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Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

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London 3 - Jahrmarkt

John

„Steh auf, John! Sofort!“ Die Stimme seines Vaters war durchdringend wie eh und je. John richtete sich leicht auf und sah ihn in der Tür stehen. „Es ist helligster Tag, unten steht die Lieferung und keiner kümmert sich. Das ist ja mal wieder typisch für dich. Nachts unterwegs sein, sich prügeln und sich betrinken und tagsüber nicht arbeiten können. Nutzlos bist du, absolut nutzlos. Du wirst dir noch das letzte bisschen Verstand wegsaufen,eine Schande bist du. Steh gefälligst auf, Taugenichts!“ John schwang die Beine aus dem Bett und merkte erst jetzt, dass er nackt war. Langsam kehrten die Erinnerungen daran zurück, weshalb er überhaupt eingeschlafen war. John sah sich um, aber nichts deutete darauf hin, dass Tancred noch hier war. Der kurze Schreckmoment hatte sein Herz wieder zum Laufen gebracht. „Zieh dir gefälligst was an, du Nichtsnutz! Liegt der einfach nackt ins seinem Bett! Und warum riecht es hier eigentlich so nach Fisch?“ John kehrte mehr und mehr ins Hier und Jetzt zurück und mehr und mehr kehrten die Erinnerungen an den Vormittag zurück. Er stand auf, ging ins Bad, um sich zu waschen und kurz mit kaltem Wasser abzuduschen, bevor er endlich wieder angezogen unten im Laden auftauchte und wortlos an die Arbeit ging. Beim Arbeiten konnte er wenigstens nachdenken. Es gab vieles, worüber er nachdenken musste. Zum einen, was dieser Sturz ins Wasser ausgelöst hatte in ihm, zum anderen, warum Tancred die Situation nicht ausgenutzt hatte, warum er ihn verschmäht und zurückgewiesen hatte, warum er seine Schuld nicht einfach so begleichen hatte können. Der Mann machte ihn fertig. Legte sich nackt zu ihm ins Bett, um ihn zu wärmen, und ging nicht auf das Angebot ein, mit ihm zu ficken. Irgendwie begriff er nicht, was in Tancred vor sich ging. Vielleicht hatte jener ähnliche Prinzipien wie er selbst. Vielleicht hatte es daran gelegen. Er wusste es nicht… Aber ein wenig ärgerte es ihn schon, ein wenig war er eingeschnappt, ein wenig war er beleidigt. Ihn von der Bettkante zu verweisen.. das war ihm auch noch nie passiert. Dennoch berührte ihn dieses Verhalten auch ein wenig. Welcher Mann hätte das nicht ausgenutzt, oder? Welcher Mann hätte einer schönen willigen Beute widerstehen können?

Aber andererseits: Was wäre anschließend gewesen? John wusste, dass er Tancred anschließend vor die Tür gesetzt hätte, mit irgendeinem Satz, der den anderen möglichst für immer aus seinem Leben verscheucht hätte.

Und jetzt? Jetzt würde er ihn wohl zwar nicht mehr so schnell wiedersehen, aber wenn sie sich begegnen würden, dann würden sie ganz normal miteinander umgehen können. Diese Tatsache freute ihn irgendwie.

Die andere Sache beschäftigte ihn aber genauso sehr, während er den gesamten Nachmittag dabei war, sich von seinem Vater herumkommandieren und herumscheuchen zu lassen. Er widersprach nicht, murrte nicht, tat einfach, was ihm aufgetragen wurde, während der Alte sich irgendwann beruhigte und sie ihre gewohnte Arbeitsatmosphäre wieder hatten - Schweigen. Das stille Abkommen, sich einfach in Ruhe zu lassen, bestand wieder. Trotzdem konnte sein Vater es nie lassen, Fragen zu stellen, die ihn schmerzten. „Wann sagtest du, käme Kieran endlich wieder?“, fragte sein Vater, nachdem er eine Tinktur abgefüllt hatte, die John gerade produziert hatte. „Er wird wohl morgen kommen, davon gehe ich aus“, sagte John und ließ sich nicht provozieren. „Ansonsten reite ich zum Anwesen der Sforzas und werde ihn bitten, dir zu helfen.“ „Ja, mach das“, sagte sein Vater erleichtert. „Das wäre wenigstens eine gute Tat von dir.“

John nahm sich das eigentlich schon lange nicht mehr zu Herzen. Aber heute und nach dem, was er heute erlebt hatte, schmerzte es doch. Do ging er einen Moment hinaus, atmete tief durch, setzte sich auf die Treppe und genoss die kühle Abendluft, die durch die Gassen hinaufzog. Dass sein Vater als Kind versucht hatte, ihn umzubringen, das wunderte ihn nicht. Und doch war diese Information sehr heftig. Kein Wunder, dass er sie verdrängt hatte bis zum Vergessen. Was sollte er damit tun? Wie sollte er damit umgehen?

Tancreds Lebensgeschichte kam ihm wieder in den Sinn. Sollte er vielleicht doch einmal überlegen, weg zu gehen? Dieses Leben einfach hinter sich zu lassen? Aber ohne Abschluss und ohne bedeutenden Namen, würde er nie das machen dürfen, was er wirklich konnte. So einfach war das nicht, wie man das so sagte.
 

Tancrèd

Tancred war zurück zu dem Gasthaus gegangen, in dem er wohnte, hatte sich ausgiebig gewaschen und rasiert - oder eher: Kadmin hatte ihn rasiert. Der Araber hatte offenbar eine lange Nacht hinter sich und hatte noch geschlafen, doch ein nackter Tancred im Bad hatte ihn offensichtlich aus dem Bett getrieben. Nach all dem was Tancred am Morgen gesehen hatte, nach all dem was er zurück gehalten hatte, nahm er das unterschwellige Angebot seines ersten Maats nach ein wenig Zweisamkeit an. Dennoch fühlte es sich schal und seltsam an... Kadmin war schon lange nicht mehr das, was er wollte, und als er die Lippen des Arabers überdeutlich an seinem Körper gespürt hatte, war ihm das noch klarer geworden. Kadmin schien sein Desinteresse bemerkt zu haben und hatte es nach dem recht kurzen Intermezzo eilig gehabt, das Gasthaus wieder zu verlassen. Tancred hatte sich mehr Zeit gelassen.

Nach dem Bad hatte er sich saubere Kleidung angezogen und war durch die Straßen geschlendert. Er hatte zwei Pferde für den Abend bestellt und schon bezahlt, damit er und John zumindest den Weg hinaus nicht laufen mussten, da dieser doch recht weit war. Danach hatte er sich umgesehen und in der Stadt bereits einige der Gaukler angetroffen, die kunstvolle Masken für den Abend verkauften. Anscheinend war das etwas besonderes, Tancred fand die Masken amüsant. Er probierte die ein oder andere an und entschied sich bequemerweise für eine Maske in schwarz und Rot mit kunstvollen Federn, die nur eine Öffnung für sein gesundes Auge hatte. Und er kaufte auch eine für John, auch wenn er nichteinmal wusste, ob der mitkommen würde. Er wählte eine in hell- und dunkelblau, die Johns Augenfarbe unterstreichen würde. Beide Masken verdeckten nur das halbe Gesicht, doch das reichte und Tancred packte sie vorsichtig in ein Tuch. Nachdem er noch etwas gegessen hatte, kehrte er zurück in das Gasthaus und gönnte sich auch noch zwei Stunden Schlaf, ehe er aufstand, sich anzog und sich auf den Weg machte. Es versprach eine angenehmere Nacht zu werden, die Luft wurde kühler und es ging ein angenehmes Lüftchen in den Gassen. Er schlenderte zu dem Stall, hatte sich einfache aber bequeme und ordentliche Kleidung angezogen, die die Maske unterstreichen würde. Am Stall angekommen ließ er sich die beiden Pferde geben, schwang sich auf das eine und nahm das andere am Zügel. Es strömten bereits einige Menschen in Richtung Stadttore, so dass er nur langsam vorankam, doch Tancred hatte es nicht eilig. Entweder John würde noch da sein oder eben nicht. Wenn er nicht da war, dann würde Tancred alleine gehen. Als er in die Gasse bog, die wie erwartet ziemlich leer war, sah er von weitem bereits eine Gestalt auf den Stufen vor dem Laden sitzen.. John? Er ließ die Pferde in ruhigem Schritt die Straße hinauf trotten und zügelte sie beide neben dem jungen Mann, der ihn gar nicht wirklich wahrgenommen hatte. Zwar hatte John irgendwie geradeaus gestarrt, doch er schien in Gedankn versunken zu sein. "Und so willst du wirklich ausgehen? Also ich dachte, du machst dich hübscher für mich." Er grinste schief. "Wobei du mir vorhin eigentlich am besten gefallen hast. Aber ich glaube, das wäre unangemessen." Er grinste noch immer und warf John die Zügel des Beipferdes zu. "Na los, es wird bereits dunkel. Oder hast du noch zu arbeiten? Dann werde ich warten.. oder deinem Vater verdeutlichen, dass ich dich unbedingt brauche für einen sehr wichtigen Termin." Er zwinkerte ihm zu, war bester Laune. Vor allem weil John so gar nicht bester Laune schien.. er wollte ihn aufmuntern.
 

John

John fröstelte leicht, aber er registrierte es kaum. An den Geräuschen im Laden wusste er, dass sein Vater sich zurückzog und er nun endlich wieder seine Ruhe hatte. John seufzte und ließ einen Moment den Kopf hängen. Vielleicht sollte er aufgeben, diesen stummen und sinnlosen Kampf zu kämpfen. Sein Vater würde ihn nie akzeptieren, würde ihn nie anerkennen. Er war viel zu verbittert, als dass er das könnte. Und er würde sich nie ändern. Aber könnte er ihn allein lassen? Allein mit der ganzen Arbeit, die das Geschäft und die Patienten bedeutete? Zumindest sollte er das Studium abschließen, dieses eine Jahr noch... So lange würde er es doch aushalten, oder? Er hatte es bisher doch auch geschafft! Und dann? Was würde er dann machen? Reisen? Bei seinen Ängsten? Nun vielleicht sollte er die einfach abbauen... Sicher, das war leichter gesagt als getan. Aber wenn diese Angst wirklich sein Vater zu verantworten hatte, dann - so kam es John vor - war der einzige Weg, sich von seinem Vater zu lösen, eben diese Angst zu bekämpfen.

Er bemerkte den Reiter und die beiden Pferde wirklich erst, als sie vor ihnen zum Stehen kamen. Er blickte auf. Sicher wollte jemand nur nach dem Weg fragen...

Die Stimme, die Worte - Tancred.

Irgendwie musste John unwillkürlich schmunzeln. "Ich bin immer hübsch", konterte er prompt und fing die Zügel auf. "Und zugegebenermaßen bin ich nackt wirklich am schönsten. Auch wenn das nicht jeder zu schätzen weiß." Er sah den anderen einen Moment von unten her an. "Aber wie mir scheint, hast du dich für mich hübsch gemacht. Und solche Mühe sollte ich wohl anerkennen." Er stand auf und reichte Tancred die Zügel. "Gib mir fünf Minuten."

Er ging ins Haus, schloss den Laden ab und ging in sein Zimmer, um sich schnell umzuziehen. Er zog eine enganliegende, dunkle Lederhose und ein ebenfalls relativ enges Hemd an. Dann fuhr er sich mit angefeuchteten Händen durch die Haare. Er nahm etwas Geld, dann verließ er das Haus aus dem Nebeneingang.

Irgendwie freute es ihn, dass Tancred ihre Verabredung nicht platzen hatte lassen, auch wenn er so gar nicht mit ihm gerechnet hatte. Außerdem hatten die Worte des anderen ein wenig versöhnlich geklungen. Die Chance, die er Tancred geboten hatte, ihn noch einmal haben zu dürfen, würde er sicher nicht so bald wieder wiederholen. Aber er würde auch keine Chance auslassen, ihm klar zu machen, was er verpasst hatte. Mal sehen. Ein wenig war er ja auch dankbar für die Ehrlichkeit und vor allem die Uneigennützigkeit des anderen. Er freute sich nach diesem durch und durch beschissenen Tag, rauszukommen und sich ablenken lassen zu können.
 

"So", sagte er und sah Tancred an. "Ich hoffe, du nimmst mich so mit." Er trat an sein Pferd heran, nahm Tancred die Zügel ab. Er war kein besonders guter Reiter, aber das Pferd wirkte gelassen und ruhig auf ihn. Daher richtete er die Steigbügel, gurtete nach und saß schließlich auf. Zumindest hatte er in letzter Zeit die Möglichkeit gehabt, mehr Erfahrung zu sammeln.

John übernahm die Führung und lenkte sie ein wenig abseits, wo wenigstens nicht so viele auf den Straßen unterwegs waren. Als sie schließlich ankamen, blickte sich John vom Pferd aus kurz um. "Lass sie uns bei Kierans Familie unterbringen", schlug er vor und stieg ab, als er sie erspäht hatte, um die Tiere dorthin zu führen. Er kannte die Familie von den Besuchen, die sie Kieran abgestattet hatten. Als er erkannt wurde, wurden sie herzlich begrüßt von Kierans Mutter, Fatih und seinem Vater. "Das ist Tancred de Nerac, der Kapitän auf dessen Schiff Kieran mitgesegelt ist", stellte John seine Begleitung vor. Nachdem sie schließlich über Kieran genug erzählt hatten, schafften sie es endlich wieder loszukommen, um sich auch den Rest des Jahrmarkts anzusehen. "Entschuldige", sagte John, "dass ich dir damit Zwit gestohlen habe, aber das war wichtig. Kieran hat sie nicht mehr gesehen, seit er mit dir losgezogen ist. Er hat ein schlechtes Gewissen, vielleicht beruhigt es ihn ein wenig, dass ich erzählt habe, wie es ihm geht."
 

Tancrèd

Tancred wusste nicht genau, welche Ängste und Wünsche und Befürchtungen John plagten, er wusste nur, dass John ein nicht gerade kleines Paket zu Schultern hatte, und das tat ihm wirklich leid. Er mochte den jungen Mann sehr, das hatte er gemerkt. John war ihm einfach sympathisch und das war eine schöne Grundlage für diese Bekanntschaft und er konnte sagen, dass er John einfach um seiner selbst willen mochte, vielleicht auch, weil der ihn so an sich selbst erinnerte. Als er jetzt auf dem Pferd saß und auf John herabsah konnte er erkennen, das der gar nicht mit ihm gerechnet hatte. Doch das Lächeln, das langsam die dunklen Schatten aus Johns Gesicht vertrieb, war es mehr als wert. Er nahm die Züge wieder entgegen und wartete auf John, der wirklich nicht lange auf sich warten ließ. Als er wiederkam konnte sich Tancred einen anerkennenden Pfiff durch die Zähne nicht verkneifen. Es gab wenige eng geschnittene Hemden, doch John trug eines und es kleidete ihn ungemein. "Ich denke es wird dem Zweck genüge tun" erwiderte er auf Johns Frage und gemeinsam verließen sie langsam die Stadt.

Tancred hatte es nicht eilig und hatte erhlich gesagt auch noch keine Idee, wo sie die Pferde unterbringen konnten. John hatte allerdings eine Idee und so lernte Tancred kurz darauf die Familie des Mannes kennen, den er eine Nacht in seiner Kajüte durch die Laken geschubst hatte. Vermutlich war sein Lächeln deswegen so breit, aber er ließ sich nichts anmerken. Sie gaben die Pferde bei der Familie ab und Tancred nahm die Masken, noch immer im Tuch verborgen, mit, als sie den Lagerplatz der Familie Carney verließen.

Johns Entschuldigung winkte er ab. "Es ist schon in Ordnung. Er wird wenig Zeit haben, sie zu besuchen, und sie freuen sich sicher über jede Nachricht von ihm. Hier, ich habe etwas für dich." Er zog die eigene Maske aus dem Tuch und reichte John die schön verzierte zweite, ehe er seine sogleich anlegte. Die meisten Besucher liefen hier mit diesen Masken herum, die dazu dienen sollte die Standesunterschiede zu verschleiern... und wohl noch mehr zu verschleiern, welche Personen aus Glaubensüberzeugungen oder weil sie Ehefrauen hatten, hier besser nicht zugegen sein sollten. Es war einfach ein Schutz und Tancred mochte die Anonymität der Masken, auch wenn er sie fast nicht brauchte. Er pochte nicht auf seine adelige Herkunft, auch wenn sie ihm ab und an anzumerken war, wenn er es darauf anlegte. So schlenderten sie bald darauf gemeinsam über den Jahrmarkt, erstanden etwas zu Essen, sahen einigen Schaustellern und deren Spektakeln zu und hatten alsbald jeder einen gefüllten Becher Würzwein in der Hand. Die Gewürze tünchten sehr sicher übder den schlechten Wein hinweg, der morgen für Kopfschmerzen sorgen würde, doch das war Tancred egal. Er wollte feiern und der Wein war stark, also würde er auch gut für den nötien Trunkenheitsgrad sorgen. "Ich hoffe, ich verliere dich nicht im Getümmel.. am Ende werde ich noch von wilden Weibern angegriffen..." Denn die Chance, dass das passierte, war für einzelne Männer wesentlich größer als für zwei. "Das Hemd gefällt mir übrigens." Er deutete auf Johns Oberteil. "Es kleidet dich gut." Der Blick aus Tancreds einem einzeilnen Auge reichte bereits, um John zu verraten, dass seine Kleidung mehr verriet als verbarg.. und dass es Tancred gefiel.

Sie standen noch in der Nähe des Zeltes, in dem Wein und Bier ausgeschenkt wurden, und waren nur ein Stück zur Seite gegangen. Tancred sah den jungen Mann, der sicher auf sie beide zusteuerte erst, als der schon direkt vor ihnen stand. Und offenbar war es kein Interesse, das er an ihnen beiden hatte, sondern eher das Wissen, dass er John kannte. Und John schien ihn auch zu erkennen. Im ersten Moment und ohne genaures Hinsehen hatte Tancred den Mann von Statur und Größe für Kieran gehalten, doch beim zweiten Blick im Dämerlicht sah er, dass es ein Mann mit hellbraunem Haar war, der noch ein wenig zierlicher Gebaut war als Kieran. Er schob sich direkt an John heran, ließ irgendeine Bemerkung fallen die wohl "Da bist du ja endlich!" hätte heißen sollen, und .. Tancreds Augenbraue wanderte in die Höhe .. hatte wohl den Plan direkt beherzt zuzugreifen. John war schon dabei zurückzuweichen und Tancred grinste. Da John sich leicht von ihm weggedreht hatte, griff der Franzose von hinten um John herum, zog ihn mit einem Ruck an seine Brust und legte seine Hand über Johns Schoß, so dass der Vormarsch ihres "Gastes" gestoppft wurde und er zum ersten mal, sichtlich irritiert, den dunklen Mann hinter John wahrnahm. Der sah über Johns Schulter nach vorn und legte den Kopf zur Seite. "Das da unten mein Lieber ist französisches Hoheitsgebiet. Dahin fasst niemand außer mir - und darauf setzt sich niemand außer mir. Verstanden?"
 

John

Eines, was ihm Tancred sehr sympathisch machte, war, dass dieser seinen Humor zu nehmen wusste. Er verstand seine Ironie, die immer leicht mitschwang, und mit der einige wirklich große Probleme hatten. Ironie war das, was ihn in diesem Leben irgendwie oben hielt, Ironie und Sarkasmus. Er war zum Glück noch nicht so zerfressen, dass er nicht auch ernst sein konnte, oder nur noch sarkastisch daherredete, und wenn er einmal merken sollte, dass dem doch so wäre, würde er sich freiwillig noch einmal ins Hafenbecken begeben… Der Pfiff des anderen kam ihm schon entgegen, und als jener ihm eben seine Ironie aufgreifend bestätigte, dass er sich so sehen lassen konnte, merkte John, dass die eben noch so düsteren und beklemmenden Gedanken mehr und mehr schwanden und seine eigentliche Unbefangenheit zurückkehrte.
 

Als Tancred ihm vor dem Lager der Carneys etwas, eine Maske überreichte, war John etwas überrumpelt. Er wusste ehrlich gesagt nicht, wann er einmal etwas Derartiges geschenkt bekommen hatte. Aber er wäre nicht John, wenn er sich seine Überraschung sehr lange ansehen ließe. „Du hast ein gutes Auge für Schönheit, wie mir scheint“, sagte er lächelnd und betrachtete Tancred kurz, der die seine angelegt hatte. Er hob die Hand und richtete eine der Federn, die etwas unpassend abstand. Dann legte er die seine an. Ihm war nicht entgangen, dass die Farben passend zu seinen Augen ausgesucht worden war. Es erstaunte ihn, dass Tancred über solche Dinge nachzudenken schien – denn für Zufall hielt er es nicht. Es hatte auch schon Leute gegeben, die geglaubt hatten, dass er dunkle Augen hätte. Aber Tancred schien genau hingesehen zu haben, sich darüber sogar Gedanken gemacht zu haben. Das verwirrte John, was er allerdings versuchte zu überspielen. „Und?“, fragte er. „Ich würde sagen, sie passt perfekt“, gab er auch schon die Antwort und musste lächeln, blickte Tancred einen Moment länger an, als es vielleicht nötig gewesen wäre und drehte sich dann weg. Irgendwie wusste er gerade gar nicht, wie er diesen Mann behandeln sollte, wie er ihn einschätzen sollte, was jener wohl vorhatte. Er hatte keinen Sex gewollt, und jetzt das? Irgendwie passte das alles nicht zusammen.

John genoss den Jahrmarkt, auch wenn man es ihm wenig ansah. Die Schausteller waren etwas, was er bewunderte, wofür er Kieran vielleicht auch ein wenig beneidete. Auch die Marktstände waren voller kleiner Kostarkeiten und wunderbaren Dingen. Es gab viel zu sehen und an einer unfassbar teuren Waage, von deren Art er definitiv eine gut gerbauchen könnte, hatte sein Interesse etwas länger als sonst gepackt. Dennoch war er keiner, der mit Kulleraugen umherlief und alles bestaunte. Er war jemand, der sich für sich freute, im Inneren. Vielleicht, weil er nie jemanden gehabt hatte, mit dem er sich zusammen hatte freuen können. John aß sich satt, hatte er doch seit heute Morgen nichts mehr bekommen. Schließlich besorgten sie sich noch etwas zu trinken und Johns Augen strichen über die Menge, das bunte Treiben. Ein wenig hatte er gerade das Gefühl, frei zu sein. Es war ein gutes Gefühl. „Wilde Weiber?“ John fragte zweifelnd. „Ich weiß nicht, ob ich dich vor solchen beschützen könnte“, grinste er leicht. „Und ich weiß auch gar nicht genau, ob du vor ihnen wirklich beschützt werden möchtest. Vielleicht machen sie dich ja mehr an, als ich, wer weiß?“ Irgendwie konnte er den Vormittag nicht so ganz vergessen. „Aber ich bemühe mich, dir nicht verloren zu gehen.“ Tatsache war, dass er auch kein Interesse daran hatte, hier allein irgendwann dazustehen und nicht zu wissen, wann und wo Tancred wieder auftauchen würde.

Als Tancred auf sein Hemd deutete und ihm das Kompliment aussprach, sah er an sich hinab. „Der Schneider, den ich das und noch ein anderes habe machen lassen, wies mich ständig darauf hin, dass es kaum eine Mode gäbe, bei der das üblich sei, und dass es nicht gut aussehen könnte, eher sogar für Aufsehen sorgen würde“, erzählte er und blickte Tancred wieder an. „Danke also dafür, dass du mir den Schneider als Idioten entlarvst, der aber wenigstens etwas von seinem Handwerk versteht.“ Er hatte wirklich ziemlich diskutieren müssen, als er ihm erklärt hatte, was er wollte. Aber das war es ihm wert gewesen. Er hatte in diesem Sommer viel Geld verdient und sich schon lange etwas in der Art gönnen wollen. Und dass es gut ankam, umso besser. Johns Blick glitt wieder über die Menge vor dem Ausschank. Einige hatten begonnen zu der Musik zu tanzen, die gespielt wurde, und bald schlossen sich einige an. Er bemerkte Will erst viel zu spät, wie ihm schien, denn er hatte keine Möglichkeit ihm noch mit dem entsprechenden Ausdruck im Gesicht in seine Schranken zu weisen. Will war definitiv jemand, den man sich vom Leibe halten musste, wie er schon einmal schmerzhaft erfahren hatte. Er hatte sich einmal von dem zierlichen Mann nach hinten abschleppen lassen, als er im Conner‘s gewesen war. Dass das ein großer Fehler gewesen war, hatte er schon gemerkt, als jener ihm im Anschluss offenbart hatte, mit ihm den passenden Deckel gefunden zu haben und an ihm hing wie eine Klette. Er hatte nicht viel drauf gegeben, hatte einen bissigen Kommentar abgelassen, aber offenbar nicht bemerkt, dass der Kerl das zum einen wirklich so meinte, zum anderen nicht begriffen hatte, dass John nur einen Fick gewollt hatte. Es war vor ein paar Tagen schon einmal zu einer nervigen Situation gekommen, in der Will ihn mitten in der Stadt dazu bewegen hatte wollen, mit ihm auf einen Quickie irgendwohin zu kommen. Er hatte wirklich Mühe gehabt, ihm klar zu machen, dass er erstens kein zweites Mal mit ihm schlafen würde, zum anderen an diesem Ort und sicher nicht bei der Arbeit einen Quickie schieben würde.

Diesmal sah John ihn definitiv zu spät, denn jener stand schon vor ihm. John wich unwillkürlich zurück, was jedoch kaum etwas brachte, denn Will rückte ihm direkt auf die Pelle und schien schon in seinen Schritt greifen zu wollen. Doch ganz so weit kam es nicht, denn zu seiner Überraschung fühlte sich John mit einem Mal an der Hüfte gepackt und zu Tancred gezogen, der die Hand des anderen abblockte, woraufhin Will verdutzt aufsah. John sammelte sich wieder, blickte Will genervt und schier feindselig an, doch bevor er jenem etwas vor den Latz knallen konnte, hörte er Tancreds Worte neben seinem Ohr, die zu Will mit einem französischen Unterton sprachen, dass John einen Moment fast aus den Latschen gekippt wäre - und nicht nur wegen des Untertons. Auch die Worte waren erstaunlich und jagten ihm einen Schauer über den Rücken. Aber John ließ sich nichts anmerken, blickte Will nun an. „Da hörst du es“, griff er Tancreds Worte auf. „Verzieh dich und streich mich von deiner Liste!“ Wills Blick glitt zwischen ihm und Tancred einen Moment schier prüfend hin und her. „Arschloch“, hörte er nun schon zum zweiten Mal heute.

Tancred schien den jungen Mann tatsächlich beeindruckt zu haben, denn er ging. John sah Will einen Moment nach, bis dieser wirklich wieder in der Menge untergegangen war, dann merkte er, dass Tancred ihn noch nicht losgelassen hatte. Irgendwie fühlte er sich ziemlich überrannt. Langsam drehte sich John in Tancred leichter Umarmung und er sah den anderen herausfordernd an. „So so, Herr Kapitän“, begann er nur so laut, dass es nur Tancred hören konnte, andere aber nicht. „Ich kann mich gar nicht entsinnen, dass mein Körper an die Franzosen gefallen ist.“ Er strich mit seinen Fingern über die Brust des anderen und folgte diesen mit seinen Augen. „Ganz im Gegenteil.“ Sein Blick ging wieder nach oben und er sah Tancred fragend an, hielt in seinen Bewegungen inne und schien kurz zu überlegen. „Und mir war es auch neu, dass du dich mir gerne auf den Schoß setzt.“ Eine Augenbraue wanderte nach oben. „Heute Morgen wolltest du weder sitzen noch setzen lassen.“ Er beugte sich nach vorne und seine Lippen näherten sich Tancreds Ohr. „Aber lass dir gesagt sein, dass mein Körper niemandem gehört, ich niemandem gehöre und ich mir immer noch selbst aussuche, wer auf mir zum Sitzen kommt. Deine Hilfe war überflüssig. Vielleicht hätte ich ihn ja gerne hinter der Bude gefickt…“ Etwas in John wehrte sich gegen diese Worte, aber das, was ihm befahl, sich von diesem Mann loszumachen, der ihn da auf so ungewohnte Weise beschützte und umsorgte und beobachtete und berührte und … argh! John wandte sich ab und distanzierte sich so von Tancred. Eigentlich wollte er Tancred nicht vergraulen, wollte ihn nicht von sich stoßen. Aber irgendwie wurde ihm die Situation zu eng. Er musste sich wieder Platz machen.
 

Tancrèd

Hinter der Maske verborgen über diesen Jahrmarkt zu schlendern war genau das, was Tancred gewollt hatte. Auch wenn er eigentlich keine Standesgrenzen kannte, so war dieses Losgelöst-Sein von allem genau das, was er sich gewünscht hatte. Er mochte es zu scherzen, mochte die lockere Atmosphäre. Und er mochte es nicht allein hier zu sein. Natürlich hätte er Kadmin mitnehmen können, der ihn nach London begleitet hatte.. aber Tancred hatte den großen Araber schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und nahm an, dass Kadmin einfach nicht aus den Betten kam. Er machte sich keine all zu großen Sorgen um den Mann, der bestens auf sich selbst aufpassen konnte. Nein, es gefiel ihm mit John hier zu sein. John war einfach mal Abwechslung. Er war beinahe so etwas wie sein Freund, nicht im Sinne eines Partners, sondern eines Freundes. Ein "Nadim", auch wenn das eigentlich sein Name war. Das war nicht nur für ihn etwas Neues, sondern auch für John, das merkte Tancred je länger sie gemeinsam über den Jahrmarkt schlenderten. Tancred war oft mit Frauen ausgegangen, die keine Scham hatten, sich hier und da etwas kaufen zu lassen, das ihnen gefiel. Auch John sah sicher das ein oder andere, aber entweder er kaufte es selbst, oder er ließ es, wenn er sah, dass er es nicht bezahlen konnte. Und auch wenn Tancred den Wunsch hegte, es ihm zu kaufen, so merkte er, dass John schon mit dem Geschenk der Maske überfordert war... und deswegen bezahlte er nur Getränke und Essen, weil er ja versprochen hatte, ihn einzuladen.

Er sah so viele Gesichter von John... und das beeindruckte Tancred. Er selbst trug keine Maske, war offen und ehrlich in allen seinen Gefühlen. Und auch John war ehrlich - aber vor allem was andere betraf. Was sich selbst betraf, trug er eine Maske, so vielschichtig, dass man kaum hindruch sehen konnte. Wenn er den John, der sich jetzt in seinem Arm herumdrehte und von dem er so kühl abgefertigt wurde mit dem John verglich, den er vor 10 Minuten gesehen hatte... dann überlegte er beinahe, ob es die gleiche Person war.

Sie waren vor 10 Minuten am Stand eines Arabers vorbeigekommen, eine Art Medicus. John hatte sich für seine Kräuter interessiert, vor allem aber für eine faszinierende Waage. Sie war so fein, wie weder John noch Tancred je etwas Vergleichbares gesehen hatten, und mit so unglaublich vielen Gewichten ausgestattet, dass man die feinsten Mengen messen konnte.. und sie war unverschämt teuer. John fing nichteinmal an zu feilschen, weil er wusste, dass er es auch heruntergehandelt nicht würde bezahlen können. Doch dieses Glänzen in seinen Augen hatte Tancred nicht vergessen. Als John kurze Zeit später ausgetreten war und sich durch die Zeltreihen geschlängelt hatte, um Wasser zu lassen, war Tancred zu diesem Mann zurückgegangen, hatte knapp und deutlich gehandelt, bezahlt und ihm angedroht das Paket besser sicher in sein Gasthaus zu bringen, weil er ihn sonst finden würde - doch der Araber hatte seine Ehre und versprach das Gerät zuzustellen.. und wenn Tancred wieder zur Raashno zurückkehrte, dann würde er John dieses Paket zustellen.

Er verschenkte Dinge sehr gern, weil es ihn gkücklich machte andere glücklich zu sehen. Und John sah er ganz und gar nicht glücklich, so auch jetzt in diesem Moment. Johns Finger auf seiner Brust lösten einen wohligen Schauer in seinem Körper aus und er hätte gern die Hand über Johns Hintern gleiten lassen, der sich gerade mit Johns Drehung in seine Reichweite schob. Doch was tat er? Er löste die Hand langsam von John, gab ihm den Raum, den John offenbar brauchte, als er "floh". Hörte er da einen Vorwurf heraus? Sah er da Unsicherheit in Johns Augen? Es war zu dunkel, um es wirklich auszumachen, doch er glaubte genau das zu erkennen. Unsicherheit und einen stummen Vorwurf darüber, dass er heute Mittag nicht auf Johns Angebot eingegangen war. Und direkt darauf folgend, so nah an ihm, dass er den Duft von Johns Haut inhalieren konnte, erteilte John ihm eine Abfuhr, die sich gewaschen hatte. Tancred konnte nicht umhin zu spüren, wie es ihn verletzte. Deine Hilfe war überflüssig. Ja, das schmerzte. Dennoch schob er es bei Seite, weil er einfach wusste, dass John es nicht so meinte. Er wusste auch, dass er diesen jungen penetranten Mann wohl niemals mit hinter die Bude genommen hätte, doch die Vorstellung schmerzte und Tancred biss sich unbemerkt auf die Zunge, um nicht unbeabsichtigt zynisch zu kontern. Das war es, was John erwartete und Tancred hatte sich vorgenommen, nicht so zu sein, wie John es erwartete. Als der sich abwandte und einige Schritte von ihm wegging blieb der Franzose einfach stehen, trank einige Schlucke aus seinem Becher und ging John dann so gemächlich nach, als habe John gerade nur etwas genauer ansehen wollen und Tancred sei noch nicht bereit gewesen ihm zu folgen. Er wusste, dass er seine Antwort wohl überlegen musste, doch er fand die ihm angemessen erscheinenden Worte recht zügig.

"Dir sind viele Dinge neu, die meine Person betreffen. Und dass dir nicht alle davon gefallen, ist mir bewusst." Er sprach leise und sah über Johns Schulter zu den Tanzenden hinüber, so als plaudere er mit John nur über das, was sie vor sich sahen. "Wenn du den Wunsch hast, diesem jungen Mann die Hose über den wirklich wohlgeformten Arsch nach unten zu ziehen, und deinen Schwanz zwischen seinen wirklich fest aussehenden Backen zu versenken, dann werde ich ihm gerne nachgehen und ihm sagen, dass ich mich bezüglich meines Gebietsanspruches geirrt habe. Nur lass dir eines gesagt sein." Nicht nur John konnte dererlei Ansagen machen. "Ich bin nicht hier, um jemanden zu besitzen. Ich bin nicht hier, um meinen Schwanz in deinen Arsch zu rammen. Oder um es mit deinen Worten vielleicht etwas verständlicher zu machen: Ich bin nicht hier, um so zu handeln, wie es für dich am bequemsten ist."

Er richtete sich wieder auf und stellte sich neben John, der die Leute am Lagerfeuer beobachtete, die zur Musik tanzten. Ja, auch er hätte "Arschloch" sagen können und gehen, aber so war er nicht. Er blieb und entließ John nicht aus der Verantwortung, sich mit ihm auseinander zu setzen. "Also - bevor ich ihn ganz aus den Augen verliere, hast du Interesse an dem kleinen Luder? Ich halte dir auch gern die Plane und steh schmiere während du es ihm besorgst."
 

John

Wenigstens hatte Tancred nicht versucht, ihn festzuhalten. John merkte, dass er in sich brodelte. Er wusste nur nicht so genau, warum. War es die Tatsache, dass er gerne selbst entschied, welche Typen er an sich ranließ und welche nicht. Oder die Tatsache, dass er sich gern selbst die Typen vom Hals hielt. Oder das seltsame Gefühl in sich, das diese Worte ausgelöst haben. Oder diese seltsame Nähe, die Tancred unerwartet geschaffen hatte. Oder dieses Gefühl, gerade mal wieder zu schroff, zu verletzend gewesen zu sein. Aber Tancred hatte sich da nicht einzumischen! Sie waren zwar gemeinsam hier, aber als Freunde, nicht als Paar! Und überhaupt... Wieso regte ihn das so auf?

John war verwirrt und umso kühler wurde sein Gesichtsausdruck.

John war etwas von Tancred weggegangen, blickte scheinbar ungerührt über die Tanzenden. Und irgendwie fehlte ihm gerade das dritte "Arschloch" des Tages, das eben diesen so perfekt abschließen würde. Umso überraschter war er über das, was Tancred nun zu ihm sagte. Dieser war ihm nun doch noch gefolgt und blieb hinter ihm stehen. John rührte sich nicht, wusste nicht, wie er sich verhalten sollte.

Ihm seien viele Dinge neu, die Tancreds Person betrafen? John verstand nicht ganz, wie jener das meinte. Was war ihm neu an Tancred? Dass er ihm so penetrant auf die Pelle rückte? Dass er ihn so beobachtete? Dass er irgendwie sich für ihn interessierte? War das nicht eher etwas, das generell neu für ihn war? Irgendwie hatte John das unspezifische Gefühl, Tancred so schnell nicht wieder los zu werden.

Johns Augenbrauen zogen sich etwas zusammen, als Tancred weitersprach. Und war er eben noch überrascht, so würde er jetzt ernsthaft überrumpelt. Die Wortwahl war das eine, der Inhalt nochmal was ganz anderes, was ihn erstaunte. Hatte er ihn nicht genug vergrault? Wieso bot er ihm an, sich für ihn zu erniedrigen, indem er sich vor Will bloßstellte? Johns Gesichtsausdruck verdunkelte sich etwas. Er wollte das doch gar nicht...

Dann erklärte sich Tancred, irgendwie. Das, was er sagte, wirkte. John wurde bewusst, dass Tancred ihn mehr beobachtete, als ihm lieb war, dass er ihn durchschaute und ihn nicht einfach in Ruhe ließ, dass er sich nicht einfach vergraulen ließ. Er würde ihm unbequem werden, er würde sich mit ihm auseinandersetzen müssen. John seufzte innerlich tief, schloss kurz die Augen, während der andere neben ihn trat. Er schwieg, rührte sich nicht. Wollte er das? Wollte er den anderen wirklich an sich teilhaben lassen? An seinem Leben? Was versprach er sich davon? Oder war er wirklich so uneigennützig, wie er vorgab zu sein?

Das Angebot, dass Tancred ihm nun unterbreitete, ließ ihn schnaubend lächelnd den Kopf schütteln. Er sah Tancred eine Weile schweigend an. Wollte er das? Wollte er, dass dieser Mann Teil seines Lebens wurde? Wollte er sehen, wohin der Weg führte, wenn er ihn ein Stück gemeinsam mit Tancred ging? Wollte er sich mit ihm auseinandersetzen? Die Oberflächlichkeit ausschalten? Mit dem ganzen komplizierten Scheiß, der womöglich damit verbunden wäre? Er würde sich jetzt entscheiden müssen, hier.

"Ich werd dich nicht so einfach wieder los, Nadim, hab ich recht?", sagte er. "Du hast recht, dass mir da vieles neu ist. Und ich habe dir schonmal gesagt, dass ich es nicht gern kompliziert mag. Wenn du den Stress mit mir also wirklich dir antun willst, dann werd ich mich bemühen, dich nicht mehr zu beißen, wenn es mir zu viel wird. Aber ich kann nichts versprechen."
 

Tancrèd

"Nein, wirst du nicht." Tancreds Antwort war genau so simpel und beinahe leicht daher gesagt, wie Johns Frage. Nein, er würde ihn nicht so schnell loswerden. Zumindest nicht, solange das Turnier nicht vorbei war und er seinen Freibrief in den Händen hielt. Er wollte etwas in der Hand haben, bevor er nach Portsmputh zurückkehrte und auslief und so konnte diese Sache wohl noch eine Weile dauern. Er sah zu den tanzenden hinüber, in die sich kurze Zeit später auch Will eingereiht hatte und immer wieder zu John hinübergiftete, während er sich einem anderen Kerl an den Hals geworfen hatte. Tancred konnte über so viel Naivität nur den Kopf schütteln. Kleiner Idiot.

Er leerte seinen Becher mit dem letzten Zug und vermied es, John weiterhin zu sehr anzustarren. Nicht weil er ihn nicht gerne ansah, wohl aber, weil John diesen Moment sicher brauchte, um mit sich ins Reine zu kommen. Als John sich erklärte, musste Tancred seine ganze Willenskraft aufbieten, um nicht zu grinsen. So umspielte seine Lippen nur ein mildes Lächeln. "Es wird nicht kompliziert sein, John. Das ist es nie..." Er streckte die Hand nach Johns beinahe geleertem Becher aus und nahm ihn an sich, um Nachschub holen zu gehen. "Und es wäre wirklich jammerschade, wenn du aufhören würdest, zu beißen. Gerade das hat mir so gut an dir gefallen." Er zwinkerte ihm zu und wollte sich schon umwenden und zu dem Schankzelt zu gehen, als er innehielt und noch einmal näher zu John kam, so nah, dass er mit ihm sprechen konnte, ohne andere neugierige Ohren mit Informationen zu füttern. "Ich habe keinen Bedarf daran zu verbiegen, was nicht zu verbiegen ist. Mein einziger Wunsch wäre es wohl, dass du meine Gesellschaft so losgelöst genießt und ohne jeden Vorbehalt, wie ich die deine. Und da ich mich des Gefühls nicht erwehren kann, du seist eingeschnappt wegen heute Vormittag, so lass mich dir eines vielleicht noch erklären." Er hielt kurz inne und räusperte sich leicht. "Du wärest jetzt noch nicht wieder aus diesem Bett aufgestanden, wenn ich getan hätte, wonach mir der Sinn stand. Oder vielleicht besser: Du würdest jetzt entweder kaum noch laufen, geschweige denn sitzen können - und es auch nicht im mindesten wollen." War der französische Akzent wieder Absicht? Er wusste es nicht, aber in diesen Momenten brach er wohl ganz gern durch. Mit einem Grinsen und einem weiteren Augenzwinkern ging er zurück in das Schankzelt und ließ sich zwei neue Becher vollfüllen. Entweder John war jetzt noch da, wenn er wiederkam, oder er hatte doch die Flucht ergriffen - aber dann hätte Tancreds Menschenkenntnis wohl das erste mal wirklich versagt. Er glaubte nicht, dass John weglaufen wollte. Er glaubte auch nicht, dass John der Typ dafür war, immer allein zu bleiben und niemanden zu haben, der sich einfach kümmerte. Doch bei John führte dieser Weg nicht über Gespräche, sondern im wahrsten Sinne des Wortes über Zuckerbrot und Peitsche. Die richtige Dosis Zwang, beziehungsweise Konfrontation mit sich selbst und ehrliche Zuneigung würden über kurz oder lang hoffentlich dafür sorgen, dass Tancred Johns Lächeln etwas öfter genießen durfte. Auch wenn er selbst nicht so genau wusste, welchen Narren er an John gefressen hatte, irgendwie war es so. Solange er in London war, wollte er die Zeit mit dem jungen Mann einfach nur unbeschwert genießen ohne die Verantwortung danach noch irgendetwas tun zu müssen. Er wollte bei ihm sein, ihn stützen und ihm ein Halt sein und ihm gleichermaßen dadurch nur mehr Freiheit ohne Einschränkungen zu geben. Denn auch wenn Tancred ein Adeliger war, so wie Dominico oder Alessandro Sforza - er würde niemals von John fordern dieses Leben im Geheimen für ihn zu leben. Nicht von John und nicht von sonstwem.
 

John

Die Antwort war klar und deutlich, aber nicht unerwartet. Allerdings war unerwartet, dass der Widerwille, mit dem John insgeheim gerechnet hatte, ausblieb. Irgendwie war es halt so... Der böse Kommentar, die Beleidigung, die Verletzung, die er erwartet hätte, blieben aus. John rührte sich nicht, wartete auf den Widerwillen, während er Will ignorierte und den Rest letztlich auch kaum wahrnahm.

Dennooch musste er den Kopf drehen, als Tancred weitersprach. Sein Blick war fragend, zweifelnd. Es wäre nie kompliziert? Er empfand das als kompliziert, wenn man da jemanden hatte, der irgendwie Ansprüche stellte. Und sei es nur, Zeit mit ihm zu verbringen. Oder meinte Tancred das anders? Wollte er ihm damit sagen, dass er es nicht kompliziert machen würde? Die Hand, die zu seinem Becher greifen wollte, ließ ihn diesen leeren. Als nun der Nachsatz kam, konnte er sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. Er drehte sich den Tanzenden wieder zu, fast ein wenig froh, dass Tancred noch etwas zu trinken holte, als jener noch einmal näher kam und in sein Ohr sprach. Was jener zunächst sagte, ließ John leicht nicken. John war ein Meister darin, sich der Situation anzupassen, gerade in diesen gehobenen Kreisen oder an der Uni. Er fiel nicht auf, weder negativ noch besonders positiv. Aber in seiner Freizeit war er einfach er - mit einer bösen Zunge, Scharfsinn und Ironie. Bei Kieran konnte er einfach so sein. Er stellte keine Ansprüche, ließ ihn so wie er war, auch wenn er kritisierte oder sich ärgerte. Ob Tancred auch so sein konnte? Seine Gesellschaft genießen? Warum nicht... John hatte den Morgen am Hafen eigentlich ganz schön gefunden. Das konnte man zumindest bis zum Sturz ins Wasser gerne wiederholen. Als Tancred auf die Zurückweisung zu sprechen kam, blickte er ihn einen kurzen Moment überrascht von der Seite an. Dann blickte er wieder in die Menge, gespannt, was kommen würde. Und das was kam, ließ ihn seinen Blick senken, auf seine Hände schauen. Wow.

Als Tancred schon zur Schenke gegangen war, blickte John wieder auf und sein Gesicht zierte ein Grinsen, ein breites Grinsen. Dann war das wirklich nur der Wunsch des anderen gewesen, seine Situation nicht auszunutzen? Konnte das wirklich sein? War Tancred wirklich so uneigennützig?

John merkte, dass diese Worte seine Enttäuschung - oder Verunsicherung? -weggewischt hatten und sich dafür die Freude und Dankbarkeit ausbreitete. Er merkte, dass ihn diese Worte auch durchaus noch anderweitig berührt hatten: sie waren erregend gewesen. Sich das einzugestehen, ließ John wissen, dass er Tancred durchaus nochmal ranlassen würde. Prinzipien hin oder her...

Als Tancred zurückkehrte, nahm er dankend den neuen Becher. "Wollen wir uns die Show bei den Carneys ansehen?", fragte er und so gingen sie los. "Erzähl mir, was die Spanier dir getan haben!", begann er neugierig.
 

Tancrèd

John war nicht weggelaufen, als Tancred mit zwei vollen Tonbechern wieder kam und dem jungen Mann einen hinhielt. Er sah das Grinsen in Johns Gesicht und fragte sich, ob das seinetwegen war - oder ob John wegen einer anderen Sache so grinste. Er nahm zu seinen eigenen Gunsten einfach mal an, dass er der Auslöser dieses Phänomens auf Johns Gesicht war, das man wirklich selten zu Gesicht bekam. Dessen Angebot, zu den Carneys hinüber zu gehen, nahm Tancred gerne an. Erstens standen dort ihre Pferde und sie würden ohnehin dort hin zurückmüssen, aber Kierans Familie interessierte ihn ebenso und er hatte beim König bereits einen Vorgeschmack auf das bekommen, was diese Akrobaten leisteten. Ihre Feuershow war einmalig und Tancred würde sie sich gern mit John ansehen.

Während sie sich in Bewegung setzten, stellte John das erste Mal eine wirklich persönliche Frage an ihn - und Tancred vermerkte das als einen riesigen Fortschritt. Anscheinend waren Johns Worte eben wirklich keine hohlen Phrasen gewesen, um ihn loszuwerden, nein, er versuchte wirklich dieses "sich gegenseitig genießen" anzugehen. Warum auch nicht?

Tancred trank einen Schluck und wich einer leicht bekleideten Dame geschickt aus, die direkt auf ihn zugesteuert war. "Was mir die Spanier getan haben...", wiederholte er kurz Johns Frage, weil er selbst einige Sekunden brauchte, um den Anfang der Geschichte in seinem Hirn zu lokalisieren. "Sie haben uns recht viel getan. Meiner Familie zum Beispiel, also dem Königshause Navarra, haben sie die Hälfte ihres Landes genommen. Ein Teil von Navarra liegt nämlich im heutigen Spanien. Aber das geht mich eigentlich nur wenig an.. naja. Damit direkt zusammen hängt jedoch das, was sie wirklich getan haben." Er hielt einen Moment inne, weil die Erinnerung an diese Zeit schwer war... Aber er wollte John nicht mit Oberflächlichkeiten Abspeisen. "Als ich sehr jung war und die Beziehung mit Spanien noch nicht derart zerrüttet war, wie sie es heute an der Grenze ist, hatte ich eine spanische Freundin. Naja, fast mehr als das. Ich war 16, also im heiratsfähigen Alter. Sie war gebildet, wunderschön und keine hochnäsige Schnepfe, so wie die meisten Frauen, die man mir zuvor als Frau angeboten hatte. Doch sie war Spanierin und ihre Familie spanischer Landadel.. ohne größere Verbindungen zum Königshaus. Natürlich waren unsere Familien gegen die Verbindung, doch man hatte zumindest nichts dagegen, dass wir uns sahen. Zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, da der spanische Monarch entschied, den Teil von Narvarra an Spanien anzugliedern, der jetzt auch Spanien gehört. Als der König mit seinem Gefolge an die Pyrenäen ritt, entschied er, dass meine Anna irgendeinen entfernten Verwandten von ihm zu heiraten hatte... Was von ihrer Familie selbstverständlich unterstützt wurde - immerhin bedeutete es Einfluss. Aber Anna wollte diesen spanischen Aristokraten nicht heiraten und lief fort. Ihre Familie machte mich dafür verantwortlich und, um den wackeligen Frieden zu wahren, steckte man mich in den Kerker, bis man sie gefunden hatte. Die spanische Inquisition hat sie gefoltert und verbrannt - in meinem Beisein." Seine düstere Stimmung passte so gar nicht zu dem bunten Jahrmarkttreiben um sie herum. "Meine Familie hat mich nur zu gern gezwungen, zuzusehen, und ich kann es auch heute nicht vergessen." Nein, er würde das nie vergessen können. "An diesem Tag hab ich mir geschworen, dass niemals wieder ein Spanier Hand an etwas legt, das mir gehört oder dem ich in Freundschaft verbunden bin... Und doch hat ein spanischer Botschafter am Hofe von Navarra meine Schwester geschwängert und sie mit dem Bastard sitzengelassen. Noch bevor du fragst, auch sie ist tot, aber sie hat dieses Schicksal aus Scham und Schande selbst gewählt." Seine Stimme war immer härter geworden. "Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, haben sie mich bis ins Morgenland verfolgt. Spanische Conquistadores.. Männer, die mit ihrem eigenen Geld und Reichtum versuchen, an Ruhm und Ehre zu gelangen, indem sie freie Menschen unterjochen und auf widerlichste Weise davon zu überzeugen suchen, dass nur das Christentum die wahre Religion ist. Ich bin Kreuzritter geworden, weil ich meiner Familie und den Spaniern entkommen wollte. Ich wollte weg von ihnen, einfach nur weg und sie nie wieder sehen. Aber ich musste erkennen, dass man vor den Spaniern und all den Problemen mit der Familie nicht einfach so davonlaufen kann. Und seit ich mich von ihnen abgewendet habe und ein spanisches Schiff nach dem anderen auf den Grund des Meeres schicke, geht es mir besser. Auch wenn der Tod von Anna oder der Tod meiner Schwester niemals mit spanischem Blut aufgewogen werden kann, so habe ich dennoch in den letzten Jahren soetwas wie meinen Frieden gefunden... Denke ich." Das Lächeln kehrte langsam zurück, wenn er an die spanischen Bastarde dachte, die er versenkt hatte. "Raashno, der Name meines Schiffes, ist der arabische Name des Engels der Gerechtigkeit. Und in meinen Augen ist das auch genau das, was sie tut."

Sie erreichten die Bühne, auf der die Familie Carney ihre Kunststücke vollführte, und während sie klatschten und den Männern und Frauen zujubelten, verflog langsam aber sicher die dunkle Erinnerung an diese Zeit, in der er noch so jung gewesen war. Jünger als John es jetzt war... es war schon so unglaublich lange her.
 

John

Die Geschichte, die Tancred ihm über seine Beziehung zu Spanien erzählte, gab einige Einblicke in das Leben, das der Mann neben ihm geführt hatte, bevor er sich entschlossen hatte, frei und unabhängig zu werden. Zusammen mit dem, was er bereits wusste, setzte sich ein rudimentäres Puzzle aus Einzelheiten zusammen, das noch viele Lücken aufwies, aber doch schon ein tieferes Bild von Tancred zuließ. Das Bild, das vor Johns innerem Auge wuchs, ließ ihn und seine dämlichen Probleme mit seinem Vater schon ziemlich klein aussehen. Tancred war ein Mann, der schon etwas erlebt hatte, grausame Dinge, schlimme Dinge, sicher aber auch viele schöne Dinge. Er hatte etwas gesehen von der Welt und die Welt von ihm. Und was hatte er erlebt? Im Vergleich? Er kannte London, hatte schon die ein oder andere Prügelei erlebt und überlebt. Er hielt seinen Vater aus. Und sonst? Sein Leben kam ihm im Vergleich so unbedeutend vor. Nicht, dass ihn das wirklich herunterzog. Dafür war er nicht der Typ. Er hatte nicht das Gefühl dringend etwas nachholen zu müssen, weil er ständig etwas verpassen würde. Dann wäre er schon viel früher aus London weggegangen. Aber dennoch hatte er das Gefühl, dass er sich doch einmal mit dem Gedanken auseinandersetzen sollte, ob das hier wirklich schon alles war, was er erreichen konnte. War das wirklich schon alles? Dieser Laden? Gab es da wirklich nur diese eine Richtung? Nur diesen einen Weg? Aber darüber wollte er nicht jetzt und hier nachdenken.

Er ließ die Geschichte für sich stehen, ließ sie auf sich wirken und kommentierte sie nicht. Das war auch nicht notwendig. Er blickte in Tancreds Leben, da gab es nichts zu kommentieren. Er verstand den Hass, den jener auslebte, auch wenn er nicht verstand, weshalb dafür so viele Männer sterben mussten, die die Befehle anderer ausführten. Aber es lag nicht an ihm, darüber zu urteilen. Dennoch hoffte er, dass Tancrèd irgendwann diese Wut, diese Enttäuschung und diesem Hass entkommen konnte. Denn nur dem Hass nachzujagen war nicht gut. Es würde nie befriedigen - unabhängig davon, dass er sein eigenes Leben damit gefährdete. Und doch hatte die heftige Geschichte auch einen süßen Beigeschmack: Tancrèd zeigte ihm, dass er ein Herzensmensch war, der wirklich lieben konnte und wollte. Ähnlich wie Kieran - anders als er.
 

Tancred

Nach der Vorführung und einigen weiteren Bechern mit Wein, verabschiedeten sich John und Tancred, um die Heimreise anzutreten. Ihre Pferde hatten sie stehen gelassen - betrunken zu reiten war noch nie wirklich gut gewesen und keiner von ihnen beiden verspürte den Drang dazu. Durch die Stadttore hindurch drängten auch viele andere Menschen, um wieder nach Hause zu kommen, und so dauerte es eine ganze Weile, bis sie in die Gasse erreichten, in der die Apotheke lag. Als sie in die Gasse einbogen, wurde es endlich ruhiger und sie konnten sich freier Bewegen. Tancred trauerte dem Gedränge beinahe ein wenig nach, denn er war gezwungen gewesen, John beinahe ständig zu berühren, so sehr wie sie durch die Straßen geschoben worden waren. Jetzt, auf so "weiter Flur" wie in dieser leeren Gasse, blieb die Zweisamkeit etwas auf der Strecke.

Nur der Mond beleuchtete die fahlen Pflastersteine und die Tür zum Laden lag unter dem Schatten des Vordaches wirklich in absoluter Dunkelheit. Tancred grinste, als John in den Schatten trat, um aufzuschließen. Sie beide trugen noch immer die Masken, die sie schon auf dem Jahrmarkt getragen hatten und auf dem Weg hier hinauf hatte Tancred sein Hemd geöffnet, weil es in London noch immer sehr warm war und der Wein ihn von Innen heraus wärmte. Mondlicht fiel auf seine sonnengebräunte Haut und warf Schatten über den Linien seiner Muskeln. Mit der Maske sah er beinahe aus wie ein Wesen aus einer anderen Welt, doch nicht anders stand es um John, der mit seinen durchdringenden Augen und seinem schlanken Körper ebenfalls Eindruck machte. Tancred trat langsam zu ihm in den Schatten und seine Hand legte sich auf Johns, so dass er die Türe nicht mehr öffnen konnte, ehe er mit der zweiten Hand an sein Kinn griff um es zu sich zu drehen und in der Dunkelheit in Johns Augen zu sehen, die man kaum erkennen konnte. "Als ich klein war, erzählte mir meine Mutter von Dämonen, die der Teufel nachts in mein Zimmer schickt, wenn ich nicht auf sie höre..." Er grinste und ließ die verwirrenden Worte kurz im Raum stehen, während er John einen so sanften verspielten Kuss auf die Lippen drückte, dass man es auch für Einbildung halten konnte. "... ich glaube sie hatte recht," fuhr er fort, "aber der Teufel hat keinen schöneren Incubus für mich wählen können." Und dann küsste er John noch einmal, und dieses mal richtig. So voll unbändigem Verlangen, dass die Erregung durch seinen Körper pulsierte und seine Hand anfing zu zittern in der verzweifelten Selbstbeherrschung, John nicht einfach zu packen.

Dann löste er sich, ließ ihn los, wandte sich um und rannte beinahe die Straße hinunter, bis er im Dunkeln verschwand.
 

John

Sie sahen der Show von Kierans Familie zu und John war wiedereinmal wirklich beeindruckt, was die Truppe da auf die Beine stellte. Anschließend beschlossen sie, zu Fuß nach Hause zu gehen. Eigentlich fühlte sich John bei weitem nicht zu angetrunken, nicht mehr reiten zu können, aber er stimmte doch zu, dass es besser war, zu laufen. Vielleicht, weil er es einfach schön fand, so neben Tancred zu schlendern, sich durch die Menschenmenge zu bewegen, wobei sie sich immer mal wieder berührten. Es war irgendwie fast eine vertraute Situation und diese seltsame Nähe, die entstanden war, war weder aufdringlich noch besitzergreifend. Das war das Maß an Nähe, an Vertrautheit, das John bereit war zu geben. Er war nicht der Typ, der mit jemandem Händchen hielt, auch wenn er fast das Gefühl hatte, als würden sie das tun – irgendwie.

John stieg die Stufen hinauf, ohne wirklich nachzudenken, OB sie sich jetzt verabschieden sollten, WIE sie sich verabschiedeten, WAS er noch sagen sollte. Er war irgendwie in Gedanken an das, was heute alles passiert war. Im Dunkel war es schwierig, die Tür zu öffnen, weil man wirklich nichts sah, aber John hatte über die Jahre die gewohnte Handbewegung raus, die die Tür öffnen würde. Aber er schaffte es gar nicht mehr m, denn Tancreds Hand hinderte ihn daran. Dann spürte er, wie der andere sein Kinn zu diesem drehte und er war ein wenig überrumpelt. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er durchaus damit gerechnet hatte, den anderen noch mit hinein zu nehmen – irgendwie. Aber dem war nicht so. Er blickte in die Augen des anderen, spürte den Körper so nah bei sich. Die Irritation stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er die ersten Worte vernahm und so wehrte er sich nicht gegen den ohnehin zu kurzen Kuss, war aber auch zu verwirrt, um ihn zu erwidern. Trotzdem spürte er, wie sein Herz auf unbekannte Art und Weise gegen seine Brust schlug, während er versuchte zu begreifen, was Tancred ihm sagen wollte. Als dieser weitersprach, dämmerte ihm langsam, was dieser zu ihm sagte, welche Botschaft er ihm damit mitgeben wollte. Doch so richtig kam er ohnehin nicht zum Denken, denn der nun folgende Kuss war so einnehmend und verlangend, dass John gar nicht anders konnte, als sich darauf einzulassen. Er spürte, wie ihm dieser Kuss durch und durch ging und ihm jeglichen Verstand raubte. Doch noch bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, wohin er mit dem anderen gehen sollte, um dem nachzugeben, wonach dieser Kuss schrie, wurde er auch schon wieder gelöst und Tancred entschwand, noch ehe John wieder richtig bei Sinnen war.

Was war das? – war die einzige Frage, die sich ihm im ersten Moment stellte und wie in Trance und vollkommen mechanisch öffnete er die Tür und betrat das Haus, schloss wieder ab und ging in sein Zimmer. Erst als er im Bett lag, erlaubte er sich, weiter nachzudenken. Und es war wie eine riesige Welle an Emotionen und Gedanken, die ihn da überflutete, als er endlich seinem Verstand erlaubte, loszulassen.

Er lag lange wach. Dachte über diesen Abend, den ganzen Tag nach, über die ‚Vereinbarung', die sie hatten, Zeit miteinander genießen zu wollen, über die letzten Worte des anderen... John musste sich eingestehen, dass Tancred ihn mehr beschäftigte, als jeder andere Mensch zuvor in seinem Leben. Außer vielleicht Kieran, als dieser wimmernd und fiebernd neben ihm im Bett lag und von einem Gregor erzählte. Aber das war eine andere, eine gänzlich andere Geschichte gewesen. Er jedenfalls war an einem Punkt, an dem er noch nie war. „Und ich wollte es doch nicht kompliziert“, sagte er halblaut in den Raum hinein. Und Tancreds Antwort „Es ist nie kompliziert“, schien ihm zurückzuhallen. Stimmte das? Nun, man konnte alles kompliziert machen, wenn man nicht ehrlich mit sich war. Und wenn er gerade ehrlich zu sich sein sollte, dann musste er drei Dinge akzeptieren:

1. Das war definitiv doch ein Date gewesen.

2. Tancred küsste gerne zum Abschied, aber dieser Kuss heute raubte ihm den Schlaf.

3. Er hatte keine Ahnung, wie es weiterging. Aber er wollte, dass es weiterging. Er wollte mehr davon haben.
 

„Da fragt sich wirklich, wer wessen Dämon ist! Wer wem schlaflose Nächte beschert!“, fluchte er vor sich hin.
 

Tancred

Er hatte wirklich das Gefühl auf der Flucht zu sein, als er die Gasse hinuntereilte. Blut rauschte in seinen Ohren, doch die Stiefel auf dem Pflaster klangen noch immer unnatürlich laut. Während er einerseits hoffte, dass John ihn zurückrief, wusste er, dass er gehen musste, wenn er John haben wollte. Und er wollte John haben. Doch nachzugeben, gerade jetzt, wo in ihnen beiden die Lust hochgekocht war, wäre ein Fehler gewesen und hätte zerstört, was Tancred langsam und mühsam zwischen ihnen aufbaute: ehrliche Freundschaft, ehrliches Interesse.

Als er den Gasthof erreichte, traf er wundersamerweise einen nüchternen und noch wachen Kadmin an. Sein erster Maat hatte Nachrichten für Tancred, die ihn für einen Moment von Johns Augen, seiner Stimme und seinem Körper ablenkten. Es ging um Nachschub für das Schiff. Essen, Trinken, Seil, Material zum Stopfen von Löchern - alles was dazu gehörte. Er sollte Howard eine Liste zusammenstellen mit den Dingen, die er auf jedem Schiff unbedingt brauchen würde und Tancred gab Kadmin Anweisung, dem Herrn ihre eigene Bestandsliste, etwas nach oben geschönt, mitzuteilen. Bei diesen unerfahrenen Männern war zu viel sicher besser als zu wenig. Auch die Ladung der Munition gehörte dazu und Kadmin wusste, dass mehr Kugeln zwar auch für das eigene Schiff tödlich sein konnten, doch bei unerfahrenen Kanonieren machte die schiere Masse Treffunsicherheiten wett.

Kadmin ließ den Kapitän schließlich allein, ohne ein einziges Wort zu dessen nicht mehr richtig angezogenem Erscheinungsbild zu verlieren oder zu der deutlichen Beule in Tancreds Hose, die nicht wirklich abflauen wollte. Er war zu seinem professionellen Verhalten zurückgekehrt und Tancred hatte das unbestimmte Gefühl, dass dieser Rückzug Kadmins etwas sehr sehr Endgültiges hatte - nicht nur von der Seite seines ersten Maats auch, sondern auch von seiner eigenen. Dieses Kapitel war lang vorbei und jeder Versuch sich daran zu erinnern, schmeckte wie mehrfach aufgewärmte Suppe: Versalzen. Mit London und John war etwas in sein Leben getreten, das ihn veränderte und er wollte sehen, wohin diese Veränderung führte.

Er schälte sich aus der Oberkleidung und legte sich mit der Maske und seiner leinenen Wäsche in das Bett. Das Bett, in dem er bereits einmal mit John genächtigt hatte... als er die Augen schloss, meinte er fast ihn riechen zu können. Als seine eigene Hand in den dünnen Stoff fuhr und über sein hart erregtes Glied rieb, war es beinahe wie Johns Hand, die ihm die ersehnte Erlösung brachte.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Laila82
2017-07-10T21:39:36+00:00 10.07.2017 23:39
Das Kapitel ist einsame Spitze. Hätte zwar nie damit gerechnet, aber es würde mich freuen wenn auch die Beiden ihr Happyend bekämen, also zusammen sls Paar.
Antwort von:  -Amber-
11.07.2017 06:03
<3
Ich liebe dieses Kapitel auch ❤️


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