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Drachenauge

Löwenherz Chroniken I
von

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Inkognito

Ryu erwachte, als das Läuten der Glocken im Uhrturm durch die geöffnete Balkontür hereindrang. Während er sich aufsetzte, griff er sich unwillkürlich an den Hals, aber wie gewohnt fand er keine Verletzung. Es war nicht das erste Mal, dass er diesen Traum hatte, aber er schaffte es einfach nicht, ihn zu deuten oder möglicherweise irgendwo einzuordnen. Niemals war ihm etwas Derartiges geschehen, noch kannte er irgendjemanden, dem es einmal passiert sein könnte.

Oft hatte er sich bereits den Kopf darüber zerbrochen, aber nie war er zu einem Ergebnis gekommen – und in dieser Nacht blieb ihm auch keine Zeit weiter darüber nachzudenken.

Eilig erhob er sich von seinem Bett und trat an den Schrank, um sich dort zwischen edlen Roben und aufwändig verzierten Anzügen für besondere Gelegenheiten, Kleidung herauszusuchen, die zumindest ein wenig unauffällig war und ihn nicht sofort als Mitglied der Kaiserfamilie identifizierte.

Wenn er normalerweise mit Lionheart den Palast verließ, um dem adeligen Leben zumindest für ein paar Stunden zu entfliehen, war es nicht notwendig, irgendeine gedeckte Kleidung zu tragen, da genügten die Jagd- oder Fechtkostüme, immerhin verließen sie stets die Stadt und dort draußen war es egal, was sie trugen.

Aber einzig für derartige Gelegenheiten hatte der Hofschneider, den Ryu schon von kleinauf kannte, ihm einige gewöhnliche Stücke geschenkt. Eine einfache, dunkle Hose, ein hellbraunes Hemd und eine dunkle Jacke, dazu noch die passende Mütze, ähnlich jener, die sie oft von Zeitungsjungen getragen wurden, wie er wusste.

Kaum hatte er sich all das angezogen, fühlte er sich auch schon nicht mehr wie ein Kaiser, jedenfalls nicht mehr vollständig. Aber auch wenn er sich nun normal fühlte, der Fakt blieb, dass er zu einer adeligen Familie gehörte und daran würde auch diese Kleidung nichts ändern.

In solchen Momenten beneidete er wieder Seline und hoffte gleichzeitig erneut, dass sie bald wieder zurückkommen würde, um ihm mehr Geschichten von draußen zu erzählen.

Aber auch diesen Gedanken verwarf er wieder, als er in seiner Verkleidung durch die Gänge des Palastes eilte, um sich mit Lionheart zu treffen.

Da es bereits auf Mitternacht zuging, fand er, wie üblich, kaum noch Angestellte, lediglich vereinzelte Wachen waren außer ihm noch unterwegs, aber da er die immergleichen Muster kannte, nach denen sie patrouillierten, konnte er ihnen geschickt ausweichen. So erreichte er schließlich den so gut wie nie bewachten Seitengang, obwohl inzwischen jeder von dem dort versteckten Weg wusste, der direkt in die Stadt führte – aber dort selbstverständlich nicht von jedem geöffnet werden konnte, damit keine unbefugten Personen einfach Zutritt in den Palast bekamen.

Verborgen hinter einem Wandteppich, konnte man eine einfache Tür finden, frei von jeder Verzierung, gleich welcher Art und diese führte zu einer Treppe an deren Fuß sich der Gang befand. Er war kaum beleuchtet und es gab auch keinerlei sichtbare Lichtquellen, aber dennoch konnte man einen unwirklichen Schimmer wahrnehmen, der einen durch diesen Bereich führte.

Im Schein dieses Lichts entdeckte Ryu seinen Leibwächter, der mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt dastand und nur auf ihn wartete. Seine Kleidung entsprach ohnehin immer dem, was als unauffällig bezeichnet werden konnte, hauptsächlich weil sie einfach dunkel und vollkommen ohne jede Verzierung war – und noch dazu besaß er einen zu allem passenden Reiseumhang, der ihn zusätzlich verschleierte.

„Bist du bereit?“

Im Laufe der Jahre hatte sich Lionheart angewöhnt, ihn zu duzen und keine Rücksicht mehr auf den Standesunterschied zu nehmen, sofern sie unter sich waren. Ryu störte sich nicht daran, sondern empfand es als angenehme Abwechslung, deswegen widersprach er nicht.

Er nickte zustimmend auf die Frage seines Leibwächters und setzte sich sofort in Bewegung. „Wir können gehen.“

Der Geheimgang war praktisch, aber auch lang – und durch die darin herrschende Ödnis auch alles andere als geeignet, um Kurzweil entstehen zu lassen, dadurch wirkte der Weg doppelt so lang und durch Lionhearts andauerndes Schweigen sogar fast dreimal so sehr.

Normalerweise verspürte Ryu eine besondere Form von kindlicher Aufregung, wann immer er durch diesen Gang lief, weswegen ihn die Länge nicht so sehr störte. Aber an diesem Tag war es eher ein nervöses Zwicken in seinem Inneren, das die Zeit weitaus langsamer vergehen ließ als sie eigentlich sollte und irgendwann fühlte es sich sogar so an als wäre er bereits seit Tagen unterwegs. Am Liebsten wäre er wieder umgedreht.

„Du musst dir keine Sorgen machen“, sagte Lionheart plötzlich. „Es wird alles gut ausgehen – und sicherlich ist an den Gerüchten nichts dran.“

„Ich wünschte, ich könnte das glauben“, erwiderte Ryu.

Normalerweise hielt er nicht sonderlich viel davon, wenn jemand sagte, dass er etwas einfach wusste, aber in diesem Fall betraf es ihn, sehr zu seinem Ärger, selbst. Er wusste einfach, dass mehr hinter diesen Gerüchten steckte. Nicht nur, weil Argus es vermutet hatte, es war ein Gefühl tief in seinem Inneren, das an ihm nagte und ihm riet, schnellstmöglich etwas zu unternehmen und sich etwas einfallen zu lassen. Aber dafür musste er zuerst mehr über das erfahren, was sich alle auf den Straßen erzählten.

Warum konnte Sir Pail mir nicht einfach sagen, woraus genau die Gerüchte bestanden? Oder hat er das vielleicht, während ich nicht zugehört habe?

Joy war eindeutig im Recht gewesen, als sie angemerkt hatte, dass er es noch bereuen würde, seinem Berater nicht zugehört zu haben. Andererseits war dies auch ein willkommener Ausflug in die Stadt. Er war hin und her gerissen, ob er bereuen oder sich selbst beglückwünschen sollte.

Seine Überlegungen endeten erst, als sie an einer Treppe ankamen an deren obersten Absatz eine Tür war, die sie in ein bestimmtes Gebäude der Stadt entlassen würde. Lionheart zog einen Messingschlüssel hervor und öffnete damit das Schloss, so dass sie durch die Tür treten konnten.

Kaum standen sie im Kellerraum jenseits des Ganges, war es, als ob ein Zauber von ihnen abfallen würde. Gedämpfte Musik drang aus einem der oberen Stockwerke, begleitet von dem Lachen der Tavernen-Besucher.

Bei seinem ersten Ausflug in die Stadt, hatte Ryu sich gewundert, wieso der Geheimgang ausgerechnet in einer Taverne endete. Lionheart war, mit einem Schmunzeln im Gesicht, schnell dabei gewesen, ihm zu erklären, dass Albus, der bei der Planung des Palasts und der Stadt involviert gewesen war, diese Verbindung extra geschaffen hatte, damit er sich alle paar Tage hinausschleichen und etwas trinken gehen könnte. Ryu wusste nicht, was er davon halten sollte, deswegen versuchte er lieber, sich keine zu großen Gedanken um die Vergangenheit seines Vaters zu machen.

„Sonderlich besorgt klingen die nicht gerade“, bemerkte Lionheart, als er das Lachen hörte.

Ryu schloss die Tür wieder, worauf das Schloss automatisch zuschnappte und sich wieder verriegelte. Als zusätzliche Sicherheitsmaßnahme, wurde die Tür noch dazu von einem Zauber verschleiert, der es nur ihm und Lionheart erlaubte, sie zu sehen. Für alle anderen war dort nur eine vollkommen normale Wand.

„Der Eindruck kann täuschen“, erwiderte Ryu schließlich. „Aber im Schankraum erfahren wir sicherlich mehr.“

Lionheart nickte ihm zu und verließ dann gemeinsam mit ihm den Kellerraum, um die dahinter liegende Treppe hinaufzusteigen und den Schankraum zu betreten. Dort herrschte bereits lebhaftes Treiben, allerlei Personen drängten sich um die kleinen, runden Tische oder saßen gemeinsam an der Theke und unterhielten sich lachend, die Hand immer fest um die Bierkrüge gelegt, als müsste man sich an ihnen festhalten, da nur sie Sicherheit boten. In einer Ecke stand ein Klavier, auf dem irgendjemand eine fröhliche Melodie spielte. Der gesamte Raum wurde von einem warmen gelben Licht erhellt, dies war das einzige, was Ryu an diesem Ort mochte.

Der stechende Geruch von Alkohol, der sich mit den Reinigungsmitteln für die Gläser biss, kitzelte dagegen unangenehm in seiner Nase und der Lärm der anwesenden Masse ließ seine Ohren schmerzen.

Normalerweise verließen er und Lionheart diesen Ort immer wieder rasch, aber im Moment war ihm das nicht möglich, da es immerhin um Gerüchte ging und dies war der beste Ort dafür.

„Verhalte dich unauffällig, wie immer“, wies Lionheart ihn flüsternd an und begab sich dann mit entschlossenen Schritten an die Theke. Mit ein wenig Ellenbogeneinsatz verschaffte er sich genug Platz, um sich gegen den Tresen zu lehnen, keiner der bereits dort Anwesenden störte sich daran. Ryu blieb allerdings in einigen Schritten Entfernung stehen und beobachtete das vor sich Gehende.

Der Wirt, ein noch immer jung wirkender Drachenmensch mit kantigem Gesicht und moosgrünem Haar, wandte sich Lionheart zu. „Was darf es sein?“

Er wischte sich die Hände an der schwarzen Schürze ab, weiße, mehlige Spuren blieben zurück. Lionheart kümmerte sich nicht darum. „Informationen, wie wäre es damit?“

Zur Unterstützung seiner Bitte holte er eine goldene Münze aus seiner Tasche hervor und hielt diese demonstrativ zwischen Zeige- und Mittelfinger.

„Informationen worüber?“, fragte der Wirt ohne Interesse.

„Gerüchte wären ein guter Anfang. Was spricht man aktuell auf den Straßen über Ektorn?“

Der Wirt nahm ihm die Münze nur allzugern ab, ehe er sich zu einer Antwort berufen fühlte: „Man munkelt, dass die Menschen eine Methode gefunden haben, um alle Einwohner von Drakani auf einen Schlag loszuwerden.“

Ryu konnte sich nicht vorstellen, womit das möglich sein sollte, aber möglicherweise mangelte es ihm auch einfach an der entsprechenden Fantasie, was auch erklären dürfte, weswegen es ihm so schwerfiel, Lösungen für Probleme zu finden. Selbst im Moment fehlte ihm eine passende Lösung, falls das Gerücht stimmen mochte.

„Um welche Methode mag es sich dabei handeln?“, hakte Lionheart an Ryus Stelle nach.

„Das solltest du lieber Rubens fragen – sofern du dich traust.“ Mit einem amüsierten Schmunzeln ging der Wirt wieder davon, während Lionhearts Schultern sich bereits versteiften.

Als er herumfuhr, um wieder zu Ryu zurückzukehren, merkte dieser, dass sein Leibwächter plötzlich angespannt wirkte, was er bislang noch nie zuvor bei ihm gesehen hatte. Er lachte ein wenig nervös. „Oh, ich denke, wir sollten die Sache vergessen und wieder nach Hause gehen.“

„Weswegen? Wir müssten doch nur diesen Rubens fragen, oder?“

Das schien ihm keine allzu großartige Sache zu sein, deswegen war er ratlos, warum sein Leibwächter sich daran stören könnte. Aber dieser wirkte einfach nur nervös, wann immer der Name erwähnt wurde, so schien es.

„Nein, das sollten wir nicht tun, finde ich. Das ist eine ganz und gar schreckliche Idee.“

Ryu wollte Einzelheiten, aber gleichzeitig wusste er, dass er diese wohl kaum bekommen würde, zumindest nicht an diesem Ort. Deswegen stimmte er zu und drehte sich um – nur um direkt in eine Person hineinzulaufen, die hinter ihm hatte vorbeigehen wollen.

Er bat hastig um Verzeihung und bemerkte dabei, dass alle anderen Anwesenden schlagartig verstummt waren und sie nun anzusehen schienen. Sein wesentlich größerer Gegenüber musterte ihn finster von oben herab, aber sein Blick, der offenbar einschüchternd wirken sollte, funktionierte nicht bei Ryu, wohl nicht zuletzt, weil er sich absolut sicher fühlte.

„Was willst du denn?“, fragte der Mann mit brummiger Stimme.

Seine Fingerknöchel knackten, obwohl er sie kaum bewegte und nun wurde es Ryu doch ein wenig mulmig, da es eindeutig wurde, dass er gerade bedroht wurde. Wie ihm allerdings stets geraten worden war, bewahrte er seine Haltung und ließ sich nichts weiter anmerken. „Um genau zu sein, möchte ich nur vorbei. Ich entschuldige mich für mein respektloses Verhalten.“

In seinen Kreisen war dies die angemessene Form, sich zu entschuldigen – in jenen, in denen dieser Mann verkehrte aber offenbar nicht. Seine Mundwinkel sackten weiter nach unten, obwohl ihm das kaum möglich erschien.

„Machst du dich lustig über mich, Kleiner?“

Bevor Ryu antworten konnte, packte Lionheart ihn plötzlich am Oberarm und zog ihn ein wenig von dem Mann fort, um sich zwischen die beiden zu stellen. „Sei nicht so streng mit ihm, Rubens, der Kleine ist noch neu hier, der kennt dich nicht.“

Wenn dieser Mann Rubens war, verstand Ryu ein wenig besser, weswegen Lionheart sich vor ihm fürchtete, zumindest was die körperlichen Unterschiede anging. Aber dass es da noch mehr gab, bestätigte der massige Mann ihm sofort, als er seine Aufmerksamkeit lieber dem Leibwächter zuwandte. „Dracon, ich dachte nicht, dass du dich hier nochmal blicken lässt.“

„Ach, ich hatte bislang einfach nur keine Zeit“, entschuldigte Lionheart sich nicht sonderlich reumütig. „Du weißt ja, die ganze Arbeit und so.“

„Fühlst dich wohl als was Besseres, da du im Palast arbeitest, was?“

„Aber nicht doch.“ Lionheart hob beschwichtigend eine Hand. „Ihr seid hier ganz großartige Menschen, gibt keinen Grund, euch gegen irgendwen eintauschen zu wollen. Aber irgendwas muss man doch tun für seinen Lebensunterhalt, oder?“

Obwohl Ryu überzeugt war, dass er das nur sagte, um keine weiteren Probleme zu bekommen, schmerzte es doch. Lionheart war die einzige Person, die sein Leben im Palast ein wenig erträglich machte. Wenn er daran dachte, dass dieser vielleicht wirklich einzig und allein aufgrund des Geldes blieb, entstand ein sehr beklemmendes Gefühl in seiner Brust.

„Wo wir gerade davon sprechen“, begann Rubens, „du schuldest mir immer noch Geld.“

Das ist also der Grund, durchfuhr es Ryu. Darum wollte er nicht mit ihm sprechen.

Lionheart hob seine freie Hand, genauer gesagt den Zeigefinger eben dieser. „Gut, dass du es ansprichst. Es ist nämlich so, ich-“

Abrupt zerrte er Ryu plötzlich quer durch den Schankraum, stürzte dabei Tische und Stühle beiseite und scheuchte damit andere Gäste auf, die empört aufsprangen. Ryu strauchelte überrascht, fing sich rasch wieder und bemühte sich dann, Schritt zu halten.

Daran sie aufzuhalten dachte offenbar keiner. Die anderen wichen ihnen scheinbar instinktiv aus, obwohl die bereits Passierten ihnen stets zuriefen, die Fliehenden aufzuhalten, wohl hauptsächlich deswegen, um sich nicht Rubens Zorn zuzuziehen.

Lionheart warf die Tür auf und erst als Ryu die kühle Nachtluft auf der Haut spürte, bemerkte er, dass sie nach draußen gelaufen waren, statt zurück in den Kellerraum. Doch Lionheart hielt immer noch nicht inne, sondern zog Ryu immer weiter.

Als er einen Blick hinter sich warf, stellte er fest, dass niemand sie verfolgte. Entweder waren alle so verdutzt über diese Flucht oder man hielt es ohnehin für überflüssig, da man genau wusste, dass er wiederkommen würde.

Viele Querstraßen weiter erst, hielt Lionheart wieder inne und ließ auch endlich Ryus Arm los, nachdem er sichergestellt hatte, dass der Kaiser sich auf eine Bank gesetzt hatte, um sich auszuruhen, was er auch dringend brauchen konnte. Seine Lungen brannten bereits von der ungewohnten Anstrengung. Aber dennoch musste er es einfach fragen: „Was sollte das?“

„Oh.“ Lionheart vollführte eine Handbewegung, als würde er etwas über seine Schulter werfen. „Das war nur Rubens. Mit dem kommt es öfter zu Problemen.“

„Er sagte, du schuldest ihm Geld.“ Ryu wusste nicht, wie viel Lionheart verdiente, aber es musste zweifelsohne mehr als genug sein, um seinen Lebensunterhalt damit zu decken – schon allein, weil er im Palast lebte und auch dort seine Mahlzeiten einnahm – weswegen er nicht glauben konnte, dass sein Leibwächter wirklich Schwierigkeiten haben könnte, damit auszukommen.

„Ja“, antwortete Lionheart gedehnt. „Spielschulden.“

Ryu seufzte schwer. „Wieso haben so viele meiner Untertanen Spielschulden?“

Er war fast schon geneigt, an einen Fluch oder an eine gewisse Anfälligkeit seiner Spezies für derartige Laster zu glauben, aber zufrieden war er damit nicht.

„Weil Rubens betrügt!“, sprach Lionheart voller Überzeugung. „Erst betrügt er und dann erpresst er einen und man wird seine Schulden nie wieder los, egal wie viel man ihm zahlt.“

In seinem Blick las Ryu, dass sein Gegenüber hoffte, von ihm Absolution zu erhalten, aber so einfach wollte er ihn nicht davonkommen lassen. „Wenn ihr das alle wisst, warum spielt ihr dann überhaupt mit ihm?“

In einer verlegenen Geste legte Lionheart die Fingerspitzen all seiner Finger aneinander und blickte darauf hinab. „Na ja, es ist ein wenig Abwechslung. Man hat hier ja nicht viel davon.“

Ryu ging nicht weiter darauf ein, obwohl er ihm gern eine wütende Erwiderung gegeben hätte, stattdessen ließ er den Blick schweifen, um ein anderes Problem. „Wie kommen wir jetzt wieder in den Palast zurück? Wir können nicht einfach zur Torwache marschieren und ihnen sagen, dass wir uns ausgesperrt haben.“

Lionheart schmunzelte ein wenig. „Das ist korrekt. Aber zum Glück hat Albus auch für einen solchen Fall vorgesorgt und einen weiteren Geheimgang anlegen lassen.“

Bereits nach diesen Worten wollte Ryu gar nicht mehr wissen, welche Eskapaden sein Vater mitgemacht hatte und die ihm nun verwehrt wurden, es hätte nur seinen Neid weiter angefacht.

„Wo befindet sich dieser Geheimgang?“

„Ich werde mich erst umsehen müssen“, sagte Lionheart. „Warte hier solange.“

Er wartete nicht einmal die Antwort ab, sondern lief sofort los, kaum dass er den Mund geschlossen hatte. So schnell wie er ging, kam es Ryu vor als versuchte er, vor einer unangenehmen Situation zu fliehen. Noch als er bereits in einer der Straßen verschwunden war, hörte er die viel zu eiligen Schritte seines Leibwächters, der hoffentlich nicht in weitere Probleme geraten würde.

Ryu selbst blieb allein zurück, auf einem kleinen Platz, der tagsüber sicherlich voller Leben und nun vollkommen leer war. Neben seiner Bank standen zwei weitere, leicht einander zugeneigt, so dass sie einen idealen Ort für kleinere Treffen darstellten. Der weiße Sand auf dem Boden schien im Mondlicht silbern zu glühen und war damit die einzige, karge Beleuchtung an diesem Ort. Grünpflanzen gab es keine, aber Ryu wusste, dass man die Anpflanzung dieser auf den Hauptplatz und den kleinen Park begrenzt hatte. Das vereinfachte die Pflege, so lautete zumindest die offizielle Begründung und er war durchaus gewillt, sie zu glauben.

Sich ihm nähernde Schritte holten ihn wieder aus seiner Gedankenwelt heraus und lenkte seinen Blick in die entsprechende Richtung, in der Erwartung, dass es sich um Lionheart handelte.

Doch die Person blieb in den Schatten einer kleinen Gasse stehen, so dass er sie nicht erkennen konnte. Auch nicht die Stimme, als die Gestalt eine Frage stellte: „Kaiser Ryudo?“

Gedankenlos antwortete er mit „Ja“ und hätte sich dafür noch im selben Moment am Liebsten auf die Zunge gebissen. Da es nun aber bereits draußen war, konnte er nicht viel mehr tun als sich auf die Reaktion des anderen vorzubereiten.

Ein leises, spöttisches Lachen hatte er allerdings nicht erwartet. „Gut zu wissen. Schön, Euch zu treffen, Eure Majestät.“

Ryu wollte nachhaken, um wen es sich bei dem anderen handelte und was er um diese Zeit und gerade an diesem Ort von ihm wollte, doch noch ehe er dazu kam, spürte er eine Bewegung hinter sich – und im nächsten Moment bekam er bereits einen heftigen Schlag gegen den Hinterkopf, der ihn kraftlos zu Boden sinken ließ, er spürte nicht einmal den Aufschlag seiner Knie.

Alles begann vor seinen Augen, sich zu drehen, die Farben begannen zu zerfließen und ineinander überzugehen, so dass er den Mann nicht einmal erkennen konnte, als dieser schließlich doch ins Mondlicht trat und sich sogar zu ihm hinabbeugte.

„Jemand hätte Euch beibringen sollen, dass es nicht gut ist, nachts durch die Gegend zu wandern“, sagte die Stimme noch amüsiert, ehe Ryu seinen Oberkörper kraftlos in den Sand fallen ließ.

Zuletzt hörte er noch das Gelächter zweier Männer, ehe sich die Dunkelheit restlos über ihn senkte und ihn vorerst von der quälenden Frage, was nun geschehen würde, erlöste.



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