisten, die ... also, die für die Anziehungskraft eines Mannes ausschlaggebend sind.“

„Ah! Na, da haben Sie sich die richtigen Mädchen ausgesucht, Miss Tutuk!“

„Pineria.“, murmelte Pippa wieder.

„Ja, wenn jemand so was beurteilen kann, dann wir!“

„Mhm! Dafür haben wir einen Blick!“

„Also ... es waren die Arme ... die Schultern ... die, äh, maskuline Ausstrahlung, woraus auch immer diese resultiert, und ... die Stimme.“

Eifrig kritzelte sie alles nieder.
 

„Und schweigsam ist er auch.“, bemerkte Bell, während sie in ein weiteres Stück Kuchen biss.

„Uuuuh! Ja!“

„Das ... das ist gut?“

„Aber ja! Meine Großmutter sagt immer, dass schweigsame Männer GANZ genau wissen, was zu tun ist. Also ... äh, im ... also ...“

„Wirklich?“, quiekte Pippa.

„Na ja ... ja. Das sagt meine Oma. Damals war man ja noch ... Also, zumindest in der Feuernation ... Sie hat so ihre Erfahrungen gemacht.“

„Wie ... schön für sie.“ Mit verräterisch roten Ohren tastete Fräulein `Ich wollt´s ja ganz genau wissen´ nach ihrer Tasse. Sie konnte zwar den Wahrheitsgehalt dieser Aussage nicht beurteilen, aber wenn Bells Großmutter es sagte ...

Es stand also zu erwarten, dass Mr. Perfect seine Aufgaben auch auf diesem Gebiet mehr als nur ... erfüllte.

„Ha, wir vergessen ja das wichtigste: Seine Augen!“, riss die Stimme der Rothaarigen sie aus ihren Gedanken.

„JAA! Die sind der Wahnsinn!“

„Der HELLE Wahnsinn!“

„Irgendwie voll raubtiermäßig.“

„Ja, da kriegt man das Kribbeln.“

„Das was?“, schob Pippa ein.

„Das Kribbeln. Wenn einen diese Schauer überkommen. Außen und Innen! Hatten Sie das noch nie?“

Oh doch! In letzter Zeit schien sie aus dem `Kribbeln´ so gar nicht mehr rauszukommen.

„Äh ... so ... ein-, zweimal vielleicht.“

„Na also, dann kennen Sie das ja.“

„Mhm.“

„Jedenfalls kribbelt´s bei diesem Kerl gewaltig. Mehr als bei allen anderen. Sogar mehr als bei Ken!“

„VIEL mehr! Ken ist so ... wischiwaschi ...“

„Voll der eingebildete Schönling!“

„Ja! Voll! Und bei Lu Ten hat man das Gefühl, er verbringt höchstens fünf Sekunden vor dem Spiegel.“

(Genau genommen waren es sechs, denn exakt so lange dauerte es, Ordnung in das fürstliche Haargemenge zu bringen.)

„Also, wenn ICH so aussehen würde, wäre ich vom Spiegel nicht mehr wegzubringen!“

Das altbekannte, zweistimmige Kichern erklang.

„Und wissen Sie, was noch so sexy an ihm ist?“

„NOCH mehr?“, piepste Pippa, ob des aussagekräftigen Adjektivs.

„Wir glauben, er hat ganz schwer was im Kopf.“

„Ja. Er redet genauso kluges Zeug wie Sie. Oder Ihre Eltern.“
 

Pippa musste zugeben, dass sie die beiden Mädchen zu einseitig beurteilt hatte. Sie hatten zwar immer heftig mit Ken geflirtet, aber anscheinend war ihnen sein Mangel an inneren Werten durchaus bewusst gewesen.

Sie waren zwar nicht besonders gebildet, aber dumm ...? Nein, dumm waren sie nicht.

„Ich ... ich rede dieses Zeug nur daher, weil ... ich nichts anderes gelernt habe.“, hörte sie sich murmeln. „Aber über wirklich wichtige Dinge weiß ich nicht viel.“

„Was für wichtige Dinge denn, Fräulein Tutuk?“

„Könnt ihr mich denn nicht Pineria nennen?“

„Ähh ...doch.“

„Wenn ... Sie das möchten.“

„Ja. Ja, das möchte ich. Und dann möchte ich, dass ihr mir alles beibringt, was ihr über das Flirten wisst!“
 

Zehn Minuten später rauchte ihr schon der Kopf. Gute Güte, die beiden waren ja die reinsten Feldwebel.

„... und dann musst Du Dein Haar nach hinten schütteln ... Nicht so. Herausfordernder! Ja! Das ist gut!“

„Das macht die Männer ganz kirre!“

„Außer Lu Ten. Bei dem hat´s irgendwie nicht funktioniert.“

„Mhm. Aber langsam hab ich den Verdacht, dass es an uns liegt.“, spekulierte Bell.

„An UNS?“

„Vielleicht sind wir einfach nicht sein Typ.“

„Sein Typ?“, fragte Pippa.

„Aber ja. Nicht jeder Mann steht auf die gleiche Art Mädchen.

"Ja, Geschmäcker sind verschieden, sagt meine Oma immer. Er scheint uns jedenfalls nicht besonders zu mögen.“ Das klang fast traurig.

„Aber ... das glaub ich nicht.“, sagte die neue Flirtschülerin tröstend. „Er ist nur ... unzugänglich. JEDER hat das Gefühl, von Lu Ten nicht sonderlich gemocht zu werden.“

„Sie ... äh, Du auch?“

So wie er sie immer anfunkelte?

„Ja.“

So wie er sie geküsst hatte?

„Nein!“

Bei den Andeutungen, die er heute gemacht hatte?

„Ich weiss es nicht.“, gab Pippa letztendlich zu. „Ich glaube eher nicht.“

„Echt? Er hat aber gesagt, Du hättest ne Menge Verstand.“

„Ach? Wirklich???“

„Ja. Er hat Ken ziemlich angemacht, als der gesagt hat, Du ...“

„SCHT!“, unterbrach Bell ihre Freundin.

„Was hat Ken gesagt? Ich sei wunderlich? Oder verrückt?“

Die beiden Mädchen sahen zu Boden.

„Ich weiss, dass das jeder denkt.“, brachte Pippa mit vorgerecktem Kinn hervor. „Aber ich bin`s nicht. Nicht sehr. Ich hab nur nie ... Alles, was ich weiss, stammt eben aus Büchern.“, schloss sie kläglich.

„Hey, Immerhin weisst Du jetzt, wie man sein Haar schütteln muss!“, sagte Miu aufmunternd.

„Ja! Genau! Und jetzt lass sehen, wie Du einen Schmollmund machst.“

„Einen was?“

„Schmollmund. Und dabei immer schön die Brust vor!“

„Nein, nicht so. Schultern runter!“

„Schau von unten hoch.“

„Aber, ich ...“

„Du musst mehr blinzeln!“

„Ja. Und lass eine Haarsträhne in Gesicht fallen.“

Eine Stunde später sprengte ein überaus irritierter Nemo eines der seltsamsten Kaffeekränzchen aller Zeiten. Dieser Einsatz wurde immer skurriler ...
 

Weit nach Mitternacht schlich ein verdächtiges Subjekt durch die dunklen Gänge Schloss Tutuks. Vorsichtig, um ja keinen Lärm zu verursachen tastete der Heimlichtuer sich zum Arbeitszimmer des Professors vor. Bevor er eintrat, presste er das Ohr gegen die massive Holztür und lauschte angestrengt. Nichts. Die Luft schien rein zu sein.

Schnell und geräuschlos öffnete Lu Ten die Tür, trat ein und entzündete eine einzelne Kerze, die er vorsichtig auf dem Boden vor der Tür platzierte. Sollte sich irgendeine Tür in diesem Bereich des Hauses öffnen, würde auch der kleinste dadurch entstehende Luftzug die Flamme zum Flackern bringen und ihn warnen. Doch das Licht brannte ruhig und gleichmässig. 

Zeit, ein bisschen herumzuschnüffeln.

Zielstrebig ging Seine Hoheit zu Beos Schreibtisch und entzündete einen mitgebrachten Kandelaber. Kerzen konnten ja so verräterisch sein. Einem aufmerksamen Beobachter könnte es durchaus ins Auge fallen, sollten sie morgens weiter heruntergebrannt sein, als am Vorabend.

Also … mal sehen, warum Nemilein so versessen darauf gewesen war, plötzlich dem Professor zu `assistieren´, statt dessen Tochter.

Er begann den lächerlich kleinen Stapel durchzusehen, den Ran bereits geordnet hatte. Effektivität schien jedenfalls nicht zu dessen Charaktereigenschaften zu zählen.

Nichts.

Langweilige Abhandlungen diverser Wachstumsprozesse.

Wirtschaftliche Anwendbarkeit chemischer Düngemittel.

Und ein trockenes Referat zur letzten Wissenschaftler Tagung.
 

Die Alarm-Kerze brannte in aller Seelenruhe weiter, während Lu Ten sich nun dem überquellenden, chaotischen Schreibtisch näherte. Bevor er irgendetwas berührte, prägte er sich die Lage jedes einzelnen Gegenstandes genau ein, und achtete darauf, ob irgendwo eine unsichtbare Falle lauerte. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein unauffälliges Haar mit Absicht irgendwo drapiert worden war, um im Falle des Verschwindens als Indikator für naseweise Schnüffler zu dienen.

Er blies die Staubschicht, die sämtliche Dokumente bedeckte, beiseite, um keine sichtbaren Spuren zu hinterlassen. Konzentriert und ruhig machte er sich an die Sisyphusarbeit, suchte die Texte nach Verdächtigem ab. Dabei kam ihm zu Gute, dass er in der Lage war, mittels eines flüchtigen Blickes den Inhalt einer ganzen Seite zu erfassen. Dies war mit Sicherheit den wahren Unmengen an Schreibkram zu verdanken, mit denen er sich tagein, tagaus herumschlug, denn auch sein Erzeuger, Zuko der Arbeitsreiche, war ein perfekter „Querleser“.
 

Aber auch hier fand sich nur haufenweise uninteressantes Zeug, das in keiner Weise bedenklich wirkte.

Sollte sich, was auch immer Nemo suchte, bereits im Archiv des Professors befinden, würde es vermutlich Jahre dauern es zu entdecken. 

Heute würde Lu Ten jedenfalls nicht mehr fündig, so viel stand fest. Er war zu müde, seine Aufmerksamkeit liess nach und er konnte nicht riskieren etwas zu übersehen.

Er kramte ein feines Sieb und einen kleinen Beutel aus seiner Tasche und begann naserümpfend, aber akribisch, wieder eine authentische Staubschicht über den Tisch zu pudern. Nach einem letzten, prüfenden Blick auf die Szene verliess Seine Hoheit den Raum, der Agni sei Dank keinerlei Spuren seines nächtlichen, wunderlichen Treibens davongetragen hatte.
 

An dieser Stelle sei vermerkt, dass es leider noch immer verschwörerische Vereinigungen gab, denen der dauerhafte Frieden ein Dorn im Auge war. Darum war der Kronprinz in solchen Dingen auch kein Neuling mehr, denn er hatte schon so einige Einsätze für den Geheimdienst Zukos II absolviert. 

Selbst Lee hatte sich schon als Spitzel betätigt und Kiram, der letzte der Brüder, schmollte regelmässig, da sein Vater ihn für solche Einsätze vehement als `zu jung´ einstufte.

Sollte Lady Jin von den Machenschaften ihrer Jungs erfahren, hätte sie Zuko die nächsten drei Reinkarnationen gründlich versaut. (Na ja ... zunächst. Aber in Wirklichkeit hätte selbst eine Wiedergeburt Seiner Durchlaucht als Kakerlake, seinen Kobold nicht von seiner Seite gerissen.)
 

Agnam Ba, am nächsten Tag
 

Nach einem viel zu langen Schultag rannte Zerfa nach Hause.

Ohne Jem. Er hatte Freitags eine Stunde länger Unterricht. Darum hatte sie sich, wie immer an diesem Tag, die Hänseleien der anderen Kinder anhören müssen. Die Bücher fest vor die Brust gepresst, mit gesenktem Kopf und hochgezogenen Schultern hatte Zerfa ihren persönlichen Spiessrutenlauf absolviert. Und wie immer hatte sie dabei nur auf die Strasse gesehen, um ihre Augen zu verbergen.

Doch jetzt kam der Hof in Sicht. Endlich! Für den Rest des Tages würde sich niemand vor ihren Blicken fürchten, ihr gemeine Namen geben, oder etwas nach ihr werfen. Wenn Niha nicht zu beschäftigt war, würde sie sie vielleicht sogar eine Weile in den Arm nehmen. Plötzlich stockte das Kind.
 

Auf der Veranda sass eine Frau. Eine fremde Frau. Eine Tatsache, die sie nicht gerade vertrauenserweckend machte. Dass sie allerdings mit Knäulchen spielte, liess sie ein bisschen sympathischer erscheinen.

Die Kleidung der fremden Person war offensichtlich bunt zusammengewürfelt und ergab eine recht eigenwillige Mischung aus verwaschenen Rot- und Grüntönen.

Zerfa biss sich auf die Lippen, und überlegte, was zu tun war. Sollte sie Niha vom Feld holen? Oder Maja rufen? Vielleicht auch Lee?

„Oh ... Hallo!“

Ach Du je! Die Frau hatte sie bemerkt, und sah neugierig herüber.

„Bist Du eines der Fräulein Koro?“

Zerfa runzelte die Stirn, nickte aber trotzdem. Das Lächeln der Dame war beruhigend und herzlich.

„Ich bin Jin.“, sagte sie mit ihrer warmen, weichen Stimme.

„Jin Song. Ich wollte Dich nicht erschrecken, aber man hat mir gesagt, ich könnte meinen Sohn hier finden. Lee ...“

„Sie sind die Mama von Lee?“, fragte Zerfa vorsichtig.

„Ja.“ Wieder wurde Zerfa angelächelt. „Bin ich. Ist er da?“

„Glaub´ schon. Soll ich ihn holen?“

„Wenn Du magst. Ich kann Dich aber auch begleiten, wenn Du nichts dagegen hast.“

„Ja ... Gut.“

Lees Mutter stand auf, klopfte sich den Staub aus den Pluderhosen und kam näher. Sie war nicht sehr groß, trug einen dicken, braunen Zopf über der linken Schulter und hatte ganz erstaunlich grüne, strahlende Augen. Eine Tatsache, die Zerfa daran erinnerte, den eigenen Blick schnell zu senken. Sie wollte Frau Song unter keinen Umständen erschrecken.
 

„Was ist denn?“

„Nichts!“, sagte Zerfa rasch.

„Verrätst Du mir Deinen Namen?“

„Zerfa.“

„Wie zauberhaft! Ich glaube es gibt eine Sagengestalt, die so heisst. Die Frau von ... hm ... mir fällt´s nicht ein. Schade! Mein Mann wüsste es.“ Sie seufzte geistesabwesend.

„Die Gebieterin des Ostwindes?“

„Aber ja! Genau!“

„Lee hat mir das erzählt.“

„Wirklich? Das wird seine Lehrer sehr freuen.“, murmelte Jin.

„Er ist sehr klug, nicht?“, fragte das Kind leise.

„Ja. Das ist er wohl. Und ich hoffe doch sehr, er hat sich auch gut benommen?!“

Zerfa wagte einen kurzen Blick nach oben und konnte angesichts des verschwörerischen Augenzwinkerns ein kleines Kichern nicht mehr unterdrücken. Es war ja bestimmt auch in Ordnung die Dame zu mögen. Schliesslich war es Lees Mama.

„Liebes Bisschen. Was für hübsche Augen Du hast!“

„ICH?“

„Aber ja.“

„Nein ... ich hab ... sie sind nicht hübsch!“

„Doch, sind sie! Sogar ganz besonders hübsch. Und ganz besonders besonders!“

Langsam dämmerte in Zerfa die Erkenntnis, dass Frau Song ähnlich seltsame Ansichten vertrat, wie ihr Sohn. Ihr „böser Doppelblick“ sollte hübsch sein? Komische Familie! Wirklich komische Familie!

Da ihr nicht bewusst war, dass diese Gedanken an Hochverrat grenzten, führte sie Jin guten Gewissens am Stall vorbei, zu dem Feld, auf dem Niha vor vier Tagen die jungen Maispflanzen gesetzt hatte.

Bestimmt waren Lee und ihre Schwester dabei, die Setzlinge zu bewässern.
 

„Lehee?“

„Ja, Knöpfchen?“

„Bist Du da?“

Angesichts der Unsinnigkeit dieser Frage grinste Lee in sich hinein, wischte seine Hände an der groben Hose ab und richtete sich auf.

Als er eine vertraute Silhouette zu erkennen glaubte, blinzelte er erstaunt in die Sonne.

„Mutter?“

„Sohn.“
 

Mit einem überraschten Ruck hob Niha den Kopf und wurde sofort in ihren Erwartungen enttäuscht. Diese Person entsprach so gar nicht ihren Vorstellungen. Sie war weder so groß, noch so beeindruckend, noch so ... ansehnlich, wie ihr Sohn.

Eher klein, um die Hüften ein wenig zur Fülligkeit neigend, strahlte sie die einladende Wärme eines gemütlichen Bollerofens im Winter aus. Der lachende, jadegrüne Blick war jedoch ungemein einnehmend. Man bekam unweigerlich den Eindruck, noch nie jemanden gesehen zu haben, der auch nur annähernd so glücklich war, wie diese Frau.
 

Auch Jin kam aus dem Staunen nicht heraus. War das IHR Sohn? Ihr bis zur Exzentrik modischer, etwas eitler Sohn? Das einzige, das ihr an diesem dreckstarrenden Mannsbild bekannt vorkam, waren die funkelnden Augen, um die die winzigen Lachfältchen vor lauter Schmutz eine Art Zebra-Muster bildeten. Komischerweise sah er besser und zufriedener aus, denn je.

Was er sagte war allerdings weniger erfreulich, als seine entspannte Erscheinung.

„Was tust DU denn hier? ... ALLEIN?“

Jin blinzelte. Da hatte jemand wohl vergessen, wie man seine Mutter begrüsste.

„Dich besuchen?“, fragte sie vage.

„Weiss er, dass Du hier bist?“

„Nein. Weiss er nicht. Und es ist mir ziemlich egal. Schliesslich hat er mich auch nicht gefragt, als er Dich hergeschickt hat.“

„Äh. Um ehrlich zu sein ... er hatte Recht. Ich war ein bisschen sehr übermütig und verdiente einen Dämpfer.“

„Recht? Ja .. ER hat ja immer Recht. Und wenn nicht, tut er einfach so, als ob.“

„Mama ... Du kannst doch nicht völlig allein herumziehen.“

„Keru und San passen auf mich auf.“

„Ach. Und wo sind die jetzt?“

„Keru ist im Gasthaus. Und San ... in der Gegend. Reicht das? Ich war eigentlich davon ausgegangen, mein Besuch würde Dich freuen.“

„Was? Äh ... tut er doch!“

Die Dame zog die Augenbrauen skeptisch nach oben und legte den Kopf schief.

„Ach ...“
 

Lee liess die Harke fallen, eilte zu seiner Mutter und hob sie in einer bärenhaften Umarmung vom Boden.

„Willkommen zurück!“, murmelte er an ihren Scheitel.

So fest sie konnte, drückte Jin ihr Kind an sich. Es ging ihm gut! Sie hatte eine Sorge weniger auf der Welt. Dann umfasste sie mit beiden Händen sein Gesicht und forschte gründlich in seinen Augen.

„Geht es Dir gut?“, fragte sie leise.

„Aber ja!“

„Wirklich?“

„Ja, Mutter.“

Das folgende Flüstern war leise und nur für seine Ohren bestimmt.

„Nimmst Du auch Deine Tropfen?“

Wie immer hielt Lee nichts von solcherlei Heimlichkeiten.

„Ma! Ich muss die Dinger seit achtzehn Jahren schlucken. Natürlich nehme ich sie!“

„Gut! Ich ... hab ein Fläschchen dabei. Für den Fall der Fälle.“

Er verdrehte die Augen.

„Toll! Dann kann ich demnächst einen Handel eröffnen. Papa hat mir vor der Abreise auch eins zugesteckt. Für den Fall der Fälle.“

„Lee! Das ist nicht komisch!“

„Doch. Dass Du denkst, ich würde sieben Jahre ohne Anfälle aufs Spiel setzen, indem ich meine Medizin nicht einnehme, ist sogar zum Brüllen.“
 

Niha hatte diese ganze Konversation mehr als verwirrt verfolgt. Jetzt konnte sie sich beim besten Willen nicht mehr zurückhalten.

„Anfälle?? Was für Anfälle?“

Lees Mutter sah sie an, als sei sie unschlüssig ob dieses Familiengeheimnis offenbart werden durfte.

„Epilepsie.“, sagte Lee ungerührt.

„WAS??? Und das sagst Du erst jetzt?“

„Warum hätte ich es sagen sollen?“

„Und wenn ... wenn Du einen Anfall bekommen hättest? Hier?“

„Ich hab keine mehr!“

„Esel!“, fauchte Niha.

„Was? Weil ich nicht jedem auf die Nase binde, dass ich ein potentieller Kandidat für die Fallsucht bin?“

„Lee!“, protestierte Jin. „Du weisst, was Dein Vater täte, wenn er diesen Ausdruck hören würde.“

„Mir einen seiner berüchtigten Eiszapfenblicke zuwerfen?“

„Ja.“, murmelte Jin kläglich.

Ach ja ... die Eiszapfenblicke. Momentan vermisste sie ihren Feuerspucker wirklich mehr denn je.
 

„Also ich FASS es nicht!“, schnaubte Niha. „Du verdammter, schwachsinniger ...“

Die überaus interessierten Blicke der Frau mit den strahlenden Augen liess sie innehalten und tief durchatmen.

„Frau Song ... Entschuldigung. Ich bin Niha. Herzlich willkommen!“

„Danke sehr!“ Ein warmes Lächeln folgte. „Aber Jin genügt völlig.“

„Ob ich ihrem Sohn wohl eben den Kopf abreissen dürfte?“

„Von mir aus ja schon. Er benutzt ihn ohnehin nicht besonders oft. Doch ich fürchte, sein Vater wäre recht ungehalten. Er hängt einfach zu sehr an dem Bengel.“

Das schelmische, jadegrüne Funkeln war unglaublich ansteckend.

„Ah ... Du bist wirklich eine instinktlose Mutter.“, klagte Lee mit verschränkten Armen.

„Ja, Schatz.“

„Aber ... Sie stimmen mir doch sicher zu, dass es völlig unverantwortlich war, mir das mit den Anfällen nicht zu sagen.“, ereiferte sich Niha.

„Nun,“, lenkte Jin ein. „Ich habe die Sache vielleicht überdramatisiert. Solange er seine Tropfen nimmt passiert ja nichts.“

„Ja.“, murrte Lees Boss. „WENN!“

„Oh, na ja ... dafür reicht sein Denkvermögen meistens aus. Es sei denn, er wittert was zu Essen.“

„Mama!“

„Hast Du nichts zu tun, Käferchen?“, fragte Jin unschuldig.

Zerfa brach in Kichern aus.

„Na bitte, jetzt hast Du´s erreicht. Man lacht mich schon aus! Zu allem Überfluss hab ich durch das Gerede vom Essen jetzt auch noch Hunger.“

„Tut mir leid.“

„Ts! Als ob!“

„Doch. Wirklich. Das Du Hunger bekommst wollte ich nicht.“
 

Zur gleichen Zeit, in dem Jin auf dem Hof der Koros ihren Sohn erbarmungslos aufzog, betrat ein Fremder das Gasthaus, in dem sie vor eineinhalb Stunden ein Zimmer gemietet hatte.

„Guten Tag.“, sagte der Mann freundlich.

„Tag. Was darf´s sein?“, fragte der Wirt, voll und ganz damit beschäftigt, eines seiner Gläser auf Hochglanz zu polieren.

„Ich hätte eine Frage.“

„Ja?“

„Nun ...“ Umständlich kramte der Herr in seinen Taschen. „Hm ... wo hab ich es denn ... ah ja. Hier.“ Er hielt ein kleines Bild in der Hand.

„Könnte es sein, dass diese Dame hier Obdach gesucht hat?“

„Was?“

„Ich meine, ob sie hier ihre Bleibe ... war sie da?“

„Weiss ich leider nicht.“, sagte der Wirt, ohne einen Blick auf das Papier zu werfen.“

„Sie wissen es nicht?“

„Nein, tut mir leid. Ich gebe solche Auskünfte nicht.“

„Oh. Wirklich? Wie lobenswert. Zumindest wäre es das, wenn ich irgendsoein zwielichtiger Bursche wäre. Aber das bin ich nicht.“

„Hm. Kann man glauben, oder auch nicht. Ich hab jedenfalls noch nichts davon gehört, dass sich die Schelme neuerdings zu erkennen geben.“

„Wie wahr. Ich KÖNNTE natürlich ein Schurke sein ...“, murmelte der schon etwas betagtere Herr und rieb sich nachdenklich das Kinn.

„Würden Sie mir denn ein Zimmer vermieten? Auch ohne polizeiliches Führungszeugnis?“

Der Wirt zögerte. So ganz traute er diesem Menschen nicht, obwohl er wirklich nicht besonders finster wirkte. Außerdem war Misstrauen nicht gut fürs Geschäft!

„Hm. Zimmer vier ist noch frei.“

„Vier? Wie wundervoll.“

Der Fremde strahlte und folgte dem Herrn des Hauses durch den kleinen Gastraum. Dem grobschlächtigen Kerl, der an einem der Tische ein Glas kalten Ingwertee trank, schenkte er ein zuvorkommendes Lächeln. Dass der das Zeug danach fast über den Tisch spuckte, bekam der Wirt Agni sei Dank nicht mit.



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Kommentare zu diesem Kapitel (17)
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Von:  revyn
2008-08-27T15:39:07+00:00 27.08.2008 17:39
^^ hehehe die Fortsetzung ist besser als ich gedacht hab
witz und spaß gibst ja genug und auch dr schreibstil ist einfach nur klasse am besten waren meiner meinug nach ja jin und lee
einfach supppi bitte lad das nächste kapi so schnell wie möglich hoch
^^ deine revyn ^^

Von:  Catix
2008-08-02T15:01:12+00:00 02.08.2008 17:01
Ich kann mich den anderen nur anschließen, das Kapitel, dein Schreibstil und
deine Ideen sind super.

Aber Lu Ten ist so ein rationaler Holkopf!!!!!
Das merkt dooch ein Blinder mit Krückstock, dass der in Pippa rettungslos verschossen
ist und ich wette, das das auch nicht nachlässt, weder bei ihm, noch bei ihr. Er sollte aber noch Nemo aus dem Weg räumen, der Kerl ist mir nicht Geheuer!

Ich glaub, es tut Lee gut, mal aufgezogen zu werden. Wenigstens ist bei ihm und Niha Frieden eingekehrt. Niha Tatzu. Klingt gut, oder. Und am Schluss gibts ne Doppelhochzeit.

Hoffentlich kommt Zuko bald zurück, ich will sehen wie Jin ihn zur Schnecke macht.

Schreib auf jeden Fall schnell weiter!!!!!!!!!!!

MfG Catix
Von:  il_gelato
2008-08-01T18:59:32+00:00 01.08.2008 20:59
Gut!
Es ist wie immer himmlisch geschrieben, aber das weißt du bestimmt!
Die Lacher sind auf deiner Seite, wie sonst auch.

Ich finde es gut, dass du sehr ins Gegühlleben aller eingegangen bist, aber ich muss dir ehrlich sagen, ich habe etwas anderes erwartet.

Wen ich ein bisschen komisch finde ist dieser Schnösel neben Pinna (ich meine nicht Lu Ten), dieser Wiederling!

Freu mich auf das nächste Kapitel. Lade bald eins hoch, BITTE!
Von:  Kaori3737
2008-07-31T20:08:12+00:00 31.07.2008 22:08
Hey!!

Ich fand das Kappi wirklich wahnsinnig toll. Die Kappis sind immer so witzig und einfach super geschrieben. Dein Schreibstil ist echt der Wahnsinn.
Ich glaub ja eher, dass der Mann im Gasthaus Iroh ist. Ich meine den Feuerlord hätte der Typ ja wohl erkannt oder?? Ist ja nicht grad unbekannt in seinem Land oder *ggg*

Ich finds super, dass Lee und Niha sich wieder versöhnt haben. Die zwei passen einfach super zusammen. Genau wie Lu Ten und Pineria. Ich fands echt toll wie Jin Lee aufgezogen hat. Deine Dialoge sind immer so witzig.

Naja wenigstens ist Lu Ten mal ein Mann der begreift wwas er fühlt. Sonst sind die ja eh meistens zu begriffstützig um zuzugeben, dass sie verliebt sind!!!
Bin schon gespannt wies bei ihm weitergeht.

Ich hoffe das nächste Kappi kommt schneller weil ich es nämlich schon nicht mehr erwarten kann. Diese ff und dein Schreibstil sind einfach super.

Schreib biiiiiiiiiiitttttttteeeeeee ganz schnell weiter!!!!!!


ggggggggglg Kaori
Von:  fiZi
2008-07-28T21:06:50+00:00 28.07.2008 23:06
wie immer ein ganz tolles kapitel :)
und spannend ist es auch nach wie vor.
bei dem fremden im wirtshaus würde ich auch auf zuko tippen *g*
ich bin jedenfalls sehr gespannt, wie es weiter geht.
vielen dank für deine ENS
ich hoffe, ich bekomme bald wieder eine, dass kapitel 11 on ist ;O)
liebe grüße
anne
Von:  Schreiberling
2008-07-24T18:40:32+00:00 24.07.2008 20:40
Hallo und sorry, aber ich hab nicht viel Zeit also schnell schnell ein Kommi.

Es war wieder grandios.
Mission Impossible alla Jin und Onkelchen, wenn ich richtig tippe.^^
Es wird auch bei Pippa immer mysteriöser, was wirklich sehr interessant ist. Bin mal gespannt, was diesen Nemo betrifft.^^

Leider war das auch schon. Nächstes Mal mehr.
VLG
Von: abgemeldet
2008-07-22T19:22:28+00:00 22.07.2008 21:22
Ich glaub der Kerl im Gasthaus war Zuko! Obwohl ihn der Wirt dann eigentlich erkennen müsste, aber vielleicht hat er ihm einfach nicht ins Gesicht geschaut... er hat das Foto ja au nicht angeguckt... *grübel*
Und Jin ist bei Lee *g* Ich glaube sie wird sich wunderbar mit Niha vertragen... armer Lee.
Der Teil von Lu Ten war toll, ja, wie macht man(n) der lieben Pineria den Hof? Bisher hat er da ja noch nicht sooo viel auf die Reihe bekommen, auf jedenfall wäre das so in den Augen eines Aussenstehenden so... wie hat Pineria "Willst du mit mir schlafen?" nochmal formuliert? XD
Von:  DarkEye
2008-07-22T18:48:10+00:00 22.07.2008 20:48
olalal...mama ist zu besuch!!
coole idee
!
und wer ist der mann im gasthausß?
weiter so
dark
Von:  Miyako-Hanabi
2008-07-22T11:56:52+00:00 22.07.2008 13:56
*grinsel*
war wie immer eine Freude, das zu lesen^^
Ohje, wenn unsere zwei Damen jemals herausfinden sollten, wer Lee und Lu Ten wirklich sind...
*da lieber nicht im Weg stehen will*
*Mau*^^
Von:  Somi
2008-07-21T22:21:08+00:00 22.07.2008 00:21
klasse kapi
bin auch schon gespannt wie es weiter gehen wird
freu mich schon tierisch darauf weiter zu lesen *mega mega freu*
mach weiter so *anfeuer*
bye *knuddel*

Somi


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