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Intrigo e amore

And it's with you that I want to stay forevermore
von
Koautor:  Coventina

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich habe as Kapitel nicht korrigiert.
Entschuldigt also bitte die vielen vielen Rechtschreib- und Satzzeichenfehler... Aber es war mir zu viel. =.=
Dennoch viel Spaß beim Lesen! Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Hier wieder Kieran und Nico =) Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben!
Achtet bitte darauf, dass ich im letzten Kapitel am Ende noch etwas ergänzen musste... sicherheitshalber also nochmal lesen, bevor du hier liest ;)

Hoffe, euch gefällt es nachwievor!
Freue mich über Feedback:3 Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Da ist im Kapitel vorher noch ein kleines Stück am Ende dazu gekommen... also bitte da nochmal lesen >.< Komplett anzeigen
Vorwort zu diesem Kapitel:
Leider darf ich nur noch ein Bild pro Kapitel hochladen. Wer sich diesen Mist ausgedacht hat... ist wirklich nervig :C
Daher erstmal keine Bilder. Wenn ich dazukomme, dann füge ich die Bilder der Pairings mal zusammen und lade sie dann rein.

Viel Spaß beim Lesen!
Amber Komplett anzeigen

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~Prolog~

Großbritannien um 1527:

Am Königshof herrscht das Chaos. König Henry möchte die Ehe zu seiner spanischen Ehefrau Katharina von Aragon annullieren, um Anne Boylen zu ehelichen. Ob es nun Liebe ist oder gekränkter männlicher Stolz, weil die Dame seiner Wahl ihn nicht zum Zuge kommen lässt, sei einmal dahin gestellt. Während der König sich darum bemüht, den Papst davon zu überzeugen, seine Ehe für ungültig zu erklären, hat England ganz andere Sorgen. Denn mit dem 16. Jhd. beginnt die neuzeitliche Entwicklung Europas und England hat an ihr entscheidenden Anteil. Langsam entwickelt sich ein neues Menschen- und Weltbild: der Mensch hat sich in der Welt nicht mehr zu bewähren durch bestmögliche Einordnung in eine göttlicherseits vorgegebene Weltordnung, sondern er soll sich vielmehr als gottesebenbildliches Geschöpf auf seine schöpferischen Kräfte besinnen, sich selbst durch Bildung und Kunst und die Welt durch eine neue Staatskonzeption und durch neue Wirtschaftsweisen sowie eine neue Kunst gestalten. Diese sich langsam einschleichende Denkweise stößt natürlich bei vielen auf Unmut. Luther, der in Deutschland soeben als vogelfrei erklärt wurde und als Junker Jörg auf der Wartburg Unterschlupf gefunden hat, hat die weltliche Ordnung mit seinen Ansichten ganz gewaltig erschüttert. Das Volk begrüßt diese Wende mehr und mehr. Die Hoffnung, dass die Stände allmählich abgeschafft werden, die Staaten sich neu organisieren wächst. Die Leibeigenschaft weicht einer Arbeiterklasse, das Bildungsbürgertum gewinnt an Bedeutung in den Städten. Doch der König möchte seine Macht nicht einbüßen, was zu harten Strafen führt, an all denen, die ihn unterwandern und hintergehen. Ein Todesurteil ist schnell gefällt in solchen Zeiten.

Und die Kirche leidet auch unter diesen neuen Zuständen. Sie verliert mehr und mehr an Macht. Noch herrschen mittelalterliche Strukturen und die Kirche ist eine feste Institution geworden, aber die Bestrebungen nach Freiheit, auch von der kirchlichen Moral, wird immer lauter.

Und in diesen Zeiten, in denen es durchaus nicht ganz einfach ist, sich zu behaupten, sich zurechtzufinden und vor allem Liebe zu finden, spielt unsere Geschichte. Eine Geschichte von Intrigen und Liebe, Hass und Vergebung, Enttäuschung und Hoffnung, Tod und Leben.

Ostern in Cambridge - Die Wette

Kieran Carney


 

Die ersten Sonnenstrahlen spiegelten sich in den sanften Nebelschleiern an der Uferböschung des Cam und gaben diesem ein lachsfarbenes Licht. Langsam und voller innerer Ruhe floss das Wasser in seinem Flussbett entlang und das sanfte Rauschen, das mit dem kaum erkennbaren Wellenschlag am Ufer einherging, lullte die Welt ein und verleitete sie dazu, das Aufstehen noch ein wenig hinauszuzögern. Tatsächlich schien es Kieran, als würde das Vogelgezwitscher, das er vor wenigen Minuten erst noch als störend empfunden hatte, verstummt sein, so als hätten sich auch die Vögel noch einmal in ihren Nestern umgedreht, um den Tag heute einmal gemütlich zu beginnen.

Kieran, der in die Mitte des Flusses geschwommen war, verharrte noch ein paar Augenblicke in dieser absoluten Stille, seine Arme nur soweit bewegend, dass das träge Wasser ihn nicht zu weit von seinem Ausgangspunkt wegtrug. Schließlich schwamm er in ruhigen Zügen zum Ufer zurück, wo er seine Kleidungsstücke liegengelassen hatte. In dem Moment, in dem er sich aus dem Wasser erhob, schien nun auch der Tag wirklich wieder zu erwachen. Schnatternd flogen ein paar Enten empor, die sich offenbar von ihm gestört gefühlt hatten, und Kieran vernahm das wohlbekannte Summen seiner „Dada“, seiner Mutter, deren Melodie für alle im Lager das Zeichen war, nun endlich aufzustehen.

Das Wasser war kalt gewesen, der Winter ja noch nicht lange herum, und so brannte seine Haut, während er sich abtrocknete und schließlich in seine Kleindung hineinschlüpfte, um nun selbst den Tag auch mit Arbeit zu beginnen.

„Du wirst dich noch erkälten, wenn du immer mit nassen Haaren herumläufst“, begrüßte ihn seine Mutter mit einem nachsichtigen Lächeln auf den Lippen. Er gab ihr einen Kuss auf die Wange und machte sich dann an die Arbeit, ihr Zelt abzubauen. Auch die anderen tauchten nun nach und nach auf, um ihr Lager abzubauen und schließlich noch gemeinsam zu essen, bevor sie weiter nach Cambridge aufbrechen würden.
 

Je näher sie der Stadt kamen, umso voller wurden die Straßen und sie hatten Mühe die Wägen in einer Linie und hintereinander zu halten. Jedes Jahr schien der Andrang auf Cambridge größer zu werden, wenn die Stadt zum Jährlichen Woll- und Ostermarkt einlud. Ihnen konnte es nur recht sein, denn je mehr Zuschauer sie haben würden, desto mehr Geld würden sie verdienen. Morgen erst würde der Markt stattfinden, und dennoch zog es die meisten Händler schon früher hin, was Kieran zunächst verwunderte, aber durch das Gespräch der Menschen, erfuhr er recht schnell den Grund hierfür. Am morgigen Sonntag würde nicht nur der Wollmarkt stattfinden und der einwöchige Ostermarkt beginnen, sondern neben den üblichen Hinrichtungen auch eine Hexenverbrennung den Alltag der meisten Menschen „erhellen“ und das Opfer war jetzt schon am Pranger zu begaffen. Kieran blickte unwillkürlich zu seiner Mutter, deren Gesicht sich verfinstert hatte. Auch sie war mal Opfer einer solchen Anfeindung gewesen, doch es war zu ihrem Glück nie zu einer Verurteilung gekommen. Damals war er noch recht jung gewesen und etwas verstört, zweifelnd, was und wem er Glauben schenken konnte. Seine Mutter hatte ihm damals erklärt, dass die meisten Männer und allen voran die Männer der Kirche solche Dinge aus Angst vor intelligenten und klugen Frauen taten, und mit den Jahren hatte Kieran diese Worte bestätigt gefunden. Die meisten Frauen, die einen solchen Prozess über sich ergehen lassen mussten, waren Frauen, deren Wissen und Intelligenz oft nicht nur die Kirche ängstigte. Und offenbar war auch hier in Cambridge eine Frau aufgefallen, dadurch, dass sie unter Umständen aus besserem Wissen, der Kirche widersprochen hatte. Gerade im Bereich der Medizin waren Frauen wesentlich weiter, als so mancher Mann, so mancher Geistlicher. Aber das war doch auch nichts Ungewöhnliches. Schließlich mussten sie doch ihre Familie versorgen, und eben auch, wenn diese krank war… Kieran schob den Gedanken beiseite, konnte er doch eh nichts daran ändern. Zudem waren sie gerade an dem Punkt angekommen, an dem sie ihr Lager errichten würden.
 

Cambridge war voll Leben und sprühte nur so vor Lebenslust. Eigentlich brauchte es gar kein Fest der Fruchtbarkeit, um zu begreifen, dass der Frühling eine Art „Wiedergeburt“ der Welt darstellte. Alles schien sich den langen Winter aus dem Leib vertreiben zu wollen und die Menschen genossen es, dem regen Treiben in den Straßen der Stadt beizuwohnen. Auch jetzt noch, wo es schon dunkel war und die meisten eigentlich einen anstrengenden Tag vor sich haben würden, schien niemand schlafen gehen zu wollen.

Kieran genoss die Atmosphäre und saß auf einer Bank vor einem Schankhaus, das kühle Bier genießend, und dem Treiben um sich zuschauend. Kieran mochte Cambridge und war immer gerne hier. Das lag wahrscheinlich auch daran, dass die Bevölkerung mit den Studenten, die hier ebenfalls lebten, einfach jünger und progressiver wirkte. Wenn er in den nächsten Tagen Zeit finden würde, würde er versuchen, wieder einmal in die Universitätsbibliothek zu gelangen. Im letzten Jahr war er recht unsanft daraus entfernt worden, als man feststellte, dass er kein Student war. Aber immerhin hatte er ein paar interessante Dinge gelesen, bevor das geschehen ist. Eigentlich kein Wunder, dass die Kirche diese menschenverachtenden Hinrichtungen gerade hier absolvierte, wo man viele andersdenkende, kluge Menschen hatte. Schließlich musste man ja Exempel statuieren, um nicht in Vergessenheit zu geraten.

Gedankenversunken trank Kieran sein Bier.
 

Alessandro und Dominico Sforza


 

"Alessandro?" Der Ruf verhallte ungehört.

"Mein Herr, der Kardinal hat darum gebeten, nicht gestört zu werden, er hat die Nacht im Gebet-"

"Im Gebet? Hatte das Gebet zufällig so einen Arsch und Brüste?" Der junge Mann, der versucht hatte Dominico zurück zu halten, prallte nach hinten. "Ich bin nicht dumm. In welchem Zimmer ist er?"

"Im Grünen Salon, mein Herr", gab der Diener resigniert Auskunft und Dominico machte auf dem Absatz kehrt. Die hölzernen Absätze seiner Stiefel schlugen klackend auf den Steinboden, als er - so schnell es seine Würde erlaubte - durch das Anwesen rauschte. Vor einer Stunde war alles noch perfekt gewesen. Er war in seinem Bett aufgewacht, ausnahmsweise einmal ohne einen dicken Kopf und einer fremden Frau neben sich. Er war aufgestanden, hatte sich gewaschen und angekleidet und dann am Frühstückstisch eine Stunde auf seinen Bruder gewartet, der wie so häufig durch Abwesenheit geglänzt hatte. Anscheinend erwartete Gott keinen Frühaufsteher in seinen Diensten, sonst wäre Alessandro wohl schon mehrfach vom Blitz getroffen worden. Aber im Falle seines Bruders schien der Herr auf beiden Augen dauerblind zu sein. Manchmal wünschte sich Dominico, er sei der Priester von ihnen beiden. Auf Kosten der lieben Mutter Kirche all das zu tun, wonach ihm der Sinn stand, ohne dafür gerade stehen zu müssen, klang wesentlich verlockender, als verheiratet zu sein und für jeden Ehebruch den Galgen zu befürchten.

Er erreichte den Grünen Salon, atmete einmal tief durch und stieß die Türe gewaltsam und mit einem nicht gerade leisen "Alessandro!" auf den Lippen auf.

Im Zimmer war es beinahe stockdunkel. Die schweren Brokatvorhänge an den Fenstern waren zugezogen und das dunkle Tannengrün der Wände schluckte nahezu jeden Lichtstrahl. Das Feuer im Kamin war herunter gebrannt und beleuchtete die Szene auf dem Bett nur äußerst schwach, doch was Dominico sah, reichte, um ihm auch den letzten Rest seiner mühsam aufrecht erhaltenen Fassung zu rauben. "Kardinal Alessandro Sforza!", bellte er, erntete vom Bett jedoch nur ein verhaltenes Grunzen. Dominico schnaubte. Schnellen Schrittes erreichte er die Vorhänge und riss sie auf und öffnete die Fenster. Klare kühle Morgenluft flutete in das Zimmer und vertrieb den Geruch nach Schweiß, Asche, Sex und billigem Wein, der in der Luft hing. Die plötzliche Kühle gepaart mit unliebsamem Licht brachten Bewegung auf das Bett.

Zwei Frauen blinzelten unter langen verstrubbelten Haaren gegen die Lichtquelle und lösten sich von dem Mann, der in ihrer Mitte lag und sich noch immer gegen das Aufwachen wehren wollte. Dominico klatschte in die Hände und es dauerte keine Minute, da standen drei Diener im Raum, unter ihnen Alessandros Leibdiener Amadeo. "Amadeo, geleite die Damen hinaus!", befahl Dominico knapp und der Italiener mittleren Alters griff sich die beiden Huren am Arm, die sich bereits wieder in ihre Kleider geschält hatten. Diese Frauen rochen für gewöhnlich, wenn es Ärger gab, und verzogen sich schneller als man sehen konnte. Offenbar hatte Alessandro sie auch schon bezahlt, denn sie machten keine Anstalten nach Bezahlung zu fragen. Bequem für Dominico, der überhaupt keine Zeit hatte, sich damit auch noch auseinander zu setzen. Die beiden anderen Diener rollten eine Wanne herein, in der bereits Wasser auf Alessandro wartete, so dass dieser sich waschen konnte - wenn er es denn heute noch schaffte, sich aus dem Bett zu erheben. Immerhin hatte sich der Kardinal schon auf seine Ellenbogen gestützt. Die rote Robe ging über dem Fußende des Bettes, und eine der Damen, die seinen Galero getragen hatte, hatte diesen über einen der Bettpfosten gehängt. "Was machst du für einen Aufstand am frühen Morgen?" Alessandros Stimme klang krächzend, er hatte sicher Durst oder einen verdammten Brand nach der letzten Nacht. Langsam schälte sich der Geistliche aus dem Bett, um zu einem kleinen Tisch hinüberzuwanken, auf dem noch immer die Weinkaraffe stand.

Leider war Dominico schneller und zog die Karaffe weg, schüttete seinem Bruder stattdessen einen Becher Wasser ins Gesicht. Dieser Angriff brachte den Sforzakardinal nun endgültig in die Sphäre der wachen Menschen. "Meine Güte, du bist eindeutig mit dem falschen Fuß aufgestanden, Bruderherz", beschwerte er sich, während er das Hemd, das er noch trug, abstreifte. Vom Alkohol der letzten Nacht war er noch etwas wackelig auf den Beinen, doch er schaffte es, ohne zu stolpern bis zur Wanne, und ließ sich grinsend seitlich hinein rutschen - ein böser Fehler.

Mit einem heiseren Aufschrei, um sich panschend und sowohl die Diener als auch den Boden benässend tauchte Alessandro wieder auf. "DAS IST JA KALT", schrie er, wieder ganz Herr seiner Stimme und versuchte aus der Wanne und dem kalten Wasser zu entkommen. Wieder war Dominico schneller und drückte ihn zurück.

"Mein lieber Kardinal! Schon vor eine Stunde hättet ihr mit mir am Tisch frühstücken sollen, denn es beginnt das Osterfest. Für euch Kardinal ist das eine sehr wichtige Zeit, die ihr nicht mit Huren im Bett verbringen solltet! Die Auferstehung unseres Erlösers sollte wahrlich anders gefeiert werden. Euch erwartet eine Audienz beim König."

"Ach und du glaubst, dass Jesus nicht ins Bordell gegangen ist, um seinen Spaß zu haben? Ich feiere seine Auferstehung eben richtig", murrte Alessandro mit inzwischen klappernden Zähnen. "Du bist nur eifersüchtig und neidisch, weil ich heute Nacht zum Schuss gekommen bist und du nicht."

"Es ist mir ganz egal, in welche Gestalten du deinen Schwanz steckst - solange du nur pünktlich dabei bist und das bist du gerade nicht! In einer halben Stunde reite ich los, zur Not auch ohne dich" Und damit wandte sich Dominico ab und ging.

Es dauerte keine halbe Stunde, da stand Alessandro abfahrbereit neben ihm. Sie beide ritten zu Pferd in die Stadt. Vor einigen Tagen waren sie nach Cambridge gereist, gemeinsam mit seiner Majestät dem König. Heute würden sie an den Feierlichkeiten zu Ehren des Osterfestes teilnehmen und in Gegenwart der Krone hatte Dominico nicht die Ambition zu spät zu sein.

Als sie die Stadttore passierten verneigten sich die Wächter an den Toren untypisch tief. Sie ritten nicht im Gefolge des Königs, doch sein Bruder hatte - mal wieder - unwesentlich dick aufgetragen. Henry sah die rote Robe römischer Kardinäle mit wachsender Wut, da der Papst in Rom sich weigerte, seine Ehe mit Katharina von Aragon zu scheiden, nur damit der König seine Mätresse Anne Boleyn ehelichen konnte. Alessandro vertrat in dieser Hinsicht natürlich die Interessen der Kirche von Rom, doch wenn es ums Feiern ging - und das sollte es ja bekanntlich - dann war er weit davon entfernt, mit einer roten Robe alle Aufmerksamkeit und den Zorn des Königs auf sich zu ziehen. Er trug daher ein wesentlich dunkleres Rot, beinahe Braun. Doch das Gewand war ebenfalls aus teurer Naturseide und das schwere Kruzifix um Alessandros Hals war aus in Gold gefassten roten Rubinen. Er trug einen Hut, der an die Form des Galeros angelehnt war - im Großen und Ganzen wirkte er damit sehr zivil, verwies aber trotzdem auf seinen päpstlichen Auftrag. Dominico konnte darüber stets nur den Kopf schütteln. So sittsam und gottesfürchtig, wie sich der Mann neben ihm gerade gab, war er überhaupt nicht.

Da er selbst davon leider profitierte, weil Alessandro nicht zuletzt auch sein Leben durch das päpstliche Gehalt um ein vielfaches angenehmer machte, sagte er nichts zum Auftreten seines Bruders.

In der Stadt selbst setzten sich diese heimlichen Ehrbekundungen fort, zumindest dort, wo die Wachen des Königs nicht allzu auffällig hinsahen. Katharina war ein rotes Tuch für den König geworden und wollte nicht sehen, dass das Volk sie noch immer verehrte. Die Leute, die das zu offensichtlich taten und die Weigerung des Papstes guthießen und predigten, landeten am Pranger oder auf dem Scheiterhaufen - morgen würden einige Hinrichtungen stattfinden und die Opfer standen jetzt schon aufgereiht am Pranger, als die beiden Sforza Brüder den Marktplatz erreichten.
 

Finley Gordon alias Adrian White

„FINLEY SAM GORDON!“ Der laute Ruf durchbrach den blumigen Traum des Rebellen, welcher – abrupt aufwachend – sich kerzengerade aufrichtete und mit voller Wucht gegen einen Dachbalken oberhalb seiner Stirn donnerte. „Verflucht!“, zischte dieser, als ein schallendes Gelächter von der Tür her seinen Blick auf sich zog. „Du…!“, knurrte er, als er den rothaarigen, großen Mann erkannte, der vor Lachen in die Knie gegangen war und sich nun nur noch mit Mühe aufrecht halten konnte, indem er sich am Türrahmen abstützte. Mit einem Hechtsprung stürzte sich Finley aus dem Bett, geradewegs auf den bebenden Mann zu und verpasste ihm einen leichten - aber nicht zu leichten - Fausthieb in die Magengrube. Der Kupferschopf stieß leicht keuchend die Luft aus, was ihn allerdings nicht davon abhielt, weiterhin breit zu grinsen. Mit geschickten, großen Händen, hielt er die Hände Finleys fest und richtete sich langsam wieder gerade auf.

„Frohe Ostern, Zecke!“, sagte er feixend und gab Finley einen Klaps an der Stelle auf die Stirn, wo er sich zuvor gestoßen hatte. „Pass bloß auf, das bekommst du alles zurück!“, murrte der blonde Rebell gespielt erzürnt, doch auch er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Wer so blöd war und immer wieder auf den gleichen Trick herein fiel, der würde sich wohl auch etwas Spott von einem seiner besten Freunde anhören müssen.

Gähnend streckte er sich und zog sich das Nachtgewandt aus, bevor er in eine dunkle Leinenhose und ein ebenso dunkles Hemd schlüpfte. Zwar bevorzugte er eher helle Farben, doch es hatte ihm schon einige Male den Arsch gerettet, im Schatten verschwinden zu können. Es war schon schlimm genug, dass sein Gesicht und seine Haare wie Fackeln leuchteten – aber dagegen konnte man schließlich schneller etwas unternehmen. Schließlich band er sich noch die Haare mit einem Band zusammen und wandte sich wieder zu dem gut einen Kopf größeren Mann hinter sich um. „Na, genug gespannt?“, gab er grinsend von sich und der Mann im Türrahmen lachte leise. „Als Anführer werd ich mir doch wohl noch die ein oder andere Freude erlauben dürfen, oder?“, gab er ebenso keck zurück und zog Finley am blonden Pferdeschwänzchen. „Du brauchst dich gar nicht so fertig zu machen, du musst dich eh gleich waschen und deine Haare mal in Ordnung bringen. Ich bin ja kein Experte, aber soweit ich weiß, laufen Messdiener nicht so schlampig herum wie du.“ Finley streckte ihm die Zunge heraus und wollte sich gerade an ihm vorbei schieben, als er ihn noch einmal am Zopf zurück zog. „Lass die Haare offen. Damit siehst du jünger aus. Und nimm das bloß nicht auf die leichte Schulter! Ich will nur Informationen, keinen aufständischen Firlefanz. Ich hab keine Lust, einen meiner besten Männer und Freunde an die scheiß Kirche zu verlieren, nur weil du mitten in der Messe geräuschvoll zu kotzen anfängst!“ „Du hast mich durchschaut!“, schnaubte Finley und boxte seinem Gegenüber erneut leicht in die Magengrube. „Aber keine Angst, der höchstens 20-jährige Adrian White hat nicht vor, in all zu naher Zukunft das Zeitliche zu segnen und wird das Kotzen daher auf Hinterher verschieben. Und jetzt mach dir mal nicht ins Höschen, Ralph. Mein unwiderstehlicher Charme wird das schon schaukeln!“, kommentierte er wenig bekümmert und verschwand zwei Zimmer weiter, wo er die Tür vor weiteren neugierigen Augen und besorgten Stimmen schloss.

In diesem Zimmer befand sich ein großes Holzfass und Eimer mit Wasser waren ebenfalls schon bereit gestellt worden. Sehr aufmerksam von Clara, ihrem einzigen, offiziellen, weiblichen Mitglied bei den Rebellen. Etwas umständlich, da seine Glieder noch immer etwas steif vom Schlafen waren, schlüpfte er etwas widerwillig erneut aus seiner Kleidung und stieg in das Fass. Schließlich öffnete er noch seine Haare und schnappte sich einen Eimer mit Wasser. Finley bekam schon eine Gänsehaut, allein von der Kälte, die durch das Gefäß gegen seine Handflächen strömte. Fest kniff er die Augen zusammen, während er sich das eisige Wasser schonungslos über den bibbernden Körper kippte. „Brrr!“, quietschte er laut, während er die nächsten zwei Eimer ergriff und über sich kippte, bis das Fass ¾ voll war. Ein Stück Seife lag ebenfalls in Reichweite und so machte sich der Rebell widerwillig an die Arbeit, bis sein Körper rosig und beinahe wund war. Nun tauchte er ein um das andere Mal unter, bis er das Gefühl hatte, dass seine Genitalien mittlerweile auf Rosinengröße zusammengeschrumpft waren, und er eiligst aus dem Eisbad hüpfte. Zitternd schnappte er sich ein Stück Stoff und begann sich damit abzutrocknen.

Prüfend blickte Finley an sich herab. Ja, das musste so gehen. Wahrscheinlich war er noch nie in seinem Leben so sauber gewesen. Und wahrscheinlich hätte er auch niemals geglaubt, dass die Kirche der Anlass dafür sein würde. Das musste heute ein Erfolg werden, sonst wäre die ganze Plackerei umsonst gewesen und Finley war niemand, der etwas einfach so umsonst tat.

Mit einem Ruck riss er die Tür auf. „Clara ich bin so weit! Meine Haare warten auf dich!“ rief er laut und nur wenige Minuten später kam ein großes, drahtiges und muskulös wirkendes Mädchen mit langen, kupferfarbenen Haaren die Treppe hinauf und kam grinsend zu Finley ins Zimmer. Dieser hatte sich sein Stück Stoff um die Hüfte gebunden und sich brav auf einem klapprigen Hocker nieder gelassen. Kurz sah sich Clara stirnrunzelnd im Zimmer um, bevor sie einen Kamm aus ihrer Schürze zog und sich erbarmungslos an Finley Haaren zu schaffen machte. „Musstest du alles unter Wasser setzen?“, fragte sie mit leicht gereiztem Unterton, doch Finley wusste, dass sie nicht wirklich sauer war. „Du weißt doch, dass es ohne ein bisschen Sauerei einfach keinen Spaß macht und nebenbei wollte ich dir nur beim Putzen helfen!“, erklärte er lächelnd und Clara zog ihm ein bisschen fester an den Haaren, doch Finley gab keinen Mucks von sich. Er wusste, wenn er erst einmal mit dem Beschweren anfing, würde Ralphs Schwester nur Gefallen daran finden und ihn gar nicht mehr in Ruhe lassen. Doch scheinbar hatte sie trotzdem noch ein Hühnchen mit ihm zu rupfen, denn immer wieder wurden ihre Griffe fester, bis sie schließlich erneut das Wort ergriff. „Ralph macht sich wirklich Sorgen um dich, Zecke. Wir alle machen das. Es ist so typisch, dass ausgerechnet du das unbedingt machen wolltest, aber stell bloß keinen Unsinn an und lass dich nicht umbringen, sonst komm ich persönlich vorbei, um dich in deinen letzten Stunden noch zu quälen. Du weißt genau, dass wir dich UND die Informationen brauchen. Und nicht nur Ralph würde dich schrecklich vermissen“, sagte sie etwas sanfter und auf Finleys Lippen trat ein weiches Lächeln. „Du kennst mich doch. Ohne nen kleinen Kick geht’s nicht. Und den Feind kann man nur bekämpfen, wenn man ihn kennt. Nur von innen heraus. Und außerdem werd ich doch nicht umsonst ‚Zecke‘ genannt!“, gab er selbstsicher zurück. Nicht zuletzt, um sich selbst etwas zu beruhigen. Es würde sicher kein Zuckerschlecken sein, gerade bei der Ostermesse als Messdiener dabei zu sein. Finley wusste noch immer nicht recht, wie zur Hölle es Ralph geschafft hatte, einen von ihnen dort einzuschleusen, doch er hatte es - wie er immer alles irgendwie schaffte - und nun lag es an ihm, etwas daraus zu machen.

Etwa eine Stunde später stand er neu eingekleidet, duftend und glänzend und umringt von einigen seiner Mitkämpfer vor dem etwas schäbigen Haus, dass sie ihr eigen und einen ihrer Unterschlüpfe nannten. „Hast du alles im Kopf, Zeck- ich mein, Adrian?“, fragte Ralph mit einem schiefen Grinsen und klopfte mit seiner riesigen Pranke so fest auf Finleys Rücken, dass dieser einen Schritt nach vorne machen musste. Er nickte nur breit grinsend und knuffte seinen großen Freund in die Magengrube. „Na, dann verpiss dich mal, du Sohn Gottes und zeig uns, dass unsere Vorbereitungen nicht umsonst waren!“

Das allerdings brauchte Ralph ihm nicht zweimal sagen und schon war er in den Gassen der Stadt verschwunden. Der Rebell kannte sich hier aus, wie in seiner eigenen, naja, Westentasche – sofern er denn so etwas besaß – und schlängelte sich so geschickt durch die trotz der Uhrzeit schon vorhandenen Menschenmengen, als hätte er sein ganzes Leben lang nichts anderes getan. Was er ja, streng genommen, auch nicht getan hatte. Allerdings nicht in diesem Aufzug und er musste zugeben, dass es schon ziemlich ungewohnt war. Normalerweise hätte er auch lautstark gegen dieses Herausgeputzte protestiert, doch er musste einen gottesfürchtigen Mann abgeben. Jemanden, der sein ganzes, junges Leben der Kirche und dem Glauben verschrieben hatte und der normalerweise vielleicht auch nicht so sauber herumlief, doch für das große, bevorstehende Osterfest alle Mühen auf sich genommen hatte, um ein gebührendes Äußeres aufweisen zu können. Umso gläubiger er wirkte, desto besser.
 

Kieran Carney
 

"Wäre" und "Hätte" waren Worte, die in Kierans Wortschatz nur selten vorkamen. Er neidete nicht, nicht in dem Maße, wie es viele andere taten. Und wenn so ein Markt eröffnet wurde und wenn so viele Menschen unterschiedlichster Herkunft aufeinandertrafen, schien der Neid bei vielen ins Unermessliche zu steigen. Überall wisperten und tuschelten die Leute über diesen oder jenen, der offenbar wohlhabender war, als sie selbst. Und dabei versäumten sie es nie, genau über jene zu lästern, die es offenbar besser getroffen hatten, als sie selbst, obwohl sie es - glaubte man dem Gewäsch- nicht verdient hatten. Besonders die Frauen schienen chronisch unzufrieden zu sein, denn stets hatte diese oder jene das schönere Kleid, den hübscheren Stoff oder die moderneren Schuhe. Aber stets war auch die andere hässlich, dumm oder vulgär. Kieran fand es immer sehr amüsant, wenn er vor der Kirche stand und die Ankunft der Menschen sah. Er konnte nicht verstehen, wieso Menschen ihr Glück in ihrem Besitz sahen. Er hatte nur drei Hemden, die er sein eigen nannte, und war glücklich. Gab es nicht andere Werte, die so viel mehr wert waren, als Besitz? Zumal er die Reichen wirklich nicht beneiden konnte. Wenn sie nicht selbst die größten Arschlöcher waren, mussten sie stets vor eben diesen in Acht sein. Und wäre er an ihrer Stelle, so müsste er wahrscheinlich auch duzende Hemden haben, um nicht ins Gerede zu kommen. Kein schönes Leben, oder?

An diesem Tag war die Kirche nicht für alle geöffnet. Der König selbst hatte es sich nicht nehmen lassen, nach Cambridge zu reisen, um den Osterfeierichkeiten beizuwohnen. Angesichts der Stellung von Cambridge wunderte ihn das auch nicht, denn seit sich die Universität offiziell von Oxford distanziert hatte, um freier vom Königshaus forschen zu dürfen, galt Cambridge als Anziehungspunkt für Rebellen und Querdenker. Für das niedere Volk gab es daher kaum Platz in der eh schon nicht ganz so großen Kirche, so dass nur ausgewählte Bürger geladen worden waren. Der gesamte Adel der Gegend bis nach London schien da zu sein, um vom König gesehen zu werden. Spannend war die Anwesenheit der Hochrangigen der römischen Kirche. Bischöfe und sogar der Kardinal wohnten den größten Osterfeierlichkeiten des Landes bei. Dass der König momentan nicht so gut auf diese zu sprechen war, war kein Geheimnis. Kieran, der gar nichts von der Kirche hielt, war diesmal sogar zufrieden, dass es dem König nicht so leicht gemacht wurde, die Frauen wie die Unterhose zu wechseln. Andererseits würde Heinrich sicher einen Weg finden, seine Frau loszuwerden, auch wenn es von Rom nicht gestattet war, da war er sich sicher. Kieran war gespannt, was geschehen würde und bedauerte Katharina, die er für sehr klug hielt. Zwar vertrat sie das Bild der braven, keuschen, mannergebenen Frau, aber versäumte nicht, an passenden Stellen ihre Meinung kundzutun. Frauen hatten es leider nicht sehr leicht in ihrer Gesellschaft, umso schöner, wenn sich eine Königin zu äußern wusste.

Die Menschenmasse verschwand in die Kirche, als das Geläute der Glocken immer lauter zu werden schien, und nun war es an Kieran zu tun, was er tun wollte: in die Bibliothek einsteigen. Er hatte beobachtet, dass die wichtigen Persönlichkeiten der Universität auch den Feierlichkeiten beiwohnten, so dass er nun eine Stunde ungestört haben würde, bevor er ohnehin auf dem Marktplatz sein musste, um seiner Familie beim Geldverdienen zu helfen.
 

Alessandro und Dominico Sforza
 

Die Delegation des Königs wurde bereits in Cambridge erwartet und eine ganze Reihe von adeligen Gästen hatte vor der Kirche mehr oder weniger lockere Aufstellung genommen, um einen Blick auf den König werfen zu können. Amadeo nahm den beiden Brüdern die Pferde ab, als sie absaßen, und würde sich um die Tiere kümmern, solange die Herrschaften in der Kirche, beziehungsweise auf dem Markt unterwegs waren. Ohne auf den König zu warten, betraten Alessandro und Dominico die Kirche durch den Seiteneingang über die Sakristei. Der Bischof, der die Messe halten würde, wurde aus seinem Gebet geschreckt, als der Kardinal die kleine Kapelle betrat, in der sich gerade auch die Messdiener in ihre Gewänder schälten. "Eure Eminenz!" Der Bischof war schnell damit, Alessios Hand zu greifen und den Ring zu küssen, den Alessandro am Finger trug, eine ähnliche Ehrerbietung wie vor dem Papst. Vor Dominico neigte der Bischof nur leicht den Kopf, wie auch Dominico vor ihm. Er war froh seinen Bruder direkt mitgebracht zu haben, denn es bereitete dem Älteren diabolische Freude, sich offiziell vom eigenen Bruder begrüßen zu lassen. Und Dominico konnte sich auch nicht weigern, den Ring, beziehungsweise die Hand seines Bruders zu küssen, wenn der sie ihm hinhielt. In diesem Fall jedoch blieb ihm diese öffentliche Demütigung, als die er es empfand, erspart.

Während Alessio in der Kapelle zurück blieb, um mit dem Bischof zu reden, betrat Dominico die festlich geschmückte Kirche. Sein Blick wanderte über die schon teilweise besetzten Reihen und schließlich nach oben zur Empore. Die Kirche war recht neu, es wurde sogar noch daran gebaut und der Turm war noch nicht fertig. Da die Krone dieses Bauvorhaben der Kirche St. Mary the Great jedoch finanziell unterstützte, wollte Henry die Osterfeierlichkeiten natürlich hier abhalten. Beinahe wie in einem Theater hatte man für die gehobenen Gäste auf der Empore und dem umlaufenden Gang kleine Logen eingerichtet und Dominico würde irgendwo dort Platz nehmen. Er schlenderte den Kreuzgang entlang, ließ den Blick über die Besucher schweifen, die schon herein gekommen waren. Er kannte einige der Leute, andere kannte er nicht. In Anbetracht der politischen Lage schien die Beteiligung vor allem politischer Größen enorm. Er sah Vertreter aus Frankreich, Spanien und dem deutschen Kaiserreich, die sich in Gruppen verteilt in den dunklen Seitengängen aufhielten. Ja, jeder wollte seine Interessen vertreten. Dominico schmunzelte, ehe sich alle Blicke dem Mittelgang zuwandten und sich die Menge verneigte. Nicht etwa, weil der König gerade eintrat, sondern weil die Würdenträger der Kirche einmarschierten. Es waren einige Priester und Bischöfe, die zu diesem Ereignis gekommen waren - und sie alle flankierten seinen Bruder, dem man ein kunstvoll besticktes Messgewand über die dunkelrote Robe gelegt hatte. Dominico verdrehte die Augen und schlenderte zu der Treppe hinüber, die ihn zu seiner Loge brachte. Sein Bruder indes kniete vor dem Altar nieder und schien im stillen Gebet versunken, während die Würdenträger an den Seiten Platz nahmen. Zu Ehren des Osterfestes war der Knabenchor aus London mit angereist und nahm ebenfalls Aufstellung, während sich die Kirche langsam füllte.

Dann dauerte es tatsächlich keine 10 Minuten mehr, bis der König in die Kirche marschierte. Man musste es wirklich schon marschieren nennen, denn ohne seine Frau oder eine Mätresse an der Seite schlug der König einen militärisch flotten Schritt an. Gefolgt von Kardinal Wolsey, dem Lordkanzler und damit auch Henrys engstem Berater. In Kirchenfragen waren sich Alessandro und Wolsey nie einig, doch das machte nichts - sie sprachen kaum über diese Dinge. Es war allerdings schon bezeichnend, dass Alessandro derjenige war, der vor dem König diese Messe eröffnen sollte. Aber man munkelte bereits, dass Wolsey sich mehr darauf konzentrierte auf den päpstlichen Stuhl in Rom gehievt zu werden Dabei hatte er sich auch um Alessandros Stimme und die der eingeschworenen Sforzakardinäle zu bemühen. Vielleicht hatte er deswegen auch seinem Bruder den Vorzug gelassen.

Als nun die Kirche gut gefüllt war, begann der Gottesdienst. An wahrhaft meisterlicher Organist aus London stimmte auf den Gottesdienst ein und die klare Stimme seines Bruders eröffnete den Gottestdienst mit einem lateinischen Gebet. Beinahe wurde Dominico wieder von Neid übermannt. War nicht immer der kleine auf den großen Bruder neidisch? Wie er dort unten stand, so selbstgefällig und scheinbar unschuldig im Messgewand, wo er sich für eine Frau oder einen Mann nur zu gerne letzteres heruntergerissen und auf dem Altar Dinge vollführt hätte, die die Anwesenden vor Scham in der Hölle hätten versinken lassen. Aber das geschah natürlich nicht. Nach dem Alessandro sein Gebet gesprochen hatte ging er, begleitet von zwei Weihrauschwingenden Messdienern durch die Reihen und segnete die Leute, kam auf die Empore herauf, um auch den König zu segnen und sich vor ihm zu verneigen, ehe er dann zu Dominico herüberkam und sich zu ihm setzte - den Gottesdienst übernahm jetzt der eigentlich hier ansässige Bischof. Kaum dass der geregelte Teil der Kirche zu Ende gegangen war und die Predigt einsetzte, erhob sich leises Gemurmel in der Kirche. Viele der Menschen redeten über das, was sie hörten, während sich Alessandro zu seinem Bruder hinüber beugte. "Sag, hast du den Messdiener am Ambo gesehen?" Dominico runzelte die Stirn, sah dann aber nach unten und kniff die Augen zusammen, um den jungen Mann besser erkennen zu können. Er war mit Sicherheit kein Knabe mehr, sicher schon 18 oder älter. Sein Gesicht konnte man guten Gewissens als so makellos wie das eines Engels bezeichnen, passend dazu fiel ihm das goldblonde Haar bis auf die Schultern. Er war nicht sonderlich breit, eher schmal und seine Augen von einem bestechenden Blau, zumindest bildete Dominico sich das ein, als der Junge zu ihnen hinaufsah. Ob er zu ihnen oder zum König knapp neben ihnen sah, konnte Dominico nicht sagen, doch das tat auch nichts zur Sache. "Der blonde Rauschgoldengel? Ist beinahe schwer zu glauben, dass es ein Mann sein soll. Ich glaube da steckst du deine Ziele zu hoch." Alessio gluckste. "Oh, ich glaube, ich sollte ihn zur Beichte einladen..."

"Ja, sicher. Nachdem du ihm etwas gegeben hast, das er zu beichten hat, und er sich danach ins Messer wirft. Nein Bruderherz, ich glaube nicht, dass du ihn herumbekommst. So wie er aussieht, hat er sein Leben ganz und gar der Kirche verschrieben und in so jungen Jahren sind die noch nicht so leicht zu beeinflussen wie die Jungs von der Straße."

"Man soll sich doch hohe Ziele setzen, oder nicht?" Dominico verdrehte erneut die Augen. "Gut. Ich halte dagegen. 20 Pfund."

"Ich bin ein armer Kirchendiener...", versuchte Alessandro den wirklich hohen Preis zu drücken, doch Dominico warf ihm einen Blick zu, der ihn verstummen ließ. „20 Pfund. Und dafür will ich ihn hören."

"Dann sehe ich mich gezwungen, jemanden für dich zu suchen. Gleiche Wette gleicher Einsatz."

Nico lupfte die Augenbraue, doch er zuckte mit den Schultern. "Ich wähle, du hast auch gewählt. Wir sehen, ob ich etwas Äquivalentes finde."

Damit war zumindest dieses Gespräch beendet und die Brüder lauschten der Predigt, die nach Dominicos Meinung wesentlich länger dauerte als notwendig gewesen wäre. Nun, es war Ostern.
 

Finley Gordon alias Adrian White
 

Einige Zeit später befand Finley sich auch schon mitten in der Zeremonie und er konnte es selbst kaum fassen, inmitten dieses riesigen – übrigens arschkalten – Gebäudes zu stehen und Weihrauch zu schnüffeln. Zunächst hatte er ganz schöne Muffensausen gehabt, doch schon nach wenigen Minuten hatte er gemerkt, wie beschäftigt sie alle waren und dass niemand ihn misstrauisch beäugte. Nun begann ihm das Ganze allerdings einen riesen Spaß zu machen und er schlüpfte voll und ganz in seine Rolle als guter Christ und musste sich teilweise wirklich zurückhalten, in seiner Ehrerbietung nicht etwas zu übertreiben. Dann musste Finley allerdings feststellen, dass die ganze Prozedur ziemlich lange anzudauern schien und er begann, sich zu langweilen. So konnte man kaum Informationen beschaffen und er zermarterte sich das Hirn, mit wem er wie am besten nach dem ganzen Brimborium mitgehen könnte, um etwas Brauchbares zu erfahren. So begann sein Blick, möglichst unauffällig umher zu schweifen und die Umgebenden zu mustern. Vor allem die ‚Loge‘ schien ihm äußerst interessant und informativ zu wirken und so erhaschte er den Blick zweier Männer, die dort oben über der Brüstung lehnten. Blickten die etwa ihn an? Beinahe hätte er breit gegrinst und provokant zurück gewunken, doch geradeeben noch konnte er seine Handbewegung zu einem Kratzen tarnen und sein Lächeln zu einer Art Gesichtslockerung, bei der er die ein oder andere Grimasse schnitt, während er hastig den Blick abwandte.

Dies war der Kardinal von eben gewesen. Und der andere sah ihm auch recht ähnlich. Sofern er das beurteilen konnte, konnten dies nur die Sforza Brüder sein und wenn ihn nicht alles täuschte, wäre ein Gespräch mit nur einem von beiden weit mehr als nur lukrativ. Finley musste unbedingt sehen, dass er nach dem Tamtam hier in die Nähe der Männer kam. Vielleicht ließ sich der Kardinal mit einem Gespräch über Gott einfangen und rückte mit der Sprache raus, wenn man den richtigen Ton traf. Bei der Messe hatte der Kerl ja ganz schön dick aufgetragen, aber bei Menschen mit Geld und Macht wusste man schließlich nie, was ihr verdorbener Kern war bzw. man wusste nie, wie dick die Fassade um den verdorbenen Kern war.
 

Kieran Carney
 

Mit einem mehr als zufriedenen Lächeln stand der schwarzhaarige junge Kieran auf ihrer Bühne und amüsierte das Publikum mit Akrobatik und Jonglage, die so manchem Zuschauer den Mund offen stehen ließen. Er hatte es tatsächlich in die Bibliothek geschafft und auch ein gutes Buch gefunden, das nicht auf Latein geschrieben war, sondern auf Englisch, und in dem hochkonzentriert lesen konnte. Beinahe hätte er die Zeit vergessen, hätten ihn nicht die Glocken gewarnt, die zwischen dem Gottesdienst immer wieder zu hören waren. Doch was er in der kurzen Zeit hatte lesen können, war letztlich viel zu wenig gewesen. Das Buch umfasste weit mehr Seiten, feinsäuberlich geschrieben und mit detailreichen Bildern versehen, die Kieran mehr als helfen würden, sein Wissen um die Medizin grundlegend zu erweitern. Und so stand, als er sich erhob, um rechtzeitig hier draußen zu einen, für ihn fest, dass das nicht sein letzter Besuch sein würde, solange sie in Cambridge gastierten.

Aber auch wenn all das Wissen ihn für sich eingenommen hatte, waren ihm seine Familie und die Show mindestens genauso wichtig. Hier war Kieran in seinem Element, voll konzentriert auf das, was er tat, und er genoss die Show. Bald würde ohnehin der Prozess gegen die armen Hunde und jene Frau, die sie der Hexerei bezichtigten, losgehen und nun, da auch der König anwesend war, würde es wahrscheinlich kein Erbarmen geben.

Wichtig war für sie, dass sie nicht den richtigen Moment verpassten, an dem sie mit ihrer Show aufhören würden. Wären sie zu spät dran, würden alle Zuschauer sich dem Spektakel zuwenden, und nichts mehr bezahlen. Wären sie zu früh dran, würde ihnen vielleicht auch einiges an Geld entgehen. Und so linsten sie immer wieder in Richtung President's Lodge, wo die vom König Geladenen gerade ihren Lunch zu sich nahmen. Erst nach dem Essen, würde der Ostermarkt vom König offiziell eröffnet werden und schließlich die Verurteilungen vorgenommen werden.

Als schließlich die ersten Adeligen zum Marktplatz zurückkehrten, spielten sie noch ein wenig weiter, bis sie schließlich aufhörten. Unter anerkennendem Applaus verneigte sich Kieran und machte sich sogleich daran, die Leute mit einem vorgehaltenen Hut um Geld zu bitten. "Nicht so stürmisch, jeder kommt dran, immer der Reihe nach", sprach er halblaut und lächelnd, während sich schon viele umgedreht hatten, um zu gehen, bevor man etwas bezahlt hatte. Noch hatten die Leute eigentlich Geld, schließlich hatte der Verkauf am Markt noch nicht begonnen, und dennoch waren die Veranstaltungen am Abend immer wesentlich lukrativer, als jetzt. Das lag wohl am Alkohol, der nicht nur die Zunge lockerte, sondern auch oft den Geldbeutel...
 

Alessandro und Dominico Sforza
 

Der König verließ die Kirche zuerst und würde sich nach der Rede vor dem Volk in den für ihn hergerichteten Palast begeben, in dem der König hier residieren konnte und in dem in den nächsten Tagen einige Gesellschaften stattfinden würden. Heute Abend war es ein Essen mit ausländischen Diplomaten und der Königsfamilie, zu dem die beiden Sforza Brüder abgesagt hatten. Sie spielten ihre eigenen Spiele und in Politik allzu sehr hineinzugeraten, war nicht ihr Stil.

Sie verließen die Kirche beinahe als letzte, was vor allem daran lag, dass Alessandro Wert darauf legte, wieder durch den Seitenausgang zu verschwinden. Mit großem Tamtam in der Kirche herumzuflanieren war eine Sache, sich dem Volk jedoch als Kardinal entgegen zu stellen, eine andere. Er zog es vor, möglichst Zivil zu erscheinen und nicht ZU deutlich erkannt zu werden. So traten sie hinaus, als die Rede des Königs schon fast zu Ende war und das Markttreiben begann. Eine Schaustellergruppe hatte die Gelegenheit genutzt, um die Leute vor der Kirche zu unterhalten und sie spielten auch nach der Rede noch etwas weiter, doch dann, als die ersten Stände öffneten, hörten sie auf, da ohnehin niemand mehr darauf achten würde und sie ja auch noch Geld verdienen wollten. Ein junger Mann, der eben noch ziemlich geschickt akrobatische Kunststücke vollbracht hatte, hatte seinen Hut abgenommen und ging durch die Reihen von Zuschauern. Zufällig steuerte er dabei auf die Sforza Brüder zu, die sich anschickten, den Platz zu überqueren, um sich in eines der gehobenen Gasthäuser zu begeben. "Oh Alessio, sieh‘ doch mal…", flötete Nico, als der junge Mann beinahe vor ihnen stand. „Ich glaube, ich habe meine Wette gerade gefunden." Er sah nicht zu seinem Bruder hinüber, sondern musterte den jungen Schausteller, während er in seiner Tasche nach ein paar Münzen kramte. "Das ist wohl nicht dein Ernst?!", Alessio klang ungläubig, musterte den Jungen wie ein unbekanntes Tier. "Oh, ich glaube das ist ziemlich ausgeglichen, meinst du nicht?" Die Münzen klapperten, als sie in den Hut fielen, den der Akrobat ihnen hinhielt. Auch Alessio gab zwei Münzen, doch was Dominico gab, grenzte schon fast an Unverschämtheit. Alessio sah goldene Münzen im Hut verschwinden und räusperte sich kaum vernehmlich, während Dominico mit einem kühlen Lächeln den jungen Mann vor sich mit seinem Blick beinahe durchbohrte.

Dann war der Augenblick vorbei - die Brüder schlenderten scheinbar ungerührt weiter. "Also ehrlich Nico.. ein bisschen mehr Geschmack hätte es schon sein dürfen. Wenigstens habe ich, wenn ich gewinne, keine Beulenpest am Hals." Nico zuckte die Schultern. "Du wirst schon sehen, wer am Ende der Nacht noch zu lachen hat."

Doch das Ende der Nacht war noch lange hin, und nach einem ausgiebigen Mittagessen und einem kleinen Bummel über den Markt verabschiedeten sich die beiden Männer voneinander - bis zum Abend in ihrem Haus. Jeder von ihnen beiden hatte eine Wettschuld zu erfüllen und alle beide hatten vor, zu gewinnen. Deswegen machte sich Dominico auf die Suche nach der Schaustellertruppe. Er hatte vor, sich mit Geld einen Vorteil zu verschaffen. Immerhin war ein Schausteller leichter von Münzen zu beeindrucken, als ein gottesfürchtiger Messdiener.
 

Kieran
 

Eigentlich hatte Kieran so absolut gar nicht damit gerechnet, dass einer dieser beiden Brüder ihm etwas gab. Leute von diesem Stand gaben selten etwas, obwohl gerade sie es dicke hatten. Er hatte die beiden Männer erst spät gesehen, als sie den Marktplatz überquerten, und dann sein Glück versucht. Er erkannte in dem einen den Kardinal, der vorhin noch hoch zu Pferd die Kirche durch den Seiteneingang betreten hatte, wieder, auch wenn jener jetzt wesentlich ziviler, aber dennoch zur Kirche gehörend aussah. Dass der andere Mann sein Bruder war, vielleicht etwas jünger, sah man deutlich. Die Ähnlichkeit war unverkennbar. Er wirkte nur breiter, muskulöser, wie jemand, der das Kämpfen gewohnt war. Andererseits, war der Kardinal von seinem Auftritt her irgendwie imposanter.

Irgendwie irritierte ihn der Blick, mit dem er von beiden gemustert wurde. Der eine sah ihn an, als handle es sich bei ihm um ein Stück Vieh, das bei der Auktion übrig geblieben war und daher wohl eher auf die Schlachtbank musste, als verkauft. Der andere schien ihn mit seinem Blick festnageln zu wollen. Und irgendwie kam Kieran auch nicht umhin, das Gefühl zu haben, sie hätten über ihn geredet. Etwas sei ausgeglichen? Kierans Augenbrauen zogen sich leicht fragend zusammen, als er vor ihnen stand und zu ihnen aufschaute, denn beide waren merklich größer als er. Er hielt den beiden Männern mit einem höflichen Lächeln den Hut hin und einen Moment blieb er in diesen durchdringenden grünen Augen hängen, die ihn irgendwie berührten und doch auch erschreckten. So ganz schlau wurde er aus dem Blick nicht. Und das kühle Lächeln schien völlig unangebracht. Was lächelt er ihn so an? Seinen Blick von den Augen des anderen lösend, blickte er nur kurz in seinen Hut. Mit nur einem halben Auge nahm er wahr, was da seinen Weg hinein gefunden hatte. Wieder etwas, was ihn irritierte, doch diesmal beschloss er, sich seine Verwirrung nicht anmerken zu lassen. "Herzlichen Dank, ihr ungleichen Brüder", sagte er ruhig und verneigte sich in gewohnter Weise, wie er es bei allen tat, die ihm etwas in den Hut legten - sei es nun nur ein Apfel oder wie in diesem Falle Geld, viel Geld. Damit wendete er sich ab und hielt dem nächsten Mann seinen Hut hin. "Auch Sie eine Kleinigkeit als Anerkennung unserer Leistung?" Sein Vater wird sich freuen, schon bei der ersten Show so viel verdient zu haben. Wenn sie heute Abend erst ihre Feuershow zeigen würden, dann würden sie sicher noch einmal so viel einnehmen.

Ostern in Cambridge - Angebot und Nachfrage

Kieran Carney
 

"Man, bin ich blöd!" Ihm fiel es wie Schuppen von den Augen. Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen. Wieso hatte er es nicht gleich gemerkt?! Der Kerl hatte was von ihm gewollt! Und zwar ganz bestimmt! Und offenbar hatte er irgendwas zu seinem Bruder gesagt, dass darauf hindeutete, so dass jener als Kirchenmitglied natürlich empört sein musste. Nun ja, nicht unbedingt... Jeder wusste, dass unter den Roben nicht immer nur Keuschheit verborgen war, ganz im Gegenteil. Sie waren weder echte Vertreter des Zölibats, noch nur an Frauen interessiert... Ob jener ihn mit dem Crown beeindrucken hatte wollen? Eine schlechte Anmache.

"Ich finde ja auch, dass Selbsterkenntnis immer der erste Weg zur Besserung ist, aber mich würde interessieren, wie du ausgerechnet jetzt merkst, dass dein Oberstübchen manchmal große Defizite aufweist." Kieran knuffte beim Sprechen seinem Bruder in die Seite. "Hey!", empörte sich jener gespielt und grinste breit. "Und warum jetzt dieses Grinsen?" Kieran schüttelte den Kopf. "Nichts Wichtiges", entgegnete der Schwarzhaarige und senkte den Blick, den Kopf schüttelnd. "Mir hat heute einer eine Crown in den Hut gelegt", erzählte er Fatih, um das Thema in eine andere Richtung zu lenken. "Und ich habe mich gerade geärgert, dass ich das Geld Timothy gegeben habe, obwohl ich mir davon eigentlich auch ein Medizinbuch hätte kaufen können..." "Du und deine Bücher, alles nur Ballast", frotzelte Fatih, aber Kieran wusste, dass er das so nicht meinte. Kieran aß gut gelaunt das Brot auf, das er in seiner Hand hielt, und sah seiner Schwester zu, wie sie für ihre Aufführungen später das "Donnerkraut" zurecht machte, mit dem sie einige tolle Effekte in ihrer Show einbauen konnten. Sie hatten nun pausiert und würden bald wieder vor die Leute treten. Wobei es hier, vor den Stadttoren auf der Ebene, wo die Schausteller kampieren durften eigentlich am lustigsten war. Man sah viele Gesichter, die man schon seit Jahren kannte, tauschte Geschichten aus und lachte und redete. Das Lächeln zierte noch immer seine Lippen. Kieran war weder eingebildet noch besonders eitel, aber es freute ihn insgeheim, wenn jemand Interesse an ihm zeigte, sei es nun eine Frau oder ein Mann. Letztlich war es doch ein Kompliment, oder etwa nicht? Wobei? Bei dem Kerl? Aus der Schicht? Dass der Typ ihn überhaupt wahrgenommen hatte...

Als Timothy allen sagte, dass sie bald losmüssten und sie sich in Schale schmeißen sollten, stand Kieran auf und ging zu seinem Zelt, sich das Oberteil ausziehend. Bei der Feuershow hatte er lieber etwas Enganliegendes am besten aus Leder an.
 

Dominico Sforza
 

Nico hatte noch keine genaue Vorstellung davon, wo er den Jungen erneut würde auftreiben können, abgesehen von der Bühne des Platzes natürlich. Es sollte am Abend eine weitere Vorstellung geben und natürlich hätte er bleiben können, doch Dominico war ein Mann der Tat, kein Mann der lange darauf wartete, dass etwas passierte. Nachdem er sich von seinem Bruder verabschiedet hatte, der sich aufmachte, um noch einmal in die Kirche zu gehen, hatte sich auch Nico auf den Weg gemacht. Alessio war ganz der hingebungsvolle Kardinal... Dominico konnte sich des Grinsens nicht verwehren, das sich auf seine Lippen stahl. Vielleicht hatte er es sich doch ungewollt schwer gemacht. Alessio konnte den Jungen einfach.. bitten. Er konnte ihm das Blaue vom Himmel herunterlügen, um ihn gefügig zu machen, alles im Namen Gottes natürlich. Oder aber, und wesentlich wahrscheinlicher, er füllte ihn mit dem besten Messwein ab, den er in der Kirche finden konnte, und würde dann dafür sorgen, dass sie beide ungesehen in einer Kutsche nach Hause kamen. Dominico wusste,, dass sein "Opfer" weit weniger naiv sein würde.

Erstens war der junge Schausteller wohl ein Stück älter als der Messdiener, und zweitens kannte er ein Leben auf der Straße und immer in Bewegung. Der Junge würde wesentlich mehr von der Welt wissen, als dieser niedliche blonde Engel, und um ihn zu kaufen, musste Dominico weit mehr springen lassen als Alessio. Es sei denn, der Junge Messdiener wusste genügend von Unzucht und der verbotenen Fleischeslust zwischen Männern, um seinen Bruder vehement abzuweisen. Doch auch wenn er sich seines Sieges ziemlich sicher war, so war es doch besser, den Gegner nicht zu unterschätzen. Und am günstigsten ging es immernoch dann aus, wenn sie heute beide ans Ziel kamen oder beide versagten - dann blieb der Haushalt ausgeglichen, auch wenn Nico natürlich auf Sieg spielte. Er war eine Weile allein über den Marktplatz geschlendert, hatte sein Schwert schärfen lassen und sich einige Kleidungsstücke und Stoffe angesehen, vornehmlich aber nach den Schaustellern Ausschau gehalten. Durch Beobachtungsgabe und gute Ohren hatte er schon bald herausgefunden, dass die Truppe vor der Stadt lagerte, wie es auch üblich war, und sich dort auf ihren Auftritt vorbereitete. Nico hatte nicht vor, so lange zu warten, zumal es bei einbrechender Dunkelheit schwerer sein würde, an den Mann heran zu kommen. Vielleicht trug er zum abendlichen Spektakel auch eine Maske und Nico hatte ihn nicht lange und gut genug gesehen, um sicher zu sein, dass er ihn auch im Dunkeln finden würde. Er suchte Amadeo auf, der bei den Stallungen stand, die für die Pferde der anwesenden Herrschaft offen standen, und nahm sich sein Pferd, um aus der Stadt zu reiten. Er würde sehen, ob er den Kerl im Lager fand und ihn sich dann bei Seite nehmen.
 

Das Lager lag nicht am Haupttor zur Stadt sondern etwas versteckter an einem Seitentor, durch das vornehmlich Händler kamen. Man wollte ja nicht das Herrschaften direkt an einem solchen Lager vorbeikommen mussten. Für Nico war das nur bequem, denn es bedeutete, dass man auch ihn nicht direkt hier sah.

Das kurze Stück zwischen Stadttor und Lager überwand er in einem leichten Galopp, ehe er das Pferd zügelte und vor den Zelten zum stehen brachte. Er glitt von dem Tier und behielt es am Zügel - es einem der umstehenden Jungen zu geben, erschien ihm als ziemlich töricht. Den ersten Mann, den er sah, fragte er nach dem Akrobat, der am Mittag so herausragende Künste gezeigt hatte. Auf dessen Nachfrage, was Nico von ihm wolle, warf er tatsächlich die Königskarte mit dem Bankett ins Spiel - warum auch nicht. Das schien Eindruck zu machen und ihm wurde ein Weg zu einem Zelt beschrieben. Da auch andere Tiere und Wägen im Lager waren konnte er das Pferd bis vor das Zelt führen und band es schließlich einfach an eines der Gatter. Das Tier wusste, dass es ruhig zu stehen hatte. Nico hoffte für die Anwesenden nicht, dass sie das Tier anrührten. Es hatte keine wertvoll gefüllten Satteltaschen, es war einfach nur ein Reitpferd und Dominico Sforza war kein Mann, den man einfach so bestahl. Mit dem Knauf seines Schwertes klopfte er gegen den Zeltpfosten, ehe er ohne Antwort abzuwarten eintrat. Sein Stand erlaubte ihm das, auch wenn er wusste wie unverschämt das war. Es war tatsächlich das richtige Zelt gefunden, denn der junge Schwarzhaarige stand darin und hatte sich gerade zur Hälfte ausgezogen, um eine Art Anzug aus Leder überzustreifen. Bei einer Feuershow sicher alles andere als unsinnig. Noch allerdings war da ziemlich viel nackte Haut und Dominicos kühles Lächeln, das zu ihm gehörte wie sein Name, kehrte auf sein Gesicht zurück. "Guten Tag!" Er war recht leise eingetreten, machte sich jetzt jedoch ganz sicher bemerkbar.
 

Kieran Carney
 

Kieran hatte sich noch kurz die Zeit genommen, in sein Medizinbuch ein paar Notizen zu machen, um nichts zu vergessen, was er in der Bibliothek gelesen hatte. Er beeilte sich, was nicht so einfach war, weil er einfach nicht geübt genug war. Schließlich stand er von seinem Tisch wieder auf, weil er die anderen nicht warten lassen wollte. Den Rest würde er später aufschreiben, wenn er dazu kam. Und so fuhr er fort, sich seinen ledernen Anzug anzuziehen.

Er war noch immer in Gedanken, als Dominico sein Zelt betrat, so dass er ihn erst bemerkte, als jener ihn ansprach. Als er aufblickte, sah man ihm seine Überraschung deutlich an, aber er fasste sich schnell wieder. Sein Gesicht war immer ein offenes Buch. Etwas, was ihn nicht selten schon gestört hatte. "Guten Tag", erwiderte er den Gruß höflich und musterte den anderen mit Gelassenheit. Hätte er sich verneigen müssen? Wahrscheinlich. Aber er holte das jetzt auch nicht nach. Was um alles in der Welt wollte dieser Kerl hier? Jemand von diesem Stand würde doch nicht ernsthaft jemandem wie ihm hinterhersteigen. Aber da war schon wieder dieses Lächeln, das ganz offensichtlich sein Anblick -er war sich seines halbnackten Daseins bewusst - hervorgelockt hatte.

"Habt ihr es Euch anders überlegt? War wirklich ein bisschen zu viel, NUR für die Show, die ihr ja gar nicht wirklich gesehen habt, Herr..." Kieran hob fragend die Augenbrauen, wartete aber gar nicht wirklich ab, dass jener sich vorstellte. "Aber dann seid Ihr hier an der falschen Adresse, denn das Geld und auch der Crown ist schon bei Timothy, dem Mann da draußen, der bei dem beladenen Pferd steht." Er deutete mit einer laxen Handbewegung in entsprechende Richtung. "Und auch so glaube ich nicht, dass Ihr bei mir an der richtigen Adresse seid." Er zog sich sein ledernes Hemd über, das er noch in den Händen gehalten hatte, und knöpfte es sich zu. Dann griff er zu den ledernen Handschuhen, die seinen Händen Schutz boten, falls er bei der Show einmal daneben langte.

Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, was jemand von ihm wollte. Entweder er erlaubte sich einen Scherz, oder ... keine Ahnung.

Nun fertig angezogen ging er die wenigen Schritte auf den anderen zu und blickte ihm ruhig mit unverhohlener Neugierde an. "Ich muss dann los, ich komme nicht gerne zu spät."
 

Dominico Sforza
 

Dominico hatte mehr als genug Zeit sich umzusehen, denn es gab nicht viel zu sehen. Ein Schlaflager, nicht mal in einem wirklichen Bett sondern gepolstert auf Stroh und einigen Brettern, die sicher zu einem Wagen gehörten. Einige Kisten, die anscheinend auch als Unterlage dienten, ein bisschen Krimskrams, mehr nicht.

Der Jongleur drehte sich um und als er ihn erkannte, zeigte sein Gesicht die Überraschung, die Dominico erwartet hatte. Und ganz offensichtlich dachte der Schausteller auch genau das, was Dominico erwartet hatte - er dachte, dass der adelige Mann sein Geld zurückforderte. Nun, woher sollte er auch anderes annehmen. Nico beobachtete aufmerksam wie er sich anzog, die lederne Kluft, die sich an seinen Körper schmiegte wie eine zweite Haut, sogar eine Kappe, um die Haare nicht zu entzünden und die Handschuhe natürlich. Doch als der junge Mann sich anschickte, an ihm vorbei nach draußen zu treten, hielt Nico ihn mit seinem Schwert auf. Es steckte noch in der Scheide, doch Dominico hielt es flach vor die Brust des Schwarzhaarigen. "Nicht ganz so schnell. Ich nehme an, du hast keine Ahnung, wer hier vor dir steht, und selbst wenn du meinen Namen kennen würdest, hättest du wohl kaum einen blassen Schimmer, wer oder was ich bin, das tut nichts zur Sache. Was sind schon Namen, nicht wahr?" Er war ein Stück näher gekommen, um eventuellen Lauschern keine Informationen zu vermitteln. "Ich bin sicher, ihr seid viel beschäftigt, vor allem für diese Vorstellung jetzt. Und ich bin auch sicher, ihr seid daran interessiert, noch mehr Geld zu verdienen für euch und eure Familie." Langsam zog er das Schwert zurück, weil er sicher war, dass der andere nicht weiter gehen würde. "Ich bin durchaus nicht abgeneigt, eure Talente weiterhin großzügig zu fördern. Das wäre sogar eine Vorstellung, die dem König gefallen könnte. Wenn ihr versteht, was ich meine. Also wenn ihr denn Interesse daran habt, und ich bin sicher das habt ihr, dann trefft mich nach eurer Vorstellung am Haupttor. Dann können wir dieses Geschäft beim Abendessen bereden." Es erschien Dominico sinnvoll, viele Anreize zu bieten. "Und bevor ihr geht", er griff den jungen Mann bei der Schulter, "verratet mir euren Namen."
 

Kieran
 

Das Schwert, das ihm vor die Brust gelegt worden war und ihm den Weg nach draußen verwehrte, löste in Kieran ein Gefühl des abrupten Freiheitsentzugs aus. Etwas, was er absolut gar nicht leiden konnte. Sein Blick hing einige Augenblicke auf dem Schwert, begreifend, was hier gerade geschehen ist, und sich beruhigend, um dem anderen Mann nicht gleich an die Gurgel zu gehen. Dann blickte er zu dem Mann auf, der es wagte, ihm in seinem Zelt auf diese Art und Weise den Weg zu versperren. Sein Blick war kühl und doch sah man das Glimmern des Zorns darin, den er kräftig versuchte herunterzuschlucken. Kieran hatte noch gut die Worte seines Vaters im Ohr: "Der Bruder des Kardinals? Das erstaunt mich. Dominico Sforza liegt hoch in der Gunst des Königs und soll zwar seine Bauern und Leibeigenen gut behandeln, aber die Brüder Sforza gelten eigentlich nicht als besonders bürgernah." Von wegen, er wüsste nicht, wer sein Gegenüber war. Allein das Wissen, dass dessen Bruder Kardinal war, reichte doch schon aus, zu ahnen, welchen Stand in der Gesellschaft jener hatte. Dennoch entgegnete er nichts auf die ersten Worte des anderen. Als jener näher trat, unterdrückte er den ersten Impuls zurückzuweichen, schob hingegen sein Kinn leicht vor, wie ein trotziges Kind, und sah den anderen unverwandt und gelassen an.

Und nun verschlug es ihm einen Moment die Sprache. Versuchte dieser Mann ihm allen Ernstes ein "Abendessen" abzuschwatzen, mit dem Versprechen, für sie beim König ein gutes Wort einzulegen? War das eine Erpressung? Was sollte das? Oder meinte er es wirklich ernst? Es gab ja einige Adelige, die Schausteller unterhielten und förderten, allerdings bedeutete das für diese auch, keineswegs mehr frei zu sein. Kieran wusste nicht so recht, was er davon halten sollte, ob er jenem Mann Glauben schenken sollte, oder nicht. In seinen konfusen Gedanken gefangen zuckte er schon fast zusammen unter der Berührung an seiner Schulter. Einen Moment wusste er nicht, was ihn mehr störte, die Hand auf seiner Schulter oder seine Reaktion darauf. Dann fasste er sich wieder, die Aufforderung des anderen vernehmend.

"Wie sagtet ihr: Was sind schon Namen, nicht wahr?" Er lächelte den anderen an und wand sich unter dessen Hand hinweg. "Wartet nicht allzu lange, Herr Sforza!" Dann verließ er das Zelt.
 

Kieran schickte sich an, zu seinem Pferd zu gehen und aufzusitzen. Die Schulter, an der der andere ihn berührt hatte, brannte, und irgendwie wunderte er sich, wie aufgebracht er war. Er war doch sonst eigentlich viel gelassener. Die anderen hatten sich schon auf den Weg gemacht, wissend, dass er nachkommen würde, und waren schon nahe dem Stadttor, als er sein Pferd wieder zügelte und dem Tempo der anderen anpasste. Der kurze Ritt hatte ihm gut getan, diese völlig unerwartete und verwirrende Situation von eben in Ruhe betrachten zu können. Ihm schien es, als würde seine Schulter, da wo ihn Dominico berührt hatte, noch immer brennen. Kieran war mehr als irritiert und versuchte erstmal seine Gedanken zu ordnen. Hatte er falsch gelegen? War der Mann wirklich an ihm und seiner Kunst interessiert, oder verarschte er ihn hier gerade? War der Eindruck, der Kerl wollte etwas von ihm, doch falsch gewesen? Was sollte dann dieser Blick und dieses Lächeln? Kieran wunderte sich über sich selbst, warum ihn dieser Mann so aus der Fassung brachte ...

"Alles in Ordnung?", hörte er seinen Vater neben sich sagen. Offenbar hatte Timothy sich zurückfallen lassen. "Wollte er sein Geld zurück?" Kieran schüttelte den Kopf. Offenbar hatte sein Vater gesehen, wer da in sein Zelt gekommen war, und zunächst dieselben Schlussfolgerungen gezogen, wie er. "Er hat mir angeboten, mich zu fördern und ein gutes Wort beim König einzulegen. Er möchte mich später treffen und bei einem Essen Weiteres besprechen." Sein Vater sah ihn überrascht an. "Du klingst nicht sehr erfreut." Kieran lachte trocken. "Ich weiß nicht, ob das alles so stimmt, was er da gesagt hat. Und ob ich das will, weiß ich auch nicht." Sein Vater nickte und schwieg einen Moment. "Vielleicht solltest du dir zumindest anhören, was er zu sagen hat. Dass du besser bist, als so manch anderer, weißt du. Und es geht hier um deine Zukunft. Sich zum Essen einladen zu lassen, kostet ja noch nichts, nicht wahr?" Kieran seufzte. "Da wäre ich mir nicht so sicher", murmelte er kaum hörbar.

Aber nun ging es erst einmal darum, sich auf die Show zu konzentrieren. Und Kieran wäre ein schlechter Schausteller, wenn er es nicht schaffte, das eine komplett hintenanzustellen, um sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Und so vollführten sie ihre Show, die an Spektakularität ihresgleichen im Land suchte. Als Kieran sich verbeugend den Beifall der Zuschauer genoss, hatte er den Auftritt Dominico Sforzas' schon vergessen gehabt. Sie räumten noch zusammen, als Timothy ihm die Fackeln aus der Hand nahm. "Hattest du nicht noch einen Termin? Lass dir die Chance nicht entgehen..." Kieran sah seinen Vater einen Moment an. Vielleicht hatte jener recht. Vielleicht sollte er nicht ganz so misstrauisch sein und ein wenig mehr Vertrauen in seine Menschenkenntnis und seine Begabung haben. Dann würde er schon sehen, ob es dieser Mann ehrlich meinte, oder nicht. Er nickte seinem Vater zu und nahm seine Stute an den Zügeln, um sich ruhigen Schrittes und nachdenklich den Weg zum Haupttor zu bahnen.
 

Dominico
 

Das dünne Lächeln auf seinem Gesicht wurde breiter als er den Widerwillen in den Augen seines gegenübers sah. Ja, er hatte eindeutig die schwerere Wahl getroffen, das wurde ihm bewusst als er den starken Willen hinter den klaren braunen Augen sah. Eine starke Persönlichkeit regte in Dominico beinahe immer den Wunsch eben diesen Menschen auf die ein oder andere Art und Weise zu brechen - oder aber, diesem Menschen auf die ein oder andere Weise den eigenen Willen aufzuzwingen. Er liebte es, wenn Leute von ihm abhängig waren, die es eigentlich nicht sein wollten, und doch war ihm letztlich meistens der Aufwand zu groß, den er betreiben musste, um eben dieses Ziel zu erreichen. Zumal es hier nur um eine eigentlich dumme Wette ging, deren Einsatz für seine Verhältnisse nicht einmal besonders hoch war.

Der Schausteller hatte definitiv sein Interesse geweckt, schon allein wegen dessen rebellischer Haltung ihm gegenüber. Er hatte das Angebot gemacht, ob er Junge nun annahm oder nicht, lag nicht mehr in Dominicos Händen. Sicher, er hätte ihn verschleppen können, hätte mit ein bisschen Einfluss und einem nötigen Maß an Gewalt dafür sorgen können, dass geschah was er beabsichtigt hatte, doch das musste nicht sein.

Also beschloss er zu warten und stattdessen seinem Bruder einen Strich durch die Rechnung zu machen. Sabotage gehörte immerhin genau so sehr dazu, wie der Versuch, einander in ihren Eroberungen zu übertrumpfen. Nachdem der junge Mann das Zelt verlassen hatte und davon geritten war, hatte Dominico sich ebenfalls wieder auf das Pferd geschwungen. Sein Weg hatte ihn an den Toren der Stadt entlang geführt und dort hatte er jeden Wachmann bestochen, den er gefunden hatte. Er hatte ihnen aufgetragen Alessio Sforza aufzuhalten, beim Versuch die Stadt zu verlassen. Einen Kardinal daran zu hindern, zu gehen wohin er wollte, war ein Problem, doch es war nicht Alessio, den sie durchsuchen sollten, sondern den jungen Mann, den er bei sich haben würde. Sollten sie bei ihm eine Menge an Geld oder Schmuck finden, der augenscheinlich keinem armen Messdiener gehörte, so sollten sie ihn in Gewahrsam nehmen. Es war ein Versuch zumindest auch Alessio am Gewinnen zu hindern, auch wenn Dominico genau wusste, dass eine höhere Bestechung ausreichte, um seinen Bruder passieren zu lassen. Wenn er aber Glück hatte, waren genügend Leute anwesend, die eine erneute Bestechung unmöglich machen würden. Schließlich ritt er durch die Stadt zum Haupttor und stieg vom Pferd. Die Show auf dem Marktplatz war wohl noch in vollem Gange und daher war am Tor nicht viel Betrieb. In einem angrenzenden Gasthaus kaufte er einen Krug Wein und nahm einige Zinnbecher mit, die er unter den Torwachen verteilte, und gemeinsam mit ihnen einige Schluck ein trank, während er wartete. Von seinem Bruder war noch keine Spur zu sehen und das Pferd stand noch immer in den Stallungen - sie würden einander wohl nicht begegnen und Dominico blieb zu hoffen, dass sein Plan aufging.

Auf dem Markt ging die Show zu Ende und die Menge verlief sich langsam aber sicher in den Gassen der Stadt, in denen die Feierlichkeiten fortgesetzt wurden, doch Dominico blieb, wo er war, und wartete einfach nur, hatte sich auf eine der niedrigen Mauern gesetzt, die den Zugang zum Tor begrenzten. Sein Pferd stand ruhig neben ihm nah an der Mauer, so dass die wenigen Menschen passieren konnten.

Beinahe hatte er schon mit seinem Spaß in der Nacht abgeschlossen, als er den jungen Mann mit Pferd im Schlepptau durch die Menge schlendern sah. Nun, das hieß noch nichts, also blieb Dominico beinahe unbeteiligt sitzen.
 

Kieran
 

Kieran wusste nicht, ob es das Richtige war, was er hier tat, aber er musste es wohl einfach herausfinden. Was hatte er schon zu verlieren. Zwar traute er diesem Sforza nicht wirklich, irgendwas stank gewaltig gen Himmel, aber sollte das alles hier wirklich nur ein Spiel sein, dann würde er zumindest die Spielregeln mitbestimmen, da war sich Kieran sicher. Ansonsten würde er auf dem Absatz kehrt machen und der Typ würde ihn hoffentlich in Ruhe lassen. Das Schlimme an diesen Menschen war, dass sie meinten, alles bekommen zu können, was sie wollten, wenn nur der Preis stimmte. Und wenn sie etwas nicht bekamen, schreckten sie auch nicht vor Gewalt zurück. Es gab zwar auf dem Papier immer mehr Rechte auch für das niedere Volk, aber die wenigsten trauten sich, ihre Rechte auch einzufordern. Frauen, die vergewaltigt wurden, wurden als Huren dargestellt, die es "selbst so gewollt hatten". Bauern, die hungern mussten, weil ihnen alles an Ernte genommen wurde, waren mit einem mal faule Hunde. Und so manch andere Geschichten, die man immer wieder hörte.

So in Gedanken merkte er kaum, dass er schon fast an Dominico Sforza vorbeigegangen wäre. Und so blickte er etwas überrascht auf, sah sich um und erblickte schließlich den Mann, der ihn heute so überrascht hatte, etwas abseits auf einer kleinen Mauer sitzend.

Einen Moment sah er ihn nur an, betrachtete ihn, als wollte er noch einmal überprüfen, wie groß die Alarmglocken waren, die in ihm schrillten. Dominico Sforza unterschied sich zumindest in seinen Klamotten ein wenig von dem Rest der Adeligen, was aber sicher nur bedingt mit Intellekt, als vielmehr mit seiner Herkunft zu tun hatte, denn Kieran war sich sicher, dass der Name "Sforza" kein angelsächsischer war. Das Gesicht wirkte schön, ohne dass man ihn als Schönling betiteln wollte. Und die Augen, die seinen Blick erwiderten, ließen einen klugen Kopf vermuten, der wusste, was er wollte und im Normalfall bekam, was er verlangte. Sicher war er einer dieser Leute, die für den König in die Schlacht zogen, wenn dieser es verlangte. War das nicht oft so: Der eine Sohn in der Kirche, der andere im Krieg? Wie auch immer – alles in allem war Dominico ein Mann, dem er unter anderen Umständen wohl nicht wiederstehen konnte, und genau das war hier wahrscheinlich das Problem.

Kieran seufzte und überwand die letzten Schritte und blieb vor dem anderen stehen. Kurz zupfte er an dem Hemd, das er sich noch angezogen hatte, um nicht in seinem Lederanzug hier aufkreuzen zu müssen. Nun, dann wollte er mal sehen, was dieser Abend noch so für ihn vorgesehen hatte.

"Ich würde gerne anhören, was Ihr zu sagen habt, aber ich bestimme, wo wir essen gehen", erklärte er und sah den anderen bestimmt an. Kieran hatte nicht vor, sich von diesem Mann irgendwohin "abschleppen" zu lassen. Und er wollte nirgendwohin, wo er sich nicht auskannte. Er misstraute diesem Mann, daher wollte er das Spielfeld bestimmen. "Ich bin übrigens Kieran, Kieran Carney." Zögernd, noch immer nicht wissend, ob er hier wirklich sein sollte, streckte er dem anderen Mann die Hand hin.
 

Dominico Sforza
 

Dominico sah auf als bemerke er den jungen Mann, der zu ihm herüber kam, jetzt erst. Er hatte noch immer seinen Becher in der Hand und nahm einen weiteren Schluck des recht billigen Weines. Also war er doch gekommen und tatsächlich nicht nur, um das Tor zu passieren, sondern um sich sein Angebot genauer anzuhören. Er richtete sich ein wenig auf, als der Schausteller abwendete und auf ihn zukam. Einige Menschen passierten gerade hinter ihm das Tor. Sein Hengst gab ein unwilliges Geräusch von sich, als sich das andere Pferd so sehr näherte, weil Kieran, den anderen Platz machen musste. Dominico hob eine Hand und dem Pferd über die Nüstern zu streichen, was es beruhigte. Er hatte die Beine übereinander geschlagen und es sich recht bequem gemacht. Da auch Kieran ihn schon vorher abgewiesen hatte, machte er sich nicht die Mühe, Haltung anzunehmen. "Ach, ist das so?" Er sah zu Kieran auf, als der nun auf diese Art ankam. Dominico hatte nicht vor, woanders als zu Hause zu essen. "Ich habe das unbestimmte Gefühl, dass ihr mir misstraut, kann das sein?" Er lehnte sich an die Wand hinter sich und musterte Kieran, zu dem er ja nun endlich den Namen hatte. "Ich wüsste nicht, welchen Anlass zum Misstrauen ich gegeben habe. Und was mein Angebot angeht, so rede ich darüber sicher nicht in einer Taverne, eurem Lager oder an sonst irgendeinem Ort als in meinen eigenen vertrauten vier Wänden. Wenn es um‘s Geschäft geht, Mr. Carney, sind die Ohren der falschen Leute meistens weiter geöffnet als die eigenen." Außerdem brachte ihm Kieran irgendwo im nirgendwo nichts. Entweder er hatte ihn heute Nacht in seinem Bett, oder aber er sah zu, dass er Alessio noch einige Steine in den Weg legte, wenn er schon sein Ziel nicht erreichte. So viel Interesse, dass es 20 Pfund wert wäre, hatte er dann doch nicht. Und Kieran hatte offensichtlich keine Lust auf sein unmoralisches Angebot einzugehen, so viel Misstrauen wie der Gute jetzt schon an den Tag legte.

Dominico war ehrgeizig in diesen Dingen, aber auch schnell gelangweilt - und Kierans "Widerworte" und eigene Forderungen machten die Sache für Dominico gerade alles andere als verlockend. "Wohin glaubt ihr, sollte es also gehen?" Fragen konnte man ja mal, auch wenn Nico nicht vorhatte, sich ins gemeine Volk zu mischen. Nicht dass er es verabscheute, doch an einem Tag wie diesem hatte er nicht vor, sich vor den Augen des Königs unbeliebt zu machen, indem er in einem Gasthaus ausfällig wurde.
 

Kieran Carney
 

Kieran musste unwillkürlich lächeln, als er den Unmut des anderen in dessen Stimme hörte. Sicher kam es nicht oft vor, dass jemand Forderungen an diesen Mann stellte. Sicher gab normalerweise nur er Befehle. Aber Kieran war nicht irgendein Kuscher, der sprang, wenn jemand pfiff. Mag sein, dass sich so manch anderer von Geld, Wohlstand und Reichtum blenden ließ, er selbst misstraute diesem Gehabe. Und genau das sprach der andere auch gerade aus. Kieran blickte den anderen an, während dieser seine Vorbehalte kundtat. Da wollte der ihn doch tatsächlich zu sich nach Hause holen. Glaubte der Typ, dass er ein Idiot war? Offensichtlich. Kieran hätte wütend sein können, aber eigentlich amüsierte ihn die Situation gerade sehr.

"Ja, ich misstraue Euch zutiefst", erklärte er ohne Umschweife. "Ich misstraue Menschen, die mich ansehen, als würden sie mich mit ihren Blicken ausziehen wollen. Ich misstraue Menschen, die unverhältnismäßig mit ihrem Geld um sich werfen. Ich misstraue Menschen, die behaupten an meinem Talent interessiert zu sein, und sich aber nie Zeit genommen haben, meine Vorstellung wirklich anzusehen. Und ich misstraue Menschen, die versuchen mit leeren Versprechungen einem zu schmeicheln und einen zu ködern." Eigentlich war hiermit die Sache schon gegessen, oder? "Ich werde Euch nicht mit zu Eurem Haus begleiten, denn da fühle ich mich nicht sicher. Ich brauche Eure leeren Phrasen nicht, denn auch wenn wir keinen Gönner haben, so sind wir glücklich und zufrieden, auch wenn zu unserem Publikum eben nicht der Hofstaat um den König gehört."

Seine Stute, das hinter ihm stand fing an, an seinem Hosenbund zu nesteln, als wollte es ihm sagen: "Ich hab Hunger, dauert das hier noch lange?" Kieran griff in gewohnter Weise in seine Hosentasche, um ihr einen Kanten altes Brot zu geben, mit dem sie sich ersteinmal zufrieden gab.

"Ich denke also, dass unser Gespräch nun beendet ist und ich mich nicht in meinem Misstrauen geirrt habe, das mir gesagt hat, dass das alles nur hohle Phrasen waren, die Ihr in meinem Zelt von euch gegeben habt. Zumal Ihr wahrscheinlich eh nicht eingelassen worden wäret, wohin ich mit Euch gegangen wäre". Zumindest wäre es wahrscheinlich nicht ohne eine Gegenleistung gegenüber José gegangen, der ihm mindestens einen Abend abgeschwatzt hätte, an dem Kieran in den Katakomben sein Können zum Besten hätte geben müssen. Die Katakomben waren eine Location, die nicht jeder betreten durfte, und die auch nur die wenigsten kannten. Es waren letztlich alte Gewölbekeller einer ehemaligen Befestigungsanlage, die José für sich nutzte, um dem langsam aufstrebenden Bildungsbürgertum einen Platz zu bieten, an dem es nicht so derb und roh zuging, wie in den üblichen Tavernen. Das Essen war exzellent, denn der ehemalige Seefahrer, der einiges an exotischem Koch-Wissen von Übersee mitgebracht hatte, zauberte immer bestes Essen auf den Tisch. Und dort konnte man, wenn man wollte, auch definitiv ungestört sein. Allerdings waren die Katakomben eigentlich für Leute von dem Stand wie dieses Sforzas tabu.

Kieran wandte sich zu seinem Pferd um und schwang sich in den Sattel, ohne die Steigbügel dafür zu brauchen. Dann sah er Dominico Sforza noch einmal an. "Es tut mir leid für Euch, dass Ihr Eure Zeit verschwendet haben. Vielleicht versucht Ihr Euer Glück mal dort vorne in der Queen's Road. Dort gibt es einige Huren und Stricher, die sich von Goldmünzen beeindrucken lassen."

Kieran verschwendete hier gerade ziemlich seine Zeit. Dieser Kerl war definitiv auch nur einer von diesen adeligen Gockeln, die aufgeplustert herumstolzierten und gackerten, während die meisten Menschen redlich arbeiteten und lebten, um diese beschissene Welt zu etwas Besserem zu machen. Aber Kieran war sich ziemlich sicher, dass diese Leute irgendwann der Vergangenheit angehören würden, auch wenn er selbst das vielleicht nicht mehr miterleben würde. Zumindest war es seine Hoffnung, dass es irgendwann nicht mehr diese Leute waren, die Welt regierten, sondern andere, ehrlichere, die einen Sinn für Recht und Unrecht hatten. Auch wenn ihm klar war, dass es aufgeplusterte, mit heißer Luft gefüllte Menschen immer gab und geben würde. Und, dass die Zeit noch nicht reif war für etwas anderes. Aber es änderte sich bereits etwas, langsam kamen auch die einfacheren Bürger dazu, gesellschaftlich aufzusteigen. Er hoffte insgeheim manchmal, dass er irgendwann die Chance haben würde, etwas in dieser Welt zu bewegen, als Arzt. Aber die Chancen waren verschwindend gering. Aber wer wusste schon, was die Zukunft bringen würde? Tempora mutantur et nos mutamur in illis.

"Einen schönen und erfolgreichen Abend noch, Herr Sforza", grüßte er ihn, ihm zunickend und wendete sein Pferd.
 

Dominico Sforza
 

Natürlich holte der junge Kerl vor ihm zu diesem gesammelten Blabla an, das Dominico sich häufiger von "normalen" Menschen, wie sie sich schimpften, anhören durfte. Jaja, die bösen Adeligen, die die arme Bevölkerung nur ausraubte, ausplünderte und am Ende sich auf deren Kosten noch einen Spaß machte. Niemand musste ihm das erklären, Dominico kam aus der Oberschicht und wusste wodurch man seine Macht festigte. Kieran vergaß dabei jedoch, dass Nico nicht etwa Engländer, sondern Italiener war. Und dass die Familie Sforza vielleicht in England angesehen und sicher auch in einem gewissen Maßstab wohlhabend war, Nico aber trotzdem nicht den gewöhnlichen Werdegang eines Adeligen durchgemacht hatte.

Wenn Nico eines gelernt hatte dann das: Du kannst dich nur dann mit denen anlegen, die über die stehen, wenn du weißt, wie sie funktionieren. Er war nur deswegen in der Gunst des Königs aufgestiegen, weil er vor ihm gekuscht hatte - so wenig ihm das auch gefallen hatte. Aber es war ein notwendiges Übel, dass Kieran wohl nicht erkannte. Nico war es egal, er hatte tatsächlich vor, sich lieber eine Hure oder gar nichts mit nach Hause zu nehmen, bevor er sich weiter mit jemandem herumstritt, der glaubte von Politik eine Ahnung zu haben, wie die meisten Menschen, die glaubten, dass "Freiheit" die Lösung aller Probleme war. Also rührte sich Nico keinen Meter als Kieran ihn nach dessen Meinung wohl abfertigte und sich wieder in den Sattel schwang. Tatsächlich hatte er sein Talent nicht besonders beobachtet und im Grunde war es ja auch nie darum gegangen. Dass Kieran sich nicht von Münzen beeindrucken ließ, war ebenfalls zwar verwunderlich, aber nicht unüblich. Niemand ließ sich gerne kaufen.

Als der Schausteller sein Pferd wendete, um fortzureiten, drehte Nico den Kopf wieder zum Wachmann, der unsicher war, ob er das Gehörte einfach ignorieren oder Dominico den Rücken stärken sollte.

"Sag mal.." - Dominico kannte den Mann gut genug, um ihn duzen zu können - "haben die eigentlich eine Genehmigung, um hier aufzutreten? Bei den ganzen Holzhäusern und dem Feuer... Ich weiß ja, der König liebt das, aber ist er sich der Gefahren bewusst?" Er sprach gerade noch laut genug, damit Kieran ihn hören konnte, der davon ritt. "Als ich beim letzten Empfang noch einmal Gelegenheit hatte, mit Henry zu sprechen, sagte er nichts von einer Truppe für das Osterfest. Nein, es lag ihm sogar viel daran, es zu einem wahren Fest des Glaubens ohne all diese üblichen Possenreißer zu machen. Ich denke, man sollte ihn davon in Kenntnis setzen." Die unterschwellige Andeutung sorgte bei dem Wachmann sofort für eine Reaktion. Er ging zu einem der anderen Wachmänner hinüber, die immer wieder durch die Stadt patrouillierten und trug ihm auf, den Marktvogt ausfindig zu machen, um zu prüfen, ob die Schausteller eine Genehmigung für ihre Auftritte hatten. Dominico war sich sicher, dass sie keine hatten, und selbst wenn, spielte die keine Rolle, wenn die Zweifel beim König nur gut genug geschürt wurden. Der König war in diesen Dingen vorsichtig. Dominico war eigentlich niemand, der Beziehungen und Macht ausspielte. Doch Kieran hatte sein eigentlich anfänglich nett gemeintes Angebot so gegen den Karren gefahren, dass Nico bereit war, es doch zu tun. Allein schon, um die Ahnungen des Schaustellers zu stützen, denn er hatte keine Ambition vor ihm als guter Mensch dazustehen, der er ohnehin nicht war und nicht sein wollte. Seine Familie hatte ihm Respekt vor jedem Menschen gelehrt, doch Nico hatte schnell gesehen, dass es nicht nur Könige waren, die bereit waren über die Leichen ihrer Bauern zu mehr Ruhm zu marschieren. Leute wie Kieran waren auch nur allzu bereit, über die Leichen von seinesgleichen zu gehen, und Nico verärgerte das am meisten. Während er selbst durchaus differenzierte, waren sie als Adelige für alle Bürger nur die grausamen Herren, die sich auf ihre Kosten bereicherten. Nachdem jeder Versuch, dieses Bild über sich zu ändern, gescheitert war, hatte er es sein lassen und auch nicht mehr vor, damit erneut zu beginnen, sobald man ihm mit Misstrauen und Ablehnung begegnete.
 

Kieran Carney
 

Und natürlich hörte Kieran, was Dominico zu dem Wachmann sagte. Und er sah, wie dieser sogleich reagierte. Sein Blick wandte sich noch einmal um, die Zügel nicht annehmend, um seine Stute anzuhalten. Sein Blick war voll Mitleid für einen Gockel, der nun, offenbar in seinem Stolz gekränkt, seine Macht ausnutzte, um wie ein beleidigtes Kind nachzutreten. Nun, wenn jener es nötig hatte... Kieran wusste, dass sein Vater mit Genehmigungen und dergleichen Dinge sehr gewissenhaft umging, daher machte er sich nur bedingt Sorgen. Sollten sie das Feuer verbieten, hatten sie genug andere Möglichkeiten, Geld zu verdienen.
 

Er selbst schickte sich lieber an, die nun gewonnene Zeit noch einmal in der Bibliothek zu verbringen. Um diese Uhrzeit war sie leer.

Ostern in Cambridge - Wandeln auf dem Kreuzgang

Alessandro Sforza

Als Alessio das Gasthaus verlassen hatte, war er recht schnell wieder Richtung Kirche gegangen. Er hatte zwar auch noch Zeit, denn es war ja immerhin ausgemacht, am nächsten Morgen zu sehen, was sich im Bett des jeweils anderen finden konnte, doch besser man fing früh an als zu spät. Alessio hoffte überhaupt, den jungen Mann in der Kirche noch zu treffen, aber er nahm an, dass er wie die meisten Messdiener einer so großen Kirche auch dort ein Kämmerchen hatte. Alessio nahm an, dass der junge Mann mit dem leicht verklärten Blick aus faszinierend braunen Augen ein Waise war, wie viele der älteren Messdiener. So wie er sich verhalten hatte, diente er der Kirche schon länger, oder eben nur besonders eifrig.

Er erreichte die Kirche recht unbehelligt und schritt durch das große Tor, wo ihn jedoch kurze Zeit später einer der Ordensbrüder aufhalten wollte. Sie reinigten den Boden noch immer mit groben Besen, denn die Besucher hatten Dreck herein getragen. Einige der Kerzen waren schon gelöscht worden und der kalte Geruch von gelöschten Kerzen zog durch das ganze Kirchenschiff. "Die Kirche ist zurzeit... oh, eure Eminenz!" Im Halbdunkel hatte ihn der Mann nicht erkannt. Jetzt verneigte er sich und küsste dem Kardinal die Hand. "Nicht doch...", sagte er und winkte ab. "Lasst euch von mir nicht stören. Nur eine Frage, wo genau wohnen in diesem Haus die Messdiener?" Der Bruder wirkte erst ein wenig verwirrt, nickte dann aber. "Sie sollten noch alle in der Sakristei sein. Unter der Aufsicht des Bischofs leeren sie die Klingelbeutel." Anscheinend hatte die Kirche heute einiges eingenommen, das war erfreulich. Immerhin war das sozusagen auch Alessios Geld.

Er verabschiedete sich und schritt dann durch den langen Gang des Hauptschiffes dem Altar entgegen, vor dem er sich verneigte. Alessio mochte ein durchtriebener Mann sein, der vor vielen Verbrechen nicht zurück schreckte - doch Alessio war gottesfürchtig. Er glaubte an den Herrn, allerdings glaubte er auch daran, dass der Herr nicht selten wegsah... oder nicht wusste, für welche der vielen Seiten er sich entscheiden sollte.

Langsam sah er zum Kreuz hinter dem Altar auf. Die Jesusfigur war von herausragender Kunstfertigkeit. Die Schriftzüge waren vergoldet, genauso wie der knappe Lendenschurz der die Blöße des Herrn verdeckte. Der Prunk war so offensichtlich und so sehr es Alessio manchmal übertrieben vorkam, so konnte er mit der einfachen Einrichtung protestantischer Gotteshäuser nichts anfangen. Nur langsam wandte er sich von dem Altar ab und ging langsam Richtung Sakristei, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

Als er die Sakristei betrat herrschte dort noch rege Betriebsamkeit. Neben seinem "blonden Engel" waren nur noch zwei andere ebenfalls ältere Messdiener da, die nicht zu jung waren um die Münzen noch nicht auseinander halten zu können. Sie sortierten sie in einige massive Holzkisten, die dann dem Schatzmeister des Ordens anvertraut werden würden.

Alessio war zufrieden als er sah, wie viel Geld die Menschen in den Klingelbeutel geworfen hatten und unterhielt sich kurz mit dem Bischof. Immer wieder warf er den ein oder anderen Seitenblick zu dem blonden Mann, der ihm schon während des Gottesdienstes aufgefallen war. Er war hochgewachsen und schlank, unter seinem Messgewand wirkte er beinahe schmächtig. Seine braunen Augen sahen beinahe schüchtern in die Welt, doch Alessio hatte das Gefühl, dass sich dahinter ein Fuchs verbarg der lauerte. Aber vielleicht war das auch nur ein flüchtiger Eindruck. Er verabschiedete sich von dem Bischof und kam dann zu dem jungen Mann hinüber, sah ihm über die Schulter. "Eure Hingabe zu unserem Herrn fiel mir schon im Gottesdienst auf. Und auch hier messt ihr jedem noch so kleinen Cent Bedeutung zu. Es ist immer wieder erfrischend, zu sehen, wie hingebungsvoll Menschen unserem Herrn dienen. Geht ein Stück mit mir im Garten...", bat Alessio, ehe er sich ohne eine Antwort abzuwarten zum Ausgang der Sakristei wandte, die in den kleinen aber sehr idyllischen Klostergarten führte.
 

Finley Sam Gordon

Tatsächlich kam Finley nicht so schnell davon, wie er gehofft hatte. Er und zwei weitere Messdiener waren dazu ‚verdonnert‘ worden, die Klingelbeutel zu leeren und die Einnahmen grob zu bestimmen. Zunächst hatte der Rebell sich sehr über diese Zeitverschwendung geehrt, doch als er die Mengen von Münzen vor sich sah, viel ihm buchstäblich die Kinnlade herunter. Was zur Hölle…

Um allerdings nicht zu sehr auf zu fallen, sammelte er seine Kinnlade schleunigst wieder vom Boden auf und begann, sich am Geldzählen zu beteiligen. Allerdings nicht, ohne hin und wieder die ein oder andere Münze einzustecken. Schließlich hatte er nicht umsonst jahrelang auf der Straße gelebt und außerdem konnte er mit diesem, minimal rebellischen Akt, sein unbefriedigtes Inneres besänftigen, welches in den letzten Minuten immer unruhiger geworden war. Gerade als Finley eine besonders hübsch glänzende Münze in eine seiner Taschen schob, öffnete sich mit einem Mal die Tür, woraufhin er, wie ertappt zusammenzuckte und beinahe noch die Münze hätte fallen lassen.

Er riss er sich zusammen und wandte leicht den Kopf, um zu sehen, wer ihn denn so aus der Fassung gebracht hatte. Der Anblick der eingetretenen Person verunsicherte ihn allerdings fast noch mehr. Das war doch dieser Kardinal! Einer der Brüder, die er oben auf der Loge gesehen hatte. War das Zufall? Hatte der Kerl etwas bemerkt und es auf ihn abgesehen oder hatte er einfach nur scheiß Glück?! Was auch immer es war, Finley musste es heraus finden. Er musste Kontakt mit dem Kerl aufnehmen.

Kurz zögerte der Rebell, dann fuhr er jedoch fort mit dem Geldzählen, ohne etwas abzuzweigen. Man musste sein Glück ja auch nicht unnötig provozieren. Der Kardinal hatte eine machtvolle Ausstrahlung, die er nicht unterschätzen wollte.

Endlich waren sie fertig mit ihrer Arbeit und Finley sortierte die Klingelbeutel zurück in ihre Fächer, als er plötzlich die direkte Nähe eines Mannes spürte und ein Gesicht neben dem seinen erschien. Oh, ja! Zecke hatte es mal wieder bewiesen! Er war es, der König aller Schauspieler und Schleicher! Das Glück musste ihn verdammt nochmal lieben! Sein Innerstes triumphierte, als er die Worte des Kardinals hörte. Bemüht, kein allzu erfreutes Gesicht zu machen, blinzelte er überrascht und verwirrt und schlug die Augen nieder um den Mann nicht direkt ins Gesicht zu blicken. „Eure Eminenz! E-es ist eine große Ehre für mich!“ gab er stotternd und scheinbar schier überwältigt zurück. Mannomann, er hörte sich an, wie ein kleiner Junge! Seine Stimme klang ein gutes Stück zu hoch und nachher würde noch jemand auf die Idee kommen, man habe ihm die Eier abgenommen, aber es war ihm egal. Der Kerl war tatsächlich auf sein übertriebenes Geheuchel herein gefallen. Es war einfach unfassbar. Ein gehässiges Gelächter dröhnte in seinem Kopf. Der unchristlichste von allen, bekam die große ‚Ehre‘, mit dem Kardinal persönlich zu sprechen!

Erst jetzt hatte er Gelegenheit, den Klostergarten zu betrachten und obwohl Finley den Prunk der Kirche nicht schätzte, musste er zugeben, dass ihn die Idylle und Schönheit des Gartens bezauberte. Der hereinbrechende Frühling hatte die Pflanzen zum Keimen und einige Blumen schon zart zum blühen gebracht. Die Christen hatten es mal wieder ausgezeichnet getroffen, ihr Fest der Wiedergeburt auf das schon Jahrtausende alte Fest des Lebens und der Wiedergeburt der Natur zu pflanzen.
 

Alessandro Sforza

Und da war es wieder. Dieses kleine Etwas, das einfach nicht passen wollte. Alessio konnte es nicht richtig mit Worten benennen, doch etwas in den braunen Augen passte nicht. Von der Empore hatte der junge Mann ausgesehen wie ein etwas zu groß geratener schlaksiger blonder Engel. Von nahem betrachtet war er das beinahe immer noch, doch die Hände, die das Messgewand nicht verdeckten, sahen nicht so aus als wären sie die eines langjährigen Kirchendieners. Das hatte natürlich nichts zu heißen, viele der Messdiener, die nicht im Knabenchor sangen, kamen aus den Waisenhäusern der Stadt. Denn wenn die Jungen ersteinmal ein gewisses Alter erreicht hatten gingen sie entweder weg oder traten ins Kloster ein und hatten dann anderes zu tun als bei der Messe immer wieder Weihrauch zu schwenken. Dennoch wurde Alessio aus einem Bauchgefühl heraus wachsamer, als er in den Garten trat. Die bestechende einfache Schönheit bloßer Natur hatte ihn schon immer berührt.

"Wie ist dein Name?" Das war ja immerhin mal durchaus wichtig. Er hatte den Namen zwar vom Bischof erfahren, doch das war ganz egal. Er wollte ihn von dem blonden Mann neben sich hören.
 

Sie gingen langsam bedacht, Schritt für Schritt. Alessio musterte den jungen Mann eingehender. Wie alle Messdiener war auch er auf Hochglanz poliert. Seine Wangen glänzten sanftrosa, am Hals hatte er die Haut mit Bims so sehr geschrubbt, dass es wunde Stellen gegeben hatte. Das Wasser im Klosterzuber war sicher eiskalt gewesen.

Die Schuhe, die er trug waren sauber und ordentlich genäht. Also entweder auch eine Leihgabe des Klosters, oder aber die eigenen. Letzteres war eher unwahrscheinlich, aber man konnte ja nie wissen. Manche adeligen Familien - die Sforzas taten es ja auch - schickten die eigenen Söhne immer wieder in die Kirche als Messdiener. Es war gut für den Familiennamen, sofern die Familie sich denn gut mit Rom stellen wollte. Vielleicht hatte er hier ja sogar einen adeligen jungen Mann vor sich... das würde die ganze Sache noch wesentlich delikater machen und Alessio musste sich zurückhalten, um nicht zu grinsen.
 

Finley Sam Gordon

Aus dem Augenwinkel bemerkte Finley, wie der etwas ältere Mann ihn musterte. Bisher dachte er sich noch nichts dabei, doch er war ohnehin auf der Hut und behielt diese Entdeckung mal vorsichtshalber im Hinterkopf. Allerdings musste er leider zugeben, dass ihn die Natur doch etwas ablenkte. Im Schutt und Dreck der Stadt bekam man solch gepflegte Schönheit selten zu Gesicht und Finley liebte die Natur.

So wurde er beinahe abrupt aus seinen Gedanken gerissen, als der Kardinal zu sprechen begann und ihn nach seinem Namen fragte. Uwa! Na, klar! Etwas mehr Konzentration bitte, sonst baumelte er schneller am Galgen, als er 'Nächstenliebe' sagen konnte. "Mein Name ist Adrian White, eure Heiligkeit", beeilte er sich zu sagen und versuchte, sich auf den Kardinal zu konzentrieren. Doch ein Strauch streifte sein Gewandt und gab kurzen Widerstand, woraufhin er sich kurz umwandte und mit leichter Sehnsucht im Blick, die wilden Rosen aus seiner Kleidung entfernte. Dennoch musste er langsam mal vertraut werden mit dem Kerl neben sich. Irgendwie zumindest. Schließlich wollte er heut noch ein paar lobenswerte Informationen abdrücken.

Endlich wandte er sich also wieder um und strahlte den Kardinal an, bevor er sich an Mäßigung erinnerte und sein Lächeln etwas verklärt dämpfte. "Ich habe euch schon in der Kirche voller Ehrfurcht beobachtet. Es ist so wundervoll, euch bei der heiligen Messe zuzusehen. Ich möchte nicht anmaßend sein! Natürlich ist die heilige Messe auch ohne euch etwas Wundervolles, doch wenn IHR die Stätte Gottes betretet, habe ich das Gefühl, dass der Allmächtig wahrhaftig unter uns weilt, weil er dem reinen Glauben in eurem Herzen folgt", endete er kaum theatralisch und mit der Inbrunst der Überzeugung, während sich sein Inneres zusammenzog - aus Übelkeit oder vor Belustigung, das konnte er nicht sagen und vielleicht war es auch eine Mischung von beidem. Finley hatte wenig Ahnung, was die Kirchenheinis sich so gegenseitig erzählten, doch diese Priester und Bischöfe waren doch alle gleich. Man musste ihnen nur genug in den Arsch kriechen, dann fraßen sie einem aus der Hand, während sie sich in ihrer Selbstverliebtheit suhlten. Verklärte Idioten gab es doch überall. Zur Not würde er das auf übermäßigen Konsum von Weihrauch schieben, woraufhin er sicher einige Lichter Gottes gesehen hatte. Er konnte also wohl kaum übertreiben oder?
 

Alessandro Sforza

Oh, da hatte er wohl wirklich einen Volltreffer gelandet. Zuerst schien der Messdiener vollkommen verwirrt oder vor Ehrfurcht erschlagen, doch anscheinend musste sich der junge Mann erst sammeln. Und dann wurde deutlich, dass Alessio sich nicht darin getäuscht hatte, dass irgendetwas faul war an dieser seltsamen Frömmigkeit und dem doch recht fortgeschrittenen Alter des jungen Mannes. Der Bischof hatte gesagt, dass ihm der junge Mann "zugeteilt" worden sei, und er recht häufig bei der Sonntagsmesse diene. Er sei unauffällig gewesen, habe sich aber immer sehr für die Kirche interessiert. Er wohne aber nicht im Konvent, sondern in der Stadt und mehr wisse er nicht über ihn... ah ja. Und er war definitiv nicht ausgebildet worden von der Kirche.

Zwar kannte Alessio eine derartige Unterwürfigkeit der Messdiener aus Rom, dort war es genau so gewesen. Allerdings versprachen sich davon die einfachen Messdiener auch den Aufstieg innerhalb der Kirche, als Diener eines Kardinals oder sogar als einer der Messdiener des Papstes oder Diener des Papstes persönlich. Hier war das absolut unüblich und noch unüblicher war es, einen Kardinal mit "Eure Heiligkeit" anzusprechen. Das hier war absolut kein Kirchendiener, sondern irgendetwas anderes. Er hatte Münzen gezählt... Alessios Augenbraue rutschte nach oben, als er das lange weite Gewand musterte und dann leicht lächeln musste. Und er konnte schleimen wie die besten Speichellecker des Königs, doch Alessio überging es einfach. Er hatte hier etwas anderes zu tun, als vielleicht einen kleinen Taschendieb oder einfach nur einen einsamen jungen Mann ohne Bestimmung dabei zu entlarven, wie er der ohnehin reichen Kirche ein paar Münzen abzweigte. Zumal das ja nur seine Idee war und vielleicht gar nicht stimmte.
 

"Danke für dieses Kompliment", erwiderte der Kardinal. "Du bist sehr fromm, man findet das sehr selten bei Männern in deinem Alter. Kaum jemand will in England der Kirche dienen. In Rom ist das ganz anders, aber hier, hier ist das leider nicht so. Umso erfrischender ist es, noch jemanden zu sehen, der so aufopferungsvoll der Kirche dient. Weil wir Ostern feiern, würde ich dich gerne einladen, zu einem besseren Abendessen als dem, was du sicher sonst so geboten bekommst. Immerhin war die Messe heute sehr lang und sicher bist du müde vom Weihrauchschwenken. Das Fass ist sehr schwer." Das konnte er aus eigener Erfahrung sagen. "Also, wenn du mein Gast sein möchtest. Ich fände deine Gesellschaft sehr angenehm. Es kommt so selten vor, dass ich mit ehrlichen Gläubigen über Gott sprechen kann." //Ja, vor allem dann, wenn sie von Gott reden, wenn mein Schwanz in ihnen steckt.// Das setzte Alessio zumindest in Gedanken hinzu. Der Kirchendiener würde sicher mitkommen, ein Abendessen ließ sich schließlich niemand entgehen, vor allem niemand, der freiwillig in diesem Alter in der Kirche diente.
 

Finley Sam Gordon

Kurz schien auf den Lippen des Kardinals ein vielwissendes Grinsen aufzutauchen, doch im nächsten Moment war es auch schon zu einem gütigen Lächeln geworden und Finley wusste nicht, ob er es sich nur eingebildet hatte. Vielleicht nur ein Spiel des Lichtes oder ein Streich seiner eigenen Paranoia. Er tat, als wäre er ganz begeistert von dem Lob des Kirchenmannes und lächelte angetan zu dessen Einladung. In der Tat war er auch in Wirklichkeit sehr angetan. Schließlich wollte der gute Mann noch mehr Zeit mit ihm verbringen und bei ein bisschen Wein begannen sie doch alle zu erzählen. Besser hätte es wahrhaftig kaum laufen können. Das marode Haus, welches sie besaßen, bewohnten eine ganze Menge Menschen. Den genauen Überblick hatte nur Ralph, doch die, die dauerhaft – so wie er selbst – dort wohnten, waren an die 15 und die, die dort ein und aus gingen, waren noch mehr. Insgesamt lebten sie dort wie in einer großen Familie. Sie kochten gemeinsam, feierten gemeinsam und manchmal schliefen sie auch miteinander. Auch Ralph war dem männlichen Geschlecht nicht ganz abgeneigt und tatsächlich war auch dies der Grund gewesen, wie sie miteinander ins Gespräch gekommen waren. Doch auch, wenn jeder ein wenig Geld dazu brachte, waren es eindeutig eine ganze Menge Mäuler, die gestopft werden wollten. Und so langsam konnte Finley die Grütze nicht mehr sehen. Ein Abendessen, wie es nur ein reicher Mann der Kirche genießen konnte, war eine Aussicht, für die er so einiges getan hätte. Und sie so einfach angeboten zu bekommen, ließ ihn innerlich einen Hüpfer machen.
 

„Es erfüllt mich mit Stolz, ein Mann Gottes sein zu können und meinen Mitmenschen in jeder Hinsicht Seelenfrieden zu beschaffen. Die Nächstenliebe ist die größte Gunst, die wir einander erweisen können, wenn ihr mich fragt und so ist es mir immer wieder eine Ehre, den Vertretern dieser wundervollen Denkweise und natürlich Gott persönlich, eine Hilfe zu sein.“ Sagte er und musste aufpassen, sich bei dem ganzen Geschleime nicht zu verhaspeln. Nun neigte er erneut kurz den Kopf und hoffte, dass es im Gespräch über Gott nicht ins Detail gehen würde. Er bekam das ‚Vater Unser‘ ja noch nicht einmal ganz und flüssig auf die Reihe. Geschweige denn, dass er tiefergehend mitreden könnte. Doch das war noch lange kein Grund für ihn, kalte Füße zu bekommen. Abhauen konnte er immer noch.
 

Alessandro Sforza

Nun, wenigstens biss er an. Was auch immer der junge Mann neben ihm war, wer auch immer er war - Hunger hatte er wie die meisten Menschen in dieser Welt und das vielversprechende Essen mit dem Kardinal lockte ihn. Alessio sah sich seinem Ziel damit schon ein ganzes Stück näher und er hätte einiges dafür gegeben, jetzt zu wissen wie weit sein Bruder gekommen war. Sie drehten gerade schon die dritte Runde im Garten, während Alessio noch immer die Hände hinter dem Rücken gefaltet hatte. "Ihr könnt euch hoffentlich auf einem Pferd halten? Denn mein Anwesen liegt etwas außerhalb. Aber ich werde schon dafür sorgen, dass ihr rechtzeitig morgen wieder in der Kirche seid." Das musste Alessio ja schon gewährlisten. Auch wenn es ihm eigentlich ziemlich egal war, wie Adrian am nächsten morgen nach Hause kam. Aber noch musste er ihn ersteinmal zu sich nach Hause bekommen und ihn dann so mit Wein abfüllen, dass sein Plan aufging. Man würde sehen, wie sein Bruder voran kam. Wenn der versagte musste Alessio auf jeden Fall erfolgreich sein, denn dann würde Nico ihm die ganze Nacht mit dem Ohr an der Wand hängen. War sein Bruder abkömmlich, konnte er im Zweifel den Jungen auch einfach nur abfüllen und nackt in seinem Bett parken, das würde vielleicht schon reichen, um 20 Pfund einzustreichen.

Sie erreichten den Ausgang des Kreuzganges erneut und Alessio begleitete den jungen Mann wieder hinein, wo er das Messgewand gegen seine normale Kleidung eintauschen musste. Immerhin war das Messgewand Eigentum der Kirche und musste als solches auch in der Kirche verbleiben. Als sie die Kirche wieder durch die Sakristei verließen und Alessio sich nach Amadeo umsah, der die Pferde bewachte, stellte er fest, dass das Pferd seines Bruders fehlte. Nun, der war wohl schon unterwegs. "Erzähl mir etwas von dir. Wie bist du zur Kirche gekommen?" Er schlug den Weg zu den Unterständen ein, er würde noch ein zweites Pferd mieten müssen. "Da wir ein Stück zu reiten haben, habt ihr sicher nichts dagegen, schon jetzt aufzubrechen, oder? Ich halte nichts davon, meine Pferde zu Schanden zu reiten... Gottes Geschöpfe sollte man nicht quälen."
 

Finley Sam Gordon

Der Kardinal hatte es eilig. Aber warum nicht? Finley hatte schließlich auch nicht Unmengen an Zeit. "Ja, in der Tat bin ich gar kein so schlechter Reiter", gab er zur Antwort. Endlich befanden sie sich bei den Pferden und so langsam konnte es los gehen. Finley spürte, wie der Tatendrang in ihm loderte, als man ihm das Pferd gab. Mit einem breiten Lächeln strich er dem Pferd über das weiche, kurze Fell, ehe er aufsaß.

Ohne das Gewand entfiel ihm ein wenig der verklärte Ton, als habe das Messdienergewand ihm einen Teil seiner Unterwürfigkeit genommen. Gerade frohlockte er bei dem Gedanken an das Essen und den bevorstehenden Ritt und noch dazu ein weiches Federbett, wie es aussah, als er die Frage des Kardinals vernahm. Fast hätte er sich an seiner eigenen Spucke verschluckt und er täuschte einen kleinen Hustenanfall vor, während er fieberhaft überlegte. "Meine Eltern kommen von etwas weiter her. Sie haben auf dem Land ein kleines Anwesen, als Pächter, nahe einem Dorf. Sie sind sehr christlich und haben mich immer sehr gläubig erzogen", beeilte er sich dann zu erzählen und schmunzelte leicht. Bis dahin stimmte die Geschichte sogar noch. "Ich habe noch einige weitere Geschwister und da ich nicht der Älteste bin und zwei ältere Brüder habe, habe ich beschlossen, mich dem Dienst der Kirche zu widmen und meine Eltern mit Stolz zu erfüllen. So bin ich nach Cambridge gekommen. Es ist nicht leicht, in solch einer großen Stadt, wie ich es gar nicht gewöhnt bin, Fuß zu fassen, doch lebe ich bald 6 Jahre hier und allmählich habe ich mich an die Gepflogenheiten gewöhnt."
 

Die Menschenmengen machten den Pferden achtsam etwas Platz und bald waren sie an den Toren der Stadtmauer angelangt. Finley achtete nicht sonderlich auf die Männer. Schließlich ritt er mit dem Kardinal und auch sonst sah er nicht gerade verdächtig aus, doch plötzlich hielt einer der Wachmänner ihn am Zügel fest. "Anhalten! Wir haben einen Untersuchungsbefehl. Steig vom Pferd ab!", sagte er etwas grob. Was zur Hölle hatte das zu bedeuten? Noch zögerte, ob er wirklich gehorchen sollte, doch er war noch immer in der Rolle eines frommen Christen gefangen. So versuchte er, etwas Zeit zu schinden, um vielleicht doch noch zu entkommen. Zwar hatte er nicht wirklich etwas Verbotenes an sich, doch die Mengen an Gold und den kleinen Dolch, den er unter der Kleidung trug, wollte er dem Kardinal nicht unbedingt präsentieren. Das wäre zumindest schwer mit seiner Rolle zu vereinbaren.
 

Alessandro Sforza

In Rom im Dienste des Papstes war Alessio zum ersten Mal mit Korruption in Berührung gekommen. Natürlich kannte er die "Geschäfte", die seine Familie führte, und als gebildeter Mann hatte er sehr schnell erkannt, dass die ganze Welt log und betrog, wenn es ihr nützlich war. So wie die frühen römischen edlen Familien nur mit den Früchten der Landwirtschaft Handel treiben durften und sich dann damit rechtfertigten, dass Baumaterial ja auch ein Produkt der Erde war, so betrieben auch die Kardinäle 2000 Jahre später ähnliche Geschäfte. Und während es den jungen Alessio noch schockiert hatte, so hatte er selbst sehr schnell gelernt, sich damit zu arrangieren. Am Anfang war ihm das schwer gefallen, doch seine Versuche, dieser Korruption entgegenzuwirken, waren nicht von Erfolg gekrönt. Also hatte er irgendwann begonnen, alle anderen Kirchenfürsten auszunehmen, über Intrigen ihren Platz im Kardinalskollegium anzusägen und und und - alles nur für die eigene Familie. Und weil er wusste, wie jemand dachte, der nur für sich und vielleicht noch für die, die er liebte, agierte, achtete er sehr darauf, wie sich Menschen ihm gegenüber verhielten. Eigentlich verhielt sich Adrian nicht sehr auffällig und doch... ein inneres Gefühl warnte Alessio. Vielleicht auch, weil Nico ihn so… unterstützt hatte in dem Vorhaben, den Jungen in sein Bett zu holen und so leichtfertig auf die Wette eingegangen war. Vielleicht wusste er mehr?

Er war schon guter Dinge, endlich aus der überfüllten Stadt hinaus zu kommen, als Adrian hinter ihm zurückblieb. Der Kardinal zügelte sein Pferd und drehte sich zu dem Wachmann um, der bereits drauf und dran war, den jungen Mann vom Pferd zu zerren. Oh ja, die liebe Staatsgewalt. Der Kardinal wendete das Pferd und kam zu der Wache zurück, die Adrian aufhielt. Der Junge war zwar wohl nicht erschrocken, aber eilig hatte er es mit dem Absteigen auch nicht. Und dann auch noch dieser seltsame, fehlende Grund. Alessio runzelte die Stirn. "Wache!" Der Befehlston war ihm absolut nicht fremd und dem Mann auch nicht. Er hielt inne und drehte sich zu dem Kardinal. "Eure Eminenz?"

"Der Junge reitet mit mir und ich sehe keinen Grund, ihn zu durchsuchen. Welchen habt also ihr?"

"Wir handeln auf Anweisung, mit der eure Eminenz sich nicht befassen muss. Seid versichert, dass es alles seine Richtigkeit hat und ihr sicher bald weiter reisen könnt, vielleicht sogar sicherer, wenn ihr nicht mit einem Mörder im Schlepptau reist."

"Oh, und eure Anschuldigungen gegen einen Messdiener der Kirche in seiner weltlichen Kluft basieren worauf?"

Der Wachmann schluckte. "Man sagte uns, dass wir nach blonden jungen Männern in diesem Alter Ausschau halten sollten, da man einen von ihnen suche."

"Man? Man sagte euch das?" Alessio brachte sein Pferd neben der Wache zum Stehen. "Hieß dieser Mann zufällig Dominico Sforza und hat euch Geld dafür gegeben?" Seine Stimme war gefährlich leise geworden, vor allem auch, damit Adrian ihn nicht hörte. Und im Gesicht der Wache konnte Alessio sehen, dass er recht hatte. "Sagt mir welche Summe er euch gegeben hat, ich gebe euch mehr und dann vergessen wir dieses kleine Missverständnis." Der Mann nannte seinen Preis und Alessio war sicher, dass sein Bruder weit weniger hatte einsetzen müssen, um die Wachen zu bestechen, doch er gab dem Mann die Münzen und wendete dann sein Pferd, ehe er wieder zu Adrian sah. "Los, komm. Nur ein Missverständnis."
 

Finley Sam Gordon

Puh! Das war ja gerade nochmal gut gegangen. Ein Glück, dass er mit dem Kardinal ritt und der offenbar gut mit diesen Wachen umzugehen wusste. Es war eben immer nützlich, machthabende Verbündete zu haben, das hatte er schon früh festgestellt. Nur fragte er sich so langsam, ob das Ganze nicht doch etwas auffällig war. Warum suchten die Männer nach jungen Männern mit blonden Haaren? Suchten sie nach ihm? Sicher gab es einige Männer mit längeren Haaren und sicher auch blond, doch hatte es heute schon so viele Zufälle gegeben, dass er fürchtete, es könne vielleicht einer zu viel sein.

Finley versuchte etwas näher heran zu kommen und möglichst unauffällig zu hören, was der Sforza den Wachen zu sagen hatte, doch dieser hatte seine Stimme gedämpft. Der Rebell blickte gen Himmel. Es war dunkel geworden und er war dabei, in das fremde Anwesen eines hoch angesehenen Mannes zu reiten. Vielleicht hätte ein ängstlicher, vorsichtiger Mann nun Reißaus genommen und sich lieber zurückgezogen, doch nicht er. Lieber würde er sterben, als sich sein ganzes Leben lang nur zu verstecken und darauf zu warten, dass irgendetwas geschah.
 

Sie ritten in die Dämmerung hinaus und nach einiger Zeit tauchte ein dunkles, imposantes Gebäude vor ihnen auf. Finley staunte nicht schlecht, als er dieses Anwesen dem Kardinal zuordnete. Ein leiser Laut der Bewunderung drang über seine Lippen, während sie näher kamen und der flackernde Fackelschein die Mauern und Eingänge geradezu gespenstisch erhellte.

Ostern in Cambridge - Der Schmied

Rodrego Fernale
 

Rodrego war auf Geheiß des Königs nach Cambridge nachgekommen, weil einige der Pferde beschlagen werden mussten, bevor man zurück nach London ritt. Er hatte den ganzen Tag damit verbracht, die Pferde zu beschlagen. Zudem hatten sich einige an den saftigen, eiweißreichen Weiden überfressen und litten an Koliken. Er war gerade dabei sich nach einem Quartier für die Nacht umzusehen, als ihm Dominico in den Sinn kam, auf dessen Grundstück er sicher bleien dürfte. Also schlug er die Richtung zum Haupttor ein. Der junge Mann trug weit bessere Kleider als die, die er gewöhnlich trug. Doch es war ihm wichtig gewesen, zum Ostertag nicht in dem verschmutzten Hemd und der zerschundenen Lederhose durch die Stadt zu gehen, so dass er sich noch einmal umgezogen hatte. Er bemerkte Nico erst gar nicht, sondern sah ihn erst recht spät etwas abseits des Tores auf der Mauer sitzend und sich mit dem Hauptmann unterhaltend. Lächelnd schlenderte er hinüber. "Nico!", sprach er ihn an und sein Lächeln wurde erwidert, als der Angesprochene zu ihm blickte. Sie kannten sich schon sehr lange, seit Kindestagen. Und es gab Zeiten, da war ihre Freundschaft auch darüber hinaus gegangen. Auch mit Allessandro war er befreundet. Allerdings war der Weg, den Alessandro eingeschlagen hatte, Grund gewesen, dass ihre Freundschaft nicht so eng geblieben war, wie sie einmal bestanden hatte.
 

Dominico Sforza
 

Nico dachte nicht mehr ans Gewinnen. Ihm war jede gute Laune abhanden gekommen, weil er wusste, dass er gegen Alessio kaum noch gewinnen konnte. Also sprach er dem Wein weiter zu und unterhielt sich mit den Wachen, nachdem ein Trupp losmarschiert war, um die Lizenzen der Schausteller zu prüfen. Doch kaum dass Kieran aus seinem Blickfeld verschwunden war, ging ihm das Interesse an der Sache auch schon ab. Er starrte einige Zeit lang den Leuten nach, die so durch das Tor marschierten, ehe auch er Rodrego bemerkte. Er hob den Kopf und musste grinsen. "Rodrego! Du kommst genau zum richtigen Zeitpunkt", begrüßte er seinen langjährigen Freund schon leicht angeheitert. Er kannte den jungen Mann schon so lange, schon seit er klein war. Und Rodrego war auch kein Engländer, beziehungsweise seine Familie nicht. Das machte ihn gerade für Dominico zu einem angenehmen Zeitgenossen. "Das bringt mich auf eine Idee.. du wirst sicher nach Hause gehen, oder? Komm doch noch mit zu uns, die Kutschpferde meines Bruders haben sich gestern auf der Koppel die Eisen von den Hufen geholt." Es war eben doch noch ziemlich feucht und matschig draußen. Nico stellte den Wein zu den Wachen und erhob sich, brauchte kurz um das Gleichgewicht wieder zu finden ehe er sich auf das Pferd schwang. "Also, kommst du mit? Ich bin sicher es gibt auch gutes Essen."

Vielleicht konnte er diesem angefangenen Abend doch noch etwas abgewinnen, wenn Rod ihn denn zu ihrem Gehöft begleitete. Als er wieder im Sattel saß, sah er zu dem Schmied herunter. Er hatte sicher dem König einige der Kutschpferde neu beschlagen und war dann noch auf dem Markt unterwegs gewesen. Ein Wunder, dass nicht bereits wieder eine Schar Frauen an Rodregos Seite hing. Sie flogen ihm immer zu... und zwar aus jeder Schicht.
 

Rodrego Fernale
 

Rod merkte schon an der Stimmlage, dass Dominico angetrunken war. War etwas vorgefallen? Dass Dominico gerne auch mal einen über den Durst trank, war kein Geheimnis. Aber hier und unter solchen Umständen schien es ihm irgendwie nicht ganz passend. „Das scheint mir auch so, mein Lieber“, antwortete er daher auf die Aussage, dass er genau zur richtigen Zeit käme. „Ich hoffe du hast mir einen Schluck übrig gelassen.“ Jetzt, da die Arbeit getan und er dem Ostermarkt einen Besuch abgestattet hatte, würde er ruhig ein wenig feiern können. Und da er ohnehin zu Dominico wollte, um ihn zu fragen, ob er bei ihnen über die Nacht bleiben konnte, fügte sich alles wunderbar zusammen. Er grinste breit, als der andere ihm anbot, bei ihnen zu bleiben. „Mir scheint, du kannst Gedanken lesen“, erklärte er und nahm die Flasche Wein, die der andere ihm hinhielt. Er trank daraus einen Schluck und gab Nico die Flasche zurück. „Ich dachte zwar, dass ich für heute mit der Arbeit fertig bin, aber ich beschlage auch noch gerne eure Tiere.“ Bei der Erwähnung von Alessio verschwand das Lächeln ein wenig. Sie waren alle drei einmal unzertrennlich gewesen, doch seit jener sich der Kirche zugewandt hatte, war seine Verbindung zu Alessio unterbrochen worden. Er hatte ihm nie so ganz verziehen, nicht gegen den Willen seiner Eltern gehandelt zu haben, auch wenn er wusste, dass das nicht so einfach war. Und als er gesehen hatte, welchen Menschen die Kirche aus seinem Freund gemacht hatte, hatte er sich gedanklich von ihm verabschiedet. „klar komm ich mit. Und ein gutes Essen schlage ich sicher auch nicht aus.“ Er grinste wieder breit. Als ob Nico ihn überreden müsste. „Ich wollte ohnehin gerade zu dir, um zu fragen, ob ich die Nächste bei euch schlafen kann. Die Herbergen sind so überfüllt.“ Außerdem nervten ihn die Frauen, die ihn einfach nicht in Ruhe lassen konnten, sobald er irgendwo alleine saß. Er wollte sie nicht, wollte keine Familie. Nicht, seitdem er seine eigene verloren hatte. Daher empfand er Männer als die besseren Partner. Als der andere auf sein Pferd gestiegen war, tat er es ihm gleich, und gemeinsam ritten sie zum Anwesen.
 

Dominico Sforza
 

Auch Nico gab dem Pferd die Sporen, was sich mit einem erschrockenen Satz nach vorn dafür bedankte und damit fast Nico aus dem Gleichgewicht brachte. Allerdings war der Italiener ein geübter Reiter und hatte wenig Probleme damit, sich auch betrunken auf dem Tier zu halten. „Natürlich kannst du bei uns schlafen, ich frage mich sowieso warum du nicht direkt mit zu uns gezogen bist. Giulia ist immerhin nicht da und das Haus ist riesig. Wir verlangen kein Geld und du hast ein ordentliches Bett und nicht diese verwanzten Kojen.. und der König erreicht dich doch auch hier. Zumal ich mir nicht wirklich vorstellen kann, dass er seinen Schmied bei seinen aktuellen Aktivitäten im Bett immer auf Abruf braucht.“ Der Weg nach Hause im Dunkeln war gar nicht mal SO leicht zu finden, und es war sicher mehr den Pferden und seiner Begleitung zu verdanken als Nico selbst, dass sie so zügig nach Hause fanden. Doch der Ritt durch die kühle Nachtluft, lüftete auch sein alkoholisiertes Gehirn um einiges aus. Daher war er fast wieder ganz nüchtern, als Rodrego ihm ihn die Zügel griff um das Tier zu halten als er abstieg. Er klopfte dem Hengst noch einmal auf die Flanke als er davon geführt wurde und sah dann dem Schmied hinüber. „Sag mir eines Rodrego..“ Sein Blick hing an der Fassade des Stalls. „Wieso muss ich mich immer wieder auf Wetten mit meinem Bruder einlassen, die ich nicht gewinnen kann?“ Eigentlich war es schon dumm gewesen, immerhin ging über gläubige Ehrfurcht fast gar nichts. Er schnaubte leise, ehe er Rodrego sachte am Arm griff um ihm zu bedeuten mit ihm in den Stall zu kommen. "Wenigstens habe ich dich getroffen, das versüßt mir den Abend definitiv. Mehr als mein Wetteinsatz es vermutlich getan hätte.“ Er legte seine Jacke ab und ging zu einem der Kutschpferde hinüber ehe er sich noch einmal zu Rod umwandte. „Du hast doch sicher nichts dagegen das jetzt noch zu erledigen oder? Dann kann die Kutsche morgen wieder ausfahren.." Er holte das fragliche Kutschpferd selbst aus der Box. Der Huf war etwas ausgesplittert, nichts ungewöhnliches. Dabei hatte das Pferd das Eisen verloren, das verbogen an einem Haken vor der Box hing. Einen Schmiedeofen hatten sie, auch wenn Rodrego einen fahrbaren Ofen besaß, aber der war in Camebridge am Hof zurückgeblieben.

Die beiden pferdevernarrten Brüder hatten sich diesen Luxus in jedem ihrer Anwesen gegönnt, denn in einem festen Ofen konnte man die Temperatur besser steuern und damit das Eisen besser schmieden. Der Stallbursche lief schon vor um den Ofen anzufeuern als Nico in die Richtung winkte, doch aufheben wollte Nico heute selbst. Wenn er schon keinen Spaß im Bett hatte konnte er sich auch mit Arbeit ablenken. "Nach getaner Arbeit gibts auch was zu Essen und eine Flasche Wein - oder zwei. Wenn du willst auch eine meiner berühmten Massagen."
 

Rodrego
 

Rodrego blickte zu Nico und war nicht weiter überrascht, dass er nach dem kurzweiligen Ritt an der frischen Luft und ohne Wein beinahe wieder nüchtern schien, als er vom Pferd stieg. Da sie doch recht zügig beim Anwesen der Sforza Brüder ankamen, war es noch nicht zu spät, um mit der Arbeit anzufangen. Es gab ausreichend Licht im Hof, und wenn der Ofen erst einmal glühte, spendete auch dieser Licht. Rodrego arbeitete gern in der Nacht, es war dann noch kühler als ohnehin schon in diesem verregneten und nebeligen Land, angenehm in Anbetracht seiner Handwerkskunst.

"Sicher kann ich anfangen, es gibt nichts, das dagegen spricht“, meinte er lächelnd und schaute an sich herunter, als er die leichte Berührung am Arm spürte. "Ich sollte mich allerdings erst mal aus diesen unpraktischen Sachen schälen. Es arbeitet sich doch deutlich angenehmer in einfacher Kleidung!" Rodrego ging zur halboffene Schmiede, die im Hof lag, und zog sich das Hemd aus. Es war sehr hochwertig im Gegensatz zu dem, was er nun überwarf.

„Ich kann mir denken, um was ihr gewettet habt. Und ja Alessio hat in dieser Beziehung leider immer die besseren Voraussetzungen!", grinste er und band die Lederschnüre zu, die seine lederne Arbeitshose schlossen.

„Ich fange mit dem vorderen Huf an." Eine deutende Kopfbewegung unterstrich seine Worte. Mehr musste er nicht sagen. Sie hatten das schon so oft gemacht, dass Dominico genau wusste, was er nun zu tun hatte und sie ohne weitere Worte verlieren zu müssen anfingen, das Pferd neu zu beschlagen.

Er wusste das Dominico die verlorene Wette nicht so egal war, wie es den Anschein hatte. Aber wenn er ehrlich war, nervten ihn diese dämlichen Wetten zwischen den Brüdern so sehr, dass er eigentlich wenig Lust hatte, darüber zu reden. Letztlich endete es immer damit, dass beide sich selbst am meisten verletzten.

„Massage, Wein und Essen klingt im Übrigen sehr verlockend“, fügte er an, nachdem er einen kurzen Moment überlegt hatte, ob er sich wirklich darauf einlassen sollte. Er wollte nicht als Ersatzbefriedigung herhalten, weil Nico nicht zum Zuge gekommen war. Aber so war Nico nicht. Das wusste er.
 

Dominico Sforza
 

Nico band das brave Tier an einen Ring an der Boxenwand an, wo es stehen blieb und einfach der Dinge harrte, die da kamen. So konnte sich der junge Sforza auch gegen dessen Seite lehnen während sein Blick schamlos zu Rodrego hinüber glitt, der sich gerade umzog. Der hatte mit seinen Gedanken schon ganz recht. Es fuchste den Mann, dass er die Wette verloren hatte. Nicht unbedingt deshalb, weil er damit eine Nacht mit Kieran verpasste. Der

rotzfreche Kerl hatte vermutlich von Tuten und Blasen ohnehin keine Ahnung, war bis obenhin verlaust und widerspenstig wie eine Ziege… Das wirklich Schlimme an der ganzen Sache war, dass Alessandro gewann. Alessandro, der meistens gewann. Alessandro, dem alles vor die Füße fiel weil er ein Gott verdammter Kardinal war. Er neidete seinem Bruder die Narrenfreiheit, die dieses Amt bereithielt und er neidete ihm auch die Tatsache, dass der Mann deswegen nicht heiraten musste, während Nico sehr wohl verheiratet war.

Natürlich war es nicht unüblich sich eine Mätresse zu halten – der König allein machte es wohl am allerbesten vor – doch Nico wollte kein zweites nerviges Frauenzimmer, das Forderungen stellte. Er war froh diese Kinderpflicht hinter sich zu haben und seine Frau weit genug von sich weg zu wissen, als dass sie ihm Probleme bereiten könnte. Gut.. das war ungerecht. Giulia war eine wundervolle Frau, kein verwöhntes Miststück wie manch andere. Sie kamen wunderbar miteinander aus, und Nico konnte sich keine bessere Mutter für seine Kinder wünschen – doch es nervte ihn, im gesellschaftlichen Sinn gebunden zu sein, auch wenn Giulia und er selbst Affären hatten und sie sich gegenseitig tolerierten. Trotzdem verlor man in Gesellschaft das Gesicht wenn es herauskam, während man es bei seinem Bruder einfach hinnahm.. das war ungerecht! Die Frauen, die sich trotz Giulia an ihn heranmachten, versprachen sich etwas von seiner gesellschaftlichen Stellung und es kotzte ihn an, dass andere nicht aus einfachem Interesse an seiner Person auf ihn zugingen. Er fühlte sich eingeengt, obwohl er wohl freier war als manch anderer Mann. Nicht so Alessandro.

Diese Robe war ein Fluch. Nico beschloss, sie bei Zeiten mal wieder zu klauen, um auf die gleiche einfache Weise zum Ziel zu kommen.

"Es ist nur die Robe.." antwortete er leise auf die Feststellung des Schmieds, während er ihn noch immer im leichten Widerschein des Feuers musterte. "Ohne die Robe würde ihn niemand wollen. Ja, er sieht nicht allzu schlecht aus, ist immerhin mein Bruder. Aber er ist gewöhnlich. Und trotzdem rennen sie ihm hinterher wie die Hunde." Da der Schmied auch aus Italien kam, konnten sie sich in ihrer Landessprache unterhalten, und auf Italienisch fluchte es sich um so vieles einfacher. Während er noch über seinen Bruder geschimpft hatte, hatte er sich ebenfalls vorgebeugt und den Huf aufgehoben, so dass Rodrego davor kniend bequem die ausgefranzten Stellen ausschneiden konnte um das Eisen erneut anzupassen. „Tut mir leid, dass ich dich damit nerve… Ich weiß, du hast kein Verständnis für diesen Mist.“ Er strich sich das Haar nach hinten, das ihm in die Stirn gefallen war. „Ich glaube nur... naja, manchmal habe ich die Hoffnung, er hört auf, wenn er mal verliert. Ich denke, ich hoffe auf denjenigen, der ihm widersteht, der ihn nicht an sich heranlässt nur weil Alessio Kardinal ist. Er ist so sehr in dieser Rolle gefangen und ich sehe meinen Bruder in ihm immer seltener.“
 

Rodrego Fernale
 

Rodrego war hochkonzentriert, wenn er arbeitete und doch konnte er sich ein leichtes Lächeln nicht verkneifen, als Dominico Alessios „Schönheit“ mit seiner Verwandtschaft zu ihm erklärte. Ja, beide waren schöne Männer, das fand zumindest Rodrego. Es war genau der Typ Mann, der es ihm angetan hatte – schon immer. Doch die folgenden Worte ließen sein Lächeln wieder erlöschen. Es war immer so gewesen, dass Alessio es leichter gehabt hatte, zumindest als Kardinal und in dem Punkt "Freiheit". Dennoch konnte man seine Verantwortung der Familie gegenüber nicht außer Acht lassen. Sein Amt bedeutete Macht und Reichtum, aber auch, dass ihm nicht selten jemand ans Leder wollte. Und eines durfte man wohl auch nicht vergessen – zumindest war das das, was Rod sich oft sagte, wenn er Alessio zwar sah, ihn aber nicht als denjenigen erkannte, mit dem er als Jugendlicher so eng verbunden gewesen war: der Weg Alessios zu eben dieser verfluchten Robe war sicher kein Zuckerschlecken gewesen.

"Diese Robe zu bekommen, war für ihn auch nicht leicht. Und er hat sie nie wirklich gewollt. Er hat das nur aus Pflichtbewusstsein seiner Familie gegenüber getan. Und sein Gewand macht ihn auch zur Zielscheibe, vergiß das nicht. Über kurz oder lang wird er hier in England nicht mehr bleiben können. Da hast du schon eine bessere Stellung, was das betrifft." Rodrego blickte kurz zu Nico auf, der immerhin einer der engsten Berater des Königs war. Der König hielt große Stücke auf ihn und das würde wohl Alessio auch irgendwann einmal den Kragen retten, wenn es so weiterging, wie es gerade begann. Rod richtete sich auf, um das Eisen aus der Glut zu holen und auf den ausgeschnittenen Huf zu legen, um zu sehen, wo es nicht passte. Der Geruch des verbrennenden Horns gehörte zu seiner Arbeit so unmittelbar dazu, dass er ihn kaum noch wahrnahm. Und es war auch ein Grund gewesen, weshalb er seine feinen Klamotten lieber vorhin ausgezogen hat. Denn der Geruch ging nicht mehr so einfach heraus. Rod betrachtete den Abdruck und machte sich nun am Amboss daran, das Hufeisen zu bearbeiten, damit es passen würde.

Schließlich ließ er es in das Wasser gleiten, das in einem Eimer bereitstand und machte sich daran, derweil den nächsten Huf, den ihm Nico aufhielt, auszuschneiden. „Und du hast unheimliches Glück mit Giulia“, fügte er hinzu, ohne weiter darauf eingehen zu müssen. Sie ließ ihm alle Freiheiten, die Dominico eigentlich haben wollte. Sicher, er musste immer aufpassen. Aber sie unterstützte ihn, wo immer er es brauchte. Sicher, Nico hatte nicht aus Liebe geheiratet, zumindest aus keiner romantischen. Dafür aber aus einer platonischen heraus. Dann dass Giulia und er verbunden waren, auf einer sehr tiefen, freundschaftliche Ebene, war das größte Glück, das er haben konnte. „Ich werde dieses Glück wohl nie haben. Und dass man sich das Maul über mich zerreißt, weshalb mir so viel hinterherrennen, ich aber keine haben will, wird mir irgendwann auch noch einmal zum Verhängnis.“ Er grinste leicht. Er hatte ganz eigene Gründe, sich auf keine Frau einzulassen. Zum einen, weil er einfach nichts wirklich etwas mit ihnen anfangen konnte, zum anderen, weil er keine Familie gründen wollte. Was damals mit seiner Familie geschehen war, reichte ihm für den Rest seines Lebens…

„Und dass du hoffst, dass ihm einmal jemand widersteht… Das ist ein interessanter Gedanke“, murmelte er und kam ins Grübeln. ER hatte ihm wiederstanden, hatte ihn zurückgewiesen, vor Längerem. Und seitdem war die Kluft zwischen ihnen tiefer denn je… Und das war etwas, das ihn innerlich zerfraß.

"Wie lange bleibt ihr in Cambridge?", versuchte Rod das Thema lieber zu wechseln.
 


 

Dominico Sforza
 

Dass Rodrego Partei für Alessio ergriff, war nicht besonders überraschend. Sie drei waren eben ein Gespann und meistens erdete ihn der Schmied, wenn Nicos Zorn über Alessandros scheinbare Leichtlebigkeit überhandnahm. Niemand wusste besser als Nico, dass Alessandro es in der Robe nicht einfach hatte, einfach weil er oft nicht in die Betten kam, in die er wollte, weil er keine offizielle Familie haben konnte, um die Alessandro Nico so oft beneidete. Aber nun - die Welt war kein Wunschkonzert, das hatten sie beide längst begriffen. Und im Grunde war Nico ja nicht einmal richtig sauer auf seinen Bruder. Es war mehr diese Ungerechtigkeit, einfach ein Kleidungsstück tragen zu dürfen, das Türen öffnete, die anderen einfach verschlossen blieben. Aber Rodrego hatte Recht: Alessio hatte die Robe nicht gewollt, hatte sie als der Ältere von ihnen beiden zugesprochen bekommen und trug die Bürde, die ihm wirklich zusetzte. Und auch seine Tage in England würden bei Henrys aktueller Politik bald gezählt sein und dieser Gedanke gefiel Dominico genau so wenig. Und auch was Giulia anging... sie war ein Goldstück und Nico wusste das. Aber es war eben keine Liebe, kein stürmisches Verliebt sein, nicht dieses ständige Sehnen nacheinander. Natürlich mochte er Giulia in seinem Bett. Sie war eine bildschöne Frau, so ganz anders als die anderen Engländerinnen, die er kennen gelernt hatte. Sie war rassig und fein, klug und frech zugleich. Mit ihr zwei Kinder zu zeugen, war keinesfalls schwer gewesen und Nico empfand sie auch nicht als Bürde. Giulia erlaubte ihm jede Affäre, solange er selbst tolerierte, dass sie im fernen Italien nicht immer allein schlief - so waren sie überein gekommen. Was ihn fuchste war auch hier die Einstellung der Menschen zur Ehe… und zum Ehebruch. Es war einfach eine vertrackte Situation, die ihn nervte, ganz abgesehen von den 20 Pfund, um die er so unsinnigerweise gewettet hatte. Rod brachte ihn wieder ins Hier und Jetzt, als er davon sprach, selbst nie das Familienglück genießen zu können. Nico wusste nur zu gut warum und verzog ob des Themas etwas das Gesicht. "Ich glaube, sie können sich denken warum. Und was die Frauen an dir suchen, ist sicher kaum mehr als Spaß für eine Nacht. Ich glaube nicht, dass sich eine von ihnen für die Ewigkeit an die Seite des Leibeigenen des Königs gesellen möchte... ganz im Gegensatz zu mir selbst natürlich." Er grinste schief. Rods Familie war ein wirklich heikles Thema und er wusste, dass es dem Schmied sehr schwer fiel, davon zu sprechen. Deswegen unterstrich er gern, dass Rod für immer zu ihrer Familie gehören würde - denn so empfand Nico nun mal. Er ließ den Huf des Pferdes absinken, weil Rod fertig mit der Schneidarbeit war und beobachtete den Schmied, der das nächste Eisen in der heißen Glut erhitzte, um es aufzubrennen. Während dieses Vorganges konnten sie beide nicht viel sprechen. Der beißende Qualm brachte sie nur zum husten, wenn sie es versuchten. Also hielt Nico einfach die Luft an, bis der Qualm sich verzogen hatte und Rod das Eisen im Wasser ablöschte. "Ach ich weiß auch nicht so genau, was ich hoffe. Am ehesten einfach, dass er zur Vernunft kommt, aber das hofft er sicher auch von mir. Ich will nur nicht, dass er verletzt wird, und jedes Mal wenn er aus dem Bett irgendeiner Hure, sei sie nun männlich oder weiblich, klettert, ist er noch ein Stück weniger mein Bruder. Vielleicht kommt er abstinent ja eher wieder zu sich selbst und kann den Kopf frei bekommen, aber ich glaube, ich bin der falsche Mann, um ihm diese Ruhe zu ermöglichen... ich bin ja selbst schuld an diesem ewigen Konkurrenzkampf." Er hob den Huf wieder an, so dass Rod das fehlende Eisen aufnageln konnte. Als sie damit fertig waren, konnte das Tier wieder zurück in seine Box und ihre Kutsche morgen wieder fahren. "Wie dem auch sei… Ich werde diese Wette verlieren - so wie es aussieht - und sollte es einfach dabei belassen. Der Zuber steht sicher schon bereit. Lass uns den Abend einfach bei etwas Essen und Wein ausklingen lassen, wie in alten Zeiten." Er klopfte Rod auf die Schulter und winkte einen der Stallburschen herbei, den Ofen zu löschen. Dann trat er gemeinsam mit Rod aus dem Stall und auf das Haupthaus zu. "Da kann ich dir dann auch direkt darüber berichten, wie lange wir vorhaben hier zu bleiben…"
 

Rodrego Fernale
 

Rodrego stellte mit Zufriedenheit fest, dass Dominicos Zorn sich langsam verflüchtigte. Zumindest das war geglückt und es würde hoffentlich nicht zu einer weiteren Eskalation der Situation kommen. Dass Dominico ihm ziemlich klar sagte, dass er aufgrund seiner Stellung ohnehin nie eine Frau finden würde, nahm er ihm nicht übel. Er wusste darum und es war ihm eigentlich auch ziemlich egal, zumindest meistens. Dennoch hätte er gerne jemanden in seinem Leben, der ihm Nähe gab – eine andere Nähe, die ihm Dominico gerade noch einmal versicherte. Rod lächelte, als Dominico ihm klar machte, dass er immer zu seiner Familie gehören würde. Und er wusste das zu schätzen! Keine Frage. Aber auch wenn sie beste Freunde waren, so fehlte dieses kleine Bisschen, das sie womöglich gehabt hatten, als sie noch zusammen gewesen waren. Dieses kleine Bisschen, das eben ein fester Partner, ein liebender Partner ausmacht. „Danke“, sagte er und ließ es so im Raum stehen. Nico verstand ihn ohne viele Worte.

Ruhig hörte er den Worten zu Alessio zu und dachte darüber nach, ohne diese weiter zu kommentieren. Jemand, der Alessio Halt gab und ihn wieder zu sich finden ließ… Rod sehnte sich nach dem, den er seit Alessandros Gang in die Kirche verloren hatte. Aber wer sollte dieser Mann sein, der ihm diesen Halt gab? Es machte nur Sinn, wenn es jemand wäre, der eben genau diesen Alessio von damals kannte und ebenso vermisste, oder? Rod seufzte leicht und blickte auf, als Nico das Thema wechselte.

„Dann lass uns gehen. Essen klingt gut, Wein noch besser…“ Kurzerhand zog er sein stinkendes und verschwitztes Hemd über den Kopf und gemeinsam gingen die Freunde Arm in Arm in Richtung Haupthaus.

Ostern in Cambridge - Spuren des Betruges

Alessandro Sforza
 

Der Kardinal hatte es weit weniger eilig und er ließ sein Tier auch nicht in den Galopp fallen, als Adrian an ihm vorbeirauschte. Da kam wohl jemand nicht häufig zum Reiten... Nun, er hatte nicht vor, sein Pferd dafür nass zu reiten. Also ritt er langsam und gemütlich gen Anwesen seiner Familie und als sie es erreichten, war es bereits so dunkel, dass sich die Landvilla nur in einem dunklen Schatten vom Himmel abhob. Ja, es war verdammt groß und vielleicht bekam Adrian nun langsam einen Eindruck davon, auf wen er sich da eingelassen hatte. Sie ritten durch das mit Fackeln erleuchtete Tor und zwei Diener warteten bereits auf dem Hof vor dem Anwesen darauf, ihnen die Pferde abzunehmen. Der Kardinal ließ sich aus dem Sattel gleiten und drückte dem Mann die Zügel in die Hand. "Ist mein Bruder bereits eingetroffen?"

Der Mann nickte. "In Begleitung des Herrn Fernale. Sie beschlagen das Kutschpferd gerade hinten an den Stallungen. Soll ich ihm für das Essen Bescheid geben?" Alessio winkte ab. "Nein, ich habe einen Gast zum Abendessen und wir speisen in meinen Gemächern. Das kannst du ihm bitte ausrichten." Damit war die Sache für Alessio gegessen. Zumindest eigentlich. Die Erwähnung des 'Herrn Fernale' ging nicht ganz so spurlos an ihm vorüber, doch er versuchte den Gedanken an Rod zu unterdrücken, so gut es eben ging. Als auch Adrian abgesessen war, begaben sie sich in das Haus, an dessen Eingangshalle sich eine kleine Kapelle anschloss, die Alessio nun betrat. Das war eine Sache, die er dann doch aus Ehrfurcht immer tat - er betete sobald er das Haus betrat. Es gehörte eigentlich zu der Farce, die er aufrecht erhielt, doch während er sonst ganz gerne tabu- und zügellos lebte, so machte er dieses Gebet immer. Und der Messdiener würde seinem Beispiel sicher folgen… oder? Er warf ihm einen verstohlenen Blick zu, ehe er die Augen schloss, ein stummes Gebet sprach und sich bekreuzigte, bevor er die Kapelle wieder verließ.

Seine Gemächer lagen im oberen Stock des Seitentraktes und waren opulent wie alles andere an dem Haus, auch wenn es nicht überladen sondern stilvoll war. Seine Gemächer umfassten neben dem Schlafzimmer auch zwei Salons und als die beiden Männer das Zimmer erreichten, war der Tisch bereits gedeckt. Sie hatten eifrige fleißige Diener.

"Nun, ich hoffe, Ihr habt Hunger mitgebracht." Er deutete auf den Tisch und bedeutete Adrian damit, sich zu setzen. "Darf es Wein sein oder trinkt ihr nur Wasser?" Er hoffte auf Wein, denn betrunken war die Sache leichter, zumindest nahm Alessio das an.
 

Finley alias Adrian White

Insgeheim musste sich Finley schon eingestehen, dass er, obgleich er um die Position seines Gönners wusste, nicht mit solch einem Ungetüm von 'Haus' gerechnet hatte. Doch die Kirche hatte nun mal Geld und trug das nicht selten zur Schau. Staunend stieg er vom Pferd und drückte dem Diener sein Pferd ebenfalls in die Hand. Genau genommen stand er zwar nicht wirklich über dem Kerl, doch Finley war gar nicht mal so schlecht darin, auch den Hausherrn raushängen zu lassen. Heute Abend würde er darauf allerdings wohl eher verzichten müssen. So lauschte er nur kurz dem Gespräch des Kardinals, war aber mehr oder weniger abgelenkt von dem pracht- und verheißungsvollen Eingangsbereich.

Gerade hatte Finley schon hinein marschieren wollen, als er bemerkte, wie der Kardinal abbog und eine Kapelle betrat, wo er sich niederkniete. Verflucht! Er war ja immer noch ein verdammter Messdiener! Also hastete er mehr oder weniger um einen stolzen Gang bemüht hinterher und kniete sich ebenfalls hin. Ein Aufstöhnen unterdrückend schloss er die Augen und dachte an gar nichts, während er demonstrativ die Lippen bewegte, als würde er beten. Endlich hörte er das Rascheln der Kleidung neben sich, bekreuzigte sich etwas gedehnt und erhob sich dann rasch. Seine Knie taten allein von der kurzen Berührung mit dem harten Boden weh. Dass diese Christen auch immer leiden mussten!

Doch der Kardinal hielt sich 'Gott - oder wem auch immer - sei Dank' nicht allzu lange mit religiösen Förmlichkeiten auf und der Rebell folgte ihm in dessen Gemächer. Als der Mann die Türen öffnete, fielen ihm fast die Augen aus dem Kopf. Mal ganz abgesehen von der nach Dekadenz schreienden Einrichtung und Gestaltung, lag da ein Berg von Essen auf einer Tafel. Hastig sammelte er seine Kinnlade vom glänzenden Fußboden auf und ließ sich ohne zu zögern an der Tafel nieder. Verflucht, er hatte Hunger für eine ganze Armee! "Ich danke euch, eure Eminenz, für dieses wundervolle Mahl. Ich würde zu gerne etwas von dem Wein kosten", sagte er sich mühsam zusammen reißend. Er war schließlich noch immer ein Messdiener. Ebenso musste er aufpassen, nicht zu tief ins Weinglas zu schauen, um seine Rolle nicht zu verlieren und Anstand zu bewahren. Außerdem musste er noch Informationen beschaffen und sich auch am nächsten Tag noch daran erinnern. Doch etwas Wein konnte doch nicht schaden, oder? Wann bekam man schließlich schon einmal die Chance dazu?! Also faltete er brav die Hände und murmelte halblaut irgendetwas von Gottes Güte für gute Speis und Trank, bevor er - mehr oder weniger milde lächelnd, man könnte es auch beinahe als dezent atomar bezeichnen - seinen Weinkrug emporhielt und sich mit freudiger Erregung den roten Saft einschenken ließ, während er sich fragte, was er wohl alles essen könne, bevor das Sättigungsgefühl ihm einen Strich durch die Rechnung machte, und was er von allem wohl zuerst probieren sollte.
 

Alessandro Sforza

Wie er es sich gewünscht hatte, erschlug es Finley förmlich. Zur Rettung seiner Kardinalsehre konnte er immerhin noch darauf beharren, dass dieses Haus ja gar nicht seiner Familie von Beginn an gehört hatte, sondern nur durch die Hochzeit seines Bruders an die Familie gefallen war. Und leider waren beide Brüder äußerst exzentrisch wenn es um Einrichtung ging, aber sie übertrieben es wenigstens nicht. Gegen die Ball und Empfangssääle des Königs war das hier gar nichts.. doch jemand wie Adrian, der so etwas sicher alles, nur nicht gewohnt war, erstarrte vor Ehrfurcht bei so viel Eleganz und teurer Einrichtung. Das seltsame Verhalten des Messdieners setzte sich fort und langsam glaubte Alessio wirklich daran, dass der junge Mann ihm etwas vorspielte. Er wusste nicht wie weit diese Scharade ging, doch das Gebet in der kleinen Kapelle.. so hektisch und vor allem sein Gebet kopierend.. und auch jetzt dieses scheinheilige Stoßgebet vor dem Essen.. alles in allem wirkte alles wie bei einem Messdiener, doch mit Adrians Geschichte deckte sich das alles nicht wirklich. Wenn er zur Frömmigkeit ausgebildet worden wäre, in dieser Kirche, mit all diesen Voraussetzungen, er wäre wesentlich ruhiger gewesen. Ruhiger, ehrfürchtiger vor dem Kardinal und nicht so wie ein eingesperrter Vogel, der nur darauf wartete hinaus gelassen zu werden. Adrians Augen glänzten eine Spur zu hell als er Essen und den Wein sah. Vielleicht bekam er da wo er wohnte nicht solche Speisen aufgetischt, doch bei dieser Herkunft war das Essen sicher auch nicht ZU einseitig, oder etwa doch? Vielleicht dachte Alessio einfach nur viel zu viel nach. Im Grunde spielte es doch keine Rolle, oder? Er hatte gesehen, wie der junge Mann sich umgezogen hatte und da war zumindest keine große Waffe gewesen. Natürlich konnte es immer noch Gift geben, doch sie aßen hier sein Essen. Tranken seinen Wein. Unwahrscheinlich, dass er dazu kam ihn zu vergiften. Gegen kleine Waffen konnte er sich zur Wehr setzen, er war nur scheinbar der wehrlose Kirchenmann. Alessio beobachtete Adrian sehr genau als er ihm Wein in den Kelch schüttete und sich dann selbst eingoss. Eigentlich gab es dazu Diener, doch Alessio hatte sie hinaus gewunken, nach dem sie das Essen aufgetragen hatten. Er wollte mit seinem "Opfer" allein sein.

"Nun.. greif zu.." Er deutete mit der Hand über die Speisen, ehe er selbst nach frisch gebackenem Brot und einem Hühnerschenkel griff, den er sich auf den Teller legte. Zunächst jedoch ein Schluck herrlichen italienischen Weins. Selbst über den Krug hinweg hielt er Adrian im Blick. Ein Teil seines Hirns beschäftigte sich mit allzu unzüchtigen Gedanken über das, was er mit ihm vorhatte, der Rest versuchte auszuloten, was ihn von Adrian noch erwartete. "Deine Familie also.. sie leben nicht in der Stadt entnehme ich deinen Erzählungen. Wo lebst du also sonst?"
 

Finley alias Adrian White

Wahrscheinlich hatte Finley gut und gerne etwas übertrieben und in gewisser Weise war ihm auch bewusst, dass seine Tarnung nicht mehr sonderlich ausreichend war. Irgendwo, in seinem Hinterkopf zumindest. Doch das Essen, der Wein, die Freundlichkeit des Kardinals, das Essen, die ganze Pracht! Das alles hatte ihn ins Staunen getrieben, in einen Schub der Euphorie und des Glück befördert und ihn unaufmerksam werden lassen. Und ein unaufmerksamer Gauner war reif für das Gefängnis. Doch dies schien Finley selbst nun so fern, dass er nicht einen Gedanken an mögliche Gefahr verschwenden konnte. Seit 2 1/2 Jahren trieb er sich nun bei den Rebellen herum und er hatte das Eingepferchtsein und die Vorsicht so satt! Ralph beanspruchte ihn viel zu sehr für sich und er hatte das freie Leben mit den Männern immer so genossen. Im Endeffekt war er drauf und dran gewesen, die Rebellen zu verlassen, weswegen ihm Ralph wahrscheinlich auch diesen 'Job' zugeteilt hatte. Er konnte seine Abneigung gegen die Kirche ausspielen und etwas Freiheit kosten. Und ganz abgesehen davon, war ein Messdiener so weit von Finleys eigener Persönlichkeit entfernt, dass es ihn schon bei der Messe gewundert hatte, dass nicht er oder die Kirche zu brennen begonnen hatte.

Freudig hob er den vollen Weinkrug in die Luft, um dem Kardinal zuzuprosten und nahm einen tiefen Schluck, bevor er genussvoll die Augen schloss. Verflucht! Wann hatte er das letzte Mal solch köstlichen Wein probiert? Wahrscheinlich noch nie! Dann eröffnete sein Wohltäter das große Schlemmen und das ließ er sich nicht zwei Mal sagen. Begeistert griff er zu. Fleisch, Salat, Brot, Obst und jede Menge Dinge, die er nicht kannte, so nie zuvor gegessen hatte, oder nur vom sehen und hören kannte. Zwar hatte er sich bereits zwei Mal bei Aristokraten eingeschmeichelt, doch waren diese eher von unteren Rängen gewesen und hatten weder mit solchem Prunk, noch mit solchen Köstlichkeiten dienen können. "Ganz ausgezeichnet!", lobte Finley, auch wenn er sich sicher war, dass der Kardinal dies selbst nur zu gut wusste. "Und der Wein erst...", fügte er murmelnd hinzu, während er erneut einen kräftigen Schluck tat. Er musste sich wirklich Mühe geben, sich zurück zu halten.

Doch die Frage des Kardinals riss ihn etwas aus seiner Gedankenlosigkeit. Schließlich war auch er eigentlich zum Fragenstellen hier. "Nun, zu Zeit wohne ich in einem kleinen Gasthaus. Ich strebe aber eine neue Unterkunft an, die nicht so viel kostet und mir die Angst vor Bettwanzen erspart", sagte er möglichst locker und hoffte, dass er nicht weiter nach bohrte. "Doch lasst uns nicht weiter über meine uninteressante Wenigkeit reden. Lasst uns über die Kirche und Gott sprechen. Euch muss es doch ganz besonders zur Last fallen, was der König zurzeit mit dem schwachen Geschlecht... nun ja... wie er versucht, die Dinge zu Gunsten seiner fleischlichen Lust auszulegen. Zwar zeigt sich der Schmutz des Menschen schon dadurch, dass er zwischen Urin und Kot geboren wird, doch sollte man der Lust nicht verfallen, sondern danach streben, Gottes Willen zu erfüllen. Fändet ihr es nicht untragbar, würde der Papst dieser unkeuschen Bitte nachgeben?", hakte er möglichst betroffen nach und lugte über den Rand seines Weinkrugs, während er erneut einen Schluck nahm. Diesmal allerdings etwas gewählter.
 

Alessandro Sforza

Die Merkwürdigkeiten über diesen jungen Mann vor sich häuften sich zusehends. Während Alessio noch vor wenigen Minuten geglaubt hatte, sich die ganzen Feindseligkeiten nur einzubilden, war er sich mit dem Fortschreiten ihrer Unterhaltung absolut sicher, dass da etwas ganz und gar nicht stimmte. Er wohnte also in einem Gasthaus... doch im Dienste Gottes verdiente man nichts. Die Messdiener schliefen meistens in einem Konvent oder aber bei Bekannten der Familie. Niemals in einem Gasthaus. Nur dann, wenn die Familie äußerst wohlhabend war und auch wenn Adrians Körper und seine Erscheinung in manchen Momenten schien, als habe Gott tatsächlich einen Engel auf die Erde geschickt, so war er doch ganz und gar nicht "makellos". Alessio sah seinem Gegenüber an, dass er schon mehr als einmal schwerere Arbeiten verrichtet hatte, als nur Weihrauch zu schwenken und Kreuze zu tragen. Und er wusste bei Gott viel zu viel. Und es war keine reine Spekulation, was der Blonde von sich gab. Während er alles Mögliche an Essen in sich hinein stopfte, waren seine Worte wohl gewählt und sehr direkt. Er wusste von was er sprach, als er Alessio auf die Gelüste des Königs ansprach. Noch hatte Henry nur betont, dass er ein Verteidiger des Glaubens war und den Papst darum gebeten zu überdenken, die Ehe mit Katerina zu scheiden. Noch versuchte Henry, Anne als seine Mätresse zu gewinnen, doch dieses Miststück von Boleyn machte ihre verdammten Beine nicht breit. Und der Papst dachte nicht im Traum daran, es sich mit dem Spanischen Königshaus zu verscherzen, in dem er Henry und seine spanische Frau schied. Anne, diese falsche Schlange, hatte seit dem angefangen, den König für protestantische Texte zu begeistern… Und seitdem war das Leben katholischer Geistlicher in England nicht mehr ganz so angenehm wie zuvor. Doch Alessio betraf diese Sache nur indirekt. Wegen seiner guten Kontakte zu Henry und der recht engen Freundschaft zwischen Henry und seinem Bruder, wägte der Kardinal sich in Sicherheit. Und wenn nicht, konnte er immer noch gehen. Er selbst zumindest hatte sich nicht gegen eine Scheidung ausgesprochen, ebenso wenig dafür. Er versuchte sich da möglichst zurück zuhalten. Wieso also glaubte Adrian, dass es ihn betraf, und wieso interessierte ihn gerade das?

Eigentlich interessierte einen Messdiener nur eines: Wie bekam man wichtigere Aufgaben in der Kirche, wie bekam man einen Förderer und wie sah man zu, dass man auch im Alter überlebte. Für einen so "alten" Messdiener wie Adrian, waren das elementare Fragen. Zumindest eigentlich. Alessio legte sich gerade die Antwort zurecht, als draußen mehrere Personen, zumindest mehr als eine, durch den Gang polterten.
 

Finley alias Adrian White

Eigentlich hatte Finley nicht sonderlich viel Ahnung, inwieweit die Bevölkerung darüber aufgeklärt war, was wie wo vor sich ging, wenn es um den König und den Papst ging. Er wusste das, was ihm Ralph erzählt hatte und obgleich Ralph versucht hatte, ihn irgendwie auf diese Aktion vorzubereiten, hatte er nicht sonderlich aufmerksam zugehört. Vielleicht, weil ihm Ralphs Sorge ihm auf die Nerven ging und er sich dabei wie ein kleines Kind vor kam. Vielleicht aber auch, weil er ein bisschen zu sehr von sich selbst überzeugt war. Ein hübsches Gesicht und ein ansehnlicher Körper waren eben nicht zu unterschätzen in ihrer Überzeugungskraft.

Aus diesem Grund redete er einfach mal drauf los und hoffte, dass es so ungefähr passte. Zur Not würde er einfach splitternackt auf dem Tisch einen Lapdance hinlegen. Gerade öffnete der Kardinal den Mund, als Stimmen draußen die Aufmerksamkeit des Kardinals auf sich zogen. Etwas im Gesichtsausdruck des Kirchenmannes veränderte sich. Und Finley fröstelte einen kurzen Moment.
 

Alessandro Sforza

Also doch sein Bruder und der Schausteller? Er schob seine Antwort noch etwas hinaus, lauschte stattdessen den Personen auf dem Gang. Einer von beiden war definitiv sein Bruder, der gerade ihren Koch in höchsten Tönen pries. Nun, sicher nicht unberechtigt, immerhin aß Alessio ja selbst gerade von jenem Koch ein wirklich leckeres Abendessen. Aber vor wem schwärmte Nico da so fanatisch? Waren sie wirklich so sehr gleich auf? Doch gerade als Alessio anfangen wollte, sich Sorgen zu machen, sickerte in seinen Verstand, dass Dominico italienisch sprach. Der Schausteller vom Markt konnte sicher kein italienisch. Und dann erklang auch endlich die Stimme der Begleitung seines Bruders und Alessios Gesichtsausdruck fror etwas ein: Rodrego also.

Unweigerlich lauschte er ihrem Gespräch bis ihre Schritte vermeintlich verklungen waren. Er hatte nicht viel verstanden, hauptsächlich war es um Essen gegangen. Um Essen und ein Bad und im Grunde reichte das, um zu wissen, was die beiden vorhatten. "Nun..", versuchte er den Anschluss zu Fin wieder zu finden. "Sicher, das wäre schrecklich. Der Papst kann und darf sich so etwas nicht erlauben, das Sakrament der Ehe ist unantastbar, selbst für einen König." Und so weiter und so fort, Alessio verdrehte innerlich die Augen. Sein Bruder und Rodrego im Bad, DAS brachte sein Blut zum kochen.

Ostern in Cambridge - Verhandlungen

Dominico Sforza

Nico war mit Rodrego den Gang entlang geschlendert, ein bisschen schwankend, weil sie versuchten im Gleichschritt zu laufen. Nico, der sich inzwischen auch seines stinkenden Hemdes entledigt hatte, fühlte die kühle schweißnasse Haut von Rodrego unter seinen Fingern, als er ihm den Arm um die Taille geschlungen hatte. Um zum Bad zu gelangen, mussten sie gezwungenermaßen an Alessios Gemächern vorbei. Das Haus war nicht so ausufernd wie ihr Anwesen bei London, allerdings in einem mediterraneren Stil gehalten und daher nur einstöckig. Als sie den Gang entlang liefen, versuchte Nico sich ins Gedächtnis zu rufen, dass er Alessio für heute Nacht in Ruhe lassen wollte. Dass er ihm seinen Sieg, wenn er ihn denn erlangte, gönnen würde. Doch als sie in Hörweite des Zimmers kamen, und Nico seinen Bruder reden hörte, mit dieser väterlich-gutmütigen Stimme, wurde ihm beinahe schlecht. Er wusste es zwar nicht, konnte sich aber denken, dass Alessio dort drinnen alle Register zog, um den blonden Messdiener nackt zu bekommen und es widerte ihn an. Er wusste, dass er es Rod versprochen hatte, wusste, dass er sich selbst nur enttäuschte - doch als sie die Türe passiert hatten, blieb er stehen, wandte sich um und ließ sich mit voller Wucht gegen die Tür fallen, drückt die Klinke nach unten. Das „Nicht, Dominco“ bremste ihn nicht. Mit Schwung ging die Türe auf und offenbarte einen reichlich gedeckten Tisch. Alessio saß noch immer in der langen dunklen Robe da, das massive Goldkreuz auf der Brust. Ihm gegenüber, einen Kelch mit Wein in der Hand, tatsächlich der blonde Messdiener. „Gott verdammter Glückspilz“, fluchte Nico in Gedanken, während seine Lippen ein süffisantes Grinsen zierte. "Und da dachte ich schon, mein Bruder leistet uns beim Abendessen Gesellschaft. Wie ich sehe hat er schon einen Gast. dann werden wir wohl nur zu zweit im Zuber sitzen..."

Alessios Lippen verzogen sich zu einem ironischen Lächeln. "Ich bin sicher, du hast die Pferde gesehen und wusstest nur zu gut, dass ich Besuch habe. Aber sag Bruder, hast du nicht etwas für mich?" Immerhin hatte er ja quasi schon gewonnen. Leider war Nico heute nicht in der Stimmung einfach klein bei zu geben und den Betrag zu bezahlen. Außerdem war die Wette noch lange nicht erfüllt.

"Was sollte ich denn für dich haben? Du meinst doch sicher nicht die 20 Pfund, oder?" Nico kam langsam weiter in den Raum hinein, ließ Rodrego in der Türe stehen. Neben dem Messdiener blieb er stehen und strich beinahe zärtlich durch dessen blondes Haar. Berührungsängste oder Respekt hatte Nico in diesem Fall keinen... nicht in diesem Haus. "Es war ausgemacht, dass ich noch mehr von ihm zu hören bekomme. Wenn er morgen noch nackt neben dir in deinem Bett liegt, dann bin ich bereit zu bezahlen."

Nun., das hatte der Kardinal nicht ganz so geplant. Wobei das auch nicht stimmte. Wenn er sein Ziel nicht erreicht hätte, Nico dafür schon, stünde vermutlich er jetzt an der Stelle seines Bruders. Auch das gehörte zu ihren Spielchen irgendwie dazu: Dem anderen einen Strich durch die Rechnung machen. Seine Miene verzog sich zu einem bissigen Ausdruck der seinem Bruder folgte, als Nico sich umdrehte und Rodrego zur Tür hinaus schob, die er hinter ihnen beiden schloss.

Draußen fiel Nicos bissige Fassade aber genauso schnell in sich zusammen, wie er sie impulsiv im Affekt aufgebaut hatte, als er seinen Bruder hatte reden hören. Beinahe ein wenig verzagt sah er Rod von unten herauf an, dessen Blick ihn gerade fast tötete. "Ich befürchte... eigentlich hatte ich mir wirklich geschworen nichts zu sagen... aber er macht es mir einfach so schwer. Ich fürchte es wird sich nie ändern…"
 

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Alessandro Sforza

Alessio musste davor fast den Hut ziehen. Immerhin hatte Nico ihn nicht nur hier bloßgestellt, sondern im Zweifel auch vor einem weit größeren Publikum, wenn der Junge das jetzt in den falschen Hals bekam, wegrannte und dann vor dem Bischof zu plaudern anfing. Natürlich würde Alessio das im Zweifel bestreiten und man würde ihm mehr glauben, als einem blonden Jüngling, doch Nicos unverhoffte "Eröffnung" hatte schon Potential. Prüfend sah er zu Adrian hinüber. Ob der das überhaupt glaubte?
 

Finley alias Adrian White

Als mit einem lauten Scheppern die Tür aufschlug und ein Mann - augenscheinlich der Bruder des Kardinals - und ein weiterer Mann, der ihm eher nach harter Arbeit aussah, den Raum betraten, wandte sich Finley den beiden verwirrt zu und lächelte, als würde er sie einladen wollen, sich mit ihnen an die Tafel zu setzen. Doch scheinbar hatte der Mann eine andere Intension, denn er sprach von einem Waschzuber und schien außerdem recht betrunken. Von Waschen hatte Finley zwar ersteinmal genug, doch er war sich sicher, dass das Wasser in diesem Haus auch heiß geliefert wurde. Vielleicht würde er später darauf zurückkommen. Doch dann fand eine Unterhaltung zwischen den Brüdern statt, die ihn doch aufhorchen ließ. Eine Wette? 20 Pfund? Das klang doch interessant. Worum es da wohl - oh.

Nun ja, das war auch mal eine interessante Wendung der Dinge. Nicht nur er selbst schien den Anderen aus einem anderen Grund zu treffen, als er vorgab.

Die Finger des fremden Mannes strichen unerwartet durch seine Haare, doch da es bei den Rebellen nicht gerade eine Berührungsdistanz gab, fiel ihm erst auf, wie seltsam dies bei einem Mann dieses Standes war, als die Hand schon wieder aus seinen Haaren verschwunden war. Und auch erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Band sich wohl gelöst haben musste, denn seine Haare lockten sich sanft, bis hinab auf seine Schultern.

Noch immer etwas überrumpelt von der plötzlichen Wendung, starrte er noch etwas unschlüssig auf seinen Teller, als sich die Tür wieder hinter den beiden Männern schloss. Kurz schwieg er. Wartete darauf, dass der Kardinal es als Lüge abtat. Dass dieser einen Witz gemacht habe, auf die Betrunkenheit seines Bruder anspielte oder sonst irgendetwas dazu sagte. Doch als nichts kam, hob Finley schließlich den Kopf, blickte seinem Gegenüber in die Augen, um ihn zu mustern, und musste feststellen, dass er selbst prüfend gemustert wurde. "So, so...", sagte er gedehnt und sein allzu typisches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Langsam nahm er einen großen Schluck Wein, ohne seinen Gegenüber aus den Augen zu lassen. Erst jetzt betrachtete er diesen genauer. Natürlich hatte er ihn schon zuvor ganz automatisch gemustert, doch nun war sein Blick um einiges intensiver. In seinem Kopf wog er die Möglichkeiten ab. Die Vor- und Nachteile einer 'Kooperation'. Noch immer grinsend, spielte er mit dem Rand des Weinkruges an seinen Lippen herum, bevor er ihn abstellte und die Hände vor sich locker ineinander verschränkte. Sein Blick war auf seine tanzenden Daumen gerichtet. "Lasst mich euch eine Frage stellen, eure 'Eminenz'." Wie er es sagte, klang es, als würde er dem Wort noch einiges mehr hinzufügen, als nur dessen eigentliche Bedeutung. "Was ist euch wichtiger:" Nun hob Finley den Kopf und blickte dem Mann direkt in die forschen Augen. "Die 20 Pfund oder der Triumph, gegen euren Bruder, auch nach solch einer Ansage, zu gewinnen? Mal ganz abgesehen von der Tatsache, dass es wohl in jedem Fall ein Geschenk wäre, meinen Körper für eine Weile begehren zu können." Finley war in der Tat ziemlich von sich überzeugt, aber abgesehen davon, dass er das auch sein konnte, hatte die Vergangenheit ihm seine Ansicht der Dinge nur bestätigt.
 

Alessandro Sforza

Die Wandlung, die in seinem Gegenüber von sich ging, war schon fast mit Händen zu greifen. Eben war der junge Mann noch ein Unschuldslamm gewesen, das Nico mit großen braunen Augen gemustert hatte und fasziniert von dessen betrunkener Erscheinung war, jetzt saß ihm gegenüber ein Spieler, der sehr wohl begriffen hatte, um was die Brüder da gerade gewettet hatten. Alessio hatte also nicht einmal etwas sagen müssen, das ging schon ganz von allein. Er lehnte sich zurück und griff seinen Kelch Wein, winkte den Dienern, die daraufhin den Raum verließen und er nahm einen Schluck Messwein, ehe er das Kreuz ablegte, das noch die ganze Zeit um seinen Hals gehangen hatte. Wenn er schon über diese Dinge sprach, dann konnte er wenigstens das Kreuz ablegen. Es gab Dinge, bei denen musste Gott nicht direkt bei ihm sein.

Er antwortete nicht sofort, musterte stattdessen sein Gegenüber lange und eindringlich. Wieder fiel ihm auf, was er vorhin schon gemerkt hatte: das seltsam wundgeschrubbte Erscheinungsbild der Haut am Hals, der Blick, die Wortwahl… Alles stimmte nicht so wirklich mit einem Messdiener überein, auch nicht mit einem Gelegenheitsmessdiener. Und diese Worte: kein bisschen erschrocken über das, was er zu hören bekommen hatte und eher interessiert an einem Geschäft. Zumindest glaubte er das herauszuhören. Er stellte den Weinkrug wieder ab und verschränkte die Hände vor der Brust. "Ich wüsste nicht, was es für einen Messdiener an dieser Vorstellung zu grinsen gibt, die dir mein werter Herr Bruder gerade gegeben hat. Und so wie das klingt, wäre es ja wohl nicht das erste Mal, hmn?" Er musterte Adrians breites Grinsen. "Aus der Gosse, aus der du - wenn auch frisch geschrubbt - gekrochen bist, da finde ich noch mehr von deiner Sorte für weniger Einsatz. So wie es klingt, geht‘s dir schließlich um Geld, oder? Und an deiner Stelle wäre ich nicht ganz so vorlaut, denn während du dich hier zwar redlich bemühst, einen Messdiener abzugeben, aber dir der ein oder andere Fehler passiert, BIN ich tatsächlich Kardinal... Aber ich bin durchaus bereit, mir dein Angebot anzuhören, denn das wolltest du mir damit doch machen, oder? Die Frage ist nur, was du mir dafür bietest, dass ich dir wohl Geld bezahlen soll. Sicher nicht 20 Pfund dafür, dass du behauptest, die ganze Nacht reitend auf mir verbracht zu haben."

Nicht, dass Alessio nicht bereit gewesen wäre, das zu bezahlen... In der Vergangenheit hatte er sicher schon andere Summen ausgegeben, um in anderen Betten zu liegen. Aber das musste Adrian nicht wissen. Überhaupt, Adrian, war das sein richtiger Name? Er wusste gar nichts über ihn, und obwohl ihm der Triumph über seinen Bruder tatsächlich näher ging als Geld oder Prestige, merkte er, dass er sich mit dem jungen Mann schon ein Ei ins Nest gelegt hatte. Er war ein Stück weit zu klug, um ihn so leicht wieder loszuwerden. Natürlich hätte Alessandro das gekonnt, doch es war mit ein wenig mehr Aufwand verbunden, wie er jetzt feststellen musste. "Also, was ist dein Angebot?" Man konnte sich Angebote ja durchaus auch mal anhören.
 

Finley alias Adrian White

Na, das hätte Finley sich aber auch denken können, dass dem werten Kardinal seine forsche Antwort so gar nicht schmeckte. Vor allem nicht zusammen mit seinem Messwein in seiner eigenen prachtvollen Hütte. Natürlich wusste er, dass er im Grunde ein Niemand war. Er hatte keine Druckmittel, keine hohe Stellung oder wichtigen Namen. Alles was er hatte war sein Körper und sein Geist, doch diese waren immerhin ausgesprochen funktional und wäre die Wette für die Brüder nur ein kaum zu beachtender Zeitvertreib und nicht weiter wichtig gewesen, hätte weder der Bruder des Kardinals die Wette so offensichtlich angesprochen, noch sich der Kardinal in genau diesem Augenblick so ruhig verhalten. Es konnte ihnen kaum egal sein. Die Frage war nur, wie wichtig es ihnen war, bzw. dem Kardinal und was er selbst dafür verlangen konnte, bevor sein Mundwerk für den Kirchenmann zu frech wurde. Vielleicht war es nicht gerade schlau, was er nun von sich gab, doch ein wenig Risiko hatte noch niemandem geschadet und ohne Risiko macht das Ganze ja auch keinen Spaß. Also setzte er alles auf eine Karte, während er sich bequem zurücklehnte und sein Grinsen sich um keinen Millimeter verringerte. "Nun, ob Ihr der Kardinal seid oder nicht, für Euch ist es auch nicht gerade üblich, solch eine Wette abzuschließen. Besonders nicht, wenn es um einen Knaben geht. Und zu alle dem wirkt auch Ihr nicht unerfahren, was diese Art von Wetten anzugehen scheint", sagte Finley etwas leiser, doch sein Blick war lauernd. Immer darauf bedacht, jede Reaktion seines Gegenübers im Blick zu behalten. Der Klerus ließ nicht gerne mit sich spaßen. Ebenso wenig der Adel. Vor allem nicht durch einen kleinen Jungen wie ihn. Doch einen cholerischen Mann ohne ein bisschen Humor und Schlagfertigkeit, würde Finley ohnehin nicht an sich heran lassen. Eine abrupte Regung des Kardinals, ein auffälliges Handzeichen und der Rebell wäre auf und davon. Bevor er sich fangen und seiner Freiheit berauben ließ, sprang er lieber aus dem Fenster.

Den Kommentar mit der Gosse überhörte er mal galant. Man hätte es ja nicht so direkt aussprechen müssen, doch im Grunde hatte der Mann schon recht. Allerdings nur im Grunde, denn Finley war sicher einiges, nur keinesfalls wie jedermann.

Beinahe unbeteiligt lehnte er sich in seinem Stuhl zurück und musterte eine Birne, die er sich von einem Tablett geschnappt hatte. "Nun, vielleicht habt ihr Recht. Ich bin nur ein Junge von der Straße. Jungs gibt es zu Hauf und ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr diese für weniger als die Hälfte bekommen könntet. Allein eine gute warme Mahlzeit würde sie wahrscheinlich in Euer Bett locken, aber wenn dies eure Intension gewesen wäre, dann wäre ich wohl jetzt nicht hier. Auch wenn ihr es nicht zu gebt, es gibt wohl mehr als einen Grund, warum nun ich hier sitze und nicht jeder andere. Darum mein Angebot:" Finley biss herzhaft in seine Birne, kaute genüsslich und schluckte, während er sich Tropfen des süßen Saftes vom Kinn wischte. "Ihr gebt mir die 20 Pfund, lasst mich hier nächtigen, gebt mir Morgen ein ausgewogenes Frühstück und lasst mich unbehelligt meiner Wege gehen. Dafür werde ich euren Bruder nicht nur meine Existenz in eurem Bett glauben lassen, sondern ihn und auch Euch, völlig davon überzeugen, dass ich diese Nacht mit euch nicht nur verbracht, sondern unvergleichlich und unvergesslich genossen habe. Ihr erhaltet unaussprechlichen Neid und Unverständnis eures Bruders, wie Ihr es mit Eurem unvergleichlichen Charme, trotz dessen offensichtlicher Ansage trotzdem geschafft habt, mich übers Ohr zu hauen und zu verführen und noch dazu werde ich - auch wenn es euch wahrscheinlich gleich ist - keine Ereignisse dieser Nacht an die Öffentlichkeit oder sonst wen tragen." Als Finley endete, biss er erneut genüsslich in seine Birne. Ihm erschien sein Angebot durchaus fair und außerdem erhoffte er sich endlich mal etwas anderes als Grütze zum Auftakt des Tages. Er konnte das Zeug wirklich nicht mehr sehen und falls der Kardinal dieses eine Versprechen bei Tagesanbruch doch nicht halten würde, hatte er es wenigstens versucht. Warum der Mann sich bei diesem offensichtlichen Reichtum über Geld beschwerte, war Finley allerdings schleierhaft. Vielleicht lag es einfach an dessen Stolz, also fügte er noch mit halbvollem Mund hinzu: "Vielleicht zahlt ihr normalerweise nicht für euer Vergnügen, doch lasst es uns nicht als Bezahlung, sondern vielmehr als Spende der Kirche an die Armen sehen, denn für euch ist es eine kleine, verkraftbare Summe, für mich eine Möglichkeit, mich und meine Freunde noch ein wenig länger am Leben zu halten", schloss er und aß weiterhin, scheinbar völlig entspannt seine Birne, während er seinen Gegenüber aus dem Augenwinkel genau im Blick behielt und sein Körper angespannt darauf wartete, reißausnehmen zu müssen.
 

Alessandro Sforza

Natürlich wusste Alessio durchaus darum, dass es alles andere als ungefährlich war, Finley Wissen zu lassen, das es hier um eine Wette ging und nicht um etwas, das aus Versehen passiert war. Das würde auf Dauer ganz ungünstig sein, wenn er nicht genug bezahlte. Aber 20 Pfund? Erst grinste Alessio, dann lachte er immer lauter. "Du willst 20 Pfund? Gern, ich zahle dir das, danach ersteche ich dich, lasse dich in allen Ehren beerdigen und leiste mir Nutten bis an den Rest meines Lebens. Ich bin sicher nicht arm, das hast du gut erkannt, aber 20 Pfund? Zu viel für einen wie dich. Und ich kaufe sicher nicht die Katze im Sack. Schon gar nicht, wenn sie dreckig ist." Er musterte Finley. "Wie viel von dir hast du wohl gewaschen, bevor du dich in diese Kleider gesteckt hast? Du siehst nicht aus wie einer, der sein Geld damit verdient, dass er sich an reiche Herren verkauft. Also gehe ich mal davon aus, dass du nicht jeden Tag dafür sorgst, dass man für sein Geld nicht wortwörtlich in der Scheiße steckt. Aber nehmen wir mal an, ich sehe über all das hinweg..."

Er griff erneut nach seinem Kelch, um seine Finger ebenfalls zu beschäftigen, während er nachdachte. "Für dein Angebot gebe ich dir 10 Pfund. Die Hälfte meines Gewinnes und das ist immer noch mehr als du verdienst." Er lehnte sich zurück und nippte an seinem Kelch. "Du magst recht haben mit den Dingen, die du sagst. Ich bin ein Kardinal, niemand den man mit ‚Knaben‘ - wie du dich selbst bezeichnest - in einem Bett sehen sollte. Aber du weißt sicher auch, dass die Kirche ihren Kardinälen viele Sünden verzeiht, nicht wahr? Und noch habe ich keine begangen. Und jemandem wie dir wird man kaum glauben." Auch er musterte sein Gegenüber prüfend. "Ich glaube du bist schon mit 10 Pfund gut beraten, eine wirklich glaubhafte Show abzuliefern." Allerdings musste er zugeben, dass es ihm schon gefiel, dass Adrian dieses Angebot machte und nicht die Beine in die Hand nahm, um weg zu laufen.

Und ja, Adrian hatte mit noch einer Sache recht: der Messdiener war nicht ohne Grund hier, sondern weil er Alessio gefallen hatte. Das war auch nicht abzustreiten, doch Alessio hatte nicht vor, dem selbstverliebten jungen Mann noch mehr Puderzucker in den Popo zu blasen, als er dort ohnehin schon stecken hatte. Er war sehr von sich überzeugt, auch wenn er nach Alessios Meinung dafür kaum Grund hatte, außer seinem hübschen Gesicht. "Vielleicht bin ich sogar bereit, den Preis etwas zu steigern. Aber dafür will ich eine Kostprobe deines guten Willens."
 

FInley alias Arian White

Das Gelächter des Sforza ließ ihn etwas unsanft in die Realität zurückplumpsen. Finley hatte sich schon auf die Massen an Geld gefreut. Er hatte noch nie so viel in seinem Leben besessen und in Geld zu schwimmen, hätte ihn schon sehr gereizt und dem Kardinal sicher ein paar Extras eingebracht. Doch 10 Pfund waren nun wirklich auch nicht schlecht und die leicht finstere Miene, die sich in seinem Gesicht deutlich gemacht hatte, hellte sich augenblicklich wieder auf. Das war immer noch eine Menge und zur Not würde er sich auch damit etwas Ruhe vor Ralph gönnen können oder, falls er sich anders entschied, diesem mit wenigstens einem Erfolg zum Schweigen bringen. Nur war er sich nicht sicher, ob es dem Anführer gefallen würde, was er unter der Kutte eines Kardinals trieb, doch hätte Finley auch nur einen ernsthaft besorgten Gedanken daran verschwendet, wäre er nun nicht hier. Bei dem guten Preis konnte man sogar den Seitenhieb mit der Ungewaschenheit wegstecken. Das mit dem Abstechen musste er sich allerdings merken. Schließlich steckte hinter jedem Scherz auch ein Fünkchen Wahrheit und vielleicht war es doch besser, die Nacht auf freiem Feld, als mit einem Messer in der Brust zu verbringen. Das würde er dann spontan entscheiden, ob er sich auf diese Gefahr einließ.

Immerhin machte der gute Kardinal ebenfalls keinen Hehl aus seiner Lage und legte die Tatsache einigermaßen offen auf den Tisch. Sehr gut. Dann musste Finley jetzt nur noch seinen Teil erfüllen und morgen war er entweder halbwegs reich oder tot. Doch nur für den zweiten eintreffenden Fall, würde er besonders auch im eigenen Interesse eine unvergleichliche Nacht daraus machen. Denn auch er wollte seinen Spaß haben und er war sich fast ziemlich sicher, dass dies mit dem Sforza auch gute Aussichten hatte.

Einen Moment wägte Finley die Situation ab, dann nickte er und sein Lächeln kehrte auf seine Lippen zurück. Breit und strahlend. "Einverstanden. Zwar kann ich selbst schwerlich über den genauen Sauberkeitsgrad bestimmter Körperstellen urteilen, doch ich bin sicher, wenn das Wasser in meinem Zuber warm gewesen wäre, dann könnte ich euch dies eher zusagen", gab er von sich und hoffte insgeheim immer noch auf ein heißes Bad, auch wenn er so oder so diesen Kommentar einfach noch hatte loswerden wollen.

Kurzerhand zog sich Finley sein Hemd über den Kopf. "Ihr bekommt eure Kostprobe, ich das Geld. Und dann können wir beide bestätigt und voller Vorfreude, zum eigentlichen Akt kommen.“ Sagte Finley nun etwas leiser und erhob sich von seinem Stuhl. Die Birne hatte er auf seinem Teller zurück gelegt, während er sich hinter den Sforza stellte. Seine Arme glitten über dessen Schultern, warm über dessen Brust und dann wieder hinauf, während sie begannen, den Kardinal kräftig, aber nicht grob zu massieren. Vielleicht war der Rebell nicht der beste Masseur im Vergleich zu dem, was sich dieser Mann leisten konnte, doch seine Hände waren warm und es war nicht das erste Mal, dass er dies tat. Es würde schon nicht allzu schlecht sein und wer wurde schließlich nicht gerne massiert? Langsam neigte er seinen Kopf hinunter und grub seine Zähne sacht in das Ohrläppchen des Mannes. „Was meinen guten Willen angeht, so würde mir da erstens in den Sinn kommen, auf das Angebot eures werten Bruders einzugehen und diesem beim Bad Gesellschaft zu leisten. So könntet ihr ganz persönlich für meine Reinlichkeit sorgen und noch dazu euren Bruder von einer völlig freien und willigen ‚Kooperation‘ meinerseits überzeugen. Größer könntet ihr euren Triumph wohl kaum gestalten. Oder aber…“ Finleys Hände fuhren nun wieder über die Brust des Kardinals hinab. Fuhren schwer und leicht knetend, über die Muskeln und die Haut, die sich unter der Robe verbargen. „…ich gebe euch eine Probe meiner ‚Finger’- und anderer Fertigkeiten.“ Fügte der Rebell schnurrend hinzu und ließ seine Hände allmählich tiefer streichen, bis sie die Lenden des Sforza erreichten. Viel tiefer kam er in dieser Position allerdings leider nicht, wenn er nicht über die Schulter des anderen klettern wollte und so musste er sich damit begnügen, die Stelle eben bei Anweisung zu wechseln, wenn sich der werte Herr für Nummer zwei entschied. Allerdings betete er immer noch dafür, ihm ein warmes Bad zu ermöglich. Außerdem wäre es ein grandioser Spaß zu sehen, wie einem Sforza zur Abwechslung mal der Unglaube im Gesicht stand. Wenn es auch nicht sein Kardinal sein mochte.
 

Alessandro Sforza

Alessio war vielleicht einiges, aber nicht dumm. Er war exzentrisch, er mochte durchaus auch die schönen Dinge des Lebens und er leistete sich mal den ein oder anderen Luxus. Und manchmal war er mehr als nur von sich selbst überzeugt. Aber er war nicht dumm. 10 Pfund Sterling waren noch immer viel zu viel für einen so jungen Niemand wie Adrian. Auch das Schweigen konnte man sich wesentlich billiger erkaufen, selbst wenn es bedeutete, den Jungen töten zu lassen und dafür zu sorgen, dass die Leiche verschwand. Aber wenn er ihm 10 Gulden und ein Frühstück auszahlte, würde es leicht sein, die Spur zu verfolgen, die der Junge zog. Alessios Geld waren keine vielen kleinen Münzen, sondern große wertvolle Vatikanmünzen. Münzen, die auffielen, wenn man damit bezahlte, zumal er neben Wolsey einer der wenigen Männer war, die vom Vatikan direkt bezahlt wurden. Hier war er vor allem der einzige neben Wolsey. Er würde also merken, wenn auf einmal Vatikanische Münzen im Umlauf waren, die er nicht ausgegeben hatte, und er konnte leichter Leute darauf ansetzen, zu sehen, woher diese Münzen kamen. Vor allem hier in Cambridge war das ziemlich leicht, denn die Stadt war nicht SO groß wie London. Doch er hütete sich irgendetwas davon direkt zu sagen. Nein, er blieb ruhig, lächelte nur leicht als Adrian sich erhob und den Tisch langsam umrundete. "Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren als wolltest du mir sagen, dass du ein Bad nehmen willst bevor du in mein Bett steigst. Und da mein Burder ja wohl gerade ein Bad nehmen will, steht dem eigentlich nichts im Wege." Er folgte dem jungen Mann mit seinem Blick während der sich um den Tisch herum bewegte und hinter ihm zum Stehen kam. Dann legte er die Hände auf seine Schultern und fing an durch die Kutte hindurch die Schultern und den Nacken zu massieren ehe die Hände über seine Brust hinab tiefer strichen und ihn so durchaus zumindest darauf einstimmten, dass sein Gast alles andere als Berührungsängste hatte. Das war schonmal ziemlich gut. Alessio konnte nichts mit Leuten anfangen, die zwar das Geld sahen aber dann verklemmt waren. Er wollte Spaß haben, keine Lehrstunde geben müssen.

Er schloss die Augen und genoss eine ganze Weile Adrians Hände auf seinem Körper, ehe ihm langsam bewusst wurde, dass jede weitere Handlung wohl von ihm auszugehen hatte. Langsam drehte der den Kopf, so dass er den jungen Mann anschauen konnte. Braune freche Augen.. aber immer noch dieses engelsgleiche Gesicht. Nun, er würde seinen Spaß haben, so oder so. "Ich denke deine Fähigkeiten werden ausreichen, um eine angenehme Nacht zu haben. Und was die Idee mit meinem Bruder angeht, gefällt sie mir sogar. Immerhin sollte es jetzt auch in deinem Interesse liegen, dass er mir das Geld auszahlt. Und er wird alles versuchen, um genau das zu verhindern, das sollte dir klar sein." Er pflückte langsam Adrians Hände von seinem Körper, ehe er sich erhob. "Also dann.. ein Bad."

Er entschied das mehr aus dem Bauch heraus, doch es gab mehr als nur einen guten Grund, das wirklich zu tun. „Und ich kann dir nur empfehlen, ihn nicht zu sehr zu reizen, sonst sehe weder ich noch du auch nur einen Penny. Und während mir das nicht das geringste ausmacht, gehst du dann ganz ohne Geld nach Hause." Er grinste, ehe er dann die Kutte einfach über den Kopf zog. Darunter hatte er eine einfache Hose und hohe Stiefel an, ganz weltlich. Aber er trug die Robe ja auch mehr, weil er musste, nicht weil er es wirklich aus seinem Glauben heraus wollte.

Ostern in Cambridge - Der Tiger im Zuber

Dominico Sforza

Rodregos Gesicht verriet nur zu gut, wieviel er von seinem Auftritt gerade gehalten hatte. Schweigend erreichten sie auch schon bald den Raum, der ihnen hier als Bad diente. Es war im Grunde auch ein Salon, jedoch ohne Teppich der unsinniger Weise nass geworden wäre. Auch seiner Heimat Italien hatte Nico einen Spezialisten kommen lassen, der wie in den antiken römischen Bädern eine Fußbodenheizung installiert hatte. So war es angenehm warm in dem Raum und in dem Zuber, in dem bequem auch 4 Leute Platz gefunden hätten, dampfte heißes duftendes Wasser. Nico hatte sich schnell seiner restlichen Kleider entledigt, die er noch trug, und band sich die Haare mit einem Lederriemen hoch. Nicht dass er sie nicht waschen wollte, doch er hatte vor einige Zeit im Zuber aufzuwärmen und das heiße Wasser zu genießen. Nasse Haare waren dabei nicht besonders angenehm und auch nicht all zu gesund. Also stieg er mit hochgebundenen Haaren nackt in den Zuber. Neben dem Zuber standen bereits zwei ihrer Angestellten und hielten ein Brett bereit. Dieses Brett wurde quer über den Zuber gelegt und diente dazu, Wein, Gläser und Essen darauf abzustellen. So würden die Herrschaften ohne Probleme an das Essen kommen.

Sie hatten einen ausgezeichneten Wein in einer Kristallkaraffe abgefüllt, die nun zuerst vor Nico und Rodrego gestellt wurde, ehe man ihnen in die einfachen Zinnbecher einschenkte. Zu essen gab es kleine Stücke gebratenen Fleisches, die man ohne Besteck bequem essen konnte, ein wenig Fisch und Gemüse, das gerade Saison hatte. Das Essen war ausgewogen, denn darauf achteten beide Brüder. Schon in Italien hatten sie immer gut und ausgeglichen gegessen - das war einfach besser als Wochen lang nichts zu essen, und sich dann nur von Fleisch zu ernähren, wie es viele ihrer Bekannten taten. Nico bediente sich direkt an frisch gebackenem Brot und spülte das erste Glas Wein hinunter, beinahe ohne abzusetzen. "Ich hoffe, dass der Plan aufgeht. So wie der junge Kerl geglotzt hat.... keine Ahnung. Vielleicht kann er ihn doch noch überzeugen, ich traue Alessio alles zu." Bei seinem Bruder musste man auch mit allem rechnen.
 

Rodrego Fernale

Was war das denn für ein Auftritt gewesen? Dominico konnte es wirklich nicht lassen und er hatte ihn wieder einmal nicht aufhalten können, seinem Bruder eines reinzudrücken. Aber viel schlimmer als das war das Bild, das sich ihm geboten hat von Alessandro. Dieser Hosenmatz am Tisch voller Essen, der sich vom Kardinal Honig um Maul schmieren ließ, um ihn ficken zu dürfen. War das wirklich Alessandro da drinnen? Sein Alessio? Sein Jugendfreund, zu dem er so gerne aufgeschaut hatte, den er braun gebrannt neben ihm im Gras liegend darum beneidet hat, dass er immer genau wusste, was er tun musste und wo es lang ging? Dass er immer einen Ausweg wusste, wenn sie die Hausangestellten wieder einmal zur Weißglut getrieben hatten. Und der es immer geschafft hatte, ihnen nur das Beste zu besorgen – sei es Süßes gewesen, oder später Alkohol, oder noch später, Frauen. Wo war sein Alessio, seitdem er dieses elendige Gewand der Kirche angelegt hatte geblieben?

Schweigend gingen sie zum Bad und Rodrego versuchte dieses Bild von dem blonden Hosenscheißer aus seinem Kopf zu verbannen. Meine Güte. Hatte es Alessandro so nötig? Er schüttelte den Kopf, um die Gedanken an seinen Jugendfreund, den er schon einige Zeit nicht mehr gesehen hatte, zu erdrängen. Seit er Leibeigener des Königs war, konnte er die Brüder nicht nicht so oft sehen. Dass sie zeitgleich hier waren, war ein glücklicher Zufall, den e zumindest mit Dominicos Anwesenheit zu einem schönen Moment machen wollte.

Er zog sich ebenfalls aus und stieg in das angenehm warme Wasser, was seiner verspannten Schulter sicher sehr gut tun würde. Im Palast hatte er als einfacher Schmied keine Möglichkeit für so etwas. Und die öffentlichen Bäder waren teilweise so teuer, dass er es sich nicht wirklich leisten wollte.

Rod aß ein paar Bissen und trank den Wein langsamer als Dominico. Er hatte nicht vor, sich heute die Kante zu geben, schließlich würde er morgen sehr früh aufbrechen müssen, um rechtzetig in den Stallungen in Cambridge zu sein. Aber ein Abend mit Dominico war es ihm wert. Eigentlich hatte er auch gehofft, Alessandro mal wieder einfach so sehen zu können, aber seit dem Bild, das sich ihm eben geboten hatte, war er sich nicht mehr sicher, ob er jemals mit diesem wieder einen netten Abend würde verbringen können. Als Dominico sprach, blickte er aus seinen Gedanken auf.

Rodrego schnaubte. „Dass ihr eure Spiele nicht sein lassen könnt“, knurrte er und rieb seinen Nacken.
 

Dominico Sforza

Der Schmied konzentrierte sich auf das Essen, das vor ihnen stand, während Nico schon sehr bald den Kopf über den Rand des Zubers in den Nacken legte und die Augen schloss. Er hatte keine Schmerzen und das heiße Wasser tat gut, auch wenn es die Wirkung des Alkohols noch verstärkte. Die Luft war feucht über dem Wasser und Nico rann schon bald Schweiß über das Gesicht. Mit geschlossenen Augen hing er seinen Gedanken nach, während er den Becher langsam in der Hand schwenkte. Der Kommentar Rodregos ließ ihn leicht abwehrend knurren. Er hob eine tropfnasse Hand an die Stirn und legte sie über seine Augen ehe er ein paar Mal tief durchatmete, um seine Gedanken zu sortieren. Eigentlich war doch alles in Ordnung, oder? Nein, gar nichts war in Ordnung. Sein verdammter Bruder hatte in einer absolut sinnfreien Wette schon wieder gewonnen und das passte Nico ganz und gar nicht. Und er kam selbst jetzt in dem Bad nicht drüber hinweg. Er spürte Rodregos nackte Haut an seiner und wie immer wenn man nackte Haut fühlte, erregte es ihn leicht, doch noch nicht genug, um seine Hand oder seinen Körper anders zu bewegen. Es tat einfach gut nicht ganz allein zu sein, wo sein Bruder doch so offensichtlich nicht alleine war. Noch hatte er nicht gehört, das Adrian mit viel Getöse das Haus verlassen hatte, also nahm er an, dass sein Bruder noch versuchte, ihn hier zu behalten.

Doch jetzt hörte er Schritte auf dem Flur und er hob den Kopf ganz, um zur Tür zu sehen. "Hmn.. scheint so, als würde gerade die Beschäftigung meines Bruders verschwinden.. sehr gut." Wie sehr er sich doch irren sollte.
 

Rodrego Fernale

Rod lehnte sich zurück und atmete tief durch. Nach diesem anstrengenden Tag war das Bad eine Wohltat. Einen Moment genoss er einfach diese friedliche Stille, die im Raum herrschte, das vertraute Beieinander zweier Freunde, die sich schon lange kannten.

Er wusste, dass für Nico dieser Abend so ganz und gar nicht nach Plan verlaufen war. Dass Dominico unter dem Status seines Bruders litt, wusste er auch, aber er verstand nicht, weshalb sich Nico das immer wieder und wieder antat, sich mit ihm zu messen. Es war albern, schließlich war Nico eine so starke Persönlichkeit mit so vielen großartigen Dingen, die er in seinem Leben geschafft hatte, dass er alles sein musste, nur nicht eifersüchtig auf seinen Bruder. Gut, er wusste natürlich auch, um was genau er ihn beneidete, es war die Freiheit, die sein Bruder genoss, die er niemals haben würde, und dennoch konnte Rodrego nicht ganz nachvollziehen, warum sich Dominico immer wieder daran stieß. Dominico hatte eigentlich eine wunderbare Frau, die ihm auch jegliche Freiheiten ließ. Während Alessios Robe ihm eigentlich auch eben nicht alle Freiheiten ließ. Aber er hatte es aufgegeben, aus den Brüdern schlau werden zu wollen.

"Hm, ein Masseur wäre mal eine tolle Sache", murmelte er und hob den Kopf, um Nico anzusehen. In diesem Moment wurde die eben noch so angenehme Ruhe unterbrochen. "Das hat zu lange gedauert...", sagte er im Affekt auf Dominicos Verdacht hin, der kleine blonde Junge würde nun gehen, und schüttelte leicht den Kopf. Und was man nun hörte, bestätigte seine Vermutung, denn die Schritte kamen näher. "Sie kommen hierher, haben deine Einladung tatsächlich angenommen..." Sein Blick glitt von der Tür wieder zurück zu seinem Freund. "Willst du das?" Nun hörte man schon die Stimmen der beiden vor der Tür. Rodrego erahnte das Kopfschütteln mehr, als dass er es wirklich sah und er handelte prompt. Noch bevor die Tür ganz aufgestoßen wurde, war er untergetaucht und tauchte nun vor Dominico wieder auf, langsam, so als sei er gerade anderweitig beschäftigt gewesen, sich mit den Händen rechts und links von Dominico am Rand des Zubers festhaltend. Langsam drehte er seinen Kopf, die Störenfriede mit einem Blick ansehend, den ein Tiger hatte, der gerade seine Beute erlegt hatte und nun von anderen Tigern gestört wurde, die ihm sein Festmahl streitig machen wollten. Kurz verengten sich seine Augen, fxierten Alessio eindringlich, den Blonden zunächst ignorierend. "Ihr stört", knurrte er dann und richtete sich etwas mehr auf, um sich auf Nicos Schoß zu setzen. "Wir ziehen die Einladung zurück und genießen lieber alleine." Erst jetzt musterte er Finley, als habe er ihn eben erst bemerkt. Der junge Mann stand schon nur noch in Unterwäsche da. Wann hatte er sich ausgezogen? "Raccogliete i vostri giocattoli e fargli vedere, ma il tuo bel letto morbido, Alessandro?" (Nimm dein Spielzeug und zeig ihm doch dein schönes weiches Bett, Alessandro?)

Dann wandte er sich wieder Dominico zu, blickte ihn mit einem Schmunzeln an. "Wo waren wir stehen geblieben?", wisperte er für die anderen hörbar, davon ausgehend, dass diese nun den Raum wieder verlassen würden. Sein Kopf senkte sich und sacht strich seine Nasenspitze seitlich am Hals des anderen entlang, bis er am Schlüsselbein angelangt war, dann biss er leicht in die Halsbeuge.

Er wusste, dass Dominico ihm sein kleines Schauspiel verzeihen würde.
 

Finley, alias Adrian White

Ein Bad!!! Innerlich jubelte Finley und drehte eine Pirouette, doch äußerlich bemühte er sich, möglichst ruhig zu bleiben und keine Miene zu verziehen. Es reichte schon, wenn Ralph ihn immer damit aufzog, wie leicht er mit einfachen Dingen zufrieden zu stellen war. Er wollte sich vor dem Kardinal nicht auch noch innerlich bloßstellen, wenn er sich denn schon für ihn auszog. Und so ließ er es gerne geschehen, dass der Mann seine Arme hob und sich selbst nun die elende Kutte endlich über den Kopf zog. Augenblicklich fixierten, ja ertasteten Finleys Augen den Körper unter dem schweren Stoff. Schließlich konnte man unter dem Ding die Körperkonturen nur erahnen und er hatte sich schon innerlich ins Knie gebissen, weil er sich den Kerl wenigstens nicht vorher schon mal angesehen hatte. Wer kaufte schließlich die Katze im Sack? Aber leider war er ja die Katze, die gekauft wurde und nachdem er - sehr befriedigt - den zwar nicht sehr muskulösen, doch ansehnlichen Körper des Kardinals gesehen hatte, zog er sich nun auch die restlichen Kleider vom Leib. Wäre der Kardinal unter seiner Kutte ein dicker, faltiger Hautlappen gewesen, hätte er vielleicht Reißaus genommen. Doch Muskeln an jeder erdenklichen Körperstelle waren nicht annähernd das non-plus-ultra, das Finley im Kopf hatte, und der Körperbau seines Wohltäters gefiel ihm durchaus.

Seine eigene Hose zog er allerdings um einiges langsamer aus, als das Hemd zuvor. Schließlich hatte sie einige besondere Vorzüge. Auf ihren Innenseiten waren zwei Taschen angebracht. Die eine mit dünnem Leder ausgekleidet, in der sein Dolch sicher steckte. Die andere war etwas weiter, offener. In ihr steckte ein kleiner, zugeschnürter Beutel, in dem die Münzen lagen, die er in der Kirche gestohlen hatte. Er hätte sie auch einfach so in die Tasche fallen lassen können, doch dann hätte es die Gefahr eines Klimperns gegeben und so hatte er sie in einem anderen Lederbeutel, eng zusammen geschnürt. Nach außen hin waren breite, aber schmale Taschen befestigt, um die Nähte darunter zu verbergen. Finley musste nun nur noch die schweren Teile seiner Hose behutsam auf sein Hemd legen. Also tat er, als würde er beides falten, bevor er es in eine Ecke schob. Blieb nur zu hoffen, dass die Diener die Finger davon ließen, doch wenn sie damit rechneten, dass sie jeden Moment zurück kommen könnten, würden sie das bestimmt tun.

Nun nur noch in Unterhose bekleidet, schlang Finley kurz von hinten die Arme um den Mann. "Willst du mir noch deinen Vornamen verraten? Sonst weiß ich gar nicht, was ich dir nachher ins Ohr stöhnen soll...", meinte er lasziv und erneut umspielte ein Grinsen seine Lippen. Doch ebenso schnell, wie er ihn umarmt hatte, löste er sich auch wieder und lehnte sich lässig an den Türrahmen. Man musste in kleinen Häppchen füttern. So lange, bis der Essende auf den Geschmack gekommen war und nach größeren Häppchen verlangte. Einem direkt das Maul voll zu stopfen, verdarb nur den Appetit. Und es war auch nicht so, dass er nicht auch nackt herum gelaufen wäre. Auch die Blicke der Diener wären ihm egal gewesen. Er war schon durch ganz andere Gebäude und vor ganz anderen Leuten, splitterfasernackt herum gelaufen. Doch aus eigener Erfahrung und Geschmack wusste er, dass es stilvoller war, mit seinen Reizen zu geizen. Wie bei einem Geschenk. Die Vorfreude war das Beste, das Geschenk nur die Spitze des Eisbergs.

Es dauerte nicht lange und der Rebell marschierte dem Kardinal hinterher zu den Baderäumen. Zunächst hörte man leise Stimmen, doch kurz bevor sie die Tür erreichten, verstummten sie und als sie die Türen aufstoßen, bot sich Finley ein überraschendes Bild. Der junge Mann von vorhin, saß breitbeinig über dem Bruder des Kardinals und faselte irgendwas von Störung.

Finleys Miene verfinsterte sich leicht, bevor er sie wieder halbwegs unter Kontrolle hatte. Verdammt, es war ihm scheiß egal, wenn die Typen es in der Wanne trieben. Von ihm aus auch während er daneben saß. Aber er hatte sich verflucht nochmal auf dieses Scheiß-Bad gefreut und das würde er sich von einem 'zurückgezogenen Angebot' sicher nicht kaputt machen lassen. Schließlich hätte er anstelle des Bades auch eine gute Striptease-nummer hinlegen können, doch nun war er schonmal nackt und hatte sich so sehr auf das heiße Bad gefreut!

Und dann begann der Kerl auch noch auf Italienisch oder Spanisch oder Parisisch oder so zu reden. Der Kerl wollte sich wohl unbedingt unbeliebt machen, oder?! Demonstrativ verschränkte Finley die Arme vor der Brust, allerdings lässig genug, um nicht allzu trotzig zu wirken. Ein zähneknirschendes Lächeln umspielte seine rosigen Lippen. Ihm wäre da auf Anhieb eine ganze Menge eingefallen, was er diesem Klugscheißer zu sagen hätte, doch erstens wollte er nicht wie ein kleines Kind wirken, da er scheinbar ohnehin schon der Jüngste im Raum war; und zweitens konnte man ungefähr sagen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Er war weder der Hausherr, noch der Geliebte oder Freund des Kardinals. Genauergesagt war er niemand. Es war nicht so, dass er Angst um sein Leben hatte, doch er kannte den Sforza nicht. Wusste nicht, wie er reagieren würde und was er seinem Bruder zugestehen würde und was nicht. Eine Wette war eine Sache, gekränkter Stolz durch einen Niemand eine ganz andere. Nur einen winzigen, minimalen Kommentar konnte Finley sich dennoch nicht verkneifen. Schließlich war er, auch wenn nicht in den Augen der Sforza, eine Persönlichkeit, der man nicht so einfach schonungslos in die Suppe spuckte. Und außerdem sollte sein Kardinal sehr wohl wissen, woran er war und dass Finley kein schamhaftes Gör war. "Also mich stört‘s nicht", murmelte er leise, aber deutlich und fügte in Gedanken noch so einiges hinzu, was er jedoch mühsam herunter schluckte.
 

Dominico Sforza

Nein, der Tag war in keinster Weise so verlaufen, wie Nico sich das vorgestellt hatte. Nicht nur nicht ein bisschen, sondern gar nicht. Aber er war durchaus selbst daran Schuld, und gerade das ärgerte ihn am meisten. Er wusste auch nicht, warum er ständig wieder den Kampf mit seinem Bruder suchte, wenn man es denn so nennen wollte, doch es geschah wieder und wieder. Und leider unterlag er immer häufiger, vor allem bei diesen Wetten. Vielleicht lag es daran, dass er sich eben auch in diesem Sinn gegen Alessio behaupten wollte. Denn wenn es um den wirtschaftlichen Erfolg ging oder den an der Waffe, dann war Nico der bessere. Aber bei Frauen oder Männern kam einfach der Kardinal besser an. Vermutlich, weil die alle versuchten, ihn doch irgendwie zu bekehren, oder weil die Idee, ein dunkles Geheimnis mit dem Mann zu teilen, zu verführerisch war. Er wusste es nicht genau, doch allein die Tatsache, dass es regelmäßig so passierte, nervte ihn. Rodregos Nähe half ein wenig, der Wein und das Essen auch. Doch das Geld, das ihm fehlte, das würde ihn wohl schon stören. Oder nein, nicht das Geld. Aber Alessios Gesicht am nächsten Morgen würde ihn wohl zur Weißglut treiben. Aber so war es leider und so würde es immer sein. Dankenswerterweise lenkte sein Schmied ihn etwas ab zumindest bis er dann ebenfalls zur Tür sah. "Bastardo", fluchte er leise, ehe sein Bruder die Türe auch schon aufstieß.
 

Alessandro Sforza

Alessio war ganz und gar nicht schlecht gebaut. Das einzige, das ihn wirklich von seinem Bruder unterschied waren die etwas breiteren Schultern, während Alessio schlanker war. Doch in ihrer Muskulatur haben sich beide recht wenig. Man sah sie bei Nico nur mehr, weil der weniger Haare auf der Brust hatte als der Kardinal. Alessio störte sich daran nicht, es war bequem nicht ganz so nackt zu sein. Außerdem fühlte er sich sonst wie ein Knabe. Finley war ebenfalls nicht unansehnlich. Er war schlank wie Alessio schon vermutet hatte, nicht knabenhaft, aber auch nicht ZU männlich. Er war… eben wie ein Maler wohl einen Engel hätte aussehen lassen. Auf eine Weise elegant, die der Junge in keinster Weise an den Tag legte. Er sah nur so aus, er bewegte sich so, aber sein Verhalten war ganz und gar nicht engelsgleich. Für Alessio spielte das nur eine untergeordnete Rolle. Wenn er ihn ersteinmal im Bett hatte, konnte Adrian auch der Teufel sein - ihm war es gleich. "Oh, ich bin sicher du wirst dich vorerst mit Kardinal zufrieden geben. Und wenn mein Bruder dir meinen Namen nicht sagt, dann wirst du ihn auch nicht erfahren. Es sei denn, ich erfahre den Namen mit dem man dich für gewöhnlich ruft." Es war ja nicht, dass Adrian nicht zu dem blonden Mann passte, aber irgendwie hatte Alessio Lunte gerochen und nahm langsam an, dass nicht nur das Messgewand eine Lüge war, sondern auch der Name. Jemand der so gut Schauspielern konnte, konnte das vielleicht auch andernorts. Und wenn Adrian gesucht wurde? Dann würde er sicher einen anderen Namen annehmen. Und wenn es ihm um was auch immer gegangen war... dann, nun? Was dann? Dann würde er sicher über alle Berge sein und nicht sonderlich interessiert daran, dass der Kardinal seinen Namen kannte. Also glaubte er damit schon ganz richtig zu liegen, dass er den richtigen Namen des jungen Mannes nicht kannte. Doch zum Baden und auch um mit ihm zu schlafen, musste er den nicht wissen... eigentlich. Er konnte ihm viele Namen geben, die schon angenehm genug sein würden.
 

Finley alias Adrian White

Für einen Moment schien Finleys Grinsen ein kleines Bisschen zu gefrieren, dann hatte er sich wieder gefangen. "Wie kommt ihr darauf, dass ich euch nicht meinen korrekten Namen genannt habe? Auch in der Kirche nennt man mich Adrian. Es ist nicht so, als hätte ich es geplant, heute Abend hier zu stehen, um eine völlig andere Person dazustellen", log er aalglatt, ritt aber nicht weiter auf dem Thema herum. Wenn der Kardinal nicht in den Genuss seiner stöhnenden Stimme, mit dessen Namen auf den Lippen kommen wollte, dann war das dessen Problem. Nicht seins. Und zur Not würde er nach diesem Abend immernoch herausfinden können, wie er sich nannte.
 

Alessandro Sforza

Sie gingen gemeinsam den Gang hinunter zu dem Raum, in dem auch Rod und Nico verschwunden waren. Alessio ließ seinen Blick ziemlich schamlos über den Körper des blonden Mannes schweifen, der ihm heute Nacht noch einige Freuden bereiten sollte. Ja, was er sah gefiel ihm. Was er hörte, als Adrian die Türe aufstieß, allerdings nicht - und was er sah noch viel weniger.
 

Dominico Sforza

Nico war fieberhaft am überlegen, was er tun sollte. Aufstehen und wegrennen? Im nackten und nassen und minimal betrunkenen Zustand wohl kaum eine gute Idee. Er würde sich vermutlich lang legen und dabei noch einen peinlicheren Eindruck machen. Aber darauf, dass sein Bruder jetzt hier mit seinem Betthäschen hineinspazierte... Doch sein alkoholgeschwängertes Hirn war einfach nicht fit genug, um schnell zu reagieren und sich eine Geschichte auszudenken. Rod war schneller. Er hatte nicht mal den Kopf auf dessen Frage geschüttelt, da tauchte Rod schon unter und kurz darauf vor ihm wieder auf. Irritiert sah er ihn an, als die Türe aufflog und sein Bruder mit seinem blonden Engel hereinkam. Der schien wenig begeistert davon, was er zu sehen bekam. Nico sah zu Rod auf und sein Blick der eigentlich etwas verwirrt war, wurde zum einen wissend und zum anderen ziemlich.. naja, lustvoll? Er hatte zumindest begriffen, was Rod vorhatte, und er schwenkte mit. Allerdings nicht nur zum Spaß. Seine Hände legten sich auf den nackten Po des Schmiedes, strich über seinen Rücken und er schloss genüsslich die Augen, als Wasser von Rods Haar auf sein Gesicht tropfte. Dann vernahm er dessen Worte und öffnete die Augen, so als würde er Alessio gerade erst wahrnehmen. Sein Blick musterte den blonden halbnackten jungen Mann abfällig, und dann seinen Bruder, der sich bereits auszog, ohne auf die Szene im Zuber oder Rods Worte zu achten. Nico sah zu dem Schmied auf. "Oh, sai, la Chiesa non disturba la sua opinione. Ma se non si vuole che egli ci guarda, siamo in grado di andare a letto .."(Oh, du weißt doch, die Kirche stört nie - seiner Meinung nach. Aber wenn du nicht willst, dass er uns zusieht, können wir auch in mein Bett gehen..)

Eine nasse Hand legte sich an Rods Wange. Er wollte die beiden anderen nicht ansehen müssen. Außerdem sorgte die körperliche Nähe des Schmieds, dessen muskulöse Oberschenkel auf seinem Schoß genügend dafür, dass Nico das nicht mehr nur als Schauspiel wahrnahm. Er drängte Rod sanft, ihn anzusehen, schenkte ihm ein kleines, beinahe scheues Lächeln, ehe er ihn näher zog und ihn küsste.
 

Alessandro Sforza

Alessio interessierte sich dafür tatsächlich mehr als ihm selbst lieb war. Er war in diesen Genuss nämlich verdammt noch mal nie gekommen, obwohl er gewollt hatte. Sie waren Brüder, im Endeffekt alle drei, doch Rod und Nico hatten früher mehr geteilt, als nur brüderliche Freundschaft. Alessio hatte es auch versucht, war aber von dem Schmied abgewiesen worden, was ihm durchaus nicht gepasst hatte. Und er sah es ungern wenn Nico und Rod gemeinsam flachsten oder tranken und sich dann billige Huren kauften. Er fühlte sich nicht selten außen vor - so auch jetzt. Deswegen war der Schubser, den er Adrian zum Zuber gab, zum Zeichen, dass auch ihm das egal war, etwas gröber als gewollt.
 

Rodrego Fernale

Ein kurzes Lächeln huschte über seine Lippen, als er die zunächst überraschten Augen des anderen, dann die wissenden und schließlich die "mitspielenden" sah. Braver Nico... Doch dann wäre ihm fast ein "Hey!" herausgerutscht, als Dominico sein Spiel als Anlass nahm, das Ganze noch glaubhafter zu gestalten. Doch selbst, wenn er das "Hey!" ausgesprochen hätte, hätte es wohl nicht wirklich glaubhaft geklungen.

Er lauschte den Worten des anderen, während er sah, dass sich Alessio augenscheinlich unbeeindruckt zeigte, und nickte zustimmend. "Vielleicht sollten wir das tun", wisperte er, ließ sich dirigieren, den anderen anzusehen, und war auch nicht überrascht, als Nico ihn küsste. Er hatte es letztlich gewusst, dass sein eigentliches "Spiel" gar keines gewesen ist. Und es war ja nicht so, dass sie diese Situation nicht schon oft gehabt hatten. Der Kuss war unheimlich vertraut, der Geruch des anderen wohlbekannt, die Hände auf seinem Hintern gewohnt. Es erinnerte ihn an alte Tage, in denen sie sich in schweren Stunden Trost gespendet hatten und ihre Freundschaft kurzzeitig in eine Beziehung übergegangen war, bis jeder wieder seine eigene Wege gegangen war.

Aber nicht nur diese Berührungen waren vertraut, auch diese Situation. Allessio und Nico, die sich kappelten, zu übertrumpfen versuchten und vor allem Nico, der daran verzweifelte, wie selbstgefällig Alessio seine Position ausnutzte.

Vielleicht war es deshalb so gekommen, dass seine Beziehung zu Nico immer herzlicher war, viel inniger und intimer, als seine Freundschaft zu Alessio, die durchaus bestand du auch innig gewesen war – bis jener die Robe angezogen hatte, die ihre Welten geteilt hatte.

Und heute? Und jetzt? Heute würde er Nico wohl wieder einmal ein wenig den Trost spenden, den er momentan selbst nicht unbedingt brauchte, aber breit war zu geben.

Und so nahm er den Kuss an, lächelte hinein, als er das scheue Lächeln des anderen realisiert hatte. War da jemand unsicher? Sacht bewegte er die Hüfte, so dass seine Lenden an denen des anderen entlangstreiften. Ein wenig trietzen machte die Sache spannender. Schließlich löste er den Kuss, sacht noch an der Unterlippe des anderen knabbernd. Hm, ja das würde ihm heute schmecken. Nutzte er Nicos Frust gerade aus? Nein, das glaubte er nicht. Einen kurzen Moment blickte er Nico tief in die Augen. "Andiamo. La Chiesa non piace, soprattutto se non si ottiene qualcosa." (Lass uns gehen. Die Kirche mag es vor allem nicht, wenn sie etwas nicht bekommt.)

Mit seinen Augen in denen seines Freundes hängenbleibend und einem gelassenen Lächeln auf den Lippen, richtete er sich im Waschzuber zu voller Größe auf, reichte Nico seine Hand und half ihm hochzukommen. Würden sie also das Feld wieder einmal vor dem Kardinal räumen...

Rodrego stieg aus der Wanne, ergriff ein Handtuch und tupfte sich demonstrativ vor Alessio das Wasser am Hals weg. Den Kardinal ignorierend sah er den Blonden an. "Ich hoffe du wirst auf deine Kosten kommen", lächelte er diesem zu, dann sah er zu Alessandro und betrachtete kurz den anderen Mann, hob seine Hand und strich sacht mit seinen Fingerspitzen über das Schlüsselbein, eine Stelle von der er wusste, dass Nico besonders empfindlich war. "Wirklich erstaunlich eure Ähnlichkeit", wisperte er und beugte sich zu dem anderen, seinen Atem über die Haut am Hals des anderen fließen lassend. "Und doch ganz anders."

Er distanzierte sich wieder von Alessandro und band sich da Handtuch um die Hüften. "Viel Spaß ihr zwei!", sagte er gut gelaunt und drehte sich Nico zu. "Und denk nicht zu viel an mich, Alessio mio, das wär gemein, dem Blonden gegenüber..." Ein Grinsen hatte sich auf seine Lippen gelegt. "Andiamo, bello, e ci godiamo la nostra notte!" (Lass uns gehen, mein Hübscher, und uns unsere Nacht genießen!)
 

Finley alias Adrian White

Mit einer Mischung aus Unglaube und Faszination beobachtete Finley das Szenario, welches sich ihm nun im Bad dar bot. Kaum zu glauben, was die Sforza Brüder da für eine Nummer schoben. Als würde man einem uralten Kampf zusehen. Einem Machtkampf. Außerhalb von Politik, Wirtschaft und offiziellem Einfluss. Zeugte dies nicht nur wieder mal davon, dass die Reichen einfach zu viel Geld und zu viel freie Zeit hatten, mit der sie dann dumme Dinge anzustellen gedachten?

Aber wer zur Hölle war dieser andere Kerl? Wie ein Spielzeug sah er jedenfalls nicht aus und wie sie sich so alle gegenüber standen, schien keiner der Brüder sonderlich glücklich mit der Situation auszusehen. Langsam zog er sich das letzte Stück Stoff vom Körper und lauschte der fremden Sprache. Allerdings machte der andere Bruder ein deutlich genussvolleres Gesicht, woraufhin der Kardinal noch weniger glücklich aussah. Im Grunde war das Finley natürlich völlig gleichgültig, doch er hatte das Gefühl, die Aufmerksamkeit sei von ihm, zu diesem braungebrannten Kerl gewechselt und das wiederrum war etwas, was er gar nicht leiden konnte. Er musste nicht immer Mittelpunkt stehen, aber er konnte es nicht leiden, ersetzt und vertrieben zu werden. Der Rebell wollte der Hauptgewinn, kein lascher Ersatz sein.

Dennoch war er unschlüssig, was er tun sollte. Sich direkt einzumischen, könnte für ihn noch immer nicht ganz ungefährlich sein und die Stimmung war auch so schon angespannt genug. Doch dann bot der braungebrannte Kerl ihm höchst selbst eine Möglichkeit an, der er einfach nicht widerstehen konnte. So direkt angesprochen zu werden, riss ihn aus seinen Gedanken und als sich die Finger auf das Schlüsselbein des Kardinals legten, trat er barsch vor und griff nach den Fingern des fremden Mannes. Zog sie von dem Körper des Kardinals und blickte dem Mann, dessen Finger seine Hand umschlossen, direkt in die Augen. Sein Lächeln schien atomar auf seinen Lippen, als wäre es nie erloschen, doch sein Blick schien nicht mit. "Tut mir leid, aber dies ist heute Abend nur mir allein vergönnt. Du kannst dir also sicher sein, dass ich in jeder Hinsicht auf meine Kosten kommen werde", antwortete Finley und hätte man ihm nicht in die Augen gesehen, hätte es beinahe freundlich geklungen. Seine Finger strichen spielerisch über die Hüfte des Kardinals, während er zwischen den beiden hindurch trat und sich ins warme Wasser gleiten ließ. Leise stöhnte er auf vor Wonne, als die Hitze ihn empfing und die Welt in eine dunstig wohlige Wolke hüllte. Doch in Anbetracht der Situation, zwang er sich zur Konzentration und wie sich herausstellen sollte, nicht umsonst. Tze, dieser Kerl dachte wohl, er hätte die Sexyness mit Löffeln gefressen, doch in einer Nacht mit Finley war man gar nicht mehr in der Lage, an etwas anderes zu denken, als an ihn selbst. Mit lüstern verschleiertem Blick, streckte er die Arme nach dem Kardinal aus. "Keine Angst, ich werde dir nicht die Gelegenheit geben, an etwas anderes, als an mich zu denken, Alessandro." säuselte er lasziv und konnte sich bei seinem letzten Wort, ein Grinsen nicht verkneifen. Wusste er jetzt also doch, wie der Kerl hieß!
 

Alessandro Sforza

Alessios gewinnendes Lächeln schwand vollends, als Rod langsam aus dem Zuber stieg und Nico ihm langsam folgte. Seinen Bruder musste er nicht ansehen, wie der nackt aussah wusste Alessio nur zu gut. Vor allem kam er dann auch nicht in die Versuchung ihn mit sich selbst zu vergleichen. Der Unterschied war nicht groß, sie glichen sich sehr in ihrer Statur und Muskulatur und doch hatte Alessio nicht selten das Gefühl neben dem selbstsicheren Nico kleiner zu wirken. Er straffte sich, vor allem, um nicht zurück zu weichen als Rod auf ihn zutrat. Dessen Finger auf seinem Körper fühlten sich an wie glühende Kohlen, und glühend war auch sein Blick der auf dem Schmied lag. Seine Hände rangen damit ihn zu berühren, doch er wusste wenn er das tat, würde Rod sich nur noch schneller zurückziehen. Eine Gänsehaut rauschte von seinem Hals bis in seine Fußzehen als der feuchte Atem über seine Haut strich und dann plötzlich abbrach als sich Adrian zwischen sie schob um Rod zurück zu weisen. Beinahe irritiert sah Alessio auf, der sich gerade in einer Art Tagtraum befunden hatte. Nico beobachtete ihn wie eine Raubkatze ihr Opfer, weil er sah, wie sehr es Alessio störte. Und es störte den Kardinal gewaltig. Wenn er gekonnt hätte, wenn es einen Sinn gehabt hätte.. er hätte den Jungen hinaus geworfen und sich Rod gegriffen. Doch er wusste, dass der Schmied sich weigern würde und er wusste, dass Nico ihn niemals kampflos in das Bett seines Bruders gehen lassen würde. Die plötzlich aufkeimende Lust und Wut darüber, den Schmied niemals auf diese Art und Weise gehabt zu haben wie Nico, schmerzte beinahe.
 

Dominico Sforza

Die Situation war absurd. Ihre Wetten waren es auch seit jeher gewesen, wenn Nico ehrlich war. Und sie waren auch alles andere als korrekt. Sie spielten mit Menschen, alle beide. Sie nutzten ihre Macht und Stellung und ihren Wohlstand, um Menschen zu verführen. Um sie dazu zu bringen, etwas zu tun, dass sie vielleicht gar nicht wollten. Es war ein Spiel und gleichzeitig ein Beweis. Ein Beweis, dass jeder Mensch seinen Preis hatte.Und manchmal, so auch jetzt, hatte Nico einfach nur den Wunsch, dass die Menschen einfach erkannten, für wie billig sie sich prostituierten. Wer konnte das schon wollen? Da stand dieser blonde junge Mann, gerade alt genug, um zu wissen, auf was er sich da einließ. Alessio hatte ihm sicher einen Teil des Gewinns versprochen, was also auch bedeutete, dass Nico nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch das Geld verlor. Er konnte es verschmerzen, aber… Wie konnte sich dieser junge Kerl darauf einlassen, wie konnte er nur?! Für Nico unbegreiflich.

Alle drei Männer gafften ihn prüfend an, wie eine Stute beim Züchter, bei der man abwog, ob es sich lohnte, sie vom Rassehengst besteigen zu lassen.Doch statt sich zu schämen, stand er einfach da wie eine Statue und tat, als sei er der Mittelpunkt der Welt. Rod stand von ihm auf, um sich aus dem Zuber zu begeben und Nico ergriff seine Hand, blieb aber noch stehen, bis der Schmied ganz heraus gestiegen war. Dann verließ auch er das warme Wasser, von der Nähe zu dem nackten Mann leicht erregt. Er gab sich keine Mühe, das zu verbergen, und griff sich einfach ein Handtuch, um sich leicht abzureiben. Immerhin musste er jetzt noch ein wenig durch das Haus laufen, ehe er seine Gemächer mit Rodrego erreichte.Alessandro Sforza

„Verdammter Mistkerl“, dachte er bei sich, während er sich langsam dem Zuber zuwandte und seine blonde Abendbeschäftigung musterte. Mit einem Mal war die wesentlich weniger interessant. Natürlich, Adrian war immer noch hübsch, doch dessen Selbstgefälligkeit rief bei Alessio gerade Abneigung hervor. Denn da war es wieder, diese eine Sache. Diese eine Sache, die sein Bruder haben konnte und er nicht: Zuneigung.

Er bekam sie einfach nicht. Ein weiterer Fluch der Robe? Nach reiflicher Überlegung der letzten Zeit nahm er es an. Jeder versuchte unter die Robe zu kommen, die Frauen oder Männer, die er bezahlte, waren nur allzu willig, ihn zu "bekehren" - doch ihm ernsthaft Nähe schenken, das tat keiner. Und während er sich heute Nacht lustvoll mit diesem blonden Engel in seinem Bett herumwälzen würde, würde Nico mit Rodrego im Arm einschlafen in dem Wissen, dass jemand neben ihm lag, der ihn verstand und der ihn vielleicht auch auf seine ganz eigene Weise liebte. Wenn sie tatsächlich Sex haben würden - und Alessio ging stark davon aus -, dann würde es nicht nur Sex sein, sondern ein gegenseitiges Halten. Und er bekam das nicht. Und er konnte nicht das Geringste dagegen tun, außer das Kinn vorzustrecken, seine Hose auszuziehen und zu Adrian ihn den Zuber zu steigen, der jetzt zu allem Überfluss auch noch seinen Namen kannte... nun, zumindest das hätte der Blonde vielleicht auch am nächsten Tag noch heraus gefunden.
 

Dominico Sforza

Nico war eigentlich nicht sehr melancholisch, doch das, was er gerade sah, stimmte ihn beinahe so. Während er seinen Bruder beobachtete, wie der beinahe trotzig die Hosen auszog und in den Zuber stieg, wusste er, dass er im Grunde "gewonnen" hatte. Denn auch wenn er die 20 Pfund verlor, sein Bruder würde diese Nacht nicht so sehr genießen, wie er das geplant hatte. Er hatte sich das Handtuch um die Hüfte geschlungen und folgte Rod, strich ihm sanft über den Rücken als dieser an die Türe trat, um sie zu öffnen. Es war ein kleines leises Dankeschön, und eigentlich konnte doch auch er dem Schmied ein wenig die verspannten Muskeln lockern, oder? Das würde ihn von dieser Misere ablenken und der Frage danach, warum sie sich beide immer wieder so anfeindeten.

"Come non pensare a te?(Wie sollte ich nicht an dich denken?)" Alessios Worte hielten sie auf, bevor sie durch die Türe traten. Er saß mit dem Rücken zu ihnen und drehte sich auch nicht um, um ihnen nachzusehen. "Ben fatto, fratello (Gut gespielt, Bruder!)" Dann kam nichts mehr und Nico stieß die Tür hinter ihnen beiden ins Schloss.

Ostern in Cambridge – Zuneigung

Dominico Sforza

Sanft griff er nach Rodregos Hand, um ihn zu seinen Gemächern zu führen. Sie waren immer noch nicht richtig trocken, aber das machte ihm nichts aus und in seinem Zimmer brannte Feuer im Kamin. Das große Bett lockte einladend weich. "Danke. Jetzt muss ich mir das wenigstens nicht noch ansehen." Er strich über Rodregos Schultern und seinen Nacken, spürte die Haut unter seinen Fingern. "Wie wäre es, wenn ich mich mit einer kleinen Massage dafür bedanke? Ich glaube, das kannst du wirklich gut gebrauchen."
 

Rodrego Fernale

Die Tür ging zu und die Worte Alessios hingen schwer in der Luft nach. Rodrego war das Lächeln schon vergangen, als er die Türschwelle übertreten hatte. Kurz schloss er die Augen und atmete tief durch. Er hatte das für Nico getan, weil er sein Freund war, weil er ihn liebte, auf eine ganz eigene Art und Weise. Aber Alessandro deswegen so zu verletzen, war nichts, was er gerne tat. Vielleicht würden dann diese elendigen Spielerein endlich aufhören. Vielleicht.

Er hatte die dankende Hand an seinem Rücken deutlich gespürt, und angesichts dessen, dass er Nico wenigstens einen kleinen Sieg verschafft hatte, fühlte er sich auch nur bedingt schlecht, und dennoch war es für die Beziehung zwischen ihm und Alessandro nicht gerade zuträglich gewesen. Seit der Geschichte damals, als Alessio versucht hatte, ihn ins Bett zu bekommen, war es nicht mehr so wie vorher gewesen, wo sie ungezwungen miteinander umgegangen waren. Sie hatten nie wieder darüber gesprochen und allein deswegen schon war die Kluft so unendlich groß manchmal. Vielleicht sollten sie sich einmal aussprechen, aber in diesem Moment schien das so weit, wie schon lange nicht mehr.

Bereitwillig ließ er sich von Dominico in dessen Gemächer führen, die Kälte, die durch die Nässe nur noch verstärkt wurde, nicht wirklich als störend empfindend. Und doch war es angenehmer, als sie das warme Zimmer betraten, das er nur zu gut kannte und in dem er sich wohl fühlte.

Als sich Dominico bedankte, nickte er. "Schon in Ordnung", lächelte er. "Ich hoffe nur, dass der Preis nicht zu hoch war. Ich habe das Gefühl, mich immer weiter von Alessio zu entfernen..." Aber jetzt wollte er nicht weiter darüber nachdenken, schließlich hatte Alessandro es sich heute auch definitiv selbst zuzuschreiben, dass es kam, wie es gekommen ist. Der Mann der Kirche war alles, nur kein Unschuldslamm. "Aber lassen wir das", er sah Dominico lächelnd an. Vielleicht würde es doch kein Ausnutzen heute sein, sondern ein gemeinsames "Sich Halten". Als der andere anfing, ihm über die Schulter, den Nacken zu streicheln, streckte er unwillkürlich den Hals, lehnte sich sacht an die Hände, die ihm gerade sehr gut taten. "Hm", schnurrte er, die Augen schließend. "Das fände ich ein gelungenes Dankeschön..." Und so griff er nach der Hand des anderen und gemeinsam gingen sie in Richtung Bett, in dem er schon einige Stunden seines Lebens gelegen hatte, und legte sich so hin, dass Dominico ihn gut massieren konnte. Jener setzte sich auch sogleich auf ihn, und er spürte das Gewicht des anderen auf sich, aber auch seine nackte Haut, spürte das Glied des anderen an seinem Hintern. Hm, schon war alles Negative vergessen, während Nicos Hände seine Schultern, seinen Nacken massierten. Und jedes Mal, wenn die Hände des anderen die Wirbelsäule ein wenig hinunterwanderten, wand er sich leicht. Nico wusste genau, wo er besonders "empfindlich" war. Und dass jener es provozierte, dass Rodregos Körper bald nach mehr verlangte, war ihm durchaus klar.

Doch da gab es noch eine Frage, die er geklärt wissen wollte, bevor er seinem Verlangen nach Sex nachgeben würde. "Was war das für ein Kerl, den du nicht rumbekommen hast?", fragte er daher und war gespannt auf die Antwort. Er kannte Nico, wusste, dass er eigentlich selten Probleme hatte, Menschen davon zu überzeugen, mit ihm zu gehen. Nico war klug genug, sich zu überlegen, womit man jemanden locken konnte.
 

Dominico Sforza

Es war immer wieder das gleiche. Aus einer Laune heraus begannen sie dieses Spiel und jedes Mal endete es darin, dass sie sich beide so sehr verletzten. Denn keiner gönnte dem anderen den Sieg wirklich, ganz egal was auf dem Spiel stand. Und im Grunde ihres Herzens wollten sie beide eigentlich nicht gegeneinander spielen, und doch war die Konkurrenz zwischen ihnen größer als die Vernunft. Zumindest manchmal.

Sie hielten immer zusammen, wenn es darauf ankam, und Nico wollte nicht, dass seinem Bruder irgendetwas Schlechtes widerfuhr, zumindest nichts ernsthaft Schlimmes. Und auch Rod gehörte in dieses eingeschworene Bündnis - doch seit Alessio versucht hatte, ihm so nahe zu kommen, wie Nico ihm nahe gekommen war, war es eben nicht mehr wie früher. Aber das war es ohnehin nicht mehr, seit Alessio Kardinal geworden war. Keiner der beiden hatte diese kirchliche Laufbahn einschlagen wollen, allerdings hatte auch keiner von beiden heiraten wollen. Sie zu dritt waren einfach ein unschlagbares Team gewesen und hatten so manches Verrückte angwstellt - immer zusammen. Doch die Kirche hatte Alessio von ihnen getrennt und Nicos Heirat hatte ihn ebenfalls gezwungen, ruhiger zu werden. Es war nicht mehr wie früher, nicht mehr wie in Italien, als sie noch Kinder oder eben junge Männer gewesen waren. "Er wird sich wieder einkriegen… da bin ich sicher. Vielleicht schlägt er so dumme Wetten ja auch nicht mehr vor. Ich zumindest versuche, mich in Zukunft zurück zu halten.." Doch dieses Versprechen hatte er sich selbst schon viel zu oft gegeben, ohne es in die Tat umzusetzen.

Er nahm eine Karaffe Wein vom Nachttisch und schenkte zwei Becher großzügig damit voll, ehe er Rod einen reichte, der sich schon auf dem Bett breit gemacht hatte. Nico nahm noch ein, zwei Schlucke, ehe er sich Öl vom gleichen Nachttisch griff. Es stand nicht ohne Grund da, denn Nico war eitel und er benutzte das Öl oft genug für seine eigene Haut. Es roch gut und sorgte im feuchten kalten England dafür, dass seine Haut nicht spröde wurde und austrocknete. Jetzt eignete es sich hervorragend, um auch Rods Rücken damit einzustreichen und ihn so wesentlich besser massieren zu können.

Es war ja nicht das erste Mal, dass er es tat, und doch ertastete er jedes Mal etwas Neues auf der gebräunten Haut des Schmieds. Eine kleine Einkerbung hier, eine kleine Narbe dort. Wenn Rod in den Ställen des Königs arbeitete, trug er zwar eine Lederschürze, aber kein Hemd, da es neben den Öfen sehr heiß war. Funken, die beim Hämmern davonstoben, sorgten immer wieder für kleine Brandblasen oder Verbrennungen und es waren unzählige. Nico kannte jede einzelne, zumindest bildete er sich das manchmal ein, und er strich immer wieder zärtlich darüber. Eigentlich wollte er auch Rods Schwachstelle zwischen seinen Schulterblättern nicht ausnutzen, doch das war verdammt schwer so wie der Mann sich gab und unter ihm wand. Es war anregend, vor allem, weil sie beide nackt waren und jedes Mal rutschten Nicos Finger tiefer bis über Rods festen Po, nachdem er selbst auf dessen Oberschenkel gerutscht war. Ja, er wollte Sex, aber er war sich noch unschlüssig, ob er tatsächlich ihn nehmen wollte. Zwischen ihnen war nicht festgehalten, wer welchen Part zu übernehmen hatte, und Nico sehnte sich gerade mehr danach gehalten zu werden. Rods unvermittelte Frage ließ ihn irritiert aufsehen und brachte ihn in die Realität zurück. "Ach.. nur so ein Schausteller.." Das war wirklich eine starke Untertreibung. "Vielleicht hast du ihn gesehen. Einer der Männer auf dem Markt, sie haben ihr Lager vor der Stadt. Er hatte interessante Augen." Immerhin hatte Nico sonst nicht viel Möglichkeit gehabt, sein "Opfer" zu begutachten. "Er schien mir ein passendes Gegenstück und ich hab ihn eingeladen und ihm angeboten, ihn zu fördern. Keine Ahnung was er von mir dachte, ich glaube, er hatte das Gefühl, ich wollte ihn gleich auf dem Marktplatz ausziehen. Dabei hab ich ihn nur zum Essen eingeladen, aber diese Leute sind misstrauisch... und man erzählt ihnen Schlechtes über Leute wie uns. Naja, auch egal. Ich weiß nicht mal, ob ich ihn überhaupt so gewollt hätte, wie Alessio sein blondes Messdienerflittchen. Ich glaube, er hätte mir auch so ganz gut gefallen, wenn auch nicht so sehr wie du…" Langsam senkte er den Kopf und biss zärtlich in die Haut zwischen Rods Schulterblättern, um ihn von weiteren Fragen abzuhalten.
 

Rodrego Fernale

Die geschickten Hände des anderen, die seine verhärteten Schultern und den angespannten Rücken massierten, ließen Rodrego schnurren. Nach dem kurzen, aber angenehmen Bad war das jetzt wie eine Art Höhepunkt der Entspannung. Hin und wieder knurrte er jedoch auch, wenn Dominico eine Stelle erwischte, die recht schmerzhaft war, oder zu fest massierte. Das Öl, das der andere verwendete, und das er vom Geruch her Dominico zuordnete, fühlte sich sehr angenehm an. Alles in allem war diese Situation Balsam für seinen Körper und Balsam für seine Seele. Und besonders die Massage zwischen seinen Schulterblättern sorgte dafür, dass er mehr haben wollte, mehr Zärtlichkeiten, mehr Nähe, mehr Dominico und vor allem Sex.

Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als er zunächst die recht ausflüchtigen Worte hörte. Also war der Kerl jemand, der Dominico eigentlich gut gefallen hätte. Er lauschte den Worten des anderen und es fiel ihm in keinster Weise schwer, zwischen den Zeilen zu lesen. Nun, zumindest gab Dominico zuletzt ja auch zu, dass jener Mann ihm wirklich gefallen hätte. "So, so, ein Schausteller...", sagte er mit einem Grinsen in der Stimme. Doch mehr konnte er nicht sagen, denn in diesem Moment biss ihn Dominico sacht. "Au", entgegnete er nicht wirklich verärgert, bebte doch sein Körper unter dieser Berührung und die Nackenhaare stellten sich leicht auf, als er den Atem des anderen eben genau dort spürte. Sie sollten aufhören zu reden, und Dominicos Geste sagte ihm, dass jener genau dasselbe dachte. Und so drehte er sich unter dem anderen, ergriff ihn an den Handgelenkten und drehte sich mit ihm, so dass er nun auf dem anderen zu liegen kam. Seine Augen suchten die des anderen und sahen diesen mit einer Mischung aus Leidenschaft, Spieltrieb und Wärme an. "Noch bin ich nicht eifersüchtig, aber ich bin mir sicher, dass der Kerl dich so bald nicht in Ruhe lässt...", wisperte er und küsste den anderen, erst zärtlich, schnell aber leidenschaftlicher, verspielter, bevor er noch einmal den Kuss unterbrach. "Aber es gefällt mir, dass er sich nicht hat kaufen lassen. Er hatte schließlich auch ein wenig Recht mit seinem Misstrauen..." Genau wie er es nicht wollte, dass sein Freund Besitzansprüche auf ihn gelten machte, genauso wenig erhob er solche auf Dominico. Sie waren Freunde, die manchmal auch ihr Bett teilen, wenn sie einander brauchten. Deswegen würde er niemals dem anderen Glück verwehren, oder eifersüchtig sein, wenn er sein Bett mit einer Hure teilte.

Rodregos Küsse versiegelten erneut den Mund des anderen, bevor er seine Lippen den Hals des anderen hinunterwandern ließ, seine Lenden an denen des anderen leicht reibend. Als seine Lippen am Schlüsselbein angekommen waren, verweilten sie dort ein wenig, küssend, knabbernd, den anderen neckend, bevor er seine Reise auf Dominicos Körper fortsetzte und sich in größere Tiefen begab. Jeden Millimeter hatte er schon gekostet, jeden Millimeter kannte er, jede Narbe, jede Kontur. Und er liebte diesen Körper.

Seine Hände hatten mittlerweile die Handgelenkte des anderen losgelassen, strichen nun die Seiten des anderen hinab und während seine Lippen am Bauch des anderen die Haut mit Küssen bedeckte, wanderte eine Hand hinab, das Glied des anderen ergreifend, um es in seiner Erregung zu verstärken. In pumpenden Bewegungen trieb er Dominico in seinem Verlangen voran, wanderte schließlich weiter hinab mit seinen Lippen und machte sich nun daran, dem anderen mit seinem Mund alles vergessen zu lassen, was an diesem Abend passiert war, was ihn belastete oder beschäftigte. Jetzt waren nur sie beide, ihre Nähe und Sex wichtig, nichts anderes...
 

Dominico Sforza

"Hatte er nicht!" Die Worte verloren mit jeder Sekunde mehr an Kraft, die Rodrego sich über seinen Körper hermachte. Eigentlich hatte ja Nico derjenige sein wollen, der Rod verwöhnte, einfach ein wenig, weil er ihn mehr oder weniger überredet hatte, mit zu kommen und ihn dann auch noch auf eine mehr oder weniger unfeine Weise vorgeführt hatte. Doch Rod schien zu merken, wie abwesend er war, und ehe er sich‘s versah waren sie nicht nur nackt, sondern auch vertieft darin, einander zu berühren, zu küssen und zu liebkosen. Nicos Gedanken flossen davon wie frischer warmer Honig und er kostete sich selbst von Rods Lippen, ehe sie in einander verschlungen ihrer Lust nachgaben und für Nico vorerst keine Rolle mehr spielte, was an diesem Tag geschehen war. Der nächste Morgen käme definitiv zu schnell.
 

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Rodrego Fernale

Tief atmete er den Geruch des anderen ein, der für ihn fast identisch war mit purem Wohlbehagen. Erschöpft war er, aber auch unheimlich entspannt. Dominicos Arme um seinen Körper, den anderen ebenso haltend, schloss er die Augen und mit einem Gefühl von tiefer, inneren Zufriedenheit schlief er bald schon ein.

Ostern in Cambridge – Erkaltetes aufwärmen

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ostern in Cambridge – Rebellion oder Verlangen

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ostern in Cambridge - Ars longa, vita brevis

Kieran

Auf dem Weg zur Bibliothek merkte er recht bald, dass er sich nach dem eben Vorgefallenen ohnehin nicht wirklich würde auf das konzentrieren können, was ihm die Bücher preisgaben. Ihn ärgerte sein eigenes Verhalten, aber auch die Reaktion des anderen. Er mochte sich vielleicht in der Absicht des anderen geirrt haben, aber irgendetwas in ihm schrie - die Alarmglocken schrillten. Und bisher war er auch immer gut darin gefahren, auf seine Intuition zu hören. Er wusste, dass er manchmal etwas zu misstrauisch, zu abweisend war, keine Frage, aber an diesem Sforza hatte ihn irgendwas gestört, was auch immer es war. Er hoffte nur, dass sie jetzt nicht ganz die Lizenz für ihre Auftritte verloren. Schließlich ging der Markt hier noch eine Weile, auch wenn es genügend andere Ostermärkte in der Umgebung gab, so war Cambridge doch noch immer der größte.

Er lenkte sein Pferd in Richtung Marktplatz, wo er hoffte, seinen Vater noch sehen zu können, um ihn vorzuwarnen, doch seine Leute waren schon weg und feierten wahrscheinlich an ihrem Lagerplatz mit anderen Schaustellern. Es war bereits recht spät geworden und die größeren Auftritte waren zeitlich begrenzt. Dennoch war der Marktplatz voll mit Menschen, die noch feierten. In den letzten Tagen der Stille in der Fastenzeit waren jegliche Veranstaltungen verboten gewesen und auch die Sperrstunde war deutlich früher gewesen. Und nun freuten sich die Leute, dass das angesichts des Osterfestes, dem Ende der Fastenzeit, aufgehoben war.

Und so waren die Schankhäuer und Tavernen voll mit Menschen, die es endlich wieder öffentlich genossen, trinken zu können. Und es waren einige Kleinkünstler noch da, so auch ein Zeichner, ein Künstler, der mitten am Brunnen saß, wo es am hellsten war, weil Fackeln dem Künstler ausreichend Licht spendeten. Kieran glaubte, das Gesicht des Malers schon ein paar Mal gesehen zu haben. Jener war, wenn Kieran sich recht entsann, viel unterwegs und daher auch öfters ähnlich wie sie selbst auf Festen, aber vielleicht täuschte er sich auch. Kieran schwang das rechte Bein über den Hals seines Pferdes und ließ sich vom Rücken seiner Stute gleiten. Dann band er sie an. Sacht strich er ihr über den Hals, während er den Maler beobachtete, wie dieser völlig konzentriert ein junges Paar zeichnete, das offensichtlich die erste wilde Zeit der Verliebtheit noch nicht überwunden hatte und dem es sichtlich schwerfiel, die Hände voneinander zu lassen. Eigentlich war ihm der Maler nur deshalb aufgefallen, weil er so gar nicht hierher zu passen schien. Nun... schon... aber er wirkte so versunken in seine Arbeit, dass es schien, als sei er nur physisch anwesend. Kieran musste lächeln. Er mochte es, wenn Menschen ihrer Arbeit aus Leidenschaft nachgingen.

Neugierig geworden, ob dieser Künstler wirklich so gut war, wie er wirkte, trat er an die Szene heran und gesellte sich zu einigen anderen Schaulustigen, die dem Künstler zusahen, vielleicht selbst auch gezeichnet werden wollten. Kieran musterte das Gesicht des Mannes. Er war wohl etwas älter als er selbst, auch wenn man andersherum wahrscheinlich sagen würde, dass der Künstler deutlich älter als er selbst wirkte. Aber das lag an Kieran, nicht an jenem Mann. Die Augen schienen von einem hellen Blau, vielleicht auch Grün zu sein und in ihnen lag ein Ausdruck absoluter Ruhe. Bewundernswert, wie Kieran fand, dem es schwer viel, wirklich immer so gelassen zu sein, wie er auf andere wirkte.

Kierans Blick fiel auf die Zeichnungen, die am Brunnengitter aufgehängt worden waren, um dem Publikum etwas vom Können des Künstlers zu zeigen. Er schlängelte sich durch die Menschen, um näher heranzutreten und die Bilder zu betrachten. Zunächst wirkten sie auf ihn wie viele Bilder der heutigen Zeit, in der die Dinge schön und hübsch dargestellt wurden, doch in einem Bild merkte er einen Unterschied zur herkömmlichen Darstellung der Gegenwart. Mitten in der Idylle der Landschaft sah man den Kadaver eines Tieres, wohl eines Hundes liegen. Kieran musste schmunzeln. Viele würden das sicher als missglückt betrachten. Er würde sagen, dass es das schönste Bild war, denn es zeigte, wie die Welt wirklich war. Und was gab es schöneres als die Welt in seiner Natürlichkeit.
 

Jonathan

Die Festtage, besonders aber auch das Osterfest, waren etwas ganz Besonderes für Jonathan. Nicht etwa, weil er besonders gottesfürchtig gewesen wäre oder das Gesöff und die Spielereien an sich mochte. Nein. An solchen Tagen waren die Plätze überfüllt mit Menschen. Menschen in Kostümen, Menschen in allen erdenklichen Zuständen und Menschen, die gerne für die eine oder andere Zeichnung ein paar Münzen springen ließen.

Und so hatte er auch diesmal die Chance genutzt, seinem Repertoire ein paar weitere wundervolle und neue Motive hinzuzufügen und sich in die Mitte des Marktplatzes, an den Brunnen gesetzt. Es hatte nicht lange gedauert, bis er einige seiner Bilder als Schaustücke an das Gitter gepinnt hatte und Menschenskizzen in sein Skizzenbuch übertrug. Er war nicht der Typ, der lauthals herumschrie und die Aufmerksamkeit auf sich zog. Früher oder später kamen die Menschen von ganz alleine. Allein die Bilder am Brunnen würden sie anziehen. Es waren zwar auch einfache Skizzen und Zeichnungen dabei, doch die meisten waren in Farbe. Die meisten zeigten Landschaften und edle, sowie einfache Damen und Herren. Sie sahen realistisch, doch der Zeit angepasst und idealisiert aus. Dennoch hatte er zwei oder drei Bilder dazwischen, die die Menschen auch so zeigten, wie sie waren. Eine große, beleibte Dame mit beflecktem Kleid, schnapsroter Nase und einem großen, gefüllten Glas in der Hand. Ihr Gesicht war aufgedunsen und vom Alkohol zu einem schiefen Grinsen verzerrt. Dann ein alter Mann. Ein Kriegskrüppel, der sich mit fehlenden Beinen auf zwei hölzerne Krücken stützte und erschöpft an einem Stein lehnte. Seine Kleidung war zerrissen, sein Körper ausgemergelt und die vorbeigehenden Menschen würdigten ihn nicht eines Blickes. Ein weiteres zeigte eine wunderschöne Waldlichtung. Doch in ihrer Mitte lag der Kadaver eines Tieres. Es war ein Hirsch. Nah daneben ein Vogel und etwas weiter ein Hase. Doch sah man ganz genau hin, konnte man am Rand, in der Dunkelheit des angrenzenden Waldes, einen Mann, eine Frau und ein Kind sehen. Abgemagert und mit eingefallenen Gesichtern, die die Wurzeln aus dem trockenen Boden scharrten. Denn ihnen stand dieses Fleisch nicht zu. Ob es nun gebraucht wurde oder nicht. Alle diese Gestalten blickten den Betrachter direkt an und klagten ihn wortlos und doch allzu deutlich an. Dies waren die Bilder, die Jonathan berührten, die er nur allzu gerne den ganzen Tag schaffen würde. Sie waren provokant, ungewohnt und hin und wieder auch schon gefährlich gewesen. Zwar war er nur mit Mühe und Not immer wieder davongekommen, aber er wusste, dass er eher zu atmen aufhören würde, als diese Motive zu malen. Doch damit konnte man schlichtweg kein Geld verdienen. Niemand wollte so etwas sehen und so standen die feinen, wohl geformten Damen im Vordergrund und die Herren, mit ihren imposanten Haltungen, neben Bildnissen von Götterszenen und der Venus, die ihre wehenden Haare vor ihre unbehaarte Scham zog.

Und tatsächlich. Gegen Abend, als Jonathan genug Skizzen gemacht hatte, um ein Dutzend neuer Werke zu schaffen, kamen die ersten zu ihm und nahmen Haltung an, um sich verewigen zu lassen. Für das einfache Volk hatte Jonathan besondere Preise, um auch ihnen diese Gunst und Freude zu ermöglichen, doch so war er leider zwangsläufig nur umso mehr auf die Aristokratie angewiesen. Stunden hatte er schon damit verbracht, erheiterte Menschen zu malen, als es langsam dunkel wurde. Doch Jonathan hatte sich ganz bewusst diesen Platz ausgesucht, wo es für ihn die besten Lichtverhältnisse gab.

Gerade saß ein junges Paar vor ihm, welches scheinbar noch auf Wolke 7 flog und Jonathan erfreute sich daran, ihre verliebten, unschuldigen Gesichter zu zeichnen. Sie lebten, wie in einer eigenen Welt und berührten sich ständig, doch Jonathan war ein geübter Zeichner und störte sich nicht sehr an den kleinen Bewegungen. Die Menge hinter ihm war mit der Zeit auch größer geworden und der Alkohol und das Feiern machte sie unbeherrscht und laut. Vielleicht war es besser, bald aufzubrechen, bevor irgendjemand randalierte und noch eines seiner Werke beschädigte. Die Dunkelheit schien die Menschen nur noch ungestümer zu machen. Geschickt zog er die letzte Linie und reichte dem Pärchen die Zeichnung, welches daraufhin kichernd davonging. Etwas zögerlich wandte Jonathan sich zu den Menschen um und überlegte, ob er es riskieren sollte, noch jemanden zu zeichnen oder ob er lieber packen sollte, als sein Blick auf einen jungen Mann in der Menge fiel. Jonathan erkannte ihn. Er war einer der Darsteller gewesen. Einer der Feuerkünstler. Jonathan hatte einige Skizzen von ihm angefertigt. Den starken Kontrast von Licht und Schatten auf seinem muskulösen Körper festgehalten. Und nun betrachtete er seine Bilder. Jonathan taxierte seinen Gesichtsausdruck. Er konnte keine Abneigung, keinen Unwillen in seinem Gesicht erkennen. Der Künstler erhob sich und deutete auf den Jungen. „Du da! Feuertänzer!“ sagte er laut und die Menge blickte verwundert um sich und teilte sich schließlich, als sie erkannten, wen er wohl meinte. Langsam trat Jonathan näher. Betrachtete den jungen Mann. Er wirkte jünger als er selbst, aber das spielte keine Rolle. Er trug nun nicht mehr seinen Lederschutz, wie zuvor bei der Show. Ungeniert, doch ohne jeglichen, sexuellen Hintergedanken, streckte er die Hände aus und fuhr über die Seiten des Mannes. Fühlte seine Muskeln an Bauch und Brust, unter dem Stoff. Ließ seine Hände über dessen Schultern, die Arme hinab gleiten. Er wirkte konzentriert, fasziniert. Als würde er fühlen wollen, aus welchem Material der Junge gemacht worden sei. „Ich habe dich gesehen.“ Sagte Jonathan leise und ließ die Arme sinken, während er in seinem Skizzenbuch blätterte. „Du hast eine wunderschöne Koordination. Würdest du mir einen Gefallen tun?“ nun endlich blickte er auf und hielt dem Fremden seine Skizzen von dem jungen Mann unter die Nase. „Würdest du mir erlauben, meine Skizzen zu vervollständigen? Von hier hat man einen miserablen Blick auf die Bühne und ich konnte nicht sehen, was ich sehen wollte.“ Erklärte er etwas verspätet und begann nun, die Gesichtszüge seines Gegenübers zu mustern, als würde er die Verästelungen eines Blattes zu ergründen suchen. „Du darfst dir eins meiner Bilder aussuchen oder ich bezahle dich in angemessenem Wert dafür.“ Fügte er noch hinzu und kam gar nicht auf die Idee, dass ein Mann in einem Zelt vielleicht nicht sonderlich viel mit Kunst anfangen konnte. Doch für ihn war es schier unvorstellbar, jemand könnte nicht den Zauber der Erschaffung einer eigenen Welt spüren.
 

Kieran

Kierans Augen verengten sich kurz, als er bemerkte, dass im Hintergrund, dort, wo es von der Lichtung in den Wald ging und das Licht weniger wurde, wo man sich auch am Tage gut verstecken konnte, dass dort noch Menschen hingezeichnet waren, arme Menschen, hungrige Menschen, Menschen, denen das Fleisch des Tieres - mittlerweile glaubte Kieran einen Hirsch erkennen zu können - wie ein Schatz vorkommen musste. Ein Schatz, der aber rotz der Nähe unerreichbar war. Fast meinte Kieran in dieser Szenerie zu stehen, die Jagdhörner des Grafen zu hören, dessen Meute dem verendenden Tier hinterher gehetzt war und bald das Sterbebett des Tieres erreichen würde. Und während diese armen Leute abends Steine kochten, um die Kinder zu beruhigen, dass es noch etwas zu essen geben würde, damit die Kinder über das Warten einschliefen, würden diese reichen Schnösel, die aus Spaß an der Freude töteten, wahrscheinlich so viel aufgetischt bekommen, dass sie genug hatten, um ihren Hunden auch noch etwas hinzuwerfen... Kieran schauderte innerlich und dachte an das versprochene Essen des jungen Sforza, der vielleicht wirklich keine böse Absicht gehabt hatte, als er ihn einlud. Aber wenn er dieses Bild sah, so wusste er für sich, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.

Und dann erstarrte er wie vom Blitz getroffen, als jemand mit recht herrischem Unterton offenbar ihm etwas zurief. Erschrocken fuhr er herum. Wer hatte ihn da "Feuertänzer" genannt? Waren die Arme dieses Domenico Sforza wirklich so lange, dass er noch heute festgenommen werden würde, damit sie die Stadt verließen, ihr Lager abrissen? Kieran spürte erst jetzt, dass die Angst, wirklich ernsthafte Probleme wegen seines vielleicht etwas unhöflichen Verhaltens, doch größer war, als sie sich zunächst angefühlt hatte. Er wusste, wozu diese Menschen in der Lage waren. Und er wusste, wohin gekränkte Eitelkeit führen konnte, egal welchen Standes man war. Unruhig glitten seine Augen durch die Menge, die sich teilte und ihm schließlich den Blick auf denjenigen freilegte, der ihn angesprochen hatte.

Fast hätte er erleichtert aufgelacht, doch auf seine Lippen legte sich nur kurz ein Lächeln, als er sah, dass es jener Künstler mit diesen wasserblauen, ruhigen Augen, die ihn so sehr an sein Bad an diesem Morgen erinnerten, persönlich war, der ihn angesprochen hatte. Der Pulsschlag seines Herzens war noch immer deutlich erhöht, doch jetzt hob und senkte sich seine Brust zu einem Seufzen, das ihn sich wieder entspannen ließ.

Mittlerweile war der deutlich Größere an ihn herangetreten und sah ihn... hm... ja... irgendwie musternd an, so als habe er vor sich ein Stück Vieh, nein eher ein Pferd, an dem er Interesse hatte. Kieran erwiderte den Blick ruhig, aufmerksam und ein wenig irritiert. Was wollte er von ihm? Woher wusste er, was er tat? Hatte er ihn gesehen? Wahrscheinlich vorhin bei der Show. Aber dass er ihn wiedererkannt hatte? Noch bevor Kieran sich wirklich einen Reim auf die Geschehnisse machen konnte, spürte er mit einem Mal die forschenden Hände des anderen auf seinem Oberkörper, prüfende Finger, die sich daranmachten, die Konturen seines trainierten Oberkörpers nachzufahren, musternd, das spürte Kieran, nicht aufreizend, wie es vielleicht für den ein oder anderen aussehen mochte, der danebenstand und kicherte. Der Blick des Künstlers sagte ihm, dass er es nicht anzüglich meinte. Und wenn man ehrlich war: Wer würde es wagen in aller Öffentlichkeit seine homosexuelle Neigung so aufreizend zu zeigen? Kieran dachte eigentlich keine Sekunde daran, dass jener Mann ihn deswegen anfasste. Es lag vielmehr eine Faszination in dem Blick des Mannes. Nur, wovon war der Mann fasziniert? Von ihm? Seinem Körper? Kieran konnte das kaum glauben.

Kieran warf einer jungen Frau, die eine eindeutig zweideutige Bemerkung ihrer Begleitung zuflüsterte", einen mahnenden Blick zu und entzog sich dann wieder den Fingern des anderen, indem er einen Schritt zurücktrat, nicht widerwillig oder feindselig, sondern einfach, weil er es eigentlich gar nicht leiden konnte, wenn ihn jemand antatschte. Und um beim Vergleich mit dem Stück Vieh zu bleiben... Ein Pferd wurde am Markt auch so angefasst, geprüft, ob die Muskulatur des Rückens passte, die Kruppe breit genug für eine Kutsche war, die Fesseln schlank, der Hals in sanfter Rundung... Aber er war nicht zu kaufen...

Als der Künstler sagte, er habe ihn gesehen, wurde ihm klar, dass es jenem um die Show gehen musste. Waren seine Familie und er Inspiration gewesen? Kieran fand den Gedanken gut und blickte auf die Hände des Zeichners, der sich nicht daran gestört hatte, dass er sich seinen Händen entzogen hatte, sondern nun in einem Buch blätterte, das von Zeichnungen aller Art nur so strotzte. Kieran war noch immer ein wenig verwirrt, was jener Mann von ihm wollte und wartete geduldig, bis jener aufblickte und ihm erklärte, dass er eine tolle Koordination habe und er ihn um einen Gefallen bat. Überrascht sah er in die Augen des anderen, bis sein Blick von der Skizze abgelenkt wurde, die ihm unter die Nase gehalten wurde. Und war er vorhin überrascht, so war er es jetzt umso mehr. Wie konnte jemand mit so wenigen Strichen, so feinen Linien, mit so feinen, schier hingehauchten Linien jemanden in so kurzer Zeit so perfekt einfangen? Es war schon fast gruselig, wie so etwas möglich war. Kieran betrachtete das Bild von sich, das sichtbar noch nicht fertig zu sein schien, und doch so vollkommen schien. So hatte er sich selbst noch nie gesehen. Wie auch? Er konnte ja schlecht während der Show aus seiner Haut und sich selbst beobachten...

Kieran legte einen Moment den Kopf schief und bekam gar nicht recht mit, was der Künstler nun weitersprach. "Ich glaube, du hast meine Schultern breiter gezeichnet, als sie wirklich sind", sagte er schließlich und überlegte, ob es überhaupt angebracht war, Kritik zu üben. Erst jetzt blickte er den anderen wieder an und ein vielleicht etwas verlegenes Lächeln legte sich auf seine Lippen, als er den musternden Blick des anderen sah. Es war gar nicht so einfach, jemanden anzusehen, der ihn SO begutachtete... Mittlerweile war auch das, was sein Gegenüber zu ihm gesagt hatte, bei ihm angekommen. "Ich weiß nicht, ob die die Bewegung wieder so hinbekomme..." Er deutete auf die Skizze. "Was müsste ich tun? Und wo? Hier?" Ihn faszinierte es, in einem Moment gefangen genommen worden zu sein, wo er ganz in seinem Element gewesen war. Und ihn faszinierte es, dass es dem anderen gelungen war, das einzufangen. Warum also nicht diesem Künstler helfen, das zu vollenden? Und warum wollte er ihn dafür bezahlen? Wenn man "verewigt" wurde, obwohl man doch nicht einmal jemand von Stand war, war doch eigentlich Preis genug. „Ars longa, vita brevis“, wie man zu sagen pflegte – zumindest, wenn man Latein konnte, oder zumindest in der Sonntagsschule ein wenig aufgepasst hatte. "Und ich mache das auch umsonst", fügte er daher zwinkernd hinzu. Auch wenn die Bilder des Künstlers, die er sich nur zu gerne noch genauer angesehen hätte, wirklich toll waren.
 

Jonathan

Interessant zu sehen, wie der junge Mann zurückwich. Scheinbar war er es nicht gewohnt, so berührt zu werden. Die Unschuld war sein liebstes Motiv. Verderbtheit, Lust, Gier und Sucht konnte man an jeder Straßenecke einfangen, doch dieser junge Mann hier schien noch vollends unberührt. Er war frei von schlechten Gedanken und doch nicht naiv, stumpf oder dumm. "Ja..." murmelte er leise und konnte sich gar nicht sattsehen an dem fremden Körper. Seine Hände konnten es kaum erwarten, ihn in rechtes Licht zu rücken, ihn ohne diese lästige Kleidung zu sehen, die das Spiel der Muskeln verschleierte und die Formen des menschlichen Körpers deformierten.

Auch Jonathan hatte das ein oder andere Tuscheln vernommen. Seine Bewunderer kannten seine Art, an die Dinge heranzugehen, mit den Händen zu sehen. Doch für Neue war es immer wieder ungewohnt. Den Künstler interessierte das allerdings wenig. Würde die Stadtwache die Sammlung seiner ganz privaten Bilder finden, hätte er durchaus größere Probleme am Hals, als nur ein wenig Belästigung. Bei dem Kommentar des jungen Mannes, huschten seine Augen zu denen des anderen. "Es ist schwer, die Ausdehnung der Muskeln zu erfassen, wenn das Motiv in dauerhafter Bewegung ist, aber einen guten Beobachter weiß ich immer zu schätzen." sagte er sanft und streckte seine Hand so plötzlich aus, dass der andere nicht zurückweichen konnte. Wie ein Blinder fuhr er mit den Fingern über das fremde Gesicht. Über die gerade Nase, die dunklen Brauen, die weichen Lippen. Schließlich wandte er sich abrupt um und begann, seine Sachen einzusammeln. In großen Menschenmengen durfte man seine Sachen nie zu lange unbeobachtet lassen. Vor allem nicht, wenn jemand auf die Idee kommen könnte, damit Geld zu verdienen.

Die Worte des Mannes waren wie Musik in seinen Ohren. Es war selten, dass sich jemand so unbedarft fügte und nicht einmal Geld dafür verlangte. "Diese Unschuld..." sagte er leise und seine Locken hüpften leicht, als er kaum merklich den Kopf schüttelte. Manchmal hatte er das Gefühl, der einzige wirkliche Kunstliebhaber dieser lasterhaften Stadt zu sein.

Endlich hatte er seine Tasche gepackt und zog den Jungen etwas aus der gaffenden Menge, die sich allerdings allmählich wieder auflöste. "Ich bin Jonathan William Hodgson, falls das für dich eine Rolle spielt. Vielleicht solltest du mir auch deinen Namen nennen, sonst bleibe ich auch gerne bei 'Feuertänzer'." sagte er mit dem Hauch eines Lächelns auf seinen Lippen und musste sich beim Anblick seiner Errungenschaft, seine Hände bei sich zu behalten. "Wenn du dich so bereitwillig zur Verfügung stellst, würde ich dich bitten, mir zu folgen. Ich habe ein Atelier in der Nähe. Dort ist das Licht besser. Außer natürlich, du würdest mir deine Künste noch einmal vorführen wollen, doch ich wüsste nicht wo, bei dem Gedränge hier und ich würde es ungern des Nachts allein auf freiem Feld machen. Man weiß nie, wer zu dieser Uhrzeit dort unterwegs ist. Ich fürchte, ich bin kein allzu tauglicher Beschützer." bekannte er und fuhr sich durch die dunklen Haare. Die irdischen Bedingungen machten es ihm wirklich manchmal schwer, seine Leidenschaft zu stillen.
 

Kieran

Kieran war erleichtert, dass seine Kritik, die er ohne recht zu überlegen angebracht hatte, nicht für Unmut bei dem Künstler sorgte. Er lächelte erfreut, über das indirekte Kompliment, ein guter Beobachter zu sein, als er schon wieder die Hände des anderen an seinem Körper spürte, diesmal mitten im Gesicht, das jener ertastete, wie es alte Mütterlein taten, die mit ihren Augen kein Tageslicht mehr einfangen konnten. Kieran erstarrte und spürte nun in sich einen gewissen Unmut aufsteigen, doch er hielt still, während sanfte Finger über seine Gesichtszüge, seine Brauen, seinen Mund strichen. Die Finger des anderen zeugten davon, dass jener noch nie „harter“ Arbeit nachgegangen war, zumindest waren die Hände feiner, länger, unversehrter als die eines Handwerkers oder Bauern. Die erste Überraschung überwunden habend spürte Kieran, wie sich seine Nackenhaare aufstellten, wie bei einer Katze, die den Buckel streckte und zu fauchen begann. In seinen Augen sah man ein gewisses widerwilliges Funkeln aufsteigenden Zorns. Doch noch ehe er sich gegen die erneute „Anfasserei“ zur Wehr setzen konnte, war sie auch schon wieder beendet und sein Gegenüber hatte sich von ihm abgewandt. Kieran drehte den Kopf, so dass die Nackenwirbel knacksten, um seinen Unmut zu vertreiben. Offenbar war das so ein Künstler-Tick… Offenbar musste dieser Mensch die Dinge nicht nur ansehen, sondern auch antatschen…

Kieran beobachtete ihn, wie jener seine Sachen zusammenpackte und wusste gerade nicht, ob er da nicht doch ein wenig voreilig gewesen war, was das kostenlose Modeln betraf. Nicht, wegen des Geldes, das war ihm egal, eher, weil er jetzt Bedenken hatte, ob der Typ ihn nicht noch mehr antatschen wollen würde. Doch jetzt gab es erst einmal kein Zurück. Er ließ sich von dem Zeichner mitziehen und war froh, wenigstens der kichernden Menge entkommen zu sein, als jener sich vorstellte. „Jonathan“, wiederholte er den Namen des anderen leise, fasziniert von der Melodie, die dem Namen beiwohnte. „Mein eigentlicher Name ist Kieran“, stellte er sich nun vor. „Aber Feuertänzer finde ich auch nicht schlecht.“ Er grinste leicht. Sein Element war nun einmal das Feuer, da war Feuertänzer eigentlich ein Kompliment.

Er sollte ihm in ein Atelier folgen? Kieran sah den anderen kurz ein wenig skeptisch an. „Nein, ich glaube nicht, dass es eine gute Idee wäre, wenn ich hier nochmal etwas aufführen würde“, sagte er, nicht, wegen der Gründe, die Jonathan überlegt hatte, sondern weil er nicht wusste, ob er heute noch einmal auffallen sollte. Wer weiß, was die Stadtwache schon in die Wege geleitet hatte.

„Und nur, wenn du deine Finger bei dir lassen kannst…“, fügte er prompt hinzu, den ersten Gedanken aussprechend, den er bei dem Vorschlag ins Atelier zu gehen gehabt hatte. „Ich kann es nicht leiden, angetatscht zu werden“, fügte er erklärend hinzu und merkte, dass der Unmut doch noch nicht ganz weg war. „Und ich muss schnell noch mein Pferd holen“, sagte er und leistete seinen Worten gleich Folge, davon ausgehend, dass der Maler kurz warten würde. Als er wieder zu ihm aufschloss setzte sich auch der Künstler in Bewegung, um ihm den Weg zu zeigen. „Ich habe auch nicht allzu viel Zeit. Wenn die die Sperrstunde beginnt, und alle nach Hause geschickt werden, werden auch die Stadttore geschlossen und unseresgleichen ist es nicht gestattet in der Nacht in der Stadt zu verweilen.“ Es war sogar recht gefährlich, wenn man in der Stadt erwischt wurde, denn hohe Geldstrafen waren vergleichsweise noch harmlos. Sie würden dennoch zwei Stunden haben, bevor es soweit war und Kieran war sich sicher, dass das vollkommend ausreichend war. So lange konnte es doch nicht dauern, ein paar Striche zu Papier zu bringen…
 

Jonathan

So, so Kieran hieß der junge Mann also. Jonathan war sich nicht sicher, ob er fand, dass dies der passende Name für einen Künstler war, doch er hätte sich sicherlich auch nicht Jonathan genannt, wenn er die Wahl gehabt hätte. Einem Künstler einen so weltlichen Namen zu geben, war, als würde man versuchen, zu beschreiben, wie eine Tomate schmeckte. Einen Künstlernamen fand er allerdings albern und sich etwas dergleichen selbst zu geben, schien für ihn höchstens anmaßend, nicht angemessen.

Und nun protestierte der junge Mann, Kieran, auch noch gegen seine Berührungen. Nun gut. Seine Brauen hatten sich etwas verdrießlich zusammengezogen, doch man konnte nicht von jedem Menschen Verständnis erwarten und ohnehin hatte dieser ja schon zugesagt, sich von ihm zeichnen zu lassen. Seine Augen würden genügen. Ohne diesen lästigen Stoff am Leib, würde er endlich die Muskeln sehen. Jede Pore der sonnengebräunten Haut. Jede noch so kleine Narbe, von denen jede eine kleine oder weniger kleine Geschichte erzählte. "Nun gut, dann lass uns keine weitere Zeit verschwenden. Und falls du doch die Zeit vergessen solltest, habe ich eine weitere Strohmatratze, die ich dir zur Not bieten kann. Immerhin stehst du schon kostenfrei", entgegnete er leicht abwesend wirkend, während er nicht Kieran ansah, sondern in weite Ferne zu blicken schien. Und endlich hatte der Junge auch sein Pferd geholt und folgte ihm durch das Gedränge.

Jonathan wohnte in einer winzigen, schäbigen Wohnung im oberen Stockwerk eines alt aussehenden Hauses. Als Künstler hatte er nicht den Erfolg gepachtet und abgesehen davon, war er nicht an reich ausgestatteten Häusern interessiert. Er brauchte etwas, dass ihn inspirierte und in dieser Straße befand sich keine Taverne, kein Gasthaus, welches Lärm verursachen könnte, doch man hörte schwach die Geräusche des Marktplatzes, wenn man die Fenster öffnete und die Musik, die die Musikanten zum Besten gaben. "Bindet euer Tier hier an. Ihr könnt es von oben sehen. Mehr kann ich euch leider nicht für es anbieten." sagte er leise, als sie die Haustüre erreicht hatten. Die Tür knarrte, als wolle sie den Hausherrn willkommen heißen und Jonathan trat in den dunklen Flur. Der Boden knarzte ebenfalls zum Gruße bei jedem Schritt und der Künstler nahm eine Öllampe von einem Regal an der Wand und entzündete sie. "Folgt mir. Oben wird es heller", kündigte er an und ging die Treppe empor. Das Licht hüpfte an der kahlen Wand entlang, bis sie einen kleinen, schäbigen Raum erreichten. Ein Kamin mit einem Kessel befand sich an der einen Wand, während in der Mitte ein kleiner runder Holztisch mit nur drei Beinen stand, um den zwei wacklige Stühle standen. Der Raum wirkte regelrecht kahl und abgesehen von einer kleinen, löchrigen Kommode und einer langen Strohmatratze, befand sich auch nicht viel mehr darin. Sah man allerdings genauer hin, konnte man in dem Dämmerlicht Rußspuren an den Wänden erkennen. "Stolpert nicht. Manchmal lasse ich die Dinge einfach liegen", sagte Jonathan leise, als wolle er das Haus nicht wecken und ging quer durch den Raum. Das Licht erhellte tänzelnd die Wände und nun konnte man Formen, ja Figuren an den Wänden ausmachen. Mit Ruß und Schmutz waren Wälder, Tiere, Menschen und Schlösser an die Wand gemalt worden. Wolken stoben über einen bröckeligen Himmel, während am Rand der Fußleiste sich ein Meer erstreckte, aus dem die wunderlichsten Gestalten und Tiere auftauchten. Das Meer wurde von Inseln eingeschlossen, welche an Bäume grenzten, so groß, dass ihre Kronen bis in die Wolken reichten und eine Schaar Vögel im detaillierten Astwerk zu erkennen war. Doch im nächsten Moment hatte Jonathan schon den Raum durchquert und die Bilder wurden wieder zu dunklen Umrissen an einer verdreckten Wand.

Endlich öffnete er die Tür am Ende des Raums. Diesmal mit einem kleinen Schlüssel, den er aus seiner ledernen Tasche gezogen hatte. Leise und geölt schwang die Tür in den Angeln und mit einem Mal flutete rötliches Licht den Raum und gab ein weiteres Zimmer preis. "Bitte hier herein und willkommen in meinem kleinen Reich", fügte er stirnrunzelnd hinzu, als er den angrenzenden Raum rasch durchquerte und hinab auf die Straße blickte.

Die Fackeln auf den Straßen erhellten den Raum in diesem flackernden Licht. Jonathan öffnete die Fenster weit, sodass kühle Nachtluft hineinstrich. Dann ging er entlang der Wände des Raumes und entzündete ein Licht nach dem anderen. Sie befanden sich in gläsernen Kästen, doch in der hinteren Mitte, stand ein großer Kerzenleuchter neben einer ebenso großen Staffelei aus dunklem Holz. Dieser Raum war ungefähr drei Mal so groß wie der vorige. Der Boden war mit Teppichen ausgelegt, die bunte Muster zierten. An den Wänden hingen Vorhänge in zahlreichen Farben und Mustern. In der Ecke zwischen Tür und Wand, gegenüber der Staffelei befand sich ein Paravent, auf den verzweigte Äste einer Baumkrone gezeichnet worden waren, die in allen vier Jahreszeiten, ineinander übergehend, schillerten. In der anderen Ecke stand ein Divan, der mit etlichen Kissen übersäht war und über dessen Liege eine flauschige Decke mit Silber und Gold bestickt lag. Doch diese Seite des Raumes, wirkte im Vergleich zu der gegenüberliegenden Seite geradezu leer, denn dort, hinter der Staffelei, standen drei massive Tische, die geradezu überladen waren. Nicht nur auf den Tischen, sondern auch darunter, dazwischen und wo auch immer sich Platz fand, waren Farben, Stifte, Pinsel, Papierbögen und unterschiedlichen Farben und Größen, sowie eine weitere kleine Staffelei, Holzplatten mit Spatwerkzeug, Steinblöcke - teils schon behauen, Teil völlig roh - und vieles mehr. Die Wände waren bedeckt mit Studien menschlicher Körper, - die meisten nackt - Gesichter, Stoffe, Materialien, in Farbe, Bleistift, Öl, Kreide, Kohle. Es war eine wahre Flut von Dingen, doch Jonathans Blick wurde weich, als er seine Schätze sah. Doch seine wirklichen Schätze befanden sich in den drei großen, schweren Truhen, die unter dem Fenster standen und mit Decken und Kissen bedeckt waren, als wären es Sitzflächen. Vielleicht, um diese wirklich zu schaffen, vielleicht aber auch, um ihren wahren Wert zu verschleiern. Jonathan zog die Vorhänge vor das Fenster und stellte seine Tasche auf einige Zentimeter freie Tischplatte. "Du kannst dich schon mal ausziehen." sagte er und neigte nur kurz den Blick, als er mit den Daumen auf den Paravent zeigte. Für ihn war es völlig klar gewesen, dass der Feuertänzer sich entkleidete. Wozu hätte er auch sonst zahlen wollen? Angezogen bekam er ihn auch auf dem Marktplatz zu sehen.

Ohne sich also weiter Gedanken zu machen, begann er leise, eine leicht melancholische Melodie zu singen, während er eine Leinwand auf die Staffelei spannte und sich sein Werkzeug und seine Farben zusammensuchte.
 

Kieran

Sie mussten gar nicht lange gehen, als Jonathan schon auf die Türe eines alten Hauses zusteuerte, da so aussah, als hätte der Eigentümer weder Zeit noch Kraft, es in Stand zu halten. Kieran blickte nach oben und einen Moment schien es, als reflektierten oben in Glasfenstern das Licht der Fackeln, aber vermutlich irrte er sich. Kieran band seine Stute an, lockerte den Sattelgurt und öffnete die Satteltasche, in der er stets etwas Hafer für sie aufbewahrte, und band ihr nun den Futterbeutel um, damit sie es in Ruhe fressen konnte. Sein Pferd versorgt wissend, betrat er nun hinter dem Künstler das dunkle und knarzende Haus, das im ersten Eindruck wenig einladend, eher ziemlich abweisend wirkte. Er nickte, auf die Worte des anderen hin, dass es oben heller werden würde und ging ihm hinterher die steile, und unerwartet lange Treppe hinauf. Irgendwie war ihm mulmig, irgendwie wusste er gar nicht so recht, worauf er sich hier eingelassen hatte. Aber er würde jederzeit hier rauskommen, sollte dieser Kerl auf dumme Ideen kommen. Jonathan war zwar deutlich größer als er, aber bestimmt nicht so wendig und schon gar nicht so trainiert wie er. Der Gedanke beruhigte ihn zumindest. Oben angekommen blickte sich Kieran mit unverhohlener Neugierde um. Hm, wenn er das hier so sah, musste er sagen, dass er komfortabler wohnte. Das Zimmer wirkte wirklich ärmlich und passte irgendwie zu dem Rest des Hauses. Verdiente der andere als Künstler so wenig? Oder war dem Mann materieller Reichtum einfach nicht so wichtig… Aber Kieran merkte, dass der Raum, trotz seiner Kargheit eine gewisse Wohlfühlatmosphäre ausstrahlte, die er im ersten Augenblick nicht erwartet hatte. Seine Augen wanderten durch den Raum und erst nach einigen Augenblicken nahm er wahr, was diese Atmosphäre schuf, es waren Zeichnungen, die fast märchenhaft die Wände zierten. Der Raum wirkte Dunkel, weil alle Wände vollgezeichnet waren, mit Figuren, Landschaften und Gegenständen, die wirklich an Märchen erinnerten. Doch viel Zeit zum Staunen blieb Kieran nicht, denn nun nestelte der Maler an einer Tür, die er selbst zuvor noch gar nicht gesehen hatte.

Kieran trat hinter den andren, als die Tür aufschwang und er mit einer einladenden Geste in das „Reich“ des anderen gebeten wurde. Er folgte der Einladung und betrat den Raum, den nun den Namen „Atelier“ tatsächlich verdient hatte. Hatte er sich gerade noch gefragt, was an dem Wohnraum heller sein sollte, als der Flur unten, wurde ihm nun bewusst, dass dieser Raum, besonders bei Tageslicht, wirklich hell war. Also hatten ihn seine Augen nicht getäuscht, als er die Reflexion an Fensterscheiben von unten gesehen hatte. Kieran pfiff anerkennend durch die Zähne, als er sich umsah und besonders die chaotischen Tische mit einem Schmunzeln auf den Lippen betrachtete. Das nannte man dann wohl „kreatives Chaos“. Insgesamt wirkte der Raum wohnlich, und trotz der vielen, größtenteils verschiedenen Muster, war er auch in sich sehr stimmig und geschmackvoll eingerichtet.

Die vielen Zeichnungen an den Wänden machten Kieran neugierig. Er betrachtete sie und stellte fest, dass der Künstler ganz offensichtlich großes Interesse an der menschlichen Anatomie hatte. Der Gute sollte mal die Lehrbücher der medizinischen Bibliothek aufpeppen. Damit ließe sich sicher eine Menge Geld verdienen, denn teilweise erinnerten die Zeichnungen darinnen eher den Kritzeleien von Kindern… Einige Zeichnungen zeigten auch Menschen in eben diesem Raum, meist nackte Menschen, die auf dem Divan lagen, auf einem Stuhl saßen oder in anderen Posen dem Künstler Model gestanden hatten. Kieran runzelte in böser Vorahnung die Stirn.

Er war noch gar nicht richtig in den Raum eingetreten, als Jonathan mit seiner „Fenster auf und Licht an“-Aktion fertig war und mit verklärtem Blick an seinen „Arbeitsplatz“ trat. Dieser Blick war Kieran vorhin schon aufgefallen. Der Künstler wirkte dann unglaublich weit weg und doch präsent, was Kieran mit interessierter Neugierde wahrnahm. Nun, jemand, der Momente so treffend einfangen konnte, wie Jonathan, musste wahrscheinlich einen ganz eigenen Blick auf die Welt haben…

Die kalte Nachtluft, die durch die Fenster hereinströmte, ließ Kieran einen Moment frösteln. Er hatte zuvor nur das Leinenhemd übergezogen, und gerade hatte er überlegt, was er nun wohl zu tun hatte, damit Jonathan seine Zeichnung von ihm fertigstellen konnte, als jener auch schon mit einer klaren Ansage kam. Kieran hob unwillkürlich die Augenbrauen. Er sollte … was? Missmutig verzog er den Mund. „Auf der Bühne war ich auch nicht nackt“, entgegnete er prompt. „Und ich werde mich auch nicht ausziehen.“ Die Bilder an der Wand waren also doch ein schlechtes Vorzeichen gewesen. Wollte er eben noch in den Raum ganz eintreten, so blieb er nun demonstrativ in der Tür stehen, die Hände in den Hosentaschen, und lehnte sich an den Türrahmen. „Ich bin davon ausgegangen, dass du die Skizze fertigstellen möchtest, warum sollte ich mich dazu entblößen?“ So wie Jonathan hier in seinem Element war, glaubte Kieran nicht, dass jener ihn belästigen wollte, nein dafür schien jener wirklich das Zeichnen von Menschen zu sehr zu lieben. Aber er fragte sich doch, was den Künstler hat glauben lassen, er würde sich für ihn ausziehen. Gehörte zu so etwas nicht ein wenig mehr Vertrauen? Kieran hatte nichts gegen Blöße, schließlich hatte er schon viele Menschen untersucht, viele Menschen, die krank gewesen waren, gepflegt, gewaschen, versorgt. Aber er selbst? Er hatte sich noch nie für jemanden einfach so ausgezogen, zumindest nicht, ohne dass sich der andere auch ausgezogen hätte… Und dann waren es Frauen gewesen, naja… ehrlich gesagt nur seine Frau…
 

Jonathan

„Ich glaube wir haben aneinander vorbeigesprochen, tut mir leid…“, sagte er und drehte sich um.

Als diese allzu keuschen Worte an Jonathans Ohren drangen, verfinsterte sich seine Miene nicht. Er wirkte auch nicht wütend. Seine Gesichtszüge schienen eher gar nichts mehr zu zeigen. Stocksteif verharrte er in seiner Pose und starrte aus dem Fenster, aus dem er nichts, als Vorhänge und Dunkelheit sehen konnte. Vielleicht noch etwas reflektierenden, flackernden Feuerschein. Einen Moment blieb es still. Dann sprach Jonathan plötzlich, ohne sich umzusehen. Seine Stimme war leise, doch da es nur die fernen Geräusche des Platzes heranwehte, war jedes Wort deutlich zu hören. "Als ihr getanzt hab, trugt ihr euer Lederhemd. Es passte sich euren Muskeln an. Doch auch dies hat einiges geschluckt. Nun tragt ihr ein Leinenhemd." Langsam wandte sich Jonathan um und musterte den fremden Mann. "Was glaubt ihr, was ich zeichnen will? Jedes Kind weiß, dass ein Mensch zwei Arme, zwei Beine und einen Kopf hat und ich habe genug Erfahrung, um Größe und Form der Dinge anzupassen. Auch meine Skizzen geben genug her, um eure Bewegungen, denen ihr beim Tanzen folgt, zu zeichnen. Was habt ihr gedacht, was ich zeichnen will? Eure Augen? Euren Mund? Euer Gesicht ist vielleicht eine Sache, doch hübsche Gesichter gibt es überall in der Stadt und sie sind leichter zu beschaffen, als ihr glaubt. Doch das, was ihr habt, ist ein Körper. Muskeln. Haut. Sehnen, die sich spannen, die sich bei jeder Bewegung dehnen und euren Körper in ein Schauspiel aus Licht und Schatten verwandeln."

Leise stieß Jonathan die Luft aus und schloss das Fenster. Nun, da der Raum wieder mit frischer Luft durchflutet war, begann es auch ihn zu frösteln. Mit einem forschenden Blick auf Kieran, ging er an diesem vorbei und machte sich an dem Kamin im kleineren Raum zu schaffen. Während er Holz aufeinanderschichtete, sprach er weiter, doch im ersten Moment war es leise, eher, als würde er zu sich selbst sprechen. "Wenn ich fallenden Stoff auf einem Gegenstand erfassen will, hänge ich mir ein Tuch über einen Stuhl, wenn ich eine Hand zeichnen will, nehme ich meine eigene oder sonst eine. Wenn ich Haare zeichnen will, wäre jede Maus bei diesem Kurzschnitt anspruchsvoller." murmelte er vor sich hin, bis mit einem Mal eine helle Flamme aufloderte und den Raum in warmes Licht tauchte.

Nun erst drehte Jonathan sich wieder um und blickte Kieran direkt in die Augen. Sein Blick wirkte zum ersten Mal wirklich fest. Als wolle er ihm seine Gedanken, seine Gefühle, allein durch seinen Blick einflößen und verständlich machen. "Lasst mich nicht mit meiner brennenden Sehnsucht zurück, Feuertänzer. Es ist mir gleich, wenn ihr eure Unterkleidung anbehaltet, doch enthaltet mir nicht euren Körper vor, wo ihr ihn mir schon in Aussicht gestellt habt. Auch mein Geldangebot steht immer noch. Ich verspreche euch, es hat nichts mit Nacktheit zu tun. Nichts mit Blöße. Es ist das, wie ihr seid, wie wir alle sind. Ihr seid kein nackter Mann für mich. Ihr seid ein Mensch. Ich werde euch nicht anders betrachten, als ich einen Hund, einen Baum oder den Himmel betrachte", sprach er und innerlich flehte alles in ihm, Kieran möge bloß nicht gehen. Er würde ihn nicht aufhalten. Wie und warum auch? Schließlich war der junge Mann ein freier Mensch solange er sich in seinem Haus befand, doch er wusste, er würde sich selbst so lange grämen bis er etwas Vergleichbares gefunden hatte und das konnte schon mal einige Tage, vielleicht auch Wochen dauerte, wenn er Pech hatte.
 

Kieran

Kieran hörte dem Maler aufmerksam zu. War der Drang gerade noch groß geworden, einfach zu gehen, so schaffte es Jonathan in der Art und Weise, wie er sprach, ihn davon abzuhalten. Nun, er konnte sich ja mal anhören, was jener zu sagen hatte…

Und tatsächlich klang das, was jener sagte, durchaus plausibel. Wäre Kieran aufmerksamer gewesen, hätte er wirklich auch selbst darauf kommen können, dass jener nicht Interesse daran hat, ihn in seinen Klamotten zu zeichnen. Wieso sonst hatte er seinen Oberkörper abgetastet, seine Muskeln begutachtet, wieso sonst hatte er ihn so eindringlich gemustert. Und Jonathan klang tatsächlich so, als würde er in ihm einfach nur ein gutes Modell sehen, nicht ein Sexsymbol. Und doch war ihm nicht ganz wohl bei der Sache. In Gedanken blickte er zwar zu Jonathan, wie dieser das Feuer entfachte, nahm das aber eigentlich kaum wahr. Sollte er sich wirklich entblößen, sich vor diesem Mann nackt ausziehen? Er schluckte etwas bei dem Gedanken und blickte fast schon erschrocken auf, als Jonathan nun direkt vor ihm stand und ihn mit festem Blick ansah und nun seine Bedenken in Worte fasste und zerstreute.

Vielleicht lag es an den Argumenten, die jener vorbrachte, an dem Versichern, dass er ihn nicht als Lustobjekt sah, vielleicht lag es aber auch an dem Wort „Feuertänzer“, das ihm gefiel, das ihm schmeichelte…

Kieran erwiderte einen Moment nichts und sah sein Gegenüber nur ruhig an. „Ich möchte das Bild mit dem Hirsch haben“, sagte er dann und drehte sich um, durch den Raum schreitend und hinter den Paravent tretend.

Ein wenig war er selbst von sich überrascht, als er sein Hemd auszog, seine Hose abstreifte und schließlich zögerte. Er schloss einen Moment die Augen, lächelte und schüttelte über sich selbst den Kopf, als er auch das letzte Stück Stoff abstreifte. Wo war er hier nur wieder gelandet… Aber Jonathan hatte recht. Er war nun mal einfach nur ein Mensch. Und wenn er selbst einen Patienten hatte, um den er sich kümmern musste, war es letztlich nichts Anderes, wenn er jenen bat, sich zu entblößen…

Ihn fröstelte noch immer, aber langsam verbreitete sich die Wärme des Feuers im Kamin im Zimmer. Es wäre gelogen, wenn man schriebe, er hätte nicht etwas gerötete Wangen gehabt, als er schließlich, tief durchatmend, vor dem Paravent hervortrat, Jonathan lieber nicht ansah und zu dem hüfthohen Hocker hinüberging. Er hatte an der Wand einen Akt von einer Frau gesehen, die auf diesem Hocker gesessen hatte, und das ihm gut gefallen hat. Und so setzte er sich darauf, ein Bein hinabhängen lassend, das andere aufgestellt und erst jetzt sah er zu dem Künstler. „Ist es ok, wenn ich mich so hinsetze?“, fragte er, legte seinen Kopf auf seinem Knie ab, sein Bein mit seinen Armen umarmend und sah den anderen an, das Kinn etwas vorgestreckt in mutiger Pose, als bräuchte er ein wenig mehr Stärke, als er glaubte gerade zu haben.
 

Jonathan

Zu Jonathans Freude und auch Erleichterung, entschloss sich Kieran schließlich doch noch dazu, sich zeichnen zu lassen. Und noch überraschter war der Künstler, als Kieran das Bild seiner Tierkadaver als Bezahlung wählte. Der Hauch eines Lächelns huschte über seine Lippen und er nickte. "Ich bin mir sicher, es ist bei euch in guten Händen." sagte er leise, bevor er sich nun rasch an seine Tische begab, um sein Zeug weiter heraus zu suchen und seinen großen Skizzenblock in die Staffelei einzuspannen. Zunächst würde er nur ein paar einfache, aber ausgefertigte Zeichnungen machen, die ihn nicht allzu viel Zeit kosten würden. Ihm war klar, dass Kieran wohl etwas Zeit zum Aufwärmen benötigen würde und erst später würde er die Position, die dessen Muskelspiel und die Bewegung des Tanzes am besten zeigte, auf die Leinwand bringen und dies dann ausarbeiten.

Als Kieran allerdings anschließend hinter dem Paravent hervortrat, blieb Jonathans für einen Moment überrascht an dessen Hüfte hängen. Der Feuertänzer hatte die Unterwäsche doch ausgezogen. Was ihn wohl dazu bewegt hatte? Doch scheinbar schien den jungen Mann die Kunst ebenfalls zu interessieren und vielleicht hatte dies beim Verständnis geholfen. Bei Kierans Frage nickte Jonathan kurz und hob dann den Kohlestift. Zuerst wollte er nur grob anfangen und sich dann langsam ins Detail voran arbeiten. Die Pose, die der Mann angenommen hatte, half ihm nicht all zu viel, auch wenn es natürlich niemals etwas Überflüssiges gab. Doch würde er es erst einmal dabei belassen. Auch gab er keinen Kommentar zu Kierans gänzlicher Nacktheit ab. Er war sich sicher, dass diesen dies schon genug Überwindung gekostet hatte, denn das Licht war gut genug, um den leichten Rotton im Gesicht des Fremden zu erkennen und Jonathan behielt seine Gedanken so lieber für sich.

Und dann begann er, Kieran zu mustern. Genau unter die Lupe zu nehmen. Jeden einzelnen Zentimeter von ihm, mit brennender Leidenschaft abzutasten. Schien ihn geradezu zu durchbohren. Doch nicht, wie man einen Menschen mustert, um zu testen, ob er ein guter Bettgenosse ist. Es war ein viel ehrlicheres und doch auch sachlicheres Interesse. Es wirkte echt. Brennend und doch nur kühl an der Oberfläche abprallend. Eindringlich und doch, ohne zu direkt und aufdringlich zu wirken.

Nach etwa 20 Minuten hatte er die erste Skizze fertig. Jonathan prüfte noch einmal die Linien, dann wechselte er zum weichen Bleistift und tauschte das Papier aus. "Zeig mir die Muskeln auf deinem Rücken. Lehn dich gegen die Wand dort. Hebe die Arme. Spreiz die Ellenbogen zu den Seiten ab und lege dein Gesicht seitlich auf die übereinander gelegten Handflächen." Es war kein Befehl. Eher eine Anweisung. Eine Hilfestellung. Eine Bitte. Erwartungsvoll blickte Jonathan zu seinem Modell und wartete darauf, dass dieser seiner Idee nachkam. Er war nicht ungeduldig. Es dürstete ihn viel eher nach einer Befriedigung, die wohl die wenigsten verstehen oder auch nur in Ansätzen nachvollziehen konnten.
 

Kieran

Es war gut, dass Jonathan erst einmal nichts zu ihm sagte, sondern anfing zu arbeiten. Kieran sah einige Zeit dem etwas älteren Mann zu, der ihn mit so einem ganz eigenen Blick betrachtete und völlig in sich versunken schien. Doch bald schweiften seine Gedanken ab und sein Blick rückte in die Ferne, während er über dies und das nachdachte, den Tag Revue passieren ließ und schließlich bei Dominico Sforza ankam, dessen seltsames Verhalten ihm Rätsel aufgaben. Es beschäftigte ihn, was der Anlass für diese Einladung gewesen sein wollte oder ob er doch unnötig misstrauisch gewesen war. Und er dachte über die Konsequenzen nach, deren Ausmaß er momentan noch nicht abschätzen konnte. Aber er hoffte darauf, dass es kein Nachspiel geben würde, oder zumindest keines, das ihm wirklich Ärger einbrachte.

Völlig in seinen Gedanken vertieft erschrak er, als der Künstler ihn wieder ansprach, und geriet gefährlich ins Schwanken auf dem hohen Hocker. Und dieser Schreckmoment ließ ihn auch nicht weiter nachdenken, ob das, was der Künstler da sagte und um was er ihn bat, ihn irgendwie störte, sondern er leistete den Worten des anderen schlichtweg Folge. Kieran war sogar recht froh, sich endlich wieder bewegen zu dürfen, denn lange in einer Pose, einer unbequemen Pose, zu verharren, schmerzte bekanntlich jeden irgendwann. Und so stieg er behände vom Hocker und stellte sich an die Wand, genau wie Jonathan ihn gebeten hatte. Er lehnte sich gegen die Wand, die Arme als Stütze verwendend, den Kopf auf den sich überkreuzenden Händen ablegend.

Und so blieb er stehen, dehnte etwas seinen Rücken, der durch die krumme Haltung zuvor sehr angetan war von der neuen Pose.

Es war gar nicht so schlimm, wie es sich anfangs angehört hatte, und mit der Zeit vergaß er letztlich völlig, dass er nackt war. Jonathan ließ ihn noch weitere zwei Male die Position ändern, auch der Künstler änderte immer mal wieder sein Werkzeug, und Kieran genoss diese absolute Stille, diese konzentrierte Stille, die in dem Raum herrschte, und die wohl vor allem von Jonathan ausging, der mit dieser absoluten Ruhe in seinem Blick dafür sorgte, dass Kieran sich wohl fühlte.

Und so geschah es, dass Kieran, der sich zuletzt auf dem Divan positioniert hatte, einfach eingeschlafen war, und dass er noch nicht einmal die Glocken hörte, die die Bürger Cambridges darauf hinwiesen, dass sie nun in ihre Häuser zu gehen hatten, und den „Fremden“ mitteilten, die Stadt verlassen zu müssen.
 

Jonathan

Es war erstaunlich mit anzusehen, wie Kieran immer mehr auftaute und immer offenere, direktere Posen einnahm. Haltungen, die er auch beim Tanzen einnahm. Stellungen, bei denen Kieran nichts verbergen konnte und Jonathan sogar dessen Männlichkeit mit auf die Bilder setzen konnte. Für ihn gab es keinen bedeutenden Unterschied zwischen einem Arm und einem Penis. Beides waren Gliedmaßen, die zum männlichen Körper gehörten und beides wollte in seiner richtigen Größe, Form und Plastizität dargestellt werden. Ihm fiel überhaupt nicht auf, wie die Zeit verging. Wie immer, wenn er konzentriert an etwas arbeitete, was ihn befriedigte. Wenn sich eine Gelegenheit einmal bot, musste man sie auch ausnutzen und Kieran würde vielleicht nie wiederkommen, vielleicht sich auch nicht noch einmal überreden lassen können. Und so zeichnete er und zeichnete und zeichnete, bis ihm plötzlich auffiel, dass der Feuertänzer auf dem Divan eingenickt war.

Kurzerhand schnappte Jonathan sich einen kleineren Block und kniete sich vor Kieran hin, um sein schlafendes Gesicht von nahem zu zeichnen. Es war zwar schade, dass sein Model schon eingeschlummert war, doch er nahm es ihm nicht übel. Ein Tag Arbeit auf dem Marktplatz als Artist war sicher alles andere als erholsam. Und so nutzte Jonathan seine letzte Chance, bevor er sein Zeug sorgfältig wegräumte. Anschließend suchte er sein 'Hirschbild' heraus und schrieb leicht mit weichem Bleistift auf die Rückseite den Titel des Bildes, welche er normalerweise für sich behielt: 'Nur wer hat, dem wird gegeben' und rollte es zusammen. Dann nahm er die erste Skizze des sitzenden Kierans auf dem Hocker, rollte sie zusammen und steckte sie in die Mitte der anderen Rolle. Er gab seinen Modellen immer eine Skizze Ihrer selbst mit und dieses Bild würde den jungen Mann vielleicht nicht so sehr beschämen, da man seine Mitte nur erahnen konnte und es dennoch sein erster mutiger Schritt war. Außerdem besaß er solch eine Körperskizze schon und sie war darum auch sehr gut und schon ausgearbeiteter geworden. Um beides Band er einen einfachen Faden und legte das Bündel dann auf die Kleidung des anderen hinter dem Paravent.

Allmählich löschte Jonathan das Licht, als er die Glocken aus der Stadt hörte. Einen Moment überlegte er, ob er den jungen Mann wecken sollte, doch er entschied sich dagegen. Es würde schon nichts passieren. Das Pferd könnte auch seines sein und der Feuertänzer sah ihm zu erschöpft aus, um ihn nun noch einmal aufzurütteln und auf den Heimweg zu schicken. Jonathan schien dies ein schlechter Dank und so legte er einige Decken über den jungen Mann und trat dann in das kleinere Zimmer, wo er den Kamin noch einmal ordentlich anfeuerte, bevor er sich auf seiner eigenen, schmalen Strohmatratze niederließ. Die Tür zum Atelier ließ er offen, damit die Wärme auch dort hineinströmen konnte. Und so schlief er wenige Augenblicke später, zufrieden und mit dem beruhigenden Gefühl, etwas geschaffen zu haben, ein.

Ostern in Cambridge - Erwachen

Kieran

Vermutlich wäre Kieran viel früher aufgewacht, wären nicht die Vorhänge geschlossen gewesen, so dass es recht dunkel im Raum war, und wären die Decken, die Jonathan über ihm ausgebreitet hatte, nicht so warm gewesen, und wäre dieser elendige Divan nicht so verdammt gemütlich gewesen. Und doch sorgte eine Tatsache dafür, dass er zumindest nicht heillos verschlief – es war ein fremdes Bett, ein fremdes Zimmer, eine fremde Wohnung.

Und so wachte er auf, als das Treiben am Marktplatz wieder in Gang kam und die Kirchenglocken die zehnte Stunde des Tages einläutete. Kieran blinzelte, brauchte ein wenig, um zu realisieren, wo er war, dann richtete er sich erschrocken auf „Scheiße…“, entwich ihm sein erster Gedanke und er strich sich mit beiden Händen übers Gesicht, die Haare aus eben diesem und ließ seine Hände einen Moment auf seinem Kopf ruhen. „Scheiße, Scheiße, Scheiße…“ Wie hatte er hier nur einschlafen können! Eilig schlug er die Decken zurück, stand auf und ging zum Fenster, um nach unten zu blicken, wo Niamh dösend stand und in ihrem sanftmütigen Vertrauen auf ihn wartete. Offenbar hatte noch niemand das fremde Pferd bemerkt und das war sein Glück, denn sonst wäre er sicher schon nicht mehr hier, sondern im Arrest, wo entschieden werden würde, was mit ihm geschehen wird. Es war für seinesgleichen verboten, sich nach der Sperrstunde noch innerhalb der Stadtmauern aufzuhalten. Und wer würde ihm seine Geschichte glauben? Zumal sich Kieran nicht wirklich sicher war, ob das, was er hier gestern getan hatte, wirklich so legal war. Würde Jonathan nicht auch Probleme bekommen, wenn man sah, dass er nackte Männer zeichnete? Wahrscheinlich… Also würde er eine andere Ausrede finden müssen, die so glaubhaft war, dass man ihn nicht beschuldigen würde, dass er hier gewesen war, um zu stehlen oder sich zu prostituieren oder was diesen Idioten noch so alles einfallen mochte.

Und da war Kieran auch schon bei dem nächsten Punkt, der ihn belastete. Er hatte sich doch glatt ausgezogen… So im Nachhinein betrachtet kam es ihm wieder unglaubwürdig vor, auch wenn es gestern Abend in Ordnung war, die ganze Aktion in keinster Weise unangenehm gewesen ist. Die Scham und die Scheu, die er anfänglich gehabt hatte, war schnell vergessen und während sie gemeinsam arbeiteten nicht mehr präsent gewesen. Jonathan war ein Profi und auch er hatte versucht, sich professionell zu verhalten.

Kieran wandte sich vom Fenster ab und schlich zurück zum Paravent. Dort lag nicht zu übersehen eine Rolle Papier. Kieran nahm sie in die Hand und löste das Bändel, um sich die Bilder anzusehen. Jonathan hatte ihm tatsächlich das Bild, das ihm so gefallen hatte, gegeben. Und darüber hinaus auch noch eine Skizze von ihm. Kieran betrachtete sie, fand es seltsam, sich so zu sehen. Ja, das war er, natürlich! Und doch kam es ihm irgendwie fremd vor. Er sah irgendwie… gut aus, wenn er das mal so denken durfte… Kieran rollte die Papiere wieder zusammen, steckte sie in seine Umhängetasche und zog sich zügig an. Irgendwie kam er sich gerade wie eine billige Hure vor, die morgens das Lager ihres letzten Kunden verließ, um sich auf den Heimweg zu machen. Kieran wusste schon jetzt, dass Timothy toben würde, dass seine Dada ihn keines Blickes würdigen wird. Er hatte nicht nur dafür gesorgt, dass sie Ärger mit der Stadtwache bekamen, er hatte sich auch die gesamte lange Nacht nicht blicken lassen…

Kurz sah er sich noch einmal um, ob er alles hatte, dann trat er durch den Raum. Am Zeichentisch des anderen blieb er noch einmal stehen, um auch die anderen Bilder zu betrachten. Sie waren wirklich gut, verdammt gut. Es war so anders, als die Bilder, die man sonst so zu sehen bekam und meistens keines rechten Blickes würdigte, weil sie ohnehin nur biblische Motive enthielten, oder den hässlichen Kopf irgendeines Idioten. So zu zeichnen, solche Motive zu zeichnen, wie es Jonathan tat, das war in Kierans Augen wahre Kunst – ein Abbild der Realität schaffen, keine Moralpredigt dahinter, keine Angstmacherei wie auf Kirchenbildern, keine Beschönigung oder Lobhudelei, einfach nur die Realität. Kieran fiel es schwer, die Bilder nicht weiter zu betrachten, aber eigentlich musste er los, auch wenn er keine rechte Lust hatte. Dennoch wendete er sich ab und betrat die Küche. Er bemühte sich leise zu sein, als er sie durchschritt, um die Wohnung zu verlassen und nach Hause zu reiten.
 

Jonathan

Jonathan hatte schon immer einen leichten Schlaf gehabt und auch heute war es nicht anders. Besonders, weil er es nicht gewohnt war, Gäste über Nacht zu haben. Schon das erste leise Geraschel ließ ihn aus seinem Schlaf erwachen und er blickte in die schummrige Dunkelheit. Ohne sich zu regen, lauschte Kieran den Geräuschen, bevor er sich nach einer Weile langsam erhob und den Kamin erneut entzündete. Rotes Licht ließ die rußigen Bilder an den schmutzigen Wänden tanzen und einen Augenblick später trat Kieran auch schon herein. "Guten Morgen, Feuertänzer. Kann ich dir was zu Essen anbieten? Oder etwas zu trinken?" fragte er mit vom Schlaf noch etwas heiserer Stimme. Leise räusperte er sich, bevor er ins Atelier trat und die Vorhänge zurück zog. Licht flutete die beiden Räume und mit einem sanften Ausdruck auf den Augen, wandte sich Jonathan wieder zu Kieran um. Er trug nichts als einen einfachen Lendenschurz aus Leinen und diesen hatte er nur hin und wieder zum Schlafen an. Da Kieran offenbar solche Probleme mit Nacktheit hatte, hatte er für diesen eine Ausnahme gemacht.

Mit geübten Bewegungen stellte der Künstler einen Krug Wasser auf den Tisch und zog aus einem Leinensack ein Stück Brot. "Ich hab auch Käse, etwas Met und einen Eimer mit Äpfeln, falls du welche magst", bot er an und steckte sich ein Stück Apfel in den Mund, bevor er sich in einen Tonbecher etwas Met aus einem weiteren Krug einschenkte. Jonathan war kein Säufer oder dergleichen... Er begann den Tag nur gerne mit etwas Wärme im Bauch und einem süßen Geschmack auf den Lippen.
 

Dominico und Alessandro Sforza

Es war noch nicht wirklich hell als Rod sich neben ihm bewegte. Er erwachte wegen der Glocken, die zu dieser frühen Stunde bereits den Tag begrüßten, und er war schnell damit, sich aus dem Bett zu schälen. Nico war langsamer, genoss die Wärme noch ein wenig, ehe auch er sich ankleidete. Er wollte Rodrego nicht direkt in die Stadt begleiten, doch auch er hatte Pläne und er würde bald darauf aufbrechen. Henry erwartete ihn bei seiner morgendlichen Besprechung und Nico hatte nicht vor, den König warten zu lassen.

Als Rod das Anwesen schon verlassen hatte ging Nico gerade den Korridor zu Alessios Gemächern hinauf. Er wusste selbst nicht genau warum, es war eigentlich ziemlich sinnlos hier entlang zu gehen, um schließlich im Salon ein Essen einzunehmen, doch er tat es. Vielleicht wirklich aus Neugierde, er wollte hineinsehen, ob der junge Mann noch da war. Doch soweit musste er gar nicht gehen - der Messdiener kam ihm bereits entgegen. Den Kopf gesenkt und seine Schritte noch weiter beschleunigend rauschte er an ihm vorbei hinaus. Nico rief ihm nach, dass er doch das Pferd mitnehmen solle, doch der junge Mann schien nichts dergleichen mehr zu hören.

Für einen kurzen Moment wallte Angst in Nico hoch. Angst darüber, seinen Bruder tot in dessen Bett vorzufinden. Er rannte das Stück bis zu Alessios Gemächern hinunter, riss die Türe auf und lief durch den Salon ins Schlafzimmer, wo noch immer Glut im Kamin glühte. Alessios Arm hing vom Bett, das Haar wirr auf seinem Nacken und über seinem Gesicht und sein Körper nackt und halb aufgedeckt im Schlaf. Doch er atmete und als Nico so hereinstürmte hob er leicht den Kopf. "Was...?", murmelte er schlaftrunken und Nico verdrehte die Augen, als die Angst die er eben noch gespürt hatte von ihm abfiel. "Ich habe eine Besprechung mit dem König. Denk an Cecile." Ein zustimmendes Brummen vom Bett und Nico verließ den Raum wieder. Alessio sagte nichts, während sein Bruder ging, er wusste auch so, dass er sich nicht umdrehen musste. Er war allein. Er war sich nicht sicher, ob er Fin hatte gehen hören, doch der junge Mann war fort.

Es dauerte noch mal eine Stunde bis Alessio sich aufrappeln konnte. Während Nico bereits auf einem gesattelten Pferd vom Hof ritt, saß Alessio noch immer nackt in seinem Bett. Müde stand er auf, legte Holz im Ofen nach und begutachtete sich im Spiegel. Er war müde, doch auch er hatte heute einige Termine. Er griff sich seine Wäsche und zog zumindest die dünne Hose an, ehe er zum Nachttisch hinüberging und geistesabwesend nach seinem Kreuz suchte. Nach einigen Minuten fiel ihm auf, dass es dort nicht lag. Und dass dort jemand.. gewühlt? hatte. Seine Nasenflügel blähten sich... verdammter, vermaledeiter keiner Schwanzlutscher. Und er hatte nichts, aber auch gar nichts… außer einem Namen.
 

Kieran

Kieran wusste nicht so recht, ob er sich freuen sollte, dass Jonathan aufgewacht war, weil er es eigentlich nicht mochte, sich so einfach davonzusteheln, oder ob er sich ärgern sollte, weil ihm die Situation doch etwas unangenehm war. Nichts desto trotz huschte ein Lächeln über seine Lippen, als er die Begrüßung des anderen hörte.

"Entschuldige, dass ich eingeschlafen bin", sagte er zunächst einmal. "Du hättest mich ruhig wecken können..." Und das meinte er nicht nur, weil er hier eigentlich nicht hatte schlafen wollen, sondern auch, weil es ihm lieber gewesen wäre, während der Sperrstunden sich nicht innerhalb der Mauern aufgehalten zu haben.

Sein Blick folgte Jonathan, der im Atelier die Vorhänge zurückzog, und fast blendete das helle Tageslicht ihn. Kierans Augen wanderten fast automatisch über den überraschend gut trainierten Körper des anderen. Die Muskeln am Oberkörper waren klar definiert und die Oberarme zeugten von Kraft. Der gesamte Körper entsprach nicht wirklich dem Klischee, das man von einem Künstler - ständig sitzend - haben mochte. Ein schöner Körper, wirklich ansprechend. Kieran zwang sich, dem anderen wieder ins Gesicht zu sehen, als dieser wieder in die Küche trat, um den Tisch zu decken.

Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er noch keine Antwort auf die Frage gegeben hatte. Aber er hatte gezögert, weil er zwar Hunger hatte – als der andere das Wort essen nur gesagt hatte, hatte sein Magen zu knurren begonnen – und gegen etwas zu essen sicher nichts hatte, aber die Zeit verrann weiter und es würde die Hölle werden, wenn er zurück ins Lager kehrte. "Ich weiß nicht so recht", sagte er zögernd, blickte kurz zum Fenster in die Richtung, wo seine Stute auf ihn wartete. "Ich hätte eigentlich gar nicht hier sein dürfen. Ich habe Angst, dass mich doch noch jemand entdeckt." Er verzog kurz das Gesicht. Letztlich wäre es aber vielleicht besser, wenn er wirklich noch bliebe. Dann könnte es am Stadttor so aussehen, als sei er ei einem anderen hineingekommen und jetzt wieder auf dem Heimweg... Und er hatte so gar keine recht Lust, sich jetzt gleich den Tag vermiesen zu lassen, wenn er bei Timothy auflief. Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare.

Der Geruch von Apfel kroch ihm in die Nase und brach jegliche Diskussion schließlich ab. "Na gut, aber", er sah den anderen an, während er seine Sachen nochmal ablegte und sich setzte. "Zieh dir bitte was drüber. Letztlich könnten sie mich jederzeit abholen, und dann habe ich genug Probleme, auch ohne dass sie mich für einen Stricher halten."

Kieran nahm sich ein Stück Apfel.
 

Jonathan

"Du sahst erschöpft aus und mich hat es nicht gestört. Ich wäre mir undankbar vorgekommen, dich aus dem Haus zu schmeißen. Außerdem gehen bei mir ständig Leute ein und aus. Ob nun einer hier nächtigt, der nicht aus der Stadt kommt, wird wohl kaum auffallen", bekannte Jonathan und steckte sich ebenfalls ein Stück Apfel in den Mund, bevor er sich ein Stück Käse und ein grobes Stück Brot abschnitt und abwechselnd davon abbiss. Manchmal vergaß er über die Arbeit einfach, etwas Anständiges zu Essen und so wachte er oft mit einem missmutig knurrenden Magen auf. "Bedien dich", fügte er noch hinzu und deutete mit der Spitze seines Messers auf Brot und Käse, bevor er das Messer Kieran reichte.

"Sie müssten es schon auf dich abgesehen haben, um dich jetzt noch zu verhaften und solange du nichts angestellt hast...", versuchte Jonathan zu beruhigen, doch bei seinen Worten huschte sein Blick zu Kierans Gesicht und musterte dieses, als wolle er fragen: Du hast doch nichts angestellt oder...?

Bei Kierans nächsten Worten, hätte Jonathan beinahe Lachen müssen. Doch er beschränkte sich auf einen leicht amüsierten Ausdruck in den Augen, bevor er sich ohne Worte erhob und sich ein braunes Leinenhemd und eine dunkle Leinenhose überzog, welche beide großzügig mit bunten Farbklecksen aller Art bedeckt waren. Vielleicht hatte Kieran wirklich nur Angst, die Wachen könnten auf falsche Gedanken kommen. Vielleicht war es aber auch etwas anderes, aber das ging Jonathan nichts an und er würde sich hüten, es bei diesem jungen Mann - der ohnehin schon zu große Probleme damit gehabt hatte, sich auszuziehen - anzusprechen.

Wieder setzte er sich und nagte weiter an seinem Brot. "Allzu lange können wir uns allerdings nicht Zeit lassen, da ich noch einen Auftrag habe. Nichts, was mich persönlich erfreuen würde, aber es erfreut meine Geldbörse und die hat in letzter Zeit schon zu sehr gelitten, um sie weiterhin ihrem Zustand zu überlassen." Jonathans Worte waren voll amüsierter Ironie, doch er lächelte nicht und es schien ihm mehr Sorgen zu bereiten, als er sich selbst vielleicht eingestehen wollte.
 

Kieran

Kieran nickte dankbar, als Jonathan ihm sagte, er solle sich bedienen. Er wusste gar nicht, wann er zuletzt einmal einen Apfel gegessen hatte. Der Winter war lang und sie hatten als Reisende keinen kühlen Keller, in denen man diese lagern konnte.

Kieran nahm das Messer entgegen, und schnitt sich ein Stück Käse und ein Stück Brot ab. Auch das Brot roch gut und er biss gleich hinein, als er Jonathans Worte hörte und sich unwillkürlich verschluckte. Er blickte auf und fing den Blick des anderen ein. Kaute schnell und schluckte hinunter, um sich etwas Wasser einzuschenken und einen Schluck zu trinken. Kurz überlegte er, was er sagen sollte. Und ihm war klar, dass Jonathan anhand seines Verhaltens wusste, dass jener mit seinen Worten nicht so ganz unrecht gelegen hatte.

"Angestellt vielleicht nicht richtig, aber ich habe jemanden verärgert", begann er zögernd, nachdenklich. "Ich habe ein vielleicht großzügiges Angebot einer der Sforza-Brüder abgeschlagen. Ich..." Er unterbrach und vor seinem inneren Augen lief die letztlich furchtbare Szene am Stadttor ab. Kieran ließ die Hand sinken, legte das Brot auf den Teller. Irgendwie verging ihm gerade schon wieder der Hunger. "Ich hatte das Gefühl, dass er nicht ehrlich zu mir war, dass er andere Gedanken hatte, als mich wirklich in irgendeiner Weise in meiner Kunst zu fördern." Er ergriff doch noch ein Stück Apfel und biss hinein. Er hatte definitiv ein schlechtes Gewissen, heute mehr als gestern. Während er sich gestern über das Verhalten des anderen geärgert hatte, diesen Blick am Marktplatz, die Geste in seinem Zelt, die Bestimmtheit, ihm sagen zu können, wo er mit ihm darüber reden wollte, so empfand er heute eher Scham für sein Verhalten. Und das war ehrliche Scham, nicht ein Gefühl, das er sich einbildete, weil ihn die Konsequenzen, die noch auf ihn zukamen, erschreckten.

"Ich denke, er hat sich ziemlich über mich geärgert. Er wird dafür gesorgt haben, dass wir heute nicht mehr auftreten dürfen. Und ich traue ihm zu, dass er auch sonst genug Macht hat, mir noch eins reinzudrücken..." Er zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht." Dass er sich Jonathan einfach so anvertraute, tat ihm irgendwie gut. Es half ihm, seine Gedanken zu ordnen. Gerade was das seltsame Erlebnis von gestern betraf.

Als Jonathan ihm offenbarte, dass sie sich zwar nicht hetzen musste, er aber noch einen Auftrag hatte, nickte er. "Ich fürchte ich kann mich auch nicht länger davor drücken, mir meinen Anschiss von meinem Vater abzuholen." Er grinste leicht schief. "Als Künstler muss man wohl immer wieder Dinge machen, die einem eigentlich nicht wirklich gefallen." Er stellte das einfach nur fest. Aber in dem Moment, in dem er es gesagt hatte, begriff er erst, dass das ja auch für ihn zutraf. Vielleicht hätte auch er gestern einfach etwas tun sollen, das ihm eigentlich nicht gefiel, aber nötig war, um voran zu kommen.

Doch ihm blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken. Die offenen Fenster trugen Geräusche hinein, die ihm ganz und gar nicht gefielen. Man sprach über sein Pferd. Erschrocken sah er Jonathan an. "Ich gehe. Vielleicht schaffe ich es, dass du nicht auch noch Ärger bekommst."

Und so ergriff er hastig die Sachen, die er ohnehin schon zusammengesucht hatte und eilte hinaus. In der Tür blieb er stehen und drehte sich noch einmal um. "Danke, Jonathan, für die interessante Erfahrung und die schönen Bilder. Ich hoffe, wir sehen uns irgendwann mal wieder." Dann eilte er die Treppe hinunter.
 

Zumindest hatte er es geschafft, dass die Soldaten nicht gesehen hatten, woher er gekommen war. Aber als sie ihn sahen, nahmen sie ihn direkt fest. Grund dafür war, dass eben jener Wachmann dabei war, der gestern auch Dominicos Befehl ausgeführt hatte, ihn und seine Familie anzuschwärzen. Und offenbar schien jener nicht eine Sekunde darüber nachdenken zu wollen, ob Kieran wirklich über Nacht hier war oder nicht. Wahrscheinlich hatte er sein Pferd gesehen und wiedererkannt. "Kieran Carney, ihr habt gegen das Stadtrecht verstoßen", wurde ihm mittgeteilt. "Der Sheriff wird entscheiden, was mit euch geschehen wird." Kieran wehrte sich nicht. Nur als der Hauptmann ihm seine Sachen abnahm und durchsuchte, sich die Bilder ansah, die er von Jonathan erhalten hatte, wurde ihm mulmig. "Das sind meine Sachen und wagt es ja nicht, sie mir zu entwenden", fauchte er. Ein trockenes "Abführen!" war jedoch die einzige Reaktion des Wachmanns. "Schmeißt ihn in den Kerker. Soll er da versauern." Kieran sah, wie der Wachmann an sein Pferd herantrat und es begutachtete. "Es gehört mir", sagte er und versuchte sich zu wehren, doch er wurde festgehalten. Der Wachmann blickte ihn abfällig an. "Dir gehört der Kerker", erwiderte er nur.
 

Kieran wusste, dass es ihm nichts nutzte, wenn er sich wehrte – ganz im Gegenteil. Aber nichts desto trotz hatte er nun wirklich Probleme. Ein Stadtverweis lebenslang war noch das Beste, was ihm geschehen konnte. Vielleicht würde er auch nur ausgepeitscht werden. Schlimm wäre es, wenn er seine Sachen und vor allem sein Pferd nicht wieder bekommen würde. Und das Schlimmste war, dass er keine Ahnung hatte, wann hier irgendetwas entschieden werden würde. Er saß auf der Erde an die Wand gelehnt unter dem Fenster, weil dort im von Fäkalien stinkenden Kerker die Luft noch am besten war. Als er Schritte hörte, blickte er auf. Ein Wachmann machte seine Runde. Kieran stand schnell auf und trat an das Gitter. "Hör zu", sagte er, doch der Wachmann ignorierte ihn. "Ich möchte, dass du Dominico Sforza mitteilst, dass der Feuertänzer ihn sprechen möchte." Der Hauptmann hatte gezögert, als er den Namen vernahm. "Bitte!", schob Kieran hinterher. Wenn er hier schon versauerte, würde er wenigstens versuchen, seine Situation auszunutzen. Er hatte etwas gut zu machen. Und vielleicht hatte er ein Quäntchen Glück.
 

Jonathan

Aufmerksam lauschte Jonathan den Worten des Feuertänzers und nickte dann schließlich langsam. Nachdenklich nahm er noch einen großen Schluck von seinem Honigwein und verschlang das letzte Stück Brot aus seiner Hand, bevor er sich bequem zurücklehnte. "Seid guten Mutes. Jeder Mensch hat seinen Preis. Die Frage ist nur, ob ihr ihn zahlen könnt oder bereit seid, ihn zu zahlen", bemerkte Jonathan mit einem seltsamen Blick und musterte Kieran, als wollte er herausfinden, zu was der Mann alles im Stande war. Er selbst konnte wohl ein Lied davon singen, wie es war, dem Adel zu missfallen. Schon oft hatte er mit seiner Kunst das Missfallen derer erregt, die seine Werke kritisierten. Für jeden Frevel und jeden Menschen galt es eine andere Art von Preis zu zahlen und wenn es um seine Selbstverwirklichung und seine Freiheiten ging, war Jonathan bereit, so einiges zu zahlen. Wobei Geld für die wenigsten Reichen eine Rolle spielte. Vor allem, da er davon nicht viel besaß. Man musste eben Prioritäten setzen.

Plötzlich kamen barsche Stimmen vom Fenster her und Kieran sprang mit einem Mal auf und verabschiedete sich. Etwas verwirrt blickte der Künstler ihm nach. Erst als der Feuertänzer schon auf der Straße war, bekam Jonathan eine Antwort heraus. "Das Glück sei mit euch...", murmelte er leise und trat gerade noch rechtzeitig ans Fenster, um zu sehen, wie die Wachen den jungen Mann abführten.

Ostern in Cambridge - In der Schuld stehen

Dominico Sforza

Nico überholte Finley auf seinem Weg in die Stadt, ohne ihm wirklich zu begegnen. Da er das geliehene Pferd ja auch wieder zurückbringen musste, hatte er Amadeo mitgenommen. Manchmal war es einfacher noch jemanden dabei zu haben dem man vertraute, gerade wenn man mit dem König Dinge zu besprechen hatte. Gewisse Dinge erledigte man besser nie allein.

Zu Pferde nahmen sie nicht die offizielle Straße, sondern ritten quer über die Felder zur Stadt, was wesentlich kürzer war. Gerade als sie im Begriff waren durch das Stadttor zu reiten, kam Nico der Hauptmann der Wache entgegen. Er grinste breit, als er Nico hinter dem Tor zur Seite winkte und ihm bedeutete kurz zu ihm in die Wachstube zu kommen. Nico runzelte die Stirn, doch er stieg vom Pferd, so dass Amadeo mit zwei Pferden an der Hand dort stand. Nico bedeutete ihm, das geliehene Tier zurück zu den Stallungen zu bringen und ihn dann wieder abzuholen und der Mann zog ab.

Als Nico die Wachstube betrat, scheuchte der Hauptmann gerade zwei Wachsoldaten hinaus, die Pause gemacht hatten. "Ihr schicktet mich gestern los, wegen der Genehmigungen der Schausteller...", erklärte er kurz, worum es ihm ging. Nico nickte abwesend, hatte daran schon gar nicht mehr gedacht. Rod hatte ganze Arbeit geleistet den jungen Mann aus seinem Gedächtnis zu vertreiben. Außerdem war die Wette bereits gelaufen und Nicos Interesse an dem vorlauten Feuertänzer schwand mit jeder Sekunde. "Ja, was hast du herausgefunden?"

Wieder grinste der Hauptmann. "Nun, sie dürfen auftreten. Zumindest hat der König Gaukler und Schausteller in der Stadt erlaubt, doch der König hat große Angst vor Feuer. Diese Einlage wird ihnen für die nächsten Tage verboten. Mehr konnte ich nicht tun. Aber es ist etwas Anderes, was ich euch zu sagen habe..."

Nico war schon jetzt gelangweilt, zumal sein Drang danach, sich für das unverschämte Verhalten zu rächen, bereits nicht mehr sehr stark war. "Was?", fragte er deshalb ungeduldiger als notwendig gewesen wäre. "Nun, es geht um den jungen Mann gestern." Von weiter hinten im Raum griff der Hauptmann eine Tasche, deren Inhalt er vor Nico auf dem Tisch ausbreitete. Bilder… Nicos Augenbraue wanderte in die Höhe. "Ach…? Woher kommen die?"

"Von dem jungen Herren selbst. Wir haben ihn heute Morgen aufgegriffen, vor dem Haus eines selbsternannten Künstlers. Jonathan William Hodgson ist sein Name. Wir fanden dort sein Pferd auf der Straße und kurz darauf verließ er das Haus, um noch unbemerkt aus der Stadt zu reiten. Als Gaukler hat er damit gegen das Stadtrecht verstoßen und wir haben ihn gemäß geltendem Gesetz in den Kerker geworfen. Und wir fanden diese Bilder bei ihm. Jonathan ist ein Mann von zweifelhaftem Ruf müsst ihr wissen. Es gibt keine handfesten Beweise für diese schreckliche Art der Unzucht, doch es gibt Gerüchte.. und offenbar war er die ganze Nacht bei ihm. Heute Morgen im Kerker allerdings...", der Hauptmann machte eine Kunstpause, "berief er sich auf euch. Er wolle mit euch sprechen… Die Kerkerwache war irritiert, als dieser Taugenichts euren Namen erwähnte." Nico hatte schon während der Erklärung angefangen zu grinsen, jetzt lachte er lauthals los. "Ach ist das so? Er hat nach mir gefragt, nachdem ihr ihn hiermit angetroffen habt? Und wo ist sein Pferd?"

"In den Stallungen. Es wurde konfisziert." Nico schüttelte lachend den Kopf. "Nun, auf diese Erklärung bin ich wirklich gespannt. Bringt mich zu ihm… wollen wir doch mal sehen, was ihn auf einmal nach mir schreien lässt."

Denn Nico hatte das unbestimmte dumme Gefühl, dass hier jemand versuchte, seinen guten Namen dazu zu benutzen, um aus dem Kerker frei zu kommen. Einer Wache wurde der Auftrag gegeben Amadeo in Kenntnis zu setzen, sobald der wiederkam. Dann verließ Nico mit einer Gruppe Wachleute das Tor und machte sich auf den Weg zum Kerker. Eine Weile später stand er vor Kierans Zelle, die Bilder in der Jackentasche verborgen.
 

Kieran Carney

Man hatte immer das Gefühl, dass die Zeit viel zu schnell verging, aber in solchen Situationen schien sie endlos zu sein. Sekunden wurden zu Minuten, Minuten wurden zu Stunden, Stunden wurden zu Tagen. In der Ferne konnte man das Erwachen der Stadt hören, wie der Trubel am Marktplatz langsam zunahm. Das Fiepen einer Maus ließ Kieran kurz aufblicken. Das kleine graue Tier hatte sich offenbar einen Weg durch das Gemäuer gebahnt und suchte jetzt am Boden nach Brotkrumen, die einer der Gefangenen vielleicht liegen gelassen hatte. "hier ist nicht viel zu holen", murmelte Kieran dem Tier zu. Seine Gedanken wanderten zu Jonathan und das was er über das Zahlen des Preises gesagt hatte. Er war nicht so ganz schlau daraus geworden. Welchen Preis sollte er zahlen? Hätte er sich Dominico Sforza einfach so "hingeben" sollen, nur um in seiner Kunst weiter zu kommen? Nein. Denn das eigentliche Problem lag wahrscheinlich ganz woanders: wollte er überhaupt langfristig als "Feuertänzer" leben? Hatte er nicht eigentlich andere Träume?
 

Er war eingenickt, schreckte jedoch auf, als er erst das Knarzen einer Tür dann Schritte hörte. Kieran blickte auf und war sichtlich überrascht. Er hätte nicht gedacht, dass Dominico Sforza tatsächlich kommen würde. Einen Moment konnte er nicht anders, als ihn nur anzusehen. Dann stand er auf und ging zum Gitter, trat dem Mann gegenüber, den er am vergangenen Abend wohl wirklich ziemlich vor die Füße gespuckt hatte. Er betrachtete das Gesicht des älteren, die Haare, die vornehme Kleidung, die Statur - er war ein gutes Stück größer als er selbst. "Ich hätte nicht gedacht, dass ich Euch noch einmal sehe. Und ich hätte auch nicht gedacht, dass Ihr wirklich hierherkommt", stellte er leise fest. An den Augen des anderen konnte er deutlich sehen, dass er sich wohl lieber beeilen sollte. "Ich... entschuldigt die Umstände, aber ich..." Ja, wie sollte er es sagen. "Ich hatte gestern Zeit nachzudenken und ich wollte mich entschuldigen." Er lächelte kurz. "Als die mich einkassiert haben, kam mir die Idee, nach Euch zu fragen. Ich dachte nicht, dass es klappt, aber jetzt habe ich wenigstens die Gelegenheit, mich für mein Misstrauen und mein ... sagen wir ... unverhältnismäßiges Verhalten zu entschuldigen." Er sah ruhig zu Dominico Sforza auf. "Ich hätte wirklich nicht geglaubt, dass Ihr kommt", sagte er noch einmal, dann zögerte er. "Und würdet Ihr mir einen Gefallen tun?", fragte er dann noch. "Würdet Ihr meine Stute in Sicherheit bringen? Sie ist das Wertvollste, was ich besitze. Ich möchte sie nicht verlieren."
 

Dominico Sforza

Als Nico den Kerker betrat konnte er nur die Nase rümpfen. Die Mauern aus kaltem nacktem Stein sollten ja auch alles andere als angenehmen Aufenthalt bedeuten, doch das Stroh, das als Lager diente, war feucht und es gab keinen Lokus, den man benutzen konnte. Also stank es erbärmlich nach Unrat, den die Wärter eindeutig zu selten aus den Zellen fegten. Dennoch lief Nico weiter als könne ihm der Geruch nichts anhaben, der sich vor manchen Zellen mit dem von Alkohol und Erbrochenem mischte. Kieran hatte beinahe Glück gehabt. Seine Zelle hatte immerhin ein winziges Fenster, durch das frische Luft strömte und den Gestank auf ein erträgliches Maß herabsenkte. Als Nico durch die Stäbe sah erkannte er den jungen Mann wirklich und war beinahe noch einmal überrascht, da er mit so etwas wie einer Finte gerechnet hatte - doch vor ihm saß wirklich Kieran und musterte ihn anfangs so als habe er einen Geist gesehen. Dann kam er an die Gitterstäbe, er war eindeutig schon länger hier. Es veränderte jeden Menschen hier unten eingesperrt zu sein und meistens ging es sehr schnell. Viele wirkten geknickt und in sich zusammengesunken. So schlimm war das noch nicht, doch es war eindeutig zu sehen, dass es Kieran hier ganz und gar nicht gefiel. Also ließ Nico ihn reden und war von der Entschuldigung dennoch nicht wirklich überrascht. Kieran wollte hier raus oder wollte sonst etwas von ihm - nur zum Plaudern hatte er ihn sicher nicht in den Kerker bestellt. Dennoch war die Entschuldigung ein netter Nebeneffekt und er brachte Nico dazu, zumindest anzuhören, was Kieran von ihm wollte.

Es war gar nicht mal die eigene Freiheit, sondern die seines Pferdes. Ein ungewöhnlicher Wunsch, aber keiner, der wirklich absurd war. Nico hatte den Einfluss das Tier für sich zu konfiszieren, zumal es nur eine Stute und kein wichtiger Hengst war. Sein Gesicht zeigte keine Regung, während er dort vor der Zelle stand und Kierans Monolog zuhörte. "Unverhältnismäßig", griff er schließlich Kierans Worte auf. "Ja, das kann man wohl so sagen. Ich bin sogar gewillt dafür zu sorgen, dass du aus dieser Zelle herauskommst, nur wird das ohne Gegenleistung kaum funktionieren, denn du brauchst einen Bürgen. Niemand deiner Gauklerfamilie kann das, denn dafür braucht es höhere Rechte als die deinen. Wenn ich also für dich bürgen soll, sei es auch nur für dein Pferd, bist du mir etwas schuldig. Und um zu zeigen, wie gut dein Wille ist, was dieses Tier angeht, erkläre mir doch mal, was du heute Nacht in der Stadt getan hast, so dass die Wache dich überhaupt angegriffen hat?"
 

Kieran Carney

Es war schwierig aus den grünen Augen seines Gegenübers abzulesen, ob seine Worte bei diesem zu einer Reaktion führen würden, oder ob jener sich einfach umdrehen und gehen würde. Kieran wusste, dass Dominico seine einzige Chance bleiben würde, Niamh, die braune Stute, die er, seit sie ein Fohlen war, sein Eigen nennen durfte, wiederzubekommen. Er hatte sich entschuldigt, nicht, weil er sich daraus Vorteile erhoffte, nicht weil er Dominico Sforza dazu bringen wollte, ihn hier womöglich auch selbst herauszuholen, sondern weil er sich wirklich für sein Misstrauen schämte. Und vielleicht würde seine Entschuldigung doch noch sein Pferd davor bewahren, ihm weggenommen zu werden. Er wusste, wie schnell das ging, dass man konfiszierte Pferde beiseiteschaffte und die eigentlichen Besitzer aufforderte, zu beweisen, dass das Tier ihnen gehörte. Aber wie sollte man das machen?

Als der Größere schließlich etwas sagte, spürte Kieran sein Herz hart gegen seinen Hals schlagen. Er war nervöser, als er aussah und es sich selbst eingestehen wollte. Doch die Situation, in die er sich gebracht hatte, war denkbar beschissen. Als Dominico bestätigte, dass Kieran mit der Einschätzung seines Verhaltens recht hatte, lächelte er scheu. Im Nachhinein betrachtet hatte er sehr unüberlegt gehandelt, aber es war diese Geste in seinem Zelt gewesen, die ihn so auf die Palme gebracht hat. Das Gefühl, dass ihn jemand kaufen wollte. Er hatte einfach nicht damit umgehen können.

Würde er jetzt seine wohlverdiente Standpauke erhalten? Überrascht blickte er den anderen an, als er die folgenden Worte hörte. Er war gewillt, ihn hier herauszuholen? Aber gegen eine Gegenleistung - nun natürlich. Umsonst und nur weil ihm seine Nase gefiel würde der andere das natürlich nicht machen, davon war auszugehen. Kieran nickte zu dem, was Nico ihm hinsichtlich des Bürgen erklärte. Und erneut trat Verwunderung in sein Gesicht, als sein Gegenüber von ihm verlangte, sich zu erklären.

"Ich…", begann er etwas vorschnell, seine Gedanken noch nicht sortiert habend. "Wenn man es genau betrachtet, habe ich einfach nur verschlafen. Ich bin bei einem Bekannten eingeschlafen und habe die Glocke zur Sperrstunde nicht mehr gehört. Der Tag gestern war sehr anstrengend gewesen und während ich dagelegen habe, bin ich einfach nur eingeschlafen. Nun und morgens ist dem Hauptmann mein Pferd aufgefallen." Er zuckte mit den Schultern. Genauer wollte er nicht darauf eingehen, was er bei seinem "Bekannten" getan hatte. Er wollte Jonathan nicht noch Ärger machen. Fragend sah er den anderen an. "Aber sagt mir bitte, was ich tun muss, damit Ihr mein Pferd zurückholt. Was wäre ich euch schuldig?" Er zögerte kurz. "Und wisst Ihr, was hier wohl noch auf mich zukommen wird?" Er hatte keine Ahnung, was auf jemanden wie ihn zukam, wenn er sich zur Sperrstunde innerhalb der Stadtmauern aufhielt. Aufknüpfen würden sie ihn doch nicht gleich, oder?
 

Dominico Sforza

Nico lehnte sich zur Seite gegen die gemauerte Wand neben der Tür auf deren Innenseite noch immer Kieran stand. Während der junge Herr sich die ganze Zeit bemüht hatte nicht in dieses Abhängigkeitsverhältnis zu kommen, saß er nun mittendrin. Dem König war jemand wie Kieran egal und die Wachen hatten ihre ganz eigenen Intentionen, die Leute hier drinnen zu behalten. Das Schlimmste was Kieran also hier drin passieren konnte, und noch dazu das, was am wahrscheinlichsten war: man konnte ihn auch schlicht und ergreifend vergessen. Da der Hauptmann sicher nicht daran interessiert war, das Pferd wieder abgeben zu müssen, würde er Kieran so lange hier drin behalten wie er konnte - und wer außer den Gauklern ohne größere Rechte sollte nach ihm fragen? Es würde dauern, bis jemand vorsprach, der die Stellung hatte, Kieran wirklich herauszuholen. Das hier war Kierans Chance heraus zu kommen, die am wenigsten mit Unannehmlichkeiten verbunden war. Nicos Gesichtsausdruck blieb verschlossen und er ließ sich nicht anmerken, was er von der Erzählung hielt. Schließlich zuckte er beinahe beiläufig mit den Schultern. "Genau betrachtet hast du also nur verschlafen. Das klingt nach einem so anstrengenden Tag wie du ihn hattest sogar plausibel würde ich sagen…" Er schien das vollkommen ernst zu nehmen, zumindest so lange bis seine Augen sich leicht zusammenkniffen. "Du bist gestern schon verdammt unverschämt gegenüber bloßer Großzügigkeit gewesen - aber jetzt grenzt es wirklich an pure Dreistigkeit. Ich dachte, du willst dein Pferd wieder haben, und dir liegt etwas daran. Gut, wenn du selbst nicht hier raus willst, dann kann ich dich sicher nicht dazu zwingen. Ich meine, verschimmeltes Brot und Brackwasser, das ist sicher genau das, wovon man in den nächsten Wochen leben möchte. Ansonsten... hm, vielleicht stellt man dich nur an den Pranger, ich habe keinen blassen Schimmer. Ich befürchte aber fast, dass man dich einfach vergessen wird, denn dem Hauptmann gefällt dein Pferd und er will es gern behalten."

Nico verschränkte die Arme vor der Brust. "Und ich werde nicht für deinen Gaul und noch viel weniger für dich bürgen, wenn jedes Wort aus deinem Mund nur die pure Lüge ist." Er hob die Hand, um jeden Widerspruch im Keim zu ersticken. "Oder zumindest einfach nicht die Wahrheit. Denkst du ich weiß nicht, wo man dich aufgegriffen hat? Vor wessen Haus? Und denkst du, ich hätte die hier nicht gesehen?" Er zog die Blätter aus der Jackentasche und ließ sie auffächern. Ein anerkennender Pfiff ertönte aus dem Kerker nebenan. Dort stand ein bereits älterer, ziemlich abgerissener Penner, dem man die kriminelle Vergangenheit schon an der Nasenspitze ansehen konnte. Nicos fragender Blick wandte sich wieder Kieran zu. "Du warst also bei einem Bekannten. In seinem Atelier. Zufällig... nackt. Lass mich raten, so bist du auch eingeschlafen?" Es war kein Neid in seiner Stimme. Natürlich waren die Bilder schön, aber es war im Grunde nur ein nackter Mann. Wie viel da wirklich Kieran und wie viel künstlerische Freiheit war konnte man nie genau sagen. Fakt war viel mehr, dass es diese Bilder waren, die Kieran das Genick brechen würden, nicht die Tatsache, dass er bei Nacht in der Stadt geblieben war. "Also, in meiner unendlichen Güte noch einmal die Frage: Was habt ihr in dieser Nacht bei Mister Hodgson gemacht?"
 

Kieran Carney

Würde dem anderen seine Erklärung wirklich reichen? Er konnte es kaum glauben. Kieran war mehr als bewusst, dass der Hauptmann wesentlich mehr in seiner Hand hatte, als nur die Tatsache, dass er sich wohl zur Sperrstunde innerhalb der Stadtmauern augfgehalten hatte. Und so treu ergeben, wie er gestern gegenüber Dominico gewesen war, konnte Kieran kaum annehmen, dass jener seinem Gegenüber nicht mehr über die Umstände seines Aufgreifens gesagt hatte.

Kieran sah in die vor Ärger verengten Augen des anderen, als dieser erzürnt zu sprechen begann. Dann senkte er den Blick, als er die nun folgenden Worte vernahm, die ihm klar vor Augen führten, was auf ihn zukam - wohl noch im besten Fall. Und die Worte prügelten auf ihn ein, so schien es ihm - aber wohl zu recht. "So ganz stimmt das nicht", sagte er erschrocken doch die Haltung des anderen, die vor der Brust verschränkten Arme ließen ihn wieder verstummen.

Als er jedoch der Lüge bezichtigt wurde, blickte er den anderen mit funkelnden Augen. Er hatte nicht gelogen, er hatte nur nicht … alles erzählt. "Aber...", setzte er an, doch zu einer protestierenden Antwort kam er nicht, denn die Geste des anderen war eindeutig, und so ließ er auch den Rest der Zurechtweisung über sich ergehen.

Einen Moment hatte Kieran wirklich gehofft, dass Dominico Sforza das Bild noch nicht gesehen hätte, aber er hatte sich ja denken können, dass dem nicht so war. Sicher hatte der Hauptmann nicht nur die Bilder übergeben, sondern auch gesagt, wo er aufgegriffen worden war. Kieran wusste ja nicht, wie bekannt und berüchtigt Jonathan war - woher auch? Nun und dass diese Bilder - unter den falschen Gesichtspunkten betrachtet - die Frage aufwarfen, ob er sich nur ausgezogen hatte für den Künstler, oder ob nach dem Modeln auch noch ein anderes Programm an der Tagesordnung gestanden hatte, war Kieran durchaus bewusst. Und die Panik, die er eigentlich nicht hatte zulassen wollen, begann langsam aber sicher seine Kehle zuzuschnüren, als ihm Dominico das Bild vor Augen hielt. Den Mann, der in der benachbarten Zelle ihren Worten lauschte und sein Bild mit einem anerkennenden Pfiff kommentierte, schenkte er keine Beachtung, auch wenn er ihm am liebsten die das Maul gestopft hätte.

Als Dominico sich zusammenreimte, was er bei Jonathan gemacht hatte, stieg ihm die Röte ins Gesicht. Wieder einmal sah sich Kieran in der Situation, dass das Gespräch mit Dominico Sforza in eine völlig falsche Richtung lief, dass das Gespräch wieder einmal scheiterte. Aber das durfte es nicht. Es war seine einzige Hoffnung, die aller einzige. Aber offensichtlich war noch nicht alles vorbei.

"Ich habe ihm Model gestanden - mehr nicht, verdammt noch mal." In ihm wogte eine Welle aus Panik, vermischt mit dem Gefühl von Ohnmacht und einer ordentlichen Portion Wut. "Ich habe seine Bilder am Markt angesehen und er hat mich gefragt, ob ich ihm Model stehen möchte. Er hätte mich bei unserer Show schon gesehen und gezeichnet und meinte, er wolle seine Skizzen vervollständigen. Dass ich mich dafür ausziehen musste, hatte ich zunächst nicht gewusst. Aber es war in Ordnung, als er mich darum gebeten hatte. Es war... wir haben nicht... Ich ... Meine Güte, ich habe mich halt nackt von ihm zeichnen lassen. Ist das so schlimm? Sieht doch ganz gut aus. Und ja, verdammt, ich bin auch NACKT eingeschlafen. Na und? Er hat mich doch einfach nur gezeichnet, nicht mehr und nicht weniger. Bin ich deswegen ein Verbrecher?" Er wusste, dass jegliche Anzeichen von Homosexualität dem Henker wahre Freude bereiteten. Und er könnte noch froh sein, wenn er nur seinen Kopf dabei verlieren würde, nicht auch noch andere Körperteile oder langsames Verbluten oder im Vorfeld eine lange Reihe von Vergewaltigungen über sich ergehen lassen dufte. Aber darüber wollte er jetzt lieber nicht genauer nachdenken... "Ich wollte Jonathan keine Schwierigkeiten machen, deswegen habe ich es nicht gleich gesagt. Aber ich habe auch nicht gelogen." Kieran atmete tief durch. "Bitte", sagte er dann. "Ich will mein Pferd nicht verlieren." Er sah den anderen nun wieder ruhiger geworden an. "Und ich möchte auch nicht vergessen werden", fügte er etwas leiser noch hinzu. Lieber sollte ihm Dominico zumindest den Gefallen tun, ihm ein Messer dazulassen.
 

Dominico Sforza

"Natürlich..." Nico konnte sich ein süffisantes Grinsen nicht ganz verkneifen, während er wieder einen Blick auf das Bild warf und es so drehte, dass der Zuschauer in der Nachbarzelle ebenfalls einen guten Blick darauf hatte. "Nur Modell gestanden für einen Künstler mit einem so unglaublich zweifelhaften Ruf, dass sich die Wachen nur die Finger danach lecken, einen jungen Mann aus seiner Türe gehen zu sehen, um ihn Dingfest machen zu können." Er klappte das Papier wieder zusammen und steckte es erneut in seine Jackentasche, bevor Kierans Nachbar im Kerker noch auf schräge Gedanken kam, weil ihm der Sabber schon aus dem Mundwinkel tropfte. "Also gut." Er machte eine wegwerfende Handbewegung und entfernte sich von der Nachbarzelle, um sich gegen die Gitterstäbe zu lehnen. "Dann erkläre mir doch bitte jetzt, nach dem wir ja dieses kleine Detail über deinen Verbleib geklärt haben - was dich dazu bringt, zu einem Mann ins Haus zu gehen, dessen Absichten dich auszuziehen zweifelhafter nicht sein können, während du ganz offensichtlich zu feige gewesen bist, meine Einladung anzunehmen." Nicos Mundwinkel waren nach oben gezuckt, ihn interessierte diese Erklärung wirklich brennend. Während es zwar auch seine Intention gewesen war, zumindest den Versuch zu starten, bei Kieran zu landen, so hatte er sich für den Künstler ohne mit der Wimper zu zucken ausgezogen, während es ihm sogar zu viel gewesen war, Nico nur zu begleiten, der ihn zu nichts gezwungen und sogar bezahlt hätte. Diese Unstimmigkeit ließ Nico nun doch hellhörig werden und er wollte eine plausible Erklärung für das Misstrauen, das Kieran ihm entgegenbrachte. Er hatte keine Lust darauf nur seinen Namen zu verschwenden, um danach weiterhin einfach wie adeliger Abschaum behandelt zu werden, der er nicht war, auch wenn es ihm eigentlich egal sein konnte. Immerhin war Kieran ein niemand. Doch dessen Abfuhr hatte schon ziemlich an Nicos Stolz gekratzt. "Dann mache ich mir auch Gedanken darüber, ob man es als Verbrechen bezeichnen kann, am Morgen nach einer langen Nacht die Wohnung eines ganz offensichtlich dem männlichen Geschlecht zugetanen Künstlers zu verlassen, in der man sich vorher für Aktbilder entblättert hatte." Er konnte es nicht vermeiden, es noch einmal zu widerholen. Vielleicht auch, um es Kieran zu verdeutlichen, welche seltsame Fügung sich ergeben hatte. Vielleicht auch um ihn in seiner nächsten Erklärung zur Wahrheit zu mahnen - er hatte keine Lust mehr auf Spielchen.
 

Kieran Carney

Kieran merkte, wie die Wut in seinem Bauch sich von der Panik nährte, als er Dominicos Grinsen sah, die Reaktion auf seine ehrlichen Worte sah, wie der andere es ausnutzte, in welcher Situation er sich befand. Als Dominico jenem lechzenden Drecksack in der anderen Zelle, der ihn vorhin schon so dämlich angemacht hatte, das Bild zeigte, schloss er einen Moment die Augen, um tief durchzuatmen. Wenn dieser Widerling wagte, eine dumme Bemerkung zu machen, würde er ihm eine verpassen. Doch soweit kam es zum Glück nicht. Vielmehr schien Dominico Sforza es zu genießen, ihm seine Naivität aufzeigen zu können. "Denkt, was Ihr wollt, ich habe Euch gesagt, was passiert ist", sagte er leise. Er durfte seine Wut nicht überhand werden lassen. Er musste ruhig bleiben. Schließlich ging es hier um etwas. Und dass Dominico es genoss, ihn malträtieren zu können, hatte er sich ja selbst zuzuschreiben.

Als Dominico wieder näher zu ihm kam, sich vor ihm an die Gitterstäbe lehnte, nahm er deutlich den angenehmen Geruch des anderen wahr, der sich von dem Gestank dieser Räumlichkeiten markant absetzte. Seine Augen blickten in die des anderen, als er die Aufforderung hörte, seinem Gegenüber zu erklären, weshalb er zu feige gewesen sei, seine Einladung anzunehmen. Kieran schluckte und senkte den Blick und schwieg. Sollte er wirklich erklären, weshalb er sich so vehement dagegen gewehrt hatte, das Angebot anzunehmen? Er haderte mit sich selbst. Es war ein wenig seltsam. Am vergangenen Abend hatte er mit sich gehadert, sich auszuziehen, jetzt befand er sich in einer ganz ähnlichen Situation - er sollte sich seelisch ausziehen.

Aus seinen Gedanken aufgeschreckt, als Dominico ihm noch einmal klarmachte, dass er die Macht hatte, zu entscheiden, inwiefern sich Kieran strafbar gemacht hatte, sah er den anderen wieder an. "Ich kannte seinen Ruf nicht", stellte er noch einmal nachdrücklich fest. "Und es ist ja auch nichts gelaufen."

Wieder schwieg er einen Moment, wägte die verschiedenen Möglichkeiten ab, die er hatte. Aber er musste die Wahrheit sagen, es half letztlich nichts. Auch wenn es bedeutete, dass er sich komplett ausziehen musste - mal wieder.

"Es gab zwei Gründe, weshalb ich nicht mit Euch gegangen bin", begann er schließlich ruhig und leise. Es musste ja nicht gleich jeder hören, was er zu sagen hatte. "Der eine betraf das Angebot selbst. Wenn es ehrlich gemeint war, würde das bedeuten, dass ich die Chance bekommen hätte, mich als Akrobat und Jongleur in höheren Kreisen zu etablieren, dass ich mir unter Umständen einen Namen hätte machen können. Aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich möchte. Denn eigentlich habe ich ganz andere Träume, als mein Leben lang immer als Akrobat die Leute zu belustigen. Ich möchte das nicht für ewig machen und immer von der Gunst anderer abhängig sein. Es bedeutet für mich einen enormen Freiheitsverlust und zugleich habe ich Sorge, dass meine eigentlichen Ziele damit in unerreichbare Ferne rücken." Ja, das war der eine Grund. Er wollte eigentlich Medizin studieren, den Menschen mit seiner Gabe helfen und nicht noch einmal erleben müssen, wie jemand, den man liebte, in den eigenen Armen starb - an einer dämlichen Grippe. Sicher, man konnte argumentieren, dass das eine das andere ja nur fördern würde. Aber hatte er in London wirklich die Chance, zu arbeiten UND zu studieren? Er wagte das zu bezweifeln.

Er hatte eine Weile geschwiegen und spürte, dass Dominico auch den zweiten Grund hören wollte. Er sah ihn einen Moment an, dann senkte er wieder den Blick. "Der zweite Grund hängt mit Euch zusammen. Es ist...", begann er zögernd, "...dass ich Angst hatte, ja zu feige war." Er fuhr sich mit seinen Händen durch die Haare. Er sollte sich beeilen: Augen zu und durch. Und dann würde sich zeigen, wie ehrenhaft Dominico Sforza war. Oder ob er nun nur noch mehr Ärger bekommen würde. "Ich hatte Angst vor mir selbst, dass ich nicht wiederstehen kann. EUCH nicht wiederstehen kann. Ihr könnt nicht leugnen, dass Eure Absichten zweideutig waren. Und ich wollte mir das Gefühl ersparen, wie es ist, als Hure aufzuwachen." Er schnaubte. "Dafür sitze ich jetzt hier - auch nicht viel besser." Nur kurz blickte er in die Augen des anderen, schauend, wie die Reaktion war, aber er konnte dem Blick nicht standhalten. Ja, er hatte Angst gehabt, denn Dominico war genau der Typ Mann, den er als begehrenswert empfand. Und deshalb hatte ihn auch der Verdacht, jener könne mehr als nur seine Kunst begehren, so verunsichert und misstrauisch gemacht. Es war eines, einem Mann zu begegnen, den man begehrenswert empfand, und deshalb mit ihm im Bett landete. Etwas ganz Anderes war es jedoch, mit diesem im Bett zu landen, nachdem man Angebote bekommen hatte, sich beruflich fördern zu lassen. Und auch wenn er nur ein Mann ohne Rechte war, so hatte Kieran auch seinen Stolz.
 

Dominico Sforza

Auch wenn Kierans Nachbar noch immer an den Gitterstäben hing, um sie zu belauschen, hatte er jetzt keine Chance mehr dazu. Außerdem wurde vorn im Kerker gerade noch ein weiterer Gast gebracht, der sich lautstark darüber beschwerte. An anderer Stelle übergab sich ein Insasse lautstark, wohl weil er auch über Nascht hier drin gelandet war, weil er wegen zu viel Alkohol gepöbelt und randaliert hatte. So hatten sie beinahe ein bisschen Privatsphäre während sie sich unterhielten. Und Nico konnte deutlich sehen, dass Kieran mit sich haderte. Anscheinend gefiel es ihm ganz und gar nicht, gezwungen zu sein, die Wahrheit zu sagen. Hier an diesem Ort und in dieser Situation war es wohl auch nicht angenehm, doch Nico sah keine andere Möglichkeit Kieran dazu zu bringen, zumal sein Interesse daran wohl ohnehin nachgelassen hätte, wenn er den Kerker wieder verlassen hätte. Das, wozu er Kieran wirklich gebraucht hätte, war verstrichen, und der junge Mann hatte sich als so nervtötend und verschlossen im Umgang präsentiert, dass Nico es einfach nicht für notwendig gehalten hatte, noch einen Gedanken an ihn zu verschwenden. Nur durch den Wachmann war er heute Morgen wieder darauf gekommen, sich Gedanken über ihn zu machen. Und jetzt, wo Kieran wieder und wahrscheinlich eher unbeabsichtigt sein Interesse geweckt hatte, wollte Nico keine Ausflüchte oder frechen Phrasen mehr hören. Es war Zeit für die Wahrheit, von der Nico nichts verschwiegen hatte, als er gestern mit ihm zusammengetroffen war. Er sagte nichts mehr, sondern wartete darauf, dass Kieran sprach und der ließ sich Zeit, so dass der Sforza fast im Begriff war, sich einfach abzuwenden und zu gehen, bis Kieran endlich über seinen Schatten sprang. Was er als ersten Grund zu hören bekam, klang gar nicht mal schlecht und sogar ziemlich ehrlich. Er wollte also nicht wirklich Künstler sondern etwas anderes sein. Ja, diese Sache konnte Nico erstaunlich gut nachvollziehen, er bekam sie immerhin jeden Tag vorgelebt. Blieb die Frage was Kieran eigentlich werden wollte, doch Nico hielt sich zurück. Dennoch drängte sich in ihm das Gegenargument auf, dass ein zuvorkommender höflicher Kieran, das auch bei einem Abendessen hätte sagen können, ohne dass Nico ihn verteufelt hätte. Doch Grund Nummer Zwei schien der wichtigere zu sein und den wollte Nico erst hören, bevor er irgendetwas sagte.

Was er dann zu hören bekam, ging ihm runter wie Öl, und es brauchte schon eine gewisse Willensanstrengung, um nicht zu grinsen. Ja, Kieran war feige gewesen, das hatte er gemerkt. Doch neben dem puren Unwillen hatte Nico gestern kaum noch etwas Anderes gesehen. Dass Kieran ihm jetzt eröffnete, dass er ihm im Zweifelsfall nicht hätte widerstehen können, gefiel ihm. Er hatte nicht für den Sex bezahlt werden wollen, den Nico tatsächlich in Betracht gezogen hatte, wie Kieran richtig vermutete. Doch im Gegensatz zu Alessio war Nico in diesem Spiel nicht derjenige, der es um jeden Preis versuchte. Er war jemand, der es in Betracht zog, doch Alessio hatte es herausgefordert und wie auch immer er gestern Finley rumbekommen hatte, Alessio war skrupelloser, was dieses Spiel anging.

Nico ging über einen gewissen Punkt nie hinaus, aber das konnte Kieran ja nicht wissen. Er musterte den jungen Mann noch eine Weile, der deutlich zusammengesunkener in seiner Zelle stand, als er ihn eben noch vorgefunden hatte, dann stieß er sich von den Gitterstäben ab und ging den Gang zum Wachzimmer hinunter. Es bedurfte keines Gespräches mehr, zumindest nicht von seiner Seite. Er wusste alles und es war genug, um zu entscheiden was zu tun war, alles andere konnte man in einem anderen Rahmen bereden, zum Beispiel dann, wenn sie Kierans Pferd abgeholt hatten und aus der Stadt ritten. Nico hatte nicht vor Kieran jetzt so leicht wegreiten zu lassen.

Als er die Wachstube erreichte wartete schon der grinsende Hauptmann auf ihn. "Also?"

"Lass ihn gehen und gib ihm sein Pferd zurück." Das war nun nicht die Reaktion, auf die der Hauptmann gehofft hatte. Trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust. "Das Tier wurde konfisziert, es gehört jetzt der Stadt. Und er muss für das Verbrechen bestraft werden, das er begangen hat", versuchte er, das Gesetz zu zitieren; doch Nico winkte ab. "Lass gut sein. Ich werde für ihn bürgen und ich werde der Stadt", er betonte es so, das deutlich wurde, wen er mit "Stadt" meinte, "einige meiner Pferde schicken, so dass wir den Mangel, der offensichtlich herrscht, ausgleichen können. Also?"

Die Miene des Mannes hellte sich auf, der nur um seinen neuen Besitz gefürchtet hatte. Er nickte langsam und ließ Nico ein Dokument unterschreiben, in dem er für den entlassenen Kieran bürgte, ehe der Hauptmann einen anderen Mann losschickte, der das Pferd samt Sattel und Trense aus den Ställen holen sollte. Nico und er kehrten zu Kierans Zelle zurück, wo das Schloss mit einem großen Schlüssel vom Bund des Kerkermeisters geöffnet wurde. Kierans Zellennachbar schien traurig zu sein, seinen "netten" Nachbarn zu verlieren, und auch der Hauptmann konnte sich einen nachdenklichen Gesichtsausdruck nicht verkneifen. "Ihr könnt froh sein, einen Fürsprecher wie Lord Sforza zu haben." Nico deutete gen Ausgang, um Kieran vorgehen zu lassen, und steckte dem Kerkermeister einen Beutel mit Münzen zu. Dieses arme Schwein lebte kaum besser als die Kerle, die hier einsaßen.
 

Kieran Carney

"Scheiße", fluchte er leise, seinen Kopf gegen die Gitterstäbe lehnend, an denen er sich festklammerte. Jetzt hatte er sich dazu durchgerungen, die Wahrheit zu sagen, und wofür? Dass Dominico Sforza sich einfach so ohne jeden Kommentar abwendete und ging. "Scheiße", entwich es ihm noch einmal. Aber was hatte er erwartet? Hatte er erwartet, dass der andere in Jubelschreie verfiel, wenn er hörte, dass Kieran ihn als begehrenswert empfand?

Und was würde jetzt folgen? Niamh war verloren, er selbst würde hier verrotten oder wegen Unzucht den Kopf abgeschlagen bekommen. Er hätte sich doch prostituieren sollen gestern Abend, dann wäre er jetzt zumindest noch am Leben, auch wenn er sich nicht mehr ins Gesicht hätte blicken können. Jonathan hatte wohl recht gehabt, dass alles seinen Preis hatte und man sich überlegen sollte, welchen man selbst bezahlen wollte. Hätte er sich gestern auf Dominico eingelassen, wäre er jetzt nicht in dieser ausweglosen Situation. Kieran rutschte an den Gitterstäben hinunter, keine Kraft mehr spürend und im Glauben, seine letzte Chance verspielt zu haben.

"Tja, Junge", hörte er den Mann in der anderen Zelle sagen. "Scheint ihm nicht gefallen zu haben, was du gesagt hast. Aber tröste dich, du darfst dich hier gerne ausziehen, wann immer dir danach ist." Das keuchende Lachen, das folgte, ließ vermuten, dass dieser Widerling nur bei dem Gedanken daran schon abspritzte. Doch so gerne er dem anderen jetzt das Maul gestopft hätte, so wenig Kraft spürte er momentan in sich.

Als sich zwei Paar schwere Stiefel und ein klappernder Schlüsselbund seiner Zelle näherten, blickte er überrascht auf und stand behände wieder auf den Füßen, noch ehe die zwei Männer seine Tür erreicht hatten. Er war etwas verdutzt und doch pochte sein Herz mit einem Mal schnell und hart gegen seine Brust. Seine Augen suchten die des anderen, als der Kerkermeister die Tür öffnete und ihm gedeutet wurde, gehen zu dürfen. Kieran zögerte nicht lange und verließ diesen Ort der Trostlosigkeit nur zu gerne. "Ihr könnt froh sein einen Fürsprecher wie Lord Sforza zu haben", hörte er den Hauptmann sagen. "Das bin ich", entgegnete er schlichtweg, Dominico Sforza noch immer ein wenig verwundert, aber genauso dankbar ansehend. "Sehr sogar."

Auf den Deut von Dominico hin, wendete er sich dem Ausgang zu und fühlte sich mit einem Mal so leicht, dass er das Gefühl hatte, hier heraus zu schweben. Er war mehr als erleichtert und froh darüber, sich zur Wahrheit durchgerungen zu haben. Er wusste nur noch nicht, welche Konsequenzen das haben würde. Er war nun in Dominicos Schuld und es würde sich erst noch zeigen, ob das gut war oder schlecht.
 

An der frischen Luft atmete er tief durch und drehte sich, als er den Viertakt von Pferdehufen auf dem gepflasterten Vorplatz hörte. "Niamh", entwich es ihm und er ging die wenigen Stufen hinunter, die aus dem Gefängnistrakt auf den Vorplatz führten. Ein Wachmann übergab ihm die Stute, die ihn mit einem leisen Blubbern begrüßte, die Nüstern an ihn drückte und der er über die Blässe streichelte, seine Wange auf die Stirn seiner Stute legend. "Es ist alles gut, meine Kleine", sagte er leise zu der Stute, die mit einem bayerischen Brand wohl einzigartig in England war, und kraulte ihr sacht den Schopf. Doch ihm war bewusst, dass da noch jemand hinter ihm stand, und so beließ er es bei der Begrüßung, sich Dominico Sforza zuwendend.

Ja, verdammt, dieser Mann war ganz grauenhaft attraktiv.

"Ich danke Euch", sagte er und das erleichterte Lächeln würde heute wohl nicht mehr so schnell aus seinem Gesicht weichen. "Ich stehe in Eurer Schuld", stellte er dann fest. Ja, das tat er und er wusste nicht, welche Konsequenzen das noch für ihn haben würde. Aber das würde ihm der andere wohl gleich offenbaren.
 

Dominico Sforza

Als sie wieder vor der Zelle standen und Nico Kieran musterte, sah er, dass der junge Mann kaum davon ausgegangen war, ihn noch einmal hier zu sehen. Anscheinend hatte Kieran mit seinem Fortgang schon mit seiner Freiheit abgeschlossen - das war ein gutes Zeichen. Nico konnte es nicht leiden, allzu berechenbar zu erscheinen, und wenn Kieran ihn fürchtete oder sich zumindest seiner absolut nicht sicher war, dann mochte er es.

Kaum war die Zellentür auf, war Kieran auch schon hinausgerannt, naja, mehr oder weniger edel zumindest. Auf dem Hof kam ihnen schon der Wachmann mit dem Pferd entgegen und für einige Minuten schien der junge Mann nichts außer seinem Pferd wahrzunehmen. Nico schüttelte dem Hauptmann zum Abschied die Hand und am Eingang des Gefängnishofes wartete bereits Amadeo mit seinem dunklen Hengst am Zügel. "Dann hoffe ich für euch, Lord Sforza, dass ihr diese gute Tat nicht bereuen werdet." Nico schmunzelte. "Ich kann mich auch immer noch geirrt haben mit meiner Einschätzung seiner Person, oder?" Denn Nico hatte nicht aus reiner Nächstenliebe gehandelt, er war kein geistlicher. Er war schlichtweg neugierig und wenn Kieran ihm erneut auf der Nase herumtanzen sollte oder ihn so brüskieren würde wie am Abend zuvor, dann war er schnell damit bei der Hand, seine gute Tat rückgängig zu machen. Doch Kieran machte nicht den Eindruck als habe er nur aus dem Wunsch heraus, den Kerker zu verlassen, gelogen. Und wenn Kieran aufrichtig war, konnte auch Nico aufrichtig sein. Wie du mir, so ich dir! – beschrieb sein Lebensmotto wohl äußerst passend.
 

Er schlenderte die letzten Stufen der Treppe hinab in den Hof und stand kurz darauf hinter Kieran, der sich umdrehte als er endlich fertig damit war, seine Stute zu begrüßen. Ein hübsches Ding, doch Stuten waren für Nico nicht wirklich interessant. Sie standen auf den Weiden und trugen Fohlen aus - natürlich konnten sie auch geritten werden und Kutschen ziehen, doch für die Zucht spielten sie in Nicos Kreisen eine weit weniger wichtige Rolle. Deswegen ritt er auch einen seiner stolzen Zuchthengste, auf die er generell sehr viel gab. Ganz konnte er ein amüsiertes Lächeln nicht unterdrücken, als Kieran seine Situation so passend schilderte. "Ja, das tut Ihr." Nach dem Kieran sich ihm gegenüber respektvoll verhalten hatte, konnte er ihn ja auch wieder respektvoller behandeln. "Amüsant, muss ich sagen. Immerhin war es doch genau das, was ihr so krampfhaft habt vermeiden wollen, wenn ich das recht verstehe. Nun ja", er winkte ab während er sich in Bewegung setzte, davon ausgehend, dass Kieran ihm folgte. "Ich bin sicher, Ihr habt es eilig nach draußen ins Lager zu kommen, doch ich kann euch jetzt schon versprechen, dass daraus nichts wird. Es gibt ein gutes Badehaus hier in der Nähe, dort könnt ihr euch waschen und ich sorge für frische Kleidung. Danach werdet ihr mich zum König begleiten und mir erzählen, was es ist, dass ihr mehr wollt als ein guter Feuertänzer zu sein." Er machte eine Pause als er an seinem Pferd angekommen war, das in Anbetracht er Stute den Hals stellte, die Nüstern blähte und kurz darauf gefechtsbereit auf der Straße stand, den Schlauch ausgefahren und die Ohren deutlich gespitzt. Nico gab ihm einen sachten Schlag auf die Nase, die den Hengst davon abhielt sich der Stute zu nähern, doch seine offensichtliche Erregung war nicht zu übersehen. "Also bitte - seid mein Gast."

Er hätte auch hinzufügen können, dass es wohl unklug wäre, das Angebot auszuschlagen, doch das wusste Kieran sicher schon selbst. Und Nico verlangte ja auch nichts Unmögliches von ihm, nur ein Gespräch. Das würde er wohl über sich bringen. Dass Nico schon wieder eine Art Befehlston angeschlagen hatte, war ihm zwar bewusst, aber es war nun mal nicht leicht, von einer auf die andere Art zu wechseln, wenn man den Mann, mit dem man umgehen wollte, nicht einmal kannte. Bei Rod konnte Nico sehr zärtlich sein, genauso bei seiner Frau oder anderen vertrauten - Kieran hatte sich diesen Status noch nicht erworben.
 

Kieran Carney

Das Lächeln des anderen beruhigte Kieran irgendwie. Es war eine etwas seltsame, ungewohnte Situation für ihn. Da erklärte er einem Mann, dass er ihn attraktiv fand und im Zweifelsfall ihm wohl nicht wiederstehen könnte, und wurde dann von eben diesem aus dem Kerker geholt, woraufhin er definitiv in dessen Schuld stand und diesem wohl auch irgendwie ausgeliefert war. Er wusste noch nicht so genau, was er davon halten sollte. Zunächst fühlte es sich noch nicht schlimm an und das Lächeln des anderen ließ ihn hoffen, dass es sich nicht noch als fataler Fehler herausstellen würde, sich diesem Mann "verkauft" zu haben.

Und als habe der andere seine Gedanken gelesen, brachte er diese auch sogleich auf den Punkt. Ja, gestern hatte er es vermeiden wollen, diesem Mann zu nahe zu kommen, da er schwach hätte werden könnte, doch jetzt war die Situation anders. Er hatte einen anderen Dominico Sforza kennen gelernt, als den, den er sich gestern eingebildet hatte, zu sehen. Es würde letztlich noch zu entscheiden sein, welcher nun der echte Dominico Sforza war, aber Kieran hoffte inständig, dass es jener war, der gerade mit einem gewissen amüsierten Funkeln in den Augen gelächelt hatte. Kieran erwiderte nichts auf diese Feststellung, und konnte letztlich ja auch nichts erwidern. Was sollte er sagen? Dass er hoffte, Dominico Sforza wolle nicht Sex als Schuldentilgung? Dass er hoffte, nicht als Sklave behandelt zu werden? Alles Schwachsinn! Fakt war: Er hatte keine Ahnung, was der andere mit ihm vorhatte, aber jener hatte offensichtlich seine Pläne. Und das, was er gelernt hatte in den letzten ca. 18 Stunden war, dass er vielleicht einfach nur ehrlich sein musste, um mit dem Mann auszukommen, dem er wohl nun erst einmal zu Diensten sein würde.

Ohne darüber nachzudenken folgte er Dominico, der in Richtung des prachtvollen Hengstes ging, der von einem Bediensteten gehalten wurde. Kieran mochte Hengste, sie hatten ihren ganz wunderbaren, eigenen Charakter und waren nicht so stumpf und langweilig wie Wallache und nicht so zickig wie Stuten. Aber bei ihnen in der Truppe einen Hengst zu halten, war schier unmöglich, weil man sie nicht passend von den übrigen Pferden separieren konnte. Niamh war ihm geschenkt worden, als sie noch ein Fohlen gewesen war. Und auch wenn sie hin und wieder ihre Tage hatte, war sie wohl das treueste Lebewesen, das Kieran je kennengelernt hatte. Sie verstanden sich blind.

Kieran vernahm die Worte, die Dominico sprach und er nickte leicht hinsichtlich der Tatsache, dass er wirklich am liebsten in sein Lager reiten wollte. Er musste mit seinem Vater sprechen, sich seine Standpauke und Moralpredigt anhören und die Wogen glätten, bevor man sich ernsthafte Sorgen um ihn machen würde. Und er musste dringend etwas Frisches anziehen und noch viel dringender duschen. Doch letzteres schien Dominico in seinen Plänen bereits bedacht zu haben. Kieran blickte etwas verwirrt, als ihm klar wurde, dass er bereits fest in die nächste Tagesordnung offenbar integriert worden war. Und als er hörte, dass er vor den König treten sollte, war er erst recht überrascht. Wow, heftig. Gestern hatte er Dominico noch hohle Phrasen vorgeworfen, jetzt würde er dem König begegnen? Erneut beschlich ihm das Gefühl von Scham, am vergangenen Tag so heftig dem anderen vor die Brust gestoßen zu haben. Er war einfach überfordert gewesen, aber dass er sich so heftig daneben benommen hatte, das wurde ihm jetzt erst so richtig bewusst.

Und so fiel ihm der schier unerbittliche, militärische Ton gar nicht weiter auf, den Dominico automatisch eingenommen hatte und den er wohl gewohnt war, bei seinem Gefolge einzuschlagen. Er empfand ihn in Anbetracht der Situation auch nicht wirklich falsch, schließlich hatte er, ob es ihm passte oder nicht, letztlich eingewillig, dass Dominico tun durfte mit ihm, was er wollte. Naja – fast alles! Außerdem war er zu verwirrt, wie schnell sich plötzlich sein ganzes Leben gewandelt hatte und aus den Fugen geraten war. Binnen weniger Stunden hatte sich alles irgendwie auf den Kopf gestellt. Und der Gipfel der Überraschung war, dass Dominico auch noch den Rest der Wahrheit hören wollte. Den Teil, den er vorhin noch ausgespart hatte: Was würde er lieber machen, als ein Feuertänzer sein?

Niamh legte die Ohren an und schlug drohend mit dem Kopf, als der Hengst sich brüstete und vor ihr kokettieren wollte. Sie war nicht rossig und sollte sich der Hengst tatsächlich nähern, würde die Gute sich wohl kaum abhalten lassen, ihrer Geste mit Tritten und Zähnen mehr Ausdruck zu verleihen. Kieran nahm die Zügel mit einer Hand auf und strich ihr mit der freien Hand über den Hals. "Ruhig", sagte er leise und blickte wieder zu Dominico, der ihn in diesem Moment einlud, sein Gast zu sein.

Gast? Hatte Kieran das richtig gehört? Irgendwie kam er sich noch immer überfahren vor. Er suchte die Grünen Augen des Mannes, der ihn gerade eingeladen hatte sein "Gast" zu sein und die Verwirrung musste ihm ins Gesicht geschrieben stehen. Gerade eben hatten sie noch darüber geredet, dass er in eine Abhängigkeit zum anderen gekommen war, und jetzt sollte er sein Gast sein? Nun, das hörte sich angenehm an, aber irgendwie hatte Kieran dann doch wohl eher damit gerechnet gehabt, von Dominico zu hören zu bekommen, was er machen, arbeiten, rackern, was auch immer tun sollte, um seine Schuld zu begleichen.

"Natürlich", sagte er verwirrt.
 

Er genoss das Bad, auch wenn er sich zügig wusch und reinigte. Es tat gut, den Gestank des Kerkers und den Schweiß des Vorabends loszuwerden. Er badete oder wusch sich zumindest jeden Tag. Menschen, die sich nicht pflegten, widerten ihn an. Und besonders wenn es darum ging, Patienten zu behandeln, war ihm Hygiene sehr wichtig. Und während er sich wusch, konnte er ein wenig Revue passieren lassen, was in den letzten Stunden geschehen war. Er konnte die Situation, in der er sich befand, noch immer nicht einschätzen, aber er nahm sich vor, so offen wie möglich damit umzugehen und einfach abwarten, was passieren würde. Dennoch schickte er sich, damit Dominico Sforza nicht unnötig warten musste. Der Bedienstete des anderen brachte ihm schließlich die Kleidungsstücke, von denen vorhin schon die Rede gewesen war. Kieran hatte auch ein paar schöne Kleidungsstücke, aber so etwas hatte er noch nie getragen. Die enge, aber sehr bequeme Reithose aus einem angenehmen grünen Stoff betonte seine schmalen Hüften, während der Wams in entsprechender Farbe und zeitgenössischen Verzierungen hoch schloss und ihm durch seinen Schnitt eine ungeahnte Grazie verlieh. Kleider machten Leute, das konnte man nicht anders sagen. Kieran blickte in den Spiegel und erkannte sich kaum wieder. Während er sich musterte, dachte er wieder an das Bild, das Jonathan von ihm gemalt hatte. Dabei fiel ihm auf, dass Dominico es noch immer haben musste. Bei Gelegenheit würde er ihn bitten, es ihm zurückzugeben.

Wenig später begleitete er den Diener, der sich als Amadeo vorgestellt hatte, in die Eingangshalle des Bades, wo Dominico Sforza bereits auf ihn wartete. Jener musterte ihn und ohne darüber weiter nachzudenken drehte sich Kieran ein wenig. "Ich denke, so kann man mich als gesellschaftsfähig betiteln, was mein Ihr?"
 

Dominico Sforza

Nico war weit davon entfernt in Betracht zu ziehen, Kieran durch sexuelle Gefälligkeiten die Schulden zurückzahlen zu lassen. Das wäre zu einfach gewesen und nach seiner recht angenehmen Nacht mit Rodrego hatte er es nicht sonderlich eilig sich wieder auszuziehen, zumindest nicht vor diesem jungen Mann. Kieran war ihm schon gestern zu widerspenstig gewesen und die Dinge, die er zu hören bekommen hatte, brachten Nico dazu etwas zu tun, dass Kieran wahrscheinlich viel mehr stören würde als die bloße sexuelle Anmache. Sie mussten nicht weit reiten, um das Badehaus zu erreichen, und Amadeo kümmerte sich um die Kleidung. Sie war die eines erhobeneren Standards ohne direkt protzig oder offensichtlich zu teuer zu sein. Dennoch war sie schick und damit für die Augen des Königs keine allzu große Beleidigung. Henry hasste es, wenn vor ihm Leute aufmarschierten, die aussahen, als hätte man sie aus der Gosse gezogen, und das konnte Nico auch nur allzu gut verstehen.

Nico wusste noch nicht ganz genau, was er mit Kieran beim König vorhatte, doch das hing wohl ganz davon ab, was Kieran ihm noch berichtete. Entweder würde er ihn als einen der Gaukler vorstellen und tatsächlich ein Engagement anpreisen, das beim Bankett des Königs in ein paar Tagen aufgeführt wurde, oder aber er würde das nehmen, was Kieran ihm sonst noch so bot. Während der junge Gaukler im Badehaus verschwand, wartete Nico in der Eingangshalle, die Beine übereinandergeschlagen. Er hatte sich einen heißen Würzwein servieren lassen und nippte daran, während er wartete. Amadeo hatte derweil die Kleidung, die Kieran im Kerker getragen hatte, in einen Beutel gesteckt, den Kieran in seinen Satteltaschen unterbringen konnte. Danach hatte Nico ihn gebeten den Sattel und das Zaumzeug der Stute mit einem Tuch ein wenig zu polieren. Kieran hatte natürlich keinen beschlagenen Sattel so wie Nico, doch es musste ja nicht sein, dass Pferd und Zaum aussahen, als seien sie gerade von einer Jagd zurück gekehrt. Amadeo hatte stets ein wenig Bienenwachs dabei, das auch auf der Reise mürbes Leder wieder geschmeidig machte, und so glänzte Niamhs Sattel und Trense bald so wie die der Sforza-Pferde. Als Kieran endlich aus dem Bad trat, sauber rasiert, das Haar wieder nach hinten gekämmt und vor allem weniger nach Scheiße stinkend, in einem doch recht ansehnlichen Aufzug, nickte Nico zufrieden und erhob sich. Dass Kieran beinahe vor ihm posierte nahm er zwar wahr, überging es aber geflissentlich. Entweder versuchte Kieran ihn zu beeindrucken, oder aber er hatte es unabsichtlich getan - oder aber er erhoffte sich eine Reaktion und die vermied Nico absichtlich. "Dann sind wir ja jetzt bereit zum Aufbruch." Er leerte den Becher in einem Zug während er Kieran einen halbvollen anderen Becher hinhielt. So hatte der noch die Chance, auch etwas zu trinken, ehe sie für eine ganze Zeit lang wohl auf dem Trockenen saßen. Manchmal ging es recht schnell, manchmal verbrachte Henry zu viel Zeit im Bett mit seinen Mätressen. Nico hoffte darauf, dass seine Majestät heute zügig dabei war, die wichtigen Dinge der Tagesordnung zu besprechen.
 

Kieran Carney

Kieran ergriff unwillkürlich den Becher und roch daran, bevor er ansetzte und ebenfalls trank. Hm, Alkohol, zumindest ein wenig. Er sollte vorsichtig sein, schließlich hatte er bis auf die Apfelstücke und zwei Bissen Brot heute Morgen seit dem vergangenen Mittag nichts mehr gegessen. Also trank er nur ein paar Schlucke und stellte den Becher wieder hin. Dann folgte er Dominico nach draußen.
 

Dominico Sforza

Auch wenn Nico nichts gegessen hatte - er war es gewohnt Wein zu trinken, nicht so anscheinend Kieran. Er beobachtete wie der junge Mann nur am Wein nippte und ihn dann wieder wegstellte. Ein gutes Zeichen für eine anständige Selbsteinschätzung, was dann die Sache mit Jonathan noch viel seltsamer machte.

Ostern in Cambridge - Beim König

Dominico Sforza

Als sie wieder aus dem Badehaus traten, schwang sich Nico erneut aufs Pferd und auf dem Weg zur Residenz des Königs wandte er sich erneut an Kieran, musterte ihn kurz aus dem Augenwinkel. Ja, in diesem Aufzug und mit einem ein bisschen herausgeputzten Pferd würde niemand Fragen stellen. "Also... was ist es, das ihr lieber sein wollt als Schausteller?", kam er direkt zu dem Punkt, den er neben einigen anderen Kleinigkeiten vor allem geklärt haben wollte.
 

Kieran Carney

Überrascht glitten seine Finger über das Zaumzeug, den Sattel seiner Stute. Auch Niamh selbst sah geputzt aus. Wann war das denn geschehen? Aber er hatte keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, sondern schwang sich auf die Stute, um sich dem anderen anzuschließen.

Kieran merkte, dass er etwas nervös wurde, wenn er darüber nachdachte, dass sie tatsächlich in Richtung König unterwegs waren. Was hatte Dominico mit ihm dort vor? Er würde ihn doch nicht wirklich diesem vorstellen, oder? Das konnte er sich kaum vorstellen. Nun ja, er würde sehen was auf ihn zukam. Improvisation war eine wichtige Voraussetzung als Künstler und die würde er hier dann wohl unter Beweis stellen müssen.

Als Dominico ihn jetzt gleich aufforderte, ihm zu sagen, was sein eigentlicher Wunsch für seine Zukunft war, blickte er ihn kurz an. "Ich möchte Arzt werden", sagte er dann. "Ich träume von einem Studium in Oxford oder hier in Cambridge." Kurz überlegte er, wie weit er ausholen sollte, dann sprach er weiter. "Ich habe eine gewisse Begabung für die Heilkunst und beschäftige mich schon lange damit. Aber das, was ich weiß, ist noch viel zu wenig. Ich kratze nur an der Oberfläche und das nervt mich. Ich wünschte, ich hätte die Möglichkeit, mehr zu lernen und den Menschen mehr zu helfen. Aber das ist nicht so einfach, wenn man nicht das nötige Kleingeld und den entsprechenden Namen hat." Er seufzte und strich Niamh in Gedanken über den Hals. "Ich nehme jede Gelegenheit wahr, mir Wissen anzueignen, aber viele Gelegenheiten habe ich dafür nicht. Zumindest reicht das, was ich schon weiß, für die alltäglichen Dinge." Wenn sie die Zelte an Orten aufschlugen, an denen sie bereits bekannt waren, kamen die Leute bereits zu ihm, damit er ihnen helfen konnte. "Das Schönste wäre eigentlich, wenn ich einmal in die Länder der Mauren reisen könnte. Sie sind viel progressiver als wir und forschen unter ganz anderen Bedingungen am menschlichen Körper. Aber..." Er brach ab. Im Grunde hatte er gerade eben wieder etwas gesagt, das ihn direkt zurück in den Kerker bringen könnte. Wenn ein gläubiger Mensch das hören würde, würde er ihn direkt als Ketzer betiteln. Aber Kieran war die Wissenschaft wichtiger als die Kirche, die jegliche Progression als Teufelszeug betitelte. "Ich glaube den letzten Satz würde ich gerne wieder streichen", sagte er. "Ich rede zu viel."
 

Dominico Sforza

Nico lenkte sein tänzelndes Pferd auf die Straße, wo Amadeo ihnen ein Weg durch die langsam erwachende Menschenmenge bahnte und sie damit recht zügig vorankamen. Eigentlich hatte Nico nicht einmal damit gerechnet noch eine plausible Antwort auf seine Frage zu bekommen. Zumindest keine, die so ehrlich war wie das, was Kieran im Kerker zu ihm gesagt hatte. Doch anscheinend hatte Kieran jetzt den nötigen Respekt vor ihm oder er hatte Entschieden, dass Lügen bei Nico keine gute Idee war. Das Geständnis das folgte, brachte Nico beinahe zum Lachen. Nicht etwa, weil es so absurd war, nein. Sondern weil es so gar nicht das war, was man von einem umherziehenden Schausteller erwartete.

Im Adel und am Hofe galten diese Menschen zwar nicht unbedingt als dumm, wohl aber als nicht sehr gebildet. Es war eben einfaches Volk mit einem ganz eigenen Glauben und einer ganz eigenen Gesellschaft. Nico hatte das immer von außen betrachtet, sich aber nie dafür interessiert diese Menschen wirklich kennen zu lernen. Vielleicht war das ein Fehler, den er jetzt beheben konnte. Auf jeden Fall fügte sich dieses neue Wissen über Kieran perfekt in einen Plan, den er vor dem König ausführen konnte. Damit würde nicht nur er seine ehrlichen Absichten gegenüber Kieran untermauern, sondern Kieran auch auf die Probe stellen.

Im gleichen Moment fragte er sich, warum es ihm überhaupt noch um ehrliche Absichten ging. Warum er sich gerade Gedanken darüber machte, wie er Kieran bei diesem Vorhaben, Arzt zu werden, unterstützen konnte. Eigentlich konnte ihm dieser junge vorlaute Kerl gestohlen bleiben, oder etwa nicht? Im Grunde hatte Kieran gar nichts für ihn getan außer ihn am letzten Abend böse zu brüskieren und seinen guten Namen am nächsten Morgen im Kerker auch noch aufs Spiel zu setzen.

Eine leise Stimme in seinem Hinterkopf flüsterte den Namen seines Bruders. Ja… vielleicht war es wirklich Alessios Schuld, dass er jetzt hier neben Kieran zur königlichen Residenz ritt. Weil er nicht sein wollte wie Alessio, dessen sexuelle Absichten Kieran entweder in sein Bett oder den Abgrund des Kerkers gestoßen hätten. War Alessio wirklich so viel skrupelloser als er? Im Grunde nicht. Er war kein Märtyrer. Auch er hatte wegen des Geldes versucht, Kieran herumzukriegen. Aber es war nicht viel wert, wenn man sich danach nicht mehr im Spiegel ansehen konnte. Respekt ist die wertvollste Währung. Alessio verkaufte diesen Respekt, indem er Leute wie diesen Messdiener für Sex bezahlte, und auch Nico hatte es getan - und seitdem versucht sich von seiner Schuld rein zu waschen, sie zu ertränken in einem Meer von guten Taten und Ehrbarkeiten. Deswegen saß er hier neben Kieran. Weil er im gleichen Moment bereute, es versucht zu haben und es niemals würde zugeben können.

Er lächelte noch immer als er sich zu Kieran drehte. "Mauren...", wiederholte er langsam. "Heilkunst… nun, das klingt in meinen kirchlichen Ohren sehr nach Hexerei." Er zwinkerte Kieran zu, beinahe so, als wolle er ihm bestätigen, dass er sich um Kopf und Kragen redete. "Ich gebe zu, Ihr habt durchaus ein Talent bei den falschen Leuten die falschen Dinge zu tun. Ich hoffe bei seiner Majestät ereilt euch nicht das gleiche Problem. Aber erzählt mir doch mal, wie ihr euch das vorgestellt habt, zu studieren meine ich. Ihr müsstet eure Gauklerfamilie dafür verlassen."
 

Kieran Carney

Dass Dominico zu grinsen begann, als er ihm erklärte, was er einmal machen wollte, irritierte Kieran erst. Einen Moment glaubte er fast, jener wolle sich doch nur über ihn lustig machen und sein inneres Stachelschwein meldete sich schon wieder zu Wort, doch etwas an dem Grinsen war anders. Es war nicht so überheblich und herablassend, wie es in dieser Situation sein konnte. Schließlich hatte er dem Mann geradegestanden, dass er davon träumte, seine Standesgrenzen zu überschreiten, um etwas zu tun, was man von seinesgleichen weder erwartete noch sich wünschte. Ganz im Gegenteil. Jemand wie er an der Universität wäre ein Skandal für so manche höhergestellten Familien, die glaubte, dass Wohlstand und Einfluss auch das Recht auf Bildung implizierte und die glaubten, dass nur die Oberschicht über den passenden Intellekt verfügte. Dass dem nicht so war, das wusste Kieran. Er war nicht dumm, hatte auf seinen vielen Reisen in vielen Ländern einige Sprachen aufgeschnappt, hatte über die Wintermonate viel Zeit gehabt, zu lernen und sich zu bilden. Und hätte er diese Möglichkeiten nicht gehabt, so wäre er - wie seine Dada immer sagte - durchgedreht. Er hatte schon als kleines Kind alles in sich aufgesaugt. Und sein Wunsch nach Wissen war nach wie vor ungebremst.

Und als ihm bewusstwurde, dass dieses Grinsen, dieses Lächeln kein herablassendes war, sondern vielmehr ein überraschtes, ehrliches Grinsen, musste auch er lächeln, denn Dominico Sforza sah mit diesem Lächeln noch einmal bedeutend attraktiver aus.

Als der andere ihm verdeutlichte, dass er sich wirklich besser überlegen sollte, was er wem sagte, blickte er kurz erschrocken zu diesem. Er hatte nicht den Eindruck gehabt, dass Dominico sehr "religiös" war. Aber was wusste er schon!? Schließlich war sein Bruder Kardinal, so dass die Vermutung sehr nahelag, dass in dieser Familie die Religion hochgehalten wurde. Er war ins Reden gekommen, weil es nicht so häufig vorkam, dass jemand wirklich Interesse daran hatte, was er wirklich wollte. Und dabei hatte er nicht mehr darüber nachgedacht, was er sagte. Doch das Zwinkern und das Grinsen auf dem Gesicht des anderen ließ ihn sich wieder beruhigen und selbst lächeln. "Das fürchte ich auch", entgegnete er auf die Feststellung, dass er ein Talent hatte, sich in Schwierigkeiten zu bringen. Das war auch schon immer so gewesen, teils bedingt durch seine Neugierde, teils bedingt durch seine Intelligenz, teils bedingt durch seine übereilt bockige Art, die ihm manchmal das Leben zur Hölle machte.

"Ich werde meine Worte, sollte ich Seine Majestät treffen, sorgsam auswählen", versprach er noch immer nicht ganz glauben könnend, dass er den König wirklich selbst treffen könnte.

Als Dominico ihn noch aufforderte, ihm zu verraten, wie er sich ein Leben ohne seine Familie erdacht hatte, verschwand das Lächeln auf seinen Lippen. Das war in der Tat eine Sache, die er nur schwer ertragen würde. "Nun alles hat seinen Preis. Der Gedanke, getrennt von meiner Familie zu sein und auch nicht mehr so viel unterwegs zu sein, ist vielleicht nicht unbedingt das Beste, was ich mir vorstellen kann, aber für seine Träume müsste man wohl bereit sein, einen gewissen Preis zu zahlen. Ich denke, wenn ich die Chance hätte, würde ich sie nutzen, auch mit allen Konsequenzen. Aber darüber mache ich mir erst Gedanken, wenn es soweit ist." Im Moment schien ihm das aber so weit weg, dass es sich nicht lohnte, weiter darüber nachzudenken. "Ich denke, dass man da auch letztlich offen sein muss. Wer weiß, wer einem in seinem Leben noch begegnet und was einem noch passiert. Ich liebe zwar mein Leben, so wie es ist. Ich sehe viel von der Welt, habe so manche Freiheit, die andere nicht haben, aber dennoch ist das ja auch nicht alles. Es ist schwierig." Er lächelte kurz. "Aber wenn es notwendig ist, das zu ändern, dann muss es eben sein."

Es würde ihm in der Tat sehr schwer fallen, seine Familie alleine ziehen zu lassen und selbst an einem Ort zu bleiben. Aber wie gesagt: man wusste nie, was einem die Zukunft brachte. Und etwas als absolut undenkbar abzutun, nur weil man es sich aktuell nur schwerlich vorstellen konnte, war nicht Kierans Art.

"Darf ich fragen, was Ihr beim König tun werdet?", fragte er schließlich, um ein wenig von der Thematik wegzukommen.
 

Dominico Sforza

Tatsächlich fand Nico es nicht lächerlich oder unreif was Kieran plante. Es klang auch in seinen Augen plausibel und gut. Er würde das sicher hinbekommen, wenn er auch bei seinem Studium mit dem gleichen Eifer bei der Sache war wie dann, wenn er beim Jonglieren die Keulen schwang. Etwas regte sich in Nico doch wieder, etwas, dass sich vielleicht schon gestern geregt hatte, als er den jungen Mann das erste Mal gesehen hatte. Nicht mehr nur das bloße Bedürfnis etwas wieder gut zu machen für all die Dinge, die er falsch gemacht hatte, nein. Es war eindeutig mehr als das, es war echtes Interesse an den frechen Augen. Kieran sah ja nicht schlecht aus, er war auch sehr gepflegt. Aber es war diese Wildheit und diese Überzeugung, die er in sich trug, das gefiel Nico. Wenn er da jetzt alles abzog, was ihn gestern dazu bewogen hatte, Kieran mit zu sich nach Hause zu nehmen, dann blieb durchaus immer noch ein wenig Interesse übrig. Und das war erfrischend und gut. Vielleicht hatte Rodrego gestern doch recht gehabt, als er ihm "unterstellt" hatte, dass Kieran ihm mehr zugefügt hatte als nur die subtile Niederlage gegen seinen Bruder.

Während er Kieran neben sich immer wieder einen Blick zuwarf, fiel ihm auf, dass sich in dessen Gesicht die Emotionen sehr gut widerspiegelten, die er durchlief, während er anscheinend versuchte, Nico richtig einzuschätzen. Ja, Nico war nicht leicht zu durchschauen, doch er konnte es sich auch nicht leisten, durchschaubar zu sein. Gerade die Sache mit der Religion schien Kieran aus dem Konzept zu bringen, doch das machte nichts. Es war gut, Kieran immer wieder ins kalte Wasser zu werfen, wenn er dadurch lernte, die Dinge in einem größeren Maßstab zu betrachten. Natürlich war Nicos Bruder Kardinal und seine ganze Familie äußerst religiös. Genau das war auch der Grund gewesen, aus dem Nico nach England gekommen war, um sich genau diesem Einfluss zu entziehen. Er wollte nicht eingesperrt sein – vor allem nicht in seine Ehe. Das änderte aber nichts daran, dass ein Glaube an Gott sehr tief in ihm verwurzelt war, auch wenn er nicht ganz daran glaubte, dass Gott alles und jeden Strafte der mit Hexerei oder Homosexualität zu tun hatte. Einfach weil es so viele Menschen auf der Welt gab, dass Gott wohl nicht einen einzigen Sonntag für sich gehabt hätte, um zu ruhen. "Bei seiner Majestät solltet ihr gar nicht sprechen. Nur dann, wenn er euch dazu auffordert und man wird sehen, ob das passiert. Man wird auch sehen, was der König heute zu tun vorschlägt, er ist sehr wankelmütig was seine Tagesplanung angeht." Nico sprach nicht schlecht über Henry aber er war schon oft genug zu einer Ratssitzung angekommen, die dann doch nur in einem ausgedehnten Jagdausflug geendet hatte. "Nun, wenn ihr die Begegnung mit seiner Majestät überlebt, ohne meinen Namen in den Dreck zu ziehen oder erneut im Kerker zu landen, aus dem ich euch kein zweites Mal herausholen werde, dann müsst ihr mir mehr davon berichten. Von dem was ihr in dem Eigenstudium - wie ihr es beschreibt - schon gelernt habt. Wenn ihr sagt ihr wüsstet bereits so einiges, dann möchte ich es auch gerne wissen." Allein schon um sich wirklich ein Bild darüber zu machen, aber wenn sein Plan aufging würde Kieran viel früher darüber reden müssen als ihm lieb war.

Als sie den Hof erreichten stieg Nico ab und überließ Amadeo die Pferde, der sie in den Stall brachte wo sie mit Wasser und Heu versorgt wurden. Mit Kieran im Schlepptau, der sich nach dem Protokoll ein wenig hinter ihm aufzuhalten hatte, wollte er gerade hinein spazieren, als ihm Henry schon mit ausgebreiteten Armen entgegen kam, gefolgt von Charles Brandon, Duke of Suffolk und noch einigen anderen jungen Männern aus deren Gefolge. "Dominico!" Nico beeilte sich, stehen zu bleiben und sich zu verneigen, so wie es sich vor dem König gehörte. Als Henry mit der Hand wedelte erhob er sich wieder und Henry grinste, schien Kieran gar nicht wahr zu nehmen. Der König war noch sehr jung, nicht älter als Nico - oder er hatte sich einfach sehr gut gehalten. "Wir wollen zum Tennis. Begleitet ihr uns?" Natürlich war das keine Frage. Nico erwiderte das breite Grinsen des Königs und nickte. "Wenn eure Majestät bereit sind zu verlieren." Charles klopfte Nico auf die Schulter. "Ich glaube mein Freund, bei der guten Laune seiner Majestät reichen nicht einmal wir beide, um ihn zu schlagen." Und so wandten sie sich zu einem anderen Gebäudetrakt, in dem Henry eine Ballsporthalle hatte errichten lassen. Während sich das Gefolge und damit auch Kieran auf die Zuschauerränge zu begeben hatte, zogen sich die Spieler - sie waren 4 - unten aus. Henry war ein gutaussehender trainierter Mann und wie Männer anscheinend so waren flogen unten schon bald die Floskeln umher, wer seine Zeit wohl mehr im Bett seiner Frau oder einer Frau verbrachte als dabei, sich körperlich zu ertüchtigen. Nun, Nico konnte sich nichts vorhalten. Er stand dem recht breit gebauten Charles kaum nach und als die ersten Bälle über das Netz fegten kicherten einige Damen auf den Rängen nur um so schriller und seufzten allein schon beim Zusehen.
 

Kieran Carney

Kieran nickte gehorsam, als ihm Dominco erklärte, dass er beim König nur sprechen durfte, wenn er aufgefordert wurde. Das war ein guter Ratschlag, schließlich hatte er definitiv gar keine Ahnung, was sich in diesen Ebenen der Gesellschaft gehörte und was nicht - überhaupt gar keine. Er würde sich verbeugen müssen, so tief es ging, das war klar, und er würde am besten hinter Dominico herlaufen, schließlich hatte jener einen Namen und er nur einen Beruf als Namen.

Als Dominico seine Bitte äußerte, mehr von seinem Können zu erfahren, und dabei ihn ermahnte, nicht noch einmal im Kerker zu landen, lächelte er. Sein Sturkopf gestern Abend schien einen bleibenden Eindruck bei Dominico Sforza hinterlassen zu haben - was eigentlich klar war. Aber Kieran würde auch wissen, wie er sich zu benehmen hatte. Gestern Abend war eine andere Situation. "Das werde ich, wenn Ihr das wünscht", versprach er bereitwillig und verkniff sich seinen Kommentar hinsichtlich "Kerker" und "Namen in den Dreck ziehen".
 

Bereitwillig übergab er Niamh Amadeo in dem Wissen, dass seine Stute jetzt wohl gleich besseres Futter bekommen könnte, als sie es jemals zuvor erhalten hatte. Dennoch blickte er ihr kurz nach, denn in diesem Moment hatte er nichts mehr bei sich, was ihn an sein eigentliches Leben band. Er hatte fremde Kleidung an, die zwar sehr bequem war und in der er sich gut bewegen konnte, die sich aber dennoch fremd anfühlte. So als sei er in eine falsche Haut hineingeschlüpft.

Ansonsten hatte er nur noch sich und seinen Kopf und seinen manchmal etwas vorlauten Mund, den er heute gut hüten musste.

Dominico hatte ihn darauf vorbereitet, dass das, was auf sie nun zukam vom Wankelmut des Königs abhing. Dominico hatte nicht sagen können, was gleich geschehen würde. Kieran spürte eine leichte Nervosität aufkeimen, denn er konnte solche Situationen eigentlich gar nicht leiden. Mag sein, dass er sich gerne in Situationen brachte, die unerwartet endeten - Jonathan war da ein gutes Beispiel - aber da hatte er selbst bestimmt, ob er sie wollte oder nicht. Nun war er verpflichtet und dachte auch gar nicht darüber nach, sich dieser Verpflichtung zu sperren. Solang er in Dominico Sforzas Schuld stand, würde jener so einiges mit ihm tun können, nicht alles, aber wohl so einiges.

Wie es sich gehörte, ging er etwas hinter dem Mann von Stand, der auf das Haupthaus zuhielt. Und Kieran hatte noch gar nicht richtig für sich begriffen, dass es jetzt wirklich zum König ginge, als jener auch schon auf sie zutrat. Etwas überrascht blickte er den recht jung erscheinenden Mann an, den er zuvor noch nie gesehen hatte, als auf irgendwelchen Münzen. Dann eilte er sich, es Nico gleich zu tun, sich sogar noch tiefer zu verbeugen. Es fühlte sich furchtbar an, furchtbar ungewohnt und furchtbar erniedrigend irgendwie, so fremd und ungewohnt. Er konnte es nicht beschreiben. Aber hier stand nun mal der König, und auch wenn er nicht das Gefühl hatte, irgendeinem Herrscher untergeben zu sein, gehörte es sich so. Und er wollte ja eben auch nicht gleich wieder in die Kloake zurück, aus der er gerade gekrochen war.

Der König schien ihn gar nicht zu registrieren, freute sich nur, "Nico" - wie er ihn nannte - zu sehen, und lud diesen ein, ihn zum Tennis zu folgen. Gut, dass er ihn ignorierte, darauf hatte ihn Nico ja vorbereitet. Aber Tennis? What the fuck?! Damit beschäftigte man sich an Hof? Kierans Vorstellungen von einem König, der sich um das Wohl seines Volkes bemühte und den ganzen Tag damit beschäftigt war, zu regieren, verpufften gerade - gut, er war eigentlich nicht wirklich naiv, zumindest nicht immer, aber manchmal hatte man halt so seine Hoffnungen. Es war auch nicht so, dass Kieran nicht wusste, dass es Tennis gab, aber er hatte sich weder dafür interessiert, noch war es eine alltägliche Sache. Nun, gleich würde er sehen, was es genau war, dass es ein Sport war, soviel wusste er schon mal.

Kieran folgte der Gesellschaft und kam sich mehr denn je wie ein Hündchen vor, das brav seinem Besitzer hinterhertrottete. Gott, in was war er hier nur hineingeraten. Doch lieber wieder in die Kloake? Ein Lächeln huschte über seine Lippen. Wenn das hier vorbei war, so fand er, hatte er seine Schuld getilgt, oder?

Er setzte sich auf die Tribüne etwas abseits hin, so dass er die Szenerie, die sich ihm bot, in Ruhe betrachten konnte. Die Männer, die sich teilweise auszogen und dabei frotzelten, wie es bei Männer unter Umständen üblich war. Hm, Dominco Sforza hatte bestimmt eine Frau… Das war ein Gedanke, den er vorher noch gar nicht gehabt hatte. Und dennoch hätte er ihn mit zu sich nach Hause genommen? War das denn so üblich? Und, wo war seine Frau wohl? Nun, jener besaß sicher mehrere Orte, an denen er wohnte. Vielleicht war die Dame des Hauses ja in London geblieben.

Kieran betrachtete Dominico, dem er, wie er jetzt feststellte, wirklich wohl gestern nicht hätte wiederstehen können. Jener war gut gebaut, ordentlich bemuskelt und strahlte eine angenehme Männlichkeit aus, die nicht übertrieben wirkte, sondern schlichtweg schön war. Kieran registrierte die Verletzungen, die sich jener wohl bei Kämpfen zugezogen haben musste und die in seinen Augen wenig fachmännisch versorgt worden waren, dafür jetzt umso eindrucksvoller anzusehen waren.

Erst als die Männer zu spielen begannen, bemerkte er die Schar von Frauenzimmern, die sich in affektivem Getue wohl gegenseitig zu übertrumpfen suchten. Er musste einen Moment lächeln. Was wohl Kathy damals über diese Art von Frauen gedacht haben musste? Ihn selbst schreckten diese Frauen ab. Er war eh kein Typ, der auf gekünsteltes Gehabe stand, umso schlimmer empfand er diese.

"Was für ein Affenzirkus", hörte er mit einem Mal eine weibliche Stimme und noch ehe er etwas dagegen tun konnte, rutschte ihm ein "Wie wahr..." heraus. Als er sich umblickte, sah er einer jungen, ausgesprochen hübschen braunhaarigen Frauen ins Gesicht, die sich in ein wenig Abstand zu ihm hingesetzt hatte und nun zu ihm aufrutschte. Sie musterte ihn kritisch, bevor sie weitersprach. "Ich habe Euch hier noch nie gesehen", sagte sie. "Wer seid Ihr und zu wem gehört Ihr?" Kieran erwiderte ihren musternden Blick offen und wusste nicht genau, was er sagen sollte, deshalb versuchte er es mit der Wahrheit.

"Mein Name ist Kieran", sagte er und sah sie ernst an. "Ich bin in Begleitung von Dominco Sforza hier. Er hat mich gerade aus der Kloake des Kerkers geholt." Einen Moment sah sie ihn erstaunt an, dann begann sie leise zu lachen und auch er musste grinsen. Die junge Frau bemühte sich, sich schnell wieder zu beruhigen, denn ein paar Blicke waren auf sie gerichtet worden, als sie gelacht hatte. Als sie sich wieder beruhigt hatte, grinste sie ihn an. "Und was macht Ihr, wenn Ihr hier nicht sitzen müsst, um dem König bei seiner körperlichen Ertüchtigung zuzusehen?" Ihre Augen funkelten von Intelligenz und Witz. Kieran konnte nicht umhin, sie nicht nur attraktiv, sondern auch als unheimlich sympathisch zu empfinden. Wieder wägte er ab, was er sagte, um nicht das Falsche zu sagen. "Ich versuche, Arzt zu werden." Die junge Frau nickte. "Ein Student also aus Cambridge", schloss sie für sich daraus und Kieran bestätigte aber negierte es auch nicht. Er hatte immerhin die Universitätsbibliothek von innen gesehen...

"Nun, da seid ihr bei dem König ja in guten Händen, und er hoffentlich in Euren. Als Arzt könnt ihr nur von Patienten wie den König träumen." Kieran sah sie ein wenig verwundert an, lächelte dann aber. "Wenn Ihr das sagt", erwiderte er. Er überlegte, was er noch sagen könnte, wollte aber weder sie fragen, wer sie war, weil er fürchtete sie damit unter Umständen zu beleidigen. Vielleicht war sie jemand, den man eigentlich in gewissen Ständen kennen musste. Und er wollt auch nicht weiter auf den König eingehen, von dem er ja letztlich auch nichts wusste. "Ansonsten", redete er daher lieber wieder von sich, "ansonsten mag ich es auch ganz gerne, zu tanzen." Die junge Frau blickte ihn interessiert an. "Das ist selten, dass das ein Mann sagt. Aber es freut mich, denn für uns Frauen ist es eine der wenigen Vergnügungen, die wir haben, aber nicht jeder Mann schafft es, dass es für uns auch wirklich ein Vergnügen ist." Kieran lächelte nachsichtig.
 

Dominico Sforza

Nico hatte kaum etwas Anderes erwartet als das, was Henry jetzt gerade tat. Der junge Tudor war immer noch ein Heißsporn und er würde es auch immer bleiben, daran hatte Nico nicht den geringsten Zweifel. Zwar regierte er auch, doch die meisten dieser Angelegenheiten wurden ihm einfach nur vorgetragen und entweder er nickte sie ab, oder er änderte sie, einfach so. Audienzen gab es für die breite Masse nur sehr selten und viel lieber ging Henry seinen eigenen Hobbys und Feiern nach. Trotz der Krise mit seiner Frau Katharina hatte er immer noch Interesse daran, Maria zu verheiraten und das war eines der wenigen Dinge, um die er sich kümmerte - neben dem Zwist mit Francis, der zu seinen Lieblingsthemen gehörte. Vor allem wenn es darum ging, einander regelmäßig zu übertrumpfen, sei es der Sport, die Paläste oder die Anzahl der Frauen und unehelicher Kinder. Während sie sich ein wenig aufwärmten, erzählte Henry gerade schon wieder über die neueste Errungenschaft des französischen Herrschers und diskutierte mit Charles darüber, ob man das denn nicht an seiner noch nicht ganz so starken Flotte ebenso einsetzen konnte. Die englische Hoheit auf dem Meer war wirklich nicht allzu sehr berühmt und Henry war Feuer und Flamme dafür, das zu ändern.

Dann begann das Spiel und politische Diskussionen waren außen vor. Die vier Männer beharkten sich gegenseitig recht ordentlich über das Netz und die Mannschaften, gebildet aus jeweils zwei Männern rotierten. Sie taten es deswegen, um Henry immer gewinnen zu lassen. Der König war ein fürchterlicher Verlierer, bekam regelmäßig Tobsuchtsanfälle, wenn er verlor. Um so zu tun, als sein Henry der ausschlaggebende Punkt für den Sieg, rotierte die Mannschaft und es war eine echte Leistung, Henry nicht das Gefühl zu geben, dass man ihn gewinnen ließ, denn das machte ihn genauso wütend.

Während Nico und Henry in einem Team spielten und der Ball gerade besonders weit ans Ende des gegnerischen Feldes gerollt war, kamen sie dazu, sich kurz zu unterhalten. "Dominico sagt mir doch, wann dürfen wir eure bezaubernde Frau wieder hier begrüßen?" Nico verzog den Mund zu einem schiefen Lächeln. "Wenn es wärmer wird Majestät. Das gute Klima in Italien ist zuträglich für ihre Gesundheit, doch ich bin sicher, sie wird genauso erfreut sein euch zu sehen, wir Ihr." Und das meinte Nico nicht nur, das war sicher auch so. Auch wenn Nico keinesfalls unattraktiv war, sicher auch gegen Henry - Frauen wurden von Macht magisch angezogen und als eine ehemalige Hofdame von Katharina war seine Frau öfter in Henrys Bett gelandet als in Nicos, zumindest nahm Nico das an. Es störte ihn nicht, er empfand keine Eifersucht. Die Ehe war Zweckmäßig gewesen und vom König gebilligt. Wenn er die Lady in seinem Bett wollte, bekam er sie, und Schluss, Nico sah darüber hinweg wie viele "gehörnte" Ehemänner am Hofe.

Von der anderen Seite folgte wieder der Aufschlag und das Spiel ging eine ganze Weile so weiter, bis schließlich wieder Henry den Satz für Nico und ihn entschied. Anscheinend war es mit einer guten Stunde Hin- und Herrennens genug und Henry ließ den Schläger zu Boden fallen - ein Zeichen dafür, dass das Spiel hiermit beendet war. Die gegnerischen Mannschaften klopften einander auf die Schulter und Diener brachten Leintücher, die in Rosenwasser getränkt worden waren, um sich zu erfrischen. Henry wischte sich über das leicht schweißnasse Gesicht und über die Brust, während Henry einen langen Kratzer an seinem Oberschenkel betrachtete, der noch nicht so gut verheilt war. Eine zarte Rötung um die Stelle deutete eine Entzündung an, die zwar nicht gefährlich, aber unangenehm war - und wenn es nach Henry ging, dann war es immer gleich eine tödliche Wunde. Als Nico wieder zu ihm trat und ebenfalls auf den muskulösen Oberschenkel des Königs sah, pfiff er anerkennend. "Seine Majestät hatte sicher einen harten Kampf?", fragte er, nur um Henry die Möglichkeit zu geben, es so aussehen zu lassen, auch wenn es nur ein Schnitt bei sonst Etwas gewesen war. Henry grinste. "Eher ein harter Ritt. Auf der Jagd vor fünf Tagen habe ich einen Keiler durch das Unterholz verfolgt und dabei das Bein an einem dicken Ast aufgerissen. Es will nicht richtig heilen." Nico nickte während ein Diener Henry Wasser brachte, um die Wunde zu versorgen. "Eure Majestät wenn ihr erlaubt,“ – Er gab Kieran einen Wink, der ihm bedeuten sollte, herunter zu kommen – "dass ich euch Kieran Carney vorstellen darf.“ Henry richtete sich auf und drehte sich zu Kieran - wie immer nach gewonnene Spielen für so etwas empfänglich und sich weniger an Etikette störend. "Er studiert Medizin und ist vor allem auf natürliche Heilmethoden spezialisiert. Durch sein junges Alter weiß er vielleicht einen anderen Rat, als eure in die Jahre gekommenen Ärzte." Es war frech, doch Nico war in einer Position, in der er sich das erlauben konnte, vor allem weil Henrys Stimmung gerade wirklich gut war. Henry musterte Kieran, so als würde er ihn jetzt erst wahrnehmen und Henry sag genau, dass Kieran niemand war, der ihrer Schicht angehörte - doch er fragte nicht. Da er Nico und Alessio ohnehin als Exoten wahrnahm, waren die Herrschaften mit denen sie verkehrten meistens genauso exotisch. "Ist das so, Mr. Carney? Also: was würdet ihr sagen?" Er streckte Kieran unverblümt das Bein entgegen, während er den Diener mit der Hand mehr oder weniger grob zur Seite stieß. Nico musste ein Grinsen unterdrücken. Ja, so war Henry... vor allem bei medizinischen Dingen immer sehr schnell zu beeindrucken.
 

Kieran Carney

Es war eine angenehme Unterhaltung mit der jungen Frau, die angespornt durch seine Tanz-Interessen, von diversen Tanzveranstaltungen plauderte, auf denen etwas Lustiges passiert war. Es war ein wenig schwierig, ihr immer folgen zu können, denn sie nannte Namen mit einer Selbstverständlichkeit, als erwarte sie, dass Kieran genau wisse, über wen es ging und wie jener so tickte. Kieran bemühte sich, sein Unwissen nicht preis zu geben und schaffte es, die junge Frau mit passenden Kommentaren immer wieder zum Lachen zu bringen.

Nebenbei versuchte er herauszufinden, wie die Regeln dieses Spiels waren, was sich nicht wirklich als einfach erwies. Aber Kieran kam schnell auf den Trichter, weshalb das so war: die ließen den König absichtlich gewinnen. Die drei Männer waren darin geschickt, aber wenn man sie genau beobachtete, so ließen sie manchmal einen Ball gelten, der die Linie nicht mehr berührt hatte, oder ließen einen Ball nicht mehr zählen, obwohl dieser definitiv die Linie noch berührt hatte. Und mit diesem Wissen schien Kieran der König als der wohl schwächste Spieler auf dem Feld.

Die anfänglichen Gespräche über politische Entscheidungen, die Kieran als etwas banal empfand, waren mittlerweile verebbt und gerade hatte Nico zum König gewechselt, als diese sich offenbar über die Frau von Dominico unterhielten. Kieran konnte nicht wirklich viel hören, er wollte eigentlich auch gar nicht zuhören, aber zumindest die Frage des Königs hatte er verstanden und dass Dominico etwas von Italien redete, so dass er sich eins und eins zusammenzählen konnte. Der Gesichtsausruck des Italieners irritierte Kieran kurz, er konnte aber nicht genau ausmachen, wieso.

"An der Universität gehen solche Veranstaltungen immer dann den Bach herunter, wenn das Pub auf der anderen Straßenweite günstigeres Bier hat", erzählte Kieran eine Anekdote, die er etwas ummünzte, die aber so ähnlich tatsächlich einmal passiert war. "Ich war etwas später gekommen und als ich die Räumlichkeiten betrat, stellte ich zu meiner Verwunderung fest, dass fast ausschließlich Frauen anwesend waren. Erst später, nach schier unermüdlichen Tänzen, kam ich darauf, weshalb das so war. Die Männer waren vorher noch schnell einen trinken gegangen, hatten dann aber nicht mehr den Absprung geschafft." Die junge Frau kicherte. "Wobei es für die Frauen sicher eine gute Entschädigung war, euch dann für sich zu haben. Schließlich sind Männer, die getrunken haben, noch weniger für den Tanz zu gebrauchen."

Kieran lächelte sie an und sah erst jetzt, dass die Männer aufgehört hatten zu spielen und nun um den König herumstanden und sich unterhielten. Etwas verwirrt hörte er aus dem Gespräch, dass es um eine Verletzung ging, die sich der König offenbar bei einer Jagd zugezogen hatte. Und ehe er es sich versah, winkte ihn Nico zu sich. Moment - so war das aber irgendwie nicht geplant gewesen. Doch hatte er eine Wahl?

Er stand auf und ging die wenigen Stufen hinunter auf das Spielfeld, um an die Männer heranzutreten. Kieran verneigte sich noch einmal, als er vorgestellt wurde und ärgerte sich fast ein wenig, dass sein Nachname, der seinen eigentlichen Beruf preisgab, genannt worden war. Aber der König schien den Zusammenhang nicht herzustellen und auch Kieran ließ sich nichts anmerken. Dem Blick, den ihm der König unterzog, hielt Kieran ruhig stand. Er würde sich die Verletzung natürlich ansehen, wenn das der König wünschte. Solcherlei Dinge hatte er schon zigmal verarztet. Aber eben nur, wenn das auch der ausdrückliche Wunsch des Königs wäre. Der Blick des anderen streifte seine Kleidung, bis hinunter zu seinen Schuhen. Sicher sah der König deutlich, dass er hier eigentlich nicht hingehörte, aber aus irgendeinem Grund schien das nicht von Bedeutung. Er streckte ihm vielmehr sein Bein hin und forderte ihn auf, es sich anzusehen. Kieran nickte nur, die erste Frage übergehend und kniete sich hin, um sich die Verletzung genauer ansehen zu können.

Einen Moment zögerte er, aber als Arzt war jeder Patient gleich, ob nun König oder nicht. Und so betrachtete er die Wunde sorgsam, drückte leicht am Rand ein wenig entlang, fühlte an der Haut, dass diese wärmer war, als sie eigentlich sein sollte. Er war konzentriert und hatte schnell vergessen, wo er war und vor wem er da kniete. Schließlich blickte er auf. "Ihr fühlt ein stets Drücken und nach größerer Anstrengung, wie eben, ein leises Pochen. Hin und wieder zieht es heftig, manchmal spürt Ihr es aber auch kaum. In den letzten Tagen ist es schlimmer geworden." Er sah den König fragend an, der ihm dies bestätigte. "Ich brauche heißes Wasser, eine saubere Decke, gemangeltes Verbandsmaterial und meine Satteltasche", sagte er, eher nun zu Nico, als zu sonst jemanden. Schließlich konnte er hier ja nicht einfach irgendwelche Befehle geben. Und Nico schien zu verstehen, denn er delegierte die Wünsche direkt weiter. "Und Alkohol wäre auch nicht verkehrt."

Das heiße Wasser war schnell gebracht und Kieran benutzte einen Teil davon, um sich selbst die Hände zu waschen. Es war bei Ärzten eigentlich nicht wirklich üblich, aber er wusch sich seine Hände nach jeder Untersuchung und vor jedem Patienten. Er hatte das Gefühl, dass manche Krankheiten wanderten, wie auch immer. Und er konnte sich vorstellen, dass über die Hände von Ärzten viele Krankheiten die Möglichkeit bekamen, weiter zu wandern. Dann sah er den König an. "Ich vermute, dass ein Splitter des Astes, an dem Ihr hängengeblieben seid, noch in der Wunde steckt. Ich werde gleich danach tasten und es wird weh tun, denn das Fleisch unter der Haut hat sich wegen des Splitters entzündet. Seht!" Er drückte leicht unterhalb der Wunde und dennoch trat die Verletzung nun als Erhebung hervor. "Es hat sich eine Schwellung unter der Haut gebildet. Die Wunde hat sich infiziert, obwohl die Wunde oberflächlich schon zu ist, und der Eiter kann nicht ablaufen. Ich werde sie noch einmal aufschneiden müssen, den Splitter entfernen und das Wundsekret ablaufen lassen müssen. In ein paar Tagen werdet Ihr dann aber keine Probleme mehr haben. Wenn ich das nicht tue, wird der Entzündungsherd unter der Haut immer größer und wird irgendwann durchbrechen. Im schlimmsten Falle verliert Ihr Euer Bein, Eure Hoheit." Er kannte solcherlei Verletzungen gut. Gerade die einfachen Leute, die er behandelte, kamen oft mit solchen Geschichten an, weil sie eigentlich keine Zeit hatten, groß ihre Verletzungen zu verarzten und auch gar nicht die Möglichkeit haben, sie sauber zu halten. Kieran hat die Erfahrung gemacht, dass der Versuch, die Wunde mit Wasser auszuwaschen, die Sache eher verschlimmerte als verbesserte. "Gebt ihm einen Whisky gegen die Schmerzen!" Diener schickten sich an, dem König ein Glas einzuschenken.
 

Dominico Sforza

Nico musterte Kieran der sich nach unten begab. Es schien ihm nicht ganz geheuer zu sein, hier herunter gerufen zu werden und jetzt vor Henry zu stehen, doch er machte auch keinen Rückzieher. Er verbeugte sich erneut so wie es sich gehörte und trotz seines Aufzugs und seiner offensichtlich sehr einfachen Herkunft, sagte Henry nichts dazu, was Kieran wohl auch etwas Sicherheit gab. Als Henry dem selbsternannten angehenden Arzt sein Bein hinstreckte und Kieran sich hinkniete, um den Schnitt zu untersuchen, musste Nico ein durchaus anerkennendes Grinsen verdecken. Feige war der junge Mann nicht und ganz offensichtlich sehr überzeugt von sich und seinen Fähigkeiten. Was er sagte schien auch den Kern der Sache zu treffen und Henry nickte anerkennend als Kieran das Problem so passend beschrieb. Während Kieran schon eine Aufzählung machte, was er alles brauchte, winkte er den Dienern, um dem jungen Mann zu besorgen, was er brauchte. Auch wenn der Druck schmerzte, den Kieran auf die Wunde ausübte - in Anwesenheit der anderen Männer verbat sich Henry jedes Geräusch und als Kieran darum bat, dem König ein Glas einzuschenken, so dass auch sein Schmerz schwand, winkte er dem Diener äußerst energisch ab und zog das Bein ein Stück zurück. "Mr. Carney, Ihr mögt sonst Waschweiber und einfache Männer und Bauern versorgen während eures Studiums - doch ich bin König von England. Das bisschen Schneiden werde ich wohl gerade noch aushalten, also schneidet ruhig." Alles was er tat war Nicos Faust zu packen und sie grinsend zu halten. "Wie wäre es mit ein bisschen Armdrücken während euer kleiner Wunderarzt dafür sorgt, dass ich nicht bald nur noch auf einem Bein durch die Gegend hinke?" Nico neigte leicht den Kopf. "Mit größtem Vergnügen eure Majestät."

Und als Kieran das Skalpell hob um zu schneiden, packte Henry Nicos Hand fester und sie fingen tatsächlich an etwas Ähnliches wie Armdrücken zu machen, was natürlich ohne Tisch sehr schwer war. Nico tat nichts anderes, als einfach nur dagegen zu halten, Henrys Kraft würde nachlassen, wenn der Schmerz stärker wurde, da war er sich sicher. Und das, was da unten aus Henrys Bein kam, war alles andere als mit „duftend“ zu bezeichnen. Als Kieran den Schnitt ansetzte, trat vorerst nur helles Wundsekret aus, doch als Kieran die Wunde etwas öffnete kam der Eiter. Henrys Kraft ließ nach und Nico musste sich Mühe geben, nicht allzu stark zu drücken. Doch statt zu schreien, fing der König an zu lachen. Es war ein wahnsinniges Lachen, das Henry in seinen älteren Jahren noch oft zum Besten geben würde, doch jetzt half es ihm vor allem gegen den Schmerz anzukommen. Der Druck wich aus seinem Bein und damit auch ein guter Teil des Schmerzes. Und als Kieran schließlich den Eiter aus der Wunde drückte und das Wundsekret abfließen ließ, um die Wunde danach mit heiß brennendem Alkohol zu waschen, leuchteten Henrys Augen in neu erwachtem Eifer. Der Schmerz in seinem Bein hatte sich auf ein erträgliches Maß gesenkt und Henry konnte beim Armdrücken wieder mehr Kraft einsetzen - so dass er Nico damit quasi "überrumpelte" und schließlich gewann. "HA!" Ein triumphierender Ausruf erfüllte die Halle und die Anwesenden Höflinge klatschten wie dressierte Affen, während Henry sich knapp vor dem König verneigte. "Majestät, ihr habt gewonnen." Henry lachte noch immer, während er Kieran sein Bein zum Verbinden entgegenstreckte. Es war die beste Medizin für den König: Eine sichere und gute ärztliche Versorgung und ein weiterer Sieg. "Sehr gut Mr. Carney - es fühlt sich beinahe wieder an, als könnte ich sofort zur nächsten Jagd aufbrechen." Kaum dass der Verband fest um seinen Oberschenkel saß und Kieran die Hände zurückgezogen hatte, wandte der König sich auch schon wieder ab und anderen Geschäften zu. "Dominico, dieser Dienst soll belohnt werden. Wenn er noch studiert so wie ihr sagt, so soll er eine Abschrift unserer medizinischen Schriften erhalten." Er nickte Kieran kurz zu, ehe für ihn diese Sache bereits erledigt war und er sich in einen Nebenraum zurückzog, um sich wieder ankleiden zu lassen, während andere Diener nun auch Nico und den anderen Herren ihre Kleidung wieder brachten. Nico hatte sich recht schnell wieder angekleidet, während ein Diener Kieran noch half seine Instrumente wieder einzupacken. Während sich der Hofstaat nun wieder zerstreute trat Nico erneut zu Kieran. "Wartet auf mich im Audienzsaal. Ich habe mit seiner Majestät noch etwas zu besprechen." Nico hoffte, dass Kieran dem Folge leistete.. auch wenn es recht wahrscheinlich war, da er nicht einfach so verschwinden konnte. Bevor Nico sich beeilte den anderen und dem König zu folgen, schenkte er Kieran ein letztes Lächeln in dem beinahe so etwas wie Respekt mitschwang.
 

Kieran sah den König mit einem Lächeln auf den Lippen an. Es fiel ihm schwer, nicht einen spitzen Kommentar zu den Worten des Königs loszulasen. "Wie Ihr wünscht", sagte er daher nur und machte sich nun daran, die Decke auszubreiten und eine der beiden Satteltaschen, die ihm mittlerweile gereicht worden waren, zu öffnen und seine Grundausstattung an seinen medizinischen Utensilien herauszuholen. Er legte sich sein Skalpell zurecht, eine Pinzette und einen Tigel mit Salbe. Dann nahm er ein Stück Gallseife, mit dem er den Rest des warmen Wassers in eine Lauge verwandelte. Dorthinein legte er ein Stück des Verbandes.

Dann ergriff er das Skalpell und den Weinbrand, den man ihm gebracht hatte, und reinigte sein Werkzeug. Alkohol desinfizierte, das hatte er gelernt. Daher träufelte er auch auf ein Stück des Verbandes etwas Alkohol und begann nun, den Oberschenkel des Königs damit abzutupfen. "Alkohol desinfiziert, das heißt, es tötet alle Keime ab, die sich auf Eurer Haut befinden könnten", erklärte er nun leise. Er kommentierte immer was er gerade machte, denn nur so hatten die Patienten das Gefühl, Herr über die Lage zu sein. Und gerade bei einem König konnte das nicht schaden. Während er das Bein abtupfte, fühlte er auch noch einmal, wo sich der zentrale Entzündungsherd wohl befand. Der König wendete sich nun an Dominico und verlangte von ihm dieses eigentlich recht alberne Armdrücken. Aber Kieran begriff, dass jener sich dadurch ablenken wollte, die Schmerzen erträglicher gestalten wollte und gleichzeitig auch den Hofstaat um sie herum ablenkte. Klug war der König, das musste man ihm lassen.

Er griff zum Skalpell. Kurz sah er Nico an, der in das Spiel natürlich eingestiegen war und nun seine Muskeln einsetzte. Er sollte sich nicht davon ablenken lassen...

Kurz atmete er durch. Er musste sich jetzt konzentrieren, damit es schnell ging. Er tastete noch einmal kurz und hatte schon geschnitten, bevor der König es recht merkte. Der König schien in seinem Spiel nun nachzugeben, schien eindeutig Schmerzen zu haben. Er musste sich beeilen. Gleich würde es besser werden. Der Schnitt blutet kurz, aber Kieran hatte bereits zur Pinzette gegriffen und setzte nun vorsichtig an, um den Splitter herauszuziehen. Der König entlud seine Schmerzen, indem er lachte. Er hatte den Schnitt gut gesetzt. "Da ist ja der Übeltäter", wisperte er und legte die Pinzette samt Holzspan zur Seite, dann tränkte er erneut Tücher in Whisky und begann nun durch entsprechenden Druck dafür zu sorgen, dass das Wundsekret hinauslaufen konnte. Es roch nicht gut, aber das war für Kieran kein ungewöhnlicher Geruch. Der schlimmste Schmerz schien nachgelassen zu haben, denn soeben besiegte der König Dominico und alle um sie herum klatschten Beifall. Schließlich desinfizierte er die Wunde mit Alkohol, nahm er etwas Creme aus dem Tigel, womit er die Verletzung einschmierte, tauchte er etwas Stoff in die Lauge, legte es auf die Wunde und machte sich daran, einen Verband anzulegen, der das Nähen unnötig machen würde. Er hatte ohnehin nur wenig geschnitten, so dass die Haut einfach so zusammenwachsen würde und höchstens eine feine Narbe bleiben würde.

Als der König erleichtert von den nachlassenden Schmerzen und zufrieden ob des "Sieges" erklärte, gleich morgen wieder zur Jagd zu wollen, lachte Kieran leicht - selbst auch erleichtert, dass alles ohne Komplikationen gut gegangen war. "Davon muss ich euch als behandelnder Arzt leider abraten", lächelte er den König an, dessen Art und Weise, sich vor seinem Gefolge keine Blöße zu geben, letztlich fast schon beeindruckend war. "Solange die Wunde nicht sicher zusammengewachsen ist, solltet Ihr derlei Abenteuer nicht mehr bestreiten."

Während der König aufstand, um sich ankleiden zu lassen, blieb Kieran am Boden knien, um seine Sachen zusammenzusuchen und zu reinigen. Als jener Dominico ansprach, er möge Kieran belohnen, blickte er jedoch auf. Kierans Augen wurden groß, als er hörte, was er erhalten sollte. "Danke, Eure Hoheit", wisperte er sprachlos und verneigte sich leicht.

Ein Lächeln hatte sich auf seine Lippen gelegt und ein Leuchten in seine Augen gekommen, das man wohl nur selten bei ihm sah. Diese Bücher waren für ihn von unmessbarem Wert.

"Der Verband sollte mindestens zweimal am Tag gewechselt werden", erklärte er nun den Dienern des Königs, die ihm halfen, die Sachen wieder aufzuräumen. "Dann wird eer König in drei Tagen keine Komplikationen mehr haben."

Er machte sich daran, seine Utensilien sorgsam zu reinigen und wieder zu verpacken, als Dominico zu ihm herantrat. Kieran stand auf, als er sah, dass jener mit ihm sprechen wollte und sh jenen an. Er nickte auf die Anweisung hin, wo er auf ihn warten solle. Eigentlich gefiel es ihm gar nicht, ständig wie irgendein Schoßhund irgendwo "hingestellt" zu werden, aber er hatte wohl auch einfach keine andere Wahl. Als er jedoch das Lächeln auf Domincos Lippen sah und dazu die Augen, die ihm fast so etwas wie Respekt verkündeten, verflog sein kleiner Anflug von Genervtheit auch schon wieder. Nun zumindest hatte er soeben beweisen können, dass das, was er dem anderen vorhin erzählt hatte, nicht erstunken und erlogen war.
 

Er bat einen der Diener, ihn zum Audienzsaal zu bringen, wo er warten sollte.

Der Saal war dem Anlass entsprechend groß, wenn auch bestimmt nicht so monumental wie in London selbst. Kieran sah sich um, betrachtete die Gemälde, die aufgehängt waren und auch den Thron, auf dem der König zu sitzen pflegte, wenn er dann doch mal anderen eine Audienz gab. Kieran wusste nicht genau, wie es von statten ging, aber er wusste von Erzählungen, dass es dem einfachen Volk eigentlich kaum gelang, zum König vorzudringen. Er wendete sich vom Thron ab, auch wenn es ihm fast in den Fingern juckte, sich einmal darauf nieder zu lassen. Aber wenn man ihn erwischte, würde er wohl wieder dort landen, wo er nicht so schnell wieder hinwollte. Dann suchte er in seiner Satteltasche nach dem Säckchen mit den getrockneten Früchten, einer Notration, die er immer dabeihatte. Er hatte unermesslich großen Hunger.
 

Dominico Sforza

Es war beinahe so etwas wie Henrys heilige Pflicht, seinen Hofstaat glauben zu lassen, dass ihn all das nicht berührte. Nico, der direkt neben ihm stand als Kieran den Splitter aus der Wunde zog, sah deutlich, wie Henry ein leichter Schweißfilm auf die Stirn trat, doch der König hielt sich wacker und die Farbe kehrte in sein Gesicht zurück, als Kieran den Verband anlegte. Jetzt, wo der Schmerz schwand, würde es die Diener wahrscheinlich wirklich einiges an Überzeugungskraft kosten, diese Wunde weiterhin zu versorgen. Man hatte ja gesehen wie Henry selbst mit dieser Wunde noch Tennis gespielt hatte. Er würde wohl kaum die nötige Vernunft aufbringen, doch Nico hoffte einfach, dass Kierans Behandlung bereits viel zur Heilung beitrug.

Der schnatternde Hofstaat setzte sich in Bewegung und Nico ließ sich schließlich mittragen, nachdem er Kieran mit der knappen Anweisung zu warten, zurückgelassen hatte. Diesen ersten Test hatte Kieran bestanden und damit zum einen sein Verständnis für die Medizin, zum anderen seinen Willen gezeigt, den Menschen wirklich zu helfen. Er hatte keinerlei Berührungsängste gehabt und hatte sauber und gründlich gearbeitet, beides gute Eigenschaften für einen angehenden Arzt.

Eigentlich hätte der Audienzsaal aus allen Nähten brechen müssen - denn das war der Saal an dem sich normalerweise der ganze Hofstaat inklusive sämtlicher Botschafter aufhielt - doch da ein Bankett anstand, blieb Kieran im Audienzsaal allein, in dessen angrenzende Gemächer sich der König mit den Männern zurückgezogen hatte. Die Diskussion hinter den mit schwerem Brokat behangenen Wänden war hitzig und Henrys lautes Organ war nicht nur einmal durch die Türe zu hören. Allerdings waren die Gesprächsfetzen nicht sonderlich aussagekräftig und die Antworten von Nico und Charles eher ruhig. Dass man einem Italiener wie ihm, der lediglich durch seine Frau einen englischen Adelstitel hatte, ein Kommando übertragen hatte, war einigen der alteingesessenen Ratsmitglieder ein Dorn im Auge gewesen. Doch Cromwell zu dieser Zeit bereits ein aufstrebender Jurist - hatte sich ebenfalls im Parlament für Dominico Sforza ausgesprochen, dessen militärische Leistungen bereits in Italien deutliche Erfolge erzielt hatten. Natürlich konnte jeder Adelige auf Geheiß des Königs handeln, doch für Nico war es eine besondere Ehre gewesen. Dennoch überließ er gern Charles den Vortritt, es sei denn Henry verlangte spezifisch nach ihm.

Ihre Diskussion dauerte doch eine ganze Weile und Henry verließ die Gemächer nicht zum Audienzsaal hin, sondern mit Charles und den anderen Herren direkt hinauf zum Bankettsaal. Nico bedankte sich für die Einladung, doch er wollte nicht und schob so einen Termin mit seinem Bruder vor, der keinen Aufschub duldete. Da Henry Familienangelegenheiten selbst immer recht ernst nahm, entließ er Nico und nach der regen Diskussion über die Scheidung von Katharina und dem Umgang mit den Spaniern trat Nico bald darauf wieder in die Audienzhalle. Kieran saß an der Seite und aß etwas, da von weitem aussah wie Pferdefutter. Bei näherer Betrachtung zeigte sich, dass es wohl Trockenobst war, ein gutes Nahrungsmittel, wenn man sonst nicht viel hatte. Nico hatte sich seinen Umhang über eine Schulter geworfen und trat schließlich zu dem Schausteller, der in seiner neuen Kleidung mit jeder Minute eine bessere Figur machte. "So Mr. Carney - unser Besuch hier ist beendet. Seid Ihr fertig mit Essen, oder wollt ihr noch ein wenig das Ambiente genießen?" Es war im Grunde eine Fangfrage, sie konnten ja nicht einfach hier weiterhin herumhocken. "Lasst uns die Pferde holen, Amadeo hat sie sicher gut versorgt. Wie hat euch der König gefallen?" Nico war schon halb auf dem Weg zum Ausgang, in der Überzeugung das Kieran sich beeilte zu folgen.
 

Kieran Carney

Kieran, der hin und wieder hörte, dass sich die Gesellschaft wohl in gar nicht allzu großer Entfernung aufhielt - denn Henrys kräftige Stimme erhob sich immer wieder in hitzigen Diskussionen - saß an die Wand gelehnt und zwang sich, das Trockenobst langsam zu essen. Ihn nervte die Warterei, wusste er doch, dass man sich Sorgen machte um ihn, dass er gebraucht wurde und dass er wohl eine Show heute schon verpasst hatte. Sicher waren Fatih und wohl auch sein Vater in der Stadt unterwegs oder unterwegs gewesen, um ihn zu suchen. Und dieses Nichtstun hier war dadurch nur noch unerträglicher. Hin und wieder huschte ein Bediensteter vorüber. Als er am Klang der Stiefel hörte, dass sich jemand näherte und endlich Dominico den Audienzsaal betrat, verpackte er die Reste wieder in der Satteltasche und stand auf, sich die Kleidungsstücke wieder glattstreichend.

"Ich bin froh, wenn ich hier weg kann, um ehrlich zu sein", gab er unverhohlen zu, als Nico ihn fragte, ob er das Ambiente noch genießen wolle. Und so schloss er sich dem andren an, der wieder einmal einfach davon ausging, dass er ihm auch wirklich folgen würde. War das generell so, wenn man mit Dominico Sforza verkehrte, oder war das nur bei ihm so?

"Aus medizinischer Sicht hat er mir nicht gefallen und mir missfällt der Verdacht, dass sich der König nicht die nötige Ruhe gönnen wird, die so eine Verletzung eigentlich verlangt." Er überlegte kurz, wie er seine persönliche Meinung zum König verpackte, um nicht wieder in ein Fettnäpfchen zu treten. "Und persönlich hat er mich insofern beeindruckt, dass er zum einen sehr tapfer war, zum anderen seiner Rolle als König sehr bewusst ist und sich darin keinerlei Blöße gibt. Er hat seinen Hofstaat gut im Griff und strahlt eine unglaubliche Dominanz aus. Andererseits..." Er wusste nicht genau, wie er es sagen sollte. "Andererseits ist meine naive Vorstellung oder sagen wir ‚Hoffnung‘ von einem König, der den ganzen Tag dasitzt und sich überlegt, wie er dem nach einem langen Winter hungerleidenden Volk helfen kann, mit dem Wort "Tennis" zerplatzt. Und von dem Gehabe, das um ihn herum stattfindet, will ich lieber gar nicht sprechen. "

Sie hatten das Gebäude verlassen und die frische Luft tat ihm gut, sich wieder etwas befreiter zu fühlen. Er wüsste zu gerne, was Dominico noch mit ihm vorhatte und wie er seine Schuld begleichen durfte. Dieses Gefühl des „Ausgeliefert-Seins“ und von Dominico abhängig zu sein, weil er das Gefühl hatte, stets springen zu müssen, wenn jener pfiff, nagte sehr an seinem Ego. Noch war das in Ordnung, der Kerker lag noch zu nah, aber auf Dauer würde es ihn wahnsinnig machen, was für ihre 'Beziehung' nicht gerade zuträglich wäre und einen erneuten Besuch im Kerker drohen ließ.

Amadeo kam ihnen auf halbem Wege entgegen und Kieran nahm ihm sich bedankend Niamh ab. Kieran prüfte kurz aus Gewohnheit den Sitz des Sattels und saß dann auf. "Mr. Sforza, ich weiß, dass ich noch nichts getan habe, um meine Schuld bei Euch zu begleichen - außer vielleicht der Warterei -, aber dürfte ich dennoch nun zu meiner Familie? Sie haben keine Ahnung, wo ich bin und machen sich Sorgen. Zumal ich auch dort Verpflichtungen habe." Kurz zögerte er. "Oder darf ich Euch zu uns zum Essen einladen, um mich zumindest auf meine Art bei Euch zu bedanken? Ich weiß, für einen Mann Eures Standes geht das eigentlich nicht. Aber..." Ja was 'aber'? Die Idee der Einladung kam spontan und war dadurch wenig durchdacht. Er hatte keine Argumente, die dafür sprächen, dass jener mitkäme, auch wenn Kieran das irgendwie sehr schön fände. Dominico Sforza würde sich nicht dazu herablassen, sich mit seiner Familie abgeben zu wollen oder überhaupt bei Leuten seines Standes zu essen. Er strich sich durch die Haare. "Meine Mutter ist die beste Köchin der Welt", fügte er hinzu - als sei das ein Argument.
 

Dominico Sforza

Natürlich war er froh wieder draußen zu sein. Das hier war nicht Kierans Parkett und das zeigte er deutlich mit jeder Minute, die er hier war. Natürlich hielt er sich an die höfischen Regeln, doch wenn man ihn ansah, saß er auf glühenden Kohlen und jeder Grund, der es ihm ermöglicht hätte, einfach nur zur Türe hinaus zu stürmen und nach Hause oder einfach in die Freiheit zu reiten, hätte er genutzt, da war er sicher. Doch die Schuld, in der er stand, verbot es ihm und genau diese Zwiespältigkeit, die auch Nico in ihm sah, amüsierte den Sforza. Er wollte sich nicht daran weiden, aber es war kaum anders möglich. Dass er schon wieder einfach vorging und darauf spekulierte, dass Kieran folgte, war zum einen tatsächlich seiner anerzogenen Ignoranz geschuldet, andererseits aber auch so etwas wie ein Test. Würde Kieran tatsächlich folgen und sich anpassen? Oder doch wie am letzten Abend einfach zusehen, dass er weg kam von ihm? Anscheinend lernte Kieran, oder der Respekt vor dem Kerker war noch sehr frisch. Er wollte den jungen Mann ja auch nicht erpressen, doch Kieran sollte sehen, dass auch ein Dominico Sforza viele Seiten hatte.

"Ich dachte Ihr habt etwas aus eurem Ausflug heute morgen gelernt...?" Die amüsierte Frage war das erste, das er wieder zu Kieran sagte, seit sie die Residenz verlassen hatten. Er schwang sich auf das Pferd und sah zu ihm hinüber. "Allein für das, was Ihr mir gerade gesagt habt, würde er euch den Kopf abschlagen und ich bin ein verdammt schlechter Untertan, weil ich es ihm wohl nicht verraten werde." Er zwinkerte ihm erneut zu, machte damit aber auch klar, dass sie noch nicht auf dieser Vertrauensbasis waren, um Kritik am König üben zu können. Auch wenn Nico das gleiche dachte - es zu sagen, vor allem noch in diesen Mauern, das war schon ziemlich... mutig und gleichermaßen leichtsinnig. Und dann, tatsächlich nach einer respektablen Zeit des Wartens kam Kieran dann doch mit dem Wunsch, gehen zu dürfen. Nico sah keinen Grund ihn weiter fest zu halten, war aber umso erstaunter darüber, dass Kieran ihn einlud... zum Essen.

Nico zog eine Augenbraue nach oben als sie das Tor zum königlichen Hof hinter sich ließen. "Und ihr kennt auch immer noch den Adel nicht gut genug. Woher wollt ihr schon wissen, was für einen Mann meines Standes geht und was nicht? Ich komme gern zu euch zum Essen und überzeuge mich selbst von den Kochkünsten deiner Mutter - aber nicht heute. Mein Cousin wird heiraten und seine zukünftige Frau ist bei uns zu Gast. Ich werde mit ihr und meinem Bruder speisen und wir werden danach noch ein wenig plaudern, außerdem will die Dame ins Theater... gesellschaftliche Verpflichtungen. Aber in zwei Tagen würde ich gern darauf zurückkommen." Er sah zur Kirchturmuhr. "Also... dann um die gleiche Zeit. Ich denke, ich finde euch noch immer da wo ich euch schon gestern aufgegabelt habe? Dann lasst euch von mir nicht aufhalten und reitet zu eurer Familie, so wie ich zu meiner." Nico tippte sich an den Hut und lenkte sein Pferd dann Richtung Stadttor. Er hoffte, dass Kieran diesen leichten Überfall nicht übelnahm und dass er in zwei Tagen noch Menschen dort vorfinden würde - wenn nicht, hatte er sich wenigstens keine Blöße gegeben. Doch es hatte keinen Sinn gehabt, noch länger darauf herumzureiten, und so ließ er Kieran gehen, mit dem Bild eines sehr viel leichter bekleideten Kieran noch immer in seiner Jackentasche.

Ostern in Cambridge - Blutige Klinge

Alessandro Sforza

Ausnahmsweise war es auch Nico, der Cecile am Abend in der Kutsche zurück in die Stadt begleitete, wo erstens die Dame für die Dauer der Feiertage wohnte und zweitens das Theater stattfand. Alessio war zu Hause geblieben und seit die Kutsche vom Hof gerollt war tigerte er wie eine eingesperrte Raubkatze durch seine Gemächer.

Er war wütend, wütend so naiv gewesen zu sein und diesem dreisten kleinen Dieb den Rücken zugekehrt zu haben. War er wirklich so dumm? Anscheinend ja. Und er war heute nicht mal in der Stadt gewesen um zu sehen, ob Finley bereits versuchte das Kreuz zu versetzen. Andererseits hätte man ihm das vielleicht schon mitgeteilt. Das Kreuz, das Finley sich herausgesucht hatte, war ein besonderes Stück, eine Auszeichnung für Dienste im Namen der katholischen Kirche von Rom. Ein Kunstkenner würde das Kreuz als Solches erkennen... und SO viele Kardinäle gab es aktuell nicht in Cambridge. Außerdem würde das Kreuz unter diesen Umständen kaum einem Käufer anzubieten sein. Finleys einzige Chance war es, das Kreuz auseinander zu nehmen und das Gold und die Edelsteine einzeln zu versetzen. Das würde er aber sicher erst dann tun, wenn die Geistlichkeit aus Cambridge abgezogen war - also herrschte Handlungsbedarf.

Am übernächsten Abend würde die Osterandacht stattfinden. Wolsey würde sie leiten, nicht Alessio - das war immer noch die Sache des Kardinals des Königs und nicht seine. Und zu diesem Zeitpunkt würde mit Sicherheit jeder verfügbare Messdiener in den Dienst berufen werden, weil die Menschen die Geldbörsen an Tagen wie diesen noch weiter öffneten. Ein Fest für Langfinger wie Finley und DIE Gelegenheit für Alessandro, sich sein Eigentum wieder zurück zu holen.

Weil er bereits in der letzten Nacht zu leichtsinnig gewesen war und diesem Luder aus der Gosse vertraut hatte, rief er nach Amadeo um ihn in sein Vorhaben einzuweihen. Ihr langjähriger Leibdiener würde das rechte Fingerspitzengefühl haben, und ihm sicher liebend gern unter die Arme greifen.

So verging diese Nacht. Den nächsten Tag verbrachten die Brüder noch einmal mit der zukünftigen Frau in ihrer Familie, die begeistert von den beiden italienischen Männern war. Sie setzten einen Brief an den zukünftigen Ehemann auf und Nico begleitete Cecile zu einem Empfang bei Henry am Abend. Alessio ging früh ins Bett, erneut. Er wollte ausgeruht sein und viel Schlaf bekommen.
 

Dominico Sforza

Schlaf hatte Nico nicht sehr viel. Cecile war eine schrecklich anstrengende Frau und so kam es das erste Mal seit langem vor, dass er Alessio vor sich durch die Gänge stapfen hörte. Anscheinend war sein Bruder bereits hellwach, denn es dauerte nicht lange bis Waffenklirren vom Hof zu vernehmen war und er Alessio mit Amadeo im Zweikampf vom Fenster aus beobachten konnte. Nico gähnte herzhaft und überlegte sich noch einmal ins Bett zu legen, doch er schob den Gedanken bei Seite. Stattdessen stand er auf und ließ seine Diener herein, die ihm ein Bad richteten. Er wollte sich heute mit Kieran treffen und hatte schon am letzten Abend unweigerlich an ihn denken müssen als er am Marktplatz vorbei gekommen war. Allerdings hatte er in einer Kutsche gesessen und Kieran war gerade nicht dabei gewesen Aufzutreten. Sie waren aber noch dort gewesen in dem Lager vor den Toren und Nico rechnete sich gute Chancen auf den jungen Schausteller anzutreffen. So ließ er sich rasieren und wählte Kleidung in gedeckten Farben und einfacheren Stoffen. Er wollte nicht prahlen mit seinem Stand und seinem Reichtum wenn er zu Mittag mit den Gauklern aß. Er verzichtete sogar auf seinen Rassehengst und den teuren silberbeschlagenen Sattel, nahm stattdessen eines ihrer Kutschpferde das immer noch prächtig genug war und einen normalen Sattel. Ohne Amadeo ritt er dann am frühen Vormittag los um pünktlich zu sein. Er hasste es Leute warten zu lassen, es sei denn es war Teil seiner Taktik.
 

Alessandro Sforza

Zu Hause hatte es Alessio kaum erwarten können, dass sein Bruder endlich verschwand. Er nahm noch einmal ein Bad, band sich das schulterlange Haar im Nacken zusammen und wählte zivile Kleidung. Eine einfache dunkle Hose, ein schlichtes dunkelbraunes Hemd und eine schwarze kurze Jacke darüber. Über all dem trug er eine bodenlange Kutte mit großer Kapuze und einen Degen an seiner Seite sowie zwei Messer im Gürtel. Er sah nicht mehr aus wie der Kardinal sondern wie ein normaler Ordensbruder - derer es zu diesen Zeiten hunderte in Cambridge gab.

Auch er verzichtete auf das prunkvolle Pferd, nahm stattdessen eines der Arbeitstiere und ritt kurz darauf mit Amadeo ebenfalls gen Cambridge davon, um der Osterandacht beizuwohnen. Kaum in der Stadt, brachte er das Pferd zu einem Unterstand, ehe er mit vielen anderen ärmeren Menschen den Platz hinten in der Kirche einnahm. Amadeo hatte er an dem Seitenausgang der Sakristei positioniert - für den Fall, dass Finley stiften gehen wollte, bevor die Messe zu Ende war. Zweifel an der Anwesenheit des Messdieners hatte Alessandro Sforza nicht. Die Versuchung würde für den blonden Rauschgoldengel viel zu groß sein. Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen konnte er so sehr bequem die Leute beobachten die in die Kirche kamen. Und wie immer war die Kirche sehr voll ehe Henry mit Gefolge einlief und alle ihre Plätze einnahmen. Als der Gottesdienst losging bewegte sich Alessio langsam an den Reihen vorwärts. Das Menschen in der Kirche liefen war nichts ungewöhnliches und so schenkte ihm niemand Beachtung.
 

Finley

Die letzten Tage waren für Finley die reinste Hölle gewesen. Ralph hatte darauf bestanden, dass er im Haus blieb und sich versteckt hielt, damit er nichts anstellen konnte und der Kardinal ihm nicht auf die Schliche kam. Nur für den unwahrscheinlichen Fall, dass dieser sich auf die Suche nach ihm machen würde. Der Rebell versicherte zwar immer wieder, dass der Kardinal es wohl kaum bemerken würde, wenn ihm eines seiner Kreuze fehle, doch Ralph wollte davon nichts hören. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als zu bleiben. Als der Zeitpunkt der Ostermesse allerdings näher rückte, musste Ralph ihn doch wieder aus dem Haus lassen, um seine Tarnung aufrecht zu erhalten. Er ließ es sich aber nicht nehmen, Finley zu folgen um ihn im Zweifel vor dem Kardinal und dessen Handlangern zu schützen.

Einige Zeit später war die Messe in vollem Gange. Zwar huschte Finleys Blick noch hin und wieder etwas hektisch umher, um nach Alessandro zu suchen, doch er konnte ihn nirgends entdecken. Der Kardinal war der des Königs und während des ganzen Gottesdienstes verlief seine Show bemerkenswert gut. Endlich war auch dieser beendet und Finley zog sich mit den anderen Messdienern in den Nebenraum zurück, um die reiche Ausbeute, die Gaben aus dem Klingelbeutel, zu zählen. Keine besonders beliebte Aufgabe, wenn draußen bereits die Feierlichkeiten begannen.

"Ach, ich mach das schon. Geht ihr ruhig schon feiern, wir fangen zu Hause sowieso erst etwas später an." bot Finley großzügig an. Die anderen ließen sich das nicht zweimal sagen und gingen mit strahlenden Gesichtern und Dankesworten auf den Lippen. Das Lächeln auf Finleys Lippen wurde zu einem breiten Grinsen und mit einem kurzen Blick über die Schulter, begann er, die Einnahmen zu zählen und hin und wieder etwas in die eigene, versteckte Tasche gleiten zu lassen. Das würde heute Abend ein Fest geben. Wenn er dann noch dazu das Kreuz verkaufen würde, würde Ralph ihm nicht mehr so sehr auf die Nerven gehen können. Finley entspannte sich und war in Gedanken schon beim Osterbraten. Doch ein entspannter Dieb ist reif für die Festnahme und Finley bildete da leider keine Ausnahme.
 

Alessandro Sforza

Wolsey ließ sich Zeit mit seiner Predigt und Alessios Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, bis endlich, ENDLICH das Schlusswort fiel. Unter Jubel verließ der Kardinal in einer langen Prozession die Kirche, der der König an erster Stelle folgte. Was in der Kirche zurückblieb waren Kirchendiener, die die Kerzen am Altar löschten und die Klingelbeutel in die Sakristei brachten. Der Bischof, der eigentlich die Zählung überwachte verabschiedete sich vorzeitig, aber nicht etwa weil er feiern wollte, sondern weil in seiner Tasche Alessios Münzen klapperten. Der junge Sforza hatte den Mann bestochen, noch während des Gottesdienstes. So waren die Messdiener allein, und wie Alessio vermutete brauchte Fin nicht lange um auch noch den Rest loszuwerden. Er bewegte sich lautlos im Gang und die Jungen huschten an ihm vorbei, hinaus zu den Feiernden.

Alessios schlankes Schwert glitt lautlos aus der Scheide der bis beinahe zu den Achseln geschlitzten Kutte. Wie ein dunkler lautloser Schatten trat er hinter Finley in die Sakristei und legte das blanke kalte Metall an den Hals des beinahe schon fröhlich vor sich hinpfeifenden Diebes. In eifriger Betriebsamkeit sortierte er Geld und sortierte erstaunlich viel in die eigene Tasche.. wie schon beim letzten Mal. Langsam trat er näher an Fin heran, die Klinge bewegte sich keinen Millimeter. "Die Unachtsamkeit steht dir gar nicht.." flüsterte er leise.
 

Finley

Im einen Moment schwebte Finley noch auf Wolken, im nächsten erstarrte er zu Eis. Ein stummer Fluch huschte über seine Lippen, als er spürte, wie sich etwas Kaltes und Scharfes an seinen Hals legte und sich ein Körper von hinten an ihn schob. Jetzt keine falsche Bewegung oder Bemerkung, sonst konnten sie sein Blut vom Boden aufwischen. Zwar durfte man in Gotteshäusern nicht töten, doch er war sich sicher, dass ein paar Schritte nach draußen oder auch der Kerker, um dort auf den Galgen zu warten, sehr wohl alternativ für den Schwertführer in Betracht kamen. Die Strafe für einen Dieb war schon schlimm genug, doch auch noch ein Dieb, der die Kirche bestahl? Finley spürte, wie seine Knie weich wurden. Er musste irgendwie fliehen. Schon suchte sein Blick hektisch nach einem Fenster oder einer Stelle auf dem Weg nach draußen, an der er abhauen könnte, als der Mann hinter ihm sprach.

Finley schnappte nach Luft. "Ihr...?!" entwich es ihm mit einer Mischung aus Überraschung und Panik. "W-wie schön, dass ihr doch in der Stadt seid. Ich habe schon bedauert, dass ihr an der Ostermesse nicht da sein könnt, um mich zu sehen. Aber ihr seid doch gekommen. Wie ich mich freue!" Der Rebell gab wirklich sein Bestes, doch er konnte nicht gerade behaupten, dass er hundertprozentig überzeugt klang. Raufereien und Straßenkämpfe waren eine Sache, aber das hier schien ihm doch ganz böse ausarten zu können. Vielleicht hätte er ausnahmsweise mal auf Ralph hören sollen.

Vor Anspannung kippte Finley leicht nach hinten und musste einen kleinen Schritt in Richtung des Mannes machen, wobei sich seine Hand haltsuchend in den Stoff am Bein Alessandros krallte. Oh, man. Er war ja wirklich ein Idiot. Hoffentlich Was auch immer es war, er schaffte es nicht, seine Finger aus dem groben Stoff zu lösen, so verkrampft war er.
 

Alessandro Sforza

Oh ja, da schien diese Ratte genau in seinem Element zu sein. Dass Finley gerade so extrem von der Kirche stahl war es nicht mal, das Alessio wütend machte. Wenn Fin es nicht tat, würde der Kardinal in die eigene Tasche wirtschaften, oder sonst wer. So war es doch immer.. es war eben leicht verdientes Geld, das nirgendwo wirklich aufgeschrieben wurde. Und wenn es dann doch aufgeschrieben wurde, dann war der Großteil des Geldes schon weg. Nein, es war diese pure Berechenbarkeit dieses dreisten Diebes die Alessio wirklich wütend machte. Er war so einfach zu durchschauen gewesen, dabei hatte Alessio das Gefühl gehabt, dass es tatsächlich etwas besonderes zwischen ihnen gewesen war. Doch.. anscheinend hatte sich das auf die Stunden in seinem Schlafzimmer beschränkt, in denen sie beide nackt gewesen waren.

Fin erkannte ihn an der Stimme und Alessio hatte auch keinen Grund besonders leise zu sein, denn sie waren ohnehin allein. Der Druck an Fins Hals wurde stärker als der sich nach hinten lehnte und direkt auf Tuchfühlung ging. Alessio verdrehte innerlich die Augen. Die scharfe klinge ritzte in Finleys Haut Alessio packte den jungen Mann vor sich und drehte sich mit ihm um selbst nicht mehr mit dem Rücken zur Tür zu stehen. Wer wusste schon, was aus dieser Richtung noch kommen mochte. So viel Geld wie in versuchte bei Seite zu schaffen konnte er ja kaum allein unauffällig tragen, doch vielleicht hatte er vor die Münzen sonst wo hin zu stecken.. anscheinend schien er gerade ja kaum an etwas anderes denken zu können als Alessios Schwanz erneut zu reiten, am besten direkt hier und auf dem Altar.

"Ja, natürlich. Du hast dich verzehrt und dir Kerzen in den Arsch geschoben weil du dich so sehr nach meinen Schwanz sehnst, und währenddessen hast du dich gegeißelt weil du gläubiger Christ natürlich weißt das es mehr als schändlich ist was du hier treibst.. PAH!" Alessio hatte nicht schlecht Lust Finley allein wegen dieser Dreistigkeit die Kehle durchzuschneiden. "Du Ratte hast mich bestohlen und bei all deiner Gier die du hier an den Tag legst, warst du in meinem Haus wohl zu sehr mit deinem Hirn denn mit deiner Gier dabei. Statt der schweren Rubinbesetzten Goldkreuze die mir absolut egal sind und die wesentlich mehr wert sind als das was du hast mitgehen lassen - nimmst du mein Familienkreuz.. und ich will es wieder haben und zwar sofort. Da kannst du meinen Schwanz so oft lutschen wie du meinst es tun zu müssen, ich werde dir deinen scheibchenweise schälen wenn du mich nicht sofort dorthin bringst wo du es versteckt hast." Die Wut in Alessio ließen ihn ganz und gar nicht wie einen Kardinal klingen, doch gerade war er das auch gar nicht. Es überwog die Enttäuschung das Fin nicht nur gestohlen hatte, sondern auch, dass er wirklich glaubte ihn erneut ködern zu können. Was bildete sich dieser Kerl eigentlich ein?
 

Finley

Finley knirschte mit den Zähnen. Sein Kopf war voller Gedanken und doch wie leer gefegt, wollte er einen davon fassen und eine brauchbare Idee herausfiltern. Zur Hölle, er wusste einfach nicht, was er tun sollte! Das Schwert war mit jedem Millimeter, den er abgerückt war, nur noch nachgekommen und allmählich schnitt es in seine Haut. Er konnte spüren, wie die Kälte in seiner Haut brannte. Es war scharf. Verdammt scharf. Mehrmals öffnete der Rebell den Mund, doch kein Laut kam heraus und so schloss er ihn wieder. Wie ein dummer Goldfisch musste er aussehen und wenn er bald nicht etwas herausbekam, würde er wie ein ziemlich toter Goldfisch aussehen. "Nein..." brachte er schließlich kaum hörbar heraus. Nein, er hatte sich keine Kerzen in den Arsch gesteckt. Nein, er war kein gläubiger Christ. Nein, er war nicht sonderlich schlau bei seiner Wahl der Kreuze gewesen, wie sich herausstellte. Nein, er glaubte mittlerweile nicht mehr, dass 'Schwanzlutschen' ihm in dieser Situation helfen könnte. Und nein, er würde den Mann nicht zu seinem Versteck führen. Es waren so viele Aussagen und nur so wenig Antwort gewesen, dass Finley hoffte, der Kardinal würde nicht gleich auf die Idee kommen, zu was er nun nein gesagt hatte. Allerdings war diese Idee auch relativ schwach und wohl kaum von langer Dauer.

"Es tut mir leid, eure Eminenz, ich kann ni-" begann der Rebell, doch er wurde von einer lauten Stimme, die durch das hohe Gebäude hallte, unterbrochen.

"Adrian?!" Schritte kamen näher und mit einem Mal stand ein wütend aussehender Ralph vor ihm. Allerdings nicht lange, denn bei dem sich ihm bietenden Anblick, machte er ein Gesicht, als wäre die Apokalypse über ihm zusammen gebrochen. Unsicher, wie er die Situation einschätzen sollte und doch offensichtlich gewillt, etwas zu tun, trat er langsam noch einen Schritt vor.

"Was geht denn hier vor sich?" fragte er nicht mehr ganz so energisch beim Anblick des funkelnden Schwertes, welches unfreundlich dicht an Finleys Hals lag. Dessen Gesicht erhellte sich allerdings auf unwahrscheinliche Weise. "Ralph!", japste er und wäre seinem Freund um den Hals gefallen, hätte er gekonnt. "Das ist der Kardinal. Tu mir bitte einen Gefallen und hol das Kreuz, was ich vor ein paar Tagen mitgebracht habe. Das, von dem ich dir erzählt habe, ich hätte es gefunden. Bitte!" flehte er schnell und hoffte, dass Ralph den Wink verstand. Er wollte seinen Freund nicht mit in die Sache hineinziehen, auch wenn diese Aussage den Kardinal vielleicht noch wütender machen würde. Wie es aussah, war dies im Moment seine einzige Chance.
 

Alessandro Sforza

"Nein was?" zischte es nah an Fins Ohr. Alessio hatte sich gegen den Tisch gelehnt um Fin leichter zu halten und fuhr mit der freien Hand unter die weite Messdienerkutte die der "Messdiener" Adrian sich übergeworfen hatte. Er strich über Fins Hose, um zu sehen ob der junge Herr nicht vielleicht doch bewaffnet war. Und siehe da, eine lange schmale harte stelle an Fins Oberschenkel weckte Alessios Aufmerksamkeit. Stoff riss, als er den Dolch befreite der dort eingenäht war und ihn am Heft herauszog. Dass er dabei einen Schnitt in Fins Oberschenkel hinterließ ignorierte er. Der würde schon kaum zappeln mit dem Schwert an der Kehle. Das wurde jetzt von dem wesentlich kürzeren Dolch ersetzt, was Alessio mehr Handlungsspielraum gab. Er schien den eigentlich gar nicht zu brauchen denn Fin setzte gerade an zu reden, als draußen jemand nach einem gewissen... Adrian rief. Angestrengt hörte Alessio auf die Schritte, doch es war nur eine Person, nicht mehr. Nur eine einzige Person.. auf Alessios Gesicht wurde ein grinsen Sichtbar, das sich mehr und mehr verbreiterte. "Oh.. wer eilt denn da zu deiner Rettung?"

Wie ein Spürhund kam kurz darauf ein wesentlich schmuddeligerer und ungewaschnerer Mann zum Vorschein, der Fin offensichtlich kannte. Und Fin schien in diesem Kerl seine Rettung zu vermuten, denn er hatte es verdammt eilig diesem Ralph wie er ihn benannte zu erklären, er solle das Kreuz holen. Aha..

Wie Fin so lange in diesem Geschäft hatte am Leben bleiben können wurde Alessio gerade schleierhaft. Nicht nur, dass er vor der bewaffneten Bedrohung, die mit zwei scharfen Klingen auf lebenswichtige Körperteile zielte NAMEN nannte - nein, er zeigte auch noch offensichtlich das er den Herrn da kannte und zwar gut kannte. Und der, in einer seltsamen Anwandlung von Wut und... Eifersucht? Wurde gerade zu einem rasenden Stier, der gegen einen Stier kämpfen wollte der ihm gegenüberstand. Zu dumm nur, dass ein unüberwindbares Hindernis dazwischen stand.

"Ist das einer deiner Rebellenfreunde Finley, von denen du behauptet hast du hättest keine?" Alessio wusste immerhin, dass Fin kaum allein hier als Messdiener hatte hereinkommen können. Das war für jemanden wie ihn unmöglich, vor allem in seinem Alter. "Und er soll dir das Kreuz holen gehen, also weiß er wo du unterkommst, ja? Höchst faszinierend. Nun gut, um die Sache hier voran zu bringen meine Herren - ich will mein Familienkreuz wieder haben. Und ich will das man es mir bringt, sofort. Wenn ihr, Ralph, also wollt, dass sich Finley oder Adrian oder wie auch immer ihr ihn nennt noch einmal vor euch bückt, dann nehmt die Beine in die Hand und bringt mir das Kreuz. Ansonsten sehe ich mich gezwungen unseren lieben Blondschopf hier in den Kerker werfen zu lassen. Mein Bruder berichtete mir erst gestern von den grausamen Zuständen und dem Umgang der Gefangenen untereinander. Und wenn ihr euch jetzt weigert, dann werde ich hier und jetzt ein Blutbad anrichten, zu dem seine Majestät mir Beifall klatschen wird weil es den Boden einer katholischen Kirche benetzt!" Alessios Worte waren schneidend scharf - er spaßte nicht.
 

Finley

Es war, als wäre Finley in seinen persönlichen Albtraum geraten. Wenn er hier leben heraus kam, würde er mindestens eine Woche das Haus nicht verlassen und nie wieder in die Nähe einer Kirche gehen. Gesetz den Fall, Ralph ließ ihn überhaupt nochmal in das Haus.

Den Dolch hatte Finley schon total vergessen gehabt und selbst wenn er sich daran erinnert hätte, hätte er ihm wohl kaum etwas gebracht. Außer vielleicht noch mehr Ärger. Hatte er ja auch so. Schließlich tat sein Bein weh. Nicht so schlimm, da ihm die warme Flüssigkeit an seinem Hals gerade um einiges mehr Sorgen machte, aber nett war etwas anderes. Mit noch immer geschlossenen Augen und fest zusammen gepressten Lippen, lauschte Finley den Worten des Kardinals. Er hatte eine ganze Menge zu dem zu sagen, was Alessandro da von sich gab, doch für seinen Teil hatte er genug gesagt. Genug angerichtet. Kurz blinzelte Finley zwischen seinen Wimpern hindurch. Ralph hatte die Hände zu Fäusten geballt und war noch näher gekommen.

Der Rebell seufzte. Sein Stolz und seine Ehre waren schon vor langer Zeit flöten gegangen. Da konnte er nun auch noch ein wenig darin herum stochern. "Ralph." sagte er ruhig, aber eindringlich und blickte den Mann direkt an. "Wir wissen beide, dass er verdammt recht hat. Geh und hol, was er will. Das hier ist meine Schuld und wenn du dich jetzt aufspielst, ist das völlig sinnlos. Es wird mir schon nichts passieren, während du weg bist. Beeil dich einfach."

Ganz, ganz langsam wanderten Ralphs Augen von denen Alessios, zu denen Fins. Dann grunzte er unwirsch und trat ein paar Schritte Richtung Tür. "Wagt es ja nicht, ihn anzurühren, eure Eminenz!" spieh er hervor und sprach dabei das Wort 'Eminenz' aus, als würde er ihm alle Perversionen dieser Erde zutrauen. Dann war Ralph verschwunden. Immerhin wusste Finley, dass er laufen würde. Doch nun hatte er das Problem, wieder allein mit Alessio zu sein. Seine Ruhe und Zuversicht waren verschwunden und Angst kroch zurück in seine Glieder wie Blei. Gepresst stieß Finley die Luft aus und hoffte, dass sein Kehlkopf keine plötzlichen Faxen machte.

"Werdet ihr mich gehen lassen, wenn Ihr das Kreuz habt?"
 

Alessandro Sforza

Alessio war nun mal einfach kein dummer naiver Priester. Er kannte die Welt, er hatte sie nicht nur in Italien sondern auch hier kennen gelernt. Wer überleben wollte und an der Macht war musste zusehen, dass er sich im Zweifel selbst verteidigen konnte. Man starb schnell wenn man den falschen Leuten vertraute und noch schneller wenn man glaubte, dass man allein von Geburtswegen schon unsterblich und gegen jeden Angriff gefeit war. Alessio wusste es besser und er hatte sich in der Gosse herumgetrieben, zwischen den niederträchtigsten Menschen, die im Vatikan dienten. Dort, wo Demokratie versagte und dort, wo man keinen Krieg riskieren konnte, mussten eben andere Dinge zum Einsatz kommen. Mord und Totschlag waren im Vatikan unter konkurrierenden Kardinälen an der Tagesordnung und man gönnte seinem Nachbarn nichts. Deswegen war auch Alessio an der Waffe ausgebildet, deswegen konnte er sich selbst sehr gut verteidigen. Er brauchte keine Leibwache und er konnte viele Situationen selbst einschätzen. So auch diese - auch wenn Ralph gerade aussah als würde er direkt auf ihn losstürmen wollen, Fin würde alles dafür tun das es nicht passierte. Nicht weil er Alessio so abgöttisch liebte, sondern weil die beiden es sich nicht leisten konnten ihn zu töten. Man würde erstaunlich schnell eine Verbindung zu diesem Messdiener herstellen und genügend Leute hatten Fin gesehen, Nico eingeschlossen - und Nico würde bittere Rache an denen nehmen, die seinem Bruder auch nur einen Kratzer zugefügt hatten. Während Diebe, vor allem in der Kirche, die härtesten aller Strafen zu erwarten hatten. Erwischt zu werden konnte kaum in ihrem Interesse liegen und solange noch die Chance bestand, dass Alessio schweigend seines Weges zog würden sie beides alles daran setzen ihn zufrieden zu stellen. Zumindest solange Fin noch bei klarem Verstand war, denn Ralph war es wohl nicht mehr.

Anscheinend trafen Alessios Worte aber ins Schwarze, vielleicht mehr als er ahnte und der Mann raffte sich auf doch zu gehen und das Kreuz zu holen. Alessio hoffte für ihn, dass er nicht so lange brauchte. Wenn jemand kam und sie fand würde Alessio Fin ohne zu zögern verpfeifen und dafür sorgen das er in den Kerker kam, nur um die eigene Haut sauber wieder raus zu bekommen.

Da er jetzt Finleys Waffe hatte und er nicht mehr damit rechnen musste, dass gleich noch mal ein irrer um die Ecke stürmte lockerte er seinen Griff ein wenig, aber nicht genug damit Fin entwischen konnte. "Habe ich davon gesprochen dich gehen zu lassen? Ich denke nicht. Aber ich habe keine Verwendung für Verräter.. ich kann für dich wohl nur hoffen, dass Ralph das anders sieht. Und jetzt, pack die Münzen aus." Er hatte nicht vor Fin mit dem ganzen gestohlenen Geld verschwinden zu lassen. Nicht weil die Kirche es verdiente, sondern weil Fin es nicht verdiente.
 

Finley

Langsam löste sich auch die Hand und somit der Dolch etwas von seiner Kehle und Finley wagte das erste Mal seit unendlichen Minuten, wieder richtig Luft zu holen. Der kleine Kommentar zu Ralf und ihm als Verräter ließ ihn allerdings nicht so kalt, wie er gedacht hatte. Ralf war heißblütig und hitzköpfig, doch wenn er seine Wut und Frustration erst einmal ausgelassen hatte, war er meist wieder ganz der Alte. Wegen so einer Eifersuchtslapaille würde er ihn doch nicht vor die Tür setzen! ...oder?!

Mühsam versuchte der Rebell, die Spötteleien des Kardinals zu ignorieren. Es fiel ihm schwer. Sehr schwer. Doch er hätte kaum etwas Gutes über die Kirche zu sagen gehabt und er wollte sich nicht noch mehr in die Scheiße reiten. Die stand ihm sowieso schon bis zum Hals. Doch wem die Scheiße bis zum Hals stand, der durfte den Kopf nicht hängen lassen und so entwich ihm nur ein leises, zischendes Geräusch, als Alessandro ihn aufforderte, das Geld aus seinen Taschen zurück zu befördern.

"Natürlich." sagte er gepresst, bevor er - natürlich ganz vorsichtig, da ihm noch immer der Dolch nahe am Hals lag - in seine Taschen fasste und eine Münze nach der anderen hervor zog. Es ärgerte ihn doch sehr. Vor allem, da ihm dieser Kerl noch nicht einmal das Geld der Wette gegeben hatte. Seiner Meinung nach, hatte der Kerl es eindeutig verdient, beraubt zu werden. Und ohnehin hatte er doch genug Reichtümer. Jetzt musste er ihm auch noch die letzte Münze weg nehmen. Und das auch noch an Ostern. Irgendjemand da oben musste ihn wirklich hassen. Doch abermals verkniff sich Finley mit beinahe übermenschlich großer Mühe, einen bissigen Kommentar. Ostern musste nicht noch mehr den Bach runter gehen.

Endlich kamen schnelle, schwere Schritte den Gang entlang und einen Moment später kam ein nach Luft ringender Ralph um die Ecke. "Du hättest mir ruhig sagen können, wo du es versteckt hast." zischte er leise mit finsterem Blick zu Fin und schenkte dann dem Kardinal seine gesamte Aufmerksamkeit.

"Ich gebe euch das Kreuz und ihr gebt mir den Jungen und lasst uns unbehelligt ziehen." sagte er mit konzentriert ruhiger Stimme und strecke die eine Hand mit dem Kreuz aus, während er die andere Hand nach Fin ausstreckte.
 

Alessandro Sforza

Natürlich passte es Fin ganz und gar nicht die Münzen wieder abgeben zu müssen. Es fuchste ihn und zwar ziemlich und so kam Alessio auch nicht umhin ihn erneut abzutasten, denn inzwischen traute er ihm zu, dass er Münzen versteckte. Doch an Fins schlankem Körper konnte er nichts metallisches mehr entdecken und so standen sie eine Weile schweigend da, während man beinahe die Minuten verstreichen fühlen konnte. Doch Ralph schien tatsächlich etwas an Fin zu liegen, oder zumindest daran, ihn selbst wie eine Schabe zu zerquetschen, wenn Alessio erst einmal außer Sicht war. Als Ralph wiederkam und das Kreuz von seiner ausgestreckten Hand baumelte pfiff Alessio leise durch die Zähne. Gerade als Ralph den Tausch angeben wollte tauchte hinter dem Rebellen ein weiterer Mann auf, den schlanken langen Stichdegen gezogen und in ruhiger routinierter Haltung. Alessio grinste Ralph breit ins Gesicht. "Als ob ihr noch in der Lage wäret zu verhandeln.." Doch er ließ Amadeo nicht zum Stich kommen sondern winkte ab und stieß Finley vorwärts, so dass der gegen Ralph taumelte, während er dem Rebellen das Kreuz entriss und stehen blieb. Amadeo schob sich an den beiden vorbei und machte sich auf einen Wink von Alessio daran, die Münzen in dem Beutel zu sammeln und ihn zu verschnüren. Er würde sie dem Schatzmeister im Kloster übergeben und damit waren sie außerhalb der Reichweite von Fins gierigen Fingern. "So, nun zu euch.." Alessio steckte die lange Klinge weg, behielt nur den kurzen Dolch in der Hand. "Ihr habt ihn hierher geschickt, einen Fremden offensichtlich. Woher ihr euch kennt ist mir gleich, wie ihr zueinander steht offensichtlich.. Dass er nicht allein hier eingedrungen ist und den Messdiener mimte, war mir in dem Moment klar als er mich anhimmelte wie den Papst persönlich. Und doch habt ihr eine schlechte Wahl getroffen, wie auch unser Herr und Erlöser. Es war immerhin kein Judaslohn, er hat 10 englische Pfund für seinen Verrat verlangt. Er hat sie nicht bekommen, doch so sagte schon unser Erlöser: Einer unter euch wird mich verraten. Und Judas verriet ihn und brachte ihm den Tod."

Damit wandte Alessio Sforza sich ab und schritt gefolgt von Amadeo das Kirchenschiff hinunter und hinaus in die feiernde Menge. Im Kirchenschiff selbst waren jetzt wieder Ordensbrüder unterwegs, die die Überreste des Gottesdienstes beseitigten, doch sie maßen den beiden Männern in der Sakristei keine Bedeutung zu, die dort noch standen, vom Kardinal und seinem Begleiter zurückgelassen. Draußen stieg Alessio auf sein wartendes Pferd. "Ich werde dem König noch einen Besuch abstatten. Weil Ostern ist und ich ihm meiner besten Wünsche versichern will. Hab ein Auge auf ihn." Amadeo neigte den Kopf und verschwand in der Menge. Er würde ein Auge auf Finley haben.. nicht das der seinen Herrn noch einmal hinterging.
 

Finley

Am liebsten wäre Finley dem verfluchten Kardinal an den Hals gesprungen. So wenig sie auch von der Kirche hielten, Ralph konnte Alessandros Bibel-Vergleich kaum so missverstanden haben, dass es diesen völlig im Dunkeln ließ. Und wie zu erwarten, knurrte Ralph dem Kardinal nach, als dieser verschwand und packte Finley dann grob am Arm. Ohne ein Wort zerrte er ihn hinaus auf den Platz.

"Ralph, die ganze Sache tut mir so leid! Du hattest völlig recht, das seh ich jetzt ein. Das passiert nie wieder, versprochen. Und diese Sache mit dem Judas, du glaubst diesem Penner doch nicht oder? Das hatte nichts mit dir oder mit uns oder den Rebellen zu tun. Und außerdem hat er doch gar nichts gegen uns in der Hand!"

"SCHNAUZE!" unterbracht Ralph laut Finleys Redeschwall und sein Griff wurde so fest, dass sich der Rebell leicht unter dessen Hand wandte und leise aufkeuchte. Grob zerrte Ralph ihn weiter in eine schmale Gasse. Die Häuser standen hier so hoch und eng, dass kaum Sonnenlicht hinab fiel und für eine solche Tageszeit war es verhältnismäßig dunkel. Mit einem kurzen Blick nach links und rechts, packte Ralph Fin plötzlich am Kragen und presste ihn gegen die steinerne Wand. Sie war kalt und rau und tat Finleys Rücken weh.

"Was hast du kleine Zecke ihm alles erzählt? Gib doch einfach zu, dass dich nur das Geld gelockt hat. Sicher wolltest du ihn mit deinem Sex beeindrucken und mit deiner ach so witzig-frechen Art betören, wie du es bei so vielen geschafft hast. Aber glaub mir, so gut bist du nicht!" Ralph spuckte die Worte hervor, wie die Viren der Pest.

Augenblicklich verschwanden die mitleidsheischenden Züge aus Finleys Gesicht. Für einen Moment war er wie gelähmt. Er hatte Ralph schon oft wütend erlebt. Er hatte ihn auch schon beschimpft. Ihn auch schon geschlagen. Aber niemals hatte er ihn auf diese persönliche Weise angegriffen.

"Du weißt, dass es nicht so ist", zischte Fin, doch seine Stimme klang seltsam schwach und kraftlos. Ralph kannte seinen wunden Punkt und er hätte ihn nicht viel besser treffen können. Doch scheinbar schien ihm das nicht genug zu sein.

"Ach ja? So, wie du mich geliebt hast? Oder zumindest so getan, als würdest du mich lieben. Wie eine Zecke hast du dich in mein Leben gepflanzt und mich ausgesaugt. Die anderen haben es mir gesagt. Sie haben gesagt: 'Trau diesem Kerl nicht. Der nimmt dich aus. Der benutzt dich. Und dann wirft er dich weg für den nächst größeren Schwanz.'" Ralph durchbohrte ihn mit seinem messerscharfen Blick. Die Wut schien wie in Stein in sein Gesicht gemeißelt.

"Du weißt, dass das nicht stimmt." Finleys Stimme war nur ein Hauchen. "Uns verbindet etwas ganz besonderes. Ich wäre nicht bei dir geblieben, wenn es nicht so wäre und ich wäre auch bei dir, wenn du kein Haus hättest. Du bist mein bester Freund und wir-"

Erneut wurde Finley unterbrochen. Diesmal von einer flachen Hand, die ihn mitten ins Gesicht traf. Sein Kopf rummste hart gegen die Wand und Sternchen funkelten für einen Moment vor seinen Augen.

"ICH BIN DEIN FREUND?! DEIN VERFLUCHTER, BESTER FREUND?! MAN SCHLÄFT NICHT MIT SEINEM BESTEN FREUND!" Wieder war Ralph nur noch Zentimeter von Fin entfernt. Das mit der Selbstbeherrschung schien nicht so gut zu funktionieren.

"Ralph, ist es nicht viel besser, befreundet zu sein? Du siehst doch, was die Liebe aus den Menschen macht. Aus dir und mir. Können wir nicht einfach wie Freunde über die Sache sprechen?" Vielleicht war es nicht der beste Ansatz, doch Fin wollte keine Beziehung zu Ralph, die er später ohnehin würde beenden müssen. Er liebte ihn nicht. Und er wusste, dass er dies auch nie tun würde. Und er würde sich nicht einsperren lassen. Nicht noch einmal.

Ralph knurrte und packte Fin erneut beim Kragen. "Ich will, dass du keinen Sex mehr mit anderen Männern hast, außer mit mir. Ich will, dass du mir sagst, wo du hin gehst, mit wem und wie lange. Und du wirst keine Aufträge mehr annehmen oder alleine aus dem Haus gehen."

Finley stutzte. Doch dann veränderte sich sein Gesichtsausdruck. Ja, er hatte scheiße gebaut und ja, er hatte sie beide in große Gefahr gebracht und ja, vielleicht war er nicht immer ganz ehrlich zu Ralph gewesen und hin und wieder ein kleines Flittchen. Doch auch wenn er Finley geholfen hatte, gab ihm dies noch lange kein Recht, über dessen eigenen Willen hinweg zu entscheiden. "Nein." sagte er ruhig, aber bestimmt.

"Was hast du gesagt?!"

"NEIN!" Finley stieß Ralph von sich, sodass dieser einen Schritt zurück taumelte. Allerdings trat er sogleich wieder auf ihn zu und traf ihn mit der geballten Faust mitten ins Gesicht. Finleys ohnehin verletztes Bein knickte ein und er stürzte unsanft mit dem Rücken auf den Boden. Hastig versuchte er, sich wieder aufzurappeln, doch Ralph war schon über ihm.

"Du bist nicht besser als der Kardinal!" fauchte Fin und versuchte, den Anführer der Rebellen von sich herunter zu stoßen, doch er war zu schwer, zu stark und schon dabei, sich für den Schlag ins Gesicht zu rächen. Ein Fausthieb folgte dem nächsten, bis Finley nur noch zusammengekrümmt die Arme über den Kopf hielt. Statt aufzuhören, richtetet sich Ralph völlig in Rage auf und begann, ihn weiter mit den Füßen zu bearbeiten. Der Rebell spürte, wie ihm langsam schwarz vor Augen wurde, als er eine Rippe knacksen hörte und Ralph etwas von 'Anketten', 'dunklen Zimmern' und 'nie wieder Tageslicht' brüllte.
 

Alessandro Sforza

Wie von seinem Herrn gewünscht blieb Amadeo in der Nähe der Kirche und hatte sich an einem Ort positioniert, wo er die meisten der Ausgänge sehen konnte. Es gab einen, bei dem es recht Wahrscheinlich war, Ralph und Fin herauskommen zu sehen und Amadeos langjährige Arbeit in Rom an Alessios Seite, machte es ihm hier sehr einfach. Langsam und in einem ausreichenden Abstand folgte er ihm, wobei er vermutlich auch hätte neben ihnen laufen können - weder Ralph noch Finley schienen irgendetwas um sich herum zu bemerken. Und so wie sein Herr vermutet hatte, war Ralph nicht nur wütend sondern stinksauer und zog Fin mit sich, bis sie schließlich in einer schmalen Gasse verschwanden. Amadeo ging weiter bis er die eine Ecke erreichte hinter der die Gasse abzweigte und so, als genieße er das Leben in der Straße lehnte er sich gegen die Hauswand, beinahe so als Tagträume er, während er die Ohren spitzte. Auch das hätte er nicht gemusst. Ralph war beinahe laut genug, um ihn auf der ganzen Straße verständlich zu machen, doch die Leute ignorierten es denn es wurde ständig irgendwo gerufen und gelacht und geschrien. Amadeo konnte nicht mitschreiben was gesagt wurde, doch das musste er nicht. In Rom war es seine Aufgabe gewesen, die konkurrierenden Kardinäle für Alessio zu beschatten, so dass der den größten Vorteil aus deren Feindschaften hatte ziehen können. Das bisschen Geschrei war einfach zu merken. Fin war wohl jemand, der gern unter Fremde Decken schlüpfte um sich damit einen lukrativen Nebenverdienst zu sichern und Ralph schien das überhaupt nicht zu gefallen. Anscheinend wollte dieser Ralph mehr von Fin - alles Informationen, die Alessio sicher amüsant finden würde, aber mehr auch nicht. Das wenige, das über die Rebellen gesagt wurde war wesentlich interessanter. Die anderen haben gesagt.. also gab es mehr von ihnen. Nicht nur Ralph und Fin nein, es gab mehr. Er hatte ein Haus.. irgendwo in Cambridge. Auch das würde auszufinden sein. Irgendjemand würde Ralph schon kennen, und selbst wenn 80% der Nachbarn ihn schützten, einer gab immer wieder für ein paar Münzen diesen Schutz auf.

Und dann kam es noch besser.. Rebellenaufträge. Also keine neue Organisation, sondern eine die schon älter war. Es wurde immer leichter. Über jemanden der schon öfter wegen solcher Vergehen aufgefallen war - und Fin würde sicher aufgefallen sein, würde es bereits Dokumente geben, mit Hilfe derer man alle Beteiligten an den Galgen oder aufs Schafott bringen konnte. Und auch wenn Amadeo sich kein Urteil über Henry erlaubte: Das der nur darauf wartete Leute umzubringen, die gegen den Strom schwammen, das wusste jeder.

Noch während Amedeo über das gesagte nachdachte ging es drinnen auf einmal ziemlich zur Sache und ein kurz riskierter Blick um die Ecke zeigte, dass die beiden voll dabei waren sie zu prügeln. Auch gut. Amadeo beobachtete eine Weile, doch Fin war eindeutig in der schlechteren Situation, vor allem weil er ohnehin schon verletzt war. Und Ralph war der, dem die Wut noch mehr Kraft verlieh. Amadeo musste Handeln, das wusste er. Einen von beiden brauchten sie lebendig, den anderen nach Möglichkeit auch - und Ralph würde sich sicher lieber von der Mauer stürzen, also musste Fin überleben. Ein Wachbattalion kam die Straße hinauf und Amadeo ging ihnen entgegen. "Mylords.." er mimte einen Ausländer, kein Problem bei dem Dialekt "es findet eine Art.. Kampf? Statt dort." Und er deutete auf die Gasse. Misstrauisch gingen die Wachmänner hinüber, ehe auf einmal sehr laute Rufe erschallten und die Männer in die Gasse stürmten. Amadeo folgte ihnen und konnte nur noch sehen, wie Ralph Hakenschlagend die Flucht ergriff. Anscheinend hatte er versucht Fin mit zu schleppen, doch dann wären sie unweigerlich entdeckt worden. Jetzt lag der junge Mann mit zerschlissener Kleidung und blutend am Boden während die Wache beinahe über ihn hinwegtrampelte um Ralph hinter her zu eilen. Einer der Wachmänner blieb stehen und sah auf Fin hinab, schien zu überlegen was mit ihm zu tun war. Das war seine Chance. "Mylord.." Die Wache drehte sich erneut um und Amadeo verbeugte sich. "Wenn ihr wünscht bringe ich ihn zu einem Arzt. Mein Herr ist Arzt müsst ihr wissen." Dem Wachmann war es gelinde gesagt scheiß egal. Das konnte man allein daran sehen, dass er mehr damit beschäftigt war seinen Kollegen nachzublicken. Außerdem war Ostern und auch diese Männer wollten sich amüsieren. "Ja. Bring ihn zu einem Arzt und sag ihm, er soll sich bei der Wache melden." Amadeo verbeugte sich erneut, wusste das Männer es mochten wenn man ihre Befehle befolgte, vor allem wenn sie einen so niederen Dienstgrad hatten wie der Wachmann vor hm. Dann zog Amadeo Fin mit einer gewissen Leichtigkeit auf die Füße, stützte ihn und zog ihn einfach mit sich. Er hatte keine Ahnung wohin er ihn am besten bringen sollte, also brachte er ihn vorerst in eine Bäckerei, wo er von der Besitzerin herzlich begrüßt wurde bis die sah was er mitbrachte. "Himmel Amadeo, wo hast du den denn aufgegabelt.."

"Meinem Herrn liegt daran, sich mit diesem jungen Herrn zu unterhalten. Er ist schwer verletzt, und ich wusste keine andere Möglichkeit. Bis ich meinen Herrn gefunden hab, kannst du ihn verstecken?" Lynn sah ihn misstrauisch an. "Und du bist sicher, dass er hier sicher ist?" Amadeo nickte. "Glaub mir, keiner wird nach ihm suchen und ich brauche nicht lange." Amadeo schenkte ihr ein strahlendes italienisches Lächeln, das sie schließlich überzeugte und so schnell wie er gekommen war, verließ Amadeo die Bäckerei wieder, ohne Fin. Der wurde von Lynn in ein kleines Zimmer auf ein kurzes kleines Bett gepackt, in dem ihr Mann zu schlafen pflegte bevor er in die Backstube ging und eines ihrer Kinder überwachte den jungen Mann, auch wenn der noch in seliger Ohnmacht schlummerte.

Amadeo inzwischen war auf der Suche nach seinem Herrn. So schnell wie dieses Mal war er noch nie durch eine überfüllte Stadt zur Residenz gekommen, doch er schaffte es und sammelte sich ehe er eintrat. Im Audienzsaal feierte seine Majestät mit dem Hofstaat und Amedeo sah Alessio gerade im Gespräch mit dem König, doch dieses Gespräch schien bereits bei der Verabschiedung angelangt und Alessio verbeugte sich. Amadeo drängte sich unauffällig zu ihm durch und als Alessio zur Seite trat war er direkt neben ihm. "Dieser Ralph hat ihn grün und blau und fast tot geschlagen. Ich bin mir nicht mal sicher ob er noch mal wieder zu sich kommt."

Alessio riss die Augen auf. "WAS?" zischte er, beinahe ein wenig zu erschrocken. "Anscheinend steckt nicht nur Ralph dahinter sondern eine Menge Leute mehr, die schon länger hier.. arbeiten."

"Was ist mit diesem Ralph?" "Geflohen." Alessio grunzte. "In Ordnung. Wo hält sich mein Bruder gerade auf?"

"Mylord, soweit ich weiß hat Mylord Dominico eine Verabredung mit einem gewissen Mr. Carney. Anscheinend ist dieser junge Herr Arzt, er behandelte den König." Alessio kniff die Augen zusammen. Es war ihm entgangen und Amadeo wusste mehr als er sagte, aber so war es eben mit geteilter Loyalität und Alessio nahm die Amedeo nicht mehr übel "Eine Verabredung mit ihm also, sagst du? Hat er den König gut behandelt?" "Meiner bescheidenen Meinung nach, ja Mylord." Alessio nickte ein weiteres mal. "In Ordnung." Er gab Amadeo einen Beutel mit Münzen. "Nimm das, organisiere eine Kutsche und bring Mr. Gordon zu uns nach Hause. Sorge dafür, das seine Wunden gesäubert werden und er sich hinlegen kann. Ich suche derweil meinen Bruder und diesen Arzt und komme mit ihnen ebenfalls nach Hause."

Amadeo verneigte sich und ging. Er hatte diese Art an sich nicht zu schnell und nicht zu langsam zu gehen. Schnell genug um seine Arbeit zügig zu erledigen aber nicht so schnell, das man das Gefühl hatte er hetze sich.Alessio musste sich mehr Zeit lassen. Als er die Residenz endlich verließ dämmerte es bereits.. aber das war gut. So würde er vermutlich die Schausteller schon auf dem Marktplatz antreffen und vielleicht war auch sein Bruder dort.
 

Ralph

Es war Ralph sehr schwer gefallen, Finley in der Gasse zurück zu lassen. Ja, er hatte ihn zusammengeschlagen, aber doch nicht, um ihn zu verlieren. Nein, er hatte ihm nur eine Lektion erteilen wollen. Um ihn dann nach Hause zu schleppen und gesund zu pflegen. Er hatte Fin an sich ketten wollen. Ihm zeigen wollen, dass er und nur er, der richtige für ihn war. Schließlich war er immer für ihn dagewesen. Hatte ihn gepflegt, sich um ihn gekümmert. Sicher war Fin nur auf den falschen Weg gekommen. Alles hätte so wunderbar geklappt, wenn dieser vermaledeite Kardinal nicht gewesen wäre! Alessandro Sforza... Etwas außer Atem kauerte Ralph sich hinter den Karren eines befreundeten Bauern und wartete, bis die Wachen an ihm vorbeigelaufen waren. "Danke." murmelte er leise, erhob sich und verschwand in eine andere Richtung, zurück zu seinem Haus. Es war schon praktisch, wenn man viele Verbündete hatte. Und für wen arbeiteten die Rebellen sonst, wenn nicht für das Volk? Und so hatte man viele Freunde. Doch man musste auch aufpassen. Allzu viele Menschen waren bereit, für ein paar Münzen alles zu verraten.

Die Wut pulsierte in Ralphs Venen und blockierte seine Gedanken. Der einzige, der an allem Schuld war, war besagter Adeliger. Er hatte Fin verführt, ihn mit Geld in Versuchung gelockt und ihn dann noch nicht einmal bezahlt, wie er es gesagt hatte.

Kaum, dass er über die Schwelle getreten war, trommelte er alle zusammen und berichtete was geschehen war. Außerdem ermahnte er alle zur Vorsicht. Schließlich wusste man nie, wer imstande war, etwas auszuplaudern. Sie sollten Vorkehrungen treffen. Ralph hingegen schnappte sich eine Flasche Schnaps und verzog sich auf sein Zimmer. Er brauchte einen Plan. Einen Plan, um Fin zu befreien.

Eine Idee schoss durch Ralphs Eifersucht und Alkohol benebelten Kopf. Mit Sicherheit war der Kardinal inzwischen auf dem Osterfest seiner Majestät angekommen. Und ebenso sicher würde er es irgendwann allein verlassen. Seine Chance, den unliebsamen und gefährlichen Adligen los zu werden.. also machte er sich auf den Weg.

Nur einige Meter fern des Palastes, in einer stillen Gasse, suchte er sich einen Platz, an dem man den Ausgang bestens beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Mit etwas Glück würde der Kardinal hier heraustreten. Angeheitert und ahnungslos. Und dann würde er ihm zeigen, was es hieß, sich mit einem Rebellen anzulegen.

Ralph musste einige Stunden gewartet haben, denn mittlerweile war es dunkel geworden und eine weitere seiner Flaschen leer. Fast hätte er es schon aufgegeben, da er mehrmals fast eingenickt war, als sich endlich eine Gestalt aus der Dunkelheit schälte, die seine gesamte Aufmerksamkeit auf sich zog. Boshafte Freude stieg in ihm empor, als er den Kardinal ausmachen konnte. Allerdings nur kurz, dann flammte die Wut, der Frust und der verletzte Stolz in ihm auf, wie in einem rasenden Stier. Blind vor Zorn sprang er auf Alessandro zu. Ralph zog seinen Dolch. Blitzschnell packte er den Mann und zerrte ihn in die schmale, dunkle Gasse hinein. Sein Dolch schoss vor und Blut benetzte das kalte Metall. Ralph hatte auf Alessandros Hals, kurz oberhalb des Schlüsselbeins gezielt, doch durch den Ruck und die Trunkenheit in seinem Kopf, stach er daneben. Verfehlte nur knapp die lebensbedrohlichen Stellen und streifte ihn nur in der Kuhle zwischen Hals und Schulter.

"Du wirst mir nicht noch mehr nehmen!" zischte Ralph hervor und hob erneut den Arm, um auf Alessando einzustechen. Er würde nicht ruhen, bis einer von ihnen tot am Boden lag.
 

Alessandro Sforza

Er hatte die Schausteller schon auf dem Marktplatz gesehen, als er die gewundene Gasse hinabging. Er hätte dem Wein gern mehr zugesprochen, vor allem weil der Tag einfach anstrengend gewesen war und das was er über Fin hatte erfahren müssen alles andere als schön, doch er hatte sich zurückgehalten. Er war in Gedanken und bemerkte die Leute um sich herum gar nicht richtig, hatte den Blick viel mehr nach vorn gerichtet und hoffte, einen nüchternen Nico anzutreffen. Das der noch immer Kontakt pflegte zu diesem.. Schausteller, wunderte Alessio. Nico war eigentlich niemand, der sich nach einer verlorenen Wette noch an seinen Einsatz klammerte. Auch bei Turnieren hatte er meistens seinen Einsatz danach mit Verachtung gestraft, selbst WENN er gewonnen hatte. Dieser junge Mann musste etwas interessantes an sich haben, oder aber Nico wollte ihm einfach eins auswischen indem er zeigte nicht so skrupellos zu sein wie Alessio. Oder aber, und das war wohl das wahrscheinlichste: Nico war gerade wieder auf einem "Ich mache alles wieder gut was ich jemals falsch gemacht habe"-Trip. Und Alessio befürchtete genau das, weil er seinen Bruder so gut kannte. Im Grunde war es ja nicht schlimm, nur wenn sein Bruder so viel Gutes Tat fühlte sich Alessio für seine Vergehen leider auch doppelt so schlecht. Und wenn es so war wie er vermutete, konnte er Fin kaum noch ein bisschen quälen um Informationen aus ihm zu quetschen, nur um ihn dann Hängen zu lassen. Frei nach dem Motto "Denke an das was du im Bett von ihm gesehen hast" würde er dann sicher auch aus Reue dafür sorgen, dass der Junge auf freien Fuß kam. Hoffentlich gab es also einen anderen Gru-

Er kam nicht dazu weiter zu denken. Ein dunkler Schatten sprang auf die Straßen und stürzte sich auf ihn um ihn mit sich in die Gasse zu reißen. Alessio gurgelte, brachte keinen Schrei zu Stande. Es hätte ohnehin nichts genutzt, die Gasse zum Markt war leer gewesen bis auf ihn. Er brauchte zwei Sekunden um sich zu fangen und merkte sofort ein paar Dinge:

Erstens, sein Angreifer roch wie ein wandelndes Barriquefass. Zweitens: Weil er wohl betrunken war schwankte er wie ein Kriegsschiff auf hoher See und Drittens: Der Mann war mit einer Klinge bewaffnet mit der er kurz darauf zustach. Alessio spürte wie die Klinge durch den Stoff seines Kragens und dann durch seine Schulter schnitt. Schmerz schoss durch seinen Arm und doch verkniff er sich den Schrei. Adrenalin pulsierte durch seinen Körper als er versuchte seinen Angreifer abzuschütteln ehe der sprach. Es war niemand anderes als Ralph.. ein sehr betrunkener Ralph. In einer anderen Situation hätte Alessio gelacht, hier erschien es ihm sehr unpassend. Ralph klammerte sich noch immer an ihm fest, doch Alessio spürte den Zug vornehmlich an seinem Umhang. Eine Hand fuhr zum zugehörigen Verschluss, riss ihn auf und stieß sich nach vorn - die Last von seinem Rücken nahm ab und Alessio wirbelte herum, zog seine Klinge.

Ralph, von dem Ruck überrascht mit dem Alessio sich von ihm befreit hatte, stolperte in der langen Stoffbahn seines Umhangs über die eigenen Füße. Leider nicht rückwärts sondern auf Alessio zu. Dem blieb kaum Gelegenheit etwas zu tun als die Hand vorzustoßen.

Ralph hatte nur eine kurze Klinge, mit der er zwar wild fuchtelte aber nicht zielte. Alessio hatte eine lange gerade Klinge und die bohrte sich unterhalb der Rippen schräg nach oben durch Ralphs Körper. Er fiel beinahe schon mehr darauf als das Alessio zustach und der Italiener blockte mit der anderen Hand den fuchtelnden Dolch bevor er ihn erneut treffen konnte. Gurgelnd und Blut spuckend sackte Ralph über dem Schwert zusammen und Alessio rammte das Knie in Ralphs Magengrube um ihn zurück zu stoßen. Die Klinge glitt wieder aus dem Körper des Rebellen, blutverschmiert und Ralph ging rücklinks zu Boden.

Alessio stand da wie paralysiert und starrte auf den sterbenden Mann vor sich. Er musste hier schleunigst verschwinden.. und seinen Bruder finden! Noch immer war die Gasse leer. Man würde Ralph finden, merken wie er stank und vielleicht denken er habe sich selbst in seinen Dolch gestürzt oder was auch immer.. Alessio wischte an Ralph seine Klinge sauber und steckte sie zurück in die Scheide. Sein Umhang lag auf dem Boden, dreckig aber wenigstens mit nur wenigen Blutspritzern darauf. Es war dunkel, er musste darauf vertrauen das ihn niemand sah. Schnell warf er sich Umhang und Kapuze wieder über und eilte aus der Gasse, hinunter zum Markt.

Ostern in Cambridge - Raubtier

Kieran

Wie so oft wurde Kieran wieder einmal erst bewusst, was er sagte, als er es schon ausgesprochen hatte. Aber zum einen war er einfach nur ehrlich, zum anderen hatte er das Gefühl gehabt, dass Dominico dem König zwar nahestand, das Gehabe allerdings nur als lästige Notwendigkeit ansah und den König durchaus reflektiert betrachtete. Gleichzeitig vertraute er dem anderen auf unbedachte Weise, was ihn selbst auch wunderte. Und Dominico führte ihm gekonnt vor Augen, dass dieses naive Vertrauen auch wirklich nur bedingt angebracht war. Kieran konnte sich glücklich schätzen, dass jener erneut Nachsicht walten ließ.

Die anfängliche Überraschung, die aus Dominicos Gesicht sprach, als er ihn einlud, wich beim tadelnden Ton, Kieran wisse zu wenig von Männern seines Standes und nun war es Kieran, dem die Überraschung ins Gesicht geschrieben stand. Nico sagte nicht ab, verschob das Essen allerdings auf in zwei Tagen. Kierans Blick folgte kurz dem des anderen zur Turmuhr, dann nickte er. "Wir werden bis nach Ostern hier sein", bestätigte er dem anderen, dass er anzutreffen sein würde. "Eine gute Zeit bis dahin", wünschte er automatisch ohne über seine Worte nachzudenken, denn er war noch immer etwas überrascht. Und so blickte er dem Mann hinterher, der ihm nicht wie ein Engel erscheinen würde, wenn er ihm nicht gestern Abend wie ein Teufel erschienen wäre. Diese Ambivalenz verwirrte Kieran, anders konnte er es nicht sagen.

"Scheiße!", entwich es ihm mit einem Mal, als ihm einfiel, es versäumt zu haben, sein Bild zurückzufordern. Solange der andere es besäße, hatte jener jederzeit die Möglichkeit ihn dorthin zurückzubringen, wo er heute Morgen noch gesteckt hatte. Nun, wenn jener übermorgen tatsächlich käme, dann würde er es einfordern, definitiv.
 

Seine Rückkehr zu seiner Familie war genauso schön wie unangenehm. Nachdem er sich zunächst von Timothy eine Predigt über Verantwortung, Höflichkeit, Erwachsen Sein und Demut anhören durfte, in der ihm klargemacht wurde, dass er sich weder erlauben durfte, den Adel zu verärgern, noch der Familie Schaden durfte, schloss ihn dieser letztlich in die Arme und gab Preis, dass sie sich große Sorgen gemacht hätten, weil sie aufgrund des Verbotes, ihre Show mit dem Feuer aufführen zu dürfen, Angst hatten, dass Kieran womöglich im Kerker gelandet sei.

Kieran erzählte ihnen, was geschehen war, zumindest teilweise. Ein paar Kleinigkeiten ließ er aus oder änderte sie. Die Nacht hatte er in der Bibliothek verbracht, weil er es nicht rechtzeitig aus der Stadt geschafft habe. Dominico Sforza wäre letztlich mehr an seinen heilenden Fähigkeiten interessiert gewesen, als an seiner Akrobatik und habe sein Versprechen, ihn in den höheren Kreisen einzuführen insofern wahrgemacht, als dass er ihn dem König vorgestellt habe, der seine Dienste gleich in Anspruch genommen hätte und ihm Abschriften versprochen habe.

Dass es ein wenig anders verlaufen war, und dass er nun auch Kerker-Erfahrungen hatte, verschwieg er lieber.

Er erzählte, dass er Dominico als Dank für seine Gunst, zum Essen eingeladen zu haben, was dieser in zwei Tagen wahrnehmen wolle. Dann holte ihn der Alltag wieder ein. Die schönen Kleidungsstücke wusch ihm seine Mutter und er legte sie zurecht, falls Nico wirklich käme, aber mit jeder Stunde die verstrich wurde Kieran klarer, dass jener das wohl nur aus Höflichkeit gesagt hatte.

Er dachte viel darüber nach, was hinsichtlich seines Treffens mit Dominico noch auf ihn zukäme, ob noch etwas auf ihn zukäme und wunderte sich nachwievor, wie ihn der andere einfach so hatte gegen lassen können, schließlich hatte er seine Schuld nicht beglichen und konnte jetzt aber doch einfach weiterziehen.

Am Morgen des verabredeten Tages ging Kieran in der Cam baden an einem Ort etwas abseits, zu dem er mit Niamh hin ritt, um etwas Ruhe zu haben. Seine Leute waren etwas nervös wegen des angekündigten Besuches, nur seine Mutter schien unerschütterlich und kochte in aller Ruhe das Essen, das sie für den hohen Gast und Gönner ihres Sohnes angemessen empfand. Kieran zog sich nach dem Bad etwas besser an. Eine Show würde es heute erst abends geben, denn nach der Messe wurde traditionell erstmal Ruhe in Cambridge gewahrt.

Und nun hieß es warten, ob Dominico Sforza tatsächlich käme. Kieran hatte jedoch keine Zeit, zur Ruhe zu kommen, denn dadurch, dass zur Ostermesse die Gaukler aus der Stadt verbannt waren, gab es einige, die die Zeit nutzten, um sich von ihm behandeln zu lassen. Und so wurde er bald um Hilfe gebeten und war er in den Zelten unterwegs, um denjenigen zu helfen, die krank waren. Dennoch lauschte er den Glocken, um nicht zu spät zurück zu kommen.

Sich zu früh in die besseren Klamotten geschlüpft zu sein erwies sich nun jedoch als dumm, denn es blieb nicht aus, dass man sich schmutzig machte, wenn man Verletzungen behandelte und so kehrte er schließlich in ihr Lager zurück und wusch sich erneut und zog sich gerade noch einmal um, als er hörte, wie sein Vater Dominico mit einem "Mr. Sforza, willkommen in unserem bescheidenen Heim." begrüßte. Kieran schnappte sich ein Hemd und verließ sein Zelt, es sich schnell überziehend, um zu jenem zu gehen, an dessen Kommen er gezweifelt hatte. "Ich bin Timothy Carney, der Ziehvater von Kieran. Mein Sohn Fatih wird euch euer Pferd abnehmen", hörte er seinen Vater weiterreden. Kierans Blick glitt über Dominico, der sich dezent gekleidet hatte und dessen Auftreten alles andere als protzig oder überheblich war. Ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen ob der Szene, die so seltsam anmutete, dann eilte er sich, zu Dominico aufzuschließen und ihn nun seinerseits zu begrüßen. "Ich hätte nicht erwartet, dass Ihr kommt." Den tadelnden Blick seines Vaters ignorierte er. "Aber ich freue mich, dass Ihr hier seid." Ja, es freute ihn wirklich.

Seine Mutter trat zu ihnen. "Lasst den jungen Mann erstmal ankommen", befahl sie und sie ergriff ohne Scheu Nicos Hand, um ihn zu dem Zentrum ihres Lagers zu führen, wo sich um die zentrale Feuerstelle Sitzgelegenheiten befanden. Sie hatten vereinbart, dass nicht die ganze Familie da sein würde, sondern nur Timothy, seine Mutter Darin und Fatih als sein bester Freund. Sie wollten Mr. Sforza nicht mit allen Familienmitgliedern überfordern.

Seine Dada bat Dominico sich zu setzen. Sie war eine resolute, bestimmte Frau, deren Lebenserfahrung man ihr ansah. "Ich danke euch, dass ihr Kieran seinen Wunsch, Arzt zu werden, wieder nähergebracht habt." Sie lächelte ihn an. "Ich hoffe, Ihr habt Hunger und Ihr mögt Huhn."
 

Dominico Sforza

Nico war in das Lager hineingeritten und ziemlich sofort der Mittelpunkt der allgemeinen Aufmerksamkeit. Er ging damit zum wie alle Adligen die in diesem Stande aufgewachsen waren: Er ignorierte es. Es brachte auch nichts genauso zurück zu starren. Was konnte man damit schon erreichen? Die Leute wussten mit ziemlicher Sicherheit wer er war und ein jeder von ihnen hatte seine ganz eigene Meinung zu ihm. Sicher gab es dort diejenigen, die ihn um alles erleichtern wollte was wert hatte. Die, die Leute wie ihn hassten und die ihnen das Geld, die Macht und den Einfluss neideten, den Männer wie Nico niemals selbst erwirtschaftet, sondern geerbt hatten. Neid und Missgunst ihm gegenüber waren Nico nur allzu gut bekannt, dabei gab er eigentlich gern von dem was er hatte, wenn es denn einen wirklichen Grund gab und nicht nur pures "wollen". Es gab also diejenigen, die sein Pferd musterten und seine Kleidung um zu sehen ob es etwas von Wert gab. Es gab die, die ihn bewunderten. Sein Pferd, seinen Gang, seine Kleidung, sein Auftreten - so als sei er etwas aus einer anderen Welt, zu der sie keinen Zugang hatten. Und es gab die, denen er einfach egal war - und genau die waren Nico am liebsten. Er hasste es ZU sehr beachtet zu werden, denn dann konnte man selbst viel weniger beobachten. Deswegen hatte er auch einen Auftritt gewählt der die Menschen hier nicht vor den Kopf stieß. Er war weit davon entfernt so zu tun als gehöre er zu ihnen - denn das tat er einfach nicht. Und es war lächerlich so zu tun als gehöre man zu einer Gruppe, selbst wenn man manchmal keinen innigeren Wunsch hegte - man gehörte nicht dazu, solange die Gruppe nicht wollte das man dazu gehörte.

Nico schwang sich gerade vom Pferd als Kierans Ziehvater bereits auf ihn zukam und Nico ergriff die angebotene Hand ehe er ihm kurz in Andeutung einer Verneigung zunickte. "Es freut mich euer Gast sein zu dürfen", erwiderte Nico höflich und offen. Er reichte Fatih die Zügel des Pferdes der es kurz darauf schon davon führte und dann war auch schon Kieran neben ihm. Er trug nur die Hose die Nico ihm gegeben hatte, das Hemd war ein anderes. Nico registrierte es lediglich, sagte aber nichts dazu. Stattdessen zog er amüsiert einen Mundwinkel nach oben. "Natürlich habt ihr nicht damit gerechnet das ich komme. Es wäre ja nicht das erste Mal, das ihr nach mir fordert und ich dann unerwarteter Weise wirklich erscheine, oder?" Er zwinkerte ihm zu. Zwar nahm er das Wort Kerker nicht in den Mund, doch er sprach es in einer für sie beide verständlichen Sprache an um zu sehen, ob Kieran seinen Eltern von dem Ausflug hinter schwedische Gardinen gebeichtet hatte oder nicht. Er begrüßte Kierans Mutter mehr nebenbei um die Reaktion seines Gastgebers mitzubekommen und ließ sich danach von ihr zum Feuer führen. Er nahm an dem massiven Tisch Platz der dort stand und ließ sich einschenken. Wein, sicher nicht der beste, aber er roch doch sehr angenehm. Nico musste leise lachen. "Ach, nicht der Rede wert. Es gibt viel zu wenige gute Ärzte und die meisten jungen Männer die schließlich aus gutem Hause doch studieren tun es auf Wunsch ihrer Väter um sich später im Parlament ihren Aristokratenhintern platt zu sitzen - die wenigsten wollen wirklich mit Patienten arbeiten und wenn man jemanden findet, dem so viel an der Sache liegt, dann sollte man es schon in Anbetracht der eigenen Sterblichkeit unterstützen, meint ihr nicht? Und ja, ich habe Hunger und ich liebe Huhn - es duftet bereits wirklich köstlich. Aber bevor sich jetzt alle wie ausgehungerte Wölfe auf das Essen stürzen möchte ich doch noch gerne mein Gastgeschenk loswerden..." Nico konnte sich erstaunlich gut an Gegebenheiten anpassen. Während er bei Henry feinste Höfische Umgangsformen beherrschte und eigentlich nie aus der Rolle fiel, so war er hier lockerer und offener. Es war eine Fähigkeit, die im Zweifel über Leben und Tod entscheiden konnte - in jeder Situation die richtigen Worte zu finden war nicht immer leicht und Nico hatte sein ganzes Leben lang daran gefeilt für die meisten Situationen eine passende Rolle für sich zu finden. Jedes Mal war es er selbst, doch er konnte kaum sagen was am meisten er selbst war.

Jetzt nahm er seine Satteltasche von der Schulter die er sich übergeworfen hatte als er abgestiegen war und öffnete sie. Es waren zum einen die Abschriften für Kieran die er ihm hinhielt. "Von seiner Majestät mit verbindlichstem Dank und seinen besten Wünschen-" und dann zog er noch eine weitere Rolle hervor. Er wusste, dass er der Verursacher gewesen war der ein Verbot der Feuershow innerhalb der Stadtmauer durchgesetzt hatte - und das war nur recht so, denn Feuer in der Stadt war wirklich ein großes Risiko - doch er hatte andere Möglichkeiten dafür vielleicht eine Art Entschädigung für diese Schaustellerfamilie zu erstellen. Den gefalteten und versiegelten Brief reichte er jetzt Timothy. Weil er nicht wusste ob der Mann lesen konnte, sagte er besser gleich was darinstand. So konnte der Mann im Zweifel so tun als habe er es gelesen und sich darüber freuen ohne peinlich berührt darum bitten zu müssen, dass Kieran vorlas.

"Der König plant im Laufe des kommenden Jahres einige Feierlichkeiten. Wenn wir von der möglichen Hochzeit mit seiner Mätresse Boleyn absehen so ist da immer noch die Himmelfahrt unseres Erlösers die Feierlichkeiten zum Sommerbeginn und nicht zuletzt die großen Spiele anlässlich des Besuches von König Francis und schließlich auch der Diplomaten aus Spanien und dem Kaiserreich. Da eure Darbietungen schon jetzt ganz Cambridge verzaubern dachte ich mir, es sei eine gute Idee euch auch in London zu engagieren. Der König war ebenfalls dieser Meinung und mit diesem Schriftstück haltet ihr die Erlaubnis in Händen als Einzige innerhalb der Stadtmauern und innerhalb der königlichen Bankette für Unterhaltung zu sorgen."

So. Nun war die Bombe geplatzt und in Nicos Augen blitzte ein herausfordernder Funke in Kierans Richtung. Abhängigkeit, ein Wort das der junge Mann so unglaublich hasste wie Nico selbst. Und noch eines: Misstrauen. Kieran war so unglaublich misstrauisch gewesen und hatte ihm alles Schlechte vorgeworfen und damit auch noch recht gehabt. Doch Nico konnte dagegenhalten und dieses Angebot war kaum auszuschlagen. Zumal es keine Verpflichtung im rechtlichen Sinne war - nur ein Angebot das eingelöst werden konnte. So viel zu er nehme diese Sache nicht ernst genug.
 

Kieran

Kieran musste unweigerlich schmunzeln, als Dominico ihn daran erinnerte, dass er die selben Worte schon einmal in einer ganz anderen Situation ausgesprochen hatte. Genau wie im Kerker war er auch hier dennoch ehrlich überrascht aber auf eine ganz andere Art und Weise erfreut darüber, dass der andere gekommen war. Gleichzeitig sah er den fragenden Blick seines Vaters, der sein Lächeln wegwischte. Kurz blieben ihre Augen ineinander hängen und Kieran war schlagartig klar, was dieser Blick bedeutete, nämlich: Was hast du mir noch nicht erzählt? Sein Vater kannte ihn zu gut und wenn man nicht wusste, auf was Dominico anspielte, waren Nicos Worte unverständlich und so konnte sein Vater, klug wie er war, eins und eins zusammenzählen, dass sein Sohn ihm noch nicht alles erzählt hatte. Nun, das würde er wohl dann nachholen müssen, selbst wenn es ihm unangenehm war. Er schüttelte leicht den Kopf, damit sein Vater nicht jetzt nachfragte, worauf Dominico wohl anspielte, senkte den Blick und hoffte, dass sein Vater ihm den Wunsch erfüllte, die Stimmung nicht gleich hier und jetzt zu versauen. Aber das wollte Timothy ohnehin nicht. Er würde Kieran später zur Rede stellen.

Gemeinsam setzten sie sich schließlich an den Tisch, der bereits gedeckt war und auf dem man Getränke seiner Wahl fand. Kierans Augen ruhten nun wieder auf ihrem Gast, der es erstaunlich gut schaffte, sich hier hinein zu fügen, so als sei er ein Freund der Familie, der zu Besuch kam. Es ließ alle sich ein wenig entspannen und die ganze Situation wesentlich angenehmer empfinden. Kieran bewunderte es, wie jener es schaffte, sich so anzupassen. Er hatte ihn ja beim König gesehen und wie er sich dort "gefügt" hatte und langsam beschlich ihn der Verdacht, dass der andere Mann ähnlich eines Schauspielers es verstand, sich seinem Gegenüber perfekt anzupassen, um die Situation für sich angenehm zu machen oder auszunutzen, je nach Situation. Er selbst konnte das gar nicht wirklich, schaffte es nur selten aus seiner eigenen Haut, was ihm meistens auch den Ärger einbrockte, den er so oft auslöffeln musste. Angesichts der Verletzungen, die Kieran als Narben am Oberkörper des anderen gesehen hatte, war ihm später, wenn er an den anderen gedacht und darüber nachgedacht hatte, aufgegangen, dass jener wohl eher zu den militärischen Beratern des Königs gehörte, sicher auch schon auf dem einen oder anderen Schlachtfeld gewesen war. Das würde auf die teilweise dilettantischen "Nähversuche" mancher Narben erklären, die jener vielleicht sogar selbst "geflickt" hatte. Und so erklärte sich dieses Können wohl auch. Für jemanden in seinem Stand und in seinem Beruf war es wahrscheinlich lebensrettend und unabdingbar, sich den gegebenen Situationen perfekt anzupassen, in die er geriet. Kieran konnte sich davon eine Scheibe abschneiden. Und dennoch blieb bei ihm eine Frage offen: Wer war der andere denn wirklich? Ob er das jemals erfahren würde, das war fraglich, aber es machte ihn neugierig.

So richtig hatte er in seinen Gedanken versunken die Lobhudelei auf sein medizinisches Können kaum mitbekommen. Aber offenbar gefiel Timothy, was Dominico in so flachsen Worten von sich gab, denn sein Vater lächelte nickend auf die Ausführungen des anderen hinsichtlich der Ärzte, die es wurden, weil Ihre Eltern es so wollten. "Da haben sie völlig recht. Kieran hatte schon immer eine Begabung, den Menschen zu helfen und sein Interesse für die Heilkunst wuchs schon in jungen Jahren. Wenn Sie die Dienste meines Sohnes für sich beanspruchen müssen und wollen, dann wird er Ihnen jederzeit zu Diensten sein." Kierans Augenbrauen schnellten nach oben. Hatte ihn sein Vater gerade wie ein Stück Vieh an Dominico verschachert? Nun seinem Vater war klar, dass Kieran Dominico viel zu verdanken hatte, aber konnte man ihn da nicht fragen, ob er das auch wollte? Nun, er würde sicher nicht nein sagen, schließlich stand er in Dominicos Schuld und er war ihm auch wirklich dankbar, ihn aus dem Loch geholt zu haben, aber dennoch mochte er es nicht, wenn über seinen Kopf hinweg irgendwas entschieden wurde. Aber ihm blieb gar keine Zeit, seinen Unmut weiter zu nähren, denn seine Mutter lächelte zufrieden, als Dominico ihr versicherte, dass er sich auf das Essen freute und es köstlich duften würde.

Doch im gleichen Atemzug eröffnete Dominico ihnen zudem, dass er ein Gastgeschenk dabeihätte.

Überrascht ergriff er die Bücher, die Dominico ihm hinhielt und die ihm mit einem Mal so kostbar erschienen, wie nichts Anderes auf der Welt. "Ich danke Euch und natürlich auch dem König", wisperte er sprachlos und legte die Bücher sorgsam vor sich auf den Tisch, sie genießend betrachtend. Vorsichtig strich er über den Ledereinband, um schließlich das oberste Buch vorsichtig zu öffnen. Seine Hand glitt über das Papier, das sich so angenehm anfühlte, der Geruch des Ledereinbandes, des Papiers und der Tinte war einzigartig und ihm so lieb. Fatih, der sich neben ihn gesetzt hatte, stupste ihn an und als er in das Gesicht seines Bruders blickte, grinste ihn dieser an, wissend, wie sehr er sich darüber freute. Fatih zog ihn immer damit auf, dass er Bücher so liebte, wo es doch für ihresgleichen eigentlich eine unerreichbare Liebe war. Sein Buch, das er bereits besaß, war mit das Kostbarste, was er besaß, und so hütete er es wie seinen Augapfel. Und nun würde seine "Sammlung" sich um diese Exemplare erweitern. Doch jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, darin zu lesen, und so schloss er das Buch wieder, zu seinem Vater schauend, der soeben die Papierrolle ausrollte. Sein Vater konnte lesen, hatte es sich von seinen Kindern beibringen lassen, während diese es selbst lernten. Er war aber bei Weitem nicht so sehr in Übung wie die jüngere Generation. Und was sie nun zu hören bekamen, erschien ihnen so, als seien Ostern und Weihnachten auseinandergefallen. Sie würden das Recht haben, das gesamte nächste Jahr in London selbst und an den wichtigen Banketten des Königs für die Belustigung der Zuschauer zu sorgen? Etwas Besseres konnte Leuten ihrer Zunft nicht passieren. Sein Vater ahnte zwar, dass Kieran nicht ganz unschuldig an dem Feuer-Verbot war, kannte aber noch nicht die Zusammenhänge. Dass das eine Art "Wiedergutmachung" sein könnte, wusste er daher nicht, vielleicht ahnte er es, aber mehr auch nicht. Und so freute er sich ungläubig über das, was er da las und hörte. Der Fokus lag auf der Papierrolle, die für sie von unschätzbarem Wert war.

Doch Kierans Blick ruhte nicht auf seinem Vater, zu dem Fatih gegangen war, um es mit eigenen Augen zu lesen, und dem seine Mutter mit den Worten "Dann müssen Frankreich und Italien noch ein Jahr warten" um den Hals fiel. Nein, seine Augen ruhten auf Dominico, den er mit einem fragenden Blick ansah. Was um alles in der Welt war das? Was versprach der andere sich davon? Er war nicht misstrauisch, das nicht mehr. Er glaubte ihm, dass er das unter Umständen wirklich nur als Wiedergutmachung ansah, oder wirklich nur, um ihm zu beweisen, dass seine Worte eben keine hohlen Phrasen gewesen waren. Aber war das nicht zu viel des Guten? "Ich danke Euch", sagte er ruhig, in den grünen Augen nach der Antwort auf seine Frage suchend, weshalb der andere sich so bemühte.

Auch sein Vater schickte sich an, sich zu bedanken und seine Mutter wirbelte schier herum, um das Essen aufzutischen und diesen Erfolg zu feiern. Und so riss der Blickkontakt wieder ab.

Und in diesem Moment wurden Kieran zwei Dinge klar. Zum einen würde das ihre ganze Familie nächstes Jahr fest an und um London binden, was generell kein Problem war, zumindest nicht für seine Familie. Aber zum anderen würde das für ihn bedeuten, dass er immer erreichbar wäre - für Dominico Sforza, in dessen Schuld er stand und gegen dessen Befehle, er sich so schnell nicht würde widersetzen können. Kieran schluckte und trank einen Schluck Wein. "Ist das nicht großartig!" Fatih hatte wieder neben ihm Platz genommen und ihm dabei auf den Rücken geklopft. Seine Familie freute sich sehr darüber. Und es war ihnen nicht zu verdenken. Ein solches Recht war viel, sehr viel Wert. Es würde ihnen die Möglichkeit geben, sehr viel Geld zu verdienen und vielleicht auch über den Königshof hinaus einen guten Ruf erwerben. Auch wenn es sie ein wenig anketten und in eine bedeutende Verpflichtung bringen würde, aber das negative nahm man für das Positive wohl in den Kauf. "Ja, das ist es", sagte Kieran lächelnd, sich auch über die Freude der anderen freuend. Aber in ihm sah es doch etwas anders aus. Es war sicher toll, aber es würde sich erst noch zeigen, was das für ihn persönlich wirklich bedeutete.

Seine Mutter stellte den Topf mit dem Hühnereintopf mit Tomaten, Gemüse und Kartoffeln auf den Tisch. Es roch nach Italien, definitiv. Seine Mutter wusste, woher Dominico Sforza kam und hatte sich die Mühe gegeben, ihm eine Freude zu machen. Auf ihren Reisen waren sie auch in Italien gewesen, aber Kieran konnte sich nur bedingt daran erinnern, er war noch recht jung gewesen. Seine Mutter lud Nico den Teller voll. "Lascia che gustare, signor Sforza!", sagte sie in der Sprache, die sie so mochte, und reichte dem anderen den Brotkorb.

"Ich bringe die Bücher kurz in Sicherheit", sagte Kieran und stand auf, um seinen Worten Taten folgen zu lassen und die Bücher in sein Zelt zu bringen. Er brauchte kurz Luft. Die Situation verunsicherte ihn. Er war dankbar, in jedem Fall. Aber er hatte auch das Gefühl, an die Leine genommen worden zu sein. War er jetzt der Hofhund von Dominico? Der aufspringen musste, wenn jener pfiff? Oder war er nur doch wieder zu misstrauisch? Er wusste es nicht und würde es wohl auf sich zukommen lassen müssen. Vielleicht war das auch wirklich nur eine Chance, die er wahrnehmen und nicht vertun durfte. In London würde er viele Möglichkeiten haben, auch die Medizin weiter voranzutreiben. Er sollte positiver denken.

Im Zelt legte er die Bücher zu seinem anderen. Kurz atmete er tief durch, strich sich übers Gesicht und versuchte sich wieder zu entspannen. Dann schickte er sich an, zu den anderen zurück zu kehren.
 

Dominico Sforza

Sein Gastgeschenk schlug ein wie eine Bombe. Natürlich waren so ziemlich alle hier schon angetan von dem hohen Besuch, den sie sicher nicht erwartet hatten - doch Nico war dennoch gekommen. Es war schon eine Ehre, gerade für fahrendes Volk. Aber Nico sah nichts Schlimmes dabei wie manch anderer. Für ihn waren das auch Menschen wie alle anderen, lediglich mit weniger Einfluss. Man konnte hier durchaus wesentlich offener mit ihnen umgehen und ein falsches Wort konnte nicht allzu schreckliche Folgen haben wie ein falsches Wort vor Henry. Und diese Neuigkeit die Nico gerade gebracht hatte war ein wirkliches Geschenk für diese Menschen. Sie waren sicher nicht unglücklich, doch das was sie in London verdienen würden, konnte ihr Leben doch noch erheblich erleichtern. Und es war gleichermaßen kein Befehl - so würde sie auch niemand belangen können, wenn sie doch nicht kamen, es war nur eine Chance, doch es würde dumm sein sie nicht zu ergreifen.

Nico freute sich, dass es so gut aufgenommen wurde, doch er verbarg einen großen Teil der Freude, weil er Kieran musterte. Er hörte wie sein Vater sich bedankte und auch das Angebot von Kierans Vater war sehr präsent in seinem Kopf. Anscheinend hatte der Mann weniger Probleme Kierans Dienste anzubieten als Kieran selbst. Man konnte ja niemanden zwingen, das stimmte wohl und Nico würde Kieran auch nicht zwingen ihm zu Diensten zu sein, wenn es denn um Wunden oder Krankheiten ging - denn das brachte bei dem jungen Mann wohl nichts. Gerade verabschiedete sich Kieran kurz um die Bücher vor dem Essen in Sicherheit zu bringen und jeder weitere Satz ging unter als der Duft von frischen italienischem Eintopf in die Nase stieg. Es ging doch gar nichts über gute italienische Hausmannskost! "E 'proprio come a casa! Dio ora sembra essere particolarmente pietà di me e mi dà un paio d'ore in Italia." (Das ist ja wie zu Hause! Gott scheint an heute besonders gnädig zu mir zu sein und schenkt mir ein paar Stunden in Italien.) Er griff zu bei dem frischen duftenden Brot und nahm den Löffel zur Hand. Das Besteck war zusammengewürfelt, natürlich - aber, wenn man in Italien auf dem Land in den Weinbergen Eintopf aß, dann war es die gleiche Atmosphäre wie hier und Nico genoss es. So überlegte er auch nicht lange und griff zu, so wie alle anderen am Tisch auch. Es fühlte sich wirklich beinahe ein bisschen wie zu Hause an und Nico bekam plötzlich und ziemlich unerwartet Heimweh. Ja, seine Familie zu Hause war auch steif und streng, doch an englische Essgewohnheiten kamen sie dennoch nicht heran. Die Lebensfreude zu Hause wurde hier vom Regen weggespült und Nico hasste das steife englische Protokoll, dass nie ein bisschen Spaß oder seichte Unterhaltung am Tisch zuließ. Immer sauber mit dem Besteck... es sei denn der König war schon so voll, dass er nichts mehr davon merkte, dann ging es auch im Palast zu wie im Schweinestall. Leider waren solche Gelage sehr sehr selten und wurden viel zu scharf beobachtet. Unbeobachtet einfach mal man selbst sein war in England nicht möglich. Hier gab es vielleicht eine Chance ein bisschen so zu sein wie Nico sich zu Hause gab und so scherzte er mit den anderen beim Essen, lauschte den Vorschlägen für London und kommentierte sie eifrig. Als Kieran wiederkam und sich erneut an den Tisch setzte grinste er. "London wird großartig, auch für Kieran. Der König beschäftigt viele gelehrte Ärzte am Hof, da seine Majestät große Angst vor Krankheiten und Seuchen hat. Er vertraut längst nicht mehr nur englischen Ärzten, sogar aus der arabischen Welt hat er Heiler zu sich kommen lassen, die ihm alle die verschiedensten Medikamente zur Vorbeugung diverser Krankheiten empfehlen und sich immer wieder über ihre Methoden austauschen. Sicher wäre das für Kieran eine große Chance, solange ihr alle in London weilt. Wer weiß... seine Majestät wird mich in absehbarer Zeit nach Frankreich und Spanien schicken. Es sind eigentlich diplomatische Reisen, doch die Zeiten sind sehr unsicher. Ich werde mit meiner Leibwache reiten, vielleicht möchte Kieran uns ja begleiten, wenn er bei euch abkömmlich ist selbstverständlich nur. Mir wäre für meine Männer wohler wenn ein Arzt dabei ist der uns zusammenflicken kann, wenn wir doch gegen spanische Schwerter geraten. Und wenn nicht, so kann er immer noch die Ärzte und Studien anderer Länder einsehen." Nico zuckte mit den Schultern als rede er davon Kieran mit zu einem Jagdausflug zu nehmen. Warum tat er das eigentlich?

Ja, Rodrego hatte recht als er gesagt hatte das Kieran ihn nicht losließ... doch Nico konnte die Befriedigung seiner sexuellen Gelüste wesentlich leichter haben als den Aufwand den er gerade betrieb. Und doch waren da wieder die Schuldgefühle... Schuldgefühle gegenüber den anderen, denen er wehgetan hatte und deren Namen er nicht mal kannte. Nicht noch mal den gleichen Fehler machen.
 

Kieran

Das Lachen und die gute Laune, die die gesamte Situation mit sich brachte, waren deutlich zu hören, als er aus dem Zelt wieder heraustrat. Kieran musste unwillkürlich lächeln. Er liebte diese "Feste", an denen sie unter freiem Himmel saßen, aßen, lachte, tranken und genossen, keiner Etikette verpflichtet zu sein. Das waren die glücklichsten Stunden, die sie miteinander teilten. Und heute gab es definitiv etwas zu feiern.

Er blieb kurz stehen, als der Tisch wieder in seinem Blickfeld stand und betrachtete die Situation: seine Mutter, die sich über die "italienische Stimmung", die Dominico mit sich brachte, freute; sein Vater, der mit Fatih bereits überlegte, wo vor London sie die entsprechenden Leute kannten, um sich dauerhaft nieder zu lassen, was sie aufführen würden, und womit sie den König überraschen wollten; seine jüngste Schwester Sarah war bereits auch da, die das Lachen und die Freude als Anlass genommen hat, sich doch mit an den Tisch zu setzen, was wahrscheinlich dazu führen würde, dass bald seine gesamte Familie mit am Tisch oder einem der Nebentische saß und feierte, dass sie das nun kommende Jahr stets genug zu essen auf dem Tisch haben würden, auch wenn es dennoch auch ein anstrengendes Jahr werden würde.

Und dann war da noch Dominico, der mit einem Lächeln auf den Lippen sich ohne Probleme in seine Familie eingefügt hatte, mitscherzte und sich unterhielt, als sei er längst Teil der ganzen. Er wirkte glücklich und zufrieden, auch wenn Kieran vorhin einen kurzen Anflug von Schmerz gesehen hatte, als jener seiner Mutter auf Italienisch geantwortet hatte. Sicher ein ähnliches Gefühl das er selbst hatte, wenn er an Deutschland dachte, zumindest ein wenig.

Und er? Was war mit ihm?

Er wusste, dass durch die Begegnung mit Dominico ein neuer Abschnitt in seinem Leben begonnen hatte. Es würde sich alles ändern und viele vertraute, liebgewonnene Dinge würden sich genauso wandeln, wie die Dinge, die er momentan verfluchte.

Wenn er ehrlich war, freute er sich auch mehr als alle anderen über dieses Arrangement. Er freute sich darauf, näher an London zu sein, um dort das Leben in der Großstadt genauer kennen zu lernen. Er freute sich darauf, neue Herausforderungen auf sich zukommen zu lassen. Er freute sich darauf, vielleicht doch die Chance zu haben, ein wirklicher Arzt zu werden.

Und er freute sich darauf, Dominico Sforza besser kennenlernen zu dürfen. Er hoffte, dass es dieser lächelnde, glückliche Dominico war, den er öfters zu Gesicht bekommen würde.

Und so setzte er sich wieder an den Tisch, lächelnd und griff nun selbst zu Brot und Huhn, um etwas zu essen. Seine Mutter hatte sich mal wieder selbst übertroffen. Als Dominico auf ihn zu sprechen kam, hob er den Blick, sah den anderen an und war erneut überrascht, mit welchen genauen Vorstellungen von seinem Leben der Herzog nun auf den Tisch kam. Und weil er sich eben versprochen hatte, seinen Sturkopf und seinen Trotz einmal nicht über sich bestimmen zu lassen, lächelte er den anderen an. Was er dem anderen hinsichtlich seiner Ambitionen zum Thema Medizin erzählt hatte, schien sich dieser tatsächlich gemerkt zu haben, und nun stieß er ihm alle Türen auf, die er hatte finden können, um ihm zu ermöglichen, wovon er träumte. Und wenn dabei sogar eine Reise nach Spanien, wo erst seit kurzer Zeit das osmanische Reich zurückgedrängt worden war, möglich wäre, könnte er weit mehr an medizinischem Wissen erwerben, als es die Gelehrten in London ihm wahrscheinlich bieten mochten. Kieran wusste gar nicht so recht, wie ihm geschah. Und in ihm keimte eine Idee, wie er diese Chance nutzen konnte, zumindest die, in London zu lernen, viel zu lernen.

Er spürte den Blick seines Vaters auf sich ruhen, als Dominico geendet hatte. Sein Vater hatte ihn zwar vorhin an Dominico verschachert, aber er würde es auch respektieren, wenn Kieran es nicht wollen würde. Und bei einer so großen Sache wie einer Reise nach Spanien, würde sein Vater nicht über seinen Kopf hinweg etwas entscheiden. Auch seine Mutter sah ihn an, mit einer Mischung aus Schmerz und Glück, Freude. Kieran konnte sich noch gut an das Gespräch erinnern, das sie unlängst gehabt haben, als sie ihn fragte, was er in Zukunft machen wolle. Er war nun definitiv alt genug, um endlich zu entscheiden, ob er ein Leben lang bei ihnen bleiben wollte, oder ob er doch seiner anderen Passion folgen würde.

"Das klingt großartig", sagte er schließlich und sah Dominico an. "Ich würde mich freuen, Euch begleiten zu dürfen." Ja, das stimmte. Er würde den anderen gerne begleiten. Er hatte ohnehin schon große Sehnsucht, wieder in südlichere Gefilde zu reisen. Zu lange waren sie jetzt schon wieder in England geblieben. "Und in London werde ich versuchen, die Chance, die Ihr mir bietet zu nutzen."

Einzig die Frage, welche Konsequenzen es noch haben würde, wenn er das täte, waren noch nicht absehbar. Was würde Dominico von ihm erwarten als Gegenleistung? Er konnte sich nur schwerlich vorstellen, dass jener das aus Nächstenliebe tat. Er stand in seiner Schuld und bisher hat er noch nicht erfahren, wie er diese begleichen durfte. Nur mit einer Reisebegleitung als Arzt? Kieran glaubte es irgendwie nicht so recht. Und auch wenn er die Frage seit dem Gespräch im Kerker verdrängte, so flammte sie immer wieder in ihm auf. Inwieweit war Dominico nach an seinem Körper interessiert? Würde das alles hier doch darauf hinauslaufen, dass er sich prostituieren würde? Es würde sich zeigen...

"Dann kann Kieran mir von der Reise viele Arzneien und Kräuter mitbringen", überlegte seine Mutter. "Dann sollte er sich aber in London eine Bleibe suchen", überlegte sein Vater und alle redeten durcheinander, überlegten, wie Kierans neues Leben nun aussehen würde. Nur er aß in Ruhe weiter. Er hatte mittlerweile eine genaue Vorstellung davon, was er in London machen würde. Und er freute sich darauf.

Bald redeten sie wieder von ihrem Arrangement in London und mittlerweile war tatsächlich die gesamte Familie anwesend, die eifrig mitdiskutierte und redete.

Seine Mutter bereitete schließlich ihren Kräutertee zu, der bei den noch relativ kühlen Temperaturen angenehm war, und stellte Gebäckstücke auf den Tisch. Kieran nutzte die Chance, dass ein paar seiner Geschwister aufstanden, um ihre Instrumente zu holen, um selbst aufzustehen und sich neben Dominico zu setzen. Kurz sah er den anderen nur an, dann beugte er sich zu diesem, um leiser mit ihm sprechen zu können, während seine Geschwister anfingen, ihre gute Laune mit Musik zum Ausdruck zu bringen, so dass sich die Hauptaufmerksamkeit auf diese richtete und bald sein ältester Bruder mit seiner Frau zu tanzen begann. "Ich muss mich bei Euch noch einmal in aller Form entschuldigen", sagte er dem anderen ins Ohr. Tief sog er den Geruch des anderen ein, der ihm im Kerker schon so angenehm vorkam, und der sich hier unter gänzlich anderen Bedingungen als ebenso verlockend erwies. Der andere schien sich mit einem Öl zu pflegen, dessen Geruch Kieran kannte, den er aber nur schwer zuordnen konnte. "Es tut mir leid, dass ich hinsichtlich Eures Angebotes so misstrauisch gewesen bin." Er nahm wieder etwas Abstand zum anderen und sah diesem in die Augen. "Und ich danke euch, dass Ihr mir die Chance gebt, wirklich ein Arzt zu werden. Ich weiß nicht genau, wie ich Euch das danken kann. Fast habe ich das Gefühl, als hätte ich Euch aus dem Kerker geholt und das sei der Dank dafür." Er wusste, dass die anderen sie nicht belauschen würden dennoch hatte er leise weitergesprochen. Ein Lächeln lag auf seinen Lippen. "Wie kann ich mich bei Euch bedanken?"
 

Dominico Sforza

Nico unterhielt sich blendend mit den Anwesenden. So konnte er mit der Situation schon ganz gut leben. Während er eben noch im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden hatte verlagerten sich die Gespräche inzwischen doch schon ziemlich auf das, was in London auf sie zukommen würde. Nico hätte noch einige Trümpfe dazu in den Ring zu werfen gehabt, doch er hatte nicht vor diese Menschen in seine Schuld zu stellen. Es reichte ihm, dass Kieran in seiner Schuld stand und das er zumindest dafür gesorgt hatte, dass Kieran nach London kam und seine Familie wegen des Auftrittsverbots nicht hungern musste. So würde er in der Nähe sein. Unweigerlich schoss Nico der Gedanke "Zuckerbrot und Peitsche" durch den Kopf. Gut, er hatte es nicht wirklich mit der Peitsche versucht, aber der Kerker hatte Kieran schon genug Angst eingejagt.

Der Vorschlag Kieran mit auf Reisen zu nehmen, schien ebenso gut anzukommen. Nico lächelte weiterhin still in sich hinein und neigte nur kurz den Kopf in Kierans Richtung als der bekundete wie sehr ihn eine solche Reise bereichern würde. Nicos Gefühle blieben verborgen unter einer freundlichen Maske, doch es fiel im allgemeinen Getümmel gar nicht auf. Wie es die Art dieser Menschen war herrschte kurz darauf Volksfeststimmung. Es wurde Musik gespielt, gelacht und schon bald darauf getanzt, eine Umgebung in der Nico abschalten konnte. Das war nicht selbstverständlich, denn eigentlich gingen genau in diesen Momenten die Intrigen erst los, doch das war am Hofe so und nicht hier.

Hier war es einfach nur... nun, angenehm mal unterzugehen in dem ganzen Getanzte. Nico sah gerade tiefer in seinen Weinbecher als Kieran neben ihm aufrutschte und sich zu ihm herüberlehnte. Er drehte den Kopf ein wenig, gerade so weit das er die Nase beinahe in Kierans Haar steckte als der sich so weit zu seinem Ohr beugte das Nico auch in der Lage war etwas zu hören. Wieder malte sich ein Grinsen auf sein Gesicht. "Da liegt ihr mit eurem Gefühl wirklich ziemlich daneben Mr. Carney. Ihr habt mich in den Kerker gerufen und ich wäre tatsächlich wieder gegangen hätte ich nicht bereits eine angemessene Bezahlung erhalten. Die Kunst von Jonathan Hodgson ist bemerkenswert, wir ließen Lady Cecile für unseren Cousin von ihm zeichnen, allerdings trug sie mehr als ihr, als sie ihm Model gesessen hat. Für den Kerker seid ihr mir also nichts mehr schuldig und in meiner endlosen Großzügigkeit sehe ich auch darüber hinweg, dass ihr mich am Abend vor den Wachen so brüskiert habt. Ansonsten bin ich mir noch gar nicht sicher wie ihr mir danken könnt." Nicos Schalk blitzte deutlich in seinen Augen. Oh ja, das Bild. Er hatte es gar nicht erst mit hierher genommen um nicht in Versuchung zu kommen es ihm doch zurück zu geben. "Aber vielleicht leistet ihr mir ja doch irgendwann bei einem Abendessen Gesellschaft. Und wenn ihr euch das noch immer nicht zutraut, tja dann wird mir schon etwas Anderes einfallen." Nico zwinkerte ihm erneut zu und ließ sich dann den Becher nachschenken. Kieran sah die ganze Sache tatsächlich etwas verklemmt, wenn man so wollte. Nico hatte nicht vor den jungen Mann zu zwingen oder zu bezahlen, es war nur die Freude und der Spaß daran mehr nicht. Nico war nicht versessen darauf Kieran nackt in seinem Bett liegen zu haben, schon erst recht, weil es ihm nichts nutzte. Ihm gefiel dessen Gesellschaft und ihm gefiel das, was er bei Kieran wieder gut machen konnte. Ihm gefiel es einmal das Gefühl zu haben etwas richtig zu machen - nicht das Gegenteil. Vielleicht würde er es ihm sogar sagen. vielleicht brauchten sie dafür einfach ein bisschen mehr Ruhe. Man sprach ja generell nicht so gern über sein Innenleben, wenn man gerade von tanzenden Menschen umgeben war. Zumindest Nico tat es nicht, weil er Wände gewohnt war, die in aller Regel Ohren hatten.
 

Kieran

Der Atem des anderen, der ihm über seine Haut rann, löste ein sanftes Kribbeln seinen Rücken hinab aus. Schlimm war das, wenn man merkte, wie ausgehungert man war, dass so kleine Dinge einem schon genügten, um nur an eines denken zu können. Er war einigen Männern begegnet, die er attraktiv gefunden hatte, die wenigsten wären wirklich in Frage gekommen oder hatten Anzeichen gemacht, die seinen Blick auf sie erwidert hätten. Bei den wenigen, bei denen ein beidseitiges Interesse da war, hatte er zwar nicht immer, aber oft wiederstehen können. Aber Dominico... nun - wenn nicht dieses Gefühl der Schuld doch noch irgendwie dazwischenstünde, würde er nicht lange fackeln. Aber es fühlte sich noch immer so an, als würde er wegen den "Geschenken", die er ihm und seiner Familie gemacht hatte, mit ihm ins Bett gehen wollen - jetzt mehr denn je.
 

Eine angemessene Bezahlung? In Kierans Augen spiegelte sich seine Verwirrung wieder. Womit war denn der andere bezahlt worden? Doch die folgenden Worte erklärten es und nun wich die Verwirrung Unglaube. Dominico wollte das Bild von ihm haben als Gegenleistung, ihn aus dem Kerker geholt zu haben? Kierans Kopf legte sich schief und er konnte nicht umhin zu grinsen. Das Blitzen, das er in den Augen des anderen sah schien wie eine Herausforderung. Und das Grinsen verbreiterte sich, als jener ihm klarmachte, dass er, sollte er erneut die Einladung zu einem Abendessen ausschlagen, andere Wege finden würde, wie Kieran ihm seinen Dank zeigen könnte. Kieran biss sich auf die Unterlippe.

"Mr. Sforza", sagte er dann mit einem leicht tadelnden Ton. Das Spiel, das der andere begonnen hatte, machte ihm Spaß. Hier, wo er sich sicher fühlte, und jetzt, wo er Dominico anders kennengelernt hatte, ließ er sich gerne auf so eine Unterhaltung ein. "Man darf nicht besitzen, was man nicht rechtmäßig erworben hat." Die Ironie in seiner Stimme war deutlich zu vernehmen. "Ihr könnt sicher bei Jonathan noch ein anderes Bild erwerben. Es war sicher nicht das einzige, das er an dem Abend von mir gezeichnet hat, dieser Künstler mit dem ach so zweifelhaften Ruf." Kieran war nun klar, dass Dominico ihm nur die halbe Wahrheit zu Jonathan gesagt hat, als er da im Kerker gewesen war. Und das, um ihn zur Wahrheit zu bewegen. Einen kurzen Moment überlegte er. "Aber, wenn Ihr wollt, können wir das gerne bei einem Abendessen besprechen", fügte er dann hinzu. Ja, er würde diese Einladung annehmen. Erneut beugte er sich zum anderen hinüber. "Ihr seid nicht halb so unwiderstehlich, wie ihr glauben mögt. Daher traue ich es mir durchaus zu, Eurem Charme wiederstehen zu können", raunte er dem anderen ins Ohr. "Ist es Ringelblume oder Arnika?", fragte er dann noch und roch erneut am anderen. "Ich komm irgendwie nicht drauf, was es ist." Erneut vergrößerte er wieder den Abstand zwischen ihnen, den anderen fragend ansehend, mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen.
 

Dominico Sforza

Das er selbst so einen Eindruck auf Kieran machte war ihm nicht bewusst. Für ihn überdeckte der angenehme Geruch des Essens und des offenen Feuers alle anderen Gerüche, auch wenn er durchaus Kierans angenehmen Geruch wahrnahm, den er an sich haften hatte seit er das Badehaus verlassen hatte. Nico fiel es vielleicht nicht allzu sehr auf, weil er es gewohnt war von Leuten umgeben zu sein, die sich wesentlich mehr ein dufteten als Kieran gerade. Dennoch bemerkte auch Nico die Nähe zwischen ihnen und es war ein angenehmes Gefühl, beinahe so wie bei Rot. Allerdings waren die Gefühle zu Rod vor allem durch ihre lange Bekanntschaft geprägt und auch wenn ihn ab und an dieses Gefühl überkam wie damals als sie sich zum ersten Mal nähergekommen waren, so war es jetzt doch etwas Anderes. Es war ein neues Kribbeln, Neugierde die selten war. Vielleicht einfach, weil er Kieran nicht gut genug kannte. Jemand wie Nico der inzwischen lange genug an Henrys Hof lebte, lernte schnell Menschen zu durchschauen. Nicht in dem man sich mit den Menschen befasste, sondern indem man über sie lernte. Wer waren die Eltern, welchem politischen Lager gehörten sie allein aus familiären Gründen schon an? Welche Interessen und Ambitionen hatten sie und welche davon waren realistisch zu erreichen? In Kierans Fall konnte Nico sich diese Dinge zum Großteil selbst beantworten, doch alles was Kierans Ambitionen anging blieb im Dunkeln, denn der junge Mann hatte kaum Ambitionen am Hof und sein Idealbild von einem perfekten Leben sah ganz anders aus als das von Nico. Vielleicht war er deswegen so neugierig und bereit zu spielen, obwohl das eigentlich genau in die entgegengesetzte Richtung zu seinen Wiedergutmachungsambitionen lief.

Aber manche Dinge musste man tun, auch wenn man den Grund dafür nicht kannte. Und eigentlich rechnete Nico auch gerade damit Kieran wieder soweit aus der Reserve gelockt zu haben, dass der junge Mann erneut die Flucht antrat. Anscheinend hatte er sich da getäuscht. Oho? Ein Sinneswandel? In Nico frohlockte der Spieler, der schon die Wette gegen seinen Bruder hatte gewinnen wollen. Allein der Tonfall ließ ihn innerlich lachen, doch in seinem Gesicht sah man nichts davon. "Nicht rechtmäßig erworben?" Echote er leise. "Denkt ihr denn wirklich, euer kleiner Ausflug habe mich nur meinen Namen und ein bisschen hohle Phrasen gekostet? Dafür, dass der werte Hauptmann vergessen hat euch jemals dort gesehen zu haben wo ich euch an diesem Morgen vorgefunden habe, hat er durchaus ein bisschen mehr verlangt als nur ein braves Schulterklopfen. Und auch euer netter Gastgeber wollte nicht leer ausgehen. Ich bin also durchaus der Meinung, dass ich für dieses Bild bezahlt habe. Aber ich bin sicher, ihr könnt an anderer Stelle noch einmal Modell liegen für Jonathan Hodgson. Ich könnte euch sogar dabei helfen euch in eine Vorteilhafte Position zu rücken, meine Frau und ich sind Kunstliebhaber und nennen viele der großen Gemälde unser Eigen." Oh ja er konnte genauso zweideutig denken und mehr oder weniger eindeutig sprechen. Etwas musste er ja doch auch mit seinem Bruder gemeinsam haben. "Vielleicht können wir auch das bei einem Abendessen besprechen. Wann erlaubt euch euer unglaublich voller Terminkalender denn einen solchen Abstecher in mein bescheidenes Heim?" Immerhin konnte man nie wissen, wann Kieran vielleicht doch wieder im Kerker landete. "Dann könnt ihr euch von meiner Unwiderstehlichen Art gern überzeugen. Ich glaube eure Familie habe ich bereits überzeugt." Er winkte Kierans tanzenden Schwestern zu, die gerade jauchzend an ihnen vorbeisprangen. "Arnika. Es entspannt die vom Training an der Waffe angespannten Muskeln und ist nach einem heißen Bad im Zuber genau das richtige um sich zu entspannen. Der einzige Luxus auf den ich auch im Feld nicht verzichten kann." Zuckerbrot... immer ein bisschen mehr von sich zeigen. Es erschreckte Nico beinahe, wie dieses System so unbewusst in ihm funktionierte.
 

Kieran

Während Nico gar keine Probleme hatte, das Gesicht zu wahren, war das eines der Dinge, die Kieran so gar nicht gut beherrschte. Sein Gesicht, so sagte sein Vater immer, war ein offenes Buch. Und so war auch sein Lächeln mehr ein Grinsen, als irgendetwas anderes.

Doch dieses wich einem erstaunten Gesichtsausdruck, als Dominico ihm eröffnete, dass sein Name nicht ausgereicht hatte, als er Kieran aus dem Kerker geholt hatte. Er hatte diesem Hauptmann und dem Kerkermeister tatsächlich Geld gegeben? Jetzt wo er darüber nachdachte, hätte es ihm wohl auffallen müssen, dass er dem Kerkermeister tatsächlich etwas zugesteckt hatte, aber er war so froh, diesen Ort endlich verlassen zu können, dass er es nicht realisiert hatte. Und der Hauptmann? Nun auch hier hätte Kieran draufkommen können, dass der Niamh nicht einfach so hergegeben hatte.

Aber Zeit blieb ihm nicht, weiter darüber nachzudenken, denn Dominico bot ihm gerade an, ihm behilflich zu sein, Jonathan noch einmal Modell zu stehen. Und während Kieran dabei wieder aufblickte mit einem amüsierten Funkeln, wich auch dieses gleich wieder, als er dieses eine Wort hörte, an das er zwar schon einmal gedacht hatte, aber nicht weiter darüber nachgedacht hatte. "Frau" - und das im gleichen Satz, in dem er das Wort "Liebhaber" verwendete.

Ihr verbales Spiel machte ihm Spaß, definitiv. Es war ein wenig wie ein Flirt, nur für ihn etwas ungewohnter, weil er selten Gelegenheit hatte, mit einem Mann zu flirten, was das Ganze aber noch reizvoller machte. Doch die Erwähnung der Frau des anderen war wie ein Schlag ins Gesicht, irgendwie. Wollte ihn Nico ermahnen, das Spiel nicht zu übertreiben, weil er doch eigentlich ein verheirateter Mann war? Er fand in diesem Gesicht und in den Augen des anderen keine Antwort auf diese Frage. Man hörte ja viel, dass die Adeligen es nicht so ernst nahmen mit ihrer Ehe. Allein der König war da gerade ein gutes Beispiel. Und dennoch. Irgendwie hatte das anfängliche Bild von Dominico, den er als Aufreißer wahrgenommen hatte, sich verändert gehabt. Und irgendwie passte das jetzt nicht mehr zu dem neuen Bild. Wieder etwas, wo Kieran nicht schlau aus dem anderen wurde. Doch dem anderen schien das gar nichts auszumachen, dass sie letztlich über einen Betrug an seiner Frau flachsten, denn er fuhr fort, einen Termin für ein Abendessen mit ihm auszumachen. Kierans Blick wendete sich seinen Moment ab und er nahm wieder das wahr, was um sie herum passierte. Seine Schwestern, die tanzten und sich freuten. Und dabei fing er auch den Blick von Fatih ein, der ihn kritisch zu mustern schien. Kieran wusste, was jener ihn später fragen würde: ob er die Beine breitgemacht hatte, dafür, dass sie ein Arrangement in London bekommen hatten.

Als Dominico weitersprach und auf seine Schwestern zu sprechen kam, blickte er den anderen wieder an. "Ich denke, darauf solltet ihr euch nichts einbilden. Sarah träumt wie ein kleines Mädchen davon, eine Prinzessin zu werden", sagte er ruhig. "Ich denke eure Unwiderstehlichkeit wird schwinden, wenn sie von eurer Frau erfährt." Er biss sich auf die Unterlippe, nicht wissend, wie er weiterreden sollte. Sollte er das Spiel weiterspielen? Oder sollte er den Kopf noch aus der Schlinge ziehen, bevor er baumelte?

Aber irgendwie machte ihm dieses Spiel Spaß. Und in gewisser Weise war es ja nur ein Spiel, keine Verbindlichkeit und auch noch kein Betrug.

"Ich bin mir sicher, dass sich in meinem durchaus sehr vollen Terminkalender eine Möglichkeit schon auftun wird, Euer Gast in eurem von großen Gemälden geschmückten 'bescheidenen' Heim sein zu können", fuhr er schließlich fort. "Und ich fände es schön, eure großen Gemälde zu betrachten, besonders, wenn ihr ein so großer Liebhaber davon seid. Ich bin nur nicht so überzeugt davon, ob ich auch in eure Gemäldesammlung eingereiht werden möchte. Die Gefahr, dass sie verstauben und man ihnen zu wenig Beachtung schenkt, ist ja doch immer gegeben. Ich mag lieber Bewegung - still an der Wand zu hängen ist nicht so meines."

Kurz überlegte er. "Wir werden wohl in absehbarer Zeit in Richtung London aufbrechen. Wie lange seid Ihr noch hier?" Kieran vermutete, dass Dominico in eine Unerreichbarkeit verschwinden würde, wenn jener erst einmal nach London zurückgekehrt war. So etwas, wie das hier, würde es dort nicht geben. Er würde dem anderen wohl erst wieder näher rücken, wenn er es wirklich schaffte, an die entsprechenden Ärzte heran zu kommen, und allerspätestens, wenn sie wirklich zusammen nach Frankreich und Spanien aufbrechen würden. Und ob er dann noch einmal die Chance bekommen würde, dem anderen so nahe zu sein, wie er es gerade war, das wusste er nicht. Wieso also nicht jetzt einfach ein wenig egoistisch sein, und ausnutzen, dass der andere ihm ein eindeutig zweideutiges Angebot machte? Auch wenn es sich hinterher vielleicht doch so anfühlen würde, dass er mit Dominico nur ins Bett gegangen war, weil jener ihn so unterstützt und geholfen hatte.

"Arnika hilft da wirklich wunderbar", griff er das zuletzt Gesagte wieder auf. "Es ist ein Zauberkraut, von dem wir in unserer Sammlung einiges besitzen und das wir immer sammeln, wenn wir in entsprechende Höhen kommen, wo Arnika wächst." Ihre letzte Reise in die entsprechenden Gegenden lag schon einige Zeit zurück, aber wenn er mit Dominico tatsächlich im Laufe des Jahres in Richtung Spanien aufbrechen würde, könnte er in den Pyrenäen für Nachschub sorgen. "Es hilft gegen viele Dinge: Krampfadern, Venenentzündungen, Gicht und Rheuma, Gliederschmerzen. Und die liebe Hildegard von Bingen schreibt in ihrem Heilkräuterbuch: 'Wenn ein Mann oder eine Frau in Liebe erglüht, dann wird, wenn jemand sie oder ihn auf der Haut mit Arnika berührt, der Berührte in der Liebe zum anderen verbrennen, und wenn das Kraut vertrocknet ist, dann werden Mann oder Frau durch die Liebesglut fast rasend, so dass sie schließlich unsinnig werden.'" Er blickte den anderen unschuldig an. "Eure Unwiderstehlichkeit ist also offensichtlich gefährlich für mich..."
 

Dominico Sforza

Nico beobachtete Kierans Reaktion auf seine Worte während er sich noch immer über sich selbst wunderte und darüber, dass er sich wirklich so gut einfügen konnte in dieses Spiel. Es war faszinierend zu sehen, wie sich gewisse Dinge einfach verselbstständigten. Dennoch wusste er, dass er besser aufpassen musste. Nicht das ihm diese leichte Spielerei und dieses Ziehen und Schieben nicht im falschen Moment durchbrach.

Schon kurz darauf wurde in Kierans Gesicht das verstehen deutlich. Anscheinend hatte sich der junge Schausteller bisher noch keine Gedanken gemacht was Nico bezahlt hatte - gern bezahlt hatte - um ihn aus dem Kerker zu bekommen. Doch Nico hatte nicht vor Kieran das in Rechnung zu stellen. Daher überging er das. Doch da war noch etwas Anderes. Verwunderung als Nico seine Frau erwähnte... und die folgenden Worte bestätigten das nur. Eigentlich wunderte es ihn kaum und Kieran ging es wohl eher so, dass er sich über sich selbst wunderte, nicht angenommen zu haben, dass Nico bereits verheiratet war. Doch Nico konnte Kieran auch verstehen... denn anscheinend fand Nico Kieran ja auch anziehend und ihm so ein Angebot zu machen wie er es getan hatte bedeutete, dass Nico bereit war seine Frau zu betrügen. Obwohl er keinerlei Zwang hatte sich zu verteidigen tat er es doch - einfach, weil er es wollte und weil er Kieran zeigen wollte, dass er keinesfalls Oberflächlich war und es ihm gleichgültig blieb.

"Dann ist eure Schwester die bessere Frau als die, die ich geheiratet habe", antwortete Nico leise. Sein Blick fand zu dem Glas zurück und sah wieder auf die rosa Flüssigkeit darin. "Ihr müsst wissen Kieran, meine Frau lebt in Italien. Sie ist Engländerin und bevor ich sie geheiratet habe war sie die Mätresse von seiner Majestät. Ich lernte sie auf einem seiner Empfänge kennen und er stellte uns einander vor. Ich habe sie geheiratet, weil sie Geld hatte. Weil sie einen Namen hatte und weil sie wirklich eine bildschöne Frau war. Sie hat mich geheiratet, weil sie sagte ich sei neben dem König der einzige Mann der sie wohl verstünde. Und weil sie an einen anderen Ort wollte nach dem der König sie durch eine andere Frau ersetzte. Sie lebt mit unseren zwei Kindern auf dem Anwesen meiner Familie. Wir schreiben uns Briefe und wenn das Wetter in England angemessen ist, dann besucht sie mich. Doch unsere Ehe ist sicher nicht so wie das, was eure Eltern euch vorleben." Er sah zu Timothy und seiner Frau hinüber, die gerade ins Tanzen mit eingestiegen waren. "Obwohl der Adel so gern seine Tugenden hochhält findet man eheliche Tugenden wohl wirklich eher hier bei euch. Es ist zu beneiden... finde ich. Wirklich glücklich miteinander zu sein. Ich weiß das ich meine Frau niemals glücklich machen kann, selbst wenn ich es versuchen würde. Sie sähe sich lieber selbst an der Seite des Königs, noch immer, und doch haben wir beide großen Respekt voreinander." Er leerte das Glas in einem Zug und verzog dann leicht das Gesicht ehe er Kieran wieder ansah und ein wenig schief lächelte. "Also sagt eurer Schwester bitte mit den besten Wünschen von mir, dass sie sich niemals von einem unwiderstehlichen Mann um den Finger wickeln lassen soll." Nico hatte da durchaus beinahe einen schmerzlichen Ausdruck in den Augen. Eine Frau konnte nämlich leider von einer solchen Affäre mit einem Adeligen Mann schnell einen Bastard zeugen - und das würde sie nicht nur emotional ruinieren. Er hoffte allerdings, dass sich nicht auch Kieran davon abschrecken ließ.

"Wir sind noch einige Tage hier" nahm er den Faden nach einigen Sekunden des stillen Nachdenkens wieder auf. "Ihr könnt mir also gern Gesellschaft leisten. Oder ihr begleitet mit heute Abend nach eurer Vorstellung zu einem Glas Wein am Kamin. Natürlich nur wie ihr möchtet. Ihr könntet euch gern das Öl ansehen." Er grinste wieder etwas mehr als eben noch und musste dennoch gleichzeitig über das Nachdenken was Kieran gesagt hatte. Waren Rod und er auch vor Liebeslust rasend geworden? Naja. Vielleicht ein bisschen. Aber das hatte wohl nicht am Öl gelegen, oder doch? Innerlich erntete er von sich selbst nur Schulterzucken. "Natürlich nur, wenn ihr euch dieser Gefahr stellen wollt. Ich bin ein Raubgier Mr. Carney, wenn man euch so reden hört."
 

Kieran

Kieran war überrascht, dass Dominico sich doch tatsächlich erklärte. Er betrachtete das schöne Gesicht des Mannes, der so unerwartet ehrlich zu ihm war. Und was er hörte, berührte ihn auf unerwartete Weise heftig. Es war nicht Mitleid, wieso auch? Es war eher eine Art Mit-Fühlen. Gedankenversunken blickte er hinab auf seine Hände, während er den Worten lauschte. Er selbst hatte damals seine Jugendliebe geheiratet und ihre Hochzeit war eher etwas wie ein Fest zur Anerkennung ihrer Liebe gewesen, als wirklich eine Hochzeit. Sie hatten sich ewig gekannt und irgendwann wurde aus ihrer vertrauten Nähe mehr. Und wenn er an Kathy dachte, schmerzte der Verlust noch heute, auch wenn er mittlerweile wusste, dass ihrer Liebe Leidenschaft gefehlt hatte. Er war noch jung gewesen und hatte Verbundenheit mit Leidenschaft verwechselt.

Aber eines war er sich immer gewiss gewesen, Kathy hatte das gleiche gefühlt wie er. Aber jemanden zu heiraten, der eigentlich jemanden anderen begehrte, jemand unerreichbaren, das war heftig. Die Worte, in denen so viel Bitterkeit mitschwang und Schmerz, stimmten ihn traurig. Als Dominico endete, seinen Wein austrank und ihn anlächelte, hob er seinen Blick wieder und erwiderte das Lächeln. Es war seltsam, dass der andere ihm solch intime Dinge anvertraute. Aber es fühlte sich auch gut an. "Das werde ich", bestätigte er den Wunsch des anderen, seine Schwester zu warnen. "Aber ich denke, mein Vater holt sie immer wieder ganz gut runter von den Traumtänzereien." Ja, sein Vater hatte sie alle gut im Griff. "Aber auch bei uns ist nicht alles eitel Sonnenschein und schon gar nicht so tugendhaft, wenn man die christlichen Moralvorstellungen zum Maßstab nimmt", fuhr er fort und sah den anderen an. "Es mag für Euch hier ein Gefühl von Freiheit und Ehrlichkeit aufkommen, aber wir sind hier auch nur Menschen, die menschliche Bedürfnisse und menschliche Eigenschaften haben. Treue, Ehrlichkeit, Nächstenliebe, aber genauso viel Egoismus, Engstirnigkeit, Einfalt, und all die anderen schlechten Eigenschaften, die den Menschen ausmachen." Er wollte seine Familie nicht schlechtmachen, aber sie waren auch nur Menschen. Mag sein, dass der Adel weniger tugendhaft war. Aber hier gab es auch Intrigen, Neid, Missgunst und andere Dinge, nur halt im Kleinen.

Einen Moment überlegte er, ob er über die Frau des anderen reden wollte, aber was sollte er sagen? Dass es ihm leidtat? Das stand ihm irgendwie nicht zu. "Danke für Eure Ehrlichkeit", sagte er schließlich nur.
 

Sein Lächeln wurde ebenfalls zum Grinsen, als Dominico nach seinem Angebot zu einem Glas Wein am Kamin auf das Öl zu sprechen kam. Hm, jetzt war er an dem Punkt angekommen, an dem er sich entscheiden musste, das eindeutig zweideutige Angebot anzunehmen oder nicht. Aber letztlich hatte er sich doch schon entschieden, nicht wahr? Er wollte die Nähe, die der andere ihm anbot, annehmen.

Sein Grinsen wurde noch breiter, als er den letzten Kommentar hörte. "Ich bin auf meinen Reisen schon Bären und Wölfen begegnet und seht - er hob die Arme - ich bin unversehrt. Außerdem glaube ich, dass diese Wirkung der Arnika-Pflanze größtenteils Aberglaube ist." Er blickte dem anderen lächelnd in die grünen Augen. "Ich denke ein Glas Wein am Kamin wäre heute Abend nach dem Auftritt ein angenehmes Ausklingen eines schönen Tages."

"Kieran!" Sarah kam angewirbelt und setzte sich auf seinen Schoß. "Wollt ihr nur reden? Lasst uns tanzen." Sie blickte Dominico an. "Darf ich so unhöflich sein und Euch um einen Tanz bitten? Aber sonst habe ich nie die Gelegenheit zu solch einem Tanz."
 

Dominico Sforza

Es hatte wenig mit Ehrlichkeit zu tun, zumindest aus Nicos Sicht. Natürlich war er ehrlich, doch es war einfach die Wahrheit. Eine Wahrheit die nicht nur für ihn galt, sondern selbst vom König so gelebt wurde. Er hatte Katharina geheiratet, weil sie eigentlich die Frau des Königs gewesen war - und wieder wurde nach dem die vorherige Ehe angeblich nie vollzogen worden war. Auch Henry hatte Kinder gehabt, nur eines hatte überlebt und war inzwischen der ganze Stolz der Königin - doch Henry hatte sich schon zeitlebens seine Zeit mit Mätressen versüßt. In ihrer Welt gab es die wahre Liebe sehr, sehr selten und dass man aus Liebe heiratete war noch viel seltener. Manchmal wünschte sich Nico nicht derjenige sein zu müssen, der den Stammbaum fortführte - doch so war es nun mal. Da standen sich die Brüder in ihrem Neid auf die Position des jeweils anderen wohl kaum nach und beide Male geschah es aus Unwissen. Sie beide kannten nur ihr eigenes Leben. Während Nico nicht ganz so einfach herumhuren konnte, weil man dann mit dem Finger auf ihn zeigte, konnte Alessio das zwar beinahe mehr oder weniger öffentlich tun, durfte aber keine der Damen heiraten.

"Es ist nur die Wahrheit..." sagte er deswegen leise. "Ihr werdet schon noch sehen wie es abläuft in unseren Kreisen, wenn ihr sie öfter bewundern könnt. In meiner Familie tröstet mein Cousin die Frau seines Bruders, während mein Bruder die Zukünftige eben dieses Cousins tröstet bis sie zu ihrem Mann nach Italien reisen kann. Alles geschieht unter dem Mantel der Verschwiegenheit. Glaubt mir, ich würde einiges dafür geben, wenn man mir mit Feindseligkeiten wirklich offen gegenübertreten würde. Aber vielleicht ist das hier auch nicht so und nur eine romantische Redensart." Er wusste es ja selbst nicht, SO gut kannte er sich in Kierans Kreisen auch nicht aus. Aber man redete oft darüber, dass einfachere Menschen ihre Dispute auch offener Austrugen, einfach, weil sie es sich erlauben konnten. Am Hofe hatte zum Beispiel der spanische Botschafter kaum Freunde, kein Wunder da er Fürsprecher für Katharina war. Doch er hatte eine Daseinsberechtigung und er war auf Banketten geladen und gab selbst das ein oder andere Essen - man tat so als verstünde man sich blendend, auch wenn Nico öfter mal den Wunsch hegte den Mann einfach zu erdolchen. "Ein jeder spielt nun mal sein Spiel, ob hier oder ganz oben." Damit war auch dieses Thema für Nico Geschichte. Er hätte sich ewig darüber unterhalten können, doch man kam ja leider doch nie auf einen grünen Zweig. Lieber sah er den Leuten beim Tanzen zu um nicht ganz so intim mit Kieran zu wirken. Nicht weil er das nicht wollte, sondern weil er Kieran nicht in ein schlechtes Licht rücken wollte. Er konnte sich schon vorstellen, dass man ihn löchern würde, war Nico erstmal außer Reichweite.

Und da man nur ZU gut wusste, wie man am Hofe generell vorwärtskam, würde man Kieran sicher auch bald unterstellen Nico zugetan gewesen zu sein, und man musste diese Vermutung ja nicht noch untermauern in dem sie zu sehr die Köpfe zusammensteckten obwohl sie ja eigentlich genau darüber sprachen... naja mehr oder weniger.

"Aberglaube sagt ihr? Dann werden wir das heute Abend auf die Probe stellen" gurrte Nico, der durchaus einen sanften verführerischen Ton anschlagen konnte auch wenn sein Gesichtsausdruck wohl mehr vermuten ließ, dass er Kieran gerade etwas über die Londoner Medizingesellschaft erzählte. So sah er auch nicht peinlich berührt aus, als Kierans Schwester schließlich auftauchte und sich auf dem Schoß ihres Bruders niederließ um Nico zum Tanzen aufzufordern. Der Sforza lachte. "Ihr dürft Mylady, aber ich bin mir nicht sicher ob ich diesen Tanz beherrsche. Am Hof ist er glaube ich nicht bekannt. Aber wenn ihr ihn mir beibringt werde ich seine Majestät davon überzeugen ihn in sein Tanzprogramm aufzunehmen. Ihr scheint eine wahre Meisterin darin zu sein."

Oh ja, Nico der Charmeur. Wie war doch gleich noch der Gedanke gewesen nicht ZU unwiderstehlich für Kierans Schwester zu sein? Naja, Kieran hatte ja gesagt der Vater würde sie schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückbringen, Nico konnte das nur hoffen. Aber zu Damen war man eben charmant und so erhob sich Nico und hielt Kierans Schwester die Hand hin, so dass sie sich vom Schoß seines Bruders erheben konnte. Allein seine Haltung in der er stand zeigte, dass Nico von hoher Geburt war, doch seinen Bewegungen wohnte eine ganz natürliche Grazie inne, so das man es kaum bemerkte. Er hatte zweifellos ein einnehmendes Wesen, doch im Grunde war Nico ein sehr ehrlicher Mensch solange man ehrlich zu ihm war.
 

Kieran

Die Wahrheit, ja, so war es. Und die Wahrheit, die der andere ihm dann noch weiter offenbarte war genauso heftig, wie das zuvor Gesagte. Kieran wusste gar nicht so genau, ob er das wirklich hören wollte. Denn mit jedem Satz, jedem Wort hatte er das Gefühl, dass er ganz bestimmt nicht Teil dieser Welt werden wollte, und diese auch gar nicht berühren wollte. Sein Blick verdunkelte sich, während er seiner Familie beim Feiern zusah. Würde ihr Jahr in London dann nicht bedeuten, dass auch seine Familie in irgendwelche Intrigen verwickelt werden konnte, wenn sie nicht aufpassten? Kieran, der seine Wahrheit schon gerne manchmal ein wenig drehte insofern, als dass er geschickt nur das erzählte, was unverfänglich war, kam sich mit einem Mal als der ehrlichste Mensch der Welt vor, wenn er hörte, wie es in Dominicos Kreisen zuging.

Warum tat man sich das an?

Und dass jener sich hin und wieder einfach nach Ehrlichkeit sehnte, das verstand er nun nur zu gut. Sie waren hier auch nur Menschen, aber, wenn man Groll gegen jemanden hegte, oder andere Unstimmigkeiten auftraten, wurden sie tatsächlich offener aus der Welt geschafft, als es in den höheren Kreisen wahrscheinlich auch einfach möglich war. Und dass es vorkam, dass man sich betrog, war auch bei ihnen so, aber Kieran konnte sich nicht entsinnen, dass es so heftig war. Es war irgendwie anders. Und in seiner Familie, in der sein Vater drei Frauen hatte, hatte er nur selten das Gefühl, dass es wirklich zu Neid kam. Gut, sein Vater war auch ein spezieller Mensch, aber er erlebte seine Familie als sehr harmonisch.

Kieran sagte nichts dazu, beendete das Thema. Er hatte genug gehört, was ihn beschäftigen würde. In London würde es wahrscheinlich eine Herausforderung sein, sich aus solcherlei Spielen herauszuhalten. Er würde an sich wachsen müssen, denn noch war er definitiv zu hitzköpfig und vorlaut, wenn man nicht in solche Situation kommen wollte.
 

Die weiche Stimme des anderen jagte ihm einen Schauer über den Rücken. War es töricht von ihm, sich auf diesen Abend zu freuen? Wohl nicht. Er hatte das Gefühl, dass es ihm gut tun würde auch in dieser Richtung einmal sich etwas mehr zu gönnen. War er ausgehungert? Ja, definitiv. Ein Funkeln trat in seine Augen. Aber zu einer Antwort kam er nicht, weil sich seine Schwester zwischen sie drängte und Dominico um den Tanz bat.

Kieran musste Schmunzeln, als er sah, wie charmant der andere Mann zu Sarah war. Es würde ihr schwerfallen, den Herzog wieder zu vergessen, das war jetzt schon klar. Eigentlich eine absurde Situation. Während er sie um den Finger wickelte, hatte kurz zuvor Kieran sich mehr oder weniger deutlich mit dem anderen zu einer gemeinsamen Nacht verabredet. Kieran schüttelte leicht den Kopf. Diese Welt war zu seltsam. Er beobachtete, wie die beiden sich daran machten, Dominico in den Tanz einzuführen. Es war erstaunlich, wie leichtfüßig der Mann war, der bereits Kriege gefochten hatte und von dem man eigentlich erwartete, besser mit dem Schwert umgehen zu können, als mit Tanzmusik. Der Blick seiner Schwester sprach Bände. Genau diese Aura, die Dominico umgab, diese unglaubliche Ausstrahlung, dieses einnehmende Wesen - genau das war es gewesen, wovor er an jenem Abend so eine Angst gehabt hatte. Und jetzt? Dominico hatte ihn rumgekriegt, wenn man das so sagen wollte. Auf eine angenehme Art und Weise hatte er sich verführen lassen.

Bereute er es? Nein.

Fatih setzte sich neben ihn und Kieran sah seinen Bruder einen Moment schweigend an. Sie musste nicht viel sagen, sie kannten sich zu gut. Sie waren fast gleich alt und schon als Kleinkinder konnten sie nicht ohneeinander sein. "Deswegen unsere Einladung nach London?", fragte Fatih schließlich. Kieran schüttelte den Kopf. "Es ist nicht so, wie du glaubst. Eigentlich ist es genau andersherum." Er lächelte. "Die Einladung kam, weil ich mich nicht verkauft habe." Fatih musterte ihn kritisch. "Aber er gefällt dir." Kieran nickte. "Ziemlich sogar." Sein Bruder war der Einzige, dem er gebeichtet hatte, dass er Männer ebenso anziehend fand wie Frauen, auf eine andere Art zwar, aber eben auch anziehend. Fatih nickte schließlich langsam. "Aber pass auf, dass du dir nicht zu viele Hoffnungen machst. Verlier den Boden nicht, ok?" Kieran lächelte. "Aye, Sir. Zur Not lasse ich mich von dir wieder erden."
 

Kieran trank noch einen Schluck, dann stand auch er auf und reihte sich in den Tanz ein.
 

Dominico Sforza

Nico war früher kein besonders guter Tänzer gewesen. Er war mehr der Mann, der mit dem Schwert tanzte, wie Kieran richtig vermutete. Doch durch die schnelle Beinarbeit die auch beim Fechten unerlässlich war, hatte seine Frau ihn schließlich dazu bekommen doch die höfischen Tänze zu lernen. In England tanzte man anders als in Italien, und am Hof anders als in den Gassen. Hier war es definitiv ein anderer Tanz, der viel mit hüpfen, springen und laufen zu tun hatte, weniger mit wiegen und verbeugen. Nico hatte den Dreh schnell heraus und wirbelte mit Sarah über die provisorische Tanzfläche. Er hatte kein Problem mit Hebefiguren und hatte sie schneller durch die Luft gewirbelt als sie es ihm sagen konnte. Er hatte eindeutig seinen Spaß und sie wohl ohne Zweifel auch. Unter anderen Umständen hätte sie Nico auch gefallen, doch es gab Dinge, die auch Nico nicht tat. Und Sarah war zu unschuldig und unverdorben um an einen Mann wie ihn zu geraten, da würde sicher auch Kieran die Ohren anlegen, wenn es soweit kommen sollte. Nein, das durfte Nico nicht zulassen, mal ganz abgesehen davon, dass sein Interesse mehr an Kieran lag denn an einer Frau... und heute Abend... Er grinste und sicher sah es für Sarah so aus, als würde er wegen ihres Tanzes grinsen.

Es war eine herrlich ausgelassene Stimmung, die Nico eindeutig genoss und auch als er sich wieder auf die Bank fallen ließ mit der Entschuldigung nicht so viel Kondition für diese schnelle Art des Tanzens zu haben fühlte er sich wohl hier bei Kierans Familie. Doch er wusste wie trügerisch dieses Gefühl war. Das hier war nicht seine Welt und sie würde es niemals sein. Er würde niemals dazu gehören und er konnte dieses Gefühl nur genießen und mitnehmen in die anonyme Kälte Londons in der er nur seinen Bruder hatte und die mit Intrigen verseuchten Feste am Hof. So oft wie er es gern täte konnte er sich nicht unter das "Volk" mischen und auf seinen Reisen würde es auch mehr Schein als Sein geben. Vielleicht hatte er wenige Male die Möglichkeit Kierans Familie zu besuchen... und daran hielt er fest. Zumindest ein wenig. Nico war damit groß geworden für seine Verpflichtung zu leben und die lag nun mal beim König und dem Dienst in Diplomatie und an der Waffe.

Es wurde langsam später Nachmittag und so ausgelassen ihre kleine Feier auch gewesen war, jetzt mussten sie sich für ihren Auftritt fertigmachen. Nico verabschiedete sich mit dem Versprechen der Show beizuwohnen. Er wollte nicht mit den Schaustellern in die Stadt einmarschieren, das war schlecht für seinen Ruf. Es war nun mal das Protokoll und Nico wollte es sich damit nicht ZU sehr verscherzen. Also holte er sein Pferd und ritt vor in die Stadt, wo er auf dem Markt umherschlenderte und sich mit alten Bekannten unterhielt. Es wurde einiges Geboten an Essen und Getränken und Nico kaufte von einem maurischen Händler Gaz. Dieser weiße Nougat war eine Delikatesse und teuer, doch Nico liebte das Zeug und es passte hervorragend zu einem herberen Rotwein den er vorhatte Kieran zu servieren. Wollte er ihn wirklich so sehr beeindrucken? Nein, aber Gaz war etwas das Nico selbst liebte, es ging nicht um das protzen mit teuren Süßigkeiten.

Der Marktplatz war für die Schausteller schon frei geräumt und die Kinder hatten sich bereits die besten Plätze gesichert. Nico setzte sich auf eine Bank vor einem Weinstand und bestellte sich einen Becher, sein Pferd hatte er bei der Stadtwache untergestellt. Er unterhielt sich gerade mit einem Stoffhändler, der ihnen schon öfter Waren aus Italien importiert hatte und sie beide verstanden sich prächtig. So bekam Nico den Einzug der Meute gar nicht richtig mit und sah erst auf, als die Musik begann.
 

Kieran

Sie hatten schon lange nicht mehr so ausgelassen gefeiert. Aber sie hatten auch schon lange nicht mehr so einen guten Grund dazu gehabt. Dominico schien sich sehr wohl zu fühlen und es war für Kieran schön zu sehen, wie jener in seiner Familie sich entspannen konnte, wie er schier aufzublühen schien. Der andere hatte ihm letztlich gesagt, weshalb das wo war. Hier hatte er nicht damit zu rechnen, dass ein anderer ihm aus Neid und Missgunst einen Dolch in den Rücken stoßen würde, wie das am Hofe wahrscheinlich nicht unüblich war. Während man hier einfach nur mal selbst war, zumindest in seiner Familie, so musste am Hofe stets genau überlegen, was man sagte, was man tat, wem man etwas anvertraute.

Und Dominico hatte ihm sehr viel mehr anvertraut, als er jemals gedacht hätte. Vielleicht sogar mehr, als er hatte erfahren wollen. Die Situation mit dessen Frau, die Situation hinsichtlich des Königs. Kieran hatte einen Einblick bekommen, was auf ihn in London wohl auch bedingt zukommen wird. Und ob ihm das so gefiel, wusste er nicht genau. Es würde heftig werden für ihn, zum einen damit zurecht zu kommen, dass er nicht mehr mobil war, zum anderen damit, von seiner Familie getrennt zu sein. Aber es bot so viele Verlockungen, die er ausprobieren wollte. Seine Familie würde immer für ihn da sein. Er konnte jederzeit zurück.

Mit diesen Gedanken beschäftigte er sich, während er seine Sachen packte, sich die bequeme, leichte Kleidung anzog, die er auf der Show tragen würde, während er die etwas schöneren Kleidungsstücke zurechtlegte, um sie später mitzunehmen. Er würde sich im Schankhaus umziehen, wo sie ihre Sachen zwischenlagern konnten. Klamotten- auch so ein Punkt, über den er nachdenken musste, wenn er nach London ging. Sollte er wirklich Zugang zum medizinischen Wissen bekommen, würde er sich entsprechend ankleiden lassen müssen. Er würde selbst dann noch auffallen, wenn er nur eine geringe Auswahl im Kleiderschrank haben würde, aber so, wie er normalerweise herumlief, würde er dort gar nicht auftauchen müssen...

Er sattelte und trenzte Niamh und ritt mit seiner Familie los. Dominico hatte sich, als ihr Vater sie daran erinnerte, dass sie noch eine Vorstellung haben würden, verabschiedet, aber versprochen die Show anzusehen, was Sarah wohl am meisten freute. Sie hatte diesen unklugen Glanz in den Augen. Aber bei ihr ging es immer recht schnell, dass sie wieder auf dem Boden der Tatsachen war. Auch Kieran wusste, dass er, selbst wenn sie nun wirklich die Nacht miteinander verbrachten, Dominico so unerreichbar fern war, dass das wohl eine einmalige (und hoffentlich einzigartige) Angelegenheit war.

Timothy wich er gekonnt aus, damit dieser ihn nicht hinsichtlich Dominicos Worte befragen konnte. Irgendwie hatte er keine Lust, seinem Vater von seinem Ausflug in den Kerker zu beichten. Der Tag war so schön gewesen und er fühlte sich so beschwingt, dass er ganz bestimmt nicht an dieses Erlebnis erinnert werden wollte.
 

Auf dem Markt herrschte reges Treiben, als sie ankamen und ihr Equipment von der Kutsche nahmen und schließlich aufbauten, so dass sie schnell darauf zurückgreifen konnten, sobald der jeweilige Teil der Show dieses erforderte. Im Schankhaus machten sie sich etwas warm, dehnten sich, tranken etwas. Als die ihre Musiker schließlich die ersten Töne anstimmten, um die Aufmerksamkeit des Publikums auf sie zu ziehen, entledigte sich Kieran schließlich seines Hemdes. Er trug nun nur noch eine bequeme Hose, keine Schuhe, kein Hemd, lediglich noch Bandagen um die Handgelenke, die bei ihren Figuren am meisten belastet wurden.

Als er auf die Bühne trat, hatte er weder die Zeit, noch den Gedanken daran, nach Dominico in der Menge zu schauen.

Ihre Show bestand zunächst aus akrobatischen Übungen, wie Überschlägen, Flickflacks, der Lauf auf den Händen, steigerte sich schließlich zu Hebefiguren, die sie zunächst noch im Kleinen durch eigene Kraft bewerkstelligten, später benutzten sie eine Art Wippe, um sich gegenseitig die nötige Höhe ihrer Sprünge zu geben, um diese anspruchsvoller zu gestalten. Zuletzt endete die Show damit, dass sie alle zusammen eine lebende Pyramide bildeten. Sein Bruder trug dabei die Hauptlast, während er und seine Geschwister an ihm hingen oder auf ihm standen. Sie hatten lange und intensiv für diese Show geübt, bis sie so perfekt war, wie sie war. Sie hatten keine Unterbrechung drinnen, alles ging flüssig ineinander über. Die Musik begleitete sie passend zu den einzelnen Einlagen. Normalerweise fand nun im Anschluss daran, die Show mit dem Feuer statt, die ihnen aber unterbunden war. Daher unterhielten seine Geschwister das Publikum nun mit Jonglage und komischer Akrobatik, die die Leute nach der ehrfurchtsvollen Stille ihrer großen Show nun zum Lachen verführte.

Kieran hielt sich dabei aber raus. Er hatte keine Geduld für Jonglage gehabt und recht schnell abgeblockt, als es darum ging, ihn da zu schulen. Kraft und Akrobatik gerne, aber keine Jonglage!

Er nutzte die Zeit, um sich im Hinterhof des Schankraumes zu "duschen", nachdem er etwas runtergekommen war. Das kalte Wasser war grauenhaft, aber es half auch, dass die Erschöpfung, die er nach dem Kraftakt ihrer Show sich schleunigst wieder verzog. Dann zog er sich wieder etwas passender an dafür, dass er nun wohl wirklich Dominico Sforza nach Hause begleiten würde. Er lächelte bei dem Gedanken. Er hatte ja schon einiges angestellt, aber er hatte sich noch nie so offensichtlich zu Sex verabredet, wie an diesem Tag. Aber es störte ihn auch nicht, gar nicht.

Dank Sarah wusste er mittlerweile, wo sich Dominico aufhielt, denn sie hatte nach ihm Ausschau gehalten. Ihre Show war am Abklingen, als er von hinten an en anderen herantrat. "So, Mylord Sforza, ich hoffe es hat Euch gefallen, was Ihr gesehen habt. Ich stehe Euch nun ganz zur Verfügung", flüsterte er in dessen Ohr. Dann trat er um den Stand herum und setzte sich neben den anderen, etwas überrascht, dass da noch jemand bei Dominico saß.
 

Dominico Sforza

Nico hatte der Vorstellung mit Freude zugesehen. Sarah hatte immer wieder zu ihm hinübergesehen und ihm eindeutige Blicke zugeworfen, die Nico zwar erwidert aber nicht noch angestachelt hatte. Als sie nach der Vorstellung zu ihm kam um mit dem Hut herumzugehen für Geld, gab er auch ihr eine goldene Münze - aber eigentlich nicht nur ihr, sondern der ganzen Familie. "Und jetzt feiert schön." verabschiedete er sie, immerhin hatte er hier noch mehr oder weniger einen Gast sitzen. Allerdings sprachen sie schon lange nicht mehr über das Geschäft. Sie hatten sich ein wenig über die Show unterhalten, dann über Italien. Der Mann war es überdrüssig hier in England zu leben, zumal es zwar einen florierenden Markt für Mode und Stoffe gab, doch in Frankreich oder Italien waren die Kreationen wilder, farbiger und fröhlicher. Ganz abgesehen von dem noch unerschlossenen Markt im fernen Osten - der Mann brauchte einen Szenenwechsel. Und Nico war gern bereit zu helfen denn er kannte den Mann und seine Familie schon lang. Er hatte ihm versprochen mit seiner Familie zu sprechen, solange er dafür sorgte das die guten italienischen Stoffe noch immer nach England geliefert wurden und so wurde man sich schnell einig. Ein Krug guten Weines bekräftigte den Handel und der Mann versprach einen Brief aufzusetzen und sich mit diesem wieder an Nico zu wenden. Dann war das Gespräch nur noch um die Feierlichkeiten gegangen und der Mann hielt irritiert inne und fixierte etwas oder jemanden hinter Nico. Kurz darauf hörte er eine Stimme nah an seinem Ohr, eine Stimme und eine Tonlage, gepaart mit einer Anrede die in Kierans Stimme einerseits Ehrfurcht und andererseits einen gewissen spöttischen Tonfall aufwies, so dass ihm die Hose minimal enger wurde. Er behielt sein Pokerface, auch wenn es schwerfiel, und sah zu Kieran als der sich neben ihn setzte. Der Händler auf der anderen Seite hatte sich aufgerichtet. "Mylord, ich sehe ihr habt noch zu tun. Ich wünsche euch noch einen schönen Abend und hoffe, dass wir uns bald wiedersehen." Nico nickte dem Mann zu und er verschwand in der Menge, während sich Nico erneut und betont langsam zu Kieran umwandte. "Ganz zur Verfügung, habe ich das richtig verstanden?" fragte er nach, mit einem leicht frivolen Unterton in der Stimme.

Eine Antwort von Kieran wurde jedoch jäh unterbrochen als jemand neben Nico trat und seinen Becher vom Tisch an die eigenen Lippen riss um daraus zu trinken. Nico fuhr erneut herum und starrte zu Alessio auf, der keuchend neben dem Tisch stand. Blut rann über seine Schulter und seinen Arm, Blut klebte in seinem Gesicht und an seiner Hand. Blutspritzer auf dem Umhang. Nico stand so schnell auf, dass beinahe die Bank samt Kieran nach hinten umfiel. "Alessio verdammt was ist passiert?" Italienisch, so schnell das jemand mit wenig Sprachkenntnissen kaum folgen konnte. "Frag nicht. Ist er wirklich Arzt?" Ein Nicken gen Kieran. Nico runzelte die Stirn, ehe er langsam und misstrauisch nickte. "Dann bitte ich dich Bruder, nur dieses eine Mal, frag nicht, sondern komm mit und reite mit mir nach Hause als sei der Teufel selbst hinter uns her. Es gab ein paar... Differenzen mit dem Messdiener." Besser er sagte um wen es ging, doch Nico veranlasste das nur zu einem Grinsen. "Dein Betthäschen hat dich so zugerichtet?"

"Nein. Der Anführer der Rebellengruppe zu der er Augenscheinlich gehört hat und der wohl minimal begeistert von unserer Wette war."

"Aber warum dann nach Hause?"

"Weil dieser Kerl tot in einer Gasse liegt und zu Hause der Messdiener bei seinen Verletzungen wohl wünschte er wäre tot!" Zum Glück sprach hier gerade keiner ihre Sprache und war in Hörweite. Alessio wusste, dass wenn er Nicos Hilfe wollte nur die Wahrheit angebracht war. Und Nico ließ sich tatsächlich davon überzeugen. Er räusperte sich leise und drehte sich zu Kieran. "Mr. Carney, unser gemeinsames Glas Wein muss wohl noch etwas aufgeschoben werden. In der Kirche ereignete sich heute wohl ein Unfall. Einer der Messdiener liegt schwer verwundet in einem unserer Gästezimmer... würdet ihr ihn euch wohl ansehen?"

Ostern in Cambridge - Sorge

Kieran

Kieran nickte dem anderen Mann zu, mit dem Dominico geredet hatte und der sich nun verabschiedete. Er hatte nicht unhöflich sein wollen, aber offenbar war er das auch nicht wirklich gewesen. Dominico schien ihm nicht böse zu sein, ganz im Gegenteil. Auch wenn das Gesicht des anderen neutral aussah, als er sich ihm betont langsam zuwendete, so bildete er sich ein, seine Augen mittlerweile besser zu kennen. Und die hatten den gewissen funkelnden Glanz, den sie schon bei ihrem Geplänkel am Nachmittag gehabt hatten. Und den Unterton, den er nun bei den Worten des anderen wahrnahm, ließ ihn unwillkürlich grinsen. Wie schaffte es dieser Mann nur, dass er das Gefühl hatte, ihm jetzt schon verfallen zu sein - zumindest für diese Nacht.

"Wie ich sage-" Doch weiter kam er nicht. Denn seine Aufmerksamkeit wurde auf einen Mann gelenkt, der auf sie zugetreten war und nach Dominicos Becher gegriffen hatte. Irritiert blickte er nach oben, als er fast von der Bank flog und nun seinerseits aufstand, um eben nicht hinzufallen.

Und nun konnte er endlich sehen und teilweise auch hören, wer da gekommen war. Denn er verstand zwar kein Wort, aber er hörte den Namen Alessio heraus und erkannte den Kardinal nicht nur wegen der Ähnlichkeit zu seinem Bruder, sondern auch, weil er diesen vor ein paar Tagen ja bereits auf dem Marktplatz mit Dominico zusammen gesehen hatte. Sein Blick wurde kritisch, als der andere zu ihm nickte und irgendwas von "medico" sagte. Soweit verstand er Italienisch, den Rest verstand er kein bisschen. Aber auch Dominico schien kurz eher misstrauisch zu sein. Während die beiden redeten, betrachtete er den Kardinal eingehender. Die Verletzung an der Schulter/Hals Partie war nicht weiter schlimm, aber sie schien eigentlich mit schlimmeren Absichten zugefügt worden zu sein. Eine beliebte Gegend, um einen Dolch tödlich zu setzen. Gleichzeitig wirkte der Kardinal aufgelöst, völlig durch den Wind. Man konnte eins und eins zusammenzählen, dass der andere in einen Kampf verwickelt gewesen war. Und zwar einen auf Leben und Tod - nun und da jener offensichtlich lebte...

Er kam nicht dazu, weiter darüber nachzudenken, als Dominico sich ihm zuwandte. Fast hätte er lachen müssen, wenn die Situation nicht ganz offensichtlich mehr als ernst war. Wie schaffte der Mann es, sich auch in so einer Situation, so gewählt auszudrücken? Nun, wahrscheinlich, weil ein Markt viele, sehr viele Ohren hatte. Und nur auf Italienisch hatten sie sicher sein können, dass nichts Falsches an die Ohren der anderen geriet. "Ich stehe Euch ganz zur Verfügung", sagte er nur trocken und blickte Alessio einen Augenblick an. "Ich hole schnell meine Sachen. Mein Pferd steht in Richtung Haupttor." Ohne weiter abzuwarten, bahnte er sich geschmeidig den Weg durch die Menge, so schnell es ging. "Dada, ich werde als Arzt gebraucht. Ich bin morgen wieder bei euch", erklärte er seiner Mutter und griff zu der schweren Tasche mit Arzneien und Verbandszeug, die sie immer dabeihatten, wenn sie einen Auftritt hatten. Auch sie verletzten sich und da war es wichtig, schnell zu handeln. Dann ging er zu Niamh, wo die beiden Brüder bereits warteten. Und nun folgte ein Ritt, den sowohl er, als auch Niamh wohl so schnell nicht vergessen würden.
 

Dominico

Noch immer hatte Nico keinen blassen Schimmer, was wirklich vorgefallen war, doch so wie sein Bruder aussah, war es nicht der schlechteste Zeitpunkt den Ort des Geschehens zu verlassen. Kieran schien sich nicht zu zieren, auch wenn dessen Worte ein bisschen zu kühl aus seinem Mund kamen. Nico gefiel diese Entwicklung gar nicht und er hoffte, dass dieser Messdiener nicht so schwer verletzt war, dass Kieran sich die Nacht um die Ohren schlagen musste. Er hoffte, dass sie noch ein wenig Zeit füreinander hatten, zumindest, um ein Glas Wein zu trinken. Vom Sex verabschiedete sich Nico lieber, bevor er deswegen drängelte. Während sie zu ihren Pferden am Wachtor gingen, fasste Alessio die Geschichte noch einmal für Nico zusammen, allerdings wieder auf Italienisch. Es ging Kieran schließlich nichts an. Er berichtete von Fins Diebstahl und unweigerlich musste sich Nico selbst an den Hals fassen. Auch er trug das Familienkreuz, etwas kleiner... aber er trug es immer, nur nicht, wenn er baden ging, da das gute Stück aus Holz war. Familie ging ihnen beiden über alles und damit konnte Nico verstehen, dass Alessio es hatte wieder haben wollen.

Die Finte die sein Bruder genutzt hatte, um Fin noch einmal in die Kirche zu locken, war einfach und gleichermaßen genial gewesen. Alessio berichtete, dass Fin bei ihrer gemeinsamen Nacht unfreiwillig Informationen ausgeplaudert hatte, und Alessio daher angenommen hatte, dass Fin kein Einzeltäter war. Heute war er dann eben seinem Helfer oder Anführer begegnet und so wieder an sein Kreuz gekommen - allerdings hatte dieser gewisse Ralph auch einen sehr aufbrausenden Eindruck gemacht und keine Sekunde daran zweifeln lassen, dass er Alessio dafür hasste, mit Fin ins Bett gegangen zu sein. Und jetzt lag eben dieser Ralph tot in der Seitengasse.

Alessio spielte es schon etwas herunter - von wegen Ralph sei mehr oder weniger in sein Schwert gefallen. Doch Nico kannte seinen Bruder und wusste, dass der sich - wenn er angegriffen wurde - mehr als nur gut verteidigen konnte. Und sicher hatte er nicht versucht zu vermeiden, dass Ralph in die Klinge hüpfte. Daher... aber bei der Rebellenvorgeschichte war der Mord kein Problem. Niemand hatte ihn gesehen, es war dunkel gewesen - darüber machten sich beide Brüder keine Gedanken.

Als sie endlich die Pferde erreichten und das Stadttor passiert hatten, hielten sich die beiden nicht länger mit aufgesetzter Ruhe auf. Die drei Männer gaben ihren Pferden die Sporen und die ausdauernden Tiere der Sforzabrüder flogen förmlich die Straße hinunter. Niamh konnte erstaunlich gut mithalten, aber sie war es gewohnt, immer unterwegs zu sein. Als sie auf dem Anwesen eintrafen, wartete Amadeo bereits und hinter ihm eine Horde von Stallburschen. Nico und Alessio sprangen vom Pferd und Alessio wehrte die überschwängliche Haushälterin ab, die ihm bereits den Umhang abnehmen wollte. Die Pferde wurden sofort eingedeckt und schritt geführt, so dass sie abschnauben und trocknen konnten. Selbstverständlich auch Niamh. Amadeo schloss zu den drei Männern auf die ins Haus gingen. "Er ist noch nicht wirklich aufgewacht, aber sauber. Wir haben frisches Wasser und Verbandsmaterial bereitgelegt. Eine Rippe ist mit ziemlicher Sicherheit gebrochen aber er scheint nicht innerlich zu bluten. Dafür blutet er sonst aus so ziemlich jeder Wunde." Er führte die drei Männer zu dem Gästezimmer in dem Finley auf dem Bett lag. Man hatte Laken unter ihn gelegt, falls er sich einsaute. Bewegen konnte er sich immerhin nicht.

Nico warf einen Blick in das Zimmer und rümpfte die Nase. "Ich denke, mich braucht man hier nicht. Mr. Carney, wenn Ihr fertig seid, gebt einfach Amadeo Bescheid, er wird vor der Türe warten. Er bringt euch dann zu mir. Ich werde in der Zwischenzeit nach unseren Pferden sehen." Denn ein Blick hatte Nico gezeigt, dass Fin einfach nur böse vermöbelt worden war... Er starb nicht an Stichverletzungen, also war alles halb so wild. Alessio hingegen hatte nicht vor, die beiden so einfach allein zu lassen. Er legte Umhang und Hemd ab und wusch sich die Wunde selbst an einer Schüssel aus, während er Kieran beobachtete, der zu Finley hinüberging.

Seltsam, dass gerade diese beiden Männer, die die Brüder für sich erwählt hatten, hier und auf diese Weise trafen..
 

Kieran

Ein wenig war er schon von der Situation genervt, als er dem Stallburschen die Zügel seines Pferdes in die Hand gab. Zum einen wunderte ihn die gesamte Situation. Was war vorgefallen, dass Alessandro Sforza offensichtlich angegriffen worden ist und nun ein "Messdiener" verletzt bei ihnen zu Hause lag? Und während sie in der Stadt noch so ruhig gewesen waren, hatten sie nach den Toren ordentlich Tempo gemacht, als sei jede Sekunde entscheidend. Erklärt hatten sie ihm aber nichts. Außerdem war er ein wenig genervt, weil er sich den Abend nun mal vollkommen anders vorgestellt hatte. Aber von seinen Vorstellungen zu diesem Abend konnte er sich wohl verabschieden.

Er blickte sich etwas um. Das Anwesen war groß und wirkte prächtig, den italienischen Touch, den es hatte, konnte man nicht übersehen. Auch hier herrschte tendenziell das Gehabe, das er vom Hof her kannte, zumindest wirkte die Haushälterin etwas erschüttert, als Alessandro sie abwehrte. Ohne weiter darüber nachzudenken, folgte er den Brüdern, seinen schweren ledernen Koffer mitnehmend, in dem er alles finden würde, was er brauchte, um die meisten Verletzungen zu behandeln. Als Amadeo zu ihnen aufschloss, nickte er diesem zur Begrüßung zu, während jener bereits dabei war, seine Herren zu informieren. Was er zu hören bekam, gefiel ihm nur bedingt. Er nickte zu den Ausführungen betrat schließlich das Zimmer. Ohne weiter auf die anderen Männer zu achten, trat er an das Bett, stellte seine Koffer ab und setzte sich zu Finley ans Bett, um ihm den Puls zu fühlen. Er war sehr flach, die zuckenden Augenlider ließen ihn wissen, dass sich jener offensichtlich noch in einem Kampf befand. Er beugte sich vor und legte seine Lippen auf die Stirn des anderen. Er fühlte sich warm an, aber er hatte noch kein Fieber. Als Dominico sich verabschiedete, blickte er auf, kurz etwas irritiert, dass er von diesem allein gelassen wurde. Aber was sollte jener hier? Er würde ihn wohl ohnehin eher stören. Aber er war auch nicht begeistert davon, mit Alessandro allein gelassen zu werden. Irgendwie mochte er seinen Blick nicht, er kam ihm so geringschätzig vor. Er stand auf und zog sich sein Hemd aus. Es war immerhin eines der besseren, die er besaß, und wollte es nicht gleich einsauen. Als er sah, dass Alessandro dabei war, sich seine Wunde auszuwaschen, schüttelte er den Kopf, griff zu dem Tiegel, den er schon beim König genommen hatte, und trat an den anderen heran. "Wenn Ihr wollt, dass es sich lange hinzieht, dann wascht sie mit Wasser aus", sagte er und betrachtete die Verletzung. "Ansonsten schmiert davon etwas drauf." Er gab dem anderen den Tiegel. "Mir wäre es lieber, wenn Ihr den Raum verlassen würdet" Er sah in den Augen des anderen Mannes die Antwort auf diese Feststellung und hatte ohnehin schon damit gerechnet. "Wenn Ihr unbedingt hierbleiben wollt, setzt euch bitte ruhig irgendwohin." Dann wendete er sich an Amadeo, der an der Tür stand. "Ich brauche frisches, heißes Wasser." Die Schüssel mit dem kalten Wasser und das Verbandsmaterial hatte er bereits gesehen.

Dann trat er ans Bett und zog das Leinen zurück, das provisorisch auf den blonden Mann gelegt worden war. Er war entkleidet worden, die Wunden ausgewaschen. Der Brustkorb färbte sich bereits dunkel, an einer Stelle konnte man deutlich den Abdruck einer Stiefelspitze erkennen. Der Schnitt am Bein hatte den jungen Mann Blut gekostet, aber war nicht weiter schlimm. Die Verletzung über dem Auge hingegen, gefiel ihm gar nicht. Er hob einen Arm leicht an, an dem die Schürfwunden sich schon fast geschlossen hatten. Amadeo kam mit dem heißen Wasser, in dem er sich seine Hände wusch. Und dann machte er sich an die Arbeit. Er arbeitete ruhig und gewissenhaft. Eine geschäftige Ruhe machte sich im Zimmer breit.

Zunächst widmete er sich dem Schlimmsten, dem Gesicht und Kopf. Er legte auf die Wunder über dem Auge, einen kühlen Verband mit Blutwurz, der das Blut zunächst stillen würde. Später würde er den Verband durch etwas Abschwellendes ersetzten, in der Hoffnung, dass das Auge nicht in Mitleidenschaft gezogen worden war. Im Moment konnte er das nicht sagen, da das Auge so zugeschwollen war, dass man kaum etwas erkennen konnte. Einen ebenso blutstillenden Verband legte er am Bein des jungen Mannes an. Er band einen Ährenverband, der dafür sorgen würde, dass der Schnitt gut wieder zusammenwachsen konnte. Offensichtlich war er von einer scharfen, einer sehr scharfen Klinge zugefügt worden, nichts, was man sonst so auf der Straße fand. ein Blick glitt zu dem Degen, den Alessio mit seinem Umhang ausgezogen hatte. Doch er sagte lieber nichts.

Auch die anderen, kleineren Verletzungen am Kopf und im Gesicht versorgte er, bemerkte, dass ihm ganz offensichtlich ein Dolch an den Hals gehalten worden war. Kurz blickte hob er die Augenbrauen, sagte aber nichts.

Schließlich widmete er sich dem Brustkorb. Vorsichtig, sehr vorsichtig tastete er die Rippen ab, bis er diejenige gefunden hatte, die definitiv gebrochen waren. Eine war komplett durch, die andere wohl nur angeknackst. So wie der Bruch lag, würde es aber von alleine wieder zusammenfinden. Der Blonde würde zwar noch länger Schmerzen beim Bewegen, beim Atmen haben, aber das war gewöhnlich auszuhalten. "Da war aber jemand sehr leidenschaftlich", murmelte er, während er auf die blauen Flecken etwas Kühlendes draufschmierte. "Solche Verletzungen kommen nicht von einer Wirtshausprügelei. Solche Verletzungen haben Frauen, die ihre Männer angeblich betrogen haben." Er sprach niemanden direkt an, er stellte es einfach nur fest.

Dann wühlte er in seiner Tasche und holte eine kleine Kanüle hervor, die er vorsichtig öffnete und Finley unter die Nase schob. "Wach auf", flüsterte er. "Wach auf!" Und tatsächlich flackerten die Augenlieder und kurz darauf öffnete der blonde Mann seine Augen. Kieran lächelte ihn an. "Hallo", sagte er. "Ich bin Kieran, ich kümmere mich um deine Verletzungen." Er strich dem anderen beruhigend über den Arm. "Bewege dich nicht, dich hat es ganz schön erwischt, aber es ist nichts, was nicht wieder in Ordnung kommen würde." Sicher würde den anderen vor allem der Verband an seinem Kopf missfallen, der ihm das eine Auge schloss. "Wie heißt du?", fragte er ihn und gab dem anderen die Zeit, die er brauchte, wieder richtig zu sich zu kommen. Durch die aufgeplatzte Lippe war das Sprechen sicher nicht einfach für den anderen und man hörte ihn nur leise reden.

"Gut, Finley!", fuhr er schließlich fort. "Ich werde deinen Brustkorb nun verbinden, dazu musst du dich aber aufrichten. Ich helfe dir dabei, aber es wird dennoch schmerzhaft sein." Er stand auf und positionierte sich neben dem anderen, fasste ihn so, dass er ihm den größtmöglichen Halt geben konnte. "Können wir?" Er wartete auf ein Zeichen des anderen, dann hob er ihn an, richtete ihn auf und stützte ihn mit einem Kissen. Dann verlor er keine Zeit, den Verband anzulegen, um den anderen so schnell wie möglich wieder in eine weniger schmerzhafte Position zu bringen. Schließlich half er ihm, sich wieder hinzulegen und wendete sich Amadeo zu, ihm ein Säckchen reichend. "Braut bitte einen Tee daraus", bat er diesen. Dann griff er zu einer kleinen Flasche. "Ich habe hier ein Mittel, das dir gegen die Schmerzen helfen wird, Finley", sagte er nun und setzet sich wieder zu ihm, um ihm zu helfen, die Tinktur zu schlucken. Dann sah er den anderen kurz an. Mehr würde er nicht tun können, erstmal. Es würde sich noch zeigen, inwieweit jener Fieber bekommen würde. Und es würde noch abzuwarten sein, wie die Wunden verheilen würden. Aber sicher hatte man hier Personal, das sich darum kümmern würde.
 

Finley

Wie aus weiter Ferne kamen langsam Stimmen zu ihm zurück. Doch er konnte sie nicht zuordnen, nicht verstehen. Dann spürte er Berührungen. Diesmal anders als zuvor. Sanfter. Leichter. Weit, weit fort. Einen Moment überlegte Finley, ob er zurückkommen sollte, sich den Stimmen stellen sollte. Doch sie waren so dumpf. Und dort, an der blendend hellen Oberfläche, dort wartete nur der Schmerz auf ihn. Viel lieber wollte er in dieser Dunkelheit bleiben und - Ein stechender Geruch drang durch seine Nase in sein Bewusstsein und zerrte ihn mit einem Ruck an die Oberfläche.

Der Schmerz war mit einem Mal wieder voll präsent. Finley stöhnte leise. Es tat höllisch weh und er versuchte vergeblich, zurück zu tauchen, doch die Realität hatte ihn fest im Griff. Vorsichtig blinzelte er. Er erkannte nicht viel, da er sein eines Auge gar nicht aufbekam und das andere geblendet wurde. Doch allmählich gewöhnte er sich daran und sah eine Gestalt über ihn gebeugt. Finley musste an Ralph denken und Panik wallte in ihm auf. Doch dann sprach die Gestalt und entweder, seine Ohren hatten einen gehörigen Schaden davongetragen oder es war eindeutig nicht Ralph. Und tatsächlich. Der Mann - denn ein Mann war es - stellte sich als 'Kieran' vor. Seltsamer Name. Unbekannte Stimme. Finley verzog leicht die Brauen. Es tat weh und er ließ es sogleich wieder bleiben. In seinem Kopf kreisten die Fragen. Wo zur Hölle war er? Bei Ralph? Oder hatte dieser ihn zu einem Arzt gebracht? Oder war der Arzt bei ihnen? Oder war es nur irgendein Quacksalber, den Ralph bestellt hatte? Doch zunächst einmal, hatte dieser Kieran eine Frage. Wie er hieß? Das war ja seltsam. Fragte er ihn, weil er es wirklich nicht wusste oder um zu prüfen, ob er noch alle Tassen im Schrank hatte? Doch, wenn er es wirklich nicht wusste, hieß das, dass er woanders gelandet sein musste. Hatte jemand an Ostern doch so viel Erbarmen gehabt und einen Fremden ins Haus geschleppt? Konnte er so viel Glück gehabt haben? Nur, ihn einfach so liegen zu lassen, dass sah Ralph überhaupt nicht ähnlich.

"Finley..." krächzte er schließlich hervor, da der Andere scheinbar auf seine Antwort wartete. Erst jetzt spürte er, wie sehr seine Lippen schmerzten. Es war beinahe, als würden sie leicht pulsieren. Gedanklich ging er einen kleinen Systemcheck durch. Das Brennen am Bein musste der Schnitt sein, ebenso wie am Hals. Irgendetwas war quer um und über seinen Kopf gespannt. Sein linkes Auge war zurzeit unbrauchbar und außerdem fühlte es sich dick und wund an. Ansonsten tat sein Körper an allen möglichen Stellen mehr oder weniger weh. Zumindest, bis er es einmal wagte, tief Luft zu holen und er unwillkürlich aufjapste. Ein stechender Schmerz hatte sich quer durch seinen Oberkörper gezogen und Finley hatte das Gefühl, beinahe zu ersticken, als er ganz, ganz langsam die Luft wieder ausblies. Ja, jetzt wusste er, was dieser Kieran mit schmerzhaft meinte. Konnte er ihn nicht einfach hier liegen lassen? Er brauchte diesen blöden Verband bestimmt nicht! Doch es hatte keinen Zweck. Der junge Mann blickte ihn wartend an und schließlich gab der Rebell ein zustimmendes Murmeln von sich. Finley gab sein Bestes, Kieran beim Aufrichten zu helfen, damit es nicht noch mehr weh tat. Natürlich tat es aber trotzdem noch mehr weh. Finley kniff die Augen zu und biss die Zähne zusammen. Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ Kieran ihn endlich wieder zurück ins Bett sinken. Dann gab er ihm ein Mittel gegen die Schmerzen. Finley trank es so gierig, als wäre es der Nektar der Götter. Dies war immerhin etwas, für das er wirklich dankbar war und ihm wurde bewusst, dass er sich noch kein einziges Mal bedankt hatte. Immerhin musste er Dankbarkeit zeigen, wollte er die Gunst der Fremden Retter noch etwas länger in Anspruch nehmen können.
 

Alessandro

Alessio hatte Kieran ignoriert, seit sie den Raum betreten hatten, nur noch seinem Bruder zugenickt, als der sagte er wolle nach den Pferden sehen. Nico wurde hier tatsächlich nicht gebraucht im Grunde genau so wenig wie er. Doch er würde nicht gehen, denn zur Zeit traute er Fin selbst in diesem geschundenen Zustand zu, eine Flucht zu wagen. Soweit sollte es nicht kommen. Alessio wollte Antworten und dann vielleicht ein kleines Danke für die Rettung, mehr nicht. Und dann würde sich zeigen, was er mit Fin anzufangen hatte.

Gerade als er in den Spiegel aufsehen wollte, um die Wunde besser zu sehen, trat Kieran zu ihm und ließ so ziemlich jedes Anzeichen von Höflichkeit vermissen, das es auf dieser Welt gab. Schlimm genug, dass er Amadeo herumkommandierte als sei er der Herr im Haus - er sprach ihn nicht mit dem üblichen "Eminenz" an, wie es Alessio zustand, und bildete sich tatsächlich ein, ihn noch irgendwo an das andere Ende des Raumes verbannen zu können? Alessios Blick wurde noch eine Spur kühler. "Und wenn ich nackt neben ihm liegen und ihn in seinem Zustand rannehmen würde wie die Hengste des Königs ihre Stuten, selbst dann stünde es euch nicht zu, mir zu sagen, wohin ich mich zu begeben habe", stellte er klar. "Ich werde nirgendwo hingehen und mich in meinem Haus dort aufhalten, wo ich mich aufhalten will. Ich werde meine Wunden mit Wasser auswaschen, um Narben davon zu tragen, bevor ich sie mit Salben behandle, so wie ich es schon immer getan habe noch bevor IHR hier aufgekreuzt seid. Ich bin nicht euer Patient, er ist es." Alessio deutete aufs Bett und Kieran hatte ohnehin schon nicht damit gerechnet, dass Alessio ging. Der zog sich ein frisches Hemd an und wusch sich die Hände, ehe er das Haar zurückband und sich dann auf die Gegenüberliegende Bettkante setzte und Fins Gesicht musterte. Er trug schon den hellen Verband um den Kopf, der bei dem Auge sicher nötig war. Die anderen Blessuren waren nun mal entstanden als Fin mit Ralphs Wut Bekanntschaft gemacht hatte. Das schien auch Kieran festzustellen und konnte sich einen passenden Kommentar nicht verkneifen. Ja, Finley sah wirklich vergewaltigt aus. Vielleicht hatte Ralph das sogar auch noch getan, auch wenn Amadeo nichts davon erwähnt hatte. Fin stöhnte gequält als er aufgerichtet wurde und Kieran den Verband anlegte, wurde erst wieder ruhiger als er wieder lag. Amadeo nahm Kieran das Kräutersäckchen ab, doch er rührte sich nicht. Alessios Blick hinderte ihn daran, einfach zu tun was Kieran sagte, und so blieb er einfach stehen. Fin bekam das Zeug eingeflößt und schluckte es, anscheinend froh sich nicht weiter bewegen zu müssen.
 

Kieran

"Warum müssen Männer wie ihr immer nur mit ihrem Schwanz denken. Ihr glaubt, nur weil Ihr einen Namen und ein Amt habt, etwas Besseres zu sein. Ihr seid erbärmlich. Und Ihr widert mich an!" - Ja, das hätte Kieran gern gesagt. Das war das, was ihm auf der Zunge lag. Aber er beherrschte sich. Er hielt dem Blick des anderen mit gelassener Ruhe stand, ein nachsichtiges Lächeln lag auf seinen Lippen, während er die Augenbrauen hob und sich nur zu gerne seinem Patienten zuwendete. Er hatte definitiv ein Problem mit solchen arroganten Ärschen, ein gewaltiges. Aber er wollte auch seinen Kopf behalten, also schluckte er lieber und hoffte, diesem Mann in Zukunft nie wieder begegnen zu müssen.

Doch in ihm brodelte es. Er war hier um Hilfe gebeten worden. Er hatte gute Lust, einfach seine Tasche zu nehmen und zu gehen. Und beinahe hätte er es auch gemacht, wenn da nicht dieser völlig zerschundene Körper lag, der dringend seine ärztliche Hilfe brauchte. Also hieß es zu vergessen, was für ein Arschloch sich da mit ans Bett setzte. Er tat das für den Jungen - und weil Dominico ihn gebeten hatte, für sonst niemanden.

Als er Amadeo die Lindenblüten gab, und dieser sich nicht rührte, blickte er einen Moment verwundert auf, folgte dann dem Blick des anderen zu, Kardinal. Lächelnd schüttelte er den Kopf und versorgte Finley weiter. Er war davon ausgegangen, dass Amadeo ihn unterstützen sollte, seine Arbeit zu verrichten. Dass der Kardinal aus gekränkter Eitelkeit sogar das unterband war wirklich lachhaft. Würde sich der Typ auch so aufführen, wenn einer dieser Arschkriecher aus London hier wäre? Bestimmt nicht. Der Blick vor vier Tagen am Marktplatz war mehr als eindeutig gewesen. In den Augen des Kardnials war er weniger wert als der Mist an dessen Stiefel. Als er mit allem fertig war, blickte er Finley wieder an. "Finley, du musst dich weiter ausruhen, ok? Alessandro Sforza ist hier, möchtest du ihn sprechen?"
 

Alessandro

Gerade als Alessio ansetzen wollte, Kieran erneut darauf hinzuweisen, wo in diesem Hause sein Platz war, öffnete sich die Tür erneut und Nico trat wieder ein. Stroh hing vereinzelt in seinem Mantel, er hatte geholfen die Pferde abzureiben und war jetzt fertig. Da es schon recht lange gedauert hatte und Amadeo nicht vor der Türe stand, war er hereingekommen und Alessio sah zu seinem Bruder hinüber, das Familienkreuz wieder um den Hals gelegt. "Und, hat er ihn zu deiner Zufriedenheit behandelt?", fragte Nico, während er den Mantel ablegte.

"Ich denke über seine Behandlungsmethoden kann man nichts sagen... wohl aber über das, was aus seinem Mund kommt. Im Ernst, Dominico… damit wolltest du mich schlagen?" Nico sagte nichts.

"Er wäre die 10 Pfund niemals wert gewesen."

"Diese Entscheidung lag bei mir, nicht bei dir. Deine 10 Pfund liegen zusammengeschlagen in einem Bett… Das kann nicht viel besser sein." Alessio zuckte die Schultern und erhob sich, um sich einen Becher Wein zu holen. "Er war die 10 Pfund wert, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er meinte, mich bestehlen zu müssen. Leider kam mir sein... guter Freund zuvor, ihn angemessen zu bestrafen." Dann wandte er sich noch einmal Kieran zu. "Also Mr. Carney, ich habe wohl zu danken für die Behandlung, die ihr diesem kleinen Rebellen habt zukommen lassen. Und ihr habt ganz recht, wenn ihr sagt, dass er aussähe wie eine Frau, die ihren Mann angeblich betrogen hat. Aber das kann nun mal passieren, wenn man sich in das Bett eines Sforza legt."

"Lasst uns gehen...", wandte sich Nico leise an Kieran, seinen Bruder ignorierend. Er selbst war mit Kierans unverblümter Art zu Anfang ebenso nicht zurechtgekommen, doch er hatte gehofft, dass Kieran bei seinem Bruder ein bisschen mehr Anstand walten ließ. Naja, Hauptsache Fin ging es besser.
 

Finley

Es dauerte etwas, bis er sich sicher war, dass er seine Stimme gebrauchen konnte, als er bemüht laut krächzte: "Danke." Und dann noch: "Wo bin ich?"

Doch die zweite Frage hätte er sich anhand der der nächsten Worte Kierans und vor allen der nächsten Geschehnisse, ruhig sparen können. Tatsächlich blieb ihm für einen Moment die Luft weg.

"Alessandro Sforza?!" echote er leise und heiser und riss vor Schreck die Augen auf - bzw. das Auge. Um Himmels Willen, natürlich wollte er nicht mit dem Mann sprechen! Wieso zur Hölle war dieser Kerl denn bei ihm?! Doch es wurde nur noch schlimmer. Bevor Finley irgendetwas tun oder sagen konnte, öffnete sich die Tür und ein weiterer Mann trat ein. Finley erkannte seine Stimme nicht gleich, doch es musste der Bruder des Kardinals sein! Der Rebell schloss die Augen als er Alessandro höchst selbst antworten hörte. Übelkeit drang durch seine Kehle. Der Mann war die ganze Zeit schon hier gewesen!? Und so wie es sich anhörte, war er gar nicht mal so weit weg. Die zunächst unterdrückte Panik wallte erneut in ihm hoch. Diesmal allerdings doppelt so heftig. Warum hatte Alessandro ihn eingesammelt und wie? Entweder, er hatte Ralph auch gefangen genommen oder dieser hatte entkommen können. Er hoffte auf das Zweite, doch eine Flucht war in Finleys Zustand ohnehin schlecht möglich. Aber wieso ließ der Kardinal ihn verarzten? Ein Gedanke schoss Finley durch den Kopf, als Alessandro das Wort 'Rebell' aussprach. Natürlich! Wie konnte er nur so blöd gewesen sein! Er und Glück? Das war ja lachhaft! Der einzige Grund, warum er hier war, war, weil er sein großes Maul nicht hatte halten können. Weil er ein Rebell war und weil sie nun wussten, dass Ralph etwas damit zu tun hatte. Und Finley war verletzt und wehrlos. Sie würden ihn aufpäppeln, bis er sprechen konnte und dann foltern, bis er ihnen alles erzählt hatte. Finley wurde abwechselnd heiß und kalt. Mit dem letzten Rest Kraft und Mut, den er aufbringen konnte, wandte er sich an die einzige Person, die freundlich zu ihm gewesen war.

"Kieran, lasst mich nicht allein!" wimmerte er, auch wenn er jetzt schon wusste, dass seine Chancen auf das Erhören seines Flehens, gleich null waren. Für einen Moment versuchte er sogar, aus dem Bett zu steigen und hinaus zu laufen, doch nachdem er sich zwei Zentimeter empor bewegt hatte, war der stechende Schmerz so groß geworden, dass er sich widerwillig wieder zurück hatte gleiten lassen. Das war‘s dann also gewesen mit den frohen Ostern.
 

Kieran

Als Dominico eintrat, atmete er erleichtert ein. Er wusste, dass er aufgrund seines Verhaltens die Situation hier nicht verbesserte. Aber er sah in keinster WEise ein, diesem Kerl in den Arsch zu kriechen, der ganz offensichtlich eine Teilschuld am Zustand von Finley trug. Alles was recht war, aber da konnte er einfach nicht.

Dennoch musste er hier erst einmal fertig werden und begann seine Sachen zusammenzupacken und seine Hände zu waschen, während er hörte, wie Alessandro sich anfing über ihn zu beschweren. Im Ernst Dominico.. damit wolltest du mich schlagen? Er stutzte kurz und blickte kurz verwirrt. Wie meinte der Kardinal das?

Er wäre die 10 Pfund niemals wert gewesen. Dass sie über ihn redeten, war mehr als klar, aber was sie da redeten, ließ ihn nun doch aufblicken und Dominico ansehen. Also war er doch nur ein Stück Vieh gewesen, auf dem Marktplatz? Diese Entscheidung lag bei mir, nicht bei dir. Deine 10 Pfund liegen zusammengeschlagen in einem Bett.. das kann nicht viel besser sein. Und ganz offensichtlich ging es um eine Wette. Wer wen wohl schneller oder überhaupt rumbekam? Finley war der, den der KArdinal sich "ausgesucht" hatte? So ging man hier mit Menschen um? Er war die 10 Pfund wert bis zu dem Zeitpunkt an dem er meinte mich bestehlen zu müssen. Leider kam mir sein.. guter Freund zuvor ihn angemessen zu bestrafen. Also hatte ihn zumindest nicht der Kardinal selbst so zugerichtet. War dieser dann von eben jenem "guten Freund angegriffen worden? War diese "gute Freund" der Partner von Finley? Kieran war gerade dabei seine Tasche zu schließen und sie zur Seite zu stellen, als sich Alessio wieder an ihn wandte. Er richtete sich auf und sah dem Mann ins Gesicht. Also Mr. Carney, ich habe wohl zu danken für die Behandlung die ihr diesem kleinen Rebellen habt zukommen lassen. Und ihr habt ganz recht wenn ihr sagt das er aussähe wie eine Frau, die ihren Mann angeblich betrogen hat. Aber das kann nunmal passieren wenn man sich in das Bett eines Sforza legt.

"Ich helfe Menschen immer gerne, Eure Eminenz", sagte er mit einem zuckersüßen Lächeln auf den Lippen. "Aber ich glaube eher, dass das nicht nur mit Eurem Namen zu tun hat." Lasst uns gehen... Er blickte Dominico an und nickte, griff zus einem HEmd und zog es sich über. Das was er über dessen Avancen an jenem Abend gehört hatte, hatte er erst einmal zurückgestellt. Er wusste nicht so genau, ob er nun wirklich sauer sein sollte oder nicht. Im Moment tobte alles in ihm, wegen dieses Scheusals, das sich Kardinal nannte.

Er wendete sich zur Tür, als er ein Kieran, lasst mich nicht allein! hörte. Und das schlug ein, wie ein Faustschlag in seinen Magen. Hörte er da pure Angst? Hörte er da Verzweiflung. Er schluckte. Würde der Kardinal nun beenden, was der andere angefangen hatte? Würde er ihn tatsächlich schinden? Aber wieso dann die Mühe machen, ihn erst wieder zu flicken? Kieran schloss die Augen, dann drehte er sich noch einmal um. "Ich komme später noch einmal nach euch sehen, Finley!", versicherte er dem Mann und bemühte sich, seine Emotionen zu verbergen. "Und kocht ihm diesen verdammten Tee, in Gottes Namen. Sonst hat er bald ein Fieber, das ihn doch noch verrecken lässt." Letzteres war dann wohl eher für den Kardinal und Amadeo bestimmt, als für Finley, aber er sah Alessandro lieber nicht an. Er wusste nicht, ob er dann an sich halten könnte. Eilig verließ er das Zimmer.

Ostern in Cambridge - das Du

Kieran

Draußen tat die kühle Luft gut. Er atmete tief ein und aus und bemühte sich, wieder runter zu kommen. Seine Zähne knirschten, als sich sein Kiefer in Wut schloss. Aber die Situation war vorbei. Er hatte getan, was er tun sollte und so gut, dass er eigentlich zufrieden mit sich war.

Nun gab es eine andere Baustelle, um die er sich nun kümmern musste: Dominico und diese unsägliche Wette.

Er war dem anderen einfach hinterher gegangen, ohne zu schauen, wo jener mit ihm hinwollte. Er wusste, dass er sich seinem Bruder gegenüber nicht so verhalten hatte, wie es sich gehörte. Aber wie konnte er jemandem Respekt erweisen, der ihm keinen erwies? "Ich finde 10 Pfund keinen schlechten Preis. Da hätte ich für mein Leben ausgesorgt....", meinte er dann überlegend. Doch dann wurde er ernst. "Geht ihr immer so mit Menschen um?" Er schloss einen Moment die Augen. Nein, eigentlich wollte er nicht streiten. "Entschuldigt", sagte er dann und blieb stehen. "Ich... Soll ich gehen?"
 

Dominico

Sein Bruder zeigte sich von seiner besten Seite, das merkte Nico bereits, als er ins Zimmer trat. Doch er war mittlerweile zu alt, um sich daran aufzuhängen. Das, was Alessio so widerlich machte, war die Sorge um Finley. Nico sah es in Alessandros Augen und sah es in seiner Körperhaltung. Wie er mit Kieran umsprang lag an seiner Unsicherheit gegenüber dem Arzt, den er nicht kannte - und im Endeffekt steckte noch der Mord in seinen Knochen, den er unverhofft begangen hatte. Nico konnte es kaum noch schockieren einen Mann über einem Schwert zusammensacken zu sehen, und sicher war das Blut des Rebellen den er getötet hatte nicht das erste, das an den Händen seines Bruders klebte, doch es war zweifelsohne der erste Engländer, den er in einer Gasse ermordet hatte. Nico wusste nur zu gut, was seinen Bruder umtrieb, deswegen gab er nichts mehr zurück auf die Kommentare, die Alessio ihm um die Ohren peitschte. Stattdessen zuckte er nur mit den Schultern, als Kieran zu ihm trat und der leise Hilfeschrei vom Bett sie alle drei herumfahren ließ. Nico konnte nur den Kopf schütteln und trat aus der Tür, Kieran schien zu zögern. Kein Wunder, er traute Alessio nicht über den Weg. Der hatte die Arme vor der Brust verschränkt und starrte Fin auf dem Bett an, mit einer Mischung aus Verwunderung und unverhohlener Wut. Aber Alessio würde Fin nichts antun, nicht heute. Am ehesten wahrscheinlich gar nicht, aber wer seinen Bruder nicht kannte, der konnte das nicht aus seinem Gesicht lesen. Und dann war da noch die Wette, die Alessio natürlich hatte ansprechen müssen. Im ersten Moment glaubte er, dass Kieran nicht recht verstanden hatte, was gesprochen worden war. Doch als er hinaustrat, sah er durchaus so aus, als wisse er worum es gegangen war. Alessio hatte etwas wegen des Tees nachsetzen wollen, doch Nicos schnelle Handbewegung hatte ihn davon abgehalten und die Tür fiel hinter ihnen zu. Der lange, hohe und nur mit wenig Licht ausgeleuchtete Gang war ruhig und Nico setzte sich einfach in Bewegung. Vielleicht tat es Kieran gut, noch einmal nach Niamh zu sehen. Er nahm an, dass sich Kieran vom Wohlbefinden seiner geliebten Stute gern versichern wollte, und so traten sie kurz darauf in die kühle Nacht hinaus. Im Stall war es noch hell, doch es waren nur noch zwei junge Stallburschen für die Nachtwache da. Die Pferde standen schnaubend in der Box, knabberten am Hafer und an ein wenig frischem Gras, das sie bekommen hatten. Decken aus Filz dampften auf ihren Körpern, weil sie noch immer abschwitzten von dem harten Ritt. Auf einen Wink von Nico hin ließen die Stallburschen sie allein. Noch hatte er nichts gesagt, doch er rechnete auch mit wesentlich mehr Wut aus Kierans Mund, die wundersamer Weise nicht kam. "Mit 10 Pfund könntet Ihr wohl alles sein, was Ihr wolltet... außer vielleicht König. Aber ich glaube, das würdet Ihr nicht einmal sein wollen." Er strich Niamh über die Nüstern und lehnte sich dann an ihre Boxentür, ehe er sich Kieran wieder zuwandte. "Nichts kommt von ungefähr, Mr. Carney." Es war behindert sich so zu nennen, doch Nico beschloss vorerst beim "Ihr" zu bleiben. "Man wacht nicht eines Tages auf und wird als Kardinal mit goldenen Windeln geboren. Man ist nicht auf einmal Berater seiner Majestät. Man errichtet eine Mauer aus Selbstgefälligkeit und Arroganz, weil man sie braucht, um gegen die anderen zu bestehen. Und was könnten wir sonst mehr sein? Wir sind in diese Welt hineingeboren worden als die Söhne einer wohlhabenden Familie. Und wohlhabende Familien bringen ihren Kindern nun mal bei, genauso zu sein. Für noch mehr Reichtum, Ansehen und Macht. Man sucht sich das nicht aus, das könnt ihr mir glauben. Aber ich glaube es wäre gelogen zu sagen, man gewöhne sich nicht an gewisse Standards." Er schien kurz nachzudenken und musterte die Stute, die zufrieden kaute und sich entspannte. "Wir gehen nicht immer so mit Menschen um. Ich glaube... Ihr seht da gerade nur eine Seite der Medaille. Mein Bruder hat diesen jungen Mann genauso wenig gezwungen mit ihm zu gehen, wie ich Euch habe zwingen können. Ja, ich war beleidigt und Ihr wisst das." Er schmunzelte. "Es hat Euch vielleicht sogar gefallen. Aber ich war trotzdem aufrichtig und hätte sicher auch eure Talente und eure Kunst der Schaustellerei unterstützt, ohne mit euch ins Bett zu springen. Vielleicht hätte ich euch von dieser Wette erzählt und mit euch gemeinsam einen Plan ausgeheckt, sie zu gewinnen, ohne den Einsatz zu bringen. Aber Finley..." Nico schüttelte leicht den Kopf. "Ich war hier, ich habe sie beide gesehen. Alessio hat mit ihm gespeist und ich kam dazu. So wie er eben euch sagte, ihr wäret die 10 Pfund nicht wert, so habe ich Finley gewarnt. Wisst ihr was er getan hat? Er hat sich ausgezogen und meinen Bruder ins Bad geschleift. Ich wusste damals nicht, was er sich davon versprochen hat, aber er war freiwillig hier. Und als er ging, ebenfalls freiwillig - hat er meinen Bruder bestohlen. Sicher habt Ihr recht, wenn Ihr sagt, dass man von uns leichter stehlen kann als von Menschen, die nicht so viel Geld haben, aber macht es das deswegen gerechter? Naja, weil mein Bruder das Diebesgut zurückwollte, hat er den jungen Mann gestellt und dabei wohl aufgedeckt, was der getrieben hat. Anscheinend wusste sein Freund, Mentor oder... was auch immer er war, nichts von alldem. Soweit die Geschichte. Vielleicht habt ihr jetzt einen anderen Blick darauf."

Er ging ein Stück weiter und nahm eine der Winterkarotten, um sie Niamh in die Krippe zu legen. "Und nein, wenn Ihr nicht gehen wollt, dann müsst Ihr nicht gehen. Wenn Ihr gehen wollt, leihe ich Euch gern ein Pferd. Eure Stute sollte sich für heute ausruhen dürfen. Ich hätte Euch einen heißen Zuber anzubieten, wenn ihr wollt. Oder doch ein Glas Wein? Oder hat Euch alles, was ihr hier erfahren habt, nun doch davon überzeugt, dass ich ein wildes Tier bin?" Er meinte es im Scherz, doch etwas in seinen Augen zeigte, dass es ihm auch ein Stück weit ernst damit war.
 

Kieran

Dass sie in Richtung Stall gegangen waren, hatte ihn vermuten lassen, dass der andere wollte, dass er ging. Vor der Boxentür von NIamh blieb der andere stehen und Kieran trat ebenfalls an die Box heran, um zu sehen, dass es der Stute gut ging. Sie war einiges gewohnt, aber eine so große Distanz in der Geschwindigkeit kam eher selten vor. Dennoch hatte sie prima mithalten können und Kieran war stolz auf sein Mädchen. Diese begrüßte ihn mit einem Blubbern und kam zu ihnen an die Boxentür. Kieran strick ihr über die Stirn und kraulte sie kurz, bevor sie sich Dominico zuwandte, in der Hoffnung, etwas von ihm zu bekommen, wenn schon ihr Besitzer nur eine Streicheleinheit parat hatte. Ihr Anblick beruhigte ihn ein wenig. Es erinnerte ihn an einen Mann, der auch einen hohen Stand gehabt hatte, aber bei Weitem kein so großes... Nun, er sollte sich nicht mehr aufregen.

Als Dominico zu sprechen begann, drehte er sich leicht zu diesem, sah ihn an und hörte ihm zu, während er ihm mal wieder einen Einblick in das höfische Leben bzw. das Leben in der Wohlstandsklasse gab. Und das, was der andere da sagte, klang durchaus nachvollziehbar. Natürlich hatten diese Menschen kein einfaches Leben und viele Neider und und und, aber dennoch.. Alessandros Verhalten war wirklich heftig für ihn gewesen.

Als er dann auf die Wette zu sprechen kam, verschränkte er unbewusst die Arme vor der Brust. Er wusste nicht so recht, ob er deswegen wirklich sauer sein musste. Schließlich war er eben nicht mitgegangen und hat sich ins Bett ziehen lassen. Er war froh, dass er auf sein Gefühl vertraut hatte. Aber sollte er darauf stolz sein?

Und er glaubte Dominico, dass er ihn zu nichts gezwungen hätte. Das wusste er mittlerweile. Er war ja auch jetzt vollkommen freiwillig hier und hatte eigentlich gehofft, sich einen schönen Abend mit dem anderen Mann machen zu können. Es schien zwar nicht so, dass er ihn wirklich wieder nach Hause schicken würde, aber noch hatte ihm Dominico dahingehend nicht geantwortet. Und hatte es ihm gefallen, dass Dominico beleidigt gewesen war? Er wusste es nicht so recht. Er hatte sich so in seine Abwehrhaltung verrannt, dass er da keine Augen mehr dafür offen hatte.

Als Dominico erzählte, was an diesem Abend Finley getan hatte, warf das natürlich wirklich ein ganz anderes Bild auf die Situation. Finley hatte sich also bewusst kaufen lassen, obwohl er gewusst hatte, dass das alles nur eine Wette gewesen war. Und wieso? kleiner Rebell - das waren die Worte, die Alessandro verwendet hatte. Und langsam klingelte es bei ihm. Finley hatte allen Ernstes versucht über Sex an Informationen und etwa Geld zu kommen. Wow. Das war auch heftig. Machten die Rebellen das so?

Kieran wusste von ihnen, es war nichts Neues, dass langsam aber sicher eine neue Zeit einbrach. Die Kirche begann zu schwanken, Luther mischte alle auf. Das Bürgertum erhielt immer mehr Macht und die kleinen Leute witterten ihre Chance, etwas verändern zu können. Doch man sah auch nicht selten einige von diesen am Galgen baumeln. Henry war da ziemlich rigoros, natürlich.

Als Dominico seine Ausführungen zu Finley Geschichte beendet hatte, hing Kieran noch eine Weile seinen Gedanken dazu nach. Langsam ergab sich ein klareres Bild und die Situation eben in dem Zimmer bekam noch einen neuen Aspekt - Schulgefühle. Ob der Kardinal wirklich Schuldgefühle hatte? Hatte er ihn deswegen auf Biegen und Brechen "beißen" wollen, weil er sich Sorgen machte und seinen Frust an ihm abgeladen hat? Kaum vorstellbar, aber eine Möglichkeit. Zumindest wusste Kieran jetzt, dass er dem blonden Mann nichts tun würde. Hätte er ihn sterben lassen wollen, hätte er ihn einfach liegen gelassen. Aber wie ging es weiter? Nun, vielleicht würde er den Fortgang der Geschichte irgendwie mitbekommen. Es war spannend. Während er noch seinen Gedanken nachgegangen war, bekam er nur am Rande mit, dass der andere ihn nicht wegschickte, sondern ihm die Wahl überließ, was er machen wolle. Doch der letzte Satz riss ihn nun endgültig aus seinen Gedanken. Er musste unwillkürlich grinsen.

"Ich verstehe die Situation jetzt besser", begann er schließlich. "Aber ich weiß noch nicht so genau, wie ich dazu jetzt wirklich stehe. Ich verstehe Euch und Euren Bruder, ich... Keine Ahnung. Ich bin gerade etwas überfordert mit dem Ganzen. Diese Spielchen und diese heftigen Emotionen ständig. Ich bin das nicht gewohnt." Er lächelte entschuldigend. Er strich sich die Haare aus der Stirn. "Auf das Glas Wein freue ich mich schon den ganzen Tag", sagte er nun entschlossen. "Ein heißes Bad klingt auch nicht schlecht." Er nickte, dann sah er den anderen ruhig an. "Und dann hätte ich gerne einen Vorgeschmack auf das wilde Tier. Ich mag Tiere, auch sehr gerne wilde. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Kuss? Dann bekomm ich hoffentlich den Kopf frei von Wetteinsätzen, Rebellentaten und gestohlenem Kardinaleigentum. Und vielleicht darf ich Euch dann endlich mit Eurem eigentlich so schönen Vornamen ansprechen, weil diese höflichen Floskeln mich langsam nerven." So, das musste mal gesagt werden. Herausfordernd und fragend blickte er den anderen an. War er jetzt schon wieder zu weit gegangen? Er würde es gleich sehen.
 

Dominico

Zumindest hörte Kieran zu, ein gutes Zeichen wie Nico fand. Damit schien für ihn erwiesen, dass Kieran nicht schon mit ihnen abgeschlossen hatte und sie einfach in die Ecke "widerliches Adeligenpack" steckte. Nein, er schien viel mehr langsam zu begreifen, dass alles was sie hier taten, jeder Schritt, jedes Gespräch und jede Tat ausgelegt werden konnte, in die ein oder andere Richtung. Dass Nico keinen Schritt ging, ohne dass andere beobachteten, was er tat. Und dass Nico immer einen Schritt voraus sein musste, dass er weiter und umfassender denken musste, wenn er überleben wollte. Nur deswegen hatte er Alessio keinen Vorwurf gemacht. Ja die Sache war widerlich und es gehörte sich nicht Menschen zu kaufen, oder zumindest den Versuch zu starten, doch Finleys Reaktion darauf war wohl mindestens ebenso inkorrekt wie Alessios unmoralisches Angebot. Aber anscheinend schien Kieran nun auch einzusehen, dass Nico bei all den Gedanken, die ihn vielleicht verleitet hatten Kieran anzusprechen, nicht soweit gegangen wäre, ihn zu zwingen, auch wenn er gekonnt hätte. Er hätte sich den Sex bescheinigen lassen können, als Kieran im Kerker gesessen hatte, doch er hatte ihn rausgeholt, ohne Sex zu verlangen. Er verlangte ihn nicht einmal jetzt und hatte das Thema eigentlich schon abgehakt, da er annahm, dass Kieran nach dieser Offenbarung doch vielleicht lieber bei seiner Familie schlief.

Ob es nun Finley war, der ihn hier hielt, oder ob es wirklich das Interesse am weiteren Verlauf des Abends war, konnte Nico zu Beginn von Kierans Antwort noch nicht sagen. "Ihr versteht mich, so.." Er dehnte das so und grinste ebenfalls. Er konnte sich lebhaft vorstellen, wie das Leben am Hof oder generell in seinen Kreisen auf Leute wirken musste, die einfach den Tag lebten, der von ihrer Arbeit bestimmt wurde. Man sagte auch am Hofe immer, dass man dort ja "arbeite", aber im Grunde hatte Kieran schon gesehen, wie diese Arbeit von statten ging. Man spielte Tennis oder ging mit Henry auf die Jagd und besprach dabei Dinge, die relevant für England waren. Wirklich wichtige Arbeit erledigten Archivare und Juristen, Schreiber und jeder der im Palast sonst Dienst tat. Die anderen Menschen diktierten nur und lasen schlaue Bücher. Nico arbeitete ja auch nur in diesem Sinne, dass er trainierte, um körperlich fit zu bleiben.

Dass er anscheinend seine Abendplanung doch nicht streichen musste, wurde ihm klar, als Kieran endete. Dominicos rechte Augenbraue rutschte in die Höhe. "Was..?", hakte er grinsend nach. "Du" er betonte das Wort beinahe spöttisch "willst mich Dominico nennen? Hmn.." Er gab vor, darüber ernsthaft nachdenken zu müssen. "Ich glaube damit bin ich einverstanden… Aber nur aus einem einzigen Grund: Solltest du mich mit Mylord Sforza anreden, könnte ich denken, mein Bruder sei gemeint. Und es gibt Situationen, in denen ich wirklich ungern an meinen Bruder denke." Nico kam langsam auf Kieran zu, der noch immer neben Niamhs Box stand, während Nico selbst auf der Seite ihrer Krippe gestanden hatte. "Du willst also Wein, einen heißen Zuber UND einen Kuss? So langsam glaube ich doch, dir steigt etwas zu Kopf..." Er stand inzwischen vor Kieran und hatte sein Kinn sanft mit den Fingern der linken Hand umfasst, so dass er Kieran dazu bringen konnte, ein wenig mehr zu ihm aufzusehen, auch wenn der das ohnehin schon getan hatte. "Aber ich glaube nach all dem, was du heute schon geleistet hast, hast du dir das mehr als verdient..." Natürlich hatte sich Kieran diesen Kuss verdient. Er selbst hatte ihn letztlich nicht verdient, dafür aber hatte Nico ihn sich herbeigewünscht. Langsam senkte er den Kopf und legte seine Lippen sanft und leicht wie eine Feder auf Kierans. Ja, er hätte ihn auch gegen die Boxenwand stoßen und ihm die Zunge in den Hals stecken können, doch wozu?

Von dem harten Ritt durch die Nacht schmeckten Kierans Lippen salzig von einem leichten Schweißfilm. Seine Lippen waren weich, voll und herrlich zu küssen. Ihre Körper berührten sich nicht, nur ihre Lippen verbanden sie für diesen ersten zarten vorsichtigen Kuss, den Nico ihm aufdrückte ehe er sich wieder löste und mit dem Daumen über Kierans Lippen strich. "Dir ist das also wirklich ernst...", flüsterte er mehr, als dass er es sagte. "Du wirst das Tier noch früh genug kennen lernen... komm mit." Und damit führte er Kieran wieder ins Haus zurück, in das Bad, in dem nicht allzu lange her schon Alessio und Fin gelegen hatten. Natürlich war das heiße Wasser frisch. Nico hatte das Bad bereits einfüllen lassen, als er noch nicht wusste, ob er zu zweit oder allein hineinsteigen würde - jetzt passte es perfekt. Und eine Karaffe gekühlten Würzweines stand auch schon bereit.
 

Kieran

"Nun ja, zumindest bekomme ich durch eure ehrlichen Schilderungen einen Einblick in Eure Welt und was es wohl heißt, einen Namen wie den Euren zu tragen..." Nun, vielleicht verstand er die Brüder nur bedingt, aber er konnte in etwa ahnen, was es bedeutete, in dieser Welt der Adeligen bestehen zu wollen. Und er verstand, dass es keine Entscheidung war, die man einfach treffen konnte, ob man in dieser Welt bestehen wollte oder nicht. Fast könnte man jetzt sogar über die Art und Weise lachen, wie Alessandro versucht hatte, ihm zu zeigen, dass er weit über ihm stand. Als ob er daran etwas ändern würde... Aber das konnte ja der Kardinal nicht wissen. Der musste sich nur davor hüten, dass die falschen Dinge an die falschen Ohren kamen. Und woher sollte er wissen, ob Kieran nicht auch ein Rebell war? Alessandro kannte ihn nicht. Kein Wunder also, dass er den Obermacker ausgepackt hatte.

Die Reaktion des anderen auf seinen etwas forschen Wunsch hin, den anderen endlich duzen zu dürfen, ließ sein Lächeln zu einem Grinsen werden. Mittlerweile kannte er den anderen zumindest so weit, dass er an der Stimme und den Augen lesen konnte, wie ernst er es meinte, auch wenn das Pokerface, das der andere perfekt beherrschte, etwas ganz Anderes sagte. Aber dieses kam jetzt sogar gar nicht wirklich zum Einsatz. Dominico griff ihr Spiel vom Nachmittag auf, aber das Grinsen, der spöttische Unterton und das gespielte Nachdenken, sprachen Bände. Kieran bemühte sich, das Grinsen zu unterdrücken, und ernst zu bleiben, was ihn wirklich forderte. Doch als der andere erklärte, weshalb er damit einverstanden war, dass Kieran ihn mit seinem Vornamen ansprach, musste er doch wieder grinsen. Ja, das konnte er sich vorstellen. "Seid gewiss, dass ich in solcherlei Situationen wohl als aller Letztes an Euren Bruder denken würde."

Während der andere auf ihn zutrat, blickte er ihn an. Dominico war schön, anmutig, begehrenswert… Er wirkte ein wenig wie eine Raubkatze, die sich an seine Beute anschlich. Kieran hob herausfordernd das Kinn und versuchte erneut, ernsthaft zu bleiben. Er blickte den anderen ruhig an. Die Berührung des anderen, der sacht seinen Kopf weiter hob, fühlte sich gut an, irgendwie zärtlich. "Das denke ich auch", murmelte er leise. Seine Augen hingen in den grünen des anderen, als dieser ihm nun den gewünschten Kuss gab. Kieran war überrascht, wie sanft dieser war, und er schloss unwillkürlich die Augen, das Gefühl genießend, das sich in ihm ausbreitete. Es war heftig, wie der ganze Körper reagierte, wegen dieses sanften, fast unschuldigen Kusses. Er war wirklich ausgehungert.

Als sich Dominico wieder löste, blickte er den anderen an, spürte die Finger, die übers eine Lippen strichen. Die Stimme des anderen, jagte ihm einen Schauer über den Rücken. "Reiner Egoismus", wisperte er. "Ich habe mich den ganzen Tag nicht nur auf den Wein gefreut."

Ostern in Cambridge - Erkenntnisse 1

Alessandro

Die Tür fiel hinter Nico und dem Arzt ins Schloss und der Kardinal brauchte einige Sekunden bis er sich wieder gefangen hatte. So eine gottverdammte Unverschämtheit! Was dachte sich dieser Emporkömmling überhaupt? PAH! Und Finley... Alessio verengte die Augen zu Schlitzen, als er zu dem wimmernden Etwas auf dem Bett hinübersah. Dann nickte er Amadeo zu und der Mann ging, um den Tee zu kochen der verhindern sollte, dass Fin noch am Fieber einging. Als die Tür sich abermals schloss, war Alessandro Sforza mit Finley allein im Zimmer. Der junge Mann war noch immer nackt, nur leicht bedeckt von dem Leintuch. Er hatte beinahe überall Verbände und Blessuren und war sicher nicht in der Stimmung jetzt noch mal abzuhauen. Vor allem mit der gebrochenen Rippe würde er nicht weit kommen. Alessio ging langsam um das Bett herum, auf die Seite auf die vorher Kieran gesessen hatte und er setzte sich hin. So, dass Fin ihn mit seinem gesunden Auge sehr gut sehen konnte. "Was glaubst du eigentlich wer du bist?" Seine Stimme war gefährlich leise. "Ich habe dir nichts als Großzügigkeit erwiesen. Ich habe dich eingeladen mein Gast zu sein. Du hättest nichts von dem tun MÜSSEN, was du getan hast, und doch hast du dich in mein Bett gelegt und die Beine breit gemacht. Für Informationen also, Informationen für was? Eine Rebellion? Der Tod von Anne Boleyn? Oder einfach nur ein bisschen Tratsch für eine ausreichende Erpressung und ein bisschen Geld? Du willst sicher wissen, was passiert ist, oder?" Alessio lehnte sich zurück an einen der Bettpfosten. "Als ich die Kirche verlassen habe ist Amadeo euch gefolgt. Er hat gesehen wie du Streit mit deinem Anführer bekommen hast. Wie er dich zusammengeschlagen hat. Er hätte dich beinahe umgebracht in seiner heillosen Wut, er wusste nicht mal mehr richtig wohin mit sich. Amadeo hat die Wache alarmiert und dich vom Boden aufgelesen, dann hat er mir Bescheid gegeben."

Er ließ seine Worte eine Weile wirken und nippte an dem Wein den er sich geholt hatte. "Ralph.." er betonte den Namen extrem "hielt es für klug sich zu betrinken. Und so voll wie der Weinkeller des Königs hat er wohl auf mich gewartet. Es war bereits dunkel als er mit einem Dolch auf mich losgegangen ist. Der Alkohol hat wohl nicht sonderlich geholfen seine Reaktionsfertigkeit zu verbessern. Er fiel unglücklicherweise in mein Schwert." So konnte man natürlich auch ausdrücken, jemanden erstochen zu haben. "Er stellt also keine unmittelbare Gefahr mehr für dich dar...", schloss der Kardinal leise, sein Tonfall ließ jedoch nicht darauf schließen, ob Finley das beruhigen sollte oder nicht.

"Du kannst dich ohnehin darauf einstellen eine ganze Weile hier zu bleiben. Ich habe nicht vor dir etwas zu tun, nicht wenn es nicht notwendig ist aber…" Er runzelte die Stirn. "Ich kann in meiner Position kaum zulassen, dass Rebellen sich versammeln in einer Stadt in der der König residiert. Ich werde mich um dieses Problem also kümmern müssen. Und keine Sorge, ich brauche dafür keinerlei Informationen von dir." Das Gerücht allein, dass Finley geplaudert hatte, würde wankelmütige Rebellen die Angst vor der Folter oder dem Galgen hatten ohnehin auf den Plan rufen. Und die würden Alessio schon dahin bringen wo er hin wollte…
 

Finley

Für einen Moment dachte Finley, Alessandro würde ihm nun den Hals umdrehen. Natürlich war es blamabel für den Kardinal gewesen, dass Finley gerade Kieran, den Alessandro scheinbar nicht ausstehen konnte, um Hilfe gebeten hatte. Er unterstellte dem Kardinal damit schließlich nichts Anderes, als auf ihn los zu gehen, sobald sie alleine wären. Doch es geschah nichts dergleichen. Mit seinem freien Auge folgte Finley dem Mann, der sich auf Kierans Platz setzte und zu reden begann. Zunächst klang er sehr wütend. Es war diese Herablassung, die Arroganz, die er bei seinem Gegenüber schon kannte. Doch, er hatte das Gefühl, dass dort noch etwas Anderes in seiner Stimme mitschwang. Versteckt zwischen Worten voller Überlegenheit und Hohn, schien er dennoch eine Spur verletzt zu sein. Warum genau, konnte Finley allerdings nicht sagen.

Auch wusste Finley nicht, was er zu den Worten des Kardinals sagen sollte. Ja, er hatte die Beine für Geld und Informationen breit gemacht. Aber dies hatte er nicht von Anfang an vor gehabt. Nicht, als der so interessierte Kardinal ihn angesprochen hatte. Und auch nicht, als er das wundervolle Anwesen der Sforza gesehen hatte. Finley hatte schon mit vielen Männern geschlafen, um ein Bett für die Nacht zu erhalten. Doch zu diesen Zeiten war es für ihn wie die einzige, ihm verbleibende Möglichkeit erschienen. Mit Alessandro war dies anders gewesen. Warum konnte er nicht sagen. Vielleicht hatte er das Gefühl gehabt, diesem Mann ähnlicher zu sein, als er es für möglich gehalten hätte. Und er war nicht geblieben, um den Morgen für Informationen abzuwarten. Er wusste mit einem Mal selbst nicht mehr, was ihn dazu veranlasst hatte, doch der Kardinal schien ohnehin keine Antwort abzuwarten, sondern bot ihm sogar an, ihn über die Geschehnisse aufzuklären. Begierig blickte Finley zu Alessandro und zuckte zusammen, als dieser sich zum Bettpfosten zurück lehnte. Ein Stechen zuckte durch seinen Brustkorb und er bereute es sofort. Die Ereignisse hatten ihn schreckhaft gemacht. Leider lernte man immer erst hinterher dazu, sonst würde er jetzt vielleicht nicht hier liegen. Dennoch beruhigte er sich schnell, während Alessio mit bereis ruhigerer Stimme zu berichten begann.

Okay, bis dahin klang die Geschichte glaubwürdig. Vor den Wachen hatte Ralph natürlich reiß aus genommen. Aus irgendeinem Grund hatte Finley das Bedürfnis, Ralph in Schutz zu nehmen. Er selbst hatte sich so miserabel verhalten, dass er noch immer ein schlechtes Gewissen hatte. Außerdem hatte er gewusst, dass Ralph schnell wütend wurde. Er hätte es besser machen können.

"Ralph hat es nicht so gemeint..." murmelte er in der kurz entstehenden Pause und wünschte sich, er könnte sich auch ein oder drei Gläschen Wein einverleiben, um die Schmerzen zu lindern und sein Bewusstsein zu benebeln. Zwar begann das Schmerzmittel allmählich zu wirken, doch seinen Kopf lähmte es leider nicht. Doch anscheinend ging die Geschichte noch weiter und Finleys Blick verfinsterte sich - soweit dass unter seinen Blessuren und Schwellungen erkennbar war - als er Ralphs Namen in dieser seltsamen Betonung wiederfand.

Was dann folgte, traf Finley härter, als es eine Faust gekonnt hätte - oder hatte. Ralph war tot. Tot! Und Alessandro hatte ihn umgebracht, weil Ralph wusste, dass der Kardinal Finley hatte und Finley hatte geschlafen und nichts mitbekommen und Ralph hatte sich rächen wollen und Alessandro hatte ihn erstochen und... Alles in und um ihn herum begann sich zu drehen. Ralph würde ihn nie wieder schlagen, doch welche Rolle spielte das, wenn er nie wieder nach Hause konnte? Wenn die Rebellen erst herausfanden, warum Ralph gestorben war, würden sie ihn sicher vor die Tür prügeln. Und selbst, wenn nicht, Finley würde ihnen nicht mehr in die Augen sehen können. Vor allem nicht Clara, dessen Schwester. Es war alles seine Schuld. Alles sein verfluchter Fehler. Weil er mal wieder seinen Kindskopf hatte durchsetzen müssen. Egal, was er tat, er stürzte immer alle ins Unglück. Tränen stiegen in seine Augen und mühsam hob er den Arm und legte seine Hand auf sein freies Auge, damit Alessandro es nicht sehen konnte. Es war idiotisch, doch er konnte es nicht ertragen, vor ihm so schwach zu sein, da er ohnehin schon so ein erbärmlicher Anblick war. Mühsam versuchte er seine Atmung zu kontrollieren, doch sie begann immer heftiger zu werden und zu zittern. Er wollte nicht zurück in das Leben, welches er vor den Rebellen gehabt hatte. Zurück in die Ungewissheit. In fremde, schmutzige Betten. Was sollte Finley sonst tun? Er konnte nichts Anderes. Hatte nie etwas Anderes getan und nie etwas Anderes als sich selbst gehabt, um es zu verkaufen und an Geld zu kommen. Und natürlich verstand ein Mann, der in einem Palast wohnte und nie Geldsorgen gehabt hatte, so etwas nicht. Und das machte Finley wütend. Auf eine seltsame, bizarre Weise. Mit einem Mal klang es, als würde er hysterisch auflachen.

"Und... wo, soll ich eurer Meinung nach jetzt noch hingehen?" presste er hervor und zwang sich, so ruhig wie möglich zu sprechen, auch wenn seine Stimme zitterte und ihm die Tränen an der Hand vorbei rannen. "Ihr hättet mich liegen lassen sollen. Vielleicht war Ralph nicht der zärtlichste und verständnisvollste Mann, aber er hat mir ein zu Hause gegeben, etwas zu Essen und Zuneigung. Wie soll ich seinen und meinen Freunden gegenübertreten, wenn ich an seinem Tod schuld bin? Ihr wisst nicht, was für ein Leben ich vor ihm geführt habe." Finley presste Lippen und Augen zusammen, um nicht laut los zu schluchzen. Er hasste sich dafür, so ein Jammerlappen zu sein und ja, er fühlte sich befreit durch Ralphs Tod. Solange er gelebt hätte, hätte er niemals tun können, was er wollte. Doch da es nichts gab, was Finley ohne Ralphs Hilfe hätte tun können, hatte dies ohnehin weder Bedeutung noch Sinn.

Bei der Erwähnung der Rebellen, presste Finley die Lippen aufeinander. Er war schuld, dass seine Freunde nun vielleicht in Gefahr geraten würden. "Alessandro..." der Name klang so seltsam in seinem Mund. Es fühlte sich fremd an, aber auch gut. War es ihm überhaupt gestatt, ihn beim Vornamen zu nennen? Schnell fuhr er fort: "Ich glaube nicht, dass die anderen einen Aufstand planen. Es sind wirklich nicht viele. Eher eine Ansammlung von Menschen, die unzufrieden sind oder denen schlechtes wiederfahren ist. Nun, da Ralph...", Finley musste tief Luft holen, "tot ist, werden sie wohl kaum irgendetwas planen. Wonach willst du überhaupt suchen? Ich meine, es ist niemand da, dem du folgen könntest. Und wie du sagtest, willst du keine Informationen von mir und..." Finley schluckte. Redete er sich hier gerade um Kopf und Kragen? "Was willst du denn tun?" Der Rebell klang gegen seinen Willen verzweifelt. Jetzt sollte er auch noch schuld sein, dass seine Freunde bestraft wurden? Das wäre wirklich zu viel für ihn. Da konnte er sich gleich neben ihnen aufhängen.
 

Alessandro

"Du meinst wirklich sie planen nichts? Gar nichts? Nur weil Ralph tot ist? Es wird vielleicht eine Woche dauern, dann gibt es entweder einen Nachfolger, oder eure Gruppe spaltet sich und es gibt mehrere kleinere Gruppen mit eigenen Anführern. Und du sagst es genau richtig, es sind Menschen denen schlechtes widerfahren ist. Sie haben also Angst, dass es noch mal passiert. Und es sind sicher Leute da, die niemals etwas gegen die Gruppe ausplaudern würden, aber so sind eben nicht alle. Ralphs Leiche und dein Fortgang reicht um Vorsicht zu schüren, ja, doch wenn sich das Gerücht herumspricht, dass nach den Osterfeiern hier aufgeräumt wird - dass ich, Kardinal Alessandro Sforza, dich verhören habe lassen und das du gesungen hast wie ein wunderschöner Vogel, dann werden die Wankelmütigen, die Ängstlichen an meine Türe klopfen. Und sie werden mir alles sagen was ich wissen will. Sie werden mir Namen verrate, das Haus zeigen - sie werden euch verkaufen für ein bisschen Geld. So wird es sein und es gibt nichts was du daran ändern kannst. Wobei.. nein, falsch. Du könntest tatsächlich mit dem plaudern anfangen.. vielleicht erspart das die Tortur für deine Freunde." Auch wenn Alessandro nett war, er war ein guter Spieler und er war kaltblütig. Wenn man hier überleben wollte, dann brauchte es mehr als nur Geld und Glück. Leider kam Finley nicht direkt zu einer Antwort, denn an der Türe klopfte es leise. Es war Amadeo, der eintrat und tatsächlich den Sud aus den Kräutern brachte, die Kieran ihm dagelassen hatte. Mit einem Nicken gab Alessandro Amadeo zu verstehen, dass er eintreten solle. Alessandro stand auf und trat ans Fenster, blickte hinaus, während Finley den Tee trank. Als er sich umgedreht hatte, war FInley eingeschlafen. Offenbar forderte sein Körper die Ruhe, die er vermutlich wirklich brauchte.

Ostern in Cambridge - Ehrlichkeit

Kieran

Bereitwillig ließ er sich zurück zum Haus führen, wo ihn Dominico ins Bad brachte. Offensichtlich hatte Dominico so oder so ein Bad genommen, denn dieses war hergerichtet und in dem Raum war es warm und dampfig. Auch eine Karaffe Wein stand schon dabei. Kieran lächelte. Er hatte zwar schon in Holzzubern gebadet, aber nie in einem so großen und schon gar nicht mit wirklich warmem Wasser. Er hatte sonst froh sein können, wenn er relativ sauberes Wasser hatte und nicht zu viele seiner Geschwister bereits in dem Wasser gebadet hatten.

Und jetzt? Jetzt war er wieder in der Situation, sich vor einem fremden Mann auszuziehen. Aber diesmal war die Lage eine gänzlich andere. Diesmal war er wohl irgendwie darauf vorbereitet, wollte es ja auch gar nicht anders. Nur hoffentlich gab es jetzt keine seltsame Situation, in der eine peinliche Stille entstand, oder so... Sie wollten schließlich eigentlich beide doch nur dasselbe: eine schöne Nacht miteinander verbringen. Nicht mehr und nicht weniger.

Er zog sich sein Hemd über den Kopf, obwohl er es eigentlich erst wenige Minuten wieder trug. Dann trat er auf den Italiener zu. "Darf ich?", fragte er und begann dem anderen Mann das Hemd aufzuknöpfen, ohne auf die Antwort zu warten. Seine Augen folgten seinen Fingern, die die Knopfleiste langsam öffneten und die darunterliegende Brust frei legten. Auf halbem Wege hielt er inne, strich mit seinen Fingern vorsichtig über die Brust, fuhr die Kontur einer Narbe nach. "Du bist ein viel zu schöner Mann, Dominico", sprach er leise seinen Gedanken und das erste Mal den Vornamen des anderen aus, blickte kurz auf zu den grünen Augen, um dann aber wieder mit seinem Blick seinen Fingern zu folgen, die fortfuhren das Hemd zu öffnen. Dann musste er grinsen. "Es ist gar nicht so einfach, euch… dich beim Vornamen zu nennen."
 

Dominico

Bei allem was man über Kieran sagen konnte, an Mut fehlte es ihm mit Sicherheit nicht. Er war wesentlich schüchterner oder zumindest ablehnender gewesen, als Nico ihm zum ersten Mal begegnet war. Jetzt schien er es geradezu herauszufordern, in Nicos Bett zu landen. Woher dieser plötzliche Sinneswandel? Nico hoffte, dass es nicht nur von seinen Nettigkeiten herrührte, dass Kieran sich nicht nur so auf diese Art bedanken wollte. Doch wenn er ihn auch nur ein bisschen kennen gelernt hatte, dann war das wirklich die Option, die auf der Liste ganz weit unten stand. Kieran war niemand, der sich kaufen ließ oder der das Gefühl hatte, sich für irgendetwas bedanken zu müssen - immerhin hatte er um diese Hilfe nie gebeten. Und dass er in Nicos Schuld stand, war ebenfalls eine Sache, die hiermit nicht geändert würde. Nico wollte eigentlich auch nicht, dass Kieran in seiner Schuld stand, aber wenn es half, ihn ein wenig an sich zu binden, war es gar nicht schlecht. Warum Nico das so sehr wollte, wusste er nicht einmal selbst, es war mehr so eine Eingebung und ein Gefühl, dem er nachgab.

Kieran schien von dem sanften Kuss minimal überrascht, sagte aber nichts und lächelte nur. "Natürlich, reiner Egoismus. Wann bekommt man schon mal die Gelegenheit zu so einem fürstlichen Bad…" Auch Nico leistete sich das nicht immer. Aber manchmal war es eben doch sehr entspannend und vor allem sehr angenehm, so sauber danach zu sein. Hinter ihnen schloss Nico die Tür und hoffte inständig, dass Alessio nicht hier auftauchte, um was auch immer zu tun. Allerdings war das unwahrscheinlich. Rod war entweder nicht hier oder schon zu dieser späten Stunde zu Bett gegangen und Alessio hatte andere Sorgen, als sich jetzt noch in den Zuber zu setzen. Also würden sie soweit ungestört bleiben. Nico ging zum Zuber und dem kleinen Dreibein hinüber, auf dem die Karaffe und die Becher standen. Er schenkte den Wein ein und wollte gerade die Becher nehmen, als Kieran an ihn herantrat, um sein Hemd aufzuknöpfen. Nico drehte sich so, dass der Schwarzhaarige an die Knopfleiste kam, und folgte wie auch Kieran dessen Fingern mit den Augen. Dann wanderte Nicos Blick in Kierans Gesicht und seine Mundwinkel zuckten erneut nach oben, als der sich tatsächlich daran versuchte, ihn beim Vornamen zu nennen. Das Kompliment gefiel ihm natürlich und als das Hemd von seinen Schultern rutschte und zu Boden glitt, hob er die Hand, um mit den Fingern über Kierans nackten Oberkörper zu streichen. Seine Finger fuhren eine Linie von der Schulter über das Schlüsselbein hinab auf Kierans Brust, über die Kontur der Muskeln unter der Haut, hinab zu Kierans Bauchnabel und zum Bund seiner Hose. Wie auch Nico hatte er eine Hose, die einfach gebunden war und Nicos Finger konnten den Knoten leicht auch mit nur einer Hand lösen. Dennoch schob er die Hand nicht gleich hinein, ließ die Hose einfach offen und fuhr am Bund entlang über Kierans Hüfte nach hinten, um die flache Hand schließlich direkt über sein Steißbein zu legen und ihn damit näher an sich zu ziehen. "Vielleicht solltest du dann einfach schweigen...", bot er an, ehe er die zweite Hand hob, um sie in Kierans Haar zu vergraben und ihn erneut zu küssen.

Kieran meinte es wirklich ernst, also konnte er auch einen Teil seiner Scheu ablegen, und so war der Kuss der folgte ein wenig fordernder als noch der erste. Nicos Zunge stieß sanft gegen Kierans leicht geöffnete Lippen und er fühlte die Haut des angehenden Arztes an seiner Brust. Die Lust, die vorher noch von anderen Gedanken verdrängt worden war, schob sich langsam aber sicher in den Vordergrund, während der Gedanke an die letzte Nacht mit Rod in den Hintergrund rückte. Es war kein Betrug in diesem Sinne, und doch kam sich Nico manchmal seltsam vor, wenn er "kurz" aufeinander mit verschiedenen Menschen im Bett landete.
 

Kieran

Den Oberkörper des anderen nun komplett entblößt habend, strichen Kierans Fingerspitzen kurz am Hosenbund entlang, doch dann hielt er inne, als er die Finger des anderen nun auf seiner Haut spürte. Er biss sich kurz auf die Unterlippe, beobachtete die Finger, die seinen Oberkörper entlang nach unten strichen. Als sie sich an seiner Hose zu schaffen machten, blickte er auf, sah den anderen an, und als die Finger sich nicht weiter daranmachten, ihn seiner Hose zu entledigen, lächelte er kurz, spürte die Hand dann aber an seinem Rücken und war schon im gleichen Moment zum anderen hingezogen worden. Die Worte ließen ihn schmunzeln. "Keine schlechte Idee", murmelte er noch, bevor Nicos andere Hand seinen Hals nachhinten in seine Haare griff und er wieder diese verführerischen Lippen spüren durfte. Kieran schloss im Kuss die Augen und erwiderte diesen, spürte, dass dieser Kuss hier definitiv fordernder war, als der im Stall. Aber das war ihm nur recht. Er war ja hier nicht zum Händchenhalten hergekommen...

Und so ließ er nur zu gerne die Zunge des anderen ein, begrüßte sie mit der seinen und genoss dieses Gefühl des Kribbelns, das durch seinen gesamten Körper raste. Dominico schmeckte gut, männlich, anders als Frauen es taten. Davon konnte er definitiv mehr vertragen!

Seine eine Hand legte sich Dominico an die Hüfte, während die andere dessen Rücken hinaufstrich, die warme, weiche Haut erkundend. Sein Körper schmiegte sich wie von selbst an den des anderen, der wesentlich breiter gebaut und auch ein Stück größer war als der seinige. Und doch hatte er das Gefühl, als würden ihre Körper gut miteinander harmonisieren. Provokant rieb er seine Lenden an denen des anderen und spürte, dass auch Dominico das hier nicht kalt ließ.

Leicht löste er den Kuss, um Luft zu bekommen, knabberte dabei spielerisch an Nicos Unterlippe. Heißer Atem rann über seine Lippen, als er die Augen aufschlug und die Augen des anderen suchte. "Wenn wir so weitermachen, dann hätten wir doch lieber ins Schlafzimmer gehen sollen", wisperte er. "Dabei habe ich mich so auf das fürstliche Bad gefreut." Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. Noch bevor der andere etwas erwidern konnte, stahl er sich noch einen Kuss, einen verspielten Kuss. "Wir sollten das Wasser nicht kalt werden lassen", fuhr er fort und öffnete nun seinerseits die Hose des anderen. "Wobei mir kühleres Wasser vielleicht dabei helfen würde, den Kopf nicht zu verlieren." Neckend küsste er den anderen am Schlüsselbein, sog dabei den Geruch auf, den er mittlerweile so mochte und der gerade ein wenig von Schweiß und Pferd überdeckt war, aber dennoch deutlich auszumachen war. "Es muss das Arnika ein...", überlegte er, dann löste er sich vom anderen, um seiner Hose den entscheidenden Schubs zu geben, sich ebenfalls am Boden wiederzufinden. Durch das Bild von Jonathan gab es ja nichts, was der andere nicht schon gesehen hätte. Dafür bot sich ihm ein neues, unbekanntes aber sehr ansprechendes Bild.
 

Dominico

Nico war sich noch immer unsicher, was er von sich selbst gar nicht kannte. Auch wenn Kieran ganz offensichtlich willig war und sich nur allzu gern auf ihn und seine Küsse einließ, blieb ein herber Beigeschmack der Frage warum, die jedoch in den Hintergrund rückte, als sich Kierans schlanke Finger an seiner Hose zu schaffen machen. Oh nein, das ließ ihn ganz und gar nicht kalt! War er ausgehungert? Eigentlich nicht. Immerhin war das mit Rod doch erst vor ein paar Tagen gewesen, oder nicht? Ja, er war ein Mann und sicher hatte ein Mann im besten Alter wie er seine Bedürfnisse... und doch, Kierans Berührungen auf seiner Haut sorgten in kürzester Zeit für spürbare Erregung in seinen Lenden. Sein Körper fühlte sich gut an Nicos an. Im Gegensatz zu seinem Bruder waren seine Erfahrungen mit Rod so ziemlich die einzigen mit Männern gewesen. Naja, fast. Sicher hatte es noch den ein oder anderen Mann gegeben, doch bei Nico überwogen eindeutig die Frauen, die er gegen seinen Bruder in Wetten ins Feld geführt hatte, oder aber ihn einfach so interessiert hatten. Und Rod, der einzige mit dem er zumindest vollständig bei Sinnen und aus Lust heraus dieses Spiel gespielt hatte, war seinem Körperbau kaum unähnlich. Seine breiten Schultern und die starken Arme, die den Schmiedehammer schwangen, kamen Nicos Waffenarm gleich und sie waren gleich groß. Kieran hingegen war ein deutliches Stückchen kleiner und schmaler und sicher auch um einiges jünger als Nico. Und trotzdem wirkte er nicht so, als habe er wenig Erfahrung oder gar Scheu vor dem "wilden Tier" Dominico Sforza. Nicos Hand an Kierans Rücken schob sich langsam unter die Hose und schob sie ein Stück hinab, strich weich und warm über die feste Pobacke unter seinen Fingern. Kieran bestand nur aus Muskeln über die sich seine olivfarbene Haut spannte, die nach Schweiß und Lagerfeuer roch. Ihre Zungen verwickelten sich in ein zärtliches und forderndes Spiel und als Kieran sich wieder von ihm löste musste auch Nico grinsen. Kierans Hose war bereits auf dem Weg nach unten, seine eigene rutschte an seinen Schenkeln hinab und er war nackt, was Nico auch nicht weiter störte. Peinlich war ihm sein Körper nicht, er sah gut aus - wie er fand -, , wenn auch ein bisschen vernarbt. Aber man hatte eben nicht immer jemanden zur Hand der kleinere Wunden versorgen konnte. Seine Unterarme hatten einige kleinere Narben vorzuweisen, seine Brust zwei größere. Die größte kam jedoch zum Vorschein, als Nicos Hose nach unten rutschte. An der Seite seines rechten Oberschenkels zeichneten sich deutlich die ausgefransten Ränder einer Narbe, die ihm mit einer Lanze zugefügt worden war. Nico hatte auf einem Pferd gesessen, der Angreifer zu Fuß hatte diese Waffe vorgestreckt und die gezackte klinge war unter den ledernen Schurz gedrungen und hatte das Bein oberflächlich aufgeschlitzt. Der Schnitt war nicht tief gewesen, die Ränder aber hässlich verfranzt, weswegen man sie kaum hatte flicken können. Sie störte Nico nicht, bis auf das sie manchmal zog und er es umso mehr genoss, wenn man sie massierte. Er stieg aus der zusammengerutschten Hose um seine Füße und schob Kieran langsam aber sicher mit dem Rücken gegen den Zuber. "Glaubst du wirklich... ich brauche ein Bett dafür?" grinsend beugte er sich vor und biss zärtlich in Kierans Unterlippe, ehe er dessen Hüfte fester packte und ihn einfach auf den Rand des Zubers stemmte. Durch die Gegend gehoben zu werden war für Kieran ja zumindest bei seinen Auftritten kein Problem. Über einen Tritt stieg auch Nico in den Zuber und angelte die beiden Weinbecher ehe er Kieran einen reichte. "Also dann… Kieran." Der Name schmeckte gut auf seiner Zunge. "Auf einen schönen Abend und eine aufschlussreiche Nacht."
 

Kieran

Der Mann ihm gegenüber hatte wirklich einige Narben. Und zu jeder gab es eine Geschichte. Kieran wurde mit einem Mal bewusst, dass Dominico Sforza, der augenscheinlich ein Stück älter war als er, sicher ähnlich viel gesehen hatte, wie er selbst. Vielleicht in anderen Kreisen und unter anderen Bedingungen, aber dieser Mann konnte aus einem großen Erfahrungsschatz schöpfen. Und das war etwas, was Kieran anziehend fand. Er war nicht auf den Kopf gefallen, konnte sich immer Schon Dinge gut merken und reflektierte die Welt um sich definitiv mehr, als andere das taten, die vieles einfach hinnahmen. Und mit jedem, mit dem er versucht hatte, mehr als nur eine Nacht zu verbringen, hatte ihn bald zu Tode gelangweilt. Die wenigsten konnten verstehen, dass die Welt nicht hinter ihrem Dorf endete, die wenigsten begriffen, dass es auch für seinesgleichen mehr gab, als einen Handstandüberschlag zu schaffen. War das vielleicht auch ein Punkt, den er anziehend fand? Vielleicht.

Seine Augen, die eben noch über den Köper des anderen gewandert waren, blickten nun, da dieser wieder an ihn herangerückt war, sich seiner Hose entledigt hatte, nach oben, dem anderen ins Gesicht. Bereitwillig ließ er sich nach hinten in Richtung Zuber dirigieren, während seine Finger wieder begannen, die Brust des anderen zu erkunden. Am Zuber angelangt, strichen seine Fingerspitzen sacht über das Schlüsselbein und er nahm wahr, wie der andere unter dieser Berührung zu erschaudern begann. Seine Lippen umspielte ein Lächeln, als der andere ihm zu verstehen gab, dass man auch wunderbar ohne Bett Sex haben konnte. Doch er konnte nichts erwidern, als der andere an seiner Unterlippe knabberte, ihn an den Hüften nahm und ihn hochhob, als wöge er nichts. Überrascht blickte Kieran ihn an, folgte dem anderen mit seinen Augen. Nun, es gab einen Grund dafür, dass er bei ihren "Pyramiden" oftmals der war, der weit oben stand, aber dennoch wog er etwas. "Wenn du jemals keine Lust mehr haben solltest, am Hofe diesen Spielen beizuwohnen, dann kannst du gerne bei uns anfangen", grinste er, hob nun seine Beine über den Zuberrand. Das Wasser war angenehm warm und er konnte sich direkt hineingleiten lassen. Er liebte das Wasser, er liebte es sehr. Und immer wenn er eine Gelegenheit bekam, irgendwo schwimmen oder baden zu gehen, nutzte er sie. Aber das hier übertraf bei weitem alles, was er in letzter Zeit hatte haben können.

Als der andere seinen Namen aussprach, drehte er sich zu diesem. Es war angenehm, von ihm so genannt zu werden. Die höflichen Anreden heute Nachmittag bei ihrem Flirt, ihrem Spiel, das letztlich bewirkt hatte, dass er hier war, waren angesichts der Situation reizvoll gewesen. Hier, wo sie alleine waren, war es schön, diese Vertrautheit haben zu können. Er saß, sich an den Rand des Zubers lehnend, da und nahm dem anderen den Becher ab, hob ihn zum Anstoßen. Auf eine aufschlussreiche Nacht? Wie meinte Dominico das? Kurz legte er den Kopf schief. "Wie meinst du das? Inwiefern aufschlussreich?" Was wollte der andere heraufinden? Etwas über Kieran? Was gab es da zu erfahren? Oder darüber, ob sie im Bett harmonisierten? Kieran war verwirrt. Der Wein roch gut, aber er trank noch nicht. Wenn man nicht wusste, worauf man anstieß, sollte man auch nicht trinken.
 

Dominico

Das Wasser hatte wirklich eine herrliche Temperatur. Es war herrlich warm, vor allem der metallverstärkte Boden. Darunter glühten Kohlen aber das Holz wurde nicht so heiß, dass man nicht mehr stehen konnte. Wenn Nico stand reichte ihm das Wasser gerade bis zum Bauchnabel und er ließ sich langsam auf die Knie sinken, um mit dem auf dem Rand sitzenden Kieran mehr oder weniger auf Augenhöhe zu sein. "Bei euch anfangen? Na, ich weiß nicht. Ich glaube, das wäre nicht besonders spannend beim Zusehen." Seine inzwischen freie Hand strich über Kierans Oberschenkel unter Wasser aufwärts. "Ich glaube, ich würde ohnehin nur mit dir turnen, um dich anzufassen." Das breite Grinsen blieb auf seinem Gesicht, als er Kierans Hüfte erreichte und die Hand zurückzog. Gerade als er den Becher an die Lippen heben wollte, hielt Kieran ihn mehr oder weniger auf und Nico legte den Kopf schief. "Aufschlussreich..." widerholte er. "in dem Sinne, dass ich mehr über Kieran Carney erfahre." Er rutschte noch ein Stück näher, schob sich zwischen Kierans Beine und kniete dann direkt vor ihm, grinste noch immer. Dann beugte er sich zu Kierans Ohr, beinahe so als müsse er ihm ein Geheimnis verraten. "Darüber, wie deine Haut schmeckt... wie du schmeckst... wie du dich anfühlst…" Die Hand mit dem Becher auf dem Rand neben Kieran abgestützt, konnte er mit der freien Hand wieder über Kierans Körper streichen, dieses Mal von der Hüfte aufwärts über seine Brust bis er seine Brustwarze erreiche, die er sachte mit dem Daumen umspielte. "Über die Geräusche, die du von dir geben wirst... über die Bewegungen deines Körpers in meinen Armen. Über deinen Geruch und den Blick, mit dem du mich ansehen wirst, wenn du in meinen Armen vor Lust zergehst…" Er hauchte zarte Küsse auf Kierans Schulter, die gerade in seinem Blickfeld war, ehe er sich langsam wieder zurückschob. "Und über Kieran Carney, den jungen Mann, der meinen Namen im Kerker genutzt hat, um vielleicht wieder frei zu kommen. Darüber, warum du nun doch hier bist und dich auf das einlässt, was auch immer diese Nacht noch bringen mag. Über den Arzt Kieran Carney und alles, was dich als diesen Menschen noch ausmacht. Du könntest es also auch einfach als pure Neugier zusammenfassen." Schloss er und hielt Kieran den Becher zum Anstoßen wieder hin. Ja, er hatte Interesse an Kieran. Großes Interesse, auch wenn er sich den Grund noch nicht genau erklären konnte. Vielleicht war es wirklich Kierans pure Dreistigkeit gewesen, mit dem er ihn zu Beginn abgeblockt hatte, vielleicht auch nicht. Vielleicht auch nur das Leben, dass Kieran augenscheinlich so gern führte und das Nico faszinierte. Und natürlich Kierans ganz augenscheinliche Attraktivität, der er sich nicht wirklich entziehen konnte und es auch nicht wollte. Kieran war ihm auf dem Marktplatz quasi vor die Füße gesprungen und das musste einen Grund gehabt haben. Nico war nicht abergläubisch, aber nach dem sich ihre Wege nun zum zweiten Mal kreuzten musste es eindeutig gewollt sein.
 

Kieran

Als Dominico sich ins Wasser gleiten ließ, sich hinkniete, um ihm auf gleicher Augenhöhe zu sein, musste Kieran lächeln. Wieder kam ihm der andere ein wenig wie ein Raubtier vor, das sich seiner Beute näherte. Und dieser Anblick gefiel ihm. Dominico gefiel ihm, mehr und mehr. Und er überraschte ihn, mehr und mehr. mit dem, was er sagte, ihm erzählte, wie er mit ihm umging und wie er ihn wertschätzte. Und mit dem, wie er ihn berührte und wie er ihn küsste. Es schien fast so, als ginge es dem anderen gar nicht primär um den Sex, sondern auch um ihn. Kieran wusste, dass das trügerisch war. Aber was sprach dagegen, es eine Nacht zu glauben? Er war Realist genug zu wissen, dass Dominico und er so weit voneinander entfernt waren, wie die Erde von der Sonne. Es wäre töricht zu glauben, dass sie sich jemals wieder so nahe sein würden. Aber im Moment waren sie es. Und Kieran hatte gelernt, dass Momente kostbar waren, weil man nicht wusste, wann es keine Momente mehr gab.

Die Antwort des anderen auf seine Frage, ob er nicht bei ihnen anfangen wolle, ließ ihn erst fragend blicken. Wieso nicht sehenswert? Als er die Hand des anderen spürte, schlich sich ein Grinsen auf seine Lippen. Und gleichzeitig erschauerte sein Körper wieder einmal, als die Hand des anderen nach oben wanderte. Ich glaube, ich würde ohnehin nur mit dir turnen, um dich anzufassen. Kieran musste leise lachen und schüttelte dann mit einem tadelnden "tztztz" den Kopf. "Konzentration ist beim 'Turnen' eine entscheidende Voraussetzung...", erwiderte er und hielt einen Moment die Luft an, bis er spürte, dass der andere seine Hand doch noch zurückzog. Dominico verstand es, ihn zu trietzen.
 

Die Erklärung, die Dominico ihm hinsichtlich des Wortes "aufschlussreich" gab, ließ ihn überrascht blicken. Er wollte mehr über ihn erfahren? Warum? Inwiefern?

Kieran öffnete ein wenig seine Beine, um den anderen näher zu sich rutschen zu lassen. Es war ihm fast ein wenig unangenehm, Dominico vor sich kniend zu haben. Es war ein seltsames Gefühl, aber auch irgendwie schön, weil der andere eben hier so gar keinen Wert darauf zu legen schien, ihm zu verstehen zu geben, dass er eigentlich definitiv unter ihm stand, weit unter ihm stand. Kieran hob seine freie, linke Hand, während er den anderen Arm am Zuberrand abgelegt hatte, den Becher haltend, und strich dem anderen sanft über die Wange die Haare hinter das Ohr. Seine Finger spielten kurz mit eben diesen, bis Dominico sich zu ihm vorbeugte, um ihm ins Ohr zu flüstern.

Und das, was er nun hörte, ließ ihn erst erstaunt blicken, dann lächelte er, senkte den Blick und schloss schließlich die Augen, das Kribbeln in seinem Körper genießen, dass sich ob der Worte rasend schnell ausbreitete und sich in seinen Lenden zu bündeln schien. Dass Worte allein ihn so erregten war ihm noch nie passiert. Aber das Bild, das Nico hier verbal zeichnete, ging ihm durch und durch. Bebend sog er Luft ein, während die Finger des anderen eine brennende Spur auf seiner Haut hinterließ. Wow, so etwas hatte er noch nie erlebt.

Als sich der andere löste, öffnete er langsam die Augen und sah Dominico wieder an. Doch die Erklärung war noch nicht zu Ende und noch ein weiteres Mal überraschte ihn Dominico mit dem, was er sagte. Denn nun offenbahrte ihm der andere, dass der gemeinsame Sex nur eine Sache war, die ihn interessierte, eine ganz andere wäre er selbst. Neugierig war er auf ihn? Was machte ihn so neugierig? Es freute ihn, dass Dominico mehr von ihm wissen wollte, aber es irritierte ihn auch. Wohl, weil es so ungewohnt und nicht erwartet war. "Mir scheint, dass wir heute Nacht nicht zum Schlafen kommen werden", antwortete er schließlich lächelnd. "Aber es wird mich nicht ärgern." Seine freie Hand, die bei den geflüsterten Worten des anderen zum Stehen gekommen war, nahm ihr Spiel im Nacken des anderen wieder auf, ließ nun von den Haaren ab und fuhr die Halsbeuge hinab über die Schulter. "Erstere Fragen beantworte ich dir nur zu gerne", sagte er, seinen Fingern einen Moment mit seinem Blick folgend. "Und ich freue mich schon darauf." Er sah Dominico wieder an. "Und letztere Fragen, wenn ich jeweils eine Gegenfrage beantwortet bekomme." Er sah den anderen an. Wenn er sich hier über sich befragen lassen würde, so würde er auch gerne einiges über den anderen erfahren. Eine Hand wusch die andere. Kieran hob seinen Becher wieder und erwiderte den Gruß des anderen, indem er an dessen Becher anstieß. "Auf eine schöne, aufschlussreiche Nacht", lächelte er und trank von dem Würzwein. Er war gut und ließ ihn doch auch gleich wieder lächeln. "Zimt und Honig, etwas Rosenwasser." Er trank noch einen Schluck. "Sogar Ingwer?" Er nickte anerkennend, und betrachtete den Becher. "Und Nelken - sehr anregend." Sein Lächeln verbreiterte sich zum Grinsen. "Hier in dem Haus wird mit allem Mitteln getrickst, um junge und unschuldige Männer gefügig zu machen, hm?" Dann trank er noch einen Schluck, den Arm nun wieder am Zuberrand ablegend.
 

Dominico

Nico war hochkonzentriert bei der Sache. Sehr konzentriert. Also wenn man das hier auch als Turnen bezeichnen wollte - und eigentlich war es das fast. Obwohl er nur Kierans Brust berührte, konnte er fühlen, wie der Schwarzhaarige erschauderte, und es erfreute ihn. Damit traf er wenigstens ins Schwarze. Sex war schön und gut, wenn man ihn einfach hatte, doch es war wesentlich befriedigender, wenn die richtige Stimmung dabei aufkam. Und Stimmung konnte Nico machen... und warum sich auch nicht die Mühe machen? Immerhin hatten sie davon beide etwas. Nachdem sie angestoßen hatten ließ Nico erneut von Kieran ab um neben ihm auf die umlaufende Bank im Zuber zu rutschen. Hier fanden bequem 5 oder mehr Leute Platz, wenn man ein bisschen kuschelte - zu zweit war es angenehm groß und Nico konnte die Beine ausstrecken, die dadurch an Kierans Beinen entlang strichen. "Ich hoffe du hast nicht auf einen ausgedehnten Schlaf in einem Himmelbett gehofft? Wobei das wohl darauf ankommt, wann du wieder zurück sein willst. Ich zumindest habe morgen eine frühen Termine." Eigentlich hatte er gar keine, aber letztlich war es immer wichtig einfach nur am Hof zu sein für den Fall das Henry doch noch nach einem rief.

Er hatte seinen Becher wieder auf dem Dreibein abgestellt um beide Hände frei zu haben und tauchte kurz im Zuber unter um seine Haare ebenfalls auszuwaschen, als Kieran am Wein nippte. "Gegenantworten... wie soll ich nur mit all dem Wissen umgehen, das du bald von mir hast? Ich glaube ich weiß bereits, wie du deine Schuld, die du wegen des Kerkers mir gegenüber eingegangen bist, für immer begleichen kannst." Er grinste, legte einen Arm auf den Rand des Zubers, so dass er an Kierans Nacken kam und ihn irgendetwas zwischen kraulen und massieren konnte. "Du darfst niemals über das reden, was ich dir erzähle... sonst landen wir beide zuerst im Kerker und dann am Galgen." Das schien er selbst so komisch zu finden, dass er kurz auflachte, ehe er sich das lange nasse Haar zurückstrich. "Eigentlich ist der Wein dazu da, um die Gemüter nach einem anstrengenden Tag zu entspannen. Um zur Ruhe zu finden und sich bequem zurücklehnen zu können und den Tag ausklingen zu lassen. Alles andere, was der Wein wohl bewirken mag, ist nur eine bequeme Zugabe, nichts Gewünschtes." Er zwinkerte ihm zu. "Aber so wie du es sagst betrifft es dich ohnehin nicht. Du scheinst mir nicht sonderlich unschuldig zu sein... und ich bin mit Sicherheit auch nicht der erste Mann, neben dem du nackt an einem stillen Ort sitzt." Doch Nico nahm es ihm nicht übel, warum auch. "Ist das Bad so herrlich wie du es dir vorgestellt hast, … Kieran?" Allein den Namen zu sagen verursachte ein Kribbeln in seinem Schoß und es war anstrengend so ruhig neben ihm sitzen zu bleiben, nach dem nicht nur Kieran, sondern auch er selbst dieses Kopfkino durchlebt hatte... doch die nächste Annäherung sollte von seinem Gast ausgehen. Ja, er hatte von einem „Wilden Tier“ gesprochen, doch ein Jäger wusste, wann die Beute auch einen Schritt in die Falle tappen musste. Und wenn Fin nicht kurz davor war zu sterben, dann hatten sie noch eine ganze Nacht Zeit dafür. Langsam legte er den Kopf auf dem Rand ab und schloss langsam die Augen. "Und warum bist du auf diese unglaublich verrückte Idee gekommen, meinen Namen zu nennen, als sie dich in den Kerker geworfen haben? Mit der Vorgeschichte, die mir der Hauptmann berichtet hat, hätte dich ein anderer Mann, den du zuvor so abgewiesen hättest, schon am Nachmittag an den Pranger, oder schlimmer noch - an den Galgen gebracht. Von den Folgen für deine Familie abgesehen... dir hätte niemand geglaubt. Der Hauptmann hat dich vor seinem Haus aufgelesen und diese Bilder... hmn..." Bei dem Gedanken an die Blätter, die er in Kierans Tasche gefunden hatte, ließ Nico ein sinnliches Stöhnen erklingen. Ja, er konnte durchaus ein bisschen Spielen - doch er wusste, dass Kieran ihn anziehend fand, und sich anziehend zu geben, machte die Sache dann doch noch besser - oder?
 

Kieran

Als der andere neben ihn auf die Bank rutschte, verschaffte es ihm zwar die Möglichkeit, wieder ein wenig "runter" zu kommen, aber die Nähe wich ein wenig, zumindest bis er das Bein des anderen an dem seinigen spürte und er sich bemühte, diese Verbindung nicht abbrechen zu lassen.

Als der andere indirekt wissen wollte, wie viel Zeit er wirklich hatte, grinste er. "Ehrlich gesagt habe ich noch keinen Gedanken daran gehabt, in welcher Art von Bett ich heute schlafen würde. Und was meine Termine betrifft, ich vermute, dass sich der eine oder andere aufschieben lassen wird. Solange ich nachmittags zurück bin, wird es wohl nicht so schlimm sein." Er hatte noch ein Gespräch mit seinem Vater, dem er wohl nun nicht mehr ausweichen konnte. Daher hatte er es nicht sehr eilig, nach Hause zu kommen.

Kieran sah zu, wie der andere sich die Haare auswusch und beobachtete wie die Wassertropfen dem anderen übers Gesicht liefen, als dieser wieder auftauchte. Was der andere nun auf seinen Wunsch hin sagte, jeweils eine Gegenfrage stellen zu wollen, hatte einen herben Beigeschmack und holte ihn wieder aus seinen Fantasien zurück, die dieses Bild vom anderen bei ihm auslöste. Er stand noch immer in der Schuld des anderen. Und es jetzt hier in dieem Moment zu hören, dämpfte seine Unbeschwertheit. Die vertraute Nähe, die ihn geleichermaßen überrascht wie erfreut hatte, schien zu weichen. Er blickte auf den Becher Wein in seiner Hand, als er die Hand des anderen in seinem Nacken spürte und erschauderte. Besonders als die HAnd ein wenig tiefer wanderte, begann sein Körper zu bebeb. Einen Moment war wieder alles vergessen und er schloss die Augen. Er war empfindlich an der Wirbelsäule, besonders zwischen den Schulterblättern. Dominico hatte gerade die Stelle an seinem Körper gefunden, die ihn "willenlos" machte. Er zwang sich die Augen wieder zu öffnen und den anderen anzusehen, versuchte sich auf das durchaus Ernste zu konzentrieren. Es schien Dominico zwar nicht so ernst zu sein, aber dass er unter Umständen tatsächlich Dinge wusste, die ihnen Probleme bereiten könnten, war nicht von der Hand zu weisen. Aber was sollte er jetzt sagen? Dass er sich lieber die Zunge herausschneiden ließe? Das würde er wohl wirklich lieber, als dem anderen Probleme zu bereiten, aber wie konnte man wissen, wie man reagierte, wenn man zum Beispiel gefoltert wurde? Er hatte mitbekommen, wie Menschen gefoltert wurden, hatte gesehen, wie Menschen aussahen, die gefoltert worden sind. Er würde für nichts garantieren, was er tun würde, wenn man foltern würde. "Ich werde freiwillig bestimmt niemals etwas erzählen", versicherte er ernst. "Und ich hoffe einfach, dass ich niemals in eine Situation kommen werde, in der ich dir Probleme bereiten könnte", murmelte er und ihm war, im Gegensatz zum anderen so gar nicht zum Lachen zu mute.

Dominicos Worte über den Wein ließen ihn sich wieder etwas entspannen. Er trank noch einen Schluck, versuchte die negativen Gefühle damit runterzuschlucken, die ihm gerade die Stimmung drückten. Dann drehte er sich leicht, um den Becher wegzustellen, blieb nun, mit den Knien auf der Sitzgelegenheit sitzen, den anderen so besser anschauen könnend - und wohl auch, weil Dominico dann nicht mehr so leicht an seinen Rücken herankam. Ein Lächeln huschte über seine Lippen, als der andere ihm "unterstellte" gar nicht so unschuldig zu sein. "Der erste nicht, nein", gab er zu. "Aber viele Männer hatte ich noch nicht. Es ist schwierig, wie du vermutlich weißt, Männern zu begegnen, die man attraktiv findet und die ein ähnliches Interesse haben. Ich habe Männer lange gemieden, auch wenn ich wusste, dass ich sie anziehend fand. Ich hatte ohnehin schon immer genug Ärger am Hals, da brauchte ich nicht unbedingt diesen auch noch." Er überlegte kurz, inwieweit er dem anderen sein Sexleben ausbreiten sollte, inwiefern ihn das überhaupt interessierte. Er musste sich hier nicht rechtfertigen, zumal der andere sicher auch kein Unschuldslamm war. Dennoch brauchte er ja hier nicht ausschweifend werden. Er hatte seit Kathys Tod sich sicherlich einiges gegönnt, aber er war wählerisch, sehr wählerisch gewesen. "Nein, unschuldig bin ich nicht, aber ich übertreibe es auch nicht. Ich weiß, woran Huren und auch Männer leiden, die nicht aufpassen." Sicher, ein gewisses äußeres Erscheinungsbild und das Gefühl, nicht aus der letzten Gosse zu stammen, waren auch keine Garantien dafür, nicht krank zu werden, aber es fühlte sich besser an.

Als Dominico ihn schließlich fragte, ob das Bad seinen Vorstellungen entspräche, nickte er. "Durchaus", sagte er leise und blickte den anderen an. Es war wirklich schön, von Dominico mit seinem Vornamen angesprochen zu werden. Dann hob er die Hand und berührte ihn endlich wieder. Die ernsten Themen hatten ihn nachdenklich gemacht, das, was Dominico zuvor noch in sein Ohr geflüstert hatte, schien nun so weit weg zu sein. Sacht strich er dem anderen über die Brust hinab zum Nabel des anderen. Dominico schien sich zu entspannen, legte den Kopf zurück und schloss seine Augen. Kierans Finger strichen weiter über den Oberkörper des anderen. Die Frage, die nun kam, ließ ihn schmunzeln und sein Schmunzeln wurde zu seinem Grinsen, als der andere mit diesem Seufzen endete. Kieran erhob sich leicht und setzte sich kurzerhand Dominico auf den Schoss. Seine Knie rechts und links von Dominico am Sitzrand aufstützend beugte er sich über den anderen, um ihn anzusehen. "Mir hat es ein wenig zugesetzt, dass ich so heftig auf dein Angebot reagiert habe. Ich war ein wenig vor mir selbst erschrocken. Ich habe mir gedacht, dass es die einzige Möglichkeit wäre, mich bei dir zu entschuldigen. Dass du mich rausholst, daran hatte ich - ganz ehrlich - nicht gedacht. Und außerdem war ich mir meiner Schuld nur bedingt bewusst. Erst als du mir vor Augen geführt hast, wie man mir die Bilder auslegen würde, wurde mir klar, in welche Situation ich mich gebracht hatte." Seine rechte Hand hob sich und streichelte Dominico sanft über die Schläfe nach unten, die nassen Haare ein wenig nach hinten streifend. Langsam beugte er sich hinunter. "Ich hatte großes Glück", murmelte er gegen die Lippen des anderen bevor er ihn kurz sanft küsste. Da war sie wieder die Schuld, die zwischen ihnen stand. Saß er hier auf dem anderen nur deswegen? Nein, definitiv nicht. Und er konnte nur hoffen, dass der andere das wusste. "Warum hast du mich nicht an den Pranger gestellt? Mich nicht hängen lassen?", fragte er, als er sich löste und den anderen wieder ansah.
 

Dominico

Dass er Kierans wunden Punkt mehr oder weniger gerade gefunden hatte, merkte Nico nicht, weil er ihn gerade nicht so intensiv beobachtete sondern sich gerade mehr auf das Entspannen im Zuber konzentrierte. Doch als Kieran sich langsam wegdrehte, so dass er nicht mehr an ihn kam, öffnete er die Augen kurz wieder, um zu sehen, dass Kieran sich umdrehte. Er hatte wohl nicht nur einen wunden Punkt getroffen an Kierans Körper, sondern auch einen wunden Punkt in ihrer Unterhaltung. Kieran wurde nicht so gerne daran erinnert, was zwischen ihnen noch bestand, nämlich dieses Schuldverhältnis. Ja... eigentlich hätte er es auch nicht ansprechen müssen, denn es schien den jungen Mann in viele Gedanken zu stürzen und während Nico versuchte denen zu folgen, kam auch er langsam auf die Idee, dass es vielleicht Situationen geben konnte - gemäß dem Fall man erwischte ihn oder sie beide und steckte sie in den Kerker - in denen Kieran vielleicht gezwungen würde zu reden... Folter. Henry bediente sich dieser Praktik leider viel zu häufig. Oder eher, seine Folterknechte taten das für ihn... mit seinen politischen Gegnern. Gut, Nico war nicht Henrys Gegner, doch er war Alessios Bruder und wenn sein Bruder jemals in das Kreuzfeuer zwischen Protestanten und Vatikan gezogen werden sollte, war Nicos Loyalität klar bei seinem Bruder... und damit gegen Henry. Er musste also wirklich aufpassen.

Beinahe entschuldigend sah er auf, als Kieran sich über ihn kniete und seine Hände sich ganz automatisch an Kierans Hüfte legten. Er stützte ihn etwas, falls Kieran das Knien auf der Bank unangenehm wurde, doch anscheinend machte es ihm nichts aus. Nico hatte den Kopf noch immer in den Nacken gelegt, doch so konnte Kieran ihn küssen. Und die Worte, die er hörte, brachten ihn nur dazu, Kierans Lippen erneut zu suchen. Der Schausteller schmeckte nach Würzwein und einer Spur wilder Freiheit, wenn die denn einen Geschmack hatte. Seine weichen Lippen die Nicos verschlossen, seine freche und neugierige Zunge.. Nico hätte darin versinken können, nur um zu fühlen. Er genoss diese Nähe, diese Zweisamkeit sehr. Es gab ihm das Gefühl in dieser Welt in diesem Moment nicht allein zu sein.

Als sie sich wieder voneinander lösten, räusperte sich Nico und wich kurzzeitig Kierans Blick aus. "Nein, es ist nicht leicht... da hast du recht. Vor allem zu wissen, ob diese Leidenschaft erwidert wird. Es hat mich durchaus... verletzt als du mich so sehr weggestoßen hast. Selbst wenn Männer nicht so sehr interessiert sind, reizt sie meistens die Macht des Angebotes. Und ich hatte das Gefühl, dass dich vielleicht noch mehr gereizt hätte... naja, es war besser das du nicht mitgekommen bist." Ja, es war besser gewesen, so waren sie zu dem Handel im Kerker gekommen und nur deswegen waren sie hier. Vorher wäre ihnen das sicher nicht so leicht gefallen sich einander ein wenig mehr zu öffnen. Auf Kierans Frage sah er doch wieder zu ihm auf und gluckste. "Welche Antwort willst du hören? Die Wahrheit? Das, was ich mir selbst als die Wahrheit einrede? Oder das, was wohl auch noch hätte zutreffen können?"

Ohne wirklich eine Antwort abwarten zu müssen, sah Nico, dass Kieran alle Antworten haben wollte und kurz darauf bestätigte ihm Kieran auch genau das. Nico seufzte und kraulte Kierans Hüfte und seine Oberschenkel entlang. "Zuerst einmal… hätte ich es gar nicht gekonnt. Ich habe nicht die Befugnis dazu. Ich habe die Befugnis dich in Gewahrsam nehmen zu lassen, aber das warst du ja schon... für alles andere? Ich hätte zu Henry gehen müssen oder zum Gericht. Sicher hätten die mir zugestimmt, aber das hätte gedauert. Und bis dahin wärest du vielleicht schon ausgelöst und über alle Berge gewesen. Ich habe schon Macht und Einfluss, aber über Menschenleben entscheiden kann ich nur dann, wenn ich mir selbst die Finger dabei schmutzig mache…" Er grinste verschmitzt. "Aber es ist manchmal ganz gut zu behaupten man habe diese Macht. Die meisten Leute glauben es nämlich." Er sinnierte kurz wie er weitermachen wollte. "Dann hast du mich auch immer noch interessiert. Als der Wachmann mich ansprach von wegen der junge Mann vom Tor, da dachte ich - was will er jetzt von mir? Doch als er mir dann die Bilder zeigte und sagte wo er dich aufgegriffen hatte, da war ich schon interessiert auf deine Ausrede. Und der Gedanke, dich in meiner Schuld stehen zu haben, weil ich dir helfe hat mir gefallen. Es war ein Grund dich dazu zu zwingen zu sehen, dass ich doch nicht das Monster bin für das du mich hältst, und das ich Wort halte. Das wäre wohl die Antwort, die durchaus einen Kern Wahrheit enthält. Naja... und das, was wohl am wahrscheinlichsten ist... Ich hatte das Gefühl dir Unrecht getan zu haben. Allein entschieden zu haben, dass du es sein sollst, der für 10 Pfund nachts in meinem Bett liegt, nur um am nächsten Morgen vor meinem Bruder damit zu prahlen. Wozu das Ganze? Es war nicht recht es zu verlangen nur weil mein Stand es mir vielleicht erlaubt. Ich habe das Gefühl etwas wieder gut machen zu müssen, obwohl ich nichtmal etwas Schlechtes getan habe" //Zumindest nicht bei dir...//. "Also habe ich dich herausgeholt. "Zu töten… oder zuzusehen, dass man dich hängt nur weil ich meinen Willen nicht bekommen habe? Wenn ich soweit bin, heiße ich Henry.. oder? Und so will ich nicht sein. Das soll nicht das Bild sein, das man von mir hat. Aber jetzt wo du hier bist... nicht für die Wette und nicht aus Zwang.." Seine Hand strich aufwärts über Kierans Seite und wieder hinunter um ein Stück vorzurutschen, dass sie ganz aneinander saßen. Nico konnte Kierans Körper ganz an seinem fühlen und er schloss kurz genießend die Augen "…fällt es mir mit jeder Minute schwerer.. klar zu denken."
 

Kieran

Nur zu gern hätte Kieran den Kuss nicht gelöst, aber sie waren noch immer in einer Unterhaltung und die Antwort auf seine Fragen interessierte ihn. Und so löste er sich leicht, Nicos Hände auf seinem Körper spürend. Als der andere seinem Blick zunächst auswich, hob er kurz eine Augenbraue. Was kam jetzt? Gespannt wartete er, was Dominico ihm zu sagen hätte. Während der andere sprach, suchten seine Finger nach Orten, an denen Dominico reagierte, sanft strichen sie über das Schlüsselbein, wo er gedacht hatte, der andere habe vorhin darauf reagiert. Dann wanderten seine Finger über die Seiten nach unten zu den Hüftknochen.

Er musste lächeln, als Nico ihm erklärte, dass es ihn gekränkt hatte, dass er ihn weggestoßen hatte. Und er musste noch mehr lächeln, als der andere für sich den Schluss zog, dass es besser gewesen war, dass er an jenem Abend sein Angebot ausgeschlagen hatte. Ja, vielleicht war alles in allem es besser gewesen. Hätte er doch zugestimmt und rausgefunden, was dahinter gestanden hatte, er hätte Dominico zum Teufel gejagt und nie begriffen, dass er anders war, dass er freundlich, zärtlich und unfassbar einnehmend war. Für ihn wäre er aber zum Teufel geworden, einem schlimmeren, als dem, den er sich am Stadttor bereits eingebildet hatte. Dafür war er in jenem Kerker zum Engel geworden. Und jetzt? Jetzt saß er hier, auf diesem wunderschönen Mann, und sie würden eine Nacht miteinander verbringen, die ihnen immer im Gedächtnis bleiben würde. Kieran hatte einen Blick hinter die Fassade erhalten und was er gesehen hatte und was er sah, gefiel ihm, sehr sogar. Und ja, es war gut, dass es so gelaufen war, wie es gelaufen ist. "Ja, es ist gut so wie es ist", bestätigte er den anderen. Kieran kannte seinen Sturkopf, seinen unbändigen Drang nach Freiheit. Alles, was ihn band, was ihn festzuhalten schien, bewirkte in ihm Widerstand und das Gefühl, nicht mehr atmen zu können. Wie ein Vogel, der im Käfig das Singen verlor. Aber jetzt war es anders gelaufen und das war gut so. Er war freiwillig hier und genoss ihre Nähe, die er anders wohl nie zugelassen hätte.

Und nun kam Dominico endlich zu der Frage, warum er ihn aus dem Kerker geholt hatte. Die Wahrheit oder was es sonst noch ein könnte? Er blickte den anderen kurz skeptisch an. Wie konnte der andere Glauben, dass er nur eines hören wollte, jetzt wo er neugierig gemacht worden war?. "Beides, das Nettere zum Schluss", sagte er schlichtweg und stahl sich noch einen Kuss. Er fand, er hatte schon zu lange keinen mehr erhalten. Die Hände des anderen ließen ihn seine Hüften leicht an denen des anderen reiben. Langsam, aber sicher kehrte zurück, was durch seine düsteren Gedanken vorhin abgeschwächt worden war.

Die erste Erklärung des anderen, ließ ihn nicken. Er wusste mittlerweile, dass Dominico im Kerker mit seinem Unwissen gespielt hatte. Unter anderem mit seinem Unwissen, was jener vermochte, und auch mit seinem Unwissen hinsichtlich des Rufes von Jonathan. Aber das war ok.

Als Dominico weitersprach, blickte Kieran auf und sah ihm ins Gesicht. Und einen Moment war er irritiert. Dominico hatte gewollt, dass er in seiner Schuld stand? Er schluckte, doch gleich darauf relativierte der andere diese Aussage. Er hatte ihm zeigen wollen, dass er eben nicht der Teufel gewesen war. Und diese Schuldigkeit war Mittel zum Zweck? Es war süß, bittersüß. Hätte er es ansonsten nie zugelassen, dass sie dich näherkamen? vielleicht, er wusste es nicht. Ging es ihm so besser? ihn belastete es ein wenig, weniger seit sie sich so nahe gekommen waren. Er mochte Dominico, nicht nur weil er ihn attraktiv fand, er mochte ihn mit allem, was er mittlerweile von ihm hatte sehen dürfen. Aber das Gefühl, dem anderen etwas schuldig zu sein drückte ihn. Er schüttelte den Gedanken weg. Er stand in Dominicos Schuld, so war es eben. Aber diese Nacht würde nichts damit zu tun haben. Und es brachte nichts, es hier würdet und wieder auszubreiten.

Kieran blickte überrascht auf, als Dominico weitersprach und den wohl wahrscheinlichsten Grund begann zu erklären. Er hatte ihm gegenüber Schuldgefühle gehabt? Kieran musste lächeln. Die Ehrlichkeit, mit der Dominico ihn wiedereinmal überraschte, tat ihm gut. Und dass jener nicht wie Henry sein wollte, konnte er gut nachvollziehen. Kieran hob die Hand und strich Nico über die Wange, während Nico an ihn heranrutschte und sich ihr Körper noch mehr berührten. "Du bist weit davon entfernt, Henry zu sein." Kieran spürte den Köper des andren an dem seinigen und hätte der andere ihm in diesem Moment nicht auch gesagt, dass er ihn begehrte, hätte er es ohnehin gespürt. fällt es mir mit jeder Minute schwerer… klar zu denken." Kieran streckte sich leicht, legte seinen Oberkörper auf den des anderen, rieb sich bewusst an Dominicos Lenden, bevor er ihn verspielt küsste. "Ich finde wir sollten uns da schleunigst eine Denkpause gönnen...", wisperte er. Erneut küsste er ihn, bis seine Lippen von denen des anderen abwichen und sich ihren Weg in Richtung Hals zum Ohr des anderen bahnte. Dort angekommen, hielt er kurz inne. "Ich danke dir, Dominico Sforza, dafür, dass du so unfassbar ehrlich zu mir bist." Sacht knabberte er an seinem Ohr. "Und Danke, dass du mir gezeigt hast, dass du nicht wie Henry bist!"

Ja, es machte die Ehrlichkeit aus. Es war Dominicos Ehrlichkeit, dass er hier war. Und auch wenn der ein oder andere Aspekt dieser Ehrlichkeit seine Stimmung trübte, so war die Summe insgesamt positiv. Kieran zog den anderen wieder in einen Kuss. Es war an der Zeit, das "Tier" kennenzulernen...

Ostern im Cambridge - Die halbe Welt?

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

Ostern in Cambridge - Erkenntnisse 2

Kieran

Ein leises, nicht wirklich ernst zu nehmendes Grollen entwich seiner Kehle, als Dominico sich auf der Zunge zergehen ließ, dass er ihm versprochen hatte, "Ihm zu gehören". Aber dem Grollen ging ein Grinsen einher, zumal Dominicos folgende Worte, ihm noch einmal bestätigte, dass auch jener die Realität kannte. Als Dominico sich von ihm löste, fühlte es sich mit einem Mal so kalt an.

Er säuberte sich noch restlich mit dem Tuch, das Dominico vorhin auch schon verwendet hatte, und richtete sich auf, als er überrascht aufsah. Der andere vermisste ihn schon jetzt? Wow, heftig. Er schluckte. So etwas sollte Dominico lieber nicht sagen. Solche Worte schmerzten und verwirrten. Aber Kieran wischte es weg. Es war nur für diese eine Nacht, mehr nicht. Und da würden sie so tun, als wäre das normal, so etwas zu sagen. Eine Nacht, in der sie einfach zusammen waren, einfach nur zusammen. Kierans Füße berührten den kalten Boden und ja, er Vermisste die Wärme des anderen auch irgendwie. Er wäre lieber mit diesem einfach liegengeblieben. Kieran betrachtete den schönen Rücken des anderen, der zum Kamin getreten war, und ihm nun versprach, etwas zu essen zu holen, während er sich Wein einschenkte. Die Entfernung zum anderen kam ihm in diesem Moment so groß vor und einen Moment hatte er das dringende Bedürfnis, zum anderen zu gehen, ihn zu umarmen, ihn auf diesen schönen Rücken zu küssen. Doch er zögerte, ob der Worte, die er vorhin gehört hatte. Es ging ihm zu nah, es berührte ihn zu tief. Es würde schwer werden, wenn er morgen ging.

Das Zögern dauerte zu lange, denn in diesem Moment warf ihm Dominico seine Klamotten zu und verließ den Raum. "Danke dir", sagte er noch, blickte dem anderen hinterher, der in diesem Moment sich noch einmal umdrehte. Und dann kam der vernichtende Schlag. Ungläubig starrte er auf die Tür, die sich hinter dem anderen schloss. Er schluckte. Die ganze Nacht ist zu kurz um jemandem wie dir auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Kieran ließ sich aufs Bett sinken und schloss die Augen. "Verfluchter Mist!", flüsterte er leise. Warum tat Dominico das? Warum sagte er ihm so etwas? Und warum tat es so grässlich weh, wo er sich doch eigentlich so sehr darüber freute. Er schluckte, schüttelte den Kopf. Dann stand er auf und zog die Klamotten an, die ihm etwa zu groß waren. Die Hose saß zu locker, das Hemd rutschte ihm von der Schulter. Aber es störte ihn nicht. Sollte Alessandro Sforza sich doch eins und eins zusammenzählen...

Er verließ das Zimmer und die kühle Luft, die ihm entgegenschlug, tat ihm gut, den Kopf wieder klar zu bekommen. Während seine Füße sich den Weg in Richtung des Gästezimmers bahnte, in dem Finley untergebracht war. Er glaubte nicht, dass Alessandro ihm tatsächlich etwas antat. Aber dennoch wusste er nicht so genau, was ihn wohl in diesem Zimmer erwarten würde. Er hoffte auf einen schlafenden Finley, der durch sein Elixier ein wenig zur Ruhe gekommen war.
 

Er klopfte an und wartete einen Moment. Die Stimme von Alessandro Sforza bat ihn einzutreten. Und das tat er. Alessandro Sforza saß am Bettrand und betrachtete den blonden Mann, der nun aus dem Schlaf hochschreckte.. Offenbar kurz verwirrt blickte er zu ihm, dann lächelte ihn Finley an – ein gutes Zeichen. Zu sehen, dass der Kardinal Finley wohl tatsächlich Ruhe gegönnt hatte, tat gut. "Entschuldigt, eure Eminenz", murmelte er halblaut und versuchte ein Lächeln. "Ich hatte versprochen, nach Finley zu sehen, aber ich sehe, dass es ihm ganz gut zu gehen scheint." Er hob die Augenbrauen. "Ja,... ich geh dann mal wieder..." Und damit wandte er sich ab und verließ das Zimmer, seinen Koffer mit Arzneien mitnehmend. Es war wohl besser, er würde ihn bei sich haben. Wer wusste, was heute Nacht noch geschah. Und wenn Dominico so weitermachte... dann würde er fliehen, aus reinem Selbstschutz. Die ganze Nacht ist zu kurz, um jemandem wie dir auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Die Worte hallten noch immer in ihm wieder.
 

Finley

Erschrocken zuckte Finley zusammen, als es mit einem Mal klopfte. Das Gesicht des Arztes, Kieran, kam zum Vorschein. Der Rebell hatte völlig vergessen, dass dieser noch einmal nach ihm sehen wollte und auch, wenn er sich von dem Mann zuvor im Stich gelassen gefühlt hatte, war er doch froh, dass dieser immerhin sein Versprechen gehalten hatte. Also lächelte Finley ihn so gut es ging an, um zu zeigen, dass es ihm zurzeit durchaus nicht schlecht ging. Allerdings wollte er lieber auch nicht zu gut aussehen. Man wusste schließlich nie, was noch geschehen würde. "Danke, dass ihr nach mir gesehen habt", fügte er hinzu und beobachtete die Überraschung im Blick des Arztes und folgte dessen Blick zu Alessandro, der neben ihm saß. Schnell blickte er wieder zur Tür. Die letzten Worte kamen ihm in den Sinn. Er hoffte, dass sie Alessandro nicht wieder aufgreifen würde…. Und so folgte ein etwas unsicheres Lächeln, während er Kieran genauer ins Auge fasste. Dieser hatte seine Kleidung gewechselt. Doch sie wirkte zu groß. Auch sein Haar schien durcheinander, sein Gesicht etwas gerötet und in seinen Augen schien etwas zu funkeln, was er hin und wieder auf ähnliche Weise in den Augen anderer Männer gesehen hatte. Wenn auch nicht oft.

Kaum, dass Kieran wieder verschwunden war, entstand eine kleine, seltsame Stille. Finley überlegte, ob er aussprechen sollte, was er zu sehen geglaubt hatte, doch er hielt es kaum für angemessen. Alessandro hatte sicher genug Erfahrung, um dieses Erscheinungsbild zu deuten und der Rebell wollte Kieran nicht bloßstellen, falls dem nicht so war. Also hielt er einfach den Mund. Abgesehen davon, schämte er sich nun tatsächlich etwas dafür, dass er zunächst um Hilfe gerufen hatte. Auch wenn er immer noch nicht genau wusste, ob der Zeitpunkt nicht kommen würde, dass er erneut nach Hilfe rufen musste.
 

Alessandro

Als es klopfte hob Alessio nicht mal den Kopf. Der ranghöchste Mensch, der hier eintreten konnte, war sein Bruder und in der Regel klopfte der nicht, wenn er etwas von ihm wollte. Gut, eine willige Cecile die zu dieser späten Stunde noch nichts Anderes gefunden hatte, würde wohl auch klopfen, doch das würde ihn auch nicht dazu bringen, seine Position zu ändern. Und es war, wie er vermutet hatte, ein überfürsorglicher Kieran, der es tatsächlich noch mal über sich brachte, hier aufzutauchen... und auch noch in der Kleidung seines Bruders. Alessio musste ein höhnisches Auflachen und einen hämischen Kommentar doch sehr unterdrücken und es gelang ihm kaum. Naja, manchmal spielte das Leben eben so. Kieran sah nach Fin, ohne das Alessio sich wegbewegte und er ging auch wieder, sehr schnell. Offenbar war ihm die ganze Sache peinlich und genau das sollte sie auch sein. Wobei es Fin wohl noch peinlicher sein sollte, immerhin hatte er um Hilfe geschrien. Als die Tür ins Schloss fiel gluckste Alessio leise. "Soso.. erst schreist du danach, dass er dich nicht mit mir allein lässt, und jetzt wo er heroisch kommt, um dich vielleicht aus meinen folternden Händen zu retten, kriegst du keinen Ton heraus. Er muss sich ganz schön veräppelt vorkommen, meinst du nicht?"
 

Finley

Was allerdings dann aus dem Mund des Kardinals kam, ließ Finley erstarren. Diese Bitterkeit und gleichzeitig der Hohn. Alessandro war gefährlich. Und alles an dem Verhalten des Kardinals zeigte von Wut. Finley blickte noch kurz zur Tür. Er erinnerte sich gut an das, was der andere gesagt hatte, bevor er weggenickt war… Er hatte sich darüber gewundert, dass Alessandro tatsächlich seine Pläne verriet. Krampfhaft überlegte er, wie er dies nach außen würde tragen können. Das beklemmende Gefühl in seinem Magen breitete sich langsam zu Übelkeit aus. Wie hatte er so ein verdammter Idiot sein können, zu glauben, dass dieser Mann ihm und seinen Freunden nur Gutes wollte, nur weil er hier saß und ihn hatte pflegen lassen? Finley steckte in der Zwickmühle. Er würde nicht plaudern. Die Umstände waren durch ihn schon schlimm genug. Und seine Freunde? Würden sie diesem ungeheuerlichen, unsagbar gemeinen Trick glauben, er habe gesungen? Er hoffte es nicht, doch es gab sicher einige, die mit der Favorisierung Ralphs nicht einverstanden gewesen waren und ihm sicher alles zu trauten. Und er hatte nicht mal die Möglichkeit, sie zu warnen. Etwas Falsches zu erzählen, würde auch wenig nutzen. Er und seine Freunde saßen in der Patsche.

Finley überlegte, ob er so tun sollte, als wisse er nicht mehr, wovon vorhin die Rede gewesen war. Aber der durchdringende Blick, dem er versuchte auszuweichen, verriet ihm, dass er durchschaut war. „Warum siehst du mich so an?“ , zischte er genervt und wohl auch überfordert von der Sackgasse, in der er sich befand. Das spöttisches Lächeln auf den Lippen des Kardinals verriet ihm, dass er den falsche Weg nahm. "Ihr werdet die Rebellen niemals klein bekommen!", wisperte er resignierend und verfiel automatisch in das alte Muster. "Es wird immer Menschen geben, die den Adel stürzen sehen wollen! Und es wird immer Rebellion geben. Und eines Tages werden wir auch siegen, auch wenn wir nicht wissen, was wir mit unserem Sieg anfangen! Und außerdem sind die Straßen voller wütender Menschen. Sie wollen Anne nicht. Und solange diese... diese Person, auf diesem Thron sitzt, wird es keinen Frieden mit dem König und den Bürgern dieser Stadt geben. Ich hörte, selbst der Adel würde sie nicht ausstehen können! Was versprichst du dir davon, ein paar arme Seelen an den Galgen zu bringen, Alessandro?!" fauchte er und vergaß nun völlig, in welcher Situation er sich befand. Finley war schon immer ein Hitzkopf gewesen und seine Mutter hatte ihm damals schon gesagt, seine große Klappe würde ihn eines Tages noch in ernsthafte Schwierigkeiten bringen.
 

Alessandro

Alessandro wusste nicht, wieviel der andere von seinen letzten Worten mitbekommen hatte. Aber die Reaktion auf seine Nähe und seine Anwesenheit, das Ausweichen des Blickes, das unruhige Hin- und Herumrutschen des anderen, verriet ihm, was er wissen musste. Und so dauerte es nicht lange, bis Finley seine Stimme wiedergefunden hatte und lospolterte. "Ein paar arme Seelen?" Da zeigte sich wohl doch noch einiges an Kampfgeist in Finley... naja, Alessio griff ja auch gerade diese heilige "Sache" an. "Woher weißt DU schon, was Gerechtigkeit ist? Du hast doch keine Ahnung davon." Fin konnte sich nicht wirklich von ihm wegbewegen, also drehte Alessio sich einfach, so dass er dem kleinen Möchtegernrebellen in die Augen sehen konnte. "Du weißt gar nichts über den König und über Anne Boleyn. Du weißt auch nichts über Katharina von Aragon oder über Giulia Sforza und all die anderen Frauen die in seinem Bett gelegen haben. Du weißt nichts über Macht und Einfluss des Adels und darüber, was wir über EUCH denken."

Er griff nach dem Weinbecher um ihn erneut zu füllen, trank aber nicht. "Du spuckst hier große Töne, du hast doch keine Ahnung! Und nicht mal Ralph hatte irgendeine Ahnung! Ihr seid kleine Leute, ihr seid niemand. Wenn ich will, dann hängen deine Freunde noch heute Nacht und es wird sich niemand darum scheren. Denn hätte Ralph Kontakte nach ganz oben gehabt: ich wäre längst vergiftet, oder ich wäre jetzt an seiner Stelle tot, weil er nicht allein und betrunken auf mich gewartet hätte, sondern vorbereitet und mit Verstärkung. Aber nein, er war allein und warum war er allein? Weil er sich in diesem Fall auf niemanden hätte verlassen können. Niemand hätte mitgezogen und erst recht niemand seiner vielleicht doch vorhandenen einflussreichen Freunde. Denn wenn ihr Freunde seid von Katharina von Aragon, dann wird keiner den Mord an einem katholischen Kardinal unterstützen, weil Katharina Katholikin ist! Hast du dir bei all deinem Drang nach Freiheit und dem Sieg über etwas, von dem du nicht einmal weißt, was es ist, Gedanken darüber gemacht, um was es überhaupt geht? Nein, hast du nicht. Dass man dabei Opfer bringen muss, das ist keinem von euch bewusst. Was habt ihr schon getan? Einen jungen Hüpfer wie dich in eine Kirche eingeschleust, wofür? Du warst nicht überzeugend, du bist aufgefallen und das war schlecht. Will man spionieren bleibt man unsichtbar, und du hättest auffälliger nicht sein können.

Ralph konnte sicher kaum hoffen, Informationen von einem Mann zu bekommen, der sein Tagewerk damit verbringt, kleinen Verrätern und Männern, die die Kirche unterwandern, das Handwerk zu legen. Du in meinen Fingern war das letzte, was er hat wollen können, und doch bist du bereitwillig in meine Arme gesprungen - ein weiteres Zeichen für eure Inkompetenz. Ein so unorganisierter Haufen macht nur unsinnigen Ärger. Er erreicht nichts und steht im falschen Moment im Weg, also muss er aufgelöst und zerstreut werden, mehr habe ich davon nicht und mehr brauche ich davon auch gar nicht. Ich frage mich wirklich, wie du ohne den Blick für die wesentlichen Probleme in dieser Gemeinschaft, in der du dich herumgetrieben hast, überhaupt so lange hast überleben können. Ein Rebell.. gib den Leuten da draußen ein bisschen Kurzweil und ein Jahr ohne Steuern und sie werden für ihren König in jeden Krieg ziehen. Diese Menschen sehen alle zu ihrem König auf und halten ihm die Treue, du brauchst ein ganzes Land und mehr als einen verlorenen Krieg, um dieses Vertrauen zu erschüttern."
 

Finley

Der Kardinal hatte sich vor ihn geschoben, sodass dieser ihm nun genau in die wütend funkelnden Augen blicken konnte. "Und woran liegt es, dass ich nichts weiß? Dass wir nichts wissen? Weil ihr uns nicht am politischen Leben teilhaben lasst! Wir dürfen nur winken und 'Hurra' schreien, aber niemanden interessiert es, wie es uns geht, was wir tun und wie arm wir sind, solange rechtzeitig die geforderte Menge Getreide und Holz und was weiß ich da ist! Wie soll es mich interessieren, wen der König heute vögelt und wen er gestern gevögelt hat, wenn ich nicht weiß, ob ich den morgigen Tag überlebe? Das einzige was das Volk sieht, ist Anne Boleyn und dass die Kirche Dinge predigt, an die sich alle halten sollen, aber jeder mit Geld und Macht hat augenscheinlich das Recht, zu tun und zu lassen, was er will!" Finley schnappte nach Luft und bemühte sich, sich zu beruhigen. Das hier war nicht der richtige Moment, um aus der Haut zu fahren und ganz abgesehen davon, war er auch nicht in der richtigen Verfassung. Schon jetzt spürte er, wie seine Gliedmaßen bei seiner lauten Stimme erzitterten und seine geballten Fäuste pulsierten leicht vor Schmerz. "Ich weiß, dass wir nicht gerade die Tempelritter sind", knurrte Finley und schloss für einen Moment die Augen, um nicht wieder laut zu werden. "Ich weiß, dass du uns alle hängen lassen kannst und es würde dir wahrscheinlich nicht mal ein schlechtes Gewissen, geschweige denn einen Alptraum bescheren. Ich weiß, dass wir dir alle egal sind und dass es dich nur interessiert, dass es dir selber gut geht. Aber kannst du nicht zumindest verstehen, wie trist unser Leben ist? Wie ermüdend und kalt. Wie verdammt unsicher unser bloßes Überleben ist? Wir mögen ein Haufen Stümper sein, die wie kleine Kinder ein Abenteuer spielen, aber wir spielen zur Hölle nochmal eine Rolle! Einzeln mögen wir leicht zu beseitigen sein, doch ich will, dass die Menschen begreifen, dass sie wichtig sind. Jeder von ihnen, als Individuum. Und dass wir zusammen etwas erreichen können." Finley verstummte einen Moment. Er hatte so viel gesagt, was ihm wichtig war. Und das diesem Mann, der Recht hatte, in allem, was er da sagte, doch der in seinem goldenen Palast wohl ebenso wenig zu verstehen schien, wie Finley diese fremde Welt begreifen konnte.

"Ich weiß, ich kann dich nicht aufhalten, Gerüchte zu verbreiten oder jemanden zu hängen, aber falls du vorhast, mich gesund werden zu lassen, dann bitte ich dich, mich danach unbehelligt gehen zu lassen. Wie du bereits gesagt hast, werde ich ohnehin keine Rebellion anzetteln können, selbst wenn ich wollte. Und ohne meine alten Freunde werde ich erst einmal Fuß fassen müssen, um weiter überleben zu können." Der Rebell war sich nicht sicher, ob Alessandro zustimmen würde. Er konnte diesen Mann ganz und gar nicht einschätzen und vielleicht würde es besser sein, ihm aus dem Weg zu gehen. Dieser Mensch schien ihn immer abwechselnd zu retten und in Schwierigkeiten zu bringen, doch er war nicht sicher, ob Alessandro nicht auch für die Schwierigkeiten verantwortlich war.

Ein Gähnen schlich sich Finleys Kehle empor und er schaffte es nicht, sich rechtzeitig den Mund zu verdecken, da ihm die Arme schmerzten. Die gesamte Situation schwächte ihn, es war so hoffnungslos. Der Gedanke, was kommen würde... er fühlte sich so unendlich müde... er wollte schlafen, einfach nur schlafen und schlafen und schlafen... und am besten nie wieder aufwachen.
 

Alessandro

Eigentlich hatte er Fin für wesentlich weniger beschränkt gehalten. Gut, er hatte sich äußerst verdächtig verhalten, als er ihn das erste Mal getroffen hatte, doch diese Verdachtsmomente waren vor allem daraus entstanden, dass Alessio gewusst hatte, worauf er achten musste. Für alle anderen war Fin einfach nur eine Ausgeburt von Frömmigkeit gewesen und der Diebstahl von Münzen aus den Beuteln war keine Seltenheit. Viele bereicherten sich an diesen Spenden, auch wenn Fin es vielleicht ein wenig übertrieben hatte. Gut, auch im Bett war er etwas wankelmütig und viel zu "pflichtbewusst" gewesen, doch Alessio war sich eigentlich recht sicher, dass Finley einen Sinn für Realität hatte. Das was gerade aus seinem Mund kam war so realitätsfern, dass Alessio es in einem Theaterstück als Posse mit lautem Beifall bedacht hätte.

Der junge Rebell, zusammengeschlagen auf dem Bett, war einfach nicht zur Vernunft zu bringen.. Alessio schüttelte den Kopf ehe er sich erhob und den zeternden Fin einfach im Bett liegen ließ, während er alles Spitze und Gefährliche aus seiner Reichweite räumte. Nicht dass der Junge noch auf dumme Gedanken kam, die er offenbar ohnehin schon die ganze Zeit hatte. Schließlich konnte er doch nicht anders und musste bei den Ausführungen über Individualismus lachen. An den Bettpfosten gelehnt sah er zu Fin hinab. "Man im Ernst, daran glaubst du nicht wirklich, oder? Ein jeder ist wichtig, das Individuum zählt? Gemeinsam sind wir stark? Du bist ein größerer Idiot als ich dachte wenn du das wirklich für bare Münze nimmst.

Du wirfst mir vor ich würde mich um mein eigenes Wohlergehen sorgen - ist das nicht das Individuum das zählt? Aber lass dir eines gesagt sein, es geht hier nicht um mich. Dass ich ein kleines Flittchen wie dich durch mein Bett schubse, interessiert niemanden. Dass du es heraus posaunst - von mir aus. Hier in Cambridge kann mir niemand etwas, der Vatikan wird mich dafür vielleicht tadeln und ich bete einfach ein paar Vater Unser mehr, aber passieren? Passieren wird gar nichts. Die Sorge gilt nicht mir, meinem Ruf oder meiner Person, sondern MEINEM König, und diesem Land das ich inzwischen neben meiner Heimat als das meinige ansehe. So wie du angeblich loyal und treu gegenüber deinem Ralph gewesen bist, so bin ich loyal zu Henry, meiner Familie und dem Vatikan. Wenn ich also jetzt meine Boten in die Stadt schicke um dafür zu sorgen, dass bei Sonnenaufgang Leichen auf dem Marktplatz hängen, dann weil ich mich Sorge - um das Wohl Englands. Nur mal angenommen eine Gruppe wie ihr hätte Erfolg, was würde passieren? Ein neuer König würde kommen, ich habe es dir bereits gesagt. Mit einer größeren Armee, mit mehr Druck und falschen Versprechungen. Und wieder würdest du im Dreck kriechen, am unteren Ende der Gesellschaft. Du wärest weiterhin nichts, deine Revolution im Sande verlaufen. Das Volk ist nicht bereit, die Macht mit zu tragen, weil sie sie gar nicht wollen. Selbst die verhungernden Bettler sehen zu dem König auf, wenn er ihnen Essen verspricht. Anne hat gar nichts damit zu tun. Sie ist nur eine Frau von vielen und wenn der König sie heiraten will, wird er das tun. Er hat das katholische Frankreich bereits zum Feind, was will Italien tun, was will Spanien tun?

Niemand von ihnen wird die Insel angreifen, dafür haben sie nicht die Mittel und dafür ist die Armee des Königs zu groß. Das Schlimmste, das Henry dabei passieren kann, ist, dass die Gelder nicht mehr fließen, dass er vom Papst exkommuniziert wird, und dass die Kirche seine Ehe mit Katharina nicht scheiden wird - aber was kümmert es den König, was ein alter Mann hunderte Meilen von ihm entfernt auf einem Stuhl zu sagen hat? Gar nichts.

Und du willst mir ernsthaft sagen, du hast keine Ahnung von all diesen Dingen? Du hast anklingen lassen eine christliche Erziehung genossen zu haben, du sagtest du habest begonnen Jura zu studieren - all diese Dinge müsstest du wissen, wenn du nur halb so gescheit wärest, wie du tust. Aber du bist einfach nur ein Träumer, der sich durchfüttern lässt von den willigen Männern, denen du deinen Arsch hinstreckst - ohne jeden Sinn für reale Ambitionen, die dich dorthin bringen könnten, wo du Einfluss hast. Individuen haben Macht. Die Macht, selbstständig etwas aus sich zu tun. Die Gelegenheiten gibt es. Man muss sie nur erfreuten!" Er winkte ab und wandte sich zur Tür. "Wenn du gesund bist werde ich dich der Stadtwache übergeben. Sollen die mit dir anstellen, was ihnen gefällt." Damit zog er die Türe auf, um zu gehen. Er hatte geglaubt, mehr in Finley zu erkennen, doch da im Bett lag ein kleines Kind, das im Grunde schon begriff, dass man etwas tun musste, um im Leben mehr zu haben als nur Eintönigkeit, aber nicht erkannte, dass dieser Weg eben nicht durch Freiheit und Brüderlichkeit zu bewerkstelligen war.
 

Finley

Wut, Abscheu und Hass begannen in Finley zu brodeln und wie heißes Wachs durch seine Eingeweide zu kriechen. Das Verlangen kam in ihm auf, diesen Mann zu Boden zu reißen und so lange diesen verbohrten Kopf auf dessen blankgeputzten Fußboden zu hämmern, bis sein Gehirn zu Brei geschlagen war und er keine dieser hässlichen, niederträchtigen Worte mehr gebrauchen konnte. Doch stattdessen blieb ihm nichts anderes übrig, als die Hände in die Bettlaken zu krallen und den stechenden Schmerz, der sich zwischen seinen Rippen ausbreitete, zu ignorieren.

"Es wundert mich, dass du dich morgens noch im Spiegel ansehen kannst, mit deiner gespaltenen Zunge und deinen Worten voller Gift! Erst stellst du dich großzügig, bezahlst einen Arzt und setzt dich zu einem verwundeten Gauner ins Bett. Tust so, als wären wir alles Idioten, die keine Ahnung von dem weisen, netten, allseits besorgten Adel hätten. Wir, die wir im Dreck der Straße kriechen und euren Wohlstand finanzieren, hätten in der Politik nichts verloren. Du sagst es mit ruhigen Worten, mit einer Stimme, so weich wie Honig, aber ich wusste von Anfang an, dass man dir nicht trauen kann! Du bist so lächerlich! Derjenige, der nicht versteht, bist du! Hörst du dir eigentlich manchmal selber zu? Du redest von Güte und Liebe und Gnade und Wissen, doch nichts davon meinst du, wie du es sagst! Das ist der Grund, warum du nicht verstehst und niemals verstehen wirst, wovon ich rede! Denn ich meine, was ich sage, auch wenn ich es nicht umsetzen kann, so werde ich doch frei sein. Brech ruhig deine Versprechungen, häng mich ruhig an den Galgen! Ich habe von dir nichts anderes erwartet und dennoch lass dir gesagt sein - auch wenn du es mir nicht glauben wirst - dass ich in der kurzen Zeit, in der mein Geist frei war, glücklicher war, als du jemals im Leben sein wirst mit all deinem Gold, deiner Macht und deiner verfluchten Politik!"

Wie sehr konnte man sich in einem Menschen täuschen? Finley hatte geglaubt, Verständnis und einen Hauch des gleichen Geistes in diesem Mann erkennen zu können, doch er war wohl verblendet oder zu hoffend gewesen. Alessandro war nichts weiter als ein Adeliger, der sich durch Wohlstand und Macht profilierte und der jeden, der anderer Meinung war oder ihm im Wege stand, aus dem Weg räumen würde. Und das, wie er es so schön geschildert hatte, wahrscheinlich auch noch mit Genuss. Was auch immer dieser Mann sich von seinem Besuch und der geheuchelten Fürsorge versprochen hatte, er hatte es wohl nicht bekommen.

Und doch blieb die Übelkeit in ihm, als die Tür hinter dem Kardinal schwer ins Schloss fiel.
 

Alessandro

Ja, es war wirklich sinnlos gewesen, einen Arzt zu bezahlen. Alessio hatte es nicht einsehen wollen, doch als er jetzt sein Schwert gürtete und den Dolch auf der anderen Seite in den Gürtel steckte, wusste er, dass dieses Geld, von dem er nicht einmal wusste, ob Kieran es wollen würde, vergebens gewesen war. Was auch immer er geglaubt hatte in Finley zu sehen, es war nicht da. Die Tür knallte hinter ihm, als er hinaustrat und sie mit sich ins Schloss riss.

Ostern in Cambridge - Vertrauen

Dominico

Als sich die Türe hinter Nico geschlossen hatte, musste er selbst schlucken. Das war sogar für ihn nicht nur ungewöhnlich, sondern absolut neu gewesen. Naja, fast neu. Man sagte schon mal viel, wenn der Tag lang war, vor allem, wenn man mit Frauen zusammen war, doch bei Kieran hatte Nico es so gemeint. Es waren seltsame Gefühle, die er empfand und die er nicht benennen konnte.. aber sie fühlten sich gut an und damit wollte er sie nicht unterdrücken. Noch immer etwas in Gedanken versunken ging er hinab in ihre Speisekammer, erschreckte dabei die beiden Küchenmädchen die noch immer da waren. Er winkte ab und nahm selbst ein Tablett, um Schinken, Brot und Käse darauf zu stapeln. Das Brot war frisch gebacken und der Schinken roch verlockend, doch Nico hatte gerade keinen großen Hunger. Er war zu verwirrt, wohl genauso wie Kieran. Es hatte keine Zukunft und doch spielte Nico es in Gedanken durch. Was wäre, wenn er Kieran öfter als nur dieses eine Mal zu sich holen können würde? Würde Kieran das mitmachen? Kieran würde es sicher nicht mitmachen, aber was wenn doch? Wie würde er es vertuschen können? Wie würde er Kieran an sich binden können und wie würde er diese Affäre und alles was sich daraus eventuell ergeben konnte verschleiern? Er schlug sich den Gedanken wieder aus dem Kopf, es würde nicht passieren. Es war zu abwegig. Kieran hatte sich schon dieses eine Mal überwinden müssen, aber mehrmals das tun? Sicher nicht! Schon aus der Angst heraus entdeckt zu werden. Er verabschiedete sich von den Mädchen, die beide immer noch puterrot angelaufen ob des halbnackten Mannes in der Küche dastanden und sich kaum rührten und lief wieder nach oben. Im Zimmer war Kieran noch immer nicht zu sehen, brauchte sicher eine Weile, um zu Alessios Zimmer und dann noch nach Fin zu sehen. So stellte Nico das Tablett auf dem Bett ab und schenkte zwei Kelche Wein ein, stellte auch die Baklava auf das Tablett, die er extra für Kieran gekauft hatte. Dann ging er zu einer Truhe hinüber und nahm ein Räucherfass heraus. Er entzündete die Kohle darin und nutzte Sandelholz als Geruchsträger. Es dauerte kaum lang, bis es im ganzen Raum sehr angenehm duftete. Langsam ging er zum Bett zurück und setzte sich, wartete auf Kierans Rückkehr und es dauerte nicht mehr lange bis er wirklich wieder ins Zimmer trat. Er sah etwas verwirrt aus und seine Kleidung war wirklich zu groß für Kieran. Er musste unwillkürlich lächeln und es war ein offenes und ehrliches Lächeln. Es fiel ihm schwer, die kühle Arroganz jetzt auszupacken und sie war auch eigentlich absolut fehl am Platze. "Und, hat er ihn schon gelyncht? Oder lebt er noch?" Natürlich wäre Kieran kaum wieder hier und so ruhig wie er jetzt in der Tür stand, wenn das der Fall gewesen wäre. Oder bildete sich Nico nur ein, dass Kieran ruhig war? Vielleicht. Um etwas zu tun und ihn nicht anzustarren, als würde er ein schönes Kunstwerk anstarren, deutete er auf das Tablett. "Ich habe ein bisschen was geholt. Ich hoffe das reicht und macht dich satt." Und ja, es stimmte sogar - er hatte es SELBST geholt. Während Kieran näher kam, musste Nico unweigerlich an das Bild denken, dass Johnathan von ihm gemacht hatte. Es war der Realität sehr erstaunlich nah. Ja, eigentlich war es ein perfektes Bild von einem perfekten Körper, der perfekte Lust bereiten konnte. Ja, seine Gedanken schweiften eindeutig ab und es wurde sogar ihm selbst langsam absurd, was er dachte. Doch er ließ sich gern mitreißen mit seinen Gefühlen und genoss sie, wenn er sie fühlte. Er hatte sich halb auf dem Bett ausgestreckt, auf den Arm gestützt und zu Kieran aufsehend. "Also.. was fangen wir an, mit dieser angebrochenen Nacht?"
 

Kieran

Tief atmete Kieran durch, bevor er die Türklinke hinunterdeückte. Sollte er nicht lieber... aber sein Körper entschied für sich, gegen die Vernunft und so trat er in das Zimmer. Der angenehme Geruch, der ihm entgegenschlug, ließ ihn auf eigentümliche Art und Weise vergessen, dass er vor nur wenigen Sekunden noch den Gedanken gehabt hatte, vielleicht doch besser zu gehen, um sich nicht zu tief, zu emotional auf diese Nacht einzulassen. Und war es ihm noch einen Moment schwer gefallen, die Klinke zu drücken und die Tür zu öffnen, so war diese Schwere wie weggeblasen, als er Dominico erblickte - nur mit Hose bekleidet, mit diesen schönen grünen Augen ihn ansehend, mit diesem wundervollen Lächeln auf den Lippen. 'Nur eine Nacht', dachte er. 'Und die Frage ist doch eigentlich eher die, wie ich dir gerecht werden könnte und zwar jemals.' Aber er sprach den Gedanken nicht aus. Während er seinen Koffer an der Wand abstellte, fragte Dominico nach seinem Bruder und Fin. "Gelyncht hat er ihn noch nicht", sagte er mit einem Lachen in der Stimme. "Aber die Stimmung war angespannt und unterkühlt."

Er trat zum anderen, um sich direkt vor ihn zu stellen. Dominico deutete auf das Essen, das er geholt hatte. Kurz sah er auf das köstlich riechende Brot, den Schinken, den Käse. "Das wird es, danke", sagte er und sah den schönen Mann wieder an. Gab es durch die Worte des anderen eine Distanz in Vergleich zu vorher? Dann sollte er diese so schnell wie möglich beseitigen! Er wollte eine schöne Nacht haben, eine einzigartige. Und danach? Würde er leiden, das wusste er. Aber das nahm er in Kauf, er hätte ja vorhin auch gehen können. Und so lächelte er, als der andere ihn fragte, was sie noch mit dieser Nacht anstellen wollten, setzte sich kurzerhand auf dessen Schoß und küsste ihn, erst sanft, dann verspielter, und drückte ihn dabei rücklings aufs Bett. Er atmete tief ein, als er sich wieder löste, vertrieb damit die Schwere aus seinem Herz. Seine Augen suchten die des anderen. "Ich denke, uns wird das ein oder andere schon einfallen." Sein Lächeln wurde zu einem schelmischen Grinsen. Dann richtete er sich wieder auf, strich Dominico über die Brust. Dann rutschte er ihm aber vom Schoß und drehte sich dem Essen zu. "Aber erstmal brauche ich Stärkung."

Er nahm das Brot und brach sich ein Stück davon ab, dann roch er daran, bevor er kostete. Gutes Brot war etwas Wundervolles. Seine Mutter konnte nur backen, wenn sie über den Winter ein festes Quartier hatten, sonst lohnte es sich nicht, einen Ofen zu errichten. Er drehte sich zu Dominico, der sich wieder aufgesetzt hatte, dann rutschte er zu ihm, um sich an ihn zu lehnen, das Tablett so positionierend, dass es auch erreichbar für ihn war. "Erzähl mir von deinem persönlichen Italien", sagte er, während er von dem Käse zwei Stückchen abschnitt, und eines davon dem anderen vor den Mund hielt, während er ihn fragend ansah, ob er auch etwas wollte.
 

Dominico

"Unterkühlt... soso..." Nico nickte nachdenklich, doch es war eigentlich klar gewesen, dass nach dem Diebstahl und der Zugehörigkeit zu den Rebellen, keine romantischen Gefühle hochkommen könnten. Naja, es war das, was er ohnehin geahnt hatte. Alessio würde sich eine solche Chance nicht entgehen lassen. Etwas Ernstes fühlte er wohl kaum für Finley, auch keine aufrichtige Anerkennung wie Nico für Kieran hatte. Alessio war praktisch, sah den Vorteil darin, einen Rebellen bei sich zu haben und es war mit Sicherheit die Taktik seines Bruders, an Informationen zu kommen. Nico konnte es nur recht sein, immerhin profitierte auch er von seinem Ränkespiel.

Er wollte Kieran schon Platz machen, doch Kieran wollte gar keinen Platz, sondern schien sich damit zufrieden zu geben, auf Nicos Schoß Platz zu nehmen. Nico grinste als Kieran ihn küsste und schloss dann genießend die Augen. Dem Druck folgend ließ er sich aufs Bett sinken und zog Kieran mit, die Arme um seine Hüfte gelegt. Es war mit jedem Mal schwerer ihn zu entlassen, doch Nico ließ Kieran frei, so dass der sich dem Essen widmen konnte. Er wollte gar nicht mehr als das, wollte Kierans Nähe spüren und für diese Nacht Kieran in seinen Armen halten. Und genau das bekam er jetzt als Kieran sich das Tablett heranzog und sich so vor Nico platzierte, dass der ihn im Arm halten konnte. Ja.. das war angenehm. Beinahe gehorsam öffnete er den Mund und ließ sich mit dem Käse füttern. Er hatte zwar keinen großen Hunger, aber gefüttert werden war schon angenehm und Nico ließ es gern geschehen.

Kierans Frage überraschte ihn dann aber und er kaute nachdenklich. "Meinem persönlichen Italien..", echote er, während er überlegte wie Kieran das wohl meinen konnte. "Hmn.." Er schlang eine Hand um Kierans Tallie und streichelte sacht durch das weiche Hemd über Kierans Bauch. "Es ist wunderschön.. und gleichzeitig so fremd wenn man eine Weile hier gewesen ist. Dort laufen die Uhren anders." Er zuckte die Schultern. "Außeredem kannst du Italien und Rom nicht vergleichen. Gut, meine Familie stellt die Herzöge von Mailand. Wir herrschen über einen großen Teil Norditaliens und eigentlich geht es uns sehr gut.. doch diese Borgia Familie hat uns Nerven gekostet.. und auch wenn ich ihn selbst kaum noch gekannt habe, so war Rom doch ein besserer Ort als sie tot waren. Aber diese politischen Dinge interessieren dich sicher nicht, oder? Wie ist also mein Italien.." Er schien eine Weile darüber nachzudenken. "Ich mag die allgegenwärtige Geschichte des Landes. Die Römer haben uns viel Wissen hinterlassen und viele atemberaubende Städte. Und sie haben uns stolz gemacht.. doch das Italien, über das sie herrschten gibt es nicht mehr. Wir sind viel mehr viele kleine Herzogtümer, die alle dem Papst im Vatikan treu ergeben sind. Zumindest dann wenn der Papst im Sinne der Familien handelt. Mein Italien, also die Lombardei.. sie ist wunderschön. Es ist Hochland, keine ebene. Viele Hügel, über die man herrlich reiten kann, und unser Familiensitz ist ein wunderschönes Anwesen mit weitläufigen Gärten drum herum. Meine Kinder wachsen dort auf, sie genießen es sehr. Es würde dir sicher auch gut gefallen. Ich liebe es, im Sommer ausgedehnte Ritte durch unsere Ländereien zu machen. Im Süden gibt es große Felder und es gibt Wein. Die Trauben zur Lese sind lecker. Der Wein den wir daraus machen noch viel besser.. ich habe noch welchen da, vielleicht kann ich dir eine kleine Flasche mitgeben. Dann kannst du ihn deinen Eltern schenken, die freuen sich sicher darüber. Und ansonsten.. Italien ist einfach so viel lebendiger als England. Ich vermisse den Umgang. Mehr Emotion, mehr große Gesten. Mehr.. naja, italienische Mentalität. Hier ist alles sehr steif und mehr hinter dem Rücken. Was meinst du, du hast sicher schon viel gesehen."
 

Kieran

Die Arme, die ihn umfasst hielten, die Wärme des anderen, die er durch den Stoff spürte, die Finger, die ihn streichelten - Kieran war froh, zum einen nicht gegangen zu sein, zum anderen, dass die Worte, die ihn hatten so schwermütig werden lassen, vom anderen nicht weiter thematisiert wurden und er sie unter den Tisch hatte fallen lassen können. Das hier - so zu sitzen, sich so nahe zu sein, sich so vertraut zu sein - das war einfach nur schön. Und Grashalm war er hier, um das zu genießen, auch wenn es nur für eine Nacht war.

Während er der Antwort lauschte, aß er langsam vom Brot, dem Käse und Schinken. Hin und wieder bot er auch dem anderen etwas an.

Kieran musste schmunzeln, als der andere erstmal versuchte, sich zu sortieren, seine Frage erstmal zu erfassen. Und es wunderte ihn erstmal nicht, dass Dominico mit politischen Aspekten begann. Es zeigte ihm nur deutlich, dass die Politik wirklich einen erheblichen Teil des anderen ausmachte. Dominico hing wahrscheinlich täglich in diesem Spiel der Mächte fest, in dem man oft mit dem falschen Wort oder sogar auch nur falschen Blick sich oder auch viele andere ins Unglück stürzen konnte. Dass Rom und Italien zweierlei war, das wusste er. Daher nickte er zu den Worten. Er erfuhr, das Dominico im Mailänder Raum seine Familie hatte, dass es ihnen gut ging, womit er wohl seinen Reichtum meinte, und dass seine Familie Probleme mit den Borgias gehabt hatte. Er konnte sich nur bedingt erinnern, den Namen gehört zu haben, er steckte ihn nach Spanien. Aber wirklich viel wusste er nicht davon. Es waren wohl die üblichen Intrigen und Streitereien, die in diesen Ebenen und Familien auftraten.

"Nein, das meinte ich nicht", bestätigte er dem anderen. "Die Politik ist sicher, was dein gesamtes Leben geprägt hat, aber ist es wirklich dein persönliches Italien?"

Dominico schien sich neu zu sortieren und Kieran ließ ihm die Zeit, aß noch etwas Brot und naschte noch etwas Schinken, der göttlich schmeckte.

Es schien dem anderen wirklich schwer zu fallen, das Politische zu abstrahieren. Die Geschichte Italiens? Die Antike? Er sah Nico etwas skeptisch an. Er sah eher, dass man sie mit Füßen trat und die alten Gebäude verkommen ließ. Tempel der heidnischen Götter wurden abgerissen und Kirchen darauf errichtet, um Exempel zu statuieren. Kieran konnte nicht sehen, dass das Andenken an das Volk, das einst das Zentrum der Welt gewesen war, wirklich erhalten, nein eher nur missbraucht wurde. "Ja, Städte wohl und Wissen, aber vieles wird mit Füßen getreten ", warf er ein und lächelte nun, "und stolz seid ihr wahrlich." Dann ließ er Nico aber weiterreden. Und endlich, nach den Ausführungen zum Papst, kam er zu dem Punkt, den er hatte hören wollen. Dominico kam zu der Landschaft, in der er aufgewachsen ist. "Jetzt sind wir richtig", sagte er leise und lauschte den Worten, sich an den anderen lehnend. Kieran war der Überzeugung, dass nichts einen so prägte, wie das, wie man in seinen Kindheitsjahren aufgewachsen war. Und Dominico zeichnete ihm nun verbal ein Bild davon, das Kieran vor seinem inneren Auge malte, auf Wissen zurückgreifend, das er selbst aus frühster Kindheit hatte. Er sah Nico auf einem ähnlich prächtigen Tier wie neulich in Cambridge, wie er durch die weiche, warme Landschaft ritt und das Gefühl von Freiheit genoss. Ein schönes Bild war das, ein Bild, das er sich bewahren würde, sollte er Dominico jemals wieder mit dem ernsten Gesichtsausdruck eines Mannes sehen, durch dessen Hände Menschen starben. Und die Kinder, die in diesem Bild durch die Worte des anderen gegenwärtig wurden, störten ihn nur einen Augenblick. Er wusste, was es mit Nicos Ehe auf sich hatte. Und die Kinder konnten sich glücklich schätzen, nicht hier sein zu müssen. Hier, wo sie vielleicht deutlicher merken würden, wie die Situation um ihren Vater und ihre Mutter war.

Als der andere ihn ansprach, holte ihn das aus seinen Gedanken. Er lächelte. "Da hast du wohl recht", sagte er. "Italien ist lebendiger, wortreicher und impulsiver. Die Engländer haben einen Stock verschluckt, aber immerhin verfügen sie noch über genug Humor, um dich selbst auch so zu reflektieren. Der Humor geht zum Beispiel den Deutschen zumeist ab. Dafür sind die direkter." Er sah den anderen an. "Und, ja es würde mir gefallen. Ich habe gerade Sehnsucht nach dem Süden bekommen", gab er lächelnd zu. "Ich erinnere mich an Italien nur bedingt, wir waren dort viel unterwegs als ich noch ziemlich jung war. Aber Italien löst bei mir immer ein Gefühl von Gelassenheit, Wärme und Herzlichkeit aus. Italien schmeckt nach Wein, salzlosem Brot, nach Thymian, Salbei, Knoblauch und Basilikum und riecht nach einer Mischung von Lavendell, Rosmarin und Erde." Er überlegte kurz. "Wir hatten vor, uns im Spätsommer auf den Weg dorthin zu machen. Jetzt kommt London dazwischen. So bald werde ich es wohl nicht sehen." Er lächelte sacht. "Ich verstehe, dass du es vermisst. Ich vermisse die südlichen Länder auch. Meine Mutter und auch seine anderen Frauen hängen meinem Vater schon lange in den Ohren, aber er ist Engländer und begreift dieses als seine Heimat, obwohl sonst keiner von uns hier geboren ist."
 

Dominico

Eigentlich benutzte Nico ja gern das gute Essen in diesem Hause um die Dame oder den Herrn der Wahl ein wenig um den Finger zu wickeln - hier war das gar nicht nötig gewesen. Doch Kieran sah so aus, als hinterließe der gute italienische gesalzene Schinken den gewünschten Effekt - Kieran schloss genüsslich die Augen als er kaute. Der Käse war aus Ziegenmilch, aber auch sehr mild und damit auch für englische Gaumen nicht all zu fremd, wobei das bei Kieran kaum eine Rolle zu spielen schien. Der junge Mann machte den Eindruck alles essen zu können, solange es ihm schmeckte - er machte sicher keinen Unterschied nach Region, wie manch andere das taten. Und während Nico noch sprach, zog er das Tablett mit dem süßen Gaz näher, von dem er sich eines zwischen die Zähne schob. Die weiche weiße Zuckermasse, gespickt mit Pistazien schmeckte nach Rosenwasser und Sonne. Er konnte nicht genau sagen warum, aber es schmeckte herrlich, und Nico schloss die Augen während Kieran über das Italien erzählte, das er wahrgenommen hatte. Ja, er selbst kam kaum heraus aus diesem politischen Denken, es war nunmal sein Leben schon immer. Und das, was er über die wirklich schönen Dinge des Lebens dachte, war bisher einfach nur uninteressant gewesen, zumindest für die Leute, mit denen er zusammen war. Niemand sah die Schönheit der Natur, niemand interessierte sich für das Gefühl in den Weingärten umherzuwandern und die Trauben vor der Lese zu essen, während die Sonne unterging. Sich zu lieben in diesen endlosen weiten Landen unter dem blauen Himmel... Nico kam ins Schwärmen und musste sich zusammenreißen, um im hier und jetzt zu bleiben.

"Naja, wer weiß. Vielleicht ergibt es sich in Zukunft wieder, ich könnte.." Doch er brach ab und schwieg eine Weile ehe er sich erneut sammelte. "Du weißt, dass ich dieses Angebot mit London nicht gemacht habe, um dich heute hier her zu bringen.. und ich würde auch kein anderes Angebot machen, um mich hierfür zu bedanken oder es erneut einzufordern, das weißt du, oder?" Er konnte Kieran nicht ansehen, doch seine Hand hatte innegehalten damit Kieran zu streicheln und er schien beinahe auf eine Reaktion zu warten.

"Ich meine nur.. wenn du Italien vermisst oder Spanien oder.. alles andere am Mittelmeer, dann könnte ich es vielleicht so legen, dass du mich auf eine dieser Reisen begleiten kannst." Nun, sicher nicht nach Italien, zumindest nicht in das Haupthaus ihrer Familie. Wobei es Kieran schnell egal werden dürfte, wenn er sah, wie das Ehepaar Sforza miteinander umging. Es war eine höfliche und herzliche Familienatmosphäre, doch es war eben so als würden Geschwister die Kinder von verstorbenen Ehepartnern aufziehen. Natürlich schlief Nico im ehelichen Bett und nicht selten war es dabei durchaus zu einigen Szenen gekommen, die von Leidenschaft und Lust geprägt waren - immerhin hatte Nico es auch geschafft zwei Kinder zu zeugen. Doch sie liebten einander nicht und deswegen waren sie auch so lang getrennt. Aber seine Frau und seine Kinder waren nicht immer in ihrem Landhaus, sogar eigentlich fast nie - denn auf dem Land war es langweilig und seine Frau weilte lieber in Rom, wo sich mehr des interessanten Lebens abspielte und die Kinder in den Schulen des Vatikan besser aufgehoben waren. Nico schüttelte die Melancholie ab und nahm sich ein weiteres Stück der herrlich süßen Zuckermasse. "Ich bin sicher, du wirst das Meer und die Wärme schon bald wieder erleben. Nach London wird deine Familie viel Geld haben und dein Vater kann seinen Frauen kaum so lange widerstehen, wenn sich finanziell eine kleine Auszeit arrangieren lässt, oder?" Er wollte wieder zu einem lockeren Thema zurückkommen und er strich Kierans oder besser: sein Hemd über Kierans Schulter hinab, weil es ihm ohnehin zu weit war. Warme Lippen senkten sich auf Kierans Schulter und seine Lippen küssten sich ihren weg hinauf zu Kierans Hals bis zu seinem Ohr. "Ich könnte dir nicht lange widerstehen, wenn du mich so inbrünstig um etwas bitten würdest.."
 

Kieran

Als Dominico sich von dem "orientalischen Honig" - unter diesem Namen kannte Kieran diese kleine Sünde - nahm, war für Kieran klar, dass er nun davon auch essen durfte. Als erster hätte er sicher nichts davon genommen. Das war eine Delikatesse, die sicher vom Ostermarkt war. Er hatte das süße... ja wie sagte man? Gebäck? schon einmal gegessen, aber noch nicht oft. Er hatte eine schöne Erinnerung aus seiner Jugend daran, als er mit Fatih vor einem Marktstand gestanden hatte und ihnen das Wasser im Mund zerlaufen war. Aber sie hatten es nicht geschafft, ihren Vater davon zu überzeugen, ihnen etwas davon zu kaufen.

Der Geruch, der davon ausging, hing ihm jedenfalls schon lange in der Nase und in ihm wuchs die Vorfreude darauf, selbst davon zu essen.

Dominico schienen seinen Ausführungen zu Italien mit in Erinnerungen genommen zu haben und sie schwiegen einen Moment. Kieran schob das Tablett mit dem Schinken, dem Brot und dem Käse ein wenig weg. Er war satt, auch wenn er nicht die großen Mengen gegessen hatte, aber es reichte ihm. Und die zuckrige Süßigkeit würde er ja auch noch kosten. Als Dominico zu sprechen begann, verstummte er jedoch in seine Bewegung. Hatte Dominico gerade sagen wollen "er könnte ihn.. ja was? Mitnehmen? Mit ihm nach Italien reisen? So einfach war das nicht... Das wusste Nico doch. Welche Berechtigung hätte er? Und wieso sollte Nico ihm das möglich machen? Wieder waren diese Worte von vorhin wieder in seinem Ohr. Er wagte nicht, den anderen anzusehen, dessen Bewegungen ebenfalls inngehalten hatten.

Und jetzt sagte er etwas, was Kieran überraschte. Dominico wolltte von ihm bestätigt bekommen, dass er ihn mit seiner Weichenstellung für London nicht gekauft hatte und er sich hier nicht prostituierte? Und er wollte klarstellen, dass er auch sonst nichts tun würde, um Kieran zu "kaufen"? Er lächelte und sah den anderen kurz über die Schulter an. "Das weiß ich, Dominico", sagte er. "Keine Sorge, das weiß ich sicher." Er war freiwillig hier. Er war hier, weil er die einmalige Chance wahrnehmen hatte wollen, mit diesem Mann, der ihn so sehr verwirrt hatte bei ihrer ersten Begegnung, eine Nacht zu verbringen. Reiner Egoismus war sein Aufenthalt hier, reiner, selbstzerstörender Egoismus.

Einen Moment überlegte er, ob er dem anderen seine Schuld noch einmal bestätigen sollte, aber das wollte er nicht noch einmal auf den Tisch bringen. Kieran wusste, dass er Dominico noch etwas schuldig war. Aber er würde das nicht mit seinem Körper begleichen, definitiv nicht. Und Dominico würde das auch nicht wollen, das wusste er.

Als Dominico fortfuhr, ihm zu erklären, dass er ihn mitnehmen könne, wenn er das wollte, lächelte er. "Das hast du mir bereits heute Nachmittag angeboten", sagte er ruhig und lehnte sich an den anderen. "Wir werden sehen, was die Zukunft bringt", sagte er dann leise, nachdenklich. "Wenn ich ein Arzt bin, dann würde das Sinn machen und dann würde ich das Angebot gerne annehmen. Aber erst einmal sind andere Dinge zu tun, damit es soweit kommt." Ja, er musste erst einmal seinen Weg finden, um diesen Traum, Arzt zu werden, zu verwirklichen. Er war seines eigenen Glückes Schmied und er würde seine Chancen nutzen, von einem einfachen Gaukler zu einem Arzt zu werden, sofern er die Möglichkeit bekam. Er würde abwarten, was in London geschah, ob er irgendwie die Möglichkeit bekommen würde, den Beruf des Arztes zu lernen, vielleicht sogar zu studieren. Wenn er das nicht schaffen würde, welchen Grund gäbe es dann für Dominico, ihn auf eine solche Reise mitzunehmen? Welchen Grund gäbe es dann überhaupt, mit jemandem wie ihm Kontakt zu halten? Keinen. Dominico und er hatten - gesellschaftlich betrachtet - nichts, was sie verband. Sie lebten in völlig verschiedenen Welten. Es gab keinen Grund für sie, ihre Bekanntschaft weiter zu forcieren. Aber wenn er es schaffen würde und den Fuß in die Tür stecken könnte, um in London ein Arzt zu werden, dann sähe die Welt anders aus. Kieran gab sich nicht der Illusion hin, dass sie je auf gleicher Augenhöhe wären, aber vielleicht würde man sich wenigstens hin und wieder sehen. Und allein wenn sie ein wenig miteinander reden können würden, wäre das doch eine schöne Sache, oder?

"Nach London sieht die Welt anders aus, und wenn ich es nicht schaffe, Arzt zu werden, dann begleite ich meine Eltern in den Süden." Ja, dann würde er weiter das tun, was er wirklich gelernt hatte. Menschen mit seiner Akroatik zu unterhalten. Und dann würde er weit weg wollen, um nicht mehr dem Mann begegnen zu müssen, der ihm eine Chance gab und die er dann verpatzt haben würde. Denn dann würde er Dominico nicht mehr in die Augen sehen können.

Dominico riss ihn aus den trüben Gedanken, als er sich daran machte, sein Hemd von seiner Schulter zu streifen. Die warmen Lippen des anderen auf seiner Haut verurachten einen kribelnden Schauer seinen Rücken hinab. Unwillkürlich neigte sich sein Kopf zur Seite, seine Augen schlossen sich, als er die warmen, weichen Lippen an seinem Hals spürte. Seine Gedanken wurden fahriger, irgendwie waren sie wie weggeblasen und seine gesamte Konzentration schien nur noch auf die Lippen gerichtet zu sein, die seinen Hals hinauf küssten und schließlich an seinem Ohr angelangt waren. Und die Worte ließen ihn lächeln. War das so? Es hörte sich schön an, also hinterfragte er es nicht. Einen Moment genoss er dieses Kirbbeln, das der Atem, die gesprochenen Worte auf seiner Haut ausgelöst hatten, dann öffnete er die Augen und drehte den Kopf so, dass er den anderen ansehen konnte. "Ich bin bescheiden erzogen worden", sagte er leise und seine Augen hingen einen Moment and den Lippen des anderen. "Ich glaube, ich habe keine großen Wünsche und daher habe ich auch nichts, um was ich dich inbrünstig bitten könnte." Er lächelte und sah den anderen wieder an. "Aber ich würde zu gerne ein wenig von dem orientalischen Honig kosten", murmelte er dann und küsste den anderen, verspielt, seine Zunge über die Lippen des anderen gleiten lassend. "Hm", schnurrte er schließlich. "Das ist aber auch zu lecker", murmelte er, drehte sich nun richtig, um Dominico letztlich auf den Schoß zu kriechen. Er nahm die Schachtel mit dem Gaz und brach sich ein Stück ab, und nahm es zwischen seine Lippen und deutete dem anderen, davon abzubeißen, was dieser auch tat. Der "süße" Kuss, den sie sich so gaben, war zärtlich, verspielt. Kieran ließ schließlich von den Lippen des anderen ab und schluckte herunter. Seine Augen hingen in denen des anderen, während seine Finger begannen über die freiliegende Brust des anderen nach unten zu streicheln. Dann küsste er ihn erneut, die süßen, leicht klebrigen Lippen in ein leidenschaftlicheres Spiel bindend. Seine Finger waren an Nicos Bauch angekommen, strichen darüber und fuhren sacht am Hosenbund entlang. Eigentlich sollte man meinen, dass er müde war. Aber dem schien sein Körper nicht zustimmen zu können. Binnen weniger Sekunden war das Bedürfnis nach Sex wesentlich präsenter, als jegliche Müdigkeit, die er vielleicht verpüren könnte.
 

Dominico

Seltsam. Nico verstand es einfach nicht. Wenn er mit einer Frau zusammen war, dann stellten sich all diese Fragen nicht. Es war fleischlische Lust und dann war es vorbei. Man verausgabte sich, man schlief ein. Man wachte am nächsten Morgen auf und die Damen gingen. Der Zauber ihrer Kleider, der Zauber ihrer Frisuren all das verschwand, wenn sie ersteinmal verschwitzt und mit verfilzten Haaren neben ihm lagen, dann war all ihre Schönheit anders geworden und das, was Nico an ihnen fasziniert hatte verflogen. Bei Kieran war es anders und bei den wenigen Männern, die er so kennen gelernt hatte auch. Das Gefühl ging tiefer, bis ins Mark. Es war eine andere Verbindung die Nico fühlte, es war Liebe. Zumindest so, wie Nico seine Frau geliebt hatte. Für diesen einen Moment, in dem die Welt da draußen keine Rolle mehr spielte, konnte Nico diese Männer lieben. Er hatte Rod lieben können und er fühlte, dass er Kieran lieben konnte. Dass er es wollte. Die Welt ausblenden und sich dem Gedanken hingeben, dass es echt war, dass es mehr war als nur eine Nacht. Dass es eine Rolle spielte, wenn sie auseinander gingen und dass es nicht nur Nico war, der sich vielleicht ein ums andere Mal nach Kieran verzehrte. Nicht nur nach seinem Körper, sondern seiner Gesellschaft, seinen schönen Augen, dem Gefühl seiner Küsse..

"Ich habe es extra für dich gekauft.. iss", gab er leise zurück und grinste als Kieran ihn so "füttern" wollte. Er biss ein Stück ab, nur um Kieran gleich darauf zu küssen und ihr Kuss war so sanft und so verspielt, als hätten sie alle Zeit der Welt, obwohl ihnen nur diese eine Nacht blieb. Und die wollten sie beide nutzen, da waren sie sich einig. Kieren rutschte aufwärts auf seinem Schoß und Nico entledigte ihn seiner Hose. Während sie sich herumwälzten und das Tablett mit dem "normalen" Essen schließlich den Boden küsste und sie beide nur darüber lachten, dauerte es nicht lange bis sie erneut nackt eng ineinander verschwungen da lagen. Doch die Dringlichkeit, die sie beide beim ersten Mal verspürt hatten, das zwingende Bedürfnis endlich eins zu sein, war jetzt nicht mehr ganz so bestimmend. Sie ließen sich Zeit, viel Zeit. Kierans Lachen erfüllte den Raum als Nico ihm Stücke des klebrigen Honigs über die Brustwarzen pappte, nur um es dann wieder herunter zu knabbern. Sie beide lachten und es tat unendlich gut, einfach mal nicht der Mann mit dem Namen zu sein.

Als Kieran sich eine gefühlte Ewigkeit später auf seinem Schoß auf und abwiegte konnte Nico nicht anders als ihn anzustarren. Seine Gedanken waren bei dem, was sie taten und gleichzeitig unendlich weit weg. Er vermisste das. Nicht den Sex, aber die Liebe und das vertrauen, dass er bei Rod gehabt hatte. Aber er wollte nicht Rod.. nicht mehr dafür. Dazu waren sie bereits zu weit gegangen. Doch Kieran war so weit von ihm entfernt. Natürlich konnte er ihn haben, wenn er wollte. Ein paar Wochen oder länger, für immer - wenn Kieran mitspielte. In sein Haus als sein Lustknabe, geächtet und ausgelacht.. doch das wollte Nico niemals für Kieran. Und solange er nicht bereit war, dem Hof den Rücken zu kehren auf die ein oder andere Art, solange er nicht anders könnte - solange würde dieses Spiel nicht funktionieren, egal wie sehr er es wollte. Und dann verschwanden alle Gedanken aus seinem Kopf und er ließ sie auch nicht mehr hinein.
 

Kieran

Wenn Kieran wirklich einen Wunsch frei gehabt hätte, dann hätte er sich gewünscht, dass der Abend nie enden würde. Aber der Wunsch war eine Illusion. Aber dafür ließen sie sich Zeit, auf eine angenehme Art und Weise nahmen sie sich die Zeit, sich noch mehr aufeinander einzulssen, den Sex in die Länge zu ziehen, das Vorspiel zu genießen. Und jede Sekunde, die sie so vebrachten, würde ihm in den nächsten Tagen ein immerwährendes Lächeln, manche Sekunden auch ein breites Grinsen auf das Gesicht zaubern. Aber wer dachte schon an die nächsten Tage? Er jetzt lieber nicht.

Als er Dominico schließlich wieder tief in sich aufnahm, als er sich auf dem anderen niederließ, fühlte es sich noch einmal wesentlich intensiver an, als beim ersten Mal, wo sie gierig nach Befriedigung gewesen waren. Ihre Augen hingen immer wieder ineinander, während er sich auf dem anderen bewegte. Ihr Höhepunkt war zugleich aber auch ein Wendepunkt. Atemlos und erschöpft sanken sie sich in die Arme und es dauerte nicht lange, bis sie die süße Erschöpfung spürten, die der Sex und ein langer Tag mit sich brachten. Anfangs versuchte sich Kieran noch mit Küssen dagegen zu wehren, irgendwann schwand die Kraft dazu. "Ich möchte nicht einschlafen", murmelte er, als die Augen schwerer wurden, aber er erhielt schon keine Antwort mehr. Er wollte nicht einschlafen, denn wenn sie wieder aufwachen würden, würde sie bald die Realität wieder einholen.

Kieran schlief tief und fest, suchte immer wieder die Nähe des anderen. Als es in den Morgenstunden kühler wurde, wachte er kurz auf, um sie zuzudecken und schlief sogleich weiter, den Geruch des anderen einatmend, die Wärme des anderen aufsaugend. Er hatte ganz vergessen, wie unglaublich schön es war, neben jemandem einzuschlafen, neben jemandem zu schlafen.

Ostern in Cambridge - Konsequenzen

Amadeo lugte aus einem Zimmer weiter hinten am Gang hervor und Alessio winkte ihn heran, einen Entschluss fassend, den er vielleicht bereuen würde - doch er hatte sich bereits sinnlos zu weit aus dem Fenster gelehnt. Alessios Zorn funkelte deutlich in seinen Augen und auch so etwas wie - Enttäuschung? Doch gerade galt es nur schnell zu handeln. Er hatte einen Entschluss gefasst und bevor er darin wankte, musste er ihn ausgeführt haben. Amadeos Gesicht zeigte Zweifel, er konnte bereits in Alessandros Augen lesen, was dieser plante. "Er ist doch nur ein dummer Junge. Wenn wir ihn laufen lassen, wird er sich woanders niederlassen. Ich denke nicht, dass er-" Doch Alessios Handbewegung unterbrach ihn. "Ich habe mich auf ihn eingelassen, denkst du nicht, er wird es ihnen sagen? Und er wird für Geld nicht schweigen. Er ist nicht dumm, er würde mich finden und vielleicht erpressen, wer weiß? Ich kann es nicht darauf ankommen lassen. Kannst du es tun? Wenn nicht, werde ich es selbst tun." Amadeo zog die Augenbrauen nach oben. "Ich bekomme ihn ja nicht einmal auf ein Pferd, um ihn von diesem Grundstück zu bekommen.." "Von diesem Grundstück wird er mit dem Leichenwagen gerollt." Amadeos Gesicht hellte sich etwas auf. "Der Tee am Morgen?" Alessio nickte knapp. "Ich muss zurück in die Stadt, ich muss dringend mit dem König sprechen. In dieser Angelegenheit muss noch in dieser Nacht entschieden werden, bevor sich dieses Pack in alle Winde zerstreut." Amadeo schien mit sich zu hadern, doch dann traf auch er eine Entscheidung. Der 'Diener' kannte die Brüder schon von klein auf, sie waren alle gemeinsam aufgewachsen. Und auch wenn sich irgendwann daraus in der Öffentlichkeit ein Herr/Diener Bild ergeben hatte, so war Amadeo niemals gezwungen worden zu tun, was einer der beiden Brüder forderte. Wenn sie nicht in der Öffentlichkeit standen, so waren sie sich ziemlich ebenbürtig und so war es auch hier. Es war Amadeos eigene Entscheidung, ob er Alessio helfen wollte oder es sein ließ. Aber welchen Unterschied machte es? Amadeo hatte einfach andere Qualitäten als Nico, der strotzend vor Selbstbewusstsein Männer anführen konnte, und er war bei Weitem nicht so "gläubig" wie Alessio, oder gut genug darin, es zu heucheln. Amadeo hatte seine ganz eigenen verborgenen Talente, die besser im Verborgenen blieben. Vielleicht stand dahinter sogar eine perfide Leidenschaft, er wusste es manchmal selbst nicht. Doch mit Nico und Alessio konnte er dieses Leben leben und er war verdammt glücklich darüber, so sehr freie Hand zu haben und das Leben genießen zu können, wie es anderen kaum vergönnt war. "Wenn du zurückkommst, wird er nicht mehr am Leben sein." In den Augen des Kardinals sah Amadeo, wie sich zumindest zu einem Teil Erleichterung breit machte. "Gut.. dann kümmere ich mich besser darum, dass uns auch von anderer Seite keiner gegen den Karren fahren wird."
 

Damit trennten sie sich und Amadeo traf Vorbereitungen für den nächsten Morgen.

Alessio hingegen hetzte hinunter in den Stall. Es war ruhig geworden und ihre Pferde standen inzwischen zufrieden und dösend in ihren Boxen. Auch die Stallburschen waren mehr im Halbschlaf als wach und Alessio brauchte sie nicht, um sich ein Pferd zu Satteln. Als endlich einer der Jungen aufschreckt,e war Alessio bereits dabei aufzusteigen. "Mylord", keuchte der Junge, der bemerkte, dass er verschlafen hatte, doch Alessio winkte ab. "Sieh noch einmal nach den Pferden, die wir vorhin genommen haben, dann kannst du weiterschlafen." Immerhin geschah gerade nichts Schlimmes und Alessandro Sforza hatte andere Sorgen, als einen schlafenden Stallburschen.

Selbst der Palast lag in tiefer Ruhe, als Alessio einige Zeit später auf den Hof ritt. Das Klappern der Hufe auf dem Pflaster war unnatürlich laut, doch es weckte wenigstens den Stallknecht und brachte die Nachtbelegschaft auf den Plan. "Weckt sofort seine Majestät, sagt ihm es ist wichtig und es geht um Leben und Tod."

Alessio wusste, dass er etwas übertrieb, doch Übertreiben war an dieser Stelle die beste Lösung. Als Henry wenig später wütend - weil er geweckt worden war - oder man ihn aus dem Bett einer Dame geholt hatte - im Audienzsaal auftauchte in dem Alessio wartete, musste Alessio sehr genau wissen, was er ihm sagte.

Und Alessio wusste, was er zu sagen hatte. Er versuchte erst gar nicht Henry klar zu machen, dass es hier ein paar Rebellen gab, die ihm Streiche spielen wollten, nein. Er ging direkt auf Anne ein. Anne war Henrys wunder Punkt und Anne würde es sein, die Henry dazu veranlassen würde, mit der Härte durchzugreifen, die Alessio brauchte, um sich selbst sauber aus dieser Sache heraus zu bekommen. Und während Henry erst noch misstrauisch gewesen war - als es um seine geliebte Anne ging, war er sofort Feuer und Flamme diesem Treiben ein Ende zu bereiten.

Aus Alessios wenigen Informationen ließ sich eine ganze Menge mehr herausholen. Henry ließ die gesamte Belegschaft des Hauses antreten, jeden noch so kleinen Bediensteten. Er hielt eine erstaunlich flammende Rede, wie er sie oft halten konnte, wenn er von einer Sache nur allzu überzeugt war - und nach nicht einmal zehn Minuten trat ein weinendes junges Mädchen aus den Reihen vor. Ihr Körper wurde von heftigen Krämpfen geschüttelt, die Alessio als Verzweiflung nur zu gut erkannte. Sie berichtete zwischen hektischen Schluchzern davon, dass ein Mann öfter bei ihr gewesen war, der ihr versprochen hatte, ihren Bruder, der wegen Raubes im Gefängnis saß, heraus zu holen, wenn sie nur immer wieder hier und da ein paar Informationen an ihn weiterleitete.

Sie hatte nie viel in Erfahrung bringen können, doch nachdem der König in Cambridge erwartet wurde, hatte sie aufgeschnappt, dass Anne in einem Sommersitz Ostern verbringen würde - und dass der König nicht bei ihr sein würde und auch keine Wache. Sie sei zu einem Haus gegangen, konnte auch die Adresse nennen - und habe es dort gesagt.
 

Das bereits reichte. Auf Henrys knappen Wink hin entfernten sich einige Soldaten aus dem Raum und ein weiterer Wink entließ auch die Dienerschaft, bis auf das arme Ding, das noch immer zitternd und weinend auf dem Boden kniete. Henrys Zorn richtete sich auf sie, und Alessio bemerkte es. Eingreifen? Es war ganz schön dreist, doch das arme Ding konnte nichts dafür... und Henrys Grausamkeit in diesen Dingen war beinahe berühmt-berüchtigt. Und so machte Alessio einen Schritt auf das Mädchen zu, das am Boden lag, noch bevor Henry etwas sagen konnte. "Ich bin sicher, ihr wolltet den König oder die Dame Anne nicht in Gefahr bringen, habe ich recht?" Beinahe der ganze Körper des zitternden Bündels nickte als sie Alessio zustimmte. "Ich habe ganz oft falsche Dinge gesagt, unwichtige Dinge. Ich hätte niemals meinen Herrn verraten." Alessio musterte sie, ehe er sich wieder dem König zuwandte. Der hatte andere Gedanken, als sich gerade darüber zu muckieren, dass Alessio ihm im Gespräch mit der jungen Dame zuvor gekommen war. "Eure Majestät, ich bin sicher ihr hegt einen tiefen Groll gegen diese junge Frau, doch noch kam es nicht zu einem Anschlag und sie hatte jetzt den Mut es zu beichten. Wenn ihr erlaubt Majestät, so lasse ich sie in ein Kloster überstellen, das ein Hospital betreibt. Dort kann sie an all den Verwundeten, die sie versorgen wird und danach im Gebet wieder gut machen, was sie hier verfehlte. Es war die Leichtsinnigkeit der Jugend, die sie glauben ließ, dass man ihr helfen würde." Henry war nicht überzeugt, Alessandro sah es in seinen Augen. Doch er sah auch, dass Henry gewillt war zuzustimmen, weil seine Sorge um Anne größer war. Und schließlich nickte er knapp. "Schaff sie mir aus den Augen und triff mich dann im Hof." Mit diesen Worten wandte sich der König ab und verschwand wieder in seinen Gemächern, die angrenzten, während Alessio die junge Dame am Arm packte und hinauf zog. "Seid froh, dass ich gerade meinen gütigen Tag habe...", murrte er leise, während er sie mit sich zog und schließlich einer anderen aufgelösten Frau übergab. "Sie wird mit dem König nach London reisen und danach in einem Spital vorstellig werden. Ich selbst werde mich darum kümmern, dass es genau so passiert, habt ihr das verstanden?" Alessandros Stimme ließ keinen Widerspruch zu. "Danke für eure Gnade, euer Eminenz", schluchzte die Frau die eben noch vor Henry kniend mit ihrem Tod gerechnet hatte. Der ganze Palast war in Aufruhr, die Dienerschaft flüsterte hinter den Vorhängen und in den Kammern, Alessio konnte sie hören, während er hinunter zum Hof eilte.

Es dauerte wirklich nicht lang, bis man die ersten Gefangenen brachte. Offensichtlich hatte man sie aus dem Schlaf geschreckt. Es waren mehr Männer als Frauen, ausschließlich junge Erwachsene und beinahe alle von der gleichen Art wie Ralph es gewesen war. Landstreicher, Bettler, Tunichtgute - genau das Material von Menschen, die leicht zu lenken und zu beeinflussen waren. Der Hauptmann der mitgeritten war, übergab Henry gerade eine Handvoll Dokumente. Kaum war Alessandro an seiner Seite, drückte Henry ihm einen Teil davon in die Hand. Sie überflogen Briefe, Notizen, Nachrichten. Vieles ergab keinen Sinn, war nicht in Englisch geschrieben oder generell in keiner Schrift, die Alessandro kannte.. doch einige Briefe waren auf Französisch verfasst und stammten ganz offenbar aus Frankreich. Ein Brief zeigte ein kirchliches Siegel, allerding keines vom Vatikan.

Was Henry und Alessio zu lesen bekamen, reichte mit Leichtigkeit aus, alle Personen hier an den Galgen zu bringen, die jetzt aufgereiht dort standen, manche weinend, manche laut zeternd. Und dann fiel Henry der Brief in die Hände, der auf Anne hindeutete - und das gab den Ausschlag. Der König zerknüllte das Papier mit den Händen. "Ich will jeden einzelnen von ihnen hängen sehen. SOFORT! Und dann werdet ihr reiten, als sei der Teufel persönlich hinter euch her, um Lady Boleyns Sicherheit zu prüfen und sie nach London zurückzubringen!"

Henry war wie von Sinnen. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, so dass Alessio fast glaubte er würde das Schwert greifen, um selbst unter den Gefangenen ein Blutbad anzurichten, doch er tat es nicht. Stattdessen wandte er sich um und stürmte in den Palast hinein während Alessandro draußen zurückblieb. Der Hauptmann sah ihn beinahe hilfesuchend an und der Kardinal trat mit ihm zu den Gefangenen. Er trug keine Robe, weswegen man ihn wohl kaum als den Mann erkannte, der vor einer gefühlten Ewigkeit Ralph, ihren Anführer, erstochen hatte. Die Nacht färbte sich langsam grau, als Alessio die Reihe hinabschritt und vorerst die Männer aussortierte, die am lautesten lamentierten. Waren sie zu überzeugt, konnte man sie ohnehin nicht zum reden bringen - und so erlebte Cambridge an diesem Morgen eine ganze Reihe von Hinrichtungen - allerdings nicht auf dem Marktplatz, sondern auf dem Innenhof des Palastes. Zu sehen was ihren Männern und Freunden geschah, reichte aus, um bei zweien der Gefangenen die Zungen zu lockern. Angst vor dem Tod war wirklich ein schreckliches Druckmittel. Und auch wenn Alessio mit ihnen fühlte, ihre Ideale vielleicht nachvollziehen konnte - aus reinem Selbstschutz und dem Wunsch, die eigene Familie in Sicherheit zu wissen, ließ er jeden einzelnen Mann und jede Frau an diesem Morgen hängen, während Amadeo in den frühen Morgenstunden Finley einen Sud brachte, der dafür sorgte, dass der schwer verletzte junge Mann einschlief und nie wieder erwachte.

Ostern in Cambridge - Erwachen

Dominico

Erst als am nächsten Morgen die sanften Sonnenstrahlen Dominicos Nase kitzelten und er die Augen aufschlug, erwachte sein Verstand träge wieder zum leben. Neben ihm lag ein warmer Körper und Nico brauchte einen kurzen Moment, um sich an den gesamten Abend zu erinnern. Langsam versuchte er sich zu bewegen und merkte, dass Kieran wohl auf seinem Arm lag. Er lächelte und blinzelte gegen das Licht, um ihn zu sehen. Langsam hob er den anderen Arm und strich Kieran eine Strähne aus der Stirn, strich sanft über seine Wange. Noch schlief der Schwarzhaarige, seine Atmung verriet es... und noch wollte Nico ihn nicht wecken, um den Moment in die Länge zu ziehen.
 

Kieran

Er nahm im Unterbewussten wohl wahr, dass er angesehen wurde, und das ließ ihn aus dem Tiefschlaf langsam aber sicher an die Oberfläche zurückkehren. Doch der Weg dauerte etwas. Er rührte sich leicht, bettete seinen Kopf anders, der den Arm des anderen als Unterlage gewählt hatte. Schließlich blinzelte er und sah in das Gesicht des Mannes, der ihn so sehr überrascht hatte, wie sonst kein Mensch es je geschafft hatte. Ein Lächeln huschte über seine Lippen und er schloss noch einmal die Augen. "Guten Morgen", hauchte er schließlich und blinzelte erneut. Er strich sich leicht über die Augen, dann blickte er Nico wieder an. Sie waren sich noch immer nahe. Nico lag neben ihm, war nicht einfach aufgestanden oder gegangen. Etwas zögernd streckte er sich zum anderen und küsste ihn vorsichtig. Durfte er das jetzt noch?

"Wie spät ist es?" Auch wenn er hier am liebsten einfach liegen bleiben wollte, so dürfte er nicht versäumen, rechtzeitig ins Lager zurück zu kehren.
 

Dominico

"Noch keine Zeit zum Aufstehen..", erwiderte Nico leise, der nicht aufhören konnte Kieran anzusehen. Diese verschlafenen Augen und der unsichere Ausdurck darin.. wie viel Distanz herrschte jetzt wieder zwischen ihnen? Keine, zumindest wenn es nach Nico ging. Sie würde wohl erst wieder kommen, wenn sie sich trennten. Er wollte nicht einmal ein Blatt zwischen sie lassen, wenn sie gemeinsam in die Stadt zurück ritten - immerhin hatte Nico auch noch ein bisschen was in Cambridge zu erledigen. Und der Kuss war ohnehin viel zu kurz gewesen. Nico zog Kieran näher an sich heran und die Decke zwischen ihnen zur Seite. Er wollte noch einmal Kierans nackten Körper an seinem fühlen. Der Körper, der in ihm eine so unerklärliche Sehnsucht entfacht hatte, die er sich kaum erklären konnte. Und Kieran war der, der sich sorgen machte? Gut, für Nico war es vielleicht leichter, sich Ersatz und Zerstreuung am Hof und in anderen Bettn zu suchen.. doch er würde Kieran so schnell nicht vergessen können, da ging es ihnen beiden wohl sehr ähnlich. Er küsste ihn erneut, zärtlich und so wie sie gestern Abend eingeschlafen waren und als er sich wieder von ihm löste musste er schmunzeln. "Aber ich bin mir sicher, du hast Hunger.. für ein Frühstück ist es nie zu früh oder zu spät, oder?"

Er hatte gestern zumindest das Tablett mit Schinken und Käse wieder aufgehoben, doch er hatte ein anderes Frühstück vorgesehen. Auch wenn er nicht wirklich wollte, löste er sich ein wenig von Kieran, um tatsächlich an einer Klingel neben dem Bett zu ziehen. Eigentlich war die dazu da, seinen Ankleidediener herbei zu rufen, heute rief sie nur kurz darauf Amadeo auf den Plan, der mit einem herrlichen Frühstückstablett herein kam. Dass er dabei die beiden Männer nackt im Bett vorfand, schien ihn kein bisschen zu stören, immerhin kannte er Nico schon vor den Zeiten, in denen er und Rod ein Paar gewesen waren. Es gab heute zum Frühstück nicht nur frisches Gebäck und leckeren Honig, nein - sogar die Art Kräuteraufguss, der doch sehr belebend war und den auch Kierans Mutter serviert hatte. Nico hatte soetwas Ähnliches von dem Maurenhändler bekommen und es hatte gut geschmeckt und roch noch besser. Amadeo stellte das Tablett ab und entfernte sich wieder und Nico setzte sich ein wenig im Bett auf, um nach dem Gebäck zu greifen. Frühstücken tat er sehr gern, denn es war meistens die einzige Mahlzeit die er in Ruhe zu sich nehmen konnte - wann er wieder an etwas zu essen kam, war manchmal wirklich unsicher und abhängig von der Tagesplanung. "Ich werde dich noch begleiten.. also bis Cambridge. Ich habe noch Angelegenheiten in der Stadt zu erledigen und muss so nicht allein reiten. Ich hoffe es stört dich nicht." Und eigentlich wollte Nico einfach jede Sekunde auskosten, die er bekam.
 

Kieran

Kieran merkte am Tonfall und dem Inhalt von Domonicos Worten, dass die Distanz zwischen ihnen nicht so groß war, wie er zunächst befürchtet hatte, dass sie sein könnte. Und so lächelte er und streckte sich noch einmal kurz, zumindest so lange, bis zwei Arme ihn zu dem anderen zogen, die Decke gehoben habend, so dass ihre nackten Körper sich wieder aneinander schmiegten. Kieran lächelte froh darüber, dass Dominico ihn nicht gleich auf den Boden der Tatsachen zurückholte, sondern die Nacht noch mit diesem Morgen ausdehnte "Das ist gut", schnurrte er und seine Finger begannen ganz automatisch den anderen zu streicheln. Den Kuss, den er nun bekam, wischte jede Sorge weg, Dominico würde auf Distanz gehen, so zärtlich wie dieser war. Und Kieran erwiderte ihn nur zu gerne.

"Nein, da hast du recht. Frühstück klingt gut", bestätigte er dem anderen und wollte sich schon aufrichten, damit sie aufstehen könnten, als sich Dominico nur streckte, um an der Klingel zu ziehen. Nun, es wunderte ihn nicht, dass jemand von Dominicos Stand für viele Dinge Bedienstete hatten, aber es war ungewohnt für ihn und es war ein seltsams Gefühl, dass jemand ihn nun bediente, ein sehr seltsames Gefühl, nicht unbedingt angenehm. Doch er sagte nichts, genoss lieber noch die Nähe des anderen, spürte, wie das morgentliche Testosteron bewirkte, dass der nackte Körper des anderen ihn nicht "kalt" ließ, während er den anderen streichelte und küsste. Als Amadeo hereinkam, war er fast ein wenig froh darüber, dass es eben dieser war, den er schon kannte und den er irgendwie mochte. Wahrscheinlich, weil er ihn in dem Badehaus so freundlich behandelt hatte. Und was der andere ihnen brachte, roch fantastisch und sah noch besser aus. Kieran richtete sich auf und lehnte sich hinten an das Bettgestell, um entspannt zu essen. Auch Kieran nahm ein Stück Gebäck und biss herein, als der andere ihm mitteilte, dass er ihn begleiten wolle. Überrascht sah er ihn an, kaute und schluckte, bevor er antwortete. "Nein, es stört mich gar nicht", sagte er und fügte in Gedanken ein "Im Gegenteil" an. Ja, es freute ihn, dass er so ein wenig länger Zeit mit Dominico verbringen konnte. Und gleichzeitig war nun klar, dass die Realität sie einholte. Wenn Dominico noch etwas zu tun hätte, würden sie ihr Frühstück bestimmt nicht unnötig ausdehnen und danach ging es nach Hause zurück. Zurück in das eigentliche Leben, raus aus einem Traum. Er zwang sich zu lächeln. Er sollte sich nicht Gedanken machen über Dinge, die waren, wie sie waren. Kieran griff nach einem der Becher mit heißem Tee und trank vorsichtig davon. Er war bereits in einer Temperatur, bei der dies ging. Er nahm einen Löffel und rührte etwas von dem Honig in die Tasse, wie es seine Mutter immer machte, um ihn süßer und aromatischer zu machen. Gedankenversunken betrachtete er seine Hände, die zum einen den Becher hielten, zum anderen darin rührte. Es war mit einem Mal so vieles anders in seinem Leben. Er freute sich darüber, aber er war auch irritiert. "Wenn...", er sah von seinem Getränk wieder auf und den anderen an. "Wenn ich in London bin und es irgendwie klappen sollte, dass ich meinem Traum ein wenig näher komme... Wie kann ich dich erreichen, um dir das mitzuteilen?" Er sah den anderen fragend an. Er wollte versuchen, in London Fuß zu fassen und wenn er das schaffte, dann konnt er sich überlegen, ob es ihm wirklih möglich wäre, Dominico in den Süden zu begleiten. Aber er hatte keine Ahnung, wie er jemals wieder in Kontakt treten könnte, wenn sie sich erst einmal wieder in ihre eigentlichen Welten zurückbegaben. Er wusste weder, wo Dominico in oder bei London residierte, noch wusste er, inwieweit es ihm überhaupt möglich wäre, an ihn heran zu kommen. "Ich würde dir dann gerne einen Brief schreiben, wenn das in Ordnung wäre. Ich denke, das wird in deiner Welt das Einfachste sein." Es war gar nicht gewollt, dass sich seine Stimmung trübte, aber das tat sie wohl, denn er hatte mit einem Mal ein schrecklich bedrückendes Gefühl im Magen. Und ein wenig konnte man es wohl an der Stimme erkennen. Aber eigentlich bemühte er sich doch gerade darum zu klären, ob sie sich nicht vielleicht doch irgendwann wiedersehen würden. Warum war das beklemmende Gefühl nur so sehr präsent?
 

Dominico

Nico ließ es auch rein gar nicht kalt, dass Kieran jetzt noch so herrlich nackt neben ihm lag - und doch.. er wollte die Zeit lieber anders genießen, die er jetzt noch mit ihm hatte. Sie hätten bestimmt die Zeit das von gestern Abend noch einmal zu widerholen, doch zu welchem Preis? Mit der Gewissheit, dass jede Berührung nur ein Versuch war, die Zeit festzuhalten, die sie doch nicht zusammen hatten.. solange sie noch die ganze Nacht vor sich gehabt hatten, war es eine andere Sache gewesen sich nochmal auf das Vergnügen einzulassen, doch jetzt würde er Kieran nur sofort aus seinen Armen entlassen müssen und das wollte er auf keinen Fall. Er wollte nicht das Gefühl erwecken, dass er ihn direkt aus seinem Bett warf.. das hatte Kieran nicht verdient. Während sie aßen und ein wenig plauderten ging es Nico wirklich gut. Er fühlte sich aufgehoben und verstanden, auf eine sehr angenehme Weise. Vielleicht überraschte ihn Kierans Frage deswegen. Für ihn würde es recht einfach sein, ein Auge auf den jungen Mann zu werfen, wenn er denn wirklich in London auftauchen sollte. Ein paar Fragen hier, ein paar Worte dort.. aber andersherum war es schwer. Und das mit den Briefen ebenso - Nico und Alessio haten Boten, die ihre Post weiter tragen konnten, doch Kieran würde dafür bezahlen müssen und von welchem Geld sollte er das tun? Außerdem, Briefe von jemandem wie Kieran an jemanden wie Nico.. ob ein Bote die wirklich übermitteln würde blieb fraglich. Nachdenklich trank er einige Schlucke. "Sicher, Briefe schreiben ist das beste Mittel, um in Kontakt zu treten. Unser Anwesen befindet sich nicht in London selbst sondern etwas außerhalb, so wie die meisten Herrenhäuser. Naja, deine Familie wird doch dort unter kommen, oder? Vor London in einem dauerhaften Lager oder aber in einem der umliegenden Klöster. Sie vermieten ihre Stallungen gern an Schausteller oder wanderndes Volk. Sobald deine Familie da ist, kannst du die Briefe bei ihnen hinterlegen. Amadeo wird sie abholen, ich denke so geraten sie nicht in falsche Hände oder gehen verloren. Du kannst sie auch selbst überbringen, aber ich glaube, das ist das weiteste Weg. Ja, ich glaube deiner Familie diese Briefe zu geben wird das Beste sein. Ansonsten kannst du das Anwesen kaum verfehlen. Von Cambridge kommend liegt es unweit der Hauptstraße schon recht nah an der Vorstadt." London wuchs zusehends über seine Grenzen hinaus, daher waren sie inzwischen auch näher am Leben heran als noch vor einem Jahr. Doch Nico störte das nicht, er mochte das große Haus in dem er mit seinem Bruder lebte und die große aus Stein gemauerte Kapelle mit ihrem kleinen Garten. Die Stallungen waren bemerkenswert ausgebaut worden weil Nico dort seine geliebten Hengste hielt und der weitläufige Garten lud dazu ein ein wenig zu spazieren - das hatte seine Frau gern getan als sie noch in London gewesen war. Allerdings auch sehr oft mit dem König, der nicht nur einmal zu Besuch im Hause Sforza gewesen war, wie Nico zähneknirschend zugeben musste. Aber den König ließ man auch in das Bett der eigenen Frau - es gehörte eben viel dazu, am Hof einen guten Stand zu haben.

Nach dem sie einen Großteil des Essens verputzt hatten, erhob sich Nico, um sich anzuziehen. Aus einem großen Krug goss er klares Wasser in eine Waschschüssel und wusch sich das Gesicht und vor allem die Scham - es gab Männer die es nicht störte, ihn störte es schon. Mit einem Handtuch rieb er sich sauber ehe er ein wenig des Öls benutzte, das Kieran schon die ganze Zeit an ihm gerochen hatte. Noch immer war er nackt, nahm sich jetzt aber die leinene Unterwäsche und zog sie an, den Blick immer noch auf das Bett gerichtet, in dem Kieran noch an dem Becher schlürfte. Seine Gedanken waren wirklich wild. Allein der Anblick des Schwarzhaarigen auf seinem Bett pumpte erneut Blut in tiefere Gefilde und er wandte sich kopfschüttelnd und mit einem schwachen Grinsen ab. "Wenn du dir nicht bald etwas anziehst, wirst du nie wieder nach Hause kommen, das verspreche ich dir.."
 

Kieran

Nico schien nachdenklich zu werden, ob der Weg des Briefes der richtige war. Wirkte er so zögerlich, weil er so nicht von Kieran kontaktiert werden wollte, oder weil es wirklich einfach nur schwer war, wenn jemand wie Kieran ihm einen Brief schrieb? Kieran vermutete letzteres und wieder distanzierten sie sich ein Stück weit weg voneinander. Kieran bereute schon fast, das Thema angeschnitten zu haben. Doch letztlich gab Dominico ihm doch noch recht, dass ein Brief wohl das beste wäre. Als der andere ihm erklärte, dass sie etwas außerhalb der Stadt lebten, bekam er sogleich quasi seine Adresse. Aber ob er dort jemals hinreiten würde? Eher ausgeschlossen.

Es war nicht ungewöhnlich, dass Familien vom Stande Dominicos außerhalb von London residierten, machte es ihm aber nicht unbedingt leichter, Nico zu kontaktieren. "Meine Familie wird in der Nähe von Tottenham unterkommen. Dort hat mein Vater einen Cousin, auf dessen Ländereien wir schon öfters auch mal überwintert haben", erklärte er. "Ich... ich vermute, es wird wirklich das Einfachste sein, falls es dir keine Umstände macht, wenn Amadeo kommt. Aber es wird ein wenig dauern, bis ich schreiben werde. Ich werde ein bisschen Zeit brauchen, bis ich Fuß gefasst habe." Er lächelte entschuldigend. Er wollte nicht in die Situation kommen, dass Amadeo umsonst den Weg auf sich nahm. Und wenn er es nicht in London schaffen würde? Dann würde er es Nico auch mitteilen müssen. Irgendwie war das Gefühl in seinem Magen komisch, ein wenig wie Nervosität und für Kieran irgendwie ungewöhnlich. Noch hatte er sich nicht so richtig damit auseinandergesetzt, dass sich bald einiges ändern würde. Und nun kam es immer näher, diese Veränderung, die genauso willkommen wie erschreckend war.

Er war noch in Gedanken, als Nico aufstand und sich wusch. Unbeabsichtigt beobachtete er den anderen, ohne die Situation aber wirklich wahrzunehmen. Nico war wieder so weit weg, noch weiter weg. Die Distanz wurde größer und größer. Als der andere ihn ansprach, blickte er auf und musste lächeln, als er begriff, was der andere meinte. Doch noch als Lustknabe enden? Nein, dann könnte er sich nicht mehr im Spiegel ansehen.

Er trank den Tee aus und stellte den Becher auf das Tablett, nahm sich noch ein Stück Gebäck und stand schließlich kauend auf. Er trat zu dem anderen, aber auch wenn er ihn gerne berühren würde, tat er es lieber nicht. "Ich würde mir gerne etwas anziehen, aber ich habe keine..." In diesem Moment sah er, dass auf einem Stuhl seine Kleidungsstücke lagen. Hatte Amadeo da nicht vorhin etwas getan? Er trat heran und musste den Kopf schütteln. "Es ist ein komisches Gefühl, 'bedient' zu werden", murmelte er und drehte sich zu Dominico um. Dann trat er an die zweite Waschschüssel heran, die ebenfalls bereitgestellt worden war. Auch er wusch sich und zog sich dann seine Kleidungsstücke über. Der Geruch des Öls lag in der Luft. Aber so sehr er ihn mochte, so sehr hatte er jetzt das Bedürfnis davon Abstand zu nehmen. Nun würde es nach Hause gehen und die Nacht war beendet. Dominico rückte immer weiter von ihm weg und alles, was er mit jenem verband, schmerzte irgendwie.

Er strich sich die Haare aus der Stirn, bald würde er sie wieder schneiden müssen, sie begannen zu nerven. "Lass uns gehen", meinte er unvermittelt. Irgendwie fühlte er sich nicht mehr wohl in diesem Zimmer und so nahm er seinen Arztkoffer, ging zur Tür, um sie zu öffnen, und trat an die wohltuende frische Luft. Das beklemmende Gefühl im Magen nagte weiter und würde wohl auch nicht so schnell wieder verschwinden.
 

Dominico

"Sicher. Ich werde ihn in einiger Zeit einfach mal dort vorbei schicken, wo du sagst. Dann wird er entweder eine Nachricht finden, oder aber etwas von deiner Familie hören - das klingt doch gut, oder?" Er zog die Hose an, in italienischem Stil eng am Bein geschnitten, die ihm hervorragend stand. Der hohe Bund betonte Nicos schlanke Kämpferfigur, und er betonte sie gern. Nach dem er auch die Jacke über das Hemd gezogen hatte, trat er neben Kieran und schließlich mit ihm hinaus auf den Gang. Ja, es war nicht mehr zu leugnen, dass sie beide sich voneinander entfernten, aber das war nunmal klar. Irgendwann musste es einfach passieren, sie konnten ihren Moment nicht ewig festhalten. "Du wirst dich bald daran gewöhnen, dass man manchmal bedient werden muss. Also wenn du deinem Traum näher kommst... Es gibt einige Dinge, die Ärzte einfach nicht tun.. und so schlecht delegierst du gar nicht, wenn du willst..." Er zwinkerte ihm zu und ging dann den Gang hinunter. Amadeo traf sie unten in der Halle, schien schon darauf gewartet zu haben, dass die beiden das Haus bald verlassen würden. Nico nickte ihm zu und Amadeo folgte ihnen beiden auf leisen Sohlen. Ohne Amadeo wäre Nico sicher nicht nur halb so erfolgreich wie er war. Und für Alessio galt wohl das gleiche - sie verdankten ihm viel.

Als sie die Stallungen betraten, waren zwei Stallburschen bereits dabei, Nicos Hengst aus der Box zu führen und ihn zu satteln. Niamh stand in einer Box neben zwei Stuten, die bereits ihre Fohlen geboren hatten und sie hatte die Nacht in diesem warmen Stall sehr genossen, auch wenn sie Kieran bereits sehr erfreut zuwieherte. Nico ging zu seinem Hengst hinüber und strich ihm über die Nüstern, ehe er ihm auf die Schulter klopfte und sich dann zu Kieran umdrehte, der bereits dabei war Niamh ebenfalls aus der Box zu holen. "Es gibt doch nichts Schöneres als einen Ausritt am Morgen, findest du nicht auch?" Er grinste schief und es dauerte nicht lange als 12 Hufe bereits über den Hof trappelten. Amadeo blieb in einem angemessenen Abstand hinter ihnen, um sie beide nicht zu stören, so dass sie sich noch unterhalten konnten. Doch Nico fiel nicht wirklich etwas ein, das er hätte sagen können. So ritten sie schweigend in den Tag hinein, der schönes Wetter versprach. Gut, es war bereits fortgeschrittener Vormittag aber es war noch nicht wirklich Tag geworden. Nebel hing wie üblich über dem Land und die Sonne, die heute scheinen wollte, bahnte sich nur langsam einen Weg durch die Schwaden. Je näher sie der Stadt kamen, desto besser wurde es und schon bald konnten sie das Lager sehen in dem Kieran zur Zeit noch lebte. So wurden auch sie bald entdeckt und Nico glaubte Kierans Schwester zu erkennen, die gerade die Zugpferde gefüttert hatte und ihnen zuwinkte. Der Weg führte ein wenig um das Lager herum und Nico grüßte die wenigen Menschen, die ihnen auf der Straße entgegen kamen, während er sich das Hirn nach etwas zermarterte, das er ansprechen konnte ohne diese Stimmung zwischen ihnen zu brechen. Doch Abschiede waren nun einmal so und in ihrem Fall konnte nicht mal gesagt sein, ob es ein Abschied für immer war oder nicht. Die ersten Familienmitglieder aus dem Lager waren auf dem Weg in die Stadt als sie den Rand des Lagers erreichten und Nico stieg noch einmal ab, um sich richtig von Kieran zu verabschieden, weil es sich so gehörte.

Kierans Vater hatte sie von der anderen Seite des Lagers gesehen und war auf dem Weg zu ihnen, aber noch war er weit genug weg und das Zelt verdeckte sie etwas. Nico fühlte sich unbeobachtet und noch war auch niemand da, der sie bewusst beobachtete, oder? Als Kieran abgestiegen war zog Nico ihn zwischen die beiden Pferde in seine Arme und drückte ihm einen sehnsüchtigen Kuss auf die Lippen. Am liebsten hätte er ihn ewig ausgehalten, aber das ging ja nicht... und so entließ er ihn viel zu schnell wieder aus seinem Armen. "Vergiss mich niemals, versprich mir das.. und ich werde dich nie vergessen." Sein Blick war so eindringlich, dass Nico beinahe Angst vor sich selbst hatte.
 

Kieran

Etwas irritiert blickte er den anderen an, als dieser ihm sagte, er könne gut deligieren. Doch langsam wusste er, worauf der andere anspielte und er lächelte beschämt. Er hatte sowohl beim König als auch in Alessandros Zimmer das Zepter in die Hand genommen und den Dienern Befehle gegeben. Ja, das war doch aber eine andere Situation, oder? Aber Dominico hatte wohl recht mit dem, was er sagte, auch wenn er das so für sich noch nie bedacht hatte. Wenn man Arzt war, konnte man nicht mehr alles alleine machen.

Er folge Dominico schweigend und gemeinsam stießen sie auf Amadeo, der sie zu den Ställen begleitete. Dort begrüßte ihn schon Niamh, der es hier bestimmt besser gefallen hatte, als in so manch anderen Ställen, wo sie an faulem Heu knabbern hatte müssen oder es zu eng war. Er löste die Zügel vom Steigbügel, die zur Sicherheit dort angebracht gewesen waren, schnallte seine Tasche fest und führte die Stute nach draußen, als er die Worte des anderen vernahm. Er zwang sich zu einem Lächeln, aber so richtig war ihm nicht zum Lachen zu Mute. Das beklemmende Gefühl war noch immer präsent und schnürte ihm den Magen zu. Er hätte nicht für möglich gehalten, dass er so emotional auf diese Nacht reagieren würde. Aber es war so. Er ärgerte sich über sich selbst, aber das brachte ihm in diesem Moment auch nichts. "Ja, durchaus", meinte er halblaut. "Ich mag es, die Welt erwachen zu sehen." Tatsächlich war er gerne in der Früh vor allen anderen unterwegs, um alles langsam aufwachen zu sehen. Aber heute machte ihm auch das keine rechte Freude.

Schweigend ritten sie gen Cambridge und selbst wenn Kieran darüber nachgedacht hätte, was er mit Dominico reden könnte, wäre ihm wohl nichts eingefallen. Also beschäftigte er sich lieber mit den Dingen, die auf ihn zukamen und lenkte sich damit von den düsteren Gedanken ab, die ihn sonst befallen hätten.

Der Blick auf sein Lager verriet ihm, dass die ersten begonnen hatten, ihr Lager abzureißen und zusammenzupacken. Während eine Hand voll wohl noch einmal in Cambridge ein paar Dinge zu erledigen hatten. Sie würden also nicht viel Zeit verlieren und noch heute oder morgen in Richtung London aufbrechen, um dem Angebot, das sie von Dominico erhalten hatten, nachzukommen. Nun, dann war auch das geklärt. Und Kieran war sich sicher, dass er sich in London besser würde zerstreuen können, als wenn er hier weiter in Cambridge bleiben würde.

Er stieg ab und wollte Niamh am Zügel seinem Vater entgegen führen, als er spürte, wie Dominico ihn zu sich zog. Überrascht spürte er die Lippen des anderen auf den seinen und doch reagierte sein Körper automatisch und erwiderte diesen innigen Kuss, der von.. Verlangen? Sehnsucht? Irgendetwas in der Richtung zeugte. Seine Finger krallten sich leicht in den weichen Stoff auf er Brust des anderen während er den Kuss genoss, mit dem gleichen Gefühl eines unbestimmten Schmerzes.

Er schluckte, als sie sich wieder lösten, und er sah den anderen irritiert an. Er hätte auch gar nirgendwo anders hinsehen können, denn diese grünen Augen fixierten ihn und zogen ihn in ihren Bann. Die Worte, die der andere sprach, hallten in ihm wieder. "Wie sollte ich dich jemals vergessen können, Dominico?", wisperte er atemlos und küsste den anderen noch einmal, nur kurz. "Ich werde dich nicht vergessen, niemals. Versprochen." Er wusste nicht, warum er das sagte, aber es war die Wahrheit. Und sie schmerzte.

Seine Finger lösten sich langsam wieder, als sein Blick abgelenkt wurde, und er in das Gesicht seines Schwagers blickte, der hinter einem der Zelte hervorgetreten war und sie erstaunt, dann ungläubig, fast ein wenig wütend ansah. Aprupt löste er sich von Dominico, als ihm bewusst wurde, wie das auf Gregor wirken musste. Und er wusste, was er sich nun anhören würde. Aber das würde erst später kommen. In diesem Moment trat sein Vater auf sie zu. "Mr. Sofrza!", begrüßte er zunächst Dominico. "Kieran!", begrüßte er nun auch ihn. "Ich hoffe, mein Sohn konnte Euch gestern noch behilflich sein."

Kieran bekam gar nicht mehr so recht mit, was sein Vater zu Dominico sagte. Er war gerade etwas überfordert. Gregor spukte in seinem Kopf herum, ebenso wie die Worte des anderen. Er sollte ihn nicht vergessen? Er wusste, dass er das wirklich nicht können würde. Aber war das gut für ihn?

"Dann danke ich Euch noch einmal von ganzem Herzen", verabschiedete sein Vater nun Dominico und das riss Kieran aus seiner Verwirrung. Er sah Dominico wieder an. "Ich melde mich, wie besprochen", sagte er und wusste nicht, was er noch hinzufügen sollte. "Eine gute Zeit bis dahin", war das einzige, was ihm einfiel.

Sein Vater stand neben ihm, gemeinsam sahen sie, wie Dominico aufstieg und davonritt, gefolgt von Amadeo. Und irgendwie hatte er das Gefühl, als würde ein Teil von ihm gerade mit dem anderen fortgehen.

Ostern in Cambridge - Aufbruch nach London

Dominico Sforza

Der Weg nach Cambridge war Nico noch nie so schrecklich lang vorgekommen. Eigentlich war es ein Katzensprung, doch als er erneut aufsaß, nachdem er Kierans Vater versichert hatte, dass Kieran ihm eine große Hilfe gewesen war, da schien der Weg kein Ende zu nehmen. Die Stadttore, die ihn endgültig aus Kierans Sicht nehmen würden, kamen und kamen nicht näher und Nicos Bedürfnis, sich umzudrehen und zurück zu schauen, wuchs mit jedem Schritt, den die eisenbeschlagenen Hufe seines Hengstes auf die festgetretene Straße setzten. Er schluckte, während es einer ordentlichen Willensanstrengung bedurfte, sich nicht einfach umzudrehen und zurück zu reiten und etwas zu tun, das erstens Kieran nicht billigen würde und das dafür sorgte, dass er und Kieran das Gesicht für immer verloren. So ließ er sich tragen, hinein in die Stadt, während das Blut in seinen Adern rauschte. Wie von selbst und völlig in Trance lenkte er das Pferd zum Palast und fand sich irgendwann später in einer Ratssitzung wieder, in der es um einen Feldzug gegen Frankreich und gleichzeitig den Störfaktor Spanien ging, der wegen Katharina auf den Plan getreten war. Die Spanier fühlten sich über die schlechte Behandlung ihrer Königin höchst beleidigt und da sich in Europa zur Zeit das politische Karusell ordentlich drehte, war es langsam aber sicher auch gefährlich für den jungen König geworden. Vor allem das deutsche Kaiserreich unterhielt sehr gute Beziehungen nach Schottland und Henry konnte es sich kaum erlauben, in eine Schottisch-Französische Zange genommen zu werden. Um Frankreich im Griff zu behalten, durfte er es sich mit Spanien einfach nicht verscherzen.

Nico spulte all diese Dinge ganz mechanisch ab. Die Taktiken, die Pläne, die Möglichkeiten rauschten einfach so aus seinem Mund, er war wie eine Maschine, die einfach nur funktionierte, während sein Geist noch immer in der letzten Nacht in seinem Bett lag, Kieran an seiner Seite und den warmen Körper nah an seinem eigenen. Henry bemerkte seine Abwesenheit nicht, war viel mehr darauf erpicht, diese interessanten Möglichkeiten zu verfolgen und auszuschöpfen. So verging der Tag bis am Nachmittag die schockierende Nachricht eintraf, dass Anne Boleyn auf dem Sommersitz einer Bekannten angegriffen worden sei und nur mit Mühe habe entkommen können. Obwohl die Königin im Cambridge weilte, brauchte Henry keine zwei Stunden, um abreisebereit zu sein, um seiner Anne zu Hilfe zu kommen oder zumindest ihr beizustehen - denn die junge Boleyn hatte sich zurück nach London durchgeschlagen. London war sicher, solange Henry dort war, und ohne lange zu zögern befahl Henry seiner Wache und seinen Offizieren, die Abreise nach London sofort in die Wege zu leiten.

Veilleicht war das die Ablenkung, die Nico brauchte? Er wusste es nicht, doch es tat gut, etwas zu tun zu haben. Gemeinsam mit Amadeo ritt er zurück zu ihrem Haus nahe Cambridge. Alessandro hatte selbst bereits angefangen zu packen und während die beiden Italiener sich reisebereit machten, teilte Alessandro ihm in voller Gänze mit, was es mit den vielen Verurteilungen am Morgen auf sich hatte. Was mit Finley passiert war, und dass sie in London weit aufmerksamer sein mussten als bisher. Die wenigen Habseligkeiten, die sie von London mitgebracht hatten, waren schnell gepackt und nicht lange darauf waren sie auf dem Weg sich Henrys Tross anzuschließen, der Cambridge bereits verlassen hatte.

Eigentlich war die Reise angenehm und das Wetter spielte mit. Die miese Laune des Königs jedoch war anstrengend und er trieb sie schneller vorwärts, als es gesund für ihre Pferde war. Doch auch wenn Nico sonst nie Verständnis hatte - diesesmal konnte er Henry verstehen. Zu wissen, dass das Meistgeliebte einer unbestimmten Gefahr ausgesetzt war und dabei so unerreichbar blieb... die Gedanken an Kieran waren kaum zu verdrängen und er wollte es auch nicht. Jedesmal wenn er zu frieren begann, holte er sie hervor, um sich an ihnen zu wärmen.

Nach zwei Tagen, kürzer als jeder andere Ritt von Cambridge nach London den Nico je gemacht hatte, erreichten sie die Stadt. Sie war zur Rückkehr des Königs noch nicht fertig geschmückt, die Leute hatten noch nicht mit ihm gerechnet. Der Jubel, der sie empfing, war allerdings sehr halbherzig.. und Nico wusste auch, dass es den Menschen missfiel wie Henry erneut Katharina in Cambridge zurückgelassen hatte, nur um hier zu seiner vermeintlichen Mätresse zu reiten. Die Anwesenheit der Wache jedoch erstickte jede Aufruhr im Keim.

Als die Wachpläne, die Ausgangssperre und die Patroullien festgelegt worden waren, kehrte Nico nun auch endlich nach Hause zurück, wo ebenfalls noch nicht alles für seine Ankunft hergerichtet war. Alessandro war allerdings dabei, den Männern Beine zu machen und nach einem letzten Wein mit seinem Bruder im Kaminzimmer, zog sich Nico in sein Schlafzimmer zurück. Doch der Schlaf kam nicht, stattdessen das unbändige Gefühl leerer Arme...
 

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Kieran

Die Diskussion, die im Lager bald entflammte, war heftiger als erwartet. Aber Kierans Vater schaffte es, sie im kleinen Rahmen zu halten, vorerst. Sie standen im Zelt des Oberhauptes und Gregor schimpfte wie ein Rohrspatz vor Fatih, seinen Müttern und ihm. Kieran war klar, dass es bald alle wussten, aber er wusste auch, dass sein Stand im Lager besser war als der von Gregor, der eingeheiratet hatte und seine Schwester nicht wirklich gut behandelte. Und doch nervte es ihn irgendwie, dass sein Sexleben bald Thema Nummer eins werden würde. Zunächst versuchte er den Sturm an Vorwürfen mit Langmut zu ertragen, aber als Gregor anfing ihn vor seiner Mutter und seinem Vater als Hure zu betiteln, der sich von einem Adeligen benutzen ließ, der nicht davor zurückschreckte, sich für ein wenig Ruhm auszuziehen und der der ganzen Familie Schande machen würde, wurde es ihm zu viel. „Du hast keine Ahnung, du ignorantes Arschloch!“ Ohne wirklich darüber nachzudenken, was er tat, lief er an und seine Faust landete im Gesicht des anderen. Die Folge war ein blaues Auge auf Gregors Seite und Kieran hatte Glück, dass er den andren überrascht hatte, denn er hätte gegen den deutlich größeren und kräftigeren Mann keine Chance gehabt. Aber er hatte gerade weder die Nerven noch die Lust sich so etwas reindrücken zu lassen. Daher war er froh, dass Timothy dazwischen ging. Er selbst ließ die anderen kommentarlos stehen und ging in sein Zelt, um seine Ruhe zu haben und in Ruhe zu packen. Er war wütend, nicht nur auf Gregor, der einfach ein Vollidiot war, sondern auch auf sich, weil er so emotional reagiert hatte. Eigentlich hatte er sich doch viel besser im Griff. „Scheiße“, fluchte er und schleuderte den Gegenstand, den er gerade hatte einpacken wollen, von sich. „Vorsicht“, hörte er seine Mutter sagen, die gerade eintrat. Seine Mutter wusste immer, wie sie mit ihm reden musste, um zu erfahren, was sie erfahren wollte…

Am Nachmittag brachen sie auf, um in Richtung London zu fahren.

London - Ankunft in London

Kieran
 

Vergiss mich niemals, versprich mir das.. und ich werde dich nie vergessen.
 

Es wäre gelogen, würde Kieran behaupten, dass er nicht an jene Nacht zurückdachte, an diese unfassbare Nacht mit diesem unfassbaren Mann. Er dachte täglich daran, stündlich, schier minütlich… Und je mehr er sich vornahm, es einfach zu vergessen und nicht mehr daran zu denken, desto mehr musste er daran denken. Wie sollte man das vergessen? Und das Fatale war auch das Reisen: man hatte so viel Zeit, um nachzudenken und seinen Gedanken nachzugehen. Fatih versuchte ihn abzulenken, was ihm bedingt auch gelang. Kieran merkte, wie seinen Bruder und besten Freund die Neugierde trieb, dass jener gerne gefragt hätte, was nun gelaufen war, ob es vorbei war, was noch kommen würde und so weiter und so weiter… Aber Kieran wollte nicht reden. Nicht, weil es ihm unangenehm war, darüber zu reden, dass er eine unglaubliche Nacht mit einem Mann erlebt hatte, sondern weil er Angst vor den eigenen Antworten hatte. Er wollte sich nicht sagen hören, dass Dominico ihn in jeglicher Hinsicht überrascht und umgehauen hatte. Und er wollte sich nicht sagen hören, dass er keine Ahnung hatte, ob er ihn wiedersehen würde, es aber hoffte. Und er wollte sich vor allem nicht sagen hören, dass es keine Zukunft hatte und sich niemals wiederholen würde, was sie sich in der letzten Nacht erlaubt hatten. Dominico war in einer gesellschaftlichen Schicht, in die er nie reinkommen würde, unabhängig davon, dass der andere verheiratet und ein Mann war. Es würde niemals gehen, niemals, schlichtweg niemals… Nicht, ohne dass sie sich immer wieder mehr oder weniger freiwillig verletzten.

Und im Moment war das auch noch alles so irritierend und unerwartet heftig. Dass er sich darüber überhaupt Gedanken machte, war dumm. Also ließ er Fatih in seiner Neugierde unbefriedigt und versuchte erst einmal für sich, klar zu machen, was jetzt eigentlich passiert war.
 

An den drei Tagen, die sie gen London zogen, war Fatih bei ihm, ohne ihn zu bedrängen, während er seinen Vater bewusst mied. Er war ihm noch so einige Erklärungen schuldig und er musste mit ihm noch so einiges erklären, was seine Zukunft betraf. Kieran war sich sicher, dass seine Mutter Timothy bereits darauf vorbereitete, dass Kieran sich in London von seiner Familie lösen würde, aber er würde es mit ihm persönlich besprechen müssen. Anders wäre es nicht möglich und unhöflich. Er war sein Sohn, etwas anderes hatte er ihn nie spüren lassen. Wer wäre er, wenn er sich einfach davon machen würde?

Timothy, Dada, Fatih und all die anderen waren seine Familie, das Wichtigste und Sicherste, was er sein eigen nennen konnte. Er musste klären, wie die Zukunft aller Beteiligten nun aussehen könnte.

Gregor hielt die Füße still. Offenbar hatte Timothy ihm das Messer auf die Brust gesetzt. Aber wenn sich ihre Blicke trafen, spürte er den schier blanken Hass des anderen deutlich.

Sie zogen nach Tottenham, einem kleinen Ort, wo Timothy Verwandtschaft hatte. Sie würden binnen einer Stunde in London sein können, aber waren mit ihren Tieren, ihren Zelten nicht zu nahe an der Stadt dran. Es würde eine gute Mischung aus Stadtnähe und Landleben sein. Sie richteten sich so ein, dass sie länger hier bleiben würden, ohne auf ihre Zelte zu verzichten. Ein Haus wäre nichts für sie. Und so schlug auch Kieran sein Zelt auf, an genau der Position im Kreise der Familie, wo es immer stand. Aber er wusste, dass er hier bald nicht mehr schlafen würde. Und es war am Abend ihrer Ankunft in Tottenham, als sein Vater zu ihm ins Zelt kam und sie endlich redeten. Kieran hatte sich vorgenommen, nichts zu beschönigen und er erzählte ihm alles, was seit dem Treffen auf dem Marktplatz geschehen war. Timothy war nicht übermäßig glücklich über manche Dinge, aber er reagierte auch nicht verärgert darüber. Es war ein angenehmes Gespräch, ein offenes Gespräch, ein Gespräch, in dem sie auch über Vergangenes redeten, über Kathy, und über Zukünftiges, sein Verhältnis zu Nico, seine Hoffnungen, die keine waren, die Verpflichtungen und Chancen ihrer Gruppe, inwieweit er darin Teil sein sollte und musste. Sein Vater riet ihm nicht, sich irgendwas aus dem Kopf zu schlagen, er versuchte nicht, ihn davon abzubringen, sich als Arzt in London zu versuchen, Nico zu vergessen oder sonst irgendwelche Dinge nicht zu machen. Er sagte ihm zu seinen Plänen nur, dass er das Beste geben sollte und dass er hier bei ihnen immer ein Zelt vorfinden würde, zu dem er zurückkehren könne.

An diesem Abend sprach er auch endlich mit Fatih und mit seiner Mutter. Und langsam aber sicher wich dieses beklemmende Gefühl in seinem Magen der Vorfreude vor dem, was auf ihn zukommen würde. London würde heftig sein für ihn, aber er mochte die Herausforderung.

Kieran schlief in dieser Nacht das erste Mal ruhig und tief und ohne den warmen Körper zu vermissen, den er vor ein paar Tagen nachts neben sich hatte spüren dürfen – nun zumindest nicht ganz so arg. Er musste wohl einfach akzeptieren, dass es nicht ganz ohne Schmerz ging. Er hatte es vorher nicht wissen können, hatte es zwischendrin vermutet, aber nicht verhindert, und jetzt musste er es einfach akzeptieren. Jammern half nicht und jammern passte auch nicht zu ihm.

Kieran war motiviert und so machte er sich bereits am nächsten Morgen nach London auf. Er musste sich ein wenig zurechtfinden. Das Geld, das Timothy für ihn gespart und zurückgelegt hatte, würde ihm einige Zeit helfen, über die Runden zu kommen, aber er wollte es auch nicht unnötig verschwenden.
 

London war größer, als er erwartet hatte. Man merkte die Präsenz der Kirche. Die meisten großen Anlagen waren kirchliche Einrichtungen. Und man merkte die Präsenz des Königs. Was Kieran von den Anlagen des Königs sah war gigantisch. Dabei konnte er vom Palast so gut wie kaum etwas sehen. Aber was er sah, an Regierungsgebäuden, Stallungen etc. war mehr als beeindruckend. Allerdings war das nicht sein Hauptaugenmerk. Seine Mutter hatte gesagt: „Geh sehend durch die Stadt.“ Und er bemühte sich, genau das zu tun.

Die ersten Tage war er nur damit beschäftigt, sich zu orientieren, die Nischen, die Orte zu finden, an denen er sich wohlfühlte. Er fand zumindest schon einmal eine Schmiede in der Nähe des Schlosses, in der er Niamh guten Gewissens unterstellen konnte und die überraschend günstig war, wenn er mit anderen verglich. Außerdem fand er einen Schneider, der zu angemessenen Preisen ihn neu einkleidete. Er musste die Möglichkeit haben, sich entsprechend anzuziehen, falls er jemals an die Uni kam, oder vielleicht sogar an den Hof. Was wusste er schon? Aber dann ging es nicht an, dass er dann erst Klamotten orderte. Die Kleidungsstücke, die Dominico ihm gegeben hatte, halfen ihm jetzt zu Beginn nicht für einen Landstreicher gehalten zu werden. Aber langfristig würde er, so hoffte er, mehr brauchen, als nur diesen einen Anzug.

Nach ein paar Tagen merkte er, dass er nicht weiterkam, wenn er jeden Nachmittag zurück in ihr Lager kehrte. Und so schaffte er es, in einer dieser Wohnungen einen Schlafplatz zu bekommen, in denen sich acht Parteien einen Raum teilten, in dem jeder in etwa auf 2m² ein Bett und eine kleine Kommode stehen hatte. Es waren Auffanglager für die vielen Flüchtlinge, die zumeist aus dem Süden Englands nach London kamen, in der Hoffnung dort Arbeit zu finden. Es war besser als nichts, definitiv. Aber es war auch nicht sehr angenehm.

Das vordere Bett war von einer Hure, die manchmal nachts einen ihrer Freier mitbrachte. Am Fenster lag ein Mann, der so hustete, dass Kieran sicher war, dass er bald sterben würde. Eine alte Frau lag schnaufend in einem der anderen Betten und redete ständig mit sich selbst. Kieran schützte sich vor den Wanzen, die in der Strohmatratze nach seinem Blut lechzten, mit Zitrone und Lavendel. Die Folge davon war, dass ein junger Mann, der offenbar in einer großen Schmiede arbeitete, ihm immer ein „Schwanzlutscher“ oder „Arschficker“ nachflüsterte. Kieran ignorierte es. Es war ja so, also was sollte es. Zumindest hielten sich die Bisse in Grenzen, die anderen sahen viel Schlimmer aus. Kieran verbrachte nur die nötigste Zeit dort. Abends erkundete er London bei Nacht, entdeckte Etablissements, in denen eher jüngeres Publikum war, wo man diskutierte, redete, sich unterhielt, wo es Studenten hinverschlug und junge Männer aus der höheren Mittelschicht, junge Frauen mit einem gewissen Charakter, der es ihnen möglich machte, dort zu sein, sich zu behaupten und dennoch nicht als Huren abgetan zu werden. Es war eine angenehme Atmosphäre, auch wenn es manchmal anstrengend war, weil viele doch dazu neigten, zu schauspielern, um etwas vorzugeben, was sie vielleicht doch gar nicht waren, nämlich intellektuell.

Er musste in seiner Herberge spätestens um 23:30 sein, dann wurde die Tür abgesperrt, so dass er oft der letzte war, der in sein Bett kroch, und morgens oft der erste, der wieder auf Tour ging, um sich London weiter zu eigen zu machen. Dennoch wusste er, dass er nichts lernen konnte, nicht weiterkäme, wenn er nicht bald aus diesem Loch herauskam. Was ihn letztlich dort rausholte, war reiner Zufall gewesen. Seine Mutter hatte recht gehabt: Sehenden Auges durch die Stadt laufen!
 

Und was er sah war ein älterer, durchaus rüstiger Mann gewesen, ein Mann, der gut angezogen war, intelligent war, definitiv wohlhabend und dennoch nicht zum Hof gehörend. Der Mann wirkte streng, etwas vom Leben gezeichnet, aber dich freundlich. Er hatte einen Laden, in dem Arzneien verkauft wurden, eine „Drogerie“, wie auf dem Schild stand. Als er ihn sah, beriet er gerade eine ältere Frau auf den Stufen zu seiner Ladentür. Kieran hörte es zufällig, wie sie sich über ihre Kinder unterhielten und dass der Mann klagte, dass sein Sohn, der ihm sowieso oft keine große Hilfe war, ihm nun noch weniger unter die Arme greifen konnte, seit er Medizin studiere. Kieran hörte trotz der Vorwürfe auch einen gewissen Stolz, der mitschwang, was ihm wieder bestätigte, dass der Mann nicht dem Adel angehörte, der seine Söhne einfach so zum Studieren schicken konnte, wie er wollte. Kieran war direkt zu ihm gegangen und hatte ihm seine Hilfe angeboten. Überrascht war der Mann und blickte ihn aus kühlen Augen musternd an. Es war ein durchdringender Blick, als könne er ihm direkt in den Kopf blicken. Aber offenbar war der Mann, der sich als Mr. Forbes vorstellte, neugierig und so gab er ihm eine Chance. Und Kieran bewährte sich, so dass er von nun an in der Drogerie mithalf. Es war eigentlich dreierlei: ein heller, freundlicher Laden, in dem in hohen Schränken alles mögliche und unmögliche zu kaufen war; ein Labor, in dem vor allem sein Sohn Arzneien kredenzte; und eine Arztpraxis, denn alle Menschen aus der Umgebung kamen zu ihnen, um Medikamente zu bekommen, die sie aber nicht bekamen, wenn sie sich nicht vorher haben untersuchen lassen.
 

Kieran war genau in seinem Element und es machte ihm ungeheuer viel Spaß. Und Mr. Forbes schien glücklich, jemanden so kundigen und engagierten gefunden zu haben. Bald dürfte er den wenig herzlichen, aber sehr fachkundigen Mann auch zu Patienten nach Hause begleiten. Die Menschen, zu denen er nach Hause ging, gaben ihm meist als Bezahlung etwas Selbstgemachtes, sei es Essen, sei es etwas Handgearbeitetes, sei es etwas wie liebe Worte. Mr. Forbes kannte alle Menschen des Viertels, und kündigte ihm schon immer an, was die Leute wohl tun würden, um ihre „Schuld“ zu begleichen.

In Mr. Forbes selbst hatte er eine Koryphäe gefunden. Er war ein wandelndes Lexikon über Kräuter, Arzneien, Rituale und auch Mythen. Er hatte eine ungeheure Erfahrung und war sogar bei den Ärzten des Königs angesehen. Mr. Forbes kümmerte sich jedoch nur um das Personal am Königshofe, nicht um die Adeligen dort selbst. Er war ja nicht studiert, auch wenn Kieran klar war, dass Mr. Forbes vermutlich der beste Arzt der Stadt war. Kieran lernte jedenfalls eine Menge von ihm und ihre Gespräche waren tiefgründig und für Kieran mehr als ergiebig. Und auch so verstanden sie sich gut. Bald hatte Kieran das Gefühl, wie eine Art Sohn behandelt zu werden. Oft lud er ihn zu sich in die Wohnung ein, um gemeinsam zu Mittag zu essen, wobei jener davon profitierte, dass Kieran ihm etwas kochte. Mr. Forbes erzählte ihm, dass seine Frau war vor etlichen Jahren an einer Krankheit gestorben sei und sein Sohn ihm nur bedingt eine Hilfe sei.

Immer mehr eingespannt und irgendwann auch abends im Laden, dauerte es nicht lange, bis Kieran auch den Sohn des Hauses kennenlernte, der oft spät von der Universität heimkam: John Forbes, ein junger Mann in seinem Alter, der Kieran auf Anhieb sympathisch war.

Und die Sympathie beruhte wohl auf Gegenseitigkeit, denn ihm hatte Kieran es zu verdanken, dass er umziehen konnte. John war es, der seinem Vater vorschlug, Kieran den Dachboden zu überlassen. Oben lag nur Gerümpel, aber der Raum waren groß genug, dass er genügend Platz haben würde. Mr. Forbes ließ sich nicht lange bitten, fragte Kieran, ob ihm das recht sei, er habe nur die Bedingung, dass kein Frauenbesuch mit hierher gebracht werden würde. Kieran konnte mit einem Lächeln in der Stimme ihm dies versichern. Und es war wohl dieses Lächeln, das John wahrnahm und mit einem fragenden Blick beantwortete. Kieran zwinkerte ihm zu und jener quittierte sein „Verstehen“ mit einem wissenden Lächeln. Mr. Forbes bekam davon nichts mit, ging mit Kieran die Stiege unters Dach hinauf. Das Haus hatte drei volle Stockwerke und eben jenen Dachboden. Kierans Augen begannen zu leuchten. Das war genau das, was er sich nur hatte erträumen können. Das nächste Wochenende verbrachten er und John damit, den Dachboden freizuräumen. Es war nicht viel gelagert, aber sie schleppten doch ganz schön. Dann putzte er und begann sich zu überlegen, wie er es gestaltete. Heraus kam ein gemütliches Zimmer, in dem im hinteren Teil in einer Nische eine Matratze lag, auf der Kieran verdammt gut schlafen konnte. Im vorderen Bereich stand ein Tisch mit Stühlen, auf dem mittlerweile meistens seine Bücher lagen oder Kräuter zum Trocknen, oder die Tageszeitung ausgebreitet war – er musste üben, flüssiger zu lesen und zu schreiben. Er hatte einen Anschluss an den Kamin und damit einen Ofen, auf dem er kochen konnte und der ihn in den kalten Nächten warm halten würde. Er hatte sogar eine Couch, die auf dem Dachboden gestanden hatte und die Mr. Forbes ihm vermachte, als Kieran gehört hatte, dass er sie sonst anderweitig hergeben würde. Duschen konnte er im Hinterhof und wenn er wolle, dürfe er hin und wieder auch den Zuber benutzen, wenn es gerade passte. Kieran hatte auf seinen Streifzügen ohnehin schon die öffentlichen Badehäuser erkundet. Er brauchte Wasser, um sich zu entspannen. So war es eben.

Nun eingerichtet holte Kieran seine Sachen aus Tottenham.

John war fasziniert von den Abschriften, die Kieran vom König erhalten hatte und die er fleißig bemüht war, zu studieren. Gemeinsam verbachten sie Abende damit, darin zu lesen, ihre Erfahrungen auszutauschen und einfach so zu reden.

Es war seltsam, denn wenn er an die Worte dachte, die Mr. Forbes für seinen Sohn übrig hatte, so hätte dieser ein Tagedieb, Taugenichts und Tunichtgut sein müssen, der von Glück sagen könnte, dass er das Studium bekommen hatte. Wen Kieran aber in ihren gemeinsamen Abendstunden kennenlernte, war ein intelligenter, fachkundiger Mann, der mit zynischer Zunge die Welt sehr realistisch betrachtete. Etwas musste zwischen den beiden vorgefallen sein, dass sein Vater so wenig gute Worte für seinen Sohn fand, der redlich bemüht war jeglichen Ansprüchen zu genügen. Wenn er versuchte, darüber etwas Geräts zu finden, blickte John ab. "Es ist wie es ist. Lass gut sein!"

John wollte eigentlich schon gerne die Drogerie weiterführen, aber ohne das Studium wurde sein Vater das nicht erlauben. Das Studium sagte ihm in keinster Weise zu, aber dennoch ackerte er auch dafür. John gestand Kieran, dass er kein Blut sehen konnte und die Stunden, die er in der Anatomie verbrachte, in denen an Leichen, meist von Obdachlosen und Bettlern, herumgeschnitten wurde, bereiteten ihm Grauen. Er ekelte sich vor offenen Verletzungen und vor Menschen, die vor sich hinsiechten. John liebte sein kleines aber feines Labor. Er experimentierte viel und kredenzte wirklich gute Arzneien und Elixiere.

Kieran nötigte John dazu, ihm so viel es ging von dem Studium und seinen Inhalten zu erzählen, saugte das Wissen auf. Wenn er schon selbst nicht einfach so studieren konnte, so konnte er vielleicht so ein wenig dazulernen. Und John könnte dadurch die Stoffmenge bewältigen - Lernen durch Lehren.
 

John und Kieran waren sich nicht nur sympathisch, sondern sie verbrachten nun viel Zeit miteinander, rein freundschaftlich. Obwohl Kieran merkte, dass John sich vielleicht auch mehr vorstellen konnte, ging er nicht darauf ein. Zu frisch waren die Erinnerungen an Dominico und außerdem wäre es unklug, ausgerechnet mit dem Sohn seines Chefs und Vermieters etwas anzufangen. Die Freundschaft, die sich immer mehr festigte, war ihm mehr wert, als mit ihm ins Bett zu steigen. Zumal das ohnehin nur Ablenkung gewesen wäre. Ablenkung von dem fehlenden warmen Körper, den streichelnden Händen, den küssenden Lippen, die er eine Nacht hatte genießen dürfen. Und das war nicht fair - John gegenüber. Es würde alles zerstören, was ihn gerade so glücklich machte. Wobei John vieles was das betraf offenbar gar nicht so ernst zu nehmen schien...
 

Während Kieran die Tage damit verbrachte, als „Arzt“ zu arbeiten, in der Drogerie Arzneien herzurichten und Mr. Forbes unter die Arme zu greifen, verbrachte er die Abende damit, zu lernen und mit John Zeit zu verbringen. Die Wochenenden, an denen er zu seiner Familie anfangs immer bei seiner Familie war, wurden weniger und er blieb immer öfter in London selbst.

Und so kam es schließlich, dass er sich John anschloss, der über das Wochenende nachts offenbar nie zu Hause war. So zogen sie nun nachts auch gemeinsam um die Häuser.

John kannte die „junge Szene“ Londons gut, stellte Kieran anderen Studenten vor, die mit ihm Medizin studierten. Aber nicht nur hinsichtlich der „Bildungs-Schicht“ kannte sich John in London aus. Er wusste auch, wo man als Mann hingehen musste, wenn man andere Männer treffen wollte.

Er dachte oft an Nico, an jene Nacht, an die Erwignisse in Cambridge. Auch an Alessio und Finley. Wie es da wohl weitergegangen war?

Aber je länger das alles und jene Nacht zurücklag, desto bewusster wurde ihm, dass es eine einmalige Geschichte sein würde. Er hatte sie genossen und würde wohl noch oft daran denken, aber es war selbstzerstörend, sich Hoffnungen auf mehr zu machen. Es nagte an ihm, es schmerzte, aber es war nun mal die Realität und er hatte ja gewusst, worauf er sich einließ, zumindest teilweise. Klar, er hatte nicht gewusst, wie unglaublich sie irgendwie zusammengepasst hatten, wie tief Dominico ihm unter die Haut gehen würde, aber jetzt war es so, wie es war und er musste nach vorne schauen. Und vielleicht lag es daran, dass er Dominico nicht so einfach vergessen konnte, wie er es gehofft hatte, dass er an einem Abend das Angebot annahm, das ihm ein anderer junger Mann machte. Er musste sich ein wenig ablenken, musste sehen, dass es auch etwas anderes gab, außer Dominico, der unerreichbar war.

Und so hatte er nun hin und wieder Sex. Sex, um den Kopf frei zu bekommen, reinen unkomplizierten, praktischen Sex, der Befriedigung willen. Und doch verglich er und wusste, dass es so viel mehr geben konnte, wenn man sich auf einer anderen Ebene nah war, so wie er und Dominico sich nah gewesen waren in jener Nacht. Dennoch tat es ihm gut, wenigstens bei einem Quicky, einem One Night Stand wieder das Gefühl zu haben, begehrenswert zu sein, auch wenn er sich oft dabei ertappte, an jemanden anderen zu denken, an Dominico zu denken. Eines Abends, als sie wieder unterwegs waren, fragte ihn John direkt, ob er nicht auf der Suche nach einer festen Beziehung sei, fragte ihn, warum er sich auf die schnellen Nummern einließe. "Es passt nicht zu dir und dein Gesicht davor und danach verrät mir, dass ich recht habe." Kieran war überrascht, wie gut John ihn durchschaute. Er überlegte einige Zeit und John hatte wohl schon die Hoffnung aufgegeben, überhaupt noch eine Antwort zu bekommen, als Kieran sagte: „Es gibt wohl nur einen Mann, mit dem ich mir momentan etwas Festes vorstellen könnte. Und der ist so weit weg von mir, wie die Sterne, so unerreichbar wie der Mond. Ich weiß, dass es niemals möglich sein wird. Ich weiß, dass ich, selbst wenn ich ihn wiedersehen werde, mich nicht auf ihn einlassen darf, weil es mich sonst kaputt macht. Rational weiß ich das alles. Aber ich bin dennoch nicht darüber hinweg.“ John nickte und sie schwiegen eine Weile, bis der andere sagte: „Sag mir bitte, wenn du über ihn hinweg bist. Dann feiern wir mit freiem Kopf.“ Kieran lächelte, erwiderte aber nichts. Er wusste, dass John eine Freiheit genoss und sich bewusst auf niemanden tiefer einließ. Dass sie so gut befreundet waren, obwohl sie so verschieden waren, war eigentlich ein Wunder. Oder vielleicht gerade deshalb? Sie gaben sich gegenseitig, wozu sie sonst nicht fähig waren. John öffnete sich ihm und Kieran schaffte es dank John, sich wieder etwas freier zu fühlen. Denn John hatte recht damit, dass die schnellen Nummern für ihn nichts waren.
 

Und so verging die Zeit schneller, als er geglaubt hätte. Und der Gedanke an das, was er Dominico versprochen hatte, drängte sich ihm mehr und mehr ins Bewusstsein. Mr. Frobes hatte angekündigt, ihn demnächst mit zum Hof zu nehmen, damit er ihm bei den Kranken der Angestellten helfen konnte. Wenn er Dominico dort begegnete, wäre es ihm unangenehm, wenn er sich vorher nicht gemeldet hätte. Zumal er Angst hatte, dass Amadeo doch irgendwann bei seinen Eltern auftauchen würde, dort aber keine Nachricht hinterlassen hätte. Wahrscheinlich würde ihm seine Mutter dann sagen, wo er zu finden wäre. Sie kannte die Adresse, sie wusste, dass es ihn nicht stören würde, wenn sie die Daten weitergab. Dennoch wollte er ihm selbst schreiben, ihm mitteilen, dass er in London angekommen war und auf dem richtigen Weg war, Arzt zu werden.

Und so schrieb er ihm schließlich eine Nachricht, einen Brief, in dem einzig und alleine seine Adresse stand und in den er eine getrocknete Arnikablüte mit hineinlegte. Dominico würde wissen, was das zu bedeuten hatte. Und entweder würde Amadeo kommen, oder eben nicht. Letztlich legte er Dominico nun in die Hände, was die Zukunft bringen würde. Vielleicht würde er ihm auch einfach nur eine Nachricht zukommen lassen, oder er würde ihn besuchen oder vielleicht würde Amadeo auch nie auftauchen und Dominico würde es dabei belassen, was sie gehabt hatten. Und egal, was wäre, Kieran würde es akzeptieren.

Wenn er keine Lust auf Lernen oder Arbeiten oder Ausgehen hatte, dann setzte er sich an seinen Lieblingsplatz, zu dem auch John nicht mitkam. Er öffnete das Dachfenster, stieg auf einen Stuhl und zog sich auf das Dach hinauf, kletterte über die Stiege der Schornsteinfeger hinauf auf den First, um sich an den Schornstein zu lehnen und über London zu blicken. Er liebte diesen Ort, weil er hier ein wenig das Gefühl von Freiheit hatte, das ihm so oft fehlte. London war toll für ihn, er merkte, dass es ihm gut tat. Und doch fehlten ihm viele Dinge, die er vorher gehabt hatte. Es war alles beengter hier, die Arbeit war disziplinierter, kostete ihn viel Zeit, schöne Zeit, sicher, aber auch anstrengende Zeit. Er merkte, dass sein Körper die Bewegung vermisste, die er vorher gehabt hatte, so dass er jede Gelegenheit wahrnahm, sich einen Ausgleich zu verschaffen. Und London erdrückte ihn ein wenig: die vielen Menschen, die engen Gassen, das große Leid auf der einen, der große Reichtum auf der anderen Seite. Manchmal gab es Tage, an denen der immerwährende Gestank von Exkrementen, Fäulnis und Müll ihm die Kehle zuschnürte, wo er dann auf das Dach stieg und die frischere Luft, den leichten Windhauch genoss, der ihm dort um die Ohren wehte. Oft verbrachte er seine Mittagspause in den öffentlichen Grünanlagen, diejenigen, die die Kirche dem Volk zugänglich hielten. Am Wochenende besuchte er seine Familie, trainierte mit ihnen, auch wenn er nicht mehr die tragende Rolle im Programm war, so war er immer noch Teil dieses und er würde jederzeit einspringen können, wenn es notwendig war. Es tat ihm gut, immer wieder seine Mutter zu sehen, Fatih und seinen Vater und all die anderen, auch wenn ihm der Blick von Gregor missfiel, der ihm immer noch vorzuwerfen schien, zum einen, dass er an Männern interessiert war, zum anderen dass er eine Hure des Adels war. Aber was sollte Gregor tun? Er profitierte immerhin von der Gesamtsituation und so schwieg er letztlich. Kieran war es egal. Er hatte Timothy die Wahrheit gesagt und wenn Gregor etwas anderes glaubte, dann war das nicht sein Problem. Mehr regte ihn auf, dass Felicitas ihrem Mann nicht eine klare Ansage machte und Kieran nicht in Schutz nahm. Aber sie war leider immer schon ein wenig zu sehr ein Fähnchen im Wind gewesen und Kieran wusste, dass sie ihrem Mann nichts entgegenzusetzen ja vielleicht sogar Angst vor ihm hatte.

Seine Familie jedenfalls würde bald ihre ersten Gelegenheiten haben, bei Hofe aufzutreten und Kieran war mehr als stolz auf das, was seine Familie da auf die Beine gestellt hatte. Und vielleicht nahm er die Gelegenheit wahr, mit an den Hof zu gehen. Aber nur, wenn er bis dahin etwas von Dominico gehört hätte oder seine Familie ihn wirklich brauchen würde.
 

In Summe war London eine Wohltat, er merkte, wie er daran wuchs, wie er… ja… irgendwie erwachsener und selbstständiger wurde. Der Lohn, den er erhielt, reichte, um sich gut zu versorgen und etwas zur Seite zu legen. Andere Männer würden sich jetzt Frauen suchen und Kinder zeugen… Und er? Er hing noch immer dieser Nacht nach. Vielleicht war das auch der Grund, weshalb er erst jetzt Dominico geschrieben hatte. Er fürchtete sich ein wenig davor, ihn wieder zu sehen. Wie schmerzhaft würde es werden? Jener hatte sich sicher schon mit den vielen Möglichkeiten zerstreut, die er bei Hofe hatte. So, wie es Männer in seiner Position eben taten. Aber das war ja auch sein gutes Recht. Kieran zerstreute sich ja auch. Vielleicht würde er sich auch gar nicht bei ihm melden. Kieran wusste, dass Dominico all die Sachen, die er gesagt hatte – mit Italien/Spanien etc. – so gemeint hatte. Aber würde er ihn wirklich mitnehmen können? Kieran gab sich keiner Illusion hin. Und was sollte er tun, wenn er Dominico wiedersehen würde und wenn der andere ihm nahe kommen würde? Er dachte oft darüber nach, was wäre wenn… Aber zu einem endgültigen Schluss war er noch nicht gekommen. Für ihn wäre es das Beste, wenn sich eine solche Nacht nicht wiederholen würde. Aber würde er das können? Würde er widerstehen können? Andererseits: Was wäre, wenn er sich hin und wieder dazu hinreißen ließe, mit Dominico das Bett zu teilen? Wie würde es ihm dabei gehen? Warum könnte er nicht einfach nehmen, was er bekam und sich daran erfreuen? Hin und wieder ein wenige Nähe, ein wenig Zärtlichkeit? Könnte er das nicht einfach? Er stand doch sonst immer gerne über den Dingen. Warum hier nicht einfach egoistisch sein und Dominico letztlich benutzten? Aber der Gedanke kam ihm abwegig vor. Eine reine Fickbeziehung konnte er sich einfach nicht vorstellen. "Es passt nicht zu dir." - hörte er Johns Worte und sah dessen musternden, ehrlichen blauen Augen vor sich.

Und selbst wenn, eines war klar: So oder so, wären sie wirklich zusammen oder würden sie sich einfach nur bei Gelegenheit nahe sein, würde es schmerzhaft sein. Er wollte Dominico gerne noch einmal so nahe sein, sich mit ihm auf gleicher Augenhöhe unterhalten, Sex mit ihm haben. Aber er wollte auch nicht das Gefühl haben, ein Lustknabe zu sein, den man bei Bedarf vögelte und ansonsten darauf bedacht war, ihn zu verstecken. Das, was ihn dabei am meisten verletzen würde, wäre, dass Dominico nie zu ihm stehen könnte. Er würde ihm daraus keinen Vorwurf machen, schließlich war die Gesellschaft schuld daran, dass es so war, und sie nur Opfer eben dieser. Und dennoch wollte er sich diesen Schmerz ersparen. Oder?
 

Aber er sollte nicht über Dinge nachdenken, die ohnehin nicht zur Debatte standen. Es war eine einmalige Geschichte gewesen, nicht mehr und nicht weniger. Und irgendwann würde er das auch wirklich abschließen können - vermutlich.

London - Weichenstellung

Dominico

Das Gefühl leerer Arme verfolgte ihn auch in den Nächten darauf. Nachdem er sich damals von Rod getrennt hatte, war das Gefühl ebenfalls da gewesen, doch Rod war nicht einfach in die Unerreichbarkeit verschwunden. Wenn die Sehnsucht nacheinander groß geworden war, hatten sie beide diese Lücke einfach füllen können. Sie waren einfach wieder ein wenig mehr aufeinander zu gegangen und irgendwann war das Gefühl der Sehnsucht verschwunden, weil es sie einfach nicht gab. Kieran war jedoch nicht mehr da und Nico hatte ihn zu nah an sich herangelassen. Er litt nicht bewusst, sondern viel mehr unbewusst, wenn er nachts alleine war - und so vermied er genau das und tat damit Henry noch einen Gefallen. Dessen ausschweifende Feiern in London, die Bankette und die Bälle, die er für Anne ausrichtete, waren Feiern, auf denen auch Nico reichlich Zerstreuung in fremden Betten fand. Henry sah es ihm nach, im Grunde war es dem König gleich - er war ja auch nicht besser.

So zog sich die Zeit dahin, der Mai kam und die Tage wurden länger und wärmer. Gemeinsam mit Henry ritt Nico immer öfter zur Jagd, auch mit den anderen Herren des Stabes, den Henry um sich gescharrt hatte, denn es wurde langsam Zeit, auf die Bedrohung aus Schottland zu reagieren. Die willkommene Abwechslung für Nico kam in Form einer Reise in das schottische Hochland, zu einigen Familien - seine Aufwartung machen und für den König werben stand auf dem Programm. Henry wollte sich Schottlands Treue sichern und da es sich nicht ziemte, dass der König selbst reiste, war es Nicos Aufgabe geworden. Begleitet wurde er vom Duke of Suffolk, Charles Brandon. Die beiden Männer verstanden sich gut und Henrys Wohl stand ihnen beiden an erster Stelle, so dass sie nach wochenlanger Reise mit recht guten Nachrichten zu Henry zurückkehren konnten, der weiterhin kaum etwas anderes als die Scheidung von Katharina im Kopf hatte.

Als Nico am Tag ihrer Rückkehr durch die Stadttore ritt, dachte er das erste Mal seit sie aufgebrochen waren wieder bewusst an Kieran. Auch wenn er beinahe immer in seinem Kopf war, so war es der Moment, in dem er Schausteller auf dem Markt sah, der ihn an den jungen Akrobaten erinnerte. Es war schon eine Ewigkeit her - über ein Jahr- , dass sie Cambridge verlassen hatten, und er hatte Amadeo noch nicht nach Tottenham geschickt. Er wusste nicht einmal, ob er ihn schicken sollte. Wenn Amadeo dort zu einem Zeitpunkt auftauchte, zu dem Kieran auch zugegen war, was dann? Gut, es war im Zweifel nicht Nico selbst, aber es erschien ihm beinahe aufdringlich. Und wenn Kieran nicht dort war und man ihm keine Nachricht hinterlassen hatte? Dann würde er dastehen wie ein Idiot und das wollte Nico am allerwenigsten. Er rang mit sich und die Zeit verstrich.
 

Cecile hatte inzwischen seinen Cousin geheiratet und sie sendete ihre besten Wünsche nach England, mit dem Versprechen, niemals zurückzukehren, weil die Sonne und das Leben in Italien einfach viel schöner waren. Ja.. es war schöner. Es war unkomplizierter. Nico wollte sich an manchen Tagen selbst dafür schlagen, nicht einfach zurückkehren zu können, doch er gehörte an die Seite des Königs und da hatte er zu bleiben bis der ihn wieder aus dieser Pflicht entließ. So wie Henry sich gebährdete, konnte das noch eine ganze Weile dauern.
 

Es war Ende Juli und In ihrem Garten standen die Blumen in voller Blüte, als Nico wohl das Schicksal zur Hilfe kam.

Die Erinnerung an Kieran war in den Hintergrund gerückt und er hatte auch Amadeo nicht geschickt, doch am frühen Morgen stand ein Bote auf seiner Schwelle, der eine Nachricht von Familie Carney brachte - oder viel mehr von der Stadtwache.

Nico hatte schon mitbekommen, dass der alte Hauptmann der Wache Briefe für Katharina und einige spanische Rebellen in die Stadt geschleust hatte. Henry hatte das herausgefunden und den Mann prompt Köpfen lassen. Der neu ernannte Hauptmann war indess übervorsichtig geworden und ließ jetzt anscheinend die Familie Carney nicht mehr hinein, da er dem inzwischen abgewetzten und von Nico unterzeichneten Freischein keinen Glauben schenkte. Also waren sie wirklich hier in London. Nico nagte an seiner Unterlippe, während er einen neuen Erlass aufsetzte und mit seinem Siegel für richtig bescheinigte. Der Bote verneigte sich und ging. Kurz darauf verließ auch Amadeo das Anwesen in Richtung Tottenham. Nico war drauf und dran gewesen, selbst zu gehen, doch der kindische Unterton dieser Aktion wurde ihm nur all zu schnell bewusst. Er hatte einfach zu wenig zu tun und machte sich zu viele Gedanken. Was tat er schon den lieben langen Tag? Ja, er ritt mit Henry zur Jagd und ja, er machte sich Gedanken über die politische Situation, doch sein Leben war einfach so bequem und so unbedeutend, zumindest kam es ihm so vor. Unterbrochen wurde diese Eintönigkeit nur von den kirchlichen Intrigen seines Bruders und aller anderer Dinge, die sie beide taten, ohne dass Henry davon wissen durfte. Der Tanz auf diesem schmalen Grat zwischen Hochverrat und Loyalität war es, der Nico wirklich am Leben und bei Laune hielt.

Er war es auch, der Nico warten und Ruhe bewahren ließ, bis Amadeo wirklich mit einem Brief zu ihm zurückkehrte.

Als Nico ihn öffnete, rutschte die getrocknete Arnikablühte heraus und Nico musste unwillkürlich lachen. Auf dem schmalen streifen Pergament stand nur eine Adresse in Kierans fein säuberlicher Handschrift. Dort war er also zu finden. In Nico machte sich tiefe Ruhe breit, während seine Gedanken schon rasten. Einfach zu ihm gehen oder Amadeo schicken? Nein, zu einfach, zu platt. Nicht das, was er wollte. Er wollte ihm wieder nah sein, doch wie hätte es wohl ausgesehen, wenn er einfach wieder zu ihm gegangen wäre, um ihn in sein Bett zu holen? Nein. Jetzt war Nicos Fingerspitzengefühl gefragt.
 

Einige Tage darauf heftete sich ein rothaariger Bengel an Kierans Füße. Der Junge war noch keine 12, ein Straßenkind ganz offensichtlich. Es gab Hunderte von ihnen in der Stadt, die des Nachts in den Weisenhäusern ihr Dasein fristeten. Amadeo hatte ihn ausgewählt, weil es ein gescheites Kerlchen war und weil er verstanden hatte, was er für die versprochenen Münzen tun sollte.

Zunächst flossen die Informationen sehr spärlich, denn ihr kleiner Informant war sich noch nicht wirklich sicher, ob er auch die Entlohnung bekam, die man ihm versprochen hatte. Kaum hatten die ersten Münzen den Besitzer gewechselt, sprudelten die Informationen zusehends aus ihm heraus. Naja, wer beachtete auch schon Kinder all zu sehr? Sie waren und bettelten überall und so erfuhren Amadeo und bald darauf auch Nico davon, wo Kieran wohnte und was er tagsüber tat. Auch, dass er am Hofe ab und an tätig war und wo er sich am Abend herumtrieb. Sie erfuhren auch vom Sohn von Mr. Forbes, mit dem sich Kieran offenbar sehr gut verstand. Von den nächtlichen Streifzügen durch London, von Kierans sehr frühem nach Hause kommen aus anderen Häusern. Nein, das gefiel Nico ganz und gar nicht. Allerdings konnte er Kieran kaum einen einzigen Vorwurf machen, wenn er sich am Morgen aus dem Bett der Hofdamen schälte. Einsam zu bleiben schien für keinen von ihnen eine Option zu sein. Mit jedem Tag, an dem er mehr Informationen über Kieran sammelte, wurde es für Nico schwerer, die Füße still zu halten. Trotzdem blieb ihm nichts anderes übrig, bis er etwas fand, an dem er einhaken konnte.
 

Es dauerte noch eine weitere Woche bis das endlich passierte. Allerdings nicht, weil Nicos Informant ihm Neuigkeiten brachte, sondern weil im Audienzsaal einer der Hofärzte Mr. Forbes nach Kieran fragte. Kieran war nicht dabei, daher war die Chance für Nico erkannt zu werden nicht vorhanden und so lauschte er ungeniert, wie einer von Henrys Hofärzten, John Chambers, nach einer Rezeptur fragte, die Kieran wohl benutzt hatte. Das Talent des jungen Akrobaten fiel also bereits auf. Das war genau das, was Nico brauchte.
 

Zwei Tage später kam Mr. Chambers in die Drogerie von Mr. Forbes. Es war ein regnerischer Tag in London und vom wollenen Mantel des Arztes perlte das Wasser auf die Straße hinunter. Er war ein Mann mittleren Alters mit langer Hakennase, seine Augen jedoch sprühten noch vor jugendlicher Neugier. Er hatte in Spanien und im Kaiserreich studiert, war auch ein ums andere Mal nach Italien gereist. Er war ein kluger Mann, der vor Naturmedizin nicht zurückschreckte und sich damit beim König gegenüber all den anderen Medizinern einen Vorteil verschafft hatte. Gerade deswegen passte Kieran so hervorragend in das Bild. John Chambers wurde bei Mr. Forbes vorstellig und brachte ihm sein Anliegen vor: Er wollte Kieran, wenn es denn dessen Wunsch war, zum Arzt ausbilden. Da er selbst studierter Mediziner war, stand es in seinen Möglichkeiten, einen Assistenten zu benennen und Kieran in einem Studium der Medizin zu fördern, wenn Kieran das denn wollte. Eigentlich schlug niemand so ein Angebot aus und so wartete John Chambers während Mr. Forbes nach Kieran rief, der sich wohl im Haus aufhielt.
 

Kieran

Kieran war etwas verwirrt, als ein Bote zu ihnen in den Laden kam und ihm einen Brief seiner Eltern überreichte. Einen Moment hatte er Angst, etwas Schlimmes könnte passiert sein und so riss er hastig die Nachricht auf. Was er nun zu lesen bekam war ohne jeden Zweifel nervig. Er bat Mr. Forbes, ihn für diesen Nachmittag zu entschuldigen, und ritt sogleich zu seinen Eltern, die er noch auf dem Weg zurück nach Tottenham, einholte. Kieran wusste, dass die Stadtwache den Hauptmann gewechselt hatte, er hatte die Enthauptung mitbekommen, aber er hätte nicht gedacht, dass das irgendwie sie betreffen könnte. Unterwegs beratschlagten sie bereits, was zu tun war. „Lass dich doch nochmal durchvögeln, Kieran“, kam der Kommentar von Gregor. „Der Typ steht doch auf dich. Am besten reitest du gleich los.“ Das dreckige Lachen das folgte, ließ Kieran innerlich kochen. Aber er blieb ruhig. Seine Mutter legte ihm die Hand auf den Arm. „Hör nicht auf ihn“, sagte sie leise zu ihm und fuhr lauter fort. „Er ist ein gefühlloser Mistkerl, der kein bisschen Anstand besitzt. Er ist es nicht wert, sich zu prügeln, auch wenn er es verdient hätte, noch einmal mit einem blauen Auge herumzulaufen.“ Kieran war ihr dankbar für ihre Worte, aber es war eigentlich gar nicht so sehr Gregor, der ihn aufregte. Es waren vielmehr die Erinnerungen, die durch die Worte des anderen mit einem Mal so heftig hochkamen und so verdammt schmerzten. Noch hatte niemand den Brief abgeholt, den er geschrieben hatte. Und das hieß doch nichts anderes, als dass Dominico ihn vergessen hatte, er ihm vollkommen egal war, oder? Einen Moment kam ihm sogar der Gedanke, dass dieser sein Angebot vielleicht wirklich zurückgenommen hatte. Aber das konnte er kaum glauben. Das wollte er nicht glauben. Denn wenn dem so war, dann hatte er sich bei einem Jahr wirklich wie eine Hure verkauft gehabt.

Sie einigten sich schließlich, dass seine Familie sich wirklich direkt an Dominico wenden sollte, er würde sich da aber raushalten.

Und so schrieben sie einen Brief an eben diesen, den sie mit einem Boten an das Anwesen schickten, von dem Kieran ja immerhin wusste. Dann verließ er sie wieder. Er konnte Gregors Visage nicht weiter ertragen und außerdem ging es ihm einfach nicht gut. Und so bekam er erst ein paar Tage später mit, dass der Brief nun doch abgeholt worden war.

Kieran wusste nicht so recht, was er davon halten sollte. Hieß das nun, dass Dominico sich jetzt erst an ihn erinnert hatte? Und jetzt hatte er sich überlegt: Man, den könnte ich doch mal wieder flachlegen…

Er war ungerecht, das wusste er. Aber irgendwie wurde er mit der Situation nicht fertig. Vielleicht sollte er doch auf Johns verhaltene Zuneigung eingehen. Einmal wieder aufwachen in den Armen eines anderen, der ihn warm umschloss und aus dessen Bett man nicht gleich fliehen wollte… Aber nein, das war nicht fair. Dafür mochte er John viel zu gerne. Außerdem würde der ihn durchschauen. John las ihn wie kaum ein anderer...
 

Dass der rothaarige Straßenjunge sich an seine Versen heftete, merkte Kieran erst nicht, irgendwann schon. Es wunderte ihn erst, aber als er den Jungen darauf ansprach. Aber der meinte nur, er sei daran interessiert, etwas über seinen Beruf zu lernen. Und so ließ er ihn hin und wieder ihm helfen oder er begleitete ihn. Der Junge, der Mat hieß, sagte ihm, dass er in der Nähe wohne und da seine Eltern viel arbeiteten, sei ihm langweilig. Schule könnten sich seine Eltern nicht leisten. Kieran mochte den Kleinen vorwitzigen und durchaus klugen Jungen und dachte sich, dass er ihn lieber begleiten solle, als dass dieser irgendwelche krummen Dinger auf der Straße drehte. Man rutschte in London schnell in die Kriminalität ab. Kinder als Taschendiebe, die eigentlich noch einfach nur spielen sollten, waren überall zu sehen.

Als ihm Mr. Forbes mitteilte, dass ein junger Arzt sich nach seinem Elixier gegen Gicht erkundigt hatte, machte das Kieran irgendwie stolz. Vielleicht würde sich da ja mehr daraus ergeben. Und so bat er Mr. Forbes dem Arzt die Zusammenstellung des Elixiers zu geben, sobald jener die Gelegenheit dazu haben würde. Kieran hatte sich mittlerweile am Hof ganz gut eingelebt und ging Mr. Forbes dort zur Hand.

Dominico hatte er bei seinen Besuchen am Hof nie gesehen und irgendwie war er auch ganz froh drum. Was sollte er ihm sagen? Wie sollte er sich verhalten? Der andere würde ihm wohl eh keine Beachtung schenken und da war es ihm lieber, ihn gar nicht erst sehen zu müssen. Und so war er gerade dabei, eben jene Rezeptur aufzuschreiben, als er die Stimme seines Chefs und Vermieters zu sich hinauf hörte.

„Kieran, du hast Besuch, beeil dich, damit der Herr nicht warten muss.“ Kieran war erstaunt. Besuch? Speziell für ihn? Normalerweise forderten manche Kunden ihn zwar, aber da Mr. Forbes keinen Namen genannt hatte, war ihm klar, dass es sich nicht um einen Kunden handelte. Ob es vielleicht doch endlich Dominico war? Aber nach fast einem halben Jahr? Sein Herz schlug hart gegen die Brust und er war mit einem Mal verdammt nervös, während er die Treppe vorsichtig hinunterstieg. Dabei schalt er sich selbst einen Idioten. Mit feuchten Händen öffnete er die Tür zum Laden, als er einen Mann mittleren Alters sah, dessen Augen ihn freundlich anblitzten. Irritiert und fast schon ein wenig enttäuscht, blickte er kurz zu Mr. Forbes. „Das ist Mr. Chambers. Er hat nach deiner Rezeptur gefragt“, erklärte Mr. Forbes und stellte ihm so den anderen vor. Kieran lächelte unwillkürlich und trat auf den anderen zu, um ihm die Hand zu geben. „Es freut mich, Sir, dass Euch das Elixier interessiert. Ich habe die Rezeptur soeben abgeschrieben, um sie Euch zukommen zu lassen. Wenn Ihr wollt, dann hole ich sie…“ Doch Mr. Forbes fiel ihm ins Wort. „Moment, Kieran, nicht so hastig“, sagte er und Kieran blickte zu seinem Chef. „Mr. Chambers ist hier, um dich etwas ganz anderes zu fragen.“ Kieran sah den ihm fremden Mann wieder an und als er hörte, was dieser zu sagen hatte, wurde sein Blick ungläubig. Seine Gedanken überschlugen sich und jegliche Etikette war zu viel. Allerdings könnte er sich noch davon abhalten, dem so sympathischen Mann um den Hals zu fallen... „Ihr wollt mir die Chance geben, als Euer Assistent Medizin zu studieren? Verstehe ich das richtig?“ Er war vollkommen überrumpelt und hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. „Ich… natürlich würde ich das gerne“, plapperte er zusammenhanglos los. „Davon träume ich schon lange.“ Er war noch immer verwundert und erst langsam sickerte durch, welch große Chance sich ihm gerade auftat - und welche Folgen es haben würde. Aber: er hatte es geschafft!

Er blickte zu Mr. Forbes, dessen gütiges Lächeln auch ein wenig ein trauriges Lächeln war. Dann spürte er dessen Hand auf seiner Schulter. „Das ist großartig“, sagte dieser. „Da trifft es den Richtigen.“

„Sagen Sie mir bitte, wie das gehen wird“, wendete sich nun Kieran wieder an Mr. Forbes. „Also wie wird das Studium und meine Assistenz aussehen?“ Er war noch immer verwirrt, aber deswegen vergaß er nicht seine Verpflichtungen, die er hatte. „Ich habe Verpflichtungen, meiner Familie gegenüber und auch Mr. Forbes, den ich nicht im Stich lassen kann und will“, fuhr er fort. „Versteht mich nicht falsch, ich möchte über alles in der Welt ein Arzt werden, aber …“ Er stockte. „Was verlangt Ihr von mir? Und wieviel würde es mich kosten? Muss ich hier ausziehen? Entschuldigt, ich bin etwas verwirrt. Das kam jetzt etwas plötzlich.“ Er lächelte den anderen Mann entschuldigend an.
 

Dominico

Mr. Chambers hatte sich durchaus erst misstrauisch gezeigt. Natürlich war Nico ein guter Freund des Königs und auch ein guter Freund von John Chambers, doch einfach so einen wildfremden jungen Mann unter seine Fittiche zu nehmen, war nicht das, was er sich für seine Karriere vorgestellt hatte. Nicht dass es ihm sehr darum gegangen wäre - er war nicht der Mann, der nur an die Karriere dachte - , doch man nahm in der Regel nur Sprösslinge reicher Familien auf, die das Studium finanzieren konnten. Und John hatte keine unbegründeten Ängste, denn wenn es Nico morgen einfiel, dass er Kieran doch nicht mehr fördern wollte, musste man vielleicht einen vielversprechenden Studenten aufgeben, weil er das Studium allein nicht finanzieren konnte und auch John nicht das nötige Geld für zwei Ärzte aufbringen konnte. Er durfte seinen Nachwuchs nicht selbst fördern, es musste also einen Sponsoren geben. Nico jedoch hatte ihm versichert, dass er von diesem Vorhaben nicht abspringen würde, und hatte deswegen einen Fond eingerichtet, der es John erlaubte, Kieran tatsächlich als seinen Schüler aufzunehmen. Als er dann noch erfuhr, was Kieran sonst noch leistete, schwand sein Misstrauen beinahe von einer Sekunde zur nächsten und er konnte allein anhand des Gichtmittels schon erkennen, dass der junge Mann bereits einiges an Vorarbeit geleistet hatte, welche ihm das Studium wesentlich erleichtern würde. So war er gespannt auf wen er treffen würde, wenn "Kieran" eintrat und er wurde angenehm überrascht. Während die Drogerie zwar sauber aber mit allerlei Krimskrams vollgestopft war, so war Kieran eine angenehme Erscheinung. Er hatte bemerkenswert wache Augen, dunkles volles Haar und einen Körperbau, der Kraft aber auch das nötige Fingerspitzengefühl erwarten ließ. Und doch war da auch Lebenserfahrung im Blick seines Gegenübers und... Enttäuschung? Hatte Kieran hier jemand anderen erwartet?

John Chambers war niemand, der sich in die Angelegenheiten am Hofe einmischte, aber es hatte immer einen gewissen Grund, wenn man hier und da um einen Gefallen gebeten wurde. In welcher Beziehung Dominico Sforza und dieser Mann vor ihm auch immer zueinander standen, es war mehr als der bloße Wunsch, den Traum eines Mannes zu erfüllen, den man vielleicht ein-, zweimal getroffen hatte. Doch all das ging ihn nichts an und solange die Bezahlung stimmte - und das tat sie - und so lange der Wille vorhanden war - und so wie Kieran reagierte, war er vorhanden - war alles andere uninteressant. Er schmunzelte als Kieran so überschwänglich direkt tausende Fragen stellte, an die John selbst noch nicht einmal gedacht hatte. Abwehrend hob er die Hände, um den Redefluss zu stoppen, musste sogar lachen bei diesem ganzen Übereifer. "Wenn Ihr denn wirklich Interesse habt, und ich glaube, dass ihr das schon habt, dann werden wir all die Einzelheiten gern bei einem Abendessen besprechen können. Ganz grob umrissen wird es so aussehen, dass Ihr hier wohnen bleiben könnt, wenn ihr das möchtet. Ich selbst lebe im Palast und habe kein eigenes Haus. Ich habe meine Gemächer und mein Labor dort. Auch der Kräutergarten des Palastes steht unter meiner Aufsicht, es ist also nicht nötig, ein eigenes Anwesen zu haben, und da ich nicht verheiratet bin-" er winkte ab. "Also Ihr könnt hier bleiben. Ihr werdet die Vorlesungen an der Universität besuchen, sie sind in der Regel am frühen Morgen. Danach begleitet Ihr euren Mentor bei seiner Tätigkeit und geht ihm zur Hand wenn er Eure Hilfe benötigt. Dabei setzt Ihr Euer Studium fort. Da es in meinem Fall nicht all zu viel zu tun gibt, da ich zum einen vor allem dem König und seinen Gefolgsleuten und seiner Familie verpflichtet bin, und mich zum anderen der Forschung verschrieben habe ,denke ich, es wird sich einrichten lassen, dass Ihr auch weiterhin einige Zeit des Tages oder einige Tage hier verbringt und Mr. Forbes zur Hand geht, dessen ausgezeichnete Arbeit wir am Hofe sehr zu schätzen wissen. Und was es Euch kostet - nun, ich bin sicher Ihr wisst, dass Mr. Forbes nicht in der Lage ist, euch das Studium zu finanzieren, da er bereits das Studium seines Sohnes finanzieren muss, und Ihr wisst sicher auch, dass der Mentor seinen eigenen Schüler ebenfalls nicht unterstützen darf. Doch am Hofe haben einige der von euch behandelten Patienten sehr gut von euch gesprochen. Gute Ärzte werden am Hofe immer sehr geschätzt und es hat nicht lange gedauert, bis sich ein Sponsor für Euch fand. Euer Rezept gegen die Gicht ist wirklich großartig und sehr durchdacht, das allein wird diese Investition sicher lohnen." Er lächelte, während Kieran noch gar nicht so recht zu wissen schien, was er davon halten sollte.

"Ich bin sicher, Ihr habt sehr viele Fragen, doch ich kann sie Euch nicht alle hier beantworten. Das ist nicht der Ort für solche Gespräche; also.. würde ich sagen, wir bereden all die Dinge, die Ihr noch erfahren müsst, bei einem Abendessen in meinen Gemächern im Palast. Eure Geldgeber werden ebenfalls anwesend sein, so dass Ihr euch gebührend bedanken könnt für diese Chance. Wie wäre es gleich morgen abend?"
 

Kieran

Ein Abendessen, bei dem sie alles besprechen wird. Irgendwie hatte er gerade ein Déjà-vu. Das letzte Mal, als er das gehört hatte, hatte er aus Misstrauen und Überforderung abgelehnt. Diesmal reagierte er anders, erwachsener. "Sehr gern, Mr. Chambers", sagte er und verneige sich leicht aus Höflichkeit. Dann lauschte er den Ausführungen des anderen und nickte. Was der andere sagte, klang gut. Er würde hier wohnen und Mr. Forbes weiter helfen. Und er würde wirklich zu den Vorlesungen können? Und er hätte jemanden, dem er bei der Arbeit direkt am Hofe unter die Arme greifen konnte? Und er würde wirklich zum Arzt ausgebildet? Er konnte seine Emotionen ohnehin nicht verbergen. Und jetzt sah man ihm nur zu deutlich an, dass er sich aus tiefstem Herzen freute.

Als es um das Finanzielle ging, horchte er jedoch auf. Dass Mr. Forbes ihn unterstütze, käme ihm ohnehin nie in den Sinn. Dass der Mentor es nicht tragen dürfte, davon hatte er keine Ahnung. Er hatte sich damit nur bedingt befasst, wenn John ihm erzählte, wie teuer ein Studium war. Aber welche Regeln etc. es da gab, davon wusste er nichts. Einen Moment runzelte er die Stirn. Er hatte Sponsoren? Dr. Chambers hatte im Plural gesprochen... Er hatte wirklich mit allem gerechnet, nur damit nicht... Personen, die von seinem Gichtmittel angetan gewesen waren? Und generell von seiner Arbeit? Kieran hatte keine Ahnung, wer einem wildfremden Menschen das möglich machte. Er wurde ein wenig misstrauisch. Nun, es gab bei Hofe sicher einige, die so ein Studium ohne überlegen zu müssen, finanzieren konnten, aber Leute dieses Standes verschwendeten ihr Geld doch nicht an jemanden wie ihn! Aber er wollte sich nicht undankbar zeigen. Am morgigen Abend würde er diese Sponsoren sehen? Nun, dann würde sich die Frage klären, wer das sein könnte.

"Das Mittel ist eigentlich nichts Besonderes", musste er dann aber einwenden. "Gicht heilt man meiner Meinung nach noch immer am besten, mit vielfältiger Ernährung, aber das ist ein anderes Thema." Er zögerte einen Moment. "Morgen Abend ist völlig in Ordnung, sagt mir nur, wie ich zu Euch kommen kann."

Dr. Chambers teilte ihm mit, dass er einfach hereindurfte, wenn er nur seinen Namen sagte. Er werde ja erwartet. Dann verabschiedete er sich noch. Kieran bedankte sich immer wieder und geleitete den Mann, der ihm eine so große Chance ermöglichte, noch zu dessen Kutsche. Wieder im Inneren des Ladens konnte er nicht an sich halten und umarmte Mr. Forbes herzlich, der ihm väterlich auf den Rücken klopfte.

London - Forsche Fragen und deren Klärung

Kieran

Kieran tat sich den ganzen Abend schwer, das zu begreifen, was gerade vor sich ging. Er hatte es also wirklich geschafft, hier in London zum Arzt ausgebildet zu werden? Zumindest bekam er die Chance dazu... und dafür konnte er sehr dankbar sein... er konnte Dominico dankbar. Ohne ihn wäre er nie jetzt hier. Auch wenn alles andere, was mit diesem Mann zusammenhing, schmerzhafte Erinnerungen waren.

Die Frage, wer sich wohl hinter den Sponsoren verstecken könnte, verdrängte er etwas. Vielleicht lag es daran, dass er einen stillen, sehr leisen Verdacht hatte, den er aber nicht wagte ernsthaft zu denken. Oder waren es Hoffnungen? Aber dann würden... nein, lieber nicht darüber nachdenken!
 

Die Nacht zog sich und der nächste Tag auch. Doch schließlich stieg er hinauf in seine Kammer, um sich entsprechend vorzubereiten. Es war gut, dass er erst vor kurzem noch einmal Geld in Kleidungsstücke investiert hatte. Er konnte sich wirklich zum Hof passend kleiden und verließ pünktlich seine Wohnung, um zur exakten Uhrzeit am Palast anzukommen. Die Wachen ließen ihn durch, ein Diener geleitete ihn den Weg in die Gemächer des Arztes.

Der Diener klopfte, wartete auf Antwort, dann öffnete er die Tür und kündigte ihn an. „Er soll eintreten“, hörte er Dr. Chambers sagen und leistete den Worten Folge. Mit unverhohlener Neugierde sah er sich einen Moment um, bevor er auf Dr. Chambers zutrat und ihm die Hand gab, sich leicht verneigend den Mann begrüßte.
 

Dominico

Nico war bereits am frühen Nachmittag in die Stadt geritten. Er hatte es den ganzen Morgen kaum im Haus ausgehalten und hatte sich daher mit einigen Fechtübungen mit Amadeo bei Laune gehalten, doch sogar da hatte er mehrheitlich verloren, was auch nicht unbedingt zur Hebung seiner Laune beigetragen hatte. Obwohl er sich eigentlich wenig dafür interessierte, welchen Anzug er für den Abend wählte, so war er heute irgendwie pingelig. Frisch gewaschen aus dem Zuber, ein wenig mit Duftöl eingerieben stand er unschlüssig vor dem großen Spiegel und ließ sich inzwischen schon die dritte Kombination bringen. Eigentlich war er bei weitem nicht so eitel wie Alessio, doch er wollte einen guten Eindruck machen. Und nicht nur einen guten Eindruck sondern mehr. Er wollte.. naja, was eigentlich? Kieran in Verlegenheit bringen? Auf keinen Fall. Auftreten wie ein großspuriger Aufreißer? Um Gottes Willen. Nein, er wollte wie ein kompetenter Diplomat auftreten, der jedoch nicht davor zurückschreckte, seine Überzeugungskraft durch Taten zu unterstützen.

Er entschied sich schließlich für eine schwarze Hose mit Einlagen aus dunkelgrünem Brokat, einem normalen Hemd und darüber einer festen Jacke - ebenfalls in grünem Brokat und Schwarz. Der lange Umhang aus Wolle würde die Kleidung vor dem Regen schützen bis er im Palast eintraf.

John Chambers war überrascht Nico bereits eine Stunde vor Kierans Eintreffen bei sich begrüßen zu dürfen, doch Nico und er kannten sich ganz gut und so hatten sie keine Probleme sich mit Plaudereien die Zeit zu vertreiben. Obwohl Chambers instinktiv spürte, dass zwischen seinem neuen Lehrling und Lord Sforza eine andere Beziehung stand ,als nur das Interesse an Medizin, fragte er nicht nach. Es ging ihn nichts an. Man lernte diese Haltung schnell, denn viele Patienten dankten es einem nur zu gern, wenn man nicht über ihre körperlichen Leiden plauderte und am besten selbst gar nicht nachfragte, wenn es nicht unbedingt nötig war.

Dr. Chambers' Gemächer befanden sich im Dachgeschoss des Palastes, es war im Sommer dennoch angenehm temperiert. Außerdem hatte der Mediziner hier mehr als genug Platz, ungestört von anderen seinen Forschungen nachzugehen. Im vorderen Teil der Räumlichkeiten gab es einen Salon, in dem inzwischen das Abendessen aufgetragen wurde, zumindest der Teil, der kalt gegessen werden konnte. Weiter hinten gab es ein äußerst unbenutzt aussehndes Schlafzimmer und der Arbeitsraum, beziehungsweise die Bibliothek, die zwar längst nicht mehr für alle Bücher reichte, aber dennoch ihren Zweck tat. Außerdem befand sich in ihr auch eine Art Kuriositätenkabinett mit Mumienschädeln, Funden aus vergangenen Zeiten und all solchen Dingen. Als Kieran eine Stunde später an die Tür klopfte, bat John ihn herein, ohne die Augen von einer Schriftrolle zu nehmen, die er gerade interessiert studierte. Als Kieran neben ihm auftauchte, drehte er sich um und schüttelte ihm ebenso herzlich die Hand. "Ich hoffe, Ihr hattet eine gute Anreise. Und ich hoffe Ihr habt Hung-" Weiter kam er nicht, denn ein äußerst amüsierter Nico kam in den Salon spaziert, direkt aus dem Kabinett mit Johns heiligen Funden. "Im Ernst, wozu hebst du das auf?" In dem Glas, das er in der Hand hatte, schwammen riesige Würmer und Nico musterte sie angewiedert. Dann bemerkte er Kieran und hätte das Glas vor Schreck fast fallen gelassen. Er überwand den ersten Schreck beinahe im gleichen Atemzug und wandte sich wieder der Bibliothek zu. "Mr. Carney, wundervoll Sie hier zu sehen", rief er über die Schulter, während er das Glas wieder verstaute. Als er wiederkam, stand Chambers bei Kieran und sie begrüßten sich. Danach drehte sich John direkt zu Nico um. "Darf ich Euch Euren Spnsor vorstellen, Mr. Carney? Dominico Sforza hat sich freundlicher Weise bereit erklärt, euer Studium zu übernehmen." Scheinbar unbeteiligt neigte Nico den Kopf, doch in seinen Augen loderte es Am liebsten hätte er den Anstandswauwau aus dem Zimmer geschmissen, aber hier war es mher als nur wichtig, die Form zu wahren. Die Wände im Palast hatten Ohren und jedes falsche Wort konnte schon morgen den Henker bedeuten.
 

Kieran

Es war immer wieder beeindruckend, den Palast zu betreten, selbst wenn es nur der Trakt der Angestellten war. Der Diener, der ihn zu Mr. Chambers Räumlichkeiten geführt hatte, brachte ihn in Bereiche, wo er noch nie gewesen war, vorbei an Prunk, Gemälden und noch mehr Prunk.

Als er den Salon des Arztes betrat, wirkte dieser Raum auf ihn anders. Irgendwie wohnlicher, privater und es herrschte eine Atmosphäre von Betriebsamkeit. Das lag vielleicht auch daran, dass Mr. Chambers in eine Leinenrolle vertieft war, als er eintrat, von der dieser erst aufsah, als Kieran ihn begrüßte und ihm die Hand gab. Dafür war die Freude des anderen, ihn hier zu sehen, unverhohlen und ehrlich. Kieran lächelte.

Doch das Lächeln erstarb, als er eine Stimme hörte, die ihm durch und durch ging. Im Ernst, wozu hebst du das auf? Kieran, der eigentlich die beiden Fragen des Arztes mit "Ja" beantworten wollte, drehte sich ruckartig um und war sich nun nicht mehr sicher, ob er die Frage hinsichtlich seines Hungers nun immer noch mit "Ja" beantworten könnte.

Einen Moment trafen sich seine und Dominicos Augen und während Kierans Überraschung ihm deutlich ins Gesicht geschrieben stand, wahrte Dominico wie immer sein Gesicht. Lediglich seine Hände, die das Glas mit den präparierten Würmern fast fallen ließen, hätten ihn und seine Nervosität verraten können, aber Kieran war so perplex, dass er das kaum registrierte. Die Begrüßung des anderen erwiderte er mit einem automatischen, langgezogenen und leicht fragenden: "Ganz meinerseits, Lord Sforza." Während der andere offenbar das Glas zurückstellte, blickte Kieran irritiert zu Dr. Chambers stellte aber keine Frage, als er den Blick des Arztes sah, der ihn zur Geduld mahnte.

Kieran war nicht dumm und er konnte eins und eins zusammenzählen, aber er wollte es nicht wahrhaben. Dominico finanzierte ihm sein Studium? Woher das plötzliche Interesse, wo er ihm doch seit Monaten egal gewesen war und ihn wohl gänzlich vergessen hätte, wäre seine Familie nicht gezwungen gewesen, ihn zu kontaktieren?

Als Dominico zu ihnen herantrat, konnte Kieran nicht anders, als für sich festzustellen, dass Dominicco zwar etwas abgekämpft aussah, aber für ihn noch immer atemberaubend gut aussah. Wie sollte er diesen Abend überstehen?!?

Und nun, als Dominico zu ihnen gekommen war, bestätigte sich seine Vermutung, die er unbewusst wohl schon seit dem Vortag hatte: Dominico war der Sponsor - und Kieran hatte keine Ahnung, warum Dominico das tat. Von wegen: Gichtmittel!

Während Nico fast teilnahmslos wirkte, rauschte Kieran das Blut durch die Ohren und sein Herz drückt hart gegen seine Brust.

Wobei? Dominicos Augen wirkten anders. Das Grün war aufgewirbelt und dunkler als sonst, so als sei auch der andere wegen dieses Treffens nervös. Aber vermutlich bildete er es sich nur ein und der Wunsch war Vater des Gedanken.

In Kierans Kopf jedenfalls überschlugen sich die Gedanken. Es ging hier gerade um seine Zukunft, seinen Lebensrtraum, seine Hoffnungen. Es ging darum, sein Leben mit dem zu verbringen, was ihm Spaß machte, was ihn ausfüllte und befriedigte. Er dürfte das Angebot nicht aus gekränkter Eitelkeit und trotzig wie ein kleines Kind ausschlagen.

Gleichzeitig bedeutete das aber, dass Dominico ihn nun doch kaufte, oder? War er jetzt doch zur Hure geworden, wie Gregor ihn konsequent betitelte? Er hatte die Beine breit gemacht und dafür dürfte er studieren? Oder würde Dominico die Finanzierung für weitere sexuelle Gefälligkeiten als Druckmittel verwenden? Irgendwie glaubte er das nicht - wollte das nicht glauben. Dominico war so ehrlich zu ihm gewesen und sie waren sich so verdammt nah gewesen. Er begriff das, was gerade geschah, einfach nicht.

Er lächelte bemüht, als Dr. Chambers ihm Nico als seinen Sponsor vorstellte. Kieran war die Situation für sie beide hier bei Hofe klar. Er kannte Dominico, wusste viel von ihm. Aber der Arzt war ihm fremd, zwar sympathisch, aber fremd. Nico schien mit ihm befreundet zu sein, aber zwischen Schein und Sein war ein großer Unterschied. Er würde also genau überlegen müssen, was er sagte.

"Das freut mich", sagte er daher und es entsprach ja zumindest zur Hälfte der Wahrheit. Zumindest soweit, dass er sich freute, dass ihm jemand das Studium finanzieren wollte. Aber von Dominico hatte er diese Hilfe irgendwie nicht haben wollen. Er fühlte sich dabei irgendwie nicht wohl. "Ich freue mich, dass Ihr vorhabt, mich zu unterstützen." Er hasste es zu lügen. Denn er freute sich zwar, dass er unterstützt würde, aber irgendwie wollte er nicht von Dominico abhängig sein, ihm schon wieder - oder eher: noch mehr schuldig sein. Er sah Dominico eindringlich an, auf der Suche, in diesem Pokerface irgendeine Antwort auf die vielen Warum?s zu erlangen, die ihm auf der Seele brannten.

"Mich würde nur interessieren, woher Euer Wunsch dazu kommt, mir das Studium zu finanzieren, und welche Konsequenzen das für mich hat." Er wusste nicht so recht, ob er höflich genug blieb. "Ich hatte in letzter Zeit nicht den Eindruck, dass mein Können bei Euch einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte." Er wendete sich an Mr. Chambers. "Ihr müsst wissen, dass ich um Ostern herum dem König ein wenig geholfen habe und auch im Hause Sforza einen Abend tätig war. Und das ist ja nun schon eine ganze Weile her, so dass ich mich einfach nur frage, woher das plötzliche Interesse kommt." Er wusste, dass Dominico begriff, worauf er anspielte. "Ich möchte nicht undankbar erscheinen. Nein, ganz im Gegenteil!" Er sah wieder zu Dominico. "Aber es wundert mich doch ein wenig."
 

Dominico

Kieran wirkte überrumpelt als er Nico da stehen sah und während Nico ja genau gewusst hatte dass er im Verlaufe dieses Abends noch auf den jungen Mann treffen würde, so war Kieran deutlich geschockter, ihn hier zu sehen. Gut für Nico, denn so fiel dessen Unsicherheit nicht all zu sehr auf, da Kieran wesentlich unsicherer war. Die Hände hinter dem Rücken verschränkt kam Nico langsam näher an den Tisch, auf dem noch immer die Schriftrolle lag, eine Abhandlung über das menschliche Gedärm. Ungeachtet von seiner eigenen Freude darüber, Kieran wieder zu sehen, war auch John scheinbar sehr erfreut. Und es war ja auch nicht so, dass Nico John dazu hatte drängen müssen, Kieran aufzunehmen. Der Arzt hatte wegen des Geldes gezaudert, nicht weil er nicht von Kierans Fähigkeiten beeindruckt gewesen war.

Kieran war gerade dabei, sich förmlich bei ihm zu bedanken und John wollte sie schon dazu anhalten sich doch an den Tisch zu setzen, als Kieran - wie Nico leise erwartet hatte - seine Klappe doch nicht halten konnte. Innerlich verdrehte Nico die Augen. Ihm war es eigentlich egal und Kieran diskutierte ja viel und gerne, doch Mr. Chambers war es äußerst peinlich. Nico hatte zwar in diesem Sinne keine höhere Stellung als der Hofarzt, doch Nicos Wort beim König zählte wesentlich mehr. Und jetzt, da der König seine Finanzen wegen drohender Kriege zusammenhielt, konnte John es sich nicht erlauben, einen Fürsprecher zu verlieren, nur weil ein vielversprechender junger Mann zu frech und zu direkt wurde.

Doch Nicos nachsichtiges Lächeln ließ ein wenig der Sorge von John abfallen, die er bei Kierans so herausfordenden Worten verspürt hatte. "Mein Wunsch? Ich glaube da versteht Ihr etwas falsch. Der Rittmeister seiner Majestät, dem Ihr dieses hervorragende Gichtmittel gegeben habt, kam einige Tage darauf zu Mr. Chambers, um ein ähnliches Mittel zu erbitten, da Mr. Forbes erst in einigen Tagen wieder am Hof zu erwarten gewesen war. Mr. Chambers wunderte sich über diese Zusammensetzung und beim nächsten Besuch von Mr. Forbes sprach er ihn darauf an, der widerrum auf euch verwies und ihm ein wenig eurer Geschichte berichtete. Vor allem die hervorragende Behandlung der Dienerschaft, auf die wir uns alle stützen, hat Mr Chambers sehr beeindruckt und er fasste den Wunsch, euch als Lehrling aufzunehmen. Es fehlte lediglich ein Geldgeber. Mr. Forbes unterstützt seinen eigenen Sohn und Mr. Chambers darf das Geld nicht aufbringen - die Dienerschaft ebensowenig, die jedoch ein großes Interesse an eurer Ausbildung hegt. Da Mr. Chambers ein guter Freund von mir ist, sprach er mich schließlich an, als ich wieder in London weilte - denn im Auftrag des Königs war ich eine ganze Zeit lang in Schottland unterwegs."

Damit beantwortete Nico Kierans Frage darauf, warum er Amadeo nicht geschickt hatte und warum er nicht selbst gekommen war. "Aufgrund dieser Pflicht im Dienst des Königs zu reisen, konnte ich nicht früher in das Geschehen eingreifen, falls ihr euch über das "plötzliche" Interesse wundert. Ich war schlicht und ergreifend nicht anwesend, um von eurem Talent zu erfahren." John strahlte inzwischen wie ein Honigkuchenpferd. Nico schmierte ihm ordentlich Honig ums Maul, von wegen es sei alles seine Idee gewesen.. aber im Grunde war er der Idee ja auch nachgegangen, nur eben der Geldgeber hatte gefehlt.

"Es ist außerdem nicht nur Lord Sforza, der Euch unterstützt. Es wurde ein Fond für dieses Studium hinterlegt, zu dem auch Eure Patienten im Palast etwas dazugegeben haben - Ihr habt also nicht nur einen Wohltäter Mr. Carney sondern viele, für die Lord Sforza heute nur als Vertreter fungiert. Natürlich sponsort er den größten Teil." Nico winkte ab. "Jeder trägt seinen Teil so dazu bei - so wie er kann, nicht wahr? Und jetzt sollten wir essen, sonst ist der Koch beleidigt." John lachte und Nico deutete zum Tisch, zu dem sie sich in Bewegung setzten. Als sie saßen, kamen zwei Diener und schenkten Wein ein, ehe sie eine herrliche gebratene Ente hereinbrachten, die zusammen mit ein wenig Brot und Gemüse einfach nur vorzüglich schmeckte. Kurz herrschte daher schweigen, bis die Dienerschaft wieder verschwunden war. "Ihr fragtet noch, welche Auswirkungen das auf Euch hat.. ich wüsste nicht, dass es da welche gibt. Der Fond ist bereits eingerichtet, er ist für euch. Ihr steht damit in keiner besonderen Schuld, falls ihr das meint. Ich könnte mir jedoch vorstellen, dass Lord Sforza euch im Laufe eures Studiums das ein oder andere Mal konsultieren oder auf eine seiner diplomatischen Reisen mitnehmen wird - aber das ist ja kaum als Bürde zu verstehen."

"Nein, vor allem nicht wenn es nach Spanien geht. Das ist alles nur eine große Feier.. aber der Hofarzt da, John, weißt du noch? Der mit den Mäusen?" Mr Chambers nickte eifrig "Ich habe noch nie einen so furchtbaren Geruch an einem Menschen wahrgenommen. Er muss im Mäusekot geschlafen haben..." Dann besann sich der Arzt und wandte sich wieder an Kieran. "Habt ihr noch weitere Fragen, Mr. Carney?"
 

Kieran

Dass seine Fragen Dr. Chambers unangenehm sein konnten, darüber hatte Kieran in seiner typischen Art gar nicht nachgedacht. Viel zu sehr war er verwirrt und brannte auf Antworten, die erklären würden, warum sich Dominico nie gemeldet hatte und nun hier so auftrat und ihm sein Studium finanzierte. Und ein wenig stieß es ihm gleich auf, als Dominico erst einmal damit begann, ihm zu erklären, dass er etwas falsch verstand. Aber je mehr der andere redete, desto bewusster war ihm, dass dieser „Vorwurf“ der Realität entsprach. Kieran merkte, dass er sich entspannte und das, was Dominico erzählte, klang zum einen logisch, zum anderen ziemlich schön, irgendwie.

Schön war das indirekte Lob. Es freute ihn, selbst wenn die vor Nettigkeit triefenden Worte nur zur Hälfte stimmten, so freute es ihn, dass die Dienerschaft wirklich bemerkte, dass er versuchte beste Arbeit zu leisten. Es machte ihn glücklich, dass er wirklich helfen konnte, aber auch zugleich ein wenig stolz, zumindest in dem Maße, in dem er in seiner ehrlichen Bescheidenheit fähig war. Und das, was er als logisch empfand war die Erklärung, weshalb sich Dominico nicht gemeldet hatte, ja offenbar gar nicht hatte melden können – der andere war auf einer Reise in Schottland gewesen. Kieran war es mit einem Mal viel leichter ums Herz und er musste sogar lächeln, als er in den Augen des anderen las, dass das die ehrliche Erklärung dafür war, dass er sich nicht gemeldet hatte. Es beruhigte ihn irgendwie, auch wenn noch immer auch etwas an ihm nagte, schließlich war es ja wirklich schon Monate her seit Cambridge. War er wirklich sooo lange in Schottland gewesen? Seine Mutter hatte ihm gesagt, dass Amadeo den Brief von ihm bereits vor etwa drei Wochen abgeholt hatte… Aber das schob er erst einmal zur Seite. Es war kein Grund da, weiter so starrköpfig zu sein. Und je mehr Dominico sprach, desto mehr begriff er, dass es da wirklich Menschen gab, die ihn einfach von sich aus unterstützen wollten, ohne Hintergedanken oder doppelten Boden. Und so langsam merkte er, wie er sich selbst blöd vorkam, so übereilt und unreflektiert seinen trotzigen Emotionen freien Lauf gelassen zu haben.

Er senkte den Blick, konnte den anderen nicht mehr ansehen, wohl auch, weil er dann vielleicht nicht mehr anders könnte, als den anderen mit einer gewissen Sehnsucht zu betrachten. So leicht ihm mit einem Mal das Herz geworden war, so schwer wurde es auch irgendwie wieder. Es war leichter, Nicos Nähe zu ertragen, wenn er vermeintlich ihn fallen gelassen hätte. Diese Situation war heute Abend wirklich eine Herausforderung für ihn... Hatte ihn die Wut und Enttäuschung über den anderen aufrecht gehalten und davon abgehalten, Trübsal zu blasen, so war sie mit den wenigen erklärenden Worten wie weggeblasen. Und was blieb war der Schmerz, die Sehnsucht, die er eigentlich doch gar nicht mehr spüren wollte. Er sah zu Dr. Chambers, als dieser erklärte, wie sich der Fond zusammensetzte, und lächelte diesen ehrlich an. Nun, wenn das Geld wirklich von denjenigen kam, denen er einmal geholfen hatte - und das hatte er bei Dominico ja auch getan – so würde er das wohl akzeptieren können. Gut, der größte Teil kam von Dominico. Aber vielleicht würde es ja für ihn irgendwie die Möglichkeit geben, diesem das Geld einfach irgendwann wieder zurückzugeben. Zumindest nahm er sich das für sich vor. Er war wirklich ein elendiger Sturkopf und manchmal einfach zu verbohrt. Aber solange man sich selbst erkannte und seine Fehler, war man auf dem richtigen Weg zu wachsen – das sagte seine Mutter immer. Vielleicht würde er später die Gelegenheit erhalten, sich bei Dominico zu entschuldigen. Vielleicht würden sie sich dann miteinander aussprechen, oder so. Ihm wäre das ein Bedürfnis.

„Entschuldigt, Mr. Chambers, meine Fragen, aber das alles hier hat mich ganz schön überrumpelt. Es passiert nicht so oft, dass sich so plötzlich eine Tür öffnet, hinter der all seine Träume wiederzufinden sind. Ich bin offenbar zu Unrecht ein wenig misstrauisch geworden, das passiert mir leider öfters.“ Er lächelte den Arzt an und wusste, dass Dominico seine indirekte Entschuldigung schon verstehen würde. Eine direkte würde er bestimmt nachholen, ganz gewiss, aber jetzt ging es erst einmal zum Essen.

Kieran war zunächst etwas still und nachdenklich, während die Diener das Essen brachten, das sich sehen lassen konnte. Er wusste gar nicht, ob er in letzter Zeit so etwas Leckeres bekommen hatte. Und während sein Magen eher von Übelkeit gezeugt hatte, als er Dominico vorhin erblickt hatte, so meldete sich nun doch langsam sein eigentlicher Hunger zurück. Er nickte auf die Worte, dass er wirklich keinerlei Verpflichtungen einging, und es beruhigte ihn, wohl auch weil er sich beruhigen wollte. Wenn man es genau betrachtete, war es natürlich schon hauptsächlich Dominico, der sich da für ihn in Unkosten stürzte, und auch wenn jener vorhin abgewunken hatte, würde Kieran das Gefühl nur schwer ausblenden können, dass er bei diesem erneut bzw. noch mehr in der Schuld stand. Als Dominico Spanien erwähnte, sah er ihn kurz an, musste dann lächeln und sah lieber wieder auf seinen Teller. Er kam sich immer noch dämlich vor. Jetzt aber nicht, weil er mal wieder etwas vorschnell gewesen war, sondern weil es ihm so großes Unbehagen bereitete, den anderen anzusehen. Es war wirklich ein Wechselbad von Gefühlen an diesem Abend. Warum konnte er sich nicht einfach freuen, den anderen zu sehen? Warum konnte er nicht einfach alle Emotionen ignorieren?

„Nein, ich denke nicht“, beantwortete er die Frage des Arztes, ob er noch Fragen habe. Alles andere würde sich finden, da war er sich sicher. Er lächelte. „Und was die Marotten von Ärzten betrifft, da kann ich auch Einiges erzählen!“ Er grinste leicht und sah kurz zu Dominico. Vielleicht sollte er sich einfach so geben, wie er normalerweise war. Einfach vergessen, was er in den letzten Wochen alles gedacht hatte, worunter er gelitten hatte. Es ging ja schließlich auch darum, Mr. Chambers ein gutes Bild von sich zu vermitteln, oder?

„Ich habe einen Arzt kennengelernt, der immer eine Katze für seine Behandlungen brauchte. Das ging dann sogar so weit, dass er den Leuten leichthin den Tod prophezeite, wenn seine Katze weggelaufen ist. Es gibt aber auch einige ‚Ärzte‘ die den Aberglauben der Menschen schamlos ausnutzen. Im Piemont sind wir einmal auf einen fahrenden Arzt gestoßen, der der reinste Blender war. Er hatte wirklich keinerlei Ahnung von irgendetwas Heilendem, außer davon, was Hanf bewirken kann. Er fuhr von Ort zu Ort und lud die Menschen zu einer Zeremonie ein, bei der sie ihre Schmerzen loswerden könnten. Er vollführte bei diesen Treffen wahre Kunststücke, aber das eigentliche Mittel waren die Hanfplätzchen, die er den Menschen zu essen gab und die bewirkten, dass die Menschen zum einen etwas in Trance versetzt wurden, zum anderen eben wirklich keine Schmerzen mehr empfanden. Zumindest einige Stunden und meist so lange, bis der Arzt wieder weitergefahren ist.“ Kieran erzählte ein paar Dinge, die er so erlebt hatte, teilweise Lustiges, teilweise Schlimmes. Dr. Chambers stieg in die Unterhaltung mit ein und es wurde eine nette Plauderei, bei der sie doch einiges zu lachen hatten. Die Stimmung wurde zusehends besser und auch Kieran wurde lockerer. Dennoch vermied er es, Dominico allzu lange anzusehen. Er konnte es einfach nicht.
 

Dominico

Es war in Kierans Gesicht förmlich abzulesen, dass in ihm mal wieder die Emotionen abwechselten. Vielleicht würde es sich mit der Zeit geben, dass Kieran das Temperament, für das Nico ihn eigentlich gerade mochte, etwas zurückschraubte, wenn sie nicht gerade zu zweit allein waren. Das Essen, das aufgetragen wurde, schmeckte nicht nur gut, sondern wirklich herrlich und Nico langte ordentlich zu. Er aß öfter mit John zusammen, doch heute hatte sich der Koch wirklich übertroffen. Als Kieran sich mehr oder weniger entschuldigte, musste Nico fast schon lachen. Ja, Kieran war wohl nicht nur manchmal, sondern eher immer misstrauisch. Vor allem wenn ihm scheinbar etwas Gutes passierte, war er immer der Mienung, dass es eigentlich nicht sein konnte und verteufelte es so lange, bis er sich absolut sicher sein konnte, dass es doch etwas Gutes war oder bis er keine andere Wahl hatte, als damit zu leben.

Jetzt akzeptierte er die Situation wohl und die Situation wurde wesentlich angenehmer. Die Stimmung lockerte sich, während Kieran und John gleichermaßen Geschichten zum Besten gaben, die Nico wohl eher dazu veranlassten, nie wieder einen Arzt aufzusuchen, sondern lieber zu sterben. Aber anscheinend hatten die beiden Mediziner den gleichen Humor und so war es doch auch gut, dass die beiden sich mehr oder weniger freiwillig gefunden hatten. Sie würden eine gute Arbeit zusammen leisten und bei John konnte Nico sicher sein, dass Kieran auch an keinen Quacksalber gekommen war. John würde ihm auch in Sachen Benimm einige Lehrstunden geben und Kieran würde lernen, sich sicherer am Hof und in dieser Gesellschaft zu bewegen, was sicher ein Vorteil sein würde, unabhängig davon, ob Kieran sich dabei wohl fühlte oder nicht - man tat das mehr, um zu überleben.

London - Balanceakt auf dem Dach

Dominico

Es war in Kierans Gesicht förmlich abzulesen, dass in ihm mal wieder die Emotionen abwechselten. Vielleicht würde es sich mit der Zeit geben, dass Kieran das Temperament, für das Nico ihn eigentlich gerade mochte, etwas zurückschraubte, wenn sie nicht gerade zu zweit allein waren. Das Essen, das aufgetragen wurde, schmeckte nicht nur gut, sondern wirklich herrlich und Nico langte ordentlich zu. Er aß öfter mit John zusammen, doch heute hatte sich der Koch wirklich übertroffen. Als Kieran sich mehr oder weniger entschuldigte, musste Nico fast schon lachen. Ja, Kieran war wohl nicht nur manchmal, sondern eher immer misstrauisch. Vor allem wenn ihm scheinbar etwas Gutes passierte, war er immer der Meinung, dass es eigentlich nicht sein konnte und verteufelte es so lange, bis er sich absolut sicher sein konnte, dass es doch etwas Gutes war - oder bis er keine andere Wahl hatte, als damit zu leben.

Jetzt akzeptierte er die Situation wohl und die Situation wurde wesentlich angenehmer. Die Stimmung lockerte sich, während Kieran und John gleichermaßen Geschichten zum Besten gaben, die Nico wohl eher dazu veranlassten, nie wieder einen Arzt aufzusuchen, sondern lieber zu sterben aber anscheinend hatten die beiden Mediziner den gleichen Humor und so war es doch auch gut, dass die beiden sich mehr oder weniger freiwillig gefunden hatten. Sie würden eine gute Arbeit zusammen leisten und bei John konnte Nico sicher sein, dass Kieran auch an keinen Quacksalber gekommen war. John würde ihm auch in Sachen Benimm einige Lehrstunden geben und Kieran würde lernen, sich sicherer am Hof und in dieser Gesellschaft zu bewegen, was sicher ein Vorteil sein würde, unabhängig davon, ob Kieran sich dabei wohl fühlte oder nicht - man tat das mehr, um zu überleben.

Der Abend schritt fort und John war die Müdigkeit langsam deutlich anzusehen. Der Arzt hatte einen langen Tag hinter sich und das Studium der Schriftrollen machte seine Augen müde. Nico bemerkte bald, dass es unhöflich wäre, noch länger zu bleiben, und so erhob sich Nico als Ranghöchster zuerst. "Ich glaube, wir können diese Runde auflösen. Anscheinend hat Mr. Carney keine Fragen mehr und all zu spät sollten wir alle nicht zu Bett gehen, denn während für Mr. Carney morgen die Vorlesungen beginnen, habe ich morgen früh ebenfalls einen Termin." Das war zwar gelogen, aber die Höflichkeit gebot da schon etwas Vorsicht. John griff den Vorschlag auf und nickte bekräftigend. "Ich würde vorschlagen, ihr besucht für ein, zwei Wochen zunächsteeinmal die Vorlesungen und arbeitet weiterhin wie gehabt bei Mr. Forbes - danach werde ich mich bei euch melden, so dass ihr auch meine Konsultationen begleiten könnt." Immerhin musste da noch etwas vorbereitet werden, er musste seine Patienten erst fragen, ob es für sie in Ordnung war, einen Lehrling mit in die Untersuchung zu bringen. Ein Diener kam, der sie hinaus aus dem Palast geleiten würde, und Nico schüttelte John noch einmal die Hand zum Abschied. "Ich werde Mr. Carney sicher nach Hause geleiten, es liegt ja ohnehin auf dem Weg", versprach er, ehe er mit Kieran den Gang hinunter und aus dem Palast zu den Stallungen lief. Ihre Pferde waren bereit, als sie den Hof betraten, das war der "Vorteil" an einem langen Weg. Nico stieg in den Sattel und wartete bis Kieran Niamh zu ihm gelenkt hatte, ehe sie gemeinsam über den von Fackeln erleuchteten Hof ritten und ihn schließlich verließen. Nico schwieg, während sie sich immer weiter vom Palast enfernten und schließlich in Gassen kamen, in denen sie keine Angst mehr haben mussten, belauscht zu werden. Nico räusperte sich und sah zu Kieran hinüber. "Ich hätte mich früher melden können, ich weiß.. aber ich hatte Angst, du würdest nicht schreiben...", gab er unumwunden zu. Kieran würde ihn ohnehin fragen, so gut kannte er ihn inzwischen schon.
 

Kieran

Es war wirklich angenehm, mit dem Mediziner zu reden und Kieran genoss es, den Mann, mit dem er nun in Zukunft wohl öfter zu tun haben würde, so kennen zu lernen. Es war ihm so lieber, als wenn der Arzt jemand wäre, mit dem er nicht so gut konnte, oder der ausnehmend distanziert und streng war. Sicher, Dr. Chambers hatte eine ganz natürliche Ausstrahlung und Autorität und Kieran würde nie der Gedanke kommen, diese irgendwie in Frage zu stellen, aber es war angenehm, sich auch einfach mit ihm gut zu verstehen.

Als Dominico aufstand, fühlte sich Kieran entspannter als vor dem Treffen, und bereit, sich einfach nur auf das, was kommen würde, zu freuen. Und dass dieses „Zukünftige“ bereits am nächsten Morgen begann, wurde ihm soeben mitgeteilt. Er sollte bereits morgen in die Vorlesungen gehen? Dank John wusste er, wann welche Vorlesung stattfand und welche sich lohnten und welche nicht. Er würde sich schnell zurechtfinden und dennoch spürte er den kurzen Adrenalinstoß, der ihm durch die Adern schoss, bei dem Gedanken daran, morgen als Student die Universität zu betreten. Es war Freude, pure Vorfreude. Auch Kieran erhob sich und nickte auf die Anweisungen seines Mentors. „Wie Ihr wünscht“, sagte er höflich, ein wenig wusste er ja, wie das ging.

Als er sich mit einem „Ich warte auf Eure Anweisungen und vielen herzlichen Dank!“ von Mr. Chambers verabschiedete und auch Nico dem Arzt die Hand reichte, sprach Dominico aus, was er nur zu hoffen gewagt hatte, nämlich dass dieser ihn noch nach Hause geleiten würde. Und auch wenn ganz kurz, einen ganz kleinen Augenblick etwas in ihm sagte, er solle vielleicht lieber nicht darauf eingehen, so war diese Millisekunde schon wieder vorbei, bevor sie recht realisiert worden war. Vielmehr war er froh, nun doch noch die Möglichkeit zu bekommen, ein paar Worte mit Dominico ungestört reden zu können. Was war schon dabei, sich von ihm nach Hause bringen zu lassen? „Belüge dich nur weiter selbst, Kieran“ – ihm war mehr als bewusst, dass er sich viel mehr als nur einen Heimweg wünschte.
 

Stumm gingen sie durch den Palast, traten zu den Pferden und Kieran schwang sich in den Sattel seiner Stute, die in der letzten Zeit wirklich zu kurz gekommen war und die die nächste Zeit sicher nicht viel mehr Zeit von ihm bekommen würde. Er hatte sich schon überlegt, ob er sie nicht bei seinen Eltern lassen sollte. In London brauchte er sie selten. Aber es ging ihr bei der Schmiede, in der sie stand, auch nicht schlecht.

Es war eine klare, aber kühlfeuchte Nacht. Da es tagsüber geregnet hatte, war die Nacht frischer, als die letzten sommerlichen Nächte schon gewesen waren. Sie ritten schweigend einige Zeit dahin und langsam wurde die Stille Kieran schier unerträglich. Aber was sollte er sagen? Dass er sich geärgert hatte? Dass es ihm leid tat? Dass er Angst hatte? Kieran wusste nicht so recht, wo er anfangen sollte, aber Dominico nahm ihm das ab. Erstaunt blickte er zu dem anderen hinüber. Da war sie wieder, diese unfassbare Ehrlichkeit ihm gegenüber, die ihn immer und immer wieder entwaffnete. Wie sollte er diesem Mann nur jemals wiederstehen können? Es war undenkbar. Kieran senkte den Blick, überlegte kurz, dann sah er den anderen wieder an. „Ich habe auch eine ganze Zeit lang nicht geschrieben“, sagte er dann. „Ich…“ Ja, was? „Ich hatte Angst davor, dir wieder zu begegnen“, fuhr er fort. „Ich wollte erst wirklich Fuß gefasst haben, bevor ich dich wieder sehen wollte. Und das habe ich jetzt.“ Er lächelte den anderen an. Der Weg zu Mr. Forbes war nicht lang und sie würden nicht lange brauchen. Der Weg würde viel zu kurz sein, um zu reden, um in Ruhe zu reden. „Entschuldige, dass ich dir vorhin Vorwürfe gemacht habe. Ich war nur völlig überfordert und wusste nicht, was ich von der ganzen Geschichte halten sollte.“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Ich denke du weißt, dass ich dieses Gefühl des ‚Schuldig Seins‘ einfach nicht aushalte.“ Er zügelte Niamh und blieb stehen. „Niamh steht hier im Stall“, sagte er dann und sah den anderen an. „Ich weiß, dass du morgen früh bald raus musst, aber hast du vielleicht doch noch Lust, zu mir mit hinauf zu kommen?“

Dass der andere bejahte freute ihn, und doch wusste er, dass es fatal sein könnte. Es stand zwar noch in keinster Weise zur Debatte, aber wenn… Kieran mahnte sich dazu, nicht ständig irgendwelche „Wenns“ zu denken, das hatte er in den letzten Wochen schon genug getan. Niamh war schnell versorgt und auch Nicos Hengst erhielt eine Box, dann gingen sie die letzten Meter zu Fuß.

„Ich hatte Glück, dass ich Mr. Forbes getroffen habe“, erzählte er nun. „Etwas Besseres hätte mir nicht passieren können. Nun, zumindest bis gestern dieses andere Angebot kam.“ Er grinste leicht. Es war nun mal so, dass sich jetzt seine Träume erfüllten. „Komm mit, ich zeige dir, wo ich wohne“, unüberlegt und aus reinem Reflex ergriff er die Hand des anderen und zog diesen mit sich die Stufen hinauf unters Dach. Ja, es war fatal. Wenn Dominico ihm irgendwas signalisieren würde, würde er darauf einsteigen, das wusste er. Zu groß war die Sehnsucht, verdammt, verdammt zu groß.

Sie betraten sein Zimmer. Im Rest des Hauses war es ruhig, aber es war ja auch schon spät. "Komm herein und fühl dich wie zu Hause“, sagte er leichthin. Kieran streifte die Schuhe ab, öffnete die Dachluke, um ein wenig frische Luft hineinzulassen, dann machte er sich daran, das Holz in seinem Ofen nachzulegen und die Glut wieder aufflammen zu lassen. Auch wenn es tagsüber recht warm war, so war es momentan nachts schon manchmal recht frisch. Dann drehte er sich zum Tisch um, und räumte die Bücher zur Seite, die darauf lagen. Irgendwie hatte er das ganz dringende Bedürfnis, sich zu bewegen, um den anderen nicht ansehen zu müssen. Plötzlich blieb er stehen und sah Nico an. „Der schönste Ort hier ist aber ein anderer“, sagte er unvermittelt. „Darf ich ihn dir zeigen?“

Er stellte den Stuhl unter das Fenster und öffnete die Luke nun ganz. „Ich hoffe du bist schwindelfrei“, sagte er noch, dann zog er sich hoch und stieg die Stiegen hinauf, sich umdrehend, ob der andere ihm folgen konnte. Als er sah, dass dieser kein Problem hatte, stieg er die Stiegen ganz hinauf und setzte sich auf den Dachfirst. Viel Platz war nicht da und Dominico würde sich direkt neben ihn setzen müssen. Bisher war er auch nie zu zweit hier gewesen. Während sich der andere setzte, blickte Kieran über die Dächer der Stadt. Der Himmel war sternenklar und auch wenn es kühl war, fröstelte es ihn noch nicht. „Ich sitze oft hier, wenn ich es vermisse, einfach aufbrechen zu können“, erklärte er leise.
 

Dominico

"Und ich war schon der Meinung, du hättest die Angst vor dem Monster wirklich bei Seite gelegt", gab er schmunzelnd zurück, doch ihm war schon klar, dass sie beide sich vor dieser Begegnung im Zimmer des Arztes gefürchtet hatten. Kieran wieder zu sehen, wühlte die Sehnsucht in ihm auf, die er schon gespürt hatte, als sie beide gemeinsam eingeschlafen waren. Und es war doch richtig gewesen, Angst zu haben, oder? Der Blick in Kierans Augen hatten dessen Hände auf seinem Körper wieder lebendig werden lassen und gleichermaßen den erhobenen Zeigefinger gesellschaftlicher Moralvorstellungen, in die diese Beziehung so rein gar nicht passte. Kieran würde gehängt oder gevierteilt, Nico hatte einen verdammten Ruf zu verlieren. Sie beide würden unendlich tief fallen, und auch wenn Nico sich dem Todesurteil vielleicht würde entziehen können, es war alles andere als leicht, diese Zuneigung, die er empfand, und diese Sehnsucht nicht all zu öffentlich zu zeigen. Deswegen war es auch gut, dass die Dunkelheit seinen Gesichtsausdruck vor den wenigen Passanten, die um diese Zeit noch unterwegs waren, schluckte und dass sie sehr leise sprachen. "Du bist mir nichts schuldig.. ich verlange keine Gegenleistung von dir. Wenn es irgendwann etwas gibt, das du für mich tun möchtest, werde ich dich sicher nicht davon abhalten, aber etwas von dir fordern, deswegen werde ich wohl nie... wobei man das ja grundsätzlich niemals ausschließen sollte, nicht wahr? Wer kennt sich schon selbst gut genug dafür?" Als sie anhielten und Kieran abstieg, überlegte Nico wirklich kurz. Natürlich wollte er gehen und er verfluchte sich schon jetzt für das leichte Ziehen in seinen Lenden, doch er stimmte nicht deswegen zu. Er haderte mit sich, weil er nicht in Erklärungsnot vor Kierans Vermieter kommen wollte, oder vor dessen Sohn. Nicos Nachforschungen waren ja gründlich genug gewesen und... naja, es gab gewisse Anzeichen dafür, dass sie drei eine Leidenschaft teilten.

Da es keinen anderen Stall gab, brachte auch Nico seinen Hengst dort unter und gab dem Jungen Geld dafür, dass er sein Pferd in genau diesem Zustand wieder vorfand, und all sein Sattelzeug, das dazu gehörte auch. Sie verließen die Stallungen und gingen die Straße hinab, zu dem Teil des Hauses, das Mr. Forbes bewohnte. Es teilte sich eine Wand mit dem Nachbarhaus, alle diese Häuser waren eng und vor allem hoch, nicht sehr breit. Das Ladenschild lag im Dunkeln, doch Nico wusste wie der Laden am Tage aussah. Gerade als er hinter Kieran durch die Türe war und sie geschlossen hatte, wurde er schon an der Hand gegriffen und mit gezogen - Nico musste ein Auflachen unterdrücken. Das hatte ja schon fast den Anschein einer Tochter, die ihren Liebhaber vor ihrem Vater verstecken wollte. Nico verlor dabei fast die Satteltasche, die er mitgenommen hatte, denn dort war noch etwas für Kieran aufbewahrt. Er stolperte mehr in Kierans Zimmer, als dass er lief, doch es war ein wirklich schöner Raum. Nicht riesig aber ordentlich und es duftete nach vielen verschiedenen Kräutern, ganz typisch Kieran eben. Er wollte ihm gerade schon ein Kompliment machen für dieses "Sesshaftwerden" in London, doch Kieran kam ihm zuvor als er die Dachluke öffnete und halb hinaus stieg. Nun, reden konnten sie ja auch dort oben.. also folgte Nico Kieran kurzerhand auf das Dach.

Es war wie üblich sehr steil, doch zwei Vorsprünge sorgten dafür, dass man nicht das Gefühl hatte, ganz am Abgrund zu sitzen. Nico zog sich auf den Dachfirst und setzte sich direkt neben Kieran, weil es anders nicht ging. Dessen Körper an seinem löste ein heißes Kribbeln aus, doch Nico bewegte sich nicht weiter. Sein Blick glitt über die dunkle Stadt und die wenigen Lichter, die man hier und da sah. "Es ist ein wirklich schöner Platz. Hier oben hat man das Gefühl, als sei es gar nicht das Enge London mit seinen düsteren kalten Gassen... ich kann mir vorstellen, dass dir das gefällt. Und ich in froh, dass dir London gefällt und es nicht dumm war, dir diesen Schubser in die richtige Richtung zu geben. Hier...", er klopfte auf die Satteltasche und reichte sie dann dem Schwarzhaarigen, "ist noch etwas für dich. Ich hoffe es gefällt dir." In der flachen dunklen Box war ein Studentenornat mit Robe und Hut, aus feinsten Stoffen. "Du hast es gut getroffen. Ich bin wirklich froh, dass du hier unter gekommen bist und jetzt die Chance hast, noch weiter voran zu kommen.. aber du warst doch sicher nicht die ganze Zeit hier, oder? Was hast du in der Zeit getrieben, in der ich für London den Diplomaten gespielt habe? Ich meine.. dein Leben hier, wie ist es? Was hast du hier erlebt in London, seit ich in Camebridge gegangen bin?" Es interessierte Nico wirklich, er wollte wissen, wie es Kieran ergangen war, auch in seiner Familie.
 

Kieran

Er musste unwillkürlich grinsen, als Dominico auf ihre Frotzeleien damals in Cambridge anspielte. "Man fängt zu sehr an, nachzudenken, wenn so viel Zeit vergeht." Cambridge - es lag nun schon wieder so weit weg, Dominico war so weit weg gewesen. Aber jetzt war er unverhofft wieder bei ihm, ganz nah. Er hatte ja viel über diesen Moment nachgedacht, aber all die Gedanken waren wie weggeblasen. Besonders die, die ihn warnen sollten, sich noch einmal auf ihn einzulassen.

Als Dominico ihm letztlich erneut versicherte, dass er ihm nichts schuldig sei, beruhigte ihn das. Besonders, weil Dominico einfach wieder ehrlich war. Sicher, niemand konnte jemals etwas ausschließen... "Never say never!", war ein durchaus richtiges Sprichwort. Aber gerade weil er das sagte, klang es so glaubhaft, dass er es eigentlich nicht vorhatte, Kierans "Schuld" einzufordern. Und dass ihm das letztlich selbst offen stand, dem anderen zurück zu geben, was dieser ihm gegeben hatte, stand einfach auf einem anderen Blatt.
 

Den anderen so dicht neben sich zu spüren, tat gleichermaßen gut wie weh. Er müsste nur die Hand ausstrecken und könnte sie in den Haaren des anderen versinken lassen, er müsste sich nur etwas strecken und könnte ihn küssen. Aber er tat es nicht. Dafür genoss er die Wärme, die er an seinem Bein spürte, wo er Dominico berührte.

"Ja, ich fühle mich hier ein wenig befreiter, besonders an heftigen Tagen, wenn man traurige Dinge erlebt", stimmte er dem anderen zu, als dieser sich über seinen Lieblingsplatz ausließ. Dass Dominco der erste war, mit dem er diesen Ort teilte, das musste er ihm ja nicht sagen. "Und es war definitiv nicht dumm, ganz im Gegenteil. Und wegen vorhin: sei dir meiner Hilfe immer bewusst, wenn du sie brauchst."
 

Als der andere ihm die Schachtel reichte, sah er ihn überrascht an, nahm sie perplex entgegen. Er hatte sich gewundert, warum er die Satteltasche mit aufs Dach genommen hatte. Er war davon ausgegangen, dass darin Dinge waren, die er nicht in den Stallungen hatte lassen wollen. Auf die Worte des anderen hin, es sei etwas für ihn darin, öffnete er sie. Durch die Dunkelheit hier oben, konnte er nicht gleich erkennen was es war. Der Stoff fühlte sich weich und geschmeidig an. Einen solchen Stoff kannte er, könnte ihn sich aber niemals leisten. Er sah Dominico verwirrt an, bis er den Cambridge-Hut herauszog und ihm klar wurde, was da in der Satteltasche war. Ein breites Grinsen war die Folge. Dominico hatte ihm doch tatsächlich eine Robe geschenkt. Er hatte eine alte von John bekommen, damit er erstmal was hatte, und nicht zu sehr auffiel aber nun hatte er eine eigene. "Ich danke die, Dominico", sagte er leise und beugte sich zu diesem, um ihn kurz zu umarmen. Kurz, weil er Angst hatte, nicht mehr loslassen zu können, wenn die Umarmung länger dauern würde. "Ich fand die Studenten ja immer ziemlich affig damit, habe mich köstlich über sie amüsiert. Daher wird es wohl etwas dauern, bis ich mich darin wohlfühlen kann. Aber mittlerweile weiß ich auch, dass das Tragen dieser Robe mit einigem Stolz zusammenhängt, den ich definitiv auch empfinde", plapperte er los, um seine Verlegenheit zu überspielen. "Sie fühlt sich wundervoll an. Ich danke dir von Herzen." Der Geruch des anderen, den er bei der Umarmung deutlich wahrgenommen hatte, ließ ihn schwindeln. Und wie so oft stellte sich ihm wieder die Frage: Wie konnte es eigentlich sein, dass man jemandem so verfallen war? Es war unfassbar.

Dominico wischte seine Unruhe weg, als dieser ihn fragte, wie es ihm in der Zeit ergangen war, in der er nicht da gewesen ist. "Seit Cambridge?", fragte er nach und dachte einen Moment nach. "Es ist viel passiert, seit du weggeritten bist", begann er dann. "Mein Schwager hat uns gesehen, bei der Verabschiedung", begann er zögerlich zu erzählen und allein der Gedanke an diesen Abschied löste ein Kribbeln in seinem Bauch aus. "Es gab einigen Stress dadurch in meiner Familie und gibt es auch jetzt noch. Gregor ist ein intoleranter Vollidiot, aber er steht da zum Glück recht alleine da. Dennoch merke ich auch so, dass ich mich auf eigentümliche Art und Weise von meiner Familie entferne und ich weiß noch nicht, wie gut mir das tut. Ich habe in London einfach eine andere Art zu leben und zu denken kennengelernt und es kommt mir vor, als würde ich in zwei, wenn ich jetzt bald studiere wahrscheinlich in drei Parralleluniversen leben." Er sah den anderen fragend an, ob er verstand, was er meinte. "Ich habe mich von meiner Familie losgelöst, aber noch nicht wieder Wurzeln geschlagen. Manchmal ist das Gefühl, in der Luft zu hängen, sehr stark, manchmal weniger. Ich denke dieser Prozess dauert noch ein wenig, bis ich wieder fest und sicher auf dem Boden stehe." Er schüttelte den Kopf. "Aber das hast du ja nicht wirklich wissen wollen", sagte er und überlegte. "Was ich in London erlebt habe..." Er überlegte kurz, dann begann er zu erzählen: Wie sie sich in Tottenham niedergelassen hatten, dass er sich mit seinem Vater und seiner Mutter ausgesprochen hatte, was Cambridge betraf, dass er dann begonnen hatte, London für sich zu entdecken, sich erst einmal zurecht zu finden, schließlich sogar herzuziehen. Er erzählte lachend von diesem Bettenlager, wo er anfangs war, einfach, um hier mal den Fuß in die Tür zu bekommen. Er berichtete, wie er zu Mr. Forbes gekommen war, dass er in dessen Sohn einen Freund gefunden hatte, mit dem er auch nachts um die Häuser ziehen konnte und der ihm von dem Leben an der Uni erzählte. Eigentlich erzählte er ihm alles, bis auf die Tatsache, dass er sich versucht hatte abzulenken, um sich Dominico aus dem Kopf schlagen zu können. Das musste der andere nicht wissen, fand er. Schließlich schwieg er. "Und bei dir? Wie war die Reise nach Schottland. Ich nehme an, du hattest dort oben einiges für den König zu regeln. Wie geht es deinem Bruder? Und Amadeo?"
 

Dominico

Es lockerte die Stimung zwischen ihnen eindeutig auf, sich ein wenig an Camebridge zu erinnern. Ihnen beiden war dort eigentlich nur Gutes widerfahren, zumindest wenn man sah, was sie beide miteinander gemacht hatten. So war aus einer so willkürlichen Begegnung, die nichteinmal hätte stattfinden müssen, doch noch etwas anderes, etwas geworden, das sich jetzt hier auf dem Dach beinahe wie eine langjährige Freundschaft anfühlte. Für Nico war es beinahe so, als wären sie in Camebrdige niemals aus dem Haus gegangen, sondern direkt hinauf auf das Dach, so als seien die Wochen, die seither vergangen waren, gar nicht passiert und als habe er nicht versucht, Kieran so krampfhaft zu vergessen. Er sah ihn von der Seite an, als Kieran ihm stets seiner Hilfe versicherte und Nico nickte langsam, so dass Kieran es in der Dunkelheit auch sehen konnte. Der Mond spendete leidlich Licht, aber man sah genug. "Danke, ich weiß das sehr zu schätzen. Ich bin sicher, dass ich deine Hilfe früher oder später wirklich brauchen werde.. oder jemand aus meiner Familie." Dann packte Kieran die Robe aus und Nico rieb die Hände aneinander. Was, wenn Kieran schon eine hatte und sie gar nicht brauchte? Was, wenn er sie nicht mochte, weil sie aus so feinem, teuren Stoff war? Doch wenn Kieran eines an der Uni lernen musste, dann dass es nicht nur purer Fleiß war, der einen weiter brachte. Nein, leider waren es auch hier gute Beziehungen. Viele der älteren Dozenten legten großen Wert auf das Erscheinungsbild ihrer Studenten und werteten die, mit etwas abgetrageneren Roben ab, obwohl es gerade diese jungen Männer waren, die durch ihr Können und nicht durch ihren Namen an die Universität gekommen waren. Nico wollte für Kieran den besten Start und anscheinend gefiel auch Kieran diese Geste. Er brauchte im Dunkeln kurz, um zu erkennen, was es war, doch dann kam die ehrliche Freude darüber zum Ausdruck und kurz darauf umarmte ihn Kieran. Es war nur eine kurze Umarmung aber... Nico ging sie durch und durch. Er roch Kierans Haar, fühlte seinen Körper durch die Kleidung, die er trug, und spürte seine Wärme. Sein Herz rutschte in seine Hose und pochte nur umso heftiger. In seinem Hals bildete sich ein Klos und er winkte nur ab, ehe er sich räuspern musste, um überhaupt sprechen zu können. War das normal? Mit Sicherheit nicht. Sein Gehirn machte aus Kieran beinahe soetwas wie eine Heiligenfigur. Was zur Hölle war nur los mit ihm, sonst war er doch wirklich nicht so leicht zu beeindrucken. Doch irgendwie... es war zu einer Situation gekommen, in der NIco fast das Gefühl bekam, er sei derjenige, der Kieran nachstellte, nur mit dem Unterschied zu einer Frau, dass Nico Kieran nie bekommen konnte. Eigentlich machte gerade dieser Umstand die Jagd so sinnlos, doch Nico schien sie geradewegs noch anzustacheln. Er wollte sich am liebsten selbst dafür ohrfeigen.

Deswegen war es ihm gar nicht so unrecht, jetzt ein wenig erzählt zu bekommen. Zum einen hörte er so Kierans angenehme Stimme, zum anderen konnte er sich so wieder beruhigen und auf das Wesentliche konzentrieren. Die Neuigkeiten waren zumindest aus seiner Sicht alles andere als gut. "Er hat uns gesehen?", echote er, wenig begeistert. "Ich hoffe nur, dass es so ist wie du sagst und er besser den Mund darüber hält... ich will nicht in eine Situation kommen, in der ich dir oder jemandem aus deiner Familie weh tun muss.." Denn Nico hatte nicht vor, Kieran oder sich selbst an den Pranger stellen zu lassen, nur weil so ein intoleranter Bock an der falschen Stelle die falschen Informationen fallen ließ. Nico würde Konsequenzen ziehen und die konnten für Gregor alles andere als angenehm sein. Doch alles andere was Kieran erzählte klang gut. Es klang nach Aufbruch, nach neuen Horizonten und für Kieran war es sicher ein großer Fortschirtt, auch wenn er sich noch nicht ganz so heimisch fühlte.

Doch Kieran hatte London auf eine Art kennen gelernt, die NIco bisher immer fremd gewesen war. Von den Bettenlagern hatte er nichteinmal gewusst und so fragte er hier und da immer wieder nach, während die Nacht voranschritt und der Mond sich endlich ganz durch die Wolken kämpfte, so dass es wesentlich heller wurde. Nico konnte Kierans Gesicht im Mondschein sehen und die Barriere zwischen ihnen verfiel zusehends, sie lachten gemeinsam und es tat unendlich gut, Kraft daraus zu schöpfen über so "belanglose" Dinge zu sprechen. "Ich glaube wirklich Mr. Forbes ist ein Fortschritt zu deiner Ankunft hier. Das Zimmer ist herrlich, ich hoffe es wird deinem Studium auch genüge tun. Naja, wie ist es mir ergangen.. glaub mir, diese Reisen sind so ermüdend." Er fuhr sich durchs Gesicht und strich die Haare nach hinten ehe er die Handschuhe auszog die er noch immer trug. "Ich war ja nicht allein, Charles Brandon, Duke of Suffolk, ist mit mir gekommen. Und ich glaube, das war auch das Einzige, das mich das hat durchstehen lassen. Man braucht einfach noch jemand anderen, um das auszuhalten. Überall wo du hinkommst, wird nur geredet und geredet.. man sagt, man respektiere Henry und überall lobt man wie gut er zu den Menschen ist, und dass er Frankreich gut im Zaum hält... und dann, wenn du auf einen Empfang gehst... also auf einem, auf dem wir waren, da hat man zu unserer Belustigung ein Theaterstück aufgeführt. Die Schotten sind sehr katholisch, als Thema wählten sie die vielen Mätressen des Königs und stellten es so dar, als sei es eigentlich Katharina, die ihrem widerlichen Bettgefährten überdrüssig ist, und Anne vorschiebt, um den König aus ihrem Bett fortzuhalten. Oder sie machen eine Komödie aus dem Leben bei Hof. Und dann sitzt du da und bist verdammt nochmal gezwungen zu lachen, auch wenn du nur dein Messer ziehen und ihnen die Kehle durchschneiden willst, verstehst du? Charles und ich haben uns nicht nur einmal einfach davongestohlen und sind in einer Taverne versackt. Immer mit der Begründung, es ginge Henry nicht um die Herrschaften, sondern um das Volk. Ohne dich beledigen zu wollen, aber Menschen wie deine Familie sind mit ein bisschen Freibier wesentlich einfacher zu beeindrucken, als dieses ganze falsche Getue auf den Empfängen. Und immer diese Frauen, frag nicht", wieder winkte er ab. "Ständig kommen irgendwelche 'Damen' an dich heran. Entweder sie wollen auf Empfängen tanzen oder sie irren sich ausversehen im Zimmer - ja klar. Einflussreiche Familien setzen ihre Töchter förmlich an auf Diplomaten.. So als könnten sie mir im Bett einflüstern, was ich dem König sagen soll. Das Schlimmste ist, dass es so junge Dinger sind. Sie sind hübsch keine Frage, aber aus ihnen kommt immer nur das Echo der Worte ihres Vaters.. nicht so wie bei dir." Er gluckste. "Allerdings würden die es sicher kaum wagen, mir je zu widersprechen. Das war schon fast angenehm." Er wollte Kieran nur etwas aufziehen, meinte es aber nicht böse. "Meinem Bruder und Amadeo geht es gut.. Mein Bruder ist noch nicht lange wieder hier, den Jungen hat er übrigens nicht mitgebracht. Finley war wohl wirklich ein wenig in Angelegenheiten verstrickt, die den König betrafen, und mein Bruder hat mit aller Härte durchgegriffen. Naja, eigentlich nicht mein Bruder, sondern Henry, aber mein Bruder hat ihm alles zugespielt, was er dazu wissen musste... Amadeo geht es auch gut. Er ist allerdings letztens vom Pferd gestürzt und hat sich wohl einige Prellungen zugezogen. Wir sind gerade dabei, drei junge Hengste einzureiten - für ein Turnier. Ich habe vor, nächstes Jahr den König zu schlagen, zumindest im ersten Lauf. Danach werde ich zusehen, dass ich falle, bevor seine Lanze meinen Schild trifft." Man beschwor Henrys zornigen Ehrgeiz besser nie. "Naja, mehr gibt es kaum zu berichten. Es tut gut, wieder in London zu sein und sich nur noch mit den Intrigen hier befassen zu müssen, nicht auch noch mit denen in Schottland. Und ich bin froh zu sehen, dass du es geschafft hast.. wirklich geschafft hast. Ich bin sicher, du wirst diese Arbeit sehr gut machen. Und ich bin froh, dass es dir gut geht und ich dich nicht wieder aus dem Kerker fischen musste." Er lächelte verschmitzt ehe der Ausdruck in seinem Gesicht wieder ernster wurde. "Nein wirklich.. ich bin sehr froh dich glücklich zu sehen." Er wollte mehr sagen, fühlte es.. aber er tat es nicht aus Angst, dass Kieran es nicht hören wollte und dass er zu weit ging, wenn er sprach. So schwieg er und genoss ihre Nähe, die intensiver geworden war, seit Kieran ihn umarmt hatte.
 

Kieran

Kieran hatte auch darüber nachgedacht, was er tun würde, wenn Gregor an der richtigen Stelle nicht die Klappe halten würde. Er wusste, was da auf dem Spiel stand, wobei ihm seine Haut vergleichsweise egal war. Er wollte nur eines nicht: dass Dominico deswegen Probleme bekam. Und die würde dieser bekommen, wenn Gerüchte im Umlauf wären, die von seiner sexuellen Neigung berichteten. Es war ja nicht so, dass nicht einige Männer von Stand sich Lustknaben hielten, aber alle waren immer schnell dabei, mit dem Zeigefinger auf jemanden zu zeigen, wenn es darum ging, seine eigene Macht auszubauen. Und das hatte er mit seinem Vater auch bereits besprochen. Er vertraute seinem Vater, dass er Gregor genug ins Gewissen redete, dass er die Klappe zu halten hatte. Aber sicher konnte man freilich nie sein. Aber erst in diesem Moment, als Dominico ihm andeutete, hart durchgreifen zu müssen, falls er und sein Ruf in Gefahr waren, wurde ihm bewusst, dass dadurch seine Familie, und wenn es nur ein unliebsamer Teil dieser war, in Gefahr war. „Mein Vater und ich haben darüber geredet und er hat mir versichert, dass Gregor schweigen wird“, sagte er nachdenklich. „Ich werde mit meinem Vater darüber noch einmal reden. Wenn er mich nur noch als Hure betitelt ist mir das egal, aber wenn er dich diffamieren würde, würde ich ihm - glaube ich - selbst die Kehle durchschneiden.“ Er sagte das, weil er es wirklich so dachte. Er hatte schon getötet, zwar nur Tiere, aber emotional war Gregor für ihn nicht mehr wert, als ein Tier, oder eher noch viel weniger. Ob er es dann wirklich können würde, stand auf einem anderen Blatt.

Ja, ihr Gespräch war unheimlich angenehm. Kieran tat es in der Seele gut, mit jemandem „Unbeteiligten“ über seine Erfahrungen zu reden und seine Meinung zu hören, auf die er viel hielt. Und es war interessant zu sehen, dass Dominico „sein“ London nicht genauso gut kannte, wie er. Das schloss er zumindest aus der Neugierde und den Fragen des anderen. Wenn er ihn doch nur einmal mitnehmen könnte. „Wenn du möchtest“, so sagte er irgendwann, „dann kannst du uns gerne mal begleiten, falls dir das möglich ist.“ Warum nicht? Also klar, wenn man ihn erkannte, aber würde man das in den Studentenkreisen? Vielleicht die aus dem Adelsstand, ja. Hm, gar nicht so einfach. Und in die Szene der jungen Männer mit Interesse am männlichen Geschlecht? Da konnte es unter Umständen auch eher problematisch werden. Und einen schönen Abend zu zweit wollte er ungerne mit einem Dolchstoß enden lassen. Er senkte den Blick, als er begriff, was er da gesagt hatte. „Aber das wird wohl eher nicht der Fall sein…“, fügte er daher hinzu und irgendwie machte ihn diese Erkenntnis traurig, auch wenn er versuchte, sich das nicht anmerken zu lassen.

Über das Kompliment zu seinem Zimmer lächelte er. Ja, er fühlte sich dort unheimlich wohl, fand dort die nötige Ruhe, die er dringend brauchte. „Das wird es“, sagte er nur und lauschte dann den Ausführungen des anderen, der über seine Reise nach Schottland berichtete. Also hatte er sich nicht getäuscht, dass der andere ein wenig abgekämpft aussah, zumindest bestätigte er, dass es anstrengend gewesen war. Und nun erhielt er wieder einmal einen Einblick in eine Welt, die so ganz anders war, als alles, was er bisher erlebt hatte. Dieses hinterhältige, intrigante Verhalten kannte er im Kleinen, aber dass Nico wohl täglich ein Jongleur der Bälle der Macht und Informationen war und letztlich jederzeit selbst zum Spielball oder zur Zielschreibe werden konnte, das war wirklich etwas, was er in diesem Maße noch nicht erlebt hatte. „Ich kann gut nachempfinden, dass man in solchen Situationen gerne einfach mal geht und sich in unkompliziertere Situationen bringt“, warf er ein, als er erklärte, dass er hin und wieder hatte fliehen müssen. Er wäre wahrscheinlich schon viel früher gegangen, als es Nico wohl getan hatte, oder gar nicht erst gekommen. Als Dominico dann aber mit den Frauen anfing, horchte er auf. Hofdamen… Er hatte sie bei diesem seltsamen Tennisspiel gesehen, wie sie gekichert hatten und die Männer bewundert und angeschmachtet hatten. Aber dass sie letztlich nur als Mittel zum Zweck missbraucht wurden, war wirklich heftig. Das hätte er so nicht gedacht. Und gleichzeitig versetzte es ihm einen kleinen Stich. Gut, Nico verwendete Konjunktiv, aber Kieran war klar, dass der Mann neben sich sicher kein Mann von Traurigkeit war und sich – wie er selbst im Übrigen auch – Zerstreuung und Ablenkung wovon auch immer suchte. Er durfte ihm daraus keinen Vorwurf machen. Wieso auch? Er hatte keinen Anspruch auf den anderen und würde ihn auch nie haben. Und dennoch wollte er lieber nicht darüber nachdanken, dass jemand anderes, womöglich eine Frau diesen schönen Mann in sich spürte, ihn schmeckte, ihn berühren durfte… Kieran wischte den Gedanken mit Ironie weg. „Du armes Opfer zwischen all den hübschen Frauen…“, bemerkte er trocken mit einem Grinsen auf dem Gesicht. Doch in diesem Moment stichelte der andere schon in seine Richtung. Kieran hob die Augenbrauen und sah Nico abschätzend an. Dann knuffte er ihn mit dem Ellenbogen in die Seite, merkte, dass der andere entweder etwas kitzlig war, oder einfach überrascht zusammenzuckte, so dass er noch einmal knuffte. „Entschuldige, dass ich kein dummes kleines Ding bin, das einfach nachplappert, was man ihm vorträllert. Und vergleich mich bitte nicht mit denen. Ich kann nun mal für mich selbst denken und sage das, was ich meine.“ Er zog eine Schnute und die letztlich lustige Situation, die dadurch entstand, tat gut, den Gedanken gekonnt zu vertreiben, dass der Mann neben ihm wann immer er wollte Sex mit irgendwelchen Frauen – und vielleicht auch Männern - hatte.

Was er über Finley erfuhr stimmte ihn nachdenklich. Er kannte die Hintergründe ja, zumindest das, was ihm Dominco damals im Stall erzählt hatte. Und wenn jener sagte, Henry habe durchgegriffen, dann bedeutete das nichts anderes, als dass die Rebellen gehängt worden waren. Was das für Finley, der ja schuld an dem Desaster war, bedeutete war genauso klar. Die Zeiten für Revolutionen war noch nicht. Was gerade in den deutschen Ländern hinsichtlich Luther passierte würde in Großbritannien nicht im selben Maße funktionieren. Nun, aber was ging es ihn an? Nichts. Die Beweggründe der Rebellen und besonders die Art und Weise ihres Vorgehens hatten ihn noch nie überzeugt. Und nun noch weniger als vorher. Wie sollte sich etwas ändern, wenn man aufgeknüpft wurde? Lieber zeigte er allen, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied war.

Als Dominico nun von dem Turnier anfing, runzelte er die Stirn. Auch wieder etwas, woran er sich wohl kaum gewöhnen würde können. Man musste absichtlich verlieren, damit man nicht in Ungnade fiel. Er schüttelte leicht den Kopf, hörte aber weiter zu. Und nun kam wieder ein Punkt, der ihm vorhin schon ein wenig bewusst geworden war, sich jetzt aber umso mehr aufdrängte. Dominico lebte in ständiger Gefahr und daher auch sein Dank für sein Hilfsangebot vorhin. Nicht nur er, sondern auch sein Bruder (oder vielleicht vor allem der) lebten eigentlich in ständiger Todesangst. Über ihnen hing das Damoklesschwert, das in vielerlei Hinsicht von irgendwem auf sie herabgestürzt werden könnte. Und der Gedanke daran, dass jener in dem Turnier verletzt werden würde, bereitete ihm Unbehagen. Aber was sollte er sich vormachen? Er war eine rechte Hand des Königs und könnte jederzeit in den Krieg geschickt werden. Wenn er sich anstrengte und ihn irgendwann begleiten durfte, so würde er zumindest für sich sicher sein können, dass Nico im Falle einer Verletzung die beste Hilfe zukommen würde. Aber was, wenn er nicht da wäre? Und was, wenn er tödlich verletzt wurde? Das waren Gedanken, die ihm auf unbekannte Weise ängstigten. Besser nicht weiter darüber nachdenken…

Und weil Dominico nun begann, sich darüber zu freuen, ihn hier so wohlauf zu sehen, war das auch leichter als gedacht. Er lächelte, als der andere den Kerker erwähnte und blickte auf, als dieser aufhörte, weiterzureden. Das, was Dominico da gerade gesagt hatte, ließ ihn warm ums Herz werden.

„Mit den Hengsten, die du hast, wirst du alle Möglichkeiten haben. Das sind fantastische Tiere, beneidenswert meiner Ansicht nach“, sagte er und überlegte, wie er weitersprechen sollte. „Du lebst da schon in einer echt heftigen Welt, in der man wirklich jedes Wort, jede Geste, jede Mimik sich genau überlegen muss. Ich kratze da gerade selbst nur an der Oberfläche, und je mehr ich mitbekomme, desto mehr Angst bekomme ich vor dem, was noch auf mich zukommt. Ich bin es nicht gewohnt, mich zu verstellen und kann es auch nicht besonders gut, wie du weißt. Ich hoffe, ich lerne noch dazu, sonst werde ich wohl wirklich irgendwann wieder einsitzen.“ Er grinste leicht. „Und insofern bin ich noch viel glücklicher, dass du wohlauf bist und hier neben mir sitzt. Ich hoffe, du kannst dich hier ein wenig erholen von den ermüdenden Stunden der Diplomatie.“ Er hob die Hand und strich Dominico sacht eine Strähne hinters Ohr, streichelte einen Moment über dessen Haar. Und im selben Moment bereute er auch schon, das getan zu haben und zog daher die Hand wieder zurück.

„Mir wird kalt“, sagte er nun und rückte etwas weg, um sich Platz zu verschaffen, und hinunter zu steigen. Sorgsam packte er die Robe, mit deren Stoff er während ihres Gespräches ein wenig gespielt hatte, in die Satteltasche. Dann ließ er sich auf die erste Stiege des Kaminkehrers gleiten. „Magst du noch etwas trinken mit mir?“, fragte er dann und ihm fiel noch etwas ein. „Und ich möchte dir noch etwas zeigen.“
 

Dominico

Es gab viel zu berichten und Nico merkte kaum, wie die Zeit verging, doch als er beim nächsten Mal bewusst die Schläge der Turmuhr zählte, war es bereits kurz vor Mitternacht. Und doch hatte es sich angefühlt wie eine einzige Minute, die sie hier saßen. Er merkte, dass auch Kieran anfing sich seine Gedanken zu machen und eigentlich wollte er das ja gar nicht.. doch er wusste, dass auch Kieran weiter dachte und sich wahrscheinlich um seine Familie sorgte, die bei einem solchen Fauxpass leiden würde.

Zum Glück wechselte das Thema langsam zum angenehmeren, doch es war nicht einfach, das Gefühl zu verdrängen. Allerdings rückte es etwas in den Hintergrund als Kieran ihn so wegen der Frauen "bemitleidete", die Nico um sich hatte. Er schnaubte und schüttelte den Kopf. Von wegen.. er war wirklich arm dran, das musste man nur einen Abend lang mal mitmachen! Kieran hatte ja keine Ahnung. Daher fand er die Idee eigentlich gut, mal mitzugehen dorthin, wo Kieran hinging. "Ich glaube das ist eine gute Idee. Ich schneide mir die Haare ab und zieh mir irgendwas an, damit man mich nicht erkennt. Ich könnte grandioses Italienisch sprechen und so tun, als sei ich nur ein entfernter Verwandter von Dominico Sforza. Die wenigsten Leute hier in der Stadt kennen einfach so mein Gesicht." Das war einfach ein großer Vorteil wenn man außerhalb wohnte und wenn man sonst nur im Palast viel unterwegs war.

"Wir werden sehen, was sich ergibt, aber ich denke wir kriegen das sicher schon hin." Zumindest nahm Nico sich das fest vor. Sie saßen noch eine Weile schweigend da, nachdem sie sich ein wenig über seine Pferde unterhalten hatten. Ja.. sie waren stolze Tiere und er würde sicher einiges mit ihnen erreichen können. Und dann war es doch wieder da. diese Angst und diese Gefühle vor der Welt, in der er sich tagtäglich bewegte.. und Kierans Angst davor, darin nicht zu bestehen. "Ich werde dir helfen. Zur Not bekommst du Benimmunterricht von mir, glaub mir das." Er zwinkerte ihm zu, doch erstarrte mitten in der Bewegung als Kieran ihn berührte. Es war wie ein elektrisierender Schlag, den er bekam, das Gefühl schoss wie eine heiße Woge von der Stelle an der Kierans Hand seine Wange und sein Ohr berührt hatte hinab bis in seine Fingerspitzen und seine Fußspitzen. Und so saß er erstarrt da, als Kieran die Hand zurückzg und sich erhob, um wieder hinunter zu steigen. Gerade hatte er die Satteltasche vorgeschoben, um ganz zurück zu steigen, als Nico seine Hand griff und sie festhielt. Er saß schräg neben dem Abstieg, so dass Kieran fast schon auf Augenhöhe vor ihm stand. Im Mondschein sah er dessen Gesicht und die Gefühle, die sich darin widerspiegelten. Langsam hob er eine Hand, strich über Kierans Wange nach hinten bis in seinen Nacken. "Mir ist auch kalt..", sagte er leise während sich Nicos andere Hand auf Kierans Hüfte legte und ihn ein wenig näher zog. "Ich würde auf die Gesellschaft jeder Frau verzichten, wenn ich dafür nur deine haben könnte..." Doch weiter kam er nicht, denn er hatte sich Kieran bereits so weit genähert, dass er ihn küssen konnte. Es war wie eine Sucht und Kieran forderte ihn heraus, er musste es tun. Er wollte ihn spüren. Und so zog er ihn sanft in den Kuss, der nicht fordernd oder herrisch war, sondern zaghaft und zärtlich, ganz sanft und liebevoll. Und das Gefühl von Camebridge war auf einmal wieder da, diese tiefe Vertrautheit die Nico so gefehlt hatt.
 

Kieran

"Nicht die Haare", murmelte er im ersten Moment, als Dominico mit seinen Gedanken herausrückte, wie sie es doch bewerkstelligen könnten, dass sie mal gemeinsam ausgehen würden. An sich wäre das wirklich schön, und offenbar reizte es auch den anderen. Ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen bei dem Bild, das er sich ausmalte, wie Dominico mit ihm und John in das 'Red Stallion' gingen, dem Laden, zu dem sie eigentlich am häufigsten gingen und das seinen Namen von dem mit roter Farbe an die Wand gemalte Pferd hatte.

Kieran lachte leicht. "Benimmunterricht?", fragte er nach. "Das wäre vielleicht keine schlechte Idee." Er seufzte tief und grinste dann leicht. "Aber ich fürchte, dass ich nicht ernst genug bleiben kann, wenn du ihn mir gibst." Tatsache war, dass er sich wahrscheinlich in der Anwesenheit des anderen auf so etwas kaum konzentrieren könnte... "Aber wir könnten es einmal probieren." Bevor er im Kerker oder gleich am Galgen hing, wäre das vielleicht wirklich etwas, was sie tun könnten, um das zu verhindern.

Kieran sortierte die Satteltasche so, dass er hinuntersteigen konnte, als ihn der andere an der Hand nahm. Verwirrt blickte er auf, merkte, wie sein Puls mit einem Mal sich beschleunigte und sein Herz hart gegen seine Brust schlug. Kieran wusste, dass er es provoziert hatte und dass der andere ihn festhielt, tat er sicher nicht, um ihn beim Hinabsteigen zu stützen... Ihre Augen hingen ineinander und in ihm tobte ein Feuerwerk von Gefühlen. Er wünschte sich nichts sehnlicher, als geküsst zu werden, und doch kam da jetzt auch wieder die Angst hervor. Die Angst vor den Folgen, wenn sie sich wieder so tief aufeinander einließen. Die Hand an seiner Wange fühlte sich so warm an, so sehnlich erwünscht. Wie von selbst neigte er den Kopf etwas, um sich an sie zu schmiegen. Er schluckte, als er die Worte hörte, die Hand in seinem Nacken spürend.

Scheiß auf Vernunft! Wer brauchte schon Vernunft?!

Die andere Hand an seiner Hüfte zog ihn näher an Dominico und die nun folgenden Worte ließen ihn erschaudern. Er wusste, dass sie wieder ehrlich waren. Und diese Worte implizierten viel - nicht nur die Hofdamen, Mätressen, nein auch Dominicos eigene Frau, oder? Aber er kam nicht wirklich dazu, darüber nachzudenken. Denn nun spürte er die Lippen des anderen auf den seinen und so, wie er ihn schon so oft überrascht hatte, tat er das auch jetzt wieder. Der Kuss war atemberaubend zärtlich. Kieran ging er durch und durch. Sein gesamter Körper reagierte darauf. Es fühlte sich fast an, als würde er etwas bekommen, wovon sein Körper schon Entzugserscheinungen hatte. Und letztlich war es doch auch so. Er hatte Dominico von der Sekunde an vermisst, als dieser von ihm weggeritten war. Und irgendwie schien der Kuss alles, was dazwischen gewesen war, wegzuwischen - jede Unsicherheit, jede Sehnsucht, jede Verzweiflung, jede Wut, jeden Schmerz. Dieser Kuss war jedes Leiden wert, das er in den letzten Wochen verspürt hatte, wenn er an Dominico dachte. Und nur zu gerne erwiderte er ihn, ebenso zärtlich, so sanft, so voll Zuneigung für den Mann, von dem er wohl nie wieder loskommen würde.

Nur schwerlich löste er sich wieder von dem anderen, blickte ihn an. „Lass uns das bitte unten fortführen“, wisperte er und lächelte gegen die Lippen des anderen, sich noch einen sanften Kuss holend. „Ich habe Angst, dass mir hiervon so schwindelig wird, dass ich das Dach heruntersegel.“ Er blickte den anderen lächelnd an. „Aber versprich mir, dass es unten weitergeht und sich bis dahin nicht unser Verstand eingeschaltet hat, sonst bleibe ich lieber hier oben stehen.“

Und so ließen sie sich wieder die Dachluke hinab in seine ‚Wohnung‘ gleiten. Kieran, der zuerst sich hinabgelassen hatte, machte dem anderen nur gerade so viel Platz, dass dieser von dem Stuhl steigen konnte. Dann schloss er die Dachluke, damit sie nicht froren, wenn die kalte Luft hineinströmte, und drehte sich zu dem anderen um. Einen Moment sahen sie sich nur an. Dann nahmen sie den Kuss wieder auf, aber von der Zärtlichkeit, von der Sanftheit war nun nur noch bedingt etwas zu spüren. Denn dieser Kuss war pure Begierde. Begierde, dem anderen wieder so nahe sein zu dürfen, wie er sich das gewünscht hatte. Begierde nach dem Menschen, der so eine unfassbare Anziehungskraft auf ihn ausübte.
 

Dominico

Es gab so unendlich viel, das Nico auf der Seele brannte. Dinge, die er gerade jetzt hätte sagen können, weil jetzt die Nähe dafür wieder da war... doch er konnte kaum sprechen, da Kieran den Kuss erwiederte. Vielleicht mussten die Dinge, die ihm im Kopf herumgingen, ja auch nicht gesagt werden... oder? Zumindest wollte er sich gerade nicht mehr von Kieran lösen. Es war unverünftig: Allein die Position war schon unvernünftig genug, denn hier auf dem Dach war es gefährlich und Nicos weiche Knie trugen nicht gerade zur Stabilität bei. Doch Kieran schaffte es schließlich, langsam den Kuss zu lösen und Nicos Atem ging stoßweise, weil sein Körper heftig reagierte. "Ich verspreche es...", erwiderte er rauer als beabsichtigt. Den Verstand nicht einschalten? Gefühlt hatte sich sein Verstand schon in seine Hose verabschiedet, denn die war merklich enger geworden. Kieran brauchte ihn nur zu berühren, da war es bereits um ihn geschehen, doch Nico wusste selbst, dass das vor allem davon kam, dass Kieran so unerreichbar schien und blieb. Wenn sie sich in seinem Haus getroffen hätten oder im Palast, wäre Kieran bereits nackt in seinem Bett - es hätte ihn sicher gereizt, aber nicht so sehr, wie dieser Weg hier. Das Spionagespiel, das Warten, das Locken.. das gemeinsame Essen, der Ritt hier her und das Gespräch auf dem Dach, das war es, was die Sache noch viel interessanter und erotischer gemacht hatte, das, was so viel Gefühl wieder in ihre Verbindung gebracht hatte.
 

Nico hielt sich mit beiden Händen am Dach fest, um nicht abzurutschen und er war Gott froh, dass das Haus offensichtlich in einem guten Zustand war und die Ziegel nicht unter seinen Händen abrutschten und er letztlich doch noch in die Tiefe fiel. Es gelang ihm zu Kieran nach unten in sein Zimmer zu kommen und wieder sog er den Duft der Kräuter ein. Unweigerlich glitt sein Blick zu Kierans Bett, das plötzlich so nah erschien. Kieran war noch dabei die Luke zu schließen... Nico öffnete ein wenig die warme Jacke, die er trug, weil es im Zimmer durch KIerans Ofenbefeuerung doch noch einmal warm geworden war. Und dann stand Kieran wieder vor ihm und zögerte nicht ihn erneut zu küssen. Nico hatte Vorsicht erwartet, diesen süßen unschuldigen Unglauben, der auf dem Dach noch vorgeherrscht hatte. Zumindest war es das, was Nico fühlte. In Cambridge hatten sie das gleiche gewollt, vielleicht aus unterschiedlichen Gründen. Hier wollten sie es wohl auch, doch hier gab es keinen Anschein einer zu erbringenden Gegenleistung, hier war es der Wille und die Lust zweier Menschen aufeinander und Nico konnte kaum glauben, dass Kieran wirklich IHN noch einmal wollte. Er stöhnte in den Kuss, weil er fühlte was Kieran fühlte, diese Lust. Und seine Hände legten sich automatisch an Kierans schlanken Körper. Leicht drehte er sich mit ihm und hob ihn an bis Kieran auf einem Sideboard zum sitzen kam. Von Kierans Lippen konnte er sich nicht lösen, aber Kierans West öffnen konnte er. Und als seine Finger endlich unter das Hemd über die nackte Haus strichen, fühlte er sich beinahe so, als käme er zu Hause an... mühsam zwang er sich den Kuss zu beenden. "Nicht.. nein." Er zog die Hände zurück und machte einen Schritt nach hinten, ganz offensichtlich erregt vom bloßen Gedanken an das, was folgen würde. Eine Hand gegen die Stirn gepresst und die Augen fest geschlossen, presste er die Augenlider aufeinander. "Ich.. ich will nicht, dass du denkst ich käme nur deswegen. Aber ich kann nicht anders, wenn ich dich ansehe. Es muss so schäbig aussehen... ich will nicht schäbig sein." Sein Lächeln war unsicher und er nagte an seiner Unterlippe. "Ich wollte mit dir reden und sehen, ob es dir gut geht... ich will dir das nicht aufbürden. Das hier..." Er kam wieder einen Schritt näher und griff Kierans Hand, um sie über die Stelle seines Herzens zu legen. "Du verdienst mehr als das und in die Gefahr solltest du dich nicht begeben.." Doch seine Stimme wurde schwächer, als er wieder so nah bei ihm stand und die Lust gewann zusehends überhand über seinen klar denkenden Verstand.
 

Kieran

Kieran schwanden die Sinne bei dem Kuss und das Stöhnen des anderen, dessen Hände an seinem Körper ließen ihn erbeben. Er selbst legte seine Arme auf die Schultern des größeren Mannes vor ihm, während seine Hände mit dessen Haar spielte. So schmiegte sich sein Körper an den des anderen und suchte die Nähe, die er so sehr vermisst hatte, die er so ersehnt hatte. Die schmerzhafte Wahrheit bei seinen One-Night-Stands war gewesen: es war der Gedanke an Dominico und dessen Küsse und dessen Körper, der ihn zum Höhepunkt gebracht hatte.

Als ihn der andere an der Hüfte packte und ihn auf das Regal setzte, musste er lächeln. Und die Hände, die nun begannen, seine Weste zu öffnen, sein Hemd darunter, gaben ihm die Erlaubnis die Jacke des anderen weiter zu öffnen. Als er die Hände des anderen auf seiner Haut spürte keuchte er in den Kuss, hielt kurz inne, um einfach nur zu genießen. Es fühlte sich alles so verdammt gut an...

Doch dann kam das Nein.

Kieran öffnete überrascht die Augen und hatte Mühe, einen klaren Gedanken zu fassen. Warum sagte der andere Nein? Hatte er etwas falsch gemacht? Nico hatte ihn doch geküsst, warum stoppte er das jetzt?

Aber eigentlich wusste er genau, warum. Dabei hatte er ihn doch gebeten, den Verstand auszuschalten!

Kieran sah, dass auch der andere mit sich rang, ihn nicht ansehen konnte. Und die Worte des anderen, die nun folgten, erfüllten ihn mit einer unglaublichen Wärme. Dominico wollte nicht schäbig aussehen? Weil es aussehen könnte, dass er nur für Sex gekommen war? Kierans Blick wurde warm. Es ehrte den anderen, so etwas zu sagen, aber sah dieser nicht, dass er es genauso sehr wollte? Und bei ihnen ging es doch ohnehin nicht mehr nur um Sex - wenn man ehrlich war. Oder?

Und letztlich bestätigte ihm Dominico dies durch das, was folgte. Kurz war er verwirrt. Was wollte er ihm nicht aufbürden? Als der Andere seine Hand nahm und sie sich auf sein Herz legte, setzte seines einen Moment aus. War das hier... Nein, lieber nicht den Gedanken weiterdenken. Es war besser für beide, das nicht zu denken, es nicht auszusprechen. Und dann sprach Dominico an, was ihm doch schon längst bewusst war. Das, was zwischen ihnen war, was auch immer es war - es war gefährlich. Kieran schluckte, merkte, dass Nicos Stimme an Kraft verlor. Am liebsten würde er ihn einfach weiter küssen, das Gesagte verdrängen. Aber das konnte er nicht, durfte das nicht. Es war zu ernst, es war wichtig für Nico und wichtig für ihn selbst. Und so zwang er sich, noch bei klarem Verstand zu bleiben, in der Hoffnung, ihn später doch wieder ausschalten zu dürfen.

"Dominico", sagte er und merkte, dass seine Stimme noch nicht ganz klar wieder war. "Ich habe die letzten Wochen damit verbracht, mir jegliches Argument nur zu eigen zu machen, das mir helfen würde, dir wiederstehen zu können. Fakt ist aber, dass ich es schlichtweg nicht kann. Alles in mir schreit nach dir und nur ein Blick von dir lässt mich jegliche Vernunft vergessen." Er hatte die Hand am Herzen des andere liegen gelassen und hob nun die andere, um Dominico über die Wange zu streicheln. "Ich bin mir über alle Konsequenzen bewusst, die Gefahr, der Schmerz, die Angst, die Sehnsucht, die Lügen, die nötig sind, die Stärke, leugnen zu können, die Sorgen und und und. Ich habe mir alles Negative, aufgezählt, nur um mein Versprechen zu brechen und dich vergessen zu können. Aber in dem Moment, als ich dich bei Dr. Chambers gesehen habe, war alles vergessen." Ja, er hatte viele Szenarien gebastelt, im Geiste, was alles passieren könnte, was niemals passieren dürfte, was niemals passieren würde. "Und dennoch wünsche ich mir nichts sehnlicher, als dich jetzt wieder so nah bei mir zu haben, wie in jener Nacht bei Cambridge. Ich habe mich nie so "ganz", so "vollkommen" gefühlt wie in dieser Nacht." Er schluckte und sah den anderen eindringlich an. "Als ich so lange nichts von dir gehört habe und mir einreden konnte, dass du mich vergessen hast, und als ich dir meine Adresse geschickt habe, habe ich mir geschworen, dass ich alles akzeptieren würde, was passieren würde. Ich denke, das, was ich wirklich verdiene, ist das Glück, das ich empfinde, wenn wir uns unterhalten, uns nahe sind und Sex miteinander haben. Mehr verlange ich nicht. Aber du hast viel mehr zu verlieren als ich. Und deshalb liegt es bei dir, wofür du dich jetzt entscheidest. Dafür, das beste aus der Situation zu machen und einfach das bisschen, was wir haben könnten, zu genießen, oder es zu beenden, bevor wir uns weiter verlieren."
 

Dominico

Nico zog innerlich den Hut vor dem eigenen starken Willen, dem er es zu verdanken hatte, dass er es tatsächlich noch zu Stande gebracht hatte, sich von Kieran zu lösen. Und er konnte ihn noch immer nicht ansehen, zumindest nicht direkt. Er sah seine nackte Haut, dort wo er das Hemd bereits geöffnet hatte, sah Kierans Erregung bereits wie seine eigene durch die spannende Hose im Schritt. Er wollte ihn so sehr, dass es schmerzte, doch die Angst, dass man sie hier entdeckte, die Angst dass Gregor mit dem Finger auf ihn zeigte oder man hinter Kierans Rücken tuschelte, er habe für Nico die Beine breit gemacht. Oder dass Kieran es sich morgen doch fragte, wenn Nico verschwinden musste, warum er da gewesen war und warum er all das tat. Die Worte waren wie Salz in der offenen Wunde. Kieran bereitete ihm den Weg, sich nur all zu im Klaren darüber, welches Leid es bedeutete und welche Bürde. Beinahe hatte Nico Tränen in den Augen, konnte Kierans Hand auch nicht loslassen. Mit der anderen zog er ihn langsam an sich und in seine Arme, drückte die Stirn gegen Kierans Schulter. Es waren genau die gleichen Worte, die er an Kierans Stelle gewählt hätte. Ja, es war genau das, was auch er sich gedacht hatte. Er hatte es vielleicht von anderer Stelle betrachtet, sich überlegt, was man behaupten konnte udn was zu weit ging und was er tun konnte, wie er seine Macht einsetzen konnte, um Kieran näher zu sein, doch näher als durch diese Spende für sein Studium war er nie gekommen, ohne Kierans Freiheit zu beschneiden, die dem jungen Mann so heilig war. Und er wollte Kieran nicht einsperren in einen Käfig, selbst wenn sie in dieser heilen Welt glücklich waren.

Er hielt ihn nah bei sich, sog tief Kierans Duft in seine Lungen, um ihn festzuhalten und nie wieder zu verlieren. Er wollte ihn nicht hergeben, wollte nicht gehen, doch seine Entscheidung war gefallen in dem Moment, in dem er es vielleicht ein letztes Mal geschafft hatte, sich von Kieran zu lösen. Langsam löste er die Umarmung und nahm Kierans Gesicht in beide Hände, sah ihn eindringlich an. "Ich weiß, dass du sicher sorgfältig darüber nachgedacht hast... ich weiß - das haben wir beide. Und wir beide wissen, was wir in Camebridge gefühlt haben, aber das war dort.. das war in meinem Haus, das war.. eine andere Zeit. Ich lüge nicht, wenn ich dir sage, dass ich noch nie in meinem Leben einen Menschen und einen Körper so sehr begehrt habe wie deinen und wenn es in meiner Macht stünde - ich würde dich einsperren in mein Haus und nie wieder gehen lassen. Ich würde dich vor der Welt verstecken, damit niemand dich jemals findet.. aber das würde bedeuten, dir dein Glück und deine Frehiet zu nehmen. Und ich täte genau das, wenn ich jetzt bliebe, verstehst du?

Wenn ich dieses Haus am frühen Morgen verlasse und mich jemand sieht... wenn man ein, zwei Stockwerke tiefer hört, welche Lust du in mir entfachst.. ich könnte mir nie verzeihen, dir diesen Stempel aufgedrückt zu haben. Ich will nicht, dass du leidest. Ich weiß, das klingt verrückt, denn wenn ich gehe werden wir beide leiden - aber wir werden noch am Leben sein und uns droht keine Gefahr. Ich könnte es niemals ertragen, dich am Pranger zu sehen, ob nun auf dem Marktplatz oder hinter vorgehaltener Hand, nur weil ich mich nicht im Zaum halten konnte. Es tut mir leid.. so sehr ich dich will - ich muss gehen. Ich verspreche dir, ich melde mich, sobald ich kann. Ich schwöre dir, ich verlasse dich nicht. Aber wir dürfen nicht.. wir dürfen einfach nicht noch weiter gehen.." Er strich ihm sanft über die Wange, die er hielt ehe er ihm einen letzten zaghaften Kuss auf die Lippen drückte, den er versuchte für die Ewigkeit festzuhalten. Dann löste er sich ruckartig von ihm und floh regelrecht die Treppe hinab.

Er war sich beinahe sicher, das ganze Haus zu wecken so wie seine schweren Stiefel hinunterpolterten, doch es war ihm gleich. Er rannte hinaus auf die Straße, im Lauf noch das Hemd wieder zuknöpfend und den Umhang fest um die Schultern ziehend. Hinein in den Stall unweit des Hauses. Er warf dem Jungen noch einmal Trinkgeld zu und kurz darauf donnerte das wenig begeisterte Pferd im Galopp die schmale Gasse hinunter, hinab zu den Toren und hinaus aus der Stadt. Der harte Ritt und der Wind, der einige Regentropfen in Nicos Gesicht peitschte, halfen, das erstickende Gefühl in seiner Brust zu erdrücken, doch als er einige Zeit später in seinem Bett lag, schmerzte sein Innerstes so sehr, als habe man mit einem Messer darin herumgewühlt - und seine Erregung stand so hart von seinem Körper, dass selbst die einfachste Berührung schmerzhaft war. Warum nur dieser Mann? Warum hatte er sich auf Alessios dumme Wette eingelassen? Rückwirkend betrachtet war dieser Tag ihrer beider Untergang.. zumindest fühlte es sich gerade so an.
 

Kieran

Kieran ließ sich nur zu gerne in die Umarmung ziehen, schloss die Augen und genoss die Nähe, die der andere ihm noch einmal gewährte. Er wusste, dass Dominico gehen würde, er hatte es in dem Moment gewusst, als er die Reaktion auf seine Worte gesehen hatte, die leicht verschwommenen Augen, das leichte Zittern der Hand des anderen auf der seinigen. Er sog den Greuch des anderen auf, die Wärme, das Gefühl ihm nahe zu sein. Die Umarmung war wie eine lange Verabschiedung.

Als sich Dominico löste, sah er ihn wieder an. Er war erstaunlich ruhig und gefasst, aber das lag wohl daran, dass er sich nicht bewegen, nicht reden, nicht reagieren konnte, selbst wenn er gewollt hätte. Er war wie erstarrt vor der Erkenntnis, dass Dominico ihn jetzt, da er ihn einen Moment lang noch einmal für sich gehabt hatte, für immer verlassen würde.

Ja, Cambridge war ein anderer Ort gewesen, up in the nowhere, losgelöst von Raum und Zeit, etwas fast Magisches. Und hier? Hier waren sie in der Realität angelangt, einer harten Realität, in der ihre Welten keine gemeinsame Basis hatten und die äußeren Einflüsse zu heftig waren.

Dominico würde ihn einsperren? Bei sich? Einen Moment lang hörte es sich verlockend an, doch Kieran wusste, dass dem nicht so war. Er würde seelisch sterben, irgendwann, auch wenn es anfangs sicher schön wäre. Irgendwann würde er verwelken, wie eine Primel, die man unachtsam am Wegesrand gepflückt hatte.

Und dann listete der andere auf, was auch er gesagt hatte, was passieren könnte. Kieran schloss einen Moment die Augen. Es lag ihm ein "Aber" auf der Zunge, doch er sagte nichts. Ja, es ging um ihr Leben, so absurd das auch klang, schlichtweg um ihr Leben - vor allem Dominicos. Es tat gut zu hören, dass der andere sich um ihn sorgte. Aber das war nicht Kierans Sorge. Für ihn wäre es das Schlimmste, wenn Dominico Schaden davontragen würde. Er selbst war ihm egal. Er nickte leicht, als der andere sagte, es tue ihm leid. Ihm war das rational eben auch bewusst, aber in seinem Inneren fühlte sich jedes Wort, das ihr Abschied beinhaltete, wie ein Faustschlag an.

Irritiert blickte er auf, als der andere sagte, er werde sich melden, werde ihn nicht verlassen. Er versprach es sogar und schwor es. Gehörte zu einem "Verlassen" nicht immer dazu, dass man einmal "zusammen" gewesen war? Oder meinte der andere es hinsichtlich einer "Freundschaft"? Eine Freundschaft... Es wäre zumindest etwas, was man versuchen konnte. Dann würde er ihn wenigstens sehen, hin und wieder mit ihm sprechen können. Als Inhaber des Studium-Fonds würden sie eh Kontakt halten... Wieder nickte Kieran mechanisch, sah den anderen an, der ihm so nah war, und doch nun weiter entfernt war, als je zuvor. Und ehe er es sich versah, spürte er die Lippen des anderen auf den seinen. Einen Moment war er zu perplex, um ihn zu erwidern, dann tat er dies, eine letzte Folter, bevor Dominico sich ruckartig von ihm löste und hinausstürmte, ohne dass er noch irgendetwas hätte sagen können.

Kieran merkte, wie auch das letzte bisschen Kraft aus seinem Körper zu schwinden schien, als auch die Stiefeltritte auf der Treppe verhallt waren. Regungslos blieb er sitzen, wo Dominico ihn hingesetzt hatte, und starrte vor sich hin. Seine Gedanken überschlugen sich und zu nur einem einzigen war er fähig: 'Ich habe mir geschworen, das zu akzeptieren.' Und doch würde er am liebsten die Zeit zurückdrehen und noch immer am Dach oben sitzen und den anderen küssen.

London - Schlaflos

Kieran

Er wusste nicht, wie lange er da saß, als es klopfte und auf ein leises "Ja?" John eintrat. Kierans Herz hatte einen Moment heftiger gegen seine Brust geschlagen - in dummer, einfältiger Hoffnung. Aber nun wusste er zumindest, dass es noch schlug. Denn ansonsten fühlte sich alles in ihm leer und tot an. John sah ihn fragend an, doch Kieran senkte den Kopf. Sein Freund trat an ihn heran und nahm ihn in die Arme. Es tat gut, ein wenig gehalten zu werden. Nach einer Weile fragte der andere leise, ohne ihn loszulassen: "Der Mann in den Sternen?" Kieran lächelte matt. "Was auch immer nach den Sternen kommen mag, dorthin ist er grad gegangen." John schwieg wieder, hielt ihn einfach noch ein wenig und als er sich letztlich doch löste, fühlte Kieran ein wenig Kraft in sich zurückgekehrt. "Soll ich bei dir schlafen?" Kieran zögerte einen Moment, dann schüttelte er den Kopf. "Danke", sagte er und lächelte. "Ich möchte lieber alleine sein." Er rutschte runter vom Regal und sein Blick fiel auf die Satteltasche, die am Tisch zusammen mit der neuen Robe liegen geblieben war. Die Verzierungen im Leder zeigten eindeutig, wem diese Tasche gehörte, denn das Familienwappen der Familie Sforza war darin eingestanzt. Kieran nahm sie und stellte die Tasche zur Seite, so dass man sie nicht sehen konnte. Er wusste nicht, ob John etwas gesehen hatte. Er betrachtete die Robe und hängte sie auf. "Ich geh dann mal", sagte John. Kieran nickte. "Weckst du mich morgen früh? Ab morgen darf ich mich auch Student nennen." John grinste. "Mach ich", versprach er und ging zur Tür. "Wenn irgendwas ist, komm einfach runter, ja?" Kieran nickte. "Mach ich." Aber er wusste, dass er es nicht tun würde.

"John?", hielt er den anderen noch einmal auf. "Wenn du irgendwas gesehen hast, oder du irgendeinen Gedanken hast, wer dieser Mann ist, dann vergiss es bitte wieder. Zu deiner Sicherheit... bitte!" John sah ihn einen Moment an, dann nickte er und schloss die Tür hinter sich.
 

Kieran lag wach in seinem Bett. Das, was an diesem Aben geschehen ist, wälzte sich immer und immer wieder durch seinen Kopf. Der Gedanke an die Berührungen, die Küsse und das Verlangen, das er auch beim anderen deutlich gespürt hatte, jagte ihm Schauer durchden Köper. Irgendwann wanderte seine Hand an ihm herab. Er schloss die Augen und stellte sich Dominico neben sich vor. Wenigstens ein wenig träumen konnte er doch, um seinem Verlangen zumindest heute in seiner Phantasie nachzukommen...
 

Dominico

Nicht nur Kieran war in dieser Nacht wirklich schlaflos. Auch Nico konnte einfach kein Auge zutun, er war müde und erschöpft von dem langen Tag, denn er war heute ja schon früh aufgestanden, doch das, was ihn wirklich am meisten geschlaucht hatte, war diese Sache mit Kieran gewesen. Er fühlte sich unendlich schuldig, weil er tatsächlich noch mit ihm hinaufgegangen war und weil er sich doch dazu hatte hinreißen lassen, ihn wieder zu küssen und wieder zu... ja was eigentlich? Zu lieben?

Er hatte ihn begehrt und wollte das wiederholen, was sie in Camebridge gehabt hatten, doch das war einfach unwiderbringlich und daran hatte er sich ebenfalls zu gewöhnen. Er musste es akzeptieren so wie Kieran, dass es unendlich gefährlicher war eine Affäre hier zu beginnen oder fortzuführen, ganz egal wie man das jetzt sehen wollte. Nico wollte Kieran nicht verletzen und so schalt er sich auch einen Dummkopf, das Haus so laut und überstürzt verlassen zu haben. Er hoffte einfach, dass ihn niemand gesehen hatte.. und er hoffte, dass Kieran seine Satteltasche gut verwahrte. Denn die hatte er da gelassen.. immerhin war Kierans Robe noch darin gewesen. Und auch wenn er sich einredete, sie vergessen zu haben, so wusste er doch ganz genau, dass ein Teil von ihm sie absichtlich dort hatte liegen lassen - um im Zweifel einen Grund zu haben, zu Kieran zurückzukehren.

Die Gedanken, die in seinem Kopf kreisten und immer wieder davon unterbrochen wurden, dass er Kieran nackt und in Extase vor und auf sich vor seinem geistigen Auge sah, raubten ihm den Schlaf.

Als am nächsten Morgen sein Ankleidediener das Zimmer betrat, um die Vorhänge aufzuziehen, war Nico wach, aber gerädert. Er brauchte mehr als einen Eimer kaltes Wasser, um in einen Zustand der Zurechnungsfähigkeit und Handlungsfähigkeit zurückzufinden. Alessio stand bereits Minuten später auf der Schwelle, um mit ihm zu frühstücken, doch Nico war nicht in der Verfassung, ein gemütliches Frühstück zu sich zu nehmen. Er nagte genervt an einem Gebäckstück herum, während Alessio ihm irgendetwas von Wolsey vorbrabbelte.. bis sein Bruder schließlich verstummte und zu bemerken schien, dass Nico in der letzten Nacht wohl ein wenig.. zu hart? gefeiert hatte. Zumindest nahm Alessio das an und Nico dementierte es nicht. Es war für alle besser so, wenn sein Bruder ihn für einen unverbesserlichen Säufer hielt.

London - Unileben

Kieran

Als John Kieran am Morgen weckte, wusste er nicht, ob er überhaupt geschlafen hatte. Er war noch lange wach gelegen, beschäftigt damit, zu begreifen, was geschehen war. Dominico war weg, einfach weg. Sie hatten beschlossen, sich nicht weiter aufeinander einzulassen, um den jeweils anderen zu schützen. Irgendwann hatte ihn die Müdigkeit wohl dann doch übermannt und er war eingeschlafen, aber als er nun aufwachte, fühlte er sich wie gerädert.
 

Dominico

Er brauchte eine ganze Weile bis er es schaffte sich aufzuraffen. Er hatte nicht vor, heute noch in die Stadt zu reiten, denn er wusste, dass er im Falle des Falles ohnehin nur an die Universität geritten wäre, um zu sehe,n ob Kieran dort war... Also blieb er besser zu Hause. Mit Amadeo arbeitete er stattdessen mit ihren Jährlingen, die von Tag zu Tag besser wurden, und diese Arbeit war es, die Nico ablenkte und dank der es ihm gelang nach und nach wieder einen klaren Gedanken zu fassen.

Sie beide hatten sich einvernehmlich getrennt und sie beide waren sich der Konsequenzen im Klaren, welche eine Affäre mit sich bringen würde, und doch wollten sie es beide - verrückt, oder? Und das was sie letztlich davon abhielt, es zu tun, war die Angst umeinander, eine Konstellation wie sie verworrener kaum sein konnte - zumindest für Nicos momentane Gedächtnisleistung.

Und weil er es über den ganzen Tag hinweg nicht schaffte, Kieran ganz aus seinen Gedanken zu verbannen, schrieb er ihm zumindest eine Nachricht am Abend, die er von Amadeo zu Mr. Chambers in den Palast bringen ließ. Der würde sie an Kieran weiterreichen - es war nicht mehr als eine einfache Frage, nämlich der, nach Kierans erstem Tag an der Universität.
 

Kieran

Der erste Tag in der Uni war wie ein Sprung ins eiskalte Wasser, nachdem man vorher ein Dampfbad genommen hatte. Er zog natürlich die Robe an, die er am Abend noch sorgfältig aufgehängt hatte. John nickte beeindruckt, doch Kieran kam sich dennoch ziemlich doof darin vor, als er durch die Straßen von London lief, darauf bedacht, nicht in irgendwelchen Dreck zu steigen, um sie sich nicht gleich einzusauen. Sie passte eigentlich gut, war nur ewas zu lang. Er war nun mal einfach zu klein. Das Gefühl, seltsam angezogen zu sein, verschwand, als auf dem Kampus der Universität ankam. John begann zu reden und erklärte ihm, welches Gebäude welches war, wo die medizinischen Vorlesungen und Übungen und Kurse stattfanden, wo der Trakt der Universitätsklink sei, wo sie ebenfalls tätig waren. Es war viel, was er sich merken musste, viel, was er sich noch beschaffen würde müssen, viel, womit er erst einmal zurechkommen musste. Es herrschte ein ganz anderer Umgangston hier und er eckte gleich von vornherein an, auch wenn er bemüht war, höflich zu sein, merkte die meisten doch schnell, dass er nicht aus der gehobeneren Gesellschaftsschicht war. Aber Kieran sah nun mal nicht ein, zu allem immer nur "Ja" und "Amen" zu sagen. So gab es Situationen, in denen ihm eine Frage gestellt wurde und die er aus bestem Wissen und Gewissen beantwortete, auch wenn das, was er sagte, vielleicht unkonventionell war oder nicht der Meinung des Professors entsprach.

In ihrem Semester waren nur 12, jetzt 13, Studenten - was ihm auch einen hämischen Kommentar brachte - Dornröschen war dank. Dadurch könnte er in keiner 'Menge' untergehen, außer in den allgemeinen Vorlesungen, bei denen Studenten jeden Ausbildungsabschnitts saßen. Er war also gezwungen, sich jeweils vorzustellen und wurde recht unterschiedlich empfangen - von Gleichgültigkeit bis Verachtung war alles dabei. Und weil er neu war, wurde er in den Kursen gleich aufgerufen. Sie einen wollten testen, was er schon wusste, die anderen legten es darauf an zu erfahren, was er nicht wusste.

Während der Anatomie-Professor begeistert war, mit welcher Sicherheit er mit dem Skalpell umging und Organe präparierte, konnte ihn sein Dozent der praktischen Medizin nicht ausstehen. Das beruhte aber auf Gegenseitigkeit. Kieran konnte diesem Lackaffen nichts abgewinnen, der wie ein Gockel durch die Klinik spazierte, mit einer Schar ihn bewundernder Studenten als Traube hinter sich versammelt, die "Ah" und "Oh" machten, wenn er den Mund aufmachte, obwohl nur heiße Luft herauskam. Am Schlimmsten daran war aber die Art und Weise, wie er mit Menschen umging. Denn betrat er das Zimmer eines Patienten, blickte er diesen nicht einmal an, nannte ihn nur nach der Patientennummer und sprach über diesen, als sei er ein Gegenstand, dem man weiter keine Beachtung schenken musste. Kieran wurde gerne von ihm herangeführt, um ihn vor den anderen Studenten vorzuführen. Das lag daran, dass er, als er das erste Mal zu ihm kam, kurz aufgefallen war, weil er einer Krankenschwester geholfen hatte, einen Patienten umzubetten, obwohl das offensichtlich unter der Würde eines Mannes und eines Arztes war - und sei es auch nur eines angehenden. Seit diesem Moment wurde er an jedem weiteren Kurstag immer und immer wieder bei jedem Patienten konsultiert und befragt, was er denn jeweils machen würde.

Kieran wurde dadruch zu höchster Konzentration gefordert, um sich keine Blöße zu geben. Und er war heilfroh, dass er auf so viel Wissen zurückgreifen konnte, das er im Laufe seines Lebens und letztlich auch durch John bereits gesammelt hatte. Und dennoch schaffte er es nie, dem Arzt, Dr. Sullivan, recht zu machen. Teilweise hatte er sogar den Eindruck, als sage dieser etwas Falsches, nur um so zu tun, als wüsste Kieran gar nichts. Oft schüttelte er den Kopf über Kierans Antwort oder seufzte theatralisch, wenn Kieran begann, den Patienten zu begrüßen und ihn weiter zu befragen, um eine Disgnose stellen zu können.

Aber Kieran ließ sich nicht beirren. Klein würde der Typ ihn sicher nicht bekommen!
 

Dennoch war er froh, als Dr. Chambers sich ein paar Tage später meldete, um ihn manchmal aus den Kursen und der Übung bei Dr Sullivan herauszunehmen, um mit ihm zu seinen Patienten zu gehen. Offenbar hielt Chambers genauso wenig von Sullivan wie Kieran. Manches, was er bei jenem sah erinnerte Kieran an die Erzählungen vom Abendessen... allerdings verbesserte der Umstand, dass Sullivan und Chambers sich nicht mochten nicht unbedingt seine Position.

Aber Dr. Chambers ging ganz anders mit seinen Patienten um, wesentlich menschlicher und doch mit einer höflichen Distanz, die wohl immer nötig war, wenn man als Arzt Autorität haben wollte. Davon lernte Kieran, lernte viel. Er genoss es, saugte das Wissen auf und Chambers war froh, so einen guten und gelehrigen Studenten zu haben.
 

Ansonsten war das Leben an der Uni in der Regel sehr schön. Es machte ihm Spaß, auch wenn es ungeheuer anstrengend war. Er musste vormittags zur Uni, teilweise zogen sich die Kurse, Übungen und Vorlesungen bis in den Nachmittag hinein, so dass die Mittagspause ausfiel und er direkt zu Mr. Frobes in den Laden ging, um dort zu arbeiten. Abends saß er über den Büchern und Mitschriften, um auf die Prüfungen zu lernen, die am Trimesterende anstünden. Er hatte einiges aufzuholen, wollte er als Quereinsteiger in das Trimester die Prüfungen im Herbst bestehen. Aber John half ihm auch, wo er konnte, und gemeinsam saßen sie da und rekapitulierten den Stoff zusammen.
 

Zumindest hielt Dominico sein Versprechen, sich bei ihm zu melden. Bereits zwei Tage nach seinem Start in der Uni überreichte ihm Dr. Chambers eine kurze Nachricht, in der Nico ihn fragte, wie es ihm bei seinem Einstieg ergangen sei.
 

Sehr geehrter Lord Sforza,

der Einstieg war ungewohnt und heftig, aber ich fühle mich wohl. Es macht Spaß, auch wenn ich mich erst noch ein wenig zurechtfinden muss, vor allem, was den Umgang mit den Professoren und Komilitonen betrifft. Aber das wird schon...

Hochachtungsvoll

Kieran Carney
 

Es war ungewohnt, dem anderen so zu schreiben, aber es war zumindest eine Möglichkeit, dass sie überhaupt Kontakt hatten. Kieran akzeptierte, dass er Dominico nie wieder so nahe sein würde, wie in Cambridge. Aber zumindest konnten sie Kontakt halten. Wenigstens etwas von dem anderen in seinem Leben war besser als nichts.

Im Laufe der Zeit gingen immer wieder solche und ähnliche Nachrichten über Mr. Chambers an den jeweils anderen. Kieran machte es mittlerweile fast Spaß, versteckte Andeutungen einfließen zu lassen, in denen er Nico zu verstehen gab, wie es ihm persönlich ging, dass er mit der Situation klar kam und es akzeptierte. Und dem war auch so - irgendwie. Dadurch, dass sie immer wieder Kontakt hatten, fiel es Kieran irgendwie leichter, mit der Situation klar zu kommen. Nico deutete ihm an, dass er wegen seines Dozenten in allgemeiner Medizin die Füße ruhig halten sollte. Aber das war nicht so einfach und das schrieb er ihm auch. Die Briefe taten ihm gut, sich ein wenig auzutauschen, auch wenn er stets darauf achtete, den höflichen Ton zu wahren, der nun wohl immer zwischen ihnen herrschen würde.

Die Briefe des anderen verbrannte er, zumindest die meisten. Von dem ersten konnte er sich nicht trennen, und den zuletzt geschriebenen hob er auch immer auf und tauschte ihn aus, wenn ein neuer kam, verbarg diese aber so, dass man sie nicht einfach so finden konnte.
 

Und letztlich war Kieran auch froh über die ganze viele Arbeit. Es ließ ihn nicht nachdenken. Denn nichts desto trotz fühlte er sich manchmal so wahnsinnig kraft-, ja fast mutlos, wenn er dann doch mal zur Ruhe kam. Er aß zu wenig, merkte, dass sein Körper noch schlanker wurde. Zum Essen und Trainieren fehlte ihm einfach die Zeit...
 

Wenn er es schaffte, besuchte er seine Familie, die nun aber auch immer öfters in London gastierten und auftraten. So kam es auch mittlerweile dazu, dass seine Mutter, Fatih oder auch Timothy ihn bei ihm zu Hause besuchten, was ihm gefiel und doch irgendwie seltsam war. Es war eine so ganz andere Welt und beide vermischten sich jetzt. Dass er das Studium der Medizin begonnen hatte, hatte seine Familie in helle Freude versetzt, zumindest die meisten. Gregor konnte einen Kommentar hinsichtlich dessen, wie weit nach oben er sich noch schlafen wollte, nicht lassen. Und so war es auch Gregor, der fragte, wer das Studium finanzierte. Kieran erklärte, dass ein Fond gegründet worden war, in den all die Patienten eingezahlt hatten, die er bei Hofe betreute. Dass Dominico seine Finger im Spiel hatte, ließ er aus. Aber Gregor war sichtlich misstrauisch. Gregors Verhalten ließ Kieran generell vorsichtig werden. Eine Situation mit Felicitas hatte ihn stutzig werden lassen. Sie hatte ihn ausfragen wollen, wie es an der Uni lief, und mit wem er Kontakt hatte und lauter Dinge, von denen er wusste, dass es sie eigentlich nicht interessierte. Es schien fast so, als habe Gregor sie auf ihn angesetzt gehabt. Aber was versprach er sich davon? Er würde sehr achtsam sein müssen.
 

Dominico

Die Antwort auf seinen ersten Brief ließ nicht lange auf sich warten und es erfüllte Nico mit stolz zu lesen, dass Kieran sich offenbar große Mühe gab die Form zu wahren. Seine Handschrift war schon immer schön gewesen, doch auch seine Wortwahl besserte sich von Nachricht zu Nachricht, die sie einander zukommen ließen. Nico fand immer wieder neue Fragen, zur Universität, zu den Dozenten. Vor allem zu den Lehrern ermahnte er Kieran einen guten Kontakt zu pflegen, auch wenn das sicher alles andere als einfach war. Doch nachdem Kieran schon einige Wochen an der Universität war, deren Dozenten sehr wohl wusste, wessen Name hinter Kierans Studium stand, wurden ihm gewisse Dinge zugetragen. So auch Kierans hervorragende Leistung in der Anatomie, dafür aber seine oft schlechtere Bewertung in allgemeiner Medizin. Naja, einen gab es immer, mit dem man nicht so gut konnte.

Ihre Briefe entwickelten schon bald eine Art Eigenleben, die Nico gefiel. Es waren Andeutungen, kleine Hinweise.. Dinge die Nico aufsaugte wie ein Schwamm. Kieran schrieb ihm einmal, dass er so hart arbeite und lerne, dass er sich darauf konzentrieren musste, noch genug zu essen, weil ihn das Studium so fordere und er Nico nicht enttäuschen wolle. Unweigerlich sah er ihn nackt vor sich, den schlanken sich windenden Körper. Er hatte geantwortet, dass er stolz auf den Fleiß und die Arbeit war, mit der Kieran sich an die Arbeit machte und das er in der größten Not eigenhändig dafür sorgen würde, dass Kierans Körper unversehrt blieb. Es waren diese kleinen Andeutungen, für die Nico lebte ,wenn er Zeit hatte nachzudenken.

In Wochen, die verstrichen, hatte er davon allerdings nicht viel. Henry war gerade wieder in einer Hochphase was seine Kriegslust betraf. Schon früh am Morgen bestellte er seine Berater zu sich und sprach mögliche Pläne mit ihnen durch, die das Pulverfass Europa wohl zur Explosion gebracht hätten. Außerdem trainierte Henry selbst mit ihnen in den Morgenstunden. Er tat es zum einen, um sich fit zu halten, zum anderen, um Anne zu beeindrucken, der der schnittig und trainierte Henry sehr gut gefiel. Und weil es zu Henrys Plänen gehörte, Menschen zu töten und zu verletzen, kam auch sehr bald das Thema der Verwundetenversorgung auf den Plan.

Henry kündigte eines Morgens während der Sitzung an, die Universität besuchen zu wollen. Nachdem er sich schon ein Bild über die königlichen Waffenschmieden gemacht hatte, war es jetzt wohl an der Zeit, die Spitale zu inspizieren. So kam er mit Charles und Henry und einigen Beratern am Vormittag auf das Universitätsgelände geritten, auf dem bereits rege Betriebsamkeit herrschte. Als der König einritt, erstarrten alle in der Bewegung, um sich zu verneigen und der Rektor der Uni kam bereits gefolgt von zwei Sekretären heraus, um sie zu empfangen.

"Eure Hoheit, meine Herren, herzlich willkommen! Wir hatten mit einem so hohen Besuch gar nicht gerechnet, aber tretet nur ein in unser Haus."

"Eure Magnifizenz, ich würde gern das Spital besuchen. Ich möchte sehen, wie meine Ärzte arbeiten, denn uns steht vielleicht schon bald ein Krieg bevor und ich will meine Verwundeten, möge Gott ihre Zahl gering halten, nur in den besten Händen versorgt wissen."

Der Mann verbeugte sich erneut vor Henry. "Gerne eure Hoheit, folgt mir. Ich werde euch durch unser Spital führen, wir behandeln dort Krankheiten, aber auch Knochenbrüche und Arbeitsunfälle." Natürlich würde man Henry nicht zu den Menschen lassen, die wirklich KRANK waren. Knochenbrüche und andere Unfälle waren wesentlich interessanter für den König, außerdem hatte er panische Angst, sich zu infizieren. Gerade deswegen bekam er ein mit Lavendelöl getränktes Tuch, dass er sich vor Mund und Nase halten konnte... als ob das helfen würde.

Nico und Charles folgten, wiesen die Tücher aber ab. Als Generäle im Feld waren ihnen Fleischwunden, auch solche die bereits vom Wundbrand befallen waren, nicht sehr neu.
 

Mit dem Rektor betrachteten sie Einrichtungen, Operationsräume und die langen Schlafsäle, in denen Patienten auf engen Pritschen schliefen oder vor sich hinvegetierten. Die meisten, die wirklich hier bettlägerig wurden, starben und Nico wusste das auch. Dennoch war Henry begeistert... aber im Grunde wussten Charles und Nico auch, dass der Rektor sie absichtlich durch die Bereiche führte, in denen es a) sauber und b) besonders aufgeräumt war und c) die Patienten nicht schon dem Tode die Hand reichten.

Sie betraten gerade den Trakt, in dem Kinder behandelt wurden, als ihnen eine Gruppe Studenten entgegen kam, die einem Arzt folgte, der sich selbst für den Mittelpunkt der Welt hielt. Er stolzierte den Gang hinab und bemerkte Henry erst reichlich spät, der mit dem Tuch vor der Nase vielleicht auch nicht ganz als seine Majestät zu erkennen war. Als er es bemerkte, fiel er fast schon im Laufen auf die Knie, so tief verbeugte er sich noch, bevor er stehenblieb. "Eure Hoheit!" Der beinahe geschockte Ausruf sollte wohl auch dazu dienen, die Studenten darauf aufmerksam zu machen, und so verbeugte sich der in Roben gewickelte Pulk nur kurz darauf. Henry war stehen geblieben und lächelte, Nico hingegen stand einen Schritt hinter ihm und ballte die Hände zur Faust. Er hatte schon so ein ungutes Gefühl gehabt, doch er wusste beinahe mit absoluter SIcherheit, dass Kieran hier war.. und so kam er nicht umhin, ihn zu suchen.

"Herr Doktor - erhebt euch." Der Rektor stellte den Arzt vor, der sich gerade so tief verbeugt hatte und Henry nickte interessiert. "Meine Herren-", er wandte sich an Nico und Charles, "wie wäre es, wenn wir den Herrschaften beiwohnen, bei einer ihrer Konsultationen? Ich bin sicher es ist interessant zu sehen, wie unsere angehenden Ärzte die Wunden der braven Bürger versorgen, oder nicht?"

//Na wenigstens er ist bester Laune..// dachte Nico bei sich, ehe sowohl er als auch Charles, letzterer mit einem wesentlich ungezwungenerem Lächeln als Nico, zustimmte, den Studenten in den nächsten Saal zu folgen. Wo war nur Kieran? Die Studenten in ihren Roben sahen alle so verdammt gleich aus...

London - Lehrstunde mit Dr. Sullivan

Kieran

An diesem Morgen war Kieran bereits früh wach gewesen, um noch bei Dr. Chambers vorbei zu schauen, ob dieser womöglich einen Brief für ihn hatte. Da dieser am vergangenen Tag für ihn keine Zeit gehabt hatte, war gebeten worden, vor Vorlesungsbeginn vorbeizuschauen. Außerdem wollte Dr Chambers ohnehin noch die Meinung von ihm im Zusammenhang mit einem Patienten hören, der einen schweren, offenen Bruch erlitten hatte.

Er war zugegebenermaßen enttäuscht, dass er keinen Brief erhielt, aber immerhin konnte er bei dem Patienten weiterhelfen. Durch Dr. Sullivan hatte er lernen müssen, dass er sich mit Schlussfolgerungen zurückhalten sollte. Bei diesem Dozent konnte er sich sicher sein, dass er grundsätzlich das Gegenteil von dem behauptete, was Kieran vorschlug, nur um ihn blöd dastehen zu lassen. Kieran gewöhnte sich daran, konterte mit Perfektion. Solange er sich keinen wirklichen Fehler erlaubte, konnte dieser aufgeblasene Affe ihm auch nichts. Wenn es wichtig war, ging Kieran dazu über, etwas Anderes, nicht ganz Perfektes zu sagen, in der Hoffnung, dass Sullivan dann das andere, richtige anordnete. Wie auch immer - es war wahnsinnig anstrengend.
 

Gemeinsam trafen Chambers und er sich bei eben jenem Patienten und Kieran untersuchte ihn. Der Mann war im Halbdunkeln von einer Leiter gestürzt. Der Arm sah deformiert aus und die Wunde sah bereits so aus, als würde sie beginnen, sich von einer Stelle aus entzünden. Kieran vermutete, dass Fremdkörper in der offenen Wunde waren und dass der Arm geschient werden musste. Er hatte eine solche Schienung selbst noch nie durchgeführt, aber Dr. Chambers konnte das. Kieran sah Dr. Chambers ungläubig an, als dieser ihn bat, die Wunde selbst zu versorgendes die Schiene anzubringen. Kieran sah Dr. Chambers nervös an. "Ich hab noch Verpflichtungen an der Uni", erklärte er, auch wenn er sich gerne beweisen würde... Kurzerhand bewirkte Dr. Chambers, dass er von diesen so lange freigestellt wurde, bis der Eingriff beendet war.

Es war Kierans erster komplizierter Bruch und er durfte nicht nur dabei sein, er durfte die Wunde von dem Fremdkörper befreien, den Arm nähen – etwas, was er sehr gut konnte und was sich schon herumgesprochen hatte – und er durfte den Arm unter Chambers Aufsicht sogar schienen.

Als er schließlich fertig war, sich dir Robe wieder anzog, um zurück zu den Vorlesungen zu gehen, war es bereits später Vormittag.
 

Ziemlich abgehetzt ging er durch die Korridore der Uniklinik, um sich an die Gruppe von Dr. Sullivan anzuschließen, der sicher einen blöden Kommentar nicht würde verkneifen können. Er merkte zwar, dass heute irgendwie alle nervöser wirkten und die Schwestern ein wenig wie aufgescheuchte Hühner herumliefen, aber womit das zusammenhing, wusste er nicht. Nun, zumindest bis er sich zu der Gruppe Studenten stellte, die an dem Bett eines jungen Mannes standen, der sich am vergangenen Tag bei der Arbeit im Sägewerk einen Finger abgeschnitten hatte. Kieran hatte ihn versorgt. Zielstrebig stellte er sich neben John, der kurz zu ihm blickte und grinste. „Du hast Blut an der Stirn“, sagte John trocken und blickte wieder zu Sullivan, der großspurig redete. Aber er redete gar nicht richtig zu den Studenten. „Was macht er?“, fragte Kieran seinen Freund und wirkte irritiert. „Er gibt schon seit einer Viertelstunde mit deinen Patienten an“, wisperte John. „Der König ist da, du Torfnase.“ Kieran begriff nicht ganz, doch dann sah er die Gruppe, die Sullivan gegenüber stand und erst jetzt begriff er, wer da stand. Doch sein Blick galt nicht unbedingt dem König, sondern vielmehr dem Mann, der neben diesem stand, lebendig und wahrhaftig.

Ihre Blicke trafen sich und Kieran konnte nicht anders, als zu lächeln. Dann fiel ihm wieder die Bemerkung von John ein und er rieb sich hastig die Stirn sauber. Offenbar hatte er sich beim Nähen mit blutigen Händen an die Stirn gelangt. „Ist es weg?“, fragte er an John gewandt, als er die mahnende Stimme von Dr. Sullivan hörte. „Mr. Carney!“, sagte dieser mit der gewohnt herablassenden Unterton, der Kieran teilweise nachts verfolgte. „Nun kommt Ihr schon zu spät und dann stört Ihr auch noch in Eurer ganz eigenen Dreistigkeit sogar die Visite, die der König beiwohnt. Ihr habt wirklich keinen Anstand.“ Kieran merkte, dass ihn das Gerede jetzt, da Dominico dabei war, wesentlich mehr ärgerte, als sonst, doch er blieb gelassen, streckte etwas herausfordernd das Kinn,. „Entschuldigt“, sagte er, „ich wollte nur erfahren, worüber gerade gesprochen worden ist, damit ich Euch besser folgen kann.“ Dr. Sullivan lächelte nachsichtig. „Dann tretet doch vor und zeigt dem König und Eurem Mentor Patient Nummer 326.“ Gemeint war ein junger Mann, der wegen einer Verletzung an der Wade eingeliefert worden war, und wegen dem er sich am vorherigen Tag mit Dr. Sullivan in die Haare gekommen war. Er war der Meinung, dass der Mann Anzeichen einer Blutvergiftung zeigte und dringend die Wunde gebrannt hätte werden müssen, während Dr. Sullivan eine einfache Wundversorgung anordnete und der arme Mann mit einem Verband zufriedenstellen wollte. Kieran trat mit einem „Wie Ihr wünscht.“ hervor, blickte zum König und verneigte sich leicht. „Mein König, es ist schön, Euch so wohlauf zu sehen“, sprach er diesen nun direkt an. Er nickte in Richtung Dominico, um auch seinen „Mentor“ zu begrüßen. „Wenn Ihr mir folgen wollt, so zeige ich Euch den Patient.“

Doch weiter kam er nicht, als eine Schwester zu ihnen trat, sich vor dem König in echter Manier verneigte und Kieran wieder einmal zeigte, dass er es wohl nicht ganz passend bewerkstelligt hatte. Er sollte sich wirklich einmal Benimmunterricht geben lassen. „Dr. Sullivan, ein junger Mann ist gerade mit einer Schnittverletzung eingeliefert worden. Wir bräuchten Eure Hilfe.“ Dr. Sullivan lächelte zufrieden. Die Gelegenheit, sich als toller Arzt zu beweisen, war genau jetzt gegeben. „Ich werde mich diesem Fall annehmen. Wenn Eure Majestät wünscht, so könnt ihr der Behandlung ja beiwohnen. Gerade in einer Schlacht sind solcherlei Situationen ja sehr häufig.“ Kieran war zunächst wieder vergessen, was diesem sehr recht war. Vor Dominico vorgeführt zu werden, war das letzte, was er wollte.

Und so ging der Trupp in Richtung Aufnahmestation, wo der Mann lag, der aus einer offenen Wunde am Oberschenkel blutete, die ihm ganz offensichtlich mit einem Schwert zugeführt worden war. Der Mann roch nach Stall und wirkte wie ein einfacher Bauer. Eigentlich mussten Ärzte ja einen Eid ablegen, alle Patienten gleich zu behandeln, aber Kieran hatte in den letzten Wochen genug mitbekommen, wie es wirklich lief. Dr Sullivan untersuchte die Wunde. „Sieht nicht sehr tief aus“, meinte er und wendete sich an die Studenten. Das Stichwort „nicht sehr tief“ verriet allen Anhängern, dass sie auf die Frage, wie behandelt werden sollte, mit „Bandagieren“ reagieren sollten. Doch Kieran hatte einen anderen Eindruck. Der Schnitt war zu lang und an einer ungünstigen Stelle, an der die Rundung des Oberschenkels beim Benutzen des Beines dafür sorgen würde, dass es sehr lange dauern würde, bis es wirklich zuheilt und beim Heilungsprozess jederzeit und immer wieder aufreißen würde, so dass eine fransige Narbe entstehen würde, wenn es der Patient ohne Blutvergiftung überhaupt schaffen würde. Und so war Kieran bis auf John, der sich grundsätzlich mit Prognosen zurückhielt, der einzige, der mit „Nähen“ antwortete. Dr. Sullivan schnaubte. „Mr. Carney, selbst vor dem König und dem Mentor schafft Ihr es noch immer das Gegenteil von dem zu sagen, was alle Studenten, die bereits wesentlich länger studieren. Unanhangig von den Ärzten, die diesen Beruf schon lange Jahre machen. Ich weiß nicht, Lord Sforza, ob das Geld, das ihr aufbringt, wirklich an der richtigen Stelle eingesetzt worden ist.“
 

Dominico

Nicos Suche nach Kieran war irgendwann abgelenkt worden durch die Wundversorgungen, die ihnen Dr. Sullivan vorstellte. Nun... ja, das sah jetzt alles recht gewöhnlich aus. Dass man Henry auch keinen halb aufgeschlitzten Menschen vor die Nase legte, war üblich, doch mit all den Dingen, die Dr. Sullivan sagte, konnte Henry ohnehin nichts anfangen. Ihm gefiel es viel mehr zu sehen, dass die Männer, die hier arbeiteten, offenbar wussten, was sie zu tun hatten, dass man ihm den nötigen Respekt erwies und dass Dr. Sullivan den Eindruck machte, alles unter Kontrolle zu haben. Henry merkte nichteinmal, dass ein weiterer Student den Saal betrat, weil er sich viel zu sehr auf die Wunde konzentrierte, von der er seine Augen kaum losreißen konnte. Einen Finger verlieren.. fasziniert verglich Henry die Hand mit der des Mannes vor ihm auf dem Bett. Die Wunde sah bereits sehr gut aus. Nico entdeckte Kieran allerdings und ihre Blicke trafen sich kurz - vor allem sah Nico das Blut auf Kierans Stirn. Oho, aus welchem Schlachthaus war der denn gekommen? Mit dem Ärmel der guten Robe !HALLELUJA! wischte Kieran das Blut ab. Nico hätte sich beinahe geräuspert, aber er schaffte es gerade noch, das Geräusch zu unterdrücken. Weil Kieran wohl hörbar schwatzte, wurde er von dem Arzt vorgebeten, den Nico längst als den Mann erkannt hatte, von dem Klagen über Kieran zu ihm gedrungen waren. Na da wollte man doch mal sehen, wie es jetzt weiter ging.

Es begann schon bei der Verbeugung vor Henry. Weil der zum Glück immer noch mit der Wunde beschäftigt war, merkte er kaum, dass Kierans Verbeugung mehr als dürftig ausfiel. Nico merkte es sehr wohl und konnte nicht umhin, ein wenig missbilligend die Stirn zu runzeln. Respekt vor allem anderen war ihm egal, doch wenn es um Henry ging, konnte das ganz schnell nach hinten losgehen. Benimmunterricht war mehr als dringend nötig, auch wenn Kieran noch nicht viel mehr gesagt hatte. Henry wollte sich ihm gerade zuwenden, als die junge Schwester zu ihnen trat, die einmal mehr Henrys Aufmerksamkeit von Kieran ablenkte. Henry mochte nun einmal schöne Frauen, und der Augenaufschlag der jungen Helferin war mehr als nur aufreizend. Obwohl sie die Robe einer frisch in den Orden eingetretenen Nonne trug, schien sie das Feuer der Leidenschaft gut zu kennen und das Blinken in Henrys Augen deutete an, dass er es sehr wohl gesehen hatte. Er bedeutete der Dame vorzugehen und schloss sich dann Dr. Sullivan an, der mit seinen Studenten folgte. Dieser Pulk hatte in der Aufnahme kaum Platz, doch der wurde schnell frei geräumt. Der arme stinkende Kerl auf der Pritsche wäre vor Scham fast im Boden versunken, als er den König erblickte, eine Schwester hatte ihm schnell noch den gröbsten Dreck von Gesicht und Händen gewaschen, sein Gesicht glänzte noch feucht vom Wasser... die arme Socke. Nico betrachtete den Schnitt. Mit Kriegsverletzungen kannten er und Charles sich wirklich aus, Henry weniger, weil er kaum damit zu tun hatte. Die Wunde SAH tatsächlich nicht besonders tief aus, doch die Stelle an der sie saß wurde bei jeder Bewegung stark beansprucht. Sie würde nie richtig zusammenwachsen, wenn man sie nicht nähte. Zumindest nicht schnell und schmerzfrei, und die Entzündungsgefahr war sehr hoch. Doch Bandagieren war genau das, was Dr. Sullivan vorschlug, und das, seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen nicht, weil es sinnvoll war, sondern weil dieser Mann in seinen Augen kaum eine bessere Behandlung verdiente. Schon jetzt warf Charles Nico einen fragenden Seitenblick zu, während Henry neugierig wie ein Kind einfach nur andächtig lauschte. Wie aus einem Chor tönte es kurz auf den Monolog des Arztes hin "Bandagieren" in den Raum.. nur Kieran musste natürlich "Nähen" herausposaunen.

Nico musste sich nichteinmal umdrehen, um zu wissen, wer das gesagt hatte, und Nico konnte nicht anders als breit zu grinsen, während Charles die Augenbrauen hochzog. Auch in Henrys Gesicht zeigte sich eindeutig Überraschung über den jungen Mann in offenbar teurer Robe, der, zumindest schien es so, als einziger daneben gelegen hatte. Doch bevor Henry noch fragen konnte - der Kierans Gesicht aus Camebridge längst nicht mehr wieder erkannte - denunzierte Dr. Sullivan Kieran bereits vor dem König und Nico. Im Grunde war das noch kein Anlass zu reagieren, doch als Dr. Sullivan so offensichtlich seine Investition in Frage stellte, MUSSTE Nico reagieren, denn jetzt sah ihn auch Henry fragend und belustigt zugleich an. Nico sah den Mann an, der noch immer feuerrot auf der Pritsche lag, inzwischen halb saß und versuchte sich unsichtbar zu machen.

Nico trat auf ihn zu und beugte sich über die Wunde, aus der noch immer Blut sickerte. Ohne auf den Arzt einzugehen wandte Nico sich an Henry. Wenn der Arzt beleidigen konnte, konnte Nico das auch. "Eure Hoheit, wir sind hier hergekommen, um uns zu vergewissern, dass unsere Verwundeten im Krieg gut versorgt werden, nicht wahr?"

"Ihr wisst wieso wir hier sind, worauf wollt ihr hinaus Dominico?" Nico seinerseits klopfte dem Mann auf die Schulter, der dort lag und darauf wartete, dass die Erde sich auftat, um ihn zu verschlingen. "Dieser Bursche hier - macht er für euch nicht den Eindruck eines schwer arbeitenden jungen Mannes? Sein Arm scheint mir gut trainiert für ein Schwert und seine Schultern kennen harte Arbeit. Mit diesen Männern, Mylord, werdet ihr den Krieg führen und ich bin sicher dieser Mann würde sein Leben für seinen König im Feld geben, das würdet ihr doch, oder?" Nicos Tonfall ließ keine andere Antwort zu, aber dennoch nickte der Mann wie besessen. "Natürlich würde ich das, eure Hoheit!" Er verschluckte sich fast daran.

"Jaja, das ist sicher so.. aber was wollt ihr damit sagen?" Henry wurde scheinbar ungeduldig, die hübsche Schwester war nämlich gegangen.

"Nun, lasst es mich euch vielleicht besser ZEIGEN." Nico löste vor den Studenten, Charles und Henry, der inzwischen wirklich vor Lachen gluckste, den Bund seiner Hose, die ihm bis zu den Knien von den Schenkeln rutschte. Dass er damit halb nackt war, störte Nico wenig. Stattdessen deutete er mit dem Finger auf die lange Narbe an seinem Oberschenkel, die nicht unbedingt schön geworden war. Sie saß ungefähr an der gleichen Stelle. "Ihr wisst, Mylord, dass ich nicht umsonst für euch das Schwert ins Feld geführt habe. DIese Wunde hier wurde mir von einem Speer beigebracht am ersten Tag der Schlacht. Trotz ihrer zerfransten Wundränder MUSSTE sie genäht werden, Dr. Sullivan, und wisst ihr auch warum?" Seine Stimme wurde schneidender. "Weil ich ohne diese Naht nicht am zweiten Tag wieder hätte auf das Pferd steigen und für mein Land hätte kämpfen können. Also sagt mir doch bitte, Dr. Sullivan, warum ihr diesem Mann, der eines Tages Soldat seiner Majestät sein wird und für das Brot auf eurem Tisch den ganzen Tag lang schuftet, nur einen Verband anlegen wollt, der ihn wochenlang an das Bett fesseln wird?"

Nico war unabsichtlich lauter geworden. Er war durchaus ein wenig angefressen wegen dieser offensichtlichen Beleidigung gegen seine Person, doch inzwischen war es wirklich still in der Aufnahme geworden und Henrys Lachen verstummte. Stattdessen wandte der König sich nun wieder an Dr. Sullivan, der in der dunklen Robe sichtlich blass geworden war. "Eure Majestät", setzte Nico nach, "wie geht es eurem Bein?"

"Hervorr-" Jetzt fiel auch bei Henry der Groschen, der Kieran neben Dr. Sulivan während Nicos Monolog deutlicher in Augenschein genommen hatte. Henry war ja nicht dumm, er sah nur gern über Dinge hinweg, wenn sie ihm in Anbetracht eines anderen Reizes unwichtig erschienen. Jetzt jedoch war die Sache ganz und gar nicht mehr unwichtig und der König nahm unweigerlich Haltung an, während Nico sich die Hose wieder in Position zog.

"Dr. Sullivan, die Herren Brandon und Sforza sind die besten der besten, die für mich mein Schwert in Kämpfe tragen, in die ich selbst nicht ziehen kann. Ich vertraue ihrem Urteil, denn sie kennen diese Verletzungen wesentlich besser als ich selbst. Wieso nur gewinne ich den Eindruck, es ist die Herkunft dieses kräftigen Burschen, die euch davon abhält, diese Wunde zu nähen? Was, wenn es nicht er wäre, sondern ich der dort läge, was dann?"

Jetzt war Sullivan eindeutlig kreidebleich, zwang sich jedoch stotternd zum antworten. "I-ich w-würde euch nä-ähen, eure M-Majestät."

Henry schnaubte. "Dann werdet Ihr diesen Mann auch nähen und alle anderen mit ähnlichen Verletzungen ebenfalls! Ich will nicht einen einzigen Mann hier sehen, dessen Wunde nicht vernäht und anständig behandelt wird, denn wenn meine Soldaten schwer verwundet hierherkommen, dann sollt Ihr gefälligst wissen, wie man Nadel unf Faden benutzt! Ihr werdet es jetzt tun und Ihr werdet es selbst tun! Und Lord Sforza, dessen Investition wohl die einzig sinnvolle hier in diesem Raum ist, wird so lange bleiben bis Ihr den letzten Stich gesetzt habt, habt Ihr mich verstanden?" Sullivan nickte.

In Fällen wie diesen liebte Nico Henrys so aufbrausendes Gemüt. Auf dem Absatz machte der König kehrt und Charles beeilte sich, schulterzuckend ihm zu folgen, während Nico zurückblieb und dem Bauern auf die Schulter klopfte. "Bitte Dr. Sullivan - euer Patient."
 

Kieran

Kierans Augen glommen vor Wut, als Sullivan Nico vorwarf, in ihm fehlinvestiert zu haben. Seine Hände ballten sich zu Fäusten und am liebsten wäre er dem anderen an die Gurgel gesprungen, doch die Hand von John legte sich ihm auf den Rücken und mahnte ihn zur Ruhe. Er bemühte sich, ruhig zu atmen und über die Provokation hinwegzusehen. Sonst schaffte er das gut, aber in Nicos Anwesenheit? Der Mann schaffte es einfach, ihm jegliche Ruhe zu rauben.

Doch nun reagierte Nico. Kieran war klar, dass er das nicht einfach so auf sich sitzen lassen konnte. Als Nico zu reden begann, entspannte sich Kieran nach und nach, und versuchte angestrengt, nicht zu grinsen. Der arme Bauer schien gar nicht recht zu wissen, wie ihm geschah, als Nico ihm die Worte in den Mund legte, jederzeit für den König in den Krieg ziehen zu wollen. Kieran tat der Mann leid. Er hatte Schmerzen, verlor Blut und hier wurde nur diskutiert... Doch Nico brachte mit seinen Worten zum Aussruck, dass jeder Mensch wichtig war, für ihren König und ihr Land. Und dass jeder die beste Versorgung verdient hatte. Es starben eh viel zu viele Menschen wegen Lappalien. Sullivan begriff das natürlich nicht. Und was nun folgte, ließ Kieran Nico ungläubig ansehen. Nico entledigte sich seiner Hose und zeigte die Narbe am Oberschenkel, die größte Narbe, die der andere hatte wie Kieran wusste. Ja, die Verletzungen waren wohl ähnlich, vermutlich aber eine andere Waffe, die Nico den Oberschenkel aufgerissen hatte. Kieran wusste nicht, wo er hinsehen sollte. Ein Raunen ging durch die Studentenschaft und irgendwie packte ihn das Bedürfnis, allen Anwesenden die Augen zuzuhalten. Das war SEIN Dominico, zumindest wenn er zugegen war - wie er fand. Gleichzeitig löste der Anblick Erinnerungen aus, kostbare, geheiligte Erinnerungen. Und hatte er erst noch Grinsen müssen, erstarb es mit den Worten des anderen, bis er wegsah, um dieses doch eigentlich so gut unterdrückte Gefühl der Sehnsucht nicht hochkommen zu lassen.

Als Nico mit der Erzählung und der darin enthaltenen Anklage endete, herrschte Schweigen. Niemand rührte sich, jeder sah Sullivans Unsicherheit.

Und dann kam eine Frage, mit der Kieran endgültig nicht gerechnet hätte. Überrascht sah er wieder auf und dann zum König. Jener hatte ihm vorhin keine wirkliche Beachtung geschenkt und ihn wohl nicht erkannt, was ihn auch nicht wunderte und was er nicht erwartet hatte. Doch als sich ihre Blicke nun trafen, sah er den Lichtschein der Erkenntnis in den Augen des Königs. Kieran merkte, wie ihm Röte ins Gesicht stieg. Die Situation war ihm denkbar unangenehm, auch wenn es letztlich seine Position festigen würde.

Und nun trat Henry auf den Plan, führte Sullivan und auch den anderen Studenten vor Augen, was Nico eingeleitet hatte. Und allein dafür hätte Kieran Dominico am liebsten umarmt - und geküsst.

Kieran war zwar klar, dass Sullivan sich nun hüten würde, seine Anwesenheit hier in Frage zu stellen, sicher aber nicht aufhören würde, ihn zu traktieren. Aber das war ihm in diesem Moment völlig egal. Viel zu sehr genoss er, dass Sullivan vom König selbst zurecht und in seine Schranken verwiesen worden war.

Jener machte sich daran, von den Schwestern entsprechend Nadel und Faden zu erhalten, als die Glocken zur vollen Stunde läuteten. Die Studenten wurden unruhig bis Sullivan sie anwies, zu ihren Patienten zu gehen und die Visite noch abzuschließen, bevor es zu den Vorlesungen ging. Und so löste sich der Pulk an Studenten und Kieran nutze die Gelegenheit an Dominico heranzutreten. "Mylord Sforza", sagte er leise. Er wusste, dass Sullivan lauschen würde. "Mir ist bewusst, dass meine Unerfahrenheit bei Hofe mir immer wieder angekreidet wird. Ich möchte nicht, dass sich noch mehr Dozenten und Mitarbeiter daran stoßen und ich euch damit Sorgen machen. Wäre es möglich, dass Ihr mir da etwas unter die Arme greifen könntet? Oder jemand anderes, Ihr werdet sicher kaum Zeit dafür haben." Es war beklemmend dem anderen so nah gegenüber zu stehen und sich noch in diesem Ton mit ihm zu reden. Er hatte diesen Mann schon geküsst, ihn nackt gesehen, in höchster Lust bebend gespürt. Und jetzt? Diese Distanz zu wahren war schwer für ihn, aber es musste sein, es gab keine andere Möglichkeit. Dennoch wendete er den Blick ab, hin zu Sullivan, der sichtlich Probleme hatte, die Hand ruhig zu halten, so zitterte er. Kierans Blick wurde besorgt. Wenn Sullivan so versuchen würde zu nähen, könnte er es gleich sein lassen. Das wäre eine Tortur für den Bauern. Aber er konnte dazu auch nichts sagen, ohne sich den immerwährenden Hass Sullivans zuzuziehen.
 

Dominico

Es waren seinerzeit Menschen wie Sullivan gewesen, die Nico das Leben in England massiv erschwert hatten. Und er hasste sie dafür, auch wenn Sullivan nur ein Beispiel und nicht der Hauptgrund war. Doch diesem Mann in den Hintern zu treten, vor Henry und vor allem vor Kieran, hatte mehr als gut getan und Nico ließ den Doktor nicht aus den Augen während der sich setzte um die Wunde zu nähen. Zwei Schwestern waren schon dabei gewesen, sie ordnungsgemäß zu säubern... allerdings sah Sullivan gerade nicht mehr so aus, als könne er in guter Verfassung nähen.. naja.

beobachtet von all seinen Studenten, die gerade Zeuge geworden waren, wie ihr Dozent so denunziert worden war, war ja auch keine leichte Sache für Sullivans Ego. Deswegen war er wohl ebenfalls ziemlich erleichtert, als er sie fortschicken konnte, auch wenn ihm wohl am wenigsten gefiel, dass Kieran bei seinem Sponsor stehen blieb. Nico rutschte das Herz in die gerade erst wieder angezogene Hose, denn er hoffte inständig, dass Kieran auch hier die Form wahrte, selbst wenn sie leise miteinander sprachen. Vom Hof herauf klang Hufgetrappel und deutete an, dass Henry mit Charles gerade das Spital verließ und Nico entspannte sich etwas, da die unmittelbare Nähe zum König jetzt fehlte. Er beugte sich ein wenig zu Kieran, um ihn in der geschäftigen Aufnahme besser zu verstehen, auch wenn Sullivan gerade Ohren wie ein Elefant haben mochte... Der wollte sicher alles aufsaugen, was er jetzt erst recht gegen Kieran verwenden konnte, auch wenn er dabei sehr vorsichtig sein musste.

"In der Tat könnten eure Umgangsformen wesentlich besser sein...", gab Nico zurück, zum einen weil es stimmte, und zum anderen, weil er Sullivan nicht das Gefühl geben wollte, er verhätschelte Kieran. Das schliff ja bekanntermaßen nicht den Charakter. "Mrs. Barham ist zur Zeit in London und heute Nachmittag wird sie bei mir zu Gast sein." Er sagte den Namen absichtlich laut - die Matrone war gefürchtet für ihre Perfektion in höfischen Umgangsformen und ihre Strenge, mit der sie diese den Kindern, die bei ihr unterrichtet wurden, durchsetzte. "Sie wird im nächsten Frühsommer meine Kinder unterrichten, wenn meine Frau mit ihnen wieder nach London kommt." Eigentlich wollte er daran gar nicht denken, doch es erschien ihm sinnvoll das einzuwerfen, falls sich woher auch immer bereits erneut Gerüchte gestreut hatten. "Kommt heute Nachmittag zu mir, Mr. Forbes wird auf Euch verzichten müssen. Wir werden einen Termin finden, an dem auch Ihr bei ihr ihren hervorragenden Unterricht besuchen könnt." Das schien Sullivan nun doch ein verhaltenes Grinsen zu entlocken. 'Wenn du nur wüsstest du dämlicher Bastard, was ich stattdessen mit ihm anstellen werde... also vielleicht...' setzte Nico in Gedanken dazu.

Dennoch hatte Sullivans Zittern nochimmer nicht nachgelassen und Nico verdrehte genervt die Augen. "Sehe ich es richtig, Dr. Sullivan, dass Eure Ohren zur Zeit mehr Eurer Konzentration beanspruchen, als Eure Hände? Steht auf und lasst Mr. Carney diese Arbeit verrichten, der ganz offensichtlich mehr Erfahrung darin hat, als Ihr und dank dem der König selbst wieder auf beiden Beinen laufen kann. Soweit ich weiß, hattet ihr bisher noch nicht die Ehre, von seiner Majestät zu Rate gezogen zu werden und wenn ihr meine Geduld weiterhin so strapaziert, dann wird es auch niemals so weit kommen!" Nico war niemand, der gern seine Macht ausnutzte, doch in Situationen wie diesen, liebte er es. Sullivan errötete bis unter den Hut, den er trug, stand auf, die Zähne fest zusammengebissen, verneigte sich und stürmte dann aus dem Saal. Nico schnaubte und schüttelte missbilligend den Kopf, während die Schwestern mit einer Mischung aus Ehrfurcht und Sorge um ihren Patienten darauf warteten, dass Kieran sich kümmerte. Nico beugte sich noch einmal zu ihm hinüber, so nah dass niemand hören konnte, was er ihm sagte. "Ich hoffe, deine Hände zittern nicht so sehr, nachdem du meine nackten Schenkel betrachten musstest..." Mit einem freundlichen Lächeln und dem üblichen Pokerface verließ nun auch Nico die Aufnahme, um zurück zum Palast zu reiten und Henry zu suchen... auch wenn er glaubte, den heute nicht mehr wieder zu sehen.
 

Kieran

Dass Dominico ihn hinsichtlich seiner Umgangsformen deutlich ermahnen musste, das war Kieran klar. Aber es kränkte ihn nicht, schließlich war das alles hier ein Theaterspiel und Dominco wusste ja, dass er sich redlich bemühte, den Anforderungen gerecht zu werden. Und sicher würde dieser auch sein Gesuch als positiv werten. Er wollte sich bemühen, er wollte alles machen, um Dominico zum einen keine Schande zu bereiten, zum anderen, um irgendwann in dieser Liga mitspielen zu können. Er wollte doch wenigstens demjenigen nahe sein, dem er sich so sehr verbunden fühlte, auch wenn sie nie „eins“ werden würden.

Es verwirrte ihn dann doch etwas, als Nico ihm erklärte, dass eine gewisse Frau Braham bei ihm an diesem Nachmittag sei, aber er ließ es sich nicht anmerken. Offenbar gab es in diesen Kreisen Leute, die andere dazu erzogen, in diesen Kreisen verkehren zu können. Na gut. Wenn ihm das half, würde er es machen, auch wenn er die Hoffnung, dadurch etwas Zeit mit Dominico verbringen zu dürfen, schwand. Aber es ging ja hier auch wirklich nicht darum, mit Dominico Zeit zu verbringen… Zumindest nicht hauptsächlich.

Viel irritierender fand er außerdem die Aussage, dass Nicos Familie im nächsten Frühsommer in die Stadt kommen würde. Kieran nickte und wunderte sich, warum Nico ihm das erzählte. Wollte er ihn kränken? Das konnte er sich irgendwie nicht vorstellen. Oder bereitete er ihn einfach schon mal darauf vor, dann einfach gar nicht mehr für ihn verfügbar zu sein, auch nicht per Nachricht? Dass er das sagte, um es ins Gespräch bei anderen zu bringen, das begriff er in diesem Moment nicht. „Wie Ihr wünscht“, sagte er etwas tonlos und nickte, etwas abgelenkt auch durch Dr. Sullivan, der gleich den größten Fauxpas seines Lebens machen würde, wenn er nicht aufpasste.

Und offenbar hatte auch Dominico bemerkt, dass der Arzt lieber keine Nadel in die Hand nahm, denn dieser ging nun zu jenem hinüber und wies ihn an, die Naht Kieran zu überlassen.

War das jetzt gut, oder schlecht für ihn? Zumal Nico Sullivan nun auch zu verstehen gab, dass Kieran beim König bereits helfen konnte und ihn letztlich dadurch degradierte in seiner Stellung. Kieran wusste nicht, ob er sich wirklich freuen sollte, dass Nico so Partei für ihn ergriff, aber es machte ihn doch auch irgendwie glücklich. Sullivan sah Kieran nicht mehr an, sondern verließ den Raum.

Gerade als Kieran sich umwenden wollte, um sich endlich dem armen Mann zuzuwenden, trat jedoch Nico noch einmal zu ihm heran, um ihm ins Ohr zu flüstern. Kieran biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe, um das Grinsen zu verkneifen. „Ich werde mich bemühen, nicht die Fassung zu verlieren“, antwortete er trocken und blickte dem anderen nicht hinterher, als dieser ging. Innerlich schüttelte er den Kopf und musste lachen. Diese Anspielungen, diese kleinen Sticheleien in diese Richtung, traute er sich gar nicht so recht. Schließlich war es doch Dominico, der sich gegen eine „Beziehung“ entschieden hatte. Und doch kamen sie immer und immer wieder, auch in den Briefen. Kieran liebte diese Wortspielereien, aber gleichzeitig machten sie es ihm auch unmöglich, Dominico sich auf lange Sicht aus dem Kopf zu schlagen. Noch wollte er das nicht. Aber wenn er so weitermachte, würde er das nie können. Und einsam zu sterben, war auch irgendwie nicht das, was er sich für sich erhofft hatte.

„Ich bin Kieran“, begrüßt er nun den Bauern, „ich werde mich um dich kümmern.“ Dann machte er sich mit der Hilfe der Schwester daran, die Wunde so gut wie nur irgendwie möglich zu versorgen.

London - Benimmunterricht

Dominico

Nico wollte nur in allen Dingen sicher gehen, vor allem dann, wenn er Kieran in sein Haus einlud. Da sollte bloß niemand an Vorteilsnahme oder was auch immer denken, schlimm genug, dass bereits in Kierans Familie die Gerüchte darüber brodelten. Wie erwartet war Henry unabkömmlich, als Nico wieder am Palast ankam und Charles berichtete, dass der König in zwei Tagen eine weitere Besprechung wegen seiner bevorstehenden Kriegshandlungen anberaumt hatte. Die beiden Männer plauderten noch eine Weile, ehe Nico sich anschickte, nach Huase zu reiten. Gemeinsam mit Amadeo, mit dem er noch einige Besorgungen in der Stadt zu machen hatte, ritt er alsbald recht beladen zum Anwesen der Familie zurück. Sie hatten Stoffe und zwei neue Sättel gekauft, die jetzt alle das einzelne geliehene Packpferd schleppen musste. Dafür durfte es auf einer der grünen Weiden der Sforzafamilie grasen und Nico schickte seinen Tierarzt, um es zu versorgen. Es war eine seiner Marotten, doch er wurde sie nicht los. Die Pferde in der Stadt waren meistens schlecht versorgt und er lieh sich gerne immer die, die schon ziemlich fertig aussahen. Einfach weil er sie dann gut wieder aufpäppeln konnte und damit den Verleihern auch einen Gefallen tat, oder die Tiere sogar kaufte, um sie auf seinen Ländereien als Arbeitstiere einzusetzen, wo es ihnen wesentlich besser ging. Er hatte gerade noch Zeit sich frisch zu machen, ehe Mrs. Barham auch schon vorfuhr. Sie stieg formvollendet aus der Kutsche, stolperte und schwankte nicht und war wie immer perfekt gekleidet. Das Korsett saß an ihrem Körper mittleren Alters nicht zu eng, es war hochgeschlossen und daher auch nicht besonders anzüglich. Ihre Frisur war schlicht aber eindrucksvoll und sie war nicht überschminkt sondern natürlich. Dennoch hatte sie etwas Unnahbares, Strenges an sich, das Nico eigentlich nicht mochte - doch als Anstandsdame war sie einfach nur perfekt geeignet und Nico empfing sie bei Gebäck und einem Glas Wein. Sie aß kaum und nippte nur an dem Wein, beherrschte die Kunst der Konversation perfekt und Nico gab sich größte Mühe, selbst genau so perfekt zu sein. Es gelang ihm seiner Meinung nach sogar ganz gut und als sie sich verabschiedeten, wirkte Mrs. Barham recht zufrieden mit dem Vertrag, den sie für Nicos Kinder geschlossen hatten.

Als die Dame gerade wiede formvollendet in die Kutsche einstieg, kam Kieran gerade an und stieg weit weniger elegant vom Pferd. Bei der Abfahrt neigte Mrs. Barham den Kopf leicht vor Kieran, genau so weit, wie es richtig war. So als habe sie eine innere Anzeige, die ihr genau ansagte, wie weit sie das bei wem musste. Bei Kieran war es kaum mehr als ein höfliches Nicken zum Zeichen, dass sie ihn zur Kenntnis genommen hatte.

Nico grinste, als sie außer Sicht war und Kieran ankam. "Du bist zu spät, sie ist bereits gegangen", meinte er und bemühte sich um einen ernsten Tonfall, konnte allerdings das Grinsen kaum verbergen. "Naja, nein eigentlich glaube ich, bei deinem Betragen muss erstmal meine Schule reichen, bevor ich dich ihr aussetze. Immerhin sollst du noch nähen können und so oft wie sie dir mit ihrem Fächer auf die Hände und hinter die Ohren klatschen müsste, weil du Fehler machst, könntest du das dann wohl kaum noch."

Er trat von der Tür zurück, so dass Kieran eintreten konnte und Nico folgte ihm hinein, ehe er voran in einen Wintergarten spazierte. Die Fenster waren jetzt geöffnet worden und man konnte die Pferde auf der Weide beobachten, die inmitten der Blumen und Hecken friedlich grasten. Einer der Stallburschen brachte Niamh gerade auf ein eigenes abgetrenntes Grasstück, wo die Stute sich direkt über das frische Grün hermachte und sichtlich die Sonne genoss. "Also was ist es, woran sich deine Lehrer stoßen?"

Dass er ihn wieder duzte, war für Nico normal. Er hatte keine Ambitionen wieder in das Ihr/Euer/Euch zurück zu fallen, in dem sie sonst immer waren... das war ihm wirklich zu blöd.
 

Kieran

Kieran stieg eigentlich immer recht schwungvoll vom Pferd, mal hintenrum, mal schwang er das rechte Bein über den Pferdehals und rutschte an der Seite hinab. Früher hatte er Kunststücke zu Pferd zum Besten gegeben und manchmal erwischte er sich bei der Spielerei damit. Er maß dem keine Bedeutung zu, schließlich wollte er ja nur absitzen. Diesmal war es der Abgang hintenrum gewesen und während er auf das Haus zulief, um zu Dominico zu gehen, kam ihm jene so zugeschnürte Dame entgegen. Genau so hatte er sich eine Erziehungshelferin vorgestellt. Er lächelte sie an und nickte genau wie sie, dann trat er auf Nico zu, der ihn mit einem leichten Ginsen im Gesicht begrüßte.

Dass er zu spät war, ließ ihn verärgert schnauben. "Schneller ging nicht", stellte er fest und lächelte den anderen an. Es tat gut, endlich wieder geduzt zu werden. Dieses ewige Ihr und Euch war echt nervenraubend!! Als Dominico dann fortfuhr, hob Kieran die Augenbrauen. "Wenn sie mir mit dem Fächer Anstand beibringen will, womit habe ich dann bei dir zu rechnen?", fragte er mit einem Hauch Skepsis in der Stimme. "Nur damit ich weiß, worauf ich mich da eingelassen habe..."
 

Er folgte Dominico in das Haus und sah sich etwas um. Es war schön und gepflegt, einladend und irgendwie unheimlich beruhigend. Er folgte Nico in den Wintergarten, der ihn sogleich sich etwas entspannen ließ. Zu sehen, wie Niamh auf das Paddock gelassen wurde und wie diese sich darüber freute, ließ ihn lächeln. "Das vermisst sie in London doch sehr. Ich muss sie wirklich zu meinen Eltern bringen, auch wenn ICH sie dann schrecklich vermissen werde. Aber in London fühlt sie sich auf Dauer nicht wohl."

Als Dominico ihn fragte, woran sich seine Lehrer stießen, wendete er den Blick wieder ab und sah den anderen an. Er seufzte, bevor er begann zu erzählen. "Es sind verschiedene Dinge. Angefangen wohl von meiner Wortwahl, die offenbar nicht den Normen des Hofes entsprechen, über den Umstand, dass ich diese ganzen Gesten nicht kenne, wann wie wer sich wie zu verneigen hatte, bis hin zu dem Umstand, dass ich einfach gerne sage, was ich denke, und dass das wohl nicht immer erwünscht ist. Ich versuche ja schon, meine Gedanken bei entsprechenden Dozenten so zu formulieren, dass diese das Gefühl haben, es selbr gesagt zu haben. Aber es ärgert mich, ihnen meinen Ruhm abzutreten. Und wenn jemand etwas falsch macht, oder ich eben eine andere Idee habe, warum darf ich das dann nicht sagen?" Ja, es war vor allem dieser Maulkorb, der ihn nervte. "Sullivan hat mich gefressen, weil ich ihn nicht anbete, sondern ihm zeige, dass er wohl nicht so perfekt ist, wie er tut. Der hat heute doch tatsächlich nur meine Patienten vorgestellt und so getan, als ob er das alles gemacht hätte! Naja, egal. Dr Chambers ist da sehr geduldig mit mir und weißt mich dezent auf gewisse Dinge hin. Aber ich habe dennoch das Gefühl, dass ich mich wie ein Schlachtross am Töpferstand verhalte, obwohl ich echt versuche, mich da einzufügen." Er zuckte mit den Schultern. "Es war halt nie meine Welt, bis ich dich getroffen habe, hatte ich mit dieser Gesellschaftschicht nichts zu tun, außer, wenn sie mir ein paar Münzen in den Hut warfen. Aber ich will das lernen und bestehen. Sonst..." Ja, sonst würde er Dominico nie ein Stückchen näher rücken.
 

Dominico

"Glaube mir, ich werde mir zur Not auch etwas einfallen lassen, mit dem ich dich bestrafen kann, wenn du's so besser verstehst", meinte er feixend, während sie noch Niamh betrachteten. "Du kannst die Stute auch gern hier lassen. Das ist nicht ganz so weit wie Tottenham und es wird ihr hier hervorragend gehen. Wenn du deinen Eltern ein Arbeitspferd geben willst, bringst du ihnen eines von meinen. Ich habe ohnehin wieder viel zu viele aus den Ställen in der Stadt mitgenommen." Er musste sich da schon etwas zügeln, alle konnte er ja nicht wirklich versorgen und das war dann nicht schlecht, wenn Kieran seinen Eltern das ein oder andere Pferd mitbrachte, dann wusste Nico es wenigstens gut versorgt.

Er setzte sich auf einen der bequemen Sessel und ein Hausmädchen brachte ihnen Wein. Sie war Italienerin, so wie beinahe alle Angestellten am Hof, und sprach nur wenig Englisch. Es hatte seine Vorteile, wie Nico fand, denn so konnten lauscher kaum etwas mitbekommen - und die gab es viel zu häufig. Deswegen achtete Nico auch peinlichst darauf, dass seine Angestellten kein Interesse daran bekamen, Englisch zu lernen, doch er hatte relatives Glück, denn seine Angestellten fanden die englische Lebensweise allesamt ermüdend und steif, weswegen sie sich absichtlich davon distanzierten. Amadeo war eine Ausnahme, doch ihm vertraute Nico auch vollkommen.

Und es war auch genau diese steife Art am Hof, die Kieran ganz offensichtlich Probleme bereitete, die ihn anecken ließ - nicht nur bei Dr. Sullivan, sondern auch bei anderen Dozenten. Nico musste unweigerlich lächeln, es war beinahe niedlich, wie Kieran sich darum sorgte... und wie er sich bemühte. Aber ohne eine entsprechende Hilfestellung war es kaum möglich. "Gut, England ist wirklich sehr steif, was seine Umgangsformen angeht. In Italien gibt's die zwar auch, aber England? Puh... es war wirklich schwer, sich am Anfang einzufügen, aber das Protokoll ist simpel, wenn man es mal verstanden hat. Ich als Ausländer hatte am Anfang beinahe Narrenfreiheit, das hat ein bisschen geholfen, du hast die nicht."

Nico hatte sich auf dem Sessel bequem ausgestreckt, wie Kieran auch. "Und so wie du es aussprichst, klingt es fast als sei ich Schuld an der ganzen Misere. Ist das so? Nun, wenn du es wenigstens lernen willst, dann ist der erste Schritt ja schon gemacht. Und auch wenn du dann sicher langweiliger wirst, zumindest was offizielle Anlässe angeht, so sorgst du nicht mehr so oft für Kopfschütteln, also fangen wir mal an..."

Nico suchte nach einem geeigneten Anfang und entschied sich für die Anreden. "Du weißt, dass man den König mit "eure Majestät" anspricht. Und zwar sobald du ihn triffst und sobald du gehst. Winkt er dich zu sich heran oder trittst du vor ihn oder geht er an dir vorbei, sagst du nicht mehr als "Eure Majestät". Er wird es im Zweifel immer ignorieren, doch bevor du irgendetwas sagst, sagst du nur diese zwei Worte. Fordert er dich danach zum Sprechen auf, benutzt du einfache kurze und klare Sätze. Der König ist nicht dumm, aber Fachbegriffe kennt er nicht immer. Er wird niemals nachfragen, wenn er etwas nicht versteht, aber es wird ihn trotzdem bloßstellen. Also musst du alles so ausdrücken, dass er es versteht und dass er es gut versteht. Langsam, ruhig, deutlich, einfach und ohne ihm dabei in die Augen zu sehen. Entlässt er dich, verneigst du dich erneut und gehst einige Schritte rückwärts, ehe du dich mit einem letzten "eure Majestät" umwendest und den Raum verlässt - so viel zum König und ich glaube, das ist eines der einfacheren Dinge." Er grinste, weil er sich denken konnte, dass dieses Affentheater für Kieran keinen Sinn ergab. "Vor Damen egal welchen Ranges neigst du den Kopf leicht zur Seite und grüßt mit "Mylady". Kennst du ihren Nachnamen setzt du den dazu. Die Königin ist dabei entweder Mylady oder "Meine Königin". Vorsicht bei Anne, solltest du ihre jemals begegnen. Nenn sie am besten Mylady Boleyn, da machst du nichts falsch. Bei Damen des Hochadels verbeugst du dich ebenfalls, allerdings nicht so tief wie beim König, bei allen anderen reicht ein schiefes Nicken zum Zeichen der Ehrerbietung." Er machte das Nicken in seinem schiefen Sitzen vor, um Kieran ungefähr zu zeigen, was er meinte.

"Und bei allen anderen Männern..." Er wedelte mit dem Zeigefinger "...kommt es auf deine persönliche Beziehung zu ihnen an. Und das heißt nicht, dass du mir ein "Nico" über den Flur zubrüllst..." Er grinste erneut. "Also: mein Bruder, der Kardinal, wird mit "Eure Eminenz" angesprochen, im Gegensatz zum Papst, der wäre "Eure Heiligkeit". Kennst du die Abstufung der Adelsgeschlechter? Ich denke mal nicht also.. es gibt den König. Darauf folgt der Duke, wie zum Beispiel Charles Brandon, Duke of Suffolk oder meiner Wenigkeit, Duce de Segni e di Onano." Im Italienischen klang es wesentlich schöner. "Der König erkennt meinen Adelsstand an, auch wenn er nicht aus seinem Land kommt - das müsste er nicht, tut es aber trotzdem. Gut, dann folgt der Earl, der Viscount, der Baron, der Ritter - und seit neustem auch der Titel des Schildknappen, des Esquire. Durch deine Aufnahme in die Familie von Mr. Forbes, zumindest mehr oder weniger, wärest du wohl soetwas wie ein Patrizier, allerdings gibt es dafür in England keinen Titel - nun, du bist schlicht und ergreifend ohne Adelsrang. Es macht im Grunde menschlich keinen Unterschied, aber selbst wenn du einmal wirklich Arzt wirst und an der gehobenen Gesellschaft praktizieren darfst, bedeutet das immer noch, dass du im Rang unter allen anderen stehen wirst, selbst wenn man dich Doktor nennt. Ich bin sicher, John Chambers ist deswegen so nachsichtig mit dir, weil es genau der Werdegang ist, den er hinter sich hat."

Nico richtete sich wieder etwas mehr auf. "Es ist also nicht unbedingt das Wissen, wie du zu grüßen hast, das dir fehlt, sondern eher das Wissen über dein Gegenüber. Wenn du weißt, welchen Rang dein Gegenüber hat, dann kannst du dich dementsprechend verhalten. Meistens erkennt man es an der Kleidung, aber bei Dr. Sullivan ist das wohl nicht der Fall oder bei deinen anderen Dozenten. An der Uni ist es ohnehin nochmal anders: Dort erweist du jedem Dozenten die Ehrerbietung, die du deinem Vater, wäre er denn von Adel, zukommen lassen würdest. Du verneigst dich also, nicht zu tief! Nur soweit, bis du merkst, dass Gewicht auf deine Fußballen kommt, um die Schwerpunktverlagerung deines Oberkörpers abzufangen. Den Kopf kannst du dabei leicht zur Seite drehen, mehr nicht. Ich nehme an, ihr sprecht eure Dozenten entweder mit "Eure Magnifizenz" oder "Honorabilis" an. Im Falle von Dr. Sullivan ist es wohl letzteres.

Bei ihm kann ich dir nur empfehlen es IMMER zu tun, selbst wenn er gerade dabei ist zu reden, auch wenn es bedeutet, dass du ihn unterbrichst. Es ist besser seine Ehrerbietung zu zeigen anstatt es zu versäumen, es wird ihm positiv auffallen. Zudem WAS du dann sagst... nun, da gilt wohl das Gleiche wie beim König: Einfach, klar, logisch. Argumentiere nicht zu viel, diskutiere nie, auch wenn dir danach ist. Du wirst sehen, je klarer und deutlicher deine Aussagen werden, ohne Diskussionen nach so zu ziehen, desto eher werden deine Dozenten nachfragen und selbst die Diskussion in Gang bringen. Aber es sind nun mal Männer entweder mit Erfahrung oder Einfluss und du musst Rücksicht auf sie nehmen, auch wenns dir nicht gefällt. Sage lieber zu wenig, als zu viel, und im Fall von heute: es wäre besser gewesen, hättest du dich gemeldet und Dr. Sullivan gefragt, ob es in diesem Fall nicht sinniger wäre, zu nähen. Du hättest auf einen Vergleichsfall verweisen können, in dem er eine ähnliche Wunde vernäht hat - er hätte es damit vor dem König als einen Trumpf darstellen können und wäre nicht so schrecklich ins Fettnäpfchen getreten. So musste ich ihn in die Schranken weisen, weil er auch mich denunziert hat. Achte in Zukunft darauf. Es mag dir am Anfang schrecklich langweilig, öde und falsch erscheinen, vor allem wenn Worte nicht deine Stärke sind, aber glaub mir: meine sind sie auch nicht. Man gewöhnt sich daran und je besser man wird, desto eher findet man Gefallen daran, Leute auch mal mit Worten zu schlagen. Ich bin sicher, mit ein wenig Übung schaffst du das..." Er lächelte sanft. "Aber jetzt zu deinen Umgangsformen: Allein wie du vorhin wieder vom Pferd gestiegen bist, wirklich... das tut man nicht, schon gar nicht in Anwesenheit einer Dame."

Er erhob sich grinsend und kam zu Kieran hinüber. "Gerade hinsetzen, Beine breiter und die Füße leicht übereinander schlagen, Hände auf die Stuhllehne, leicht mit dem Rücken anlehnen, Hände falten." Er schubste Kieran leicht in eine richtige Position. "Das wäre eine angemessene Haltung für eine Diskussion. Beim Aufstehen nicht an den Lehnen hochwuchten, sondern mehr mit ein wenig Schwung nach oben - ja, genau so." Nico nickte zufrieden mit Kierans ersten Versuchen. "So. Also, eine Verbeugung vor dem König..." Er stellte sich neben Kieran, ein Fuß leicht vorgestellt, um das Gewicht besser abzufangen, die rechte Hand auf der Brust, Kinn auf die Brust und tief verbeugt - einfach und elegant." Nico richtete sich wieder auf. "Jetzt du."

Und Kieran machte es nach, allerdings etwas krummer und mit weniger Spannung, obwohl man die von einem Athleten eigentlich erwarten konnte. Grund genug für Nico sich hinter Kieran zu stellen. Eine verdammt dumme Idee wie sich kurz darauf herausstellte. Er hatte sich leicht vorgebeugt, die rechte Hand anders positioniert, indem er um ihn herumgriff, die linke leicht angewinkelt an Kierans Seite gelegt. Dann griff er Kierans Schulter leicht und drückte seinen Rücken etwas mehr durch, nicht ins Hohlkreuz, aber zumindest gerade - nur wurde Kieran jetzt "länger" und stieß mit seinem schmalen Gesäß gegen Nicos Schritt. Eigentlich war das vorausszusehen gewesen, doch jetzt, als es passierte, musste Nico sich mehr als nur zusammenreißen. Die ganze Zeit hatte er ihre Nähe gekonnt ignoriert, das praktische Problem gesehen.. aber DAS war zu viel.. zu gut.. zu sehr mit Erinnerungen verbunden. Seine Hände wurden feucht als er Kieran losließ, ihm sacht über den Rücken strich ehe er wieder etwas zurücktrat. "So ist's gut..." Seine Stimme klang rauer. "Langsam wieder hoch..."
 

Kieran

Das Angebot von Dominico, Niamh bei ihm stehen zu lassen, klang verlockend. Es würde ihr hier wirklich gut gehen und gleichzeitig hätte er hin und wieder einen Grund, hierher in dieses Idyll zu kommen. "Wegen das Arbeitspferdes müsste ich mit meinem Vater reden, ich weiß es nicht genau, aber ich glaube, da hat er tatsächlich momentan Probleme. Und wegen Niamh: ich würde das Angebot gerne annehmen, sofern sie dir wirklich nicht zur Last fällt. Hier wird es ihr definitiv besser gehen, auch wenn die Schmiede, die ich für sie gefunden habe, gut war."
 

Kieran hatte sich in einen der weichen, bequemen Sessel niedergelassen, als auch Nico sich gesetzt hatte. Er entspannte sich und nach dem stressigen Tag war das auch wirklich eine Wohltat. Kurz schloss er die Augen, streckte seinen Hals, um seinen Nacken zu entspannen. "Ich wollte dir keine Schuld zuweisen", sagte er nun. "Es war aber nun mal die Begegnung mit dir, die mir den Weg eröffnet hat, meinem Traum nachzugehen. Und der beinhaltet nun mal auch, dass ich mich in den Etiketten bei Hofe und im Adel auskennen muss." Er sah en anderen wieder an und lauschte den Ausführungen versuchend, sich jedes Detail einzuprägen, das jener ihm mitteilte. Amüsant fand er, dass Dominico ihn für langweiliger hielt, wenn er die Etikette am Hofe beherrschte. Er wusste, dass er nicht nur als Belustigung für Dominico diente, aber offenbar heiterte er den Alltag des anderen ein wenig auf. "Nun, solange ich nicht in anderen Bereichen meines Lebens langweilig bin..." Er zuckte gespielt unschuldig die Schultern.

Nun folgte eine Aufreihung von Situationen, wie man wen am besten ansprach. Und Kieran hatte Mühe allem zu folgen. Es war wirklich eine ganze Reihe von Anreden. Doch er war gut in so etwas, konnte Dinge schnell aufnehmen, was ihm bei den Vorlesungen auch zu Gute kam, da er nicht so schnell schreiben konnte, wie er müsste, um alles mitzuschreiben, was die Dozenten redeten. Doch er hatte kein Problem, das Gesagte anhand von passenden Stichpunkten später zu rekapitulieren. Und so wiederholte er murmelnd ein paar Anreden, um sie sich besser merken zu können, und hing an Nicos Lippen, um nichts zu versäumen. Besonders schön fand er Dominicos Anrede, die er im Affekt auch murmelnd wiederholte. Es klang so schön, dieses Italienisch. "Dominico Sforza Duce de Segni e di Onano." Das war sicher einmal wichtig zu wissen. Schließlich würde er vielleicht mal erklären müssen, in wessen Gunst er stand, um studieren zu dürfen.

Überrascht sah er den anderen an, als dieser ihm erklärte, dass Dr. Chambers den gleichen Werdegang hatte, wie er selbst. Irgendwann würde er den anderen einmal darauf ansprechen, das nahm er sich zumindest vor.

Spannend waren auch die Informationen, die er bekam hinsichtlich dessen, wie er zu reden hatte. Es waren Gedanken, die logisch waren, aber ihm so nie gekommen wären. Er redete gerne in langen Sätzen, verschachtelt. Manchmal auch mit Gedankensprüngen. Er hatte da nie eine "Schulung" bekommen, sich im Kopf zu strukturieren, bevor man das Sprechen begann. Zu dem Kommentar, dass er nicht viel diskutieren sollte, nickte er zögernd. Vielleicht sollte er wirklich einfach noch mehr schlucken, als er eh schon tat... "Bei Sullivan versuche ich mich nie provozieren zu lassen, sondern seinen Gemeinheiten und Schikanen mit Perfektion zu begegnen. Das hat bisher eigentlich immer ganz gut geklappt. Aber ich denke, ich werde da wirklich weiter üben müssen", warf er ein und hörte weiter zu.

Als Dominico sein Absitzen ansprach, hob er die Augenbrauen. Sogar da musste man aufpassen? Als der andere begann, ihm Anweisungen zu geben, reagierte er brav. Setzte sich gerade hin, wie Nico ihn anwies. Klar hatte er eigentlich viel Körperspannung, aber er war auch nicht mehr so trainiert, wie vor der Zeit in London, das merkte er deutlich. Und jetzt, hier im Augenblick war er eigentlich so in einem Entspannungsmodus angekommen, dass er sich erst einmal wieder sammeln musste. Dass Dominico ihn ein wenig hin- und herstubste, störte ihn dabei nicht. Er fand es eher schön zu sehen, dass Nico da keine Berührungsängste hatte, obwohl die letzte Begegnung zwischen beiden in dieser Flucht geendet war. "Bin ich froh, dass du keinen Fächer hast..", murmelte er nur und grinste leicht. Dann stand er auf, versuchte sich dabei elegant zu bewegen, auch wenn es noch immer nicht so einfach war, weil sein Körper gerade viel zu faul war, sich zu bewegen.

Kieran drehte sich zum anderen, der nun begann, ihm zu erklären, wie man sich richtig verbeugte. Kieran sah, wie harmonisch die Bewegungen waren, fast wie bei einem Tanz. Er würde das üben. Tanzen konnte er eigentlich ganz gut, dann würde er das doch wohl auch noch hinbekommen. Nichtsdestotrotz glückte sein erster Versuch bei weitem nicht so gut, wie das, was Dominico ihm vorgemacht hat. „Diese Verrenkungen sind wirklich gewöhnungsbedürf…tig“, murmelte er, als Dominico von hinten an ihn herantrat und ihn umfasste, an der Hüfte haltend, die Schultern geraderückend, ihm Haltung in der Verbeugung abverlangte. Kieran merkte, dass die Position und die Berührungen ganz ungünstig dafür waren, jegliche Gedanken an den Körper und die Nähe des anderen zu verdrängen. Dabei war er bisher so zufrieden mit sich gewesen… Kurz schlossen sich die Augen und er versuchte sich zu konzentrieren, die Bauchmuskeln angespannt, um die Stellung zu halten und den Rücken komplett durchzustrecken, als er merkte, dass er so gegen die Lenden des anderen stieße. Er musste sich auf die Unterlippe beißen, damit er nicht aus Versehen hörbar keuchte. Das hier war gar nicht gut. Durfte er mit einem Ausgleichsschritt nach vorne fliehen? Er schluckte, merkte nun, dass der andere ihn losließ und dann kam etwas, was sein Knock out bedeutete: die Hand des anderen, die ihm über den Rücken strich. „Ngh“, keuchte er und versuchte den Laut in etwas wie ein zurechtweisendes „Hey!“ zu verwandeln, als er den Rücken gänzlich durchstreckte und froh war, sich wieder aufrichten zu dürfen. „Hätte ich gewusst, dass deine Strafe für meine Fehler solcherlei Berührungen sind, dann wäre ich vorsichtiger gewesen“, grinste er mit einer Mischung aus Verlegenheit und Verzweiflung. Nein, nicht provozieren lassen, nicht zu nahe, nicht zu flirty, nicht an Sex denken! Das hatte er sich vorgenommen, als er hergeritten war. Er konnte nicht ständig an sich selbst Hand anlegen, nur weil der Kerl ihn so reizte. „Zügelt eure Hände, Lord Sforza, Duce de Segni e di Onano!“, sagte er mit tadelndem Tonfall. Dabei verneigte er sich sogleich noch einmal, wie ihm gerade beigebracht worden war, und diesmal ging die Bewegung flüssiger, harmonischer. Ironie war hoffentlich ein Mittel, der Versuchung zu widerstehen.
 

Dominico

Kieran war ein wirklich guter Schüler. Er vermochte es wirklich schnell das aufzunehmen, was Nico sagte, und konnte ihm schon sehr bald eben genau diese Anreden nennen. Nico war zufrieden und äußerst angetan von Kierans Betonung seines Namens - ja, das klang doch schon gar nicht schlecht. Kieran würde sicher noch üben müssen, vor allem wenn es um den Diskussionsbedarf ging, bei dem Kieran immer ganz vorn mit dabei war. "Du darfst ihm einfach keine Angriffsfläche bieten. Das heißt nicht, dass du alles akzeptieren musst, du musst es nur so verpacken, dass er dir nicht widersprechen kann, das ist die Kunst. Du musst es in einem Ton sagen, der ihn nicht vor den Kopf stößt, sondern einen, der ihn als denjenigen hinstellt, dessen Idee oder Gedanke dich eigentlich erst darauf gebracht hat." Es war alles andere als leicht, doch es war nunmal notwendig solche kleinen Kniffe wirklich gut zu behrrschen. Allerdings waren auch die körperlichen Ehrerbietungen sehr wichtig und so arbeiteten sie jetzt vornehmlich daran. Naja, eigentlich, denn Nicos Gedanken waren schon wieder ganz woanders. Und so konnte er nicht einmal sagen, ob es Absicht oder Zufall gewesen war, dass seine Hand über Kierans Rücken geglitten war. Er wusste eigentlich nur all zu gut, dass diese Stelle Kieran in den Wahnsinn trieb, dass er es liebte und zugleich hasste, dort berührt zu werden. Nico hörte das kaschierte Keuchen nur zu gut und zog die Hand schneller wieder zu sich. Er wollte ihn nicht reizen, und doch tat er es. Die Versuchung war zu groß und sein Wille definitiv zu schwach, um besonders lange zu widerstehen. Als Kieran sich umdrehte und die Verbeugung widerholte, mit diesen Worten auf den Lippen - da konnte Nico nicht anders als seinerseits eine Verbeugung anzudeuten, wie sie Kieran von seinem Stande aus zustand, und dabei ein frivoles Grinsen zur Schau zu stellen. "Solange es so hervorragend funktioniert, sind meine Hände ganz offensichtlich das bessere Mittel, euch zu tadeln, als ein Fächer oder ein anderer Gegenstand." Für ihn war der Wechsel zwischen höfischer Umgangsform und freier Rede einfacher als Atmen. Es war ihm in Fleisch und Blut übergegangen und er merkte es kaum noch. "Kommen wir zu der Verbeugung vor Damen. Hier ist Vorsicht geboten, denn macht ihr es wie beim König, so fallt ihr der werten Dame ins Dekoltée." Er machte es wieder vor. "Entweder ihr neigt den Kopf bis auf die Brust, um wirklich auf den Boden zu sehen, oder ihr neigt ihn deutlich zur Seite. Der Rücken bleibt dabei wesentlich aufrechter als eben noch." Er korrigierte Kierans Verbeugug nach oben, denn er war wesentlich zu weit abgekippt. Sachte drehte er mit zwei Fingern Kierans Kinn noch etwas mehr zur Seite, so dass er im Falle einer vor ihm stehenden Dame wirklich NICHTS sah, dann drehte er Kierans Schultern seitlich so, dass er keinen Buckel machte. Und dann konnte er doch wieder nicht anders, strich mit einer Hand zwischen die Schultern und wieder dort hinab. Nicht ganz uneigennützig, denn Kieran spannte sich dann erst recht an und hatte eine wesentlich bessere Haltung. Als er sich spannte lobte ihn Nico daher erst recht. "Ja, genau mit dieser Spannung... nur noch etwas lockerer im Gesicht, Mr. Carney, ihr seht gerade aus, als hättet ihr Lebertran geschluckt." Zumindest sah Kieran so aus beim verzweifelten Versuch, nicht auf Nicos Hände zu reagieren. "Und gleich noch mal. Ich gebe die Dame in diesem Beispiel." Nico stellte sich dieses Mal vor Kieran, in dem Abstand, der für eine Verbeugung üblich war.
 

Kieran

Was Dominico hinsichtlich des geschickten Taktierens der Worte sagte, stimmte Kieran nachdenklich. Ja, wahrscheinlich würde er in dieser Gesellschaft unbedingt mehr überlegen müssen, was er wie wem sagte. Er würde klüger und überlegter reden müssen, um Situationen entkommen zu können, die auf lange Sicht ihn davon abhalten könnten, das Studium, das ihm so wichtig war, abzuschließen. Das wollte er weder für sich, noch würde er Dominico irgendwann erklären müssen, warum der abbrechen musste oder wie auch immer… Und so verinnerlichte er die Worte und nahm sich vor, sie sich immer wieder ins Bewusstsein zu rufen, wenn es darauf ankam.
 

Als sich auch der andere verbeugte, zwar nicht so tief wie er, aber genau seinem ‚Stand‘ (der genau betrachtet keiner war) angemessen, musste Kieran lächeln. Als er das Grinsen sah, musste er leicht lachen. Dominico schien ihn wirklich provozieren zu wollen? Bei den Worten, die nun folgten, fiel ihm sogleich auf, dass er ihn wieder höflich ansprach, seine eigene Ironie aufgriff und weiterführte. „Ich werde mich in Acht nehmen, Euch keinen Grund zum Anlass zu geben“, sagte er lächelnd.

Dadurch dass Nico nun die Verbeugung vor Damen ihm zeigen wollte, richtete er sich wieder auf und sah dem anderen genau zu, und probierte es dann selbst. Sogleich verbesserte ihn Dominico und Kieran konzentrierte sich, dem Folge zu leisten. Die Finger des anderen an seinem Kinn fühlten sich kribbelig an, er blickte zu Seite, wie gewünscht, war aber sogleich wieder abgelenkt, weil auch die Schulter korrigiert wurde und wieder die Hand des anderen an seinem Rücken spürte. „Grrrr“, machte er und streckte den Rücken durch, wodurch er allerdings nun die beste Spannung hatte. Und die Bemerkung, die folgte, ließ ihn grinsen. „Es ist nicht so einfach, sich zu konzentrieren, wenn Ihr mich so ablenkt.“ Er richtete sich wieder auf und lockerte sich etwas, als Dominico auf ihn zutrat, und die Verbeugung vor der Dame noch einmal verlangte. "Du als Dame", meinte er schmunzelnd. "Ein netter Gedanke."

Nun, da er wusste, wie es sich anzufühlen hatte, verbeugte er sich in einer geschmeidigen Bewegung, verharrte einen Moment, bevor er sich langsam wieder aufrichtete, den Kopf drehend, um Dominico anzusehen. Dieser stand jedoch mit einem Mal so nah bei ihm, dass er direkt zu ihm aufschauen konnte. Es waren nur wenige Zentimeter, die sie trennten und Kieran konnte nicht anders, als in diese wunderschönen grünen Augen zu blicken, die er so mochte. Nur ein wenig müsste er sich strecken, um den anderen zu küssen. Er spürte den Atem des anderen auf seinem Gesicht. Er sollte dringend etwas sagen…

„Wenn Berührungen an meinem Rücken die Zurechtweisungen sind“, fragte er flüsternd und seine Stimme klang irgendwie so fremd. „Was bekomm ich dann als Belohnung, wenn ich es gut gemacht habe?“ Nein, er hätte besser eine andere Frage gestellt. Kieran merkte, dass die Worte letztlich nur ausdrückten, was er sich sehnlichst wünschte, doch das war nicht gut. Und so riss er sich von den Augen los, senkte den Kopf, verbeugte sich noch etwas und trat ein paar Schritte rückwärts, wie es Dominico zu Beginn ihres Gespräches einmal erwähnt hatte. "Mylady!", sagte er, so als wolle er sich verabschieden. Er sollte solche Situationen nicht herausfordern.
 

Dominico

Nicos Spielchen mit der lieben Ironie war nicht ganz ungewollt. Er wollte wirklich sehen ob Kieran in der Lage war sich anzupassen. Ob er seine Überraschung zum Ausdruck brachte, oder ob er mitmachen konnte und dieser Schiene treu blieb. Anscheined war letzteres der Fall, denn Kieran blieb bei der höflichen Anrede und Nico nahm es mit wohlwollen zur Kenntnis.

Seine Trainingsmethode brachte die gewünschten erfolge und Kierans Verbeugung wurde wesentlich besser, wenn er auch anscheinend etwas mitlitt bei Nicos punktgenauen Berührungen. Doch dank eben genau dieser Berühurngen klappte die nächste freie Verbeugung schon wesentlich besser und Kieran machte es wirklich nahezu perfekt vor. Allerdings hatte diese perfekte Verbeugung auch eine perfekte Wiederausrichtung zur Folge und das widerrum bedeutete, dass sie sich erneut nah kamen. Kieran stand direkt vor ihm, ihre Körper berührten sich fast und in ihrer Haltung war es beinahe soweit, dass sie sich küssten. Es fehlte weniger als ein Millimeter, und doch passierte nichts. Kierans Worte über Belohnung hängten sich in Nicos Hirn und verankerten sich dort, er schluckte hart und doch - kurz bevor er nach Kieran greifen wollte, um ihn zu "belohnen", weil sein Körper es ihm regelrecht befahl, entzog sich Kieran seiner Nähe, machte ein paar Schritte rückwärts so wie Nico es gesagt hatte und blieb stehen. "Gut.. das war gut gemacht." Sogar die Anrede hatte Kieran gleich mit einfließen lassen, ja das war gut. Wenn Kieran nicht nur hier, sondern auch in der Uni ein so gelehriger Schüler war, dann würde es sicher keine größeren Probleme mit den Dozenten geben, zumindest nicht was seine sonstigen Leistungen anging. Aber veilleicht war Keiran auch besonders ehrgeizig, einfach weil Nico derjenige war, der ihn lehrte.. wie auch immer. Nico wandte sich ab und ging in ihre Ausgangsposition neben Kieran zurück. "Jetzt abstufen.." Er machte einen Schritt nach hinten, so dass er schräg hinter Kieran stand. "Erst die Verbeugung für den König, dann nacheinander alle anderen Würdenträger, immer ein Stückchen höher." Bei der Sache bleiben? Unmöglich. Zumindest gerade für Nico. Er blieb zwar seinem "Lehrmaterial" treu, das er vermitteln wollte, doch er merkte schon jetzt, dass er Kieran wieder mit den Augen auszog. Dass er anfing, bewusster einzuatmen, um seinen Geruch wahrzunehmen und dass sein Herz schneller schlug, wenn Kieran etwas gut oder richtig machte.Kein väterlicher Stolz, nein - viel mehr der Stolz auf einen Partner. Als Kieran die Abstufung der eizelnen Verbeugungen mehrmals widerholt hatte, nickte Nico zufrieden. "Ich denke, das wird dem vorerst genüge tun.. Vor allem die für deinen Lehrer wirst du brauchen und mach sie so ordentlich wie hier, auch wenn keiner da ist, der dir dabei den Rücken krault." Er zwinkerte Kieran zu, ehe er sich drehte und wieder vor ihm stand. "Und weil du so hervorragend mitgearbietet hast, darfst du dir jetzt eine schöne Belohnung aussuchen", eröffnete er grinsend, und versuchte darüber hinweg zu spielen, dass er einfach nur hoffte, dass er sich selbst im Zaum halten konnte.
 

Kieran

Kieran hätte diese blöde Situation nicht provozieren sollen. Das machte es ihm doch nur noch schwerer, sich zu konzentrieren. Sie waren sich so nah gewesen, fast schien es, dass sie sich hätten küssen wollen. Er hatte Glück, die Kurve noch bekommen zu haben. Und doch schlug sein Herz heftig gegen seine Brust und seine Knie waren weich.

Und hier war wieder ein Punkt, bei dem er von Nico lernen konnte: sich nichts anmerken lassen. Nicos Augen verrieten ihm zwar mittlerweile einiges, aber ansonsten? Nico konnte einfach weitermachen, als sei nichts gewesen.

Und so übten sie die Abstufungen bei den Verbeugungen. Und jetzt fiel es ihm schwerer sich zu konzentrieren, auch wenn er es an sich gut machte.

Als Nico endlich den Schlussstrich unter die Übungen zog, war Kieran erleichtert. Der Kommentar zum Rücken kraulen ließ ihn grinsen. "Das ist wirklich schade", sagte er theatralisch seufzend. "Aber ich werd einfach an dich denken.." Als ob er das nicht eh tat... viel zu oft... ständig.

Doch dann sah er überrascht auf. "Eine Belohnung?", fragte er und wurde etwas unsicher. Was sollte er sich da sonst wünschen? Aber das, was er am liebsten hätte, würde er nie bekommen... Und sonst? Sollte er den begehrten Kuss fordern? Aber würde er dann nicht Hunger auf mehr - auf wesentlich mehr bekommen? Er wusste, wenn er Nico küsste, würde er diesen Kuss für nichts auf der Welt lösen wollen und alle angestaute Begierde würde in ihm durchbrechen. Er glaubte nicht daran, sich halten zu können. Es war noch zu frisch, jener Abend an dem sie sich getrennt hatten, ohne je zusammen gewesen zu sein.

Aber ihm kam ein Gedanke. "Ich würde das gern für später aufheben, wenn dir das recht ist." Fragend sah er den anderen an. Er würde mit dem Wunsch bis zum Abschied warten. Und bestenfalls saß er schon auf dem Pferd.

"Wenn du noch ein wenig Zeit hast, fände ich es schön, wenn du mir die Pferde zeigst, mit denen du für das Turnier trainierst", sagte er. Er konnte sich zumindest jetzt schon mal damit belohnen, mehr Zeit mit dem anderen verbringen zu dürfen, oder?
 

Dominico

Dass Nico äußerlich so ruhig und kalt blieb, war ihm selbst nichteinmal bewusst. In seinem Kopf rasten die Gedanken, doch sein Gesicht verriet nichts von dem inneren Aufruhr, den Kieran immer wieder bei ihm auslöste. Vermutlich lag es daran, dass es ihm schon seit Kindebeinen an eingebläut worden war, in keiner Situation Gefühle zu zeigen. Bei der harten militärische Ausbildung, die er schon in jüngsten Jahren hatte durchlaufen müssen, war weinen nämlich auch unter Strafe gestellt worden. Je mehr Gefühle man einfach nur hinunterschluckte, desto besser, denn dann konnte einem niemand Schaden zufügen. So traurig das auch war, so war es nunmal. Und vielleicht würde Kieran das mit der Zeit auch lernen und es Nico damit schwerer machen zu sehen, was er gerade dachte.

Jetzt zumindest fiel es ihm noch leicht und er sah deutlich den Schmerz in Kierans Augen, als dieser erwähnte, einfach bei der Verbeugung an ihn zu denken. Ja, auch Nico dachte zu viel an den Mann der vor ihm stand, doch solange all diese Dinge nur in ihrem Kopf stattfanden, war noch alles in Ordnung.

Auch die Belohnung war so eine Sache. Warum Nico sie angeboten hatte, wusste er nicht recht, sie war in diesem Sinne ja nicht nötig.. doch es lag mit großer Sicherheit daran, dass auch er diesen Kuss haben wollte, dass er ihn erneut spüren wollte, aber in einer Situation, in der sie nicht kurz darauf nackt auf dem Boden übereinander herfielen. Vielleicht war der Stall dabei ja wirklich eine gute Idee. "Es ist mir ganz gleich, wann du belohnt werden willst für deine wundervollen Verbeugungsversuche." Er grinste, während er aus dem Wintergarten hinaus in den normalen Garten schritt.

London - Ein letzter...

Dominico

Der Stall lag nicht weit entfernt und durch den Garten war der Weg angenehmer. Sie kamen an Niamh vorbei, die zu ihnen hinber sah und sich dann wieder dem Gras widmete, vorbei an einigen Jährlingen und schließlich zu den Boxen der Pferde, die Nico zum Reiten oder für die Kutsche dienten. Es waren allesamt wahre Schönheiten, die gut im Futter standen. Die beiden Turnierpferde, mit denen Nico momentan vornehmlich arbeitete, mümmelten etwas Heu in ihren Boxen. Nicos Boxen waren gemauert und mit Fenstern und Holztüren gesehen, wahre Luxusherbergen für die edlen Tiere. "Es sind Spanier. Sehr kurz und sehr wendig mit einer gut bemuskelten Hinterhand.." Nico griff eines der Halfter und legte es einem der Tiere an, um es aus der Box zu führen. Es war zwar etwas eingedreckt, aber man sah das stattliche große Tier sehr deutlich. Es spitzte aufmerksam die Ohren und schien jede Sekunde bereit dafür, was auch immer kam. "Diese beiden sind Geschenke aus Spanien. Damals waren die Beziehungen noch besser und die beiden Pferde sehr jung. Heute würde sie wohl kaum noch jemand hergeben, der an Turnieren interessert ist. Sie sind willensstark und unerschrocken, das beste Material dafür..." Er strich dem Henst über die Nüstern und klopfte seine Seite ab. "Dort könnte Niamh einziehen." Er deutete auf die gegenüberliegende Stallgasse, an deren Boxenschildern zu erkennen war, dass es sich um Stuten handelte. Ein Schild war leer, die Stute war weiterverkauft.

"Und, was meinst du, kann ich mit den beiden das Turnier gewinnen? Zumindest in der ersten Runde..."
 

Kieran

Gemeinsam gingen sie durch den Garten, der in Kieran wieder dieses Gefühl der völligen Ruhe auslöste. Er schloss einen Moment die Augen, sammelte sich nach dieser aufwühlenden Unterrichtsstunde. Er vermisste die Idylle, die ihm die Natur vermittelte, in London sehr, auch wenn die vielen Parkanlagen und Klostergärten es einem durchaus ermöglichten, ein wenig abzuspannen – wenn man die Zeit hatte. Aber die hatte er momentan gar nicht. Eigentlich müsste er schon jetzt wieder nach Hause, müsste Mr. Forbes zumindest noch helfen und dann würde er sich wie jeden Abend mit John hinsetzen und lernen, lernen, lernen... Dadurch dass er mitten im Trimester eingestiegen war, hatte er viel aufzuholen und die Prüfungen würden schneller kommen, als ihm lieb sein konnte. Er würde auch da beweisen müssen, dass er nicht umsonst an der Universität war, und noch machte es ihm etwas Sorge, dass er bei weitem nicht so zügig schreiben konnte, wie andere. Aber diese Probleme schob er schnell wieder zur Seite, als sie an den Koppeln vorbei zum Stall weitergingen. Niamh sah ihn, machte aber keine Anstalten zu kommen, was er an ihrer Stelle sicher auch nicht getan hätte, wenn man das Paradies gefunden hatte. Sie betraten die Stallungen. Tief atmete er diesen angenehmen Geruch von einem sauberen Stall ein. Der Stall war groß, hell und für die Pferde wirklich luxuriös. Dass Niamh hier unterkam war für sie definitiv ein Geschenk.

Einige Boxen waren leer, wohl weil die Pferde auf der Weide standen oder gerade arbeiten mussten, in anderen standen die gepflegten Tiere. Ja, diesen Tieren ging es gut und Kieran wusste, dass man vom Zustand der Tiere immer auf den Charakter des Eigentümers schließen konnte. Dominico war ein Mensch mit einem großen Herzen, auch wenn die Fassade kühl und abgeklärt war. Und der Blick in eben dieses Herz hatte Kieran dazu gebracht, diesem Mann so verfallen zu sein – unabhängig davon, dass Nico auch noch verdammt gut aussah. Sie traten an die beiden Boxen heran, in denen die Hengste standen, mit denen Dominico offenbar auf den Turnieren antreten wollte. Kieran war fasziniert von diesen Schönheiten mit ihrer natürlichen Aufrichtung, dem runden, schier majestätischen Hals, der vollen Mähne, die sie noch wuchtiger, aber nicht unelegant aussehen ließen. Die Pferde waren im Vergleich zu Niamh definitiv kürzer, schienen einiges von einem Vollblut in sich zu haben. Niamh war da viel klobiger, länger im Exterieur, dafür merkte man ihr die Geschwindigkeit nicht an, wenn man einen flotten Trab hinlegte, weil sie über den Boden flog und auch ihr Schaukelpferd-Galopp war sehr weich und gut zu sitzen. „Sie sind wunderschön“, meinte Kieran während er beobachtete, wie Dominico den einen Hengst aus der Box führte. Die Augen des Hengstes sprühten vor Klugheit und er war verdammt gut erzogen. Das lag wohl auch daran, dass mit ihm eben gearbeitet wurde und er nicht nur für Deck-Zwecke in der Box stand, ohne dass seinem Bedürfnis nach Anstrengung, Herausforderung und Bewegung nachgekommen wird. Hengste brauchten Bewegung, Beschäftigung und Herausforderung, sonst wurden sie nur aggressiv oder stumpf. Dominico erzählte ihm, woher er sie hatte. Und wie er die Pferde charakterisierte ließ ihn schmunzeln. „Willensstark und unerschrocken – wie sein Besitzer, nicht wahr?“ Er zwinkerte dem anderen zu und folgte dann seinem Deut zu jener leeren Box. „Sie wird es lieben und mich in Zukunft ignorieren, aus Angst, hier wieder weg zu müssen. Stuten sind da auch sehr willensstark – sturköpfig und zickig, wenn ihnen was nicht passt.“ Er lachte leicht. Ja, wenn Niamh ihre „Tage“ hatte, ging sie ihm manchmal ziemlich auf die Nerven. Aber vielleicht beruhte es auch einfach auf Gegenseitigkeit.

Die Frage ließ ihn wieder zu Dominico schauen. Er trat einen Schritt auf den Hengst zu, bat ihn höflich, ihn berühren zu dürfen, indem er ihn an seiner Hand schnuppern ließ, und strich diesem dann über die Stirn. „Die Tiere sind perfekt für einen Tjost trainiert, sie sind ideal bemuskelt, aufmerksam und haben wahrscheinlich den besten Reiter und Kämpfer des Turniers auf sich sitzen. Du könntest definitiv nicht nur die erste Runde gewinnen, du könntest wahrscheinlich das ganze Turnier gewinnen.“ Er sah den anderen an. „Ich hoffe nur, dass du, wenn du dich besiegen lässt, es so machst, dass ich nicht derjenige sein muss, der dich danach wieder gesundpflegen muss. Ich möchte nicht, dass dir etwas passiert.“ Er sah wieder das Pferd an, das ihn leicht mit seinen Nüstern anstubste, so als wolle es sagen, dass er schon auf Nico aufpassen werde. Kieran lächelte und versuchte zu verbergen, dass er wirklich Angst hatte und sich Sorgen machte. Sie waren schon oft auf Turnieren als Rahmenprogramm aufgetreten und was er da alles hatte erleben müssen an Verletzungen, an Todesfällen, an Racheakte durch besiegte… Es schien ihm immer so, dass an solchen Tagen der Verstand der Männer bei den Hofdamen abgegeben worden war, die sie versuchten zu beeindrucken.
 

Dominico

Der Sforza ließ Kieran die Eindrücke auf dem Hof sammeln, die dieser anscheinend aufsog wie ein Schwamm. Ja, es war schön hier und Nico liebte dieses Haus, auch wenn es noch lange nicht an das idyll herankam, dass sie sich in italien aufgebaut hatten. Es gab wirklich wenige Situationen in denen er seine Frau aufrichtig und richtig liebte, aber in dieser tat er es. Sie hatte einfach ein Gespür für das richtige Ambiente und wie man Räume und Gärten anlegte, dass sie das Herz berührten. Nico hatte nur in so fern dazu beigetragen, das Geld zu sponsorn und ihr nur die besten Materialien zukommen zu lassen - und alles, was die Pferde betraf, hatte er selbst gemacht, das war ihm auch sehr wichtig. Er hatte große helle Boxen gewollt und allein an der Qualität seiner Pferde merkte man, dass es fruchtete. So waren die Turnierställe seiner Majestät nach der Errichtung von Nicos Boxen bald darauf umgebaut worden... Nun, der König wollte eben niemandem nachstehen müssen. Zum Glück hatte Nico auch für den "Eigenbedarf" zu klein gebaut. Für seine Arbeitstiere hatte er große Paddocks mit Unterständen, so dass sie nicht alle in die Ställe mussten. Wenn das Wetter so schlecht war, dass sie nicht draußen bleiben konnten, wurde ein Teil der Scheune abgegrenzt und sie standen in der Herde zusammen, was immer funktionierte. Henrys Marstall hätte hier keinen Platz gefunden und das war auch verdammt gut so. Aus dem Fehler von Wolsey hatten sie gelernt. Denn der Kardinal hatte sich sein prunkvolles Sommerhaus ebenfalls wie ein Paradies eingerichtet und dem König hatte es so gut gefallen, dass Wolsey es ihm schenken musste, um nicht zu riskieren, dass Henry es sich auf die ein oder andere Weise unter den Nagel riss. Hier hatten sie dafür ihr perfektes Idyll und während Kieran das Pferd betrachtete, betrachtete Nico seinerseits wieder Kieran. Ich bin mir über alle Konsequenzen bewusst, die Gefahr, der Schmerz, die Angst, die Sehnsucht, die Lügen, die nötig sind, die Stärke, leugnen zu können, die Sorgen und und und. Ich habe mir alles Negative, aufgezählt, nur um mein Versprechen zu brechen und dich vergessen zu können. Aber in dem Moment, als ich dich bei Dr Chambers gesehen habe, war alles vergessen...

Ja, Nico glaubte ihm, dass er sich die Konsequenzen bewusst gemacht hatte. Er war sich sicher, dass Kieran recht hatte, wenn er sagte, dass er sich allem bewusst war, und auch Nico wusste, was auf sie zukommen würde, wenn denn... er hatte immerhin auch eine Beziehung zu Rod gehabt und da war es wirklich eine gleichgestellte Beziehung gewesen, von der keiner etwas mitbekommen hatte - bis auf seinen Bruder, der damals eher missbilligend reagiert hatte. Und genau sein Bruder war ein nicht immer ganz deutlich einzuschätzender Faktor. Natürlich würde Alessio nie etwas gegen die Wahl seiner Partner sagen... Nein, Alessio würde zu keinem Problem nach außen werden, aber vielleicht... Nico wusste nicht, ob Kieran mit seinem Bruder zurecht kam. Auch wenn sie sich nicht oft sehen würden, sie hatten nicht den besten Start gehabt. Und sonst? Sie würden sich ständig verstecken müssen, Briefe schreiben.. ja, verschlüsselt. Alles kein Thema, doch Nico fürchtete sich davor was passierte, wenn er auf Reisen ging. Würde ihm Kieran treu sein? Sicherlich. Was wenn er ihn mitnahm? Wenn Kieran sah, wie Nico sich zwischen Frauen bewegte? Wenn er dazu kam zu sehen, was Nico tat, wenn er nunmal in seinem Amt handeln musste? Wenn er jemanden tötete oder verurteilte oder anklagte, der nach Kierans Meinung das nicht verdiente? Würde ihre Beziehung daran nicht letztlich in die Brüche gehen? Er wusste nicht, ob sie beide stark genug dafür waren, das zu schlucken, und er wusste nicht, inwieweit er selbst zwei Leben leben konnte und wollte. Doch leider ging es auch ihm so wie Kieran... wenn er ihn jetzt ansah, wie er vor dem Pferd stand, etwas dünner noch als in Camebridge - er musste dringend dafür sorgen, dass man Mr. Forbes gutes Essen zuspielte oder Kieran zumindest genug Zeit zum essen hatte - dann waren alle diese Vorsätze vergessen. Und genau dieser Umstand machte die Begierde und das, was auch immer da noch zwischen ihnen war, so unendlich gefährlich. "Ich gebe mir größte Mühe. Aber ich denke, ich kann einen Sturz gut fingieren, wenn der König mich trifft. Und dann werde ich sehen, gegen wen ich antrete, um meinen Ruhm im Turnier zu mehren." Es war nie einfach, gegen Henry zu reiten, der so ein schlechter Verlierer war, doch Nico machte es nicht zum ersten Mal und es würde ihm schon gelingen.

Sie brachten den Hengst wieder in die Box und schlenderten noch etwas durch die Stallanlagen, ehe Nico einem Burschen bescheid gab, der ein Pferd für Kieran holte. Es war eines der schlanken großen Botenpferde, die man in der Stadt einsetzte, nur war es inzwischen wieder wesentlich besser ernährt und schien sehr zufrieden. "Gönne Niamh den einen schönen Tag hier draußen, während du dir überlegst, was du wegen des Pferdes für deinen Vater machst. Und du weißt ja, du kannst sie besuchen so oft du willst", sagte er zu Kieran, als sie zu dem gesattelten, wartenden Tier gingen. "Und... was war jetzt mit deinem Wunsch? Hast du ganz vergessen bei so viel geballter Pferdestärke, hmn?" Zumindest hatten Kierans leuchtende Augen jenen verträumten Ausdruck gehabt, den Nico so mochte.
 

Kieran

Kieran spürte den Blick auf sich, doch er erwiderte ihn lieber nicht. Worüber der andere auch immer nachdenken würde, er wollte es lieber nicht wissen. Außerdem fürchtete er, dass er seine „Belohnung“ doch vielleicht gleich hier einfordern würde. Und ob er dann wieder loslassen würde, wenn er ihn schon mal zu fassen bekam, war definitiv sehr fraglich. Und hätte er Nicos Gedanken lesen können, hätte er ihn vielleicht beruhigen können, zumindest teilweise. Wie er letztlich mit Alessio auskam, wenn dieser nicht in einer Stresssituation stand, blieb abzuwarten. Die Sorgen, die sich der andere machte, hinsichtlich einer Beziehung, seinen Aufgaben und Pflichten, anderer Frauen, etc. waren normal für jede Beziehung, aber deswegen keine eingehen? Nun, aber an dieser Situation war Kieran ja selbst auch schuld, schließlich plagten auch ihn die Bedenken, obwohl er bereit wäre, das Risiko einzugehen. Aber darüber dachte er jetzt lieber nicht mehr nach. Er hatte in Nico einen Freund gefunden, der ihn unterstütze, ihm Mut machte, seinen Traum zu verwirklichen, der ihm zuhörte, auch wenn es nur via Brief war. Was wollte er mehr, wenn man mehr nicht bekommen konnte?

Als der andere ihn beruhigte, indem er ihm versprach, sich größte Mühe zu geben, nickte er zufrieden. Dennoch blieb die nagende Sorge in Kierans Magen, wenn er nur daran dachte, dass Dominico an so einem Schlachtfest teilnahm. Gut, dadurch, dass es bei Hofe war, würde es keine Kämpfe auf Leben und Tod geben, aber auch bei einem normalen Kampf mit dem Schwert, konnte man sich stark verletzen. „Dann mehre deinen Ruhm mal schön“, seufzte er, lächelte den anderen aber an. Es ging nun mal viel darum, wie man sich präsentierte. Jede Schwäche, die Dominico offenbarte, würde als Todesstoß genutzt werden können. So war das in dieser Welt und Kieran war das bewusst.

Gemeinsam gingen sie hinaus zu dem Pferd, das er nun würde haben dürfen, solange er Niamh hier stehen ließ. „Ja, ich werde mich gleich morgen darum kümmern und meinen Vater besuchen. Kann ich dann hier noch einmal kurz vorbeikommen? Wenn du nicht da bist, würde ich dir dann zumindest eine Nachricht hinterlassen.“ Am nächsten Tag war Samstag und vorlesungsfrei. Er hatte ohnehin schon länger mal wieder vor gehabt, zu schauen, wie die Stimmung nach den ersten Auftritten in London war. Dann würde er auch fragen, ob ein Pferd gebraucht wurde.

Beim Pferd angekommen übernahm er die Zügel vom Stallburschen. „Danke“, sagte er zu diesem, der sich nun entfernte. Als Dominico den Wunsch ansprach, war Kieran einen Augenblick überrascht, doch dann lächelte er und drehte sich zu dem anderen um. Einen Moment sah er ihn nur an. „Das weißt du doch selbst am besten, was ich mir wünsche“, sagte er. „Aber weil ich es nicht bekommen kann, gestatte ich mir zumindest noch einen Kuss, einen letzten.“ Bevor der andere sein Veto einlegen könnte, streckte er sich nach oben und kostete von diesen Lippen, die er so sehr begehrte und vermisste. Die Berührung ging ihm durch und durch. Doch er zwang sich, den Kuss nicht hinauszuzögern, sondern riss sich wieder los. Dann drehte er sich um und schwang sich auf das Pferd, das fast ein wenig erschrocken war von der abrupten Bewegung. „Bis morgen dann vielleicht“, sagte er und wendete das Pferd, um davon zu traben. Nur nicht umdrehen, war die Devise, das hier wieder einmal zu überstehen.
 

Dominico

Während sie noch neben dem Botenpferd standen, betrachtete Nico das Tier, das er wieder aufgepäppelt hatte. Es war jetzt gut und gründlich beschlagen - dank Rod -, hatte gesundes glänzendes Fell und wieder ein wenig mehr Muskulatur bekommen. Auch wenn viele Ställe in der Stadt ihr möglichstes gaben, um die Botenpferde bei Kräften zu halten - wenn sie über längere Strecken eingesetzt wurden, ritt man doch meistens nur die Tiere zu Schanden. Nico hatte einige dieser Rentner aus der Stadt gekauft und ließ sie auf seinen Weiden ihren Lebensabend fristen, was sie ihm vermutlich dankten... zumindest nahm Nico es an. Kieran schien mit dem Tier zufrieden zu sein und sich auch damit abgefunden zu haben, dass Nico bei dem Turnier sein Bestes geben würde... es war immer nicht sehr angenehm Leute, die einem Nahestanden, bei so einem Turnier zu sehen. Das Problem war weniger das Reiten an sich, sondern viel mehr die schwere Rüstung, die es beinahe unmöglich machte, nach einem Sturz schnelle Hilfe zu gewährleisten. Bis man den Ritter erstmal aus der Rüstung geschält hatte, war im Zweifel schon alles zu spät. Doch Nico würde das schaffen und seine italienische Rüstung war hervorragend geeignet und sehr leicht. Sie würde ihn gut kleiden und ihn vor Verletzungen schützen. Als er den Faden gerade wieder aufnehmen wollte stand Kieran schon vor ihm und Nico verging jeder Gedanke und jedes Wort, das er eben noch hatte sagen wollen. Er wollte sagen, dass es ihm nicht anders ging und dass er es mindestens so sehr wollte und genauso nicht konnte wie Kieran, doch der war schneller und küsste ihn. So zaghaft und süß und doch so verlangend, dass es Nico den Boden unter den Füßen wegzog. Sah sie jemand? Tuschelte man? All das spielte keine Rolle, doch noch bevor Nico die Arme um ihn schlingen konnte, um ihn festzuhalten, hatte sich Kieran wieder gelöst, stieg auf das Pferd und trabte davon. Nico blieb stehen, wie vom Donner gerührt, ehe sich auf seinen Lippen ein Grinsen abzeichnete... ja, Kieran beherrschte dieses Spiel inzwsichen fast so gut wie er und es war eigentlich herrlich, wäre es nicht so verdammt ernst um ihre Gefühle bestellt. Zumindest um Nicos, auch wenn er nicht genau sagen konnte was es war. Und er brachte es auch nicht über sich, darüber nachzudenken, denn er hatte Angst vor dem Ergebnis.

London - Gregor

Dominico

Nico kam zurück ins Haus und gab einige Anweisungen bezüglich Niamh, die schon am Nachmittag in die frische Box kam und ihre erste Ration Hafer bekam. Sie genoss es sichtlich und freundete sich schnell mit ihren Boxennachbarn an. Nico war froh darüber, dass sie Kieran wohl nicht allzu sehr vermisste, und beschloss für sich, nur das Beste für sie zu machen, so wie er seine liebsten Hengste behandelte... sie war ein Teil von Kieran und er würde sie gut behandeln, so wie er Kieran gern behandeln würde, wenn sie sich denn näher stünden... naja.

Für den Nachmittag und den Abend verbannte er diese Gedanken aus seinem Kopf, trainierte mit seinen Hengsten und nahm ein ausgiebiges Bad, ausnahmsweise mal mit seinem Bruder. Es ging um Familienangelegenheiten, die dringend besprochen werden mussten, und darum, dass Alessio eine Reise nach Italien plante, um im Vatikan Bericht zu erstatten über die Vorhaben Henrys. Es war eine diplomatisch gesehen schwere Reise, doch Alessio freute sich vor allem darauf, nach Hause zu kommen, während Nico noch nicht gehen konnte. Doch er würde hoffentlich bald mal wieder ach Hause reisen, er brauchte das einfach mal wieder. Italienische Lebensfreude und Ruhe genießen, auf ihrem Landsitz und am besten ohne seine Frau.. allein, einfach mal wieder entspannen. Mit diesen Gedanken war es leicht einzuschlafen und er schlief gut.
 

Kieran

Als Kieran in seiner Wohnung ankam, merkte er gleich, dass etwas nicht stimmte. Es waren Kleinigkeiten, die anders waren, aber es war ihm schnell klar, dass jemand hier drin gewesen war und offenbar etwas gesucht hatte. John und Mr. Forbes schloss er aus. Wenn John etwas wollte oder brauchte, würde er warten und Mr. Forbes war hier noch nie oben gewesen, solange Kieran die Wohnung bezogen hatte. Nur wer könnte es dann gewesen sein? Wer könnte bei ihm etwas suchen? Der Gedanke an Gregor drängte sich ihm unmittelbar und heftig auf. Er stürzte zu seiner Matratze, die verrutscht worden war. Und tatsächlich – das Dielenbrett, das in der Ecke locker war, und unter das er die Briefe geschoben hatte, war angehoben worden und die Briefe weg.

Kieran konnte an diesem Abend weder lernen, noch schlafen. Gut, diese Briefe waren letztlich völlig unverfänglich, aber sie zeugten dennoch von einem engen Kontakt zwischen ihm und Dominico. Ihm wurde flau im Magen, wenn er daran dachte, was Gregor alles tun könnte, wenn er glaubte, dass Dominico und er zusammen wären. Das Problem musste angegangen werden und zwar so bald wie nur irgendwie möglich.
 

Gregor

Wenn er diesen Widerling schon sah, kam ihm das Kotzen. Leute wie Kieran waren das letzte, was auf dieser beschissenen Welt die Berechtigung zu leben haben sollte. Dieser scheinheilige Mistkerl predigte durch seine Taten, dass jeder es zu etwas bringen konnte, aber eigentlich war er nur eine billige Hure, die sich dem Adel anbiederte, um sich nach oben zu schlafen. Sicher war diese Hure gestern wieder bei ihrem Freier gewesen. Zumindest war es kein Problem für ihn gewesen, in seine Wohnung zu kommen, weil jener nicht da gewesen war. Und heute Morgen sah er so aus, als hätte er sich die ganze Nacht durchvögeln lassen. Aber was der konnte, konnte er schon lange!

Er hatte den passenden Moment abgewartet, hatte Feli gesagt, dass er in den Wald gehe, um Holz zu schlagen, dann hatte er sich auf den Weg zu diesem Sforza gemacht. Der Kerl würde sicher doch auch nicht Nein zu ihm sagen, oder? Und wenn er ihn erst einmal so weit hatte, dann hätte er etwas in der Hand, um die Kuh zu melken, bis sie umfiel… Und wenn nicht, würde er Kieran an der Universität bloßstellen und Dominico Sforza damit auch gleich in den Dreck ziehen, so würde seine Drohung sein. Er lachte bei dem Gedanken, beiden abartigen Männern die Hölle auf Erden zu bescheren, während er vom Weg abbog und sich dem Anwesen der Brüder Sforza näherte.
 

Dominico

Am frühen Morgen stand Dominico schon wieder im Stall, beziehungsweise saß auf dem Pferd, um zu arbeiten - so ließ sich der Tag einfach besser beginnen. Am Mittag saß er an seinem Schreibtisch, denn seine Frau hatte geschrieben und Nico antwortete ihr immer schnell und ausführlich. Sie war eine gute Freundin für ihn und es war schön, sie glücklich zu sehen, vor allem jetzt, da Cecile inzwischen in italien angekommen war und sie endlich jemanden hatte, mit dem sie über England, die Mode und all das reden konnte. Außerdem schrieb sie, dass Cecile bereits kurz nach der Hochzeit schwanger geworden war und nannte es ein Geschenk Gottes - Nico hingegen hatte seinem Bruder direkt durchblicken lassen, dass er seine Gene wohl erfolgreich in der Familie verbreitete, was den Kardinal nicht im geringsten störte.

Als er seiner Frau das gerade schrieb, vor der er diesbezüglich keine Geheimnisse hatte, klopfte es und ein Diener kündigte Gregor an. Gregor? Nico brauchte eine Minute, um sich zu erinnern, doch dann kam das Misstrauen auf den Fuß. Er erhob sich und ging um den Schreibtisch herum, als der eingeheiratete Carney eintrat und sich viel zu tief und ähnlich ungelenk wie anfangs auch Kieran es getan hatte verbeugte. Nico wedelte mit der Hand, um jenen wieder in die Senkrechte zu bekommen.
 

Gregor

Am Anwesen angekommen, sah Gregor, dass ein Diener am Eingang stand und scheinbar auf jemanden wartete. Der Diener fragte, was er wünsche. Gregor lächelte und verneigte sich leicht. „Ich komme in einer geschäftlichen Angelegenheit und wollte um eine kurze Audienz bei Dominico Sforza bitten.“ Er hatte sich die Worte genau überlegt und hatte extra am Vorabend seine guten Kleidungsstücke im Wald deponiert, wo er sich vorhin umgezogen hatte, um den bestmöglichen Eindruck zu machen. Der Diener nickte, ließ ihn stehen und kam kurz darauf wieder, um ihn durch das Haus zu führen. Gregor nahm sich vor, später etwas mitgehen zu lassen, sofern sich die Möglichkeit bieten würde.

Als er in das Arbeitszimmer Dominicos geführt wurde, setzte er ein Lächeln auf. „Mr. Sforza“, sagte er und verbeugte sich. Ein wenig tiefer, als vielleicht nötig, aber je höflicher er wirkte, desto besser. „Entschuldigt, dass ich Euch störe, ich komme, um mich persönlich bei Euch für Eure Großzügigkeit zu bedanken, die Ihr der Familie Carney zuteil werden lasst.“ //Erstmal Honig um den Mund schmieren – darauf standen doch diese Adeligen.// Er war auf den anderen zugetreten und stand recht nah vor ihm. „Finanziell ist ein Arrangement in London unübertroffen. Timothy schafft es, Geld zur Seite zu legen, damit wir noch die nächsten Jahre finanziell abgesichert sind.“ //Und der Idiot gibt mir nicht ein bisschen mehr Gehalt, als vorher.// „Allerdings hege ich schon seit Jahren den Wunsch, wieder mit meiner Frau sesshaft zu werden. Ich bin eigentlich ein Zimmermann und würde in diesem Beruf gerne wieder tätig werden.“ Er lächelte wehmütig, dann wurde sein Blick ernst, stechender. „Daher frage ich mich, ob es nicht möglich wäre, dass Ihr mich etwas unterstützt dabei.“ Seine Stimme war kühler geworden, nicht mehr so säuselnd. „Ihr seid ja sehr spendabel, wenn man euch gewisse Dienste anbietet.“ Er war bei diesen Worten näher gekommen, legte nun seine Hand auf Dominicos Brust und ließ sie hinabwandern. „Ich könnte euch größte Lust bereiten, mir ein wenig unter die Arme zu greifen“, wisperte er leise und eindringlich.
 

Dominico

Dominico nickte auf die Ausführungen des jungen Mannes hin. "Es ist mir eine Ehre eure Zunft zu fördern, die ihr in eurer Familie so wundervoll pflegt", erwiderte er steif, weil er sich beinahe denken konnte, aus welchen Gründen Gregor hier war. Zumindest... warum sollte er kommen, wenn er nicht spionieren wollte?

Oh, anscheinend wollte er Geld. Geld speziell für sich und seine Frau. Nicos Augenbraue wanderte in die Höhe. An sich kein ungewöhnlicher Wunsch und Nico dachte sogar eine Sekunde lang daran dem Nachzugeben. Warum? Weil er ihn so vielleicht los werden konnte und Kieran sich keine Sorgen mehr machen musste. Wenn ihm Gregor anbot, bei ihm dafür etwas zu arbeiten oder Ähnliches, so beschloss er gerade noch, würde er es überdenken - ehe die nächsten Worte dem Fass den Boden ausschlugen.

Perplex und deutlich überrascht lehnte sich Nico auf den Schreibtisch vor dem er stand und starrte Gregor ungläubig an. "Ach so ist das..." Er fing Gregors Hand ab, die sich auf seine Brust gelegt hatte und nach unten wanderte, und versuchte sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Er wusste nicht, woran es lag, ob das letzte Mal einfach schon so lange her war, oder ob ihm allein der Gedanke gefiel, diesem Kerl mal zu zeigen, was es bedeutete, sich auf diese Weise zu verkaufen - ein Teil von ihm fand die Geschichte erregend. "Ihr glaubt in meinem Bett ist Gold zu finden... Wie kommt Ihr auf diese absurde Idee? Lasst mich raten, Ihr denkt mit Sicherheit, euer Schwager habe auf diese Weise das Arrangement für euch erreicht?" Er ditschte Gregors Hand zur Seite, bewegte sich ansonsten aber nicht. "Ihr kennt ihn schlecht, wenn Ihr das glaubt. Dennoch, was bietet Ihr mir denn, wenn ich Euch wie Ihr es nennt 'unter die Arme greife'?"
 

Kieran

Schon in den frühen Morgenstunden machte er sich auf nach Tottenham, wo ihn seine Mutter mit Vorwürfen begrüßte, dass er so abgemagert sei und so abgekämpft aussah. Er wusste nicht, ob er ihr von seinem Verdacht erzählen sollte, daher ließ er es lieber. Er erzählte ihr, dass er die ganze Nacht gelernt hätte und ließ sich von ihr bemuttern und bekochen, was er sichtlich genoss. Manchmal war man gerne einfach das Kind von jemandem, der einen umsorgte. Besonders dann, wenn es einem emotional nicht so gut ging. Fatih gesellte sich bald dazu und auch das ließ Kieran sich entspannen, einfach den Kopf mal wieder ein wenig frei zu bekommen. Gemeinsam trainierten sie ein wenig, was gut tat, um sich einfach mal wieder ein wenig zu verausgaben. Von Gregor sah er nicht viel. Seine Mutter erzählte ihm, dass er sehr still geworden wäre und sich viel in London herumtriebe. Kieran war sofort wieder hellhörig. Seine Mutter bestätigte ihm, dass er den ganzen letzten Tag nicht dagewesen war.

Später redete er mit seinem Vater, der von der Idee, ein zusätzliches Arbeitspferd zu bekommen, durchaus angetan war. Um das heute über die Bühne zu bringen, ritt Kieran bereits mittags wieder los, um zum Anwesen der Sforzas zu reiten. Entweder würde er Nico eine Nachricht hinterlassen, oder er könnte das Pferd so schon gleich mitnehmen und zu seinen Eltern bringen. Es trat Amadeo aus dem Haus, als Kieran absaß und nach Dominico fragte.
 

Gregor

Der Sforza schien misstrauisch zu sein. Gregor lächelte innerlich, ließ sich davon allerdings nichts anmerken. Dass der andere zurückwich und ganz offensichtlich überrascht war, wunderte ihn nicht, aber jener schien auch nicht erbost zu sein, drückte ihn nicht weg, sondern tolerierte die Nähe. Na das war doch schon einmal ein gutes Zeichen, darauf konnte man aufbauen. //Er scheint nichts gegen Sex zu haben…// Dennoch stoppte der andere seine Hand. Nun, Gregor hatte es auch nicht anders erwartet und wartete ruhig ab, sich auch nicht davon entmutigen lassend.

Gregor zückte mit einem süffisanten Grinsen die Schultern. „Etwa nicht?“, fragte er gegen und lachte dann kurz. Es ärgerte ihn ein wenig, dass dieser Sofrza seine Hand wegdrückte, ließ sich davon aber nicht aus der Ruhe bringen. „Pah“, sagte er. „Ich kenne ihn definitiv besser als Ihr. Kieran ist ein vorlauter, besserwisserischer, berechnender, egoistischer Hund, der nur an sich selbst denkt und alles dafür machen würde, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Seine Familie ist ihm doch egal, solange er sich profilieren kann. Er schaut doch auf uns einfache Leute nur hinab und glaubt etwas Besseres zu sein. Wahrscheinlich hofft er noch immer darauf, dass seine Eltern irgendwelche spanischen Adeligen sind, die ihn irgendwann doch noch mit Geld überhäufen.“ Feli hatte ihm davon erzählt, wie Kieran zu ihrer Familie gestoßen war. Dass Kieran davon gar nichts wusste, wusste Gregor wiederum nicht. Er lächelte süß und kam wieder näher, diesmal seine eigene Weste öffnend , dann das Hemd darunter leicht aufknöpfend. „Was ich biete?“, fragte er leise schnurrend. „Einen Luxuskörper? Geschickte Finger? Eine Nacht, die ihr nicht mehr vergessen werdet? Wie wäre es mit einer warmen Zunge, einem engen Hintern?“ Prüfend sah er den anderen an.
 

Kieran

Amadeo war auf ihn zugetreten und sah irgendwie erstaunt aus. Aber das lag nicht an Kieran, denn den schien er erwartet zu haben. „Kommt mit“, sagte dieser zu ihm, nachdem Kieran ihn höflich, und so wie es Nico ihm beigebracht hatte, begrüßt hatte. „Das solltet Ihr sehn.“ Mit einem fragenden Gesichtsausdruck folgte er der rechten Hand der Sforzas die geschwungene Treppe hinauf, offenbar zu den öffentlicheren Räumen, die in solchen Häusern meist vorne lagen. Unweit von einem dieser vorderen Zimmern, die schnell vom Eingang aus zu erreichen waren, blieb der Italiener stehen, deutete zur Tür, dann ging er wieder. Kieran trat näher an die Tür heran und hörte mit einem Mal eine Stimme, die ihm durchaus bekannt vorkam, wenn auch vielleicht nicht in dieser Tonlage.

Was ich biete? Einen Luxuskörper? Geschickte Finger? Eine Nacht, die ihr nicht mehr vergessen werde? Wie wäre es mit einer warmen Zunge, einem engen Hintern?

Kieran wurde schlecht. War das ernsthaft Gregor, der sich hier an Dominico ranmachte? Am Ende, um ihn zu erpressen? Für Geld? Für ein kleines Stück des Kuchens?

Kieran zögerte nicht und öffnete die Tür, trat in das Zimmer, um die Antwort darauf nicht hören zu müssen. Was, wenn Dominico am Ende noch eingewilligt hätte? Nein, lieber nicht darüber nachdenken…

Er verbeugte sich so, wie er sein sollte. „Verzeiht die Störung, Lord Sforza, Duce de Segni e di Onano“, sagte er höflich und blickte auf. „Oh, ich habe nicht gewusst, dass Ihr Besuch habt.“ Er sah zu Gregor und begrüßte ihn, dessen Standes würdig mit einem Nicken. „Schwager“, sagte er dazu, dann wendete er sich wieder Dominico zu. Seine Augen glühten vor Zorn. Und doch merkte man ihm das kaum an. „Entschuldigt mein Verhalten, ich warte draußen.“ Vielleicht war er doch manchmal kein so schlechter Schauspieler, wie er das Gefühl hatte.
 

Dominico

Nico beobachtete vornehmlich, was Gregor tat, wie er dastand und wie er sich gab. Offensichtlich war ihm die Situation an sich in keinster Weise peinlich und ein Problem damit, sich zu verkaufen, hatte er offenbar auch nicht. Es schien ihm beinahe egal zu sein, nun... dann war es so. Kieran hatte Gregor ohnehin als jemanden beschrieben, der ein Taugenichts auch und im Grunde genau so handelte wie er es jetzt von Kieran so treffend behauptete. Nico konnte es nicht genau sagen. Er dachte auch gerade nichtd arüber nach. Eigentlich, so fand er, war Kieran nicht eigennützig, zumindest nicht über einen erträglichen Punkt hinaus. Man durfte durchaus mal an sich selbst denken, aber Kieran sorgte sich auch um andere, auch wenn das zu seinem Schaden war, wie man bei manchem Patienten sah.

Was Gregor definitiv konnte, auch wenn es ihm wohl missfiel, dass Nico nicht gleich darauf einstieg, war, einen Mann der auf dem Trockenen saß wirklich zu verlocken. Ein Luxuskörper, geschickte Finger, eine warme Zunge und einen engen Hintern... Vielleicht einen jungfräulichen Hintern? Unwillkürlich hatte Nico das entsprechende Bild im Kopf, vor allem das, wenn Grgor vor Schmerz heulte, wenn's doch mehr weh tat, als er es sich jetzt noch dachte.. oder aber wirklich ein Bild von Ekstase, denn man konnte sagen was man wollte, Gregor war nicht unattraktiv. Zumindest nicht körperlich, alles andere war ziemlich abstoßend. Nico folgte mit dem Blick Gregors Händen, die seine Weste öffneten, das Hemd aufknöpften und eine breite bemuskelte Brust offenbarten, die Nico durchaus... gefiel. Zumindest einem Teil von ihm. Und dieser Teil schrie danach, ihn am besten hier auf dem Boden zu nehmen, ihn beinahe zu vergewaltigen, sodass Gregor nie wieder auf die Idee kam, auch nur einen Fuß in sein Haus zu setzen. Aber genau das würde es sein, dass Gregor Auftrieb gab. Wenn er nachgab, machte er Kieran damit doch nur noch mehr zur Hure, und auch wenn er selbst sich danach sehnte, endlich mal wieder auf die ein oder andere Art zum Schuss zu kommen: SO wollte er das definitiv nicht. Gerade als er zu einer passenden Antwort ansetzen wollte, öffnete sich die Tür. Es war nicht Amadeo oder sonst ein Diener, der eintrat, nein.. es war Kieran. Kieran, der ein paar Schritte in den Raum ging, sich formvollendet vor Nico verneigte, seinen vollen Titel sagte, als grüße er ihn an einem schönen Sommermorgen und dann so tat, als sei er überrascht, Gregor hier zu sehen... na klar!

Wer auch immer Kieran vorgelassen hatte, hatte gewusst, dass Nico hier nicht alleine war... und so wie Kierans Augen loderten hatte er zumindest den letzten Satz mitgehört. Er entschuldigte sich erneut formvollendet, deutete die Verbeugung wieder perfekt an und machte sich daran den Raum zu verlassen ehe Nico die Hand hob, um ihn aufzuhalten. "Moment, Mr. Carney. Ich bin mir sicher, dass Euch das hier auch interessiert." Er gab Gregor erneut einen Schubser, um ihn endgültig von sich zu lösen, und machte einen Schritt zur Seite, um beide im Auge zu haben. "Euer Schwager kam gerade zu mir, um Unterstützung für ihn und seine Frau zu erbitten, da er wohl von eurem Vater nicht genug Geld bekommt, wie er sagt." Um die Situation zumindest im Ansatz zu erklären. "Und gerade hat er sich mir angeboten... ich muss sagen, ich finde das äußerst interessant. Habt Ihr vor ihm vergessen zu erwähnen, dass ich glücklich verheiratet bin und zwei wohlerzogene Kinder habe?" Nicos Augenbraue wanderte in die Höhe, während er Gregor musterte. "Mr. Carney, Ihr sagt euer Schwager" - er sprach gerade mit Gregor und deutete nun auf Kieran - "würde auf andere herabsehen und sich selbst für so viel besser halten, aber ich frage mich allen ernstes, wie man nicht auf euch herabsehen soll. Ihr seid niderträchtiger als manch ein Diplomat am Hofe, Euch mir anzubieten, und Ihr verdient meiner Meinung nach den Galgen dafür, mir solche Neigungen damit zu unterstellen." Nicos Stimme war gefährlich leise geworden. Gregor mochte sie gesehen haben, doch er war ein Niemand...
 

Kieran

Er nickte auf den Wink hin, hier zu bleiben, hatte letztlich auch mit nichts anderem gerechnet. Als Nico begann zu sprechen, sah Kieran zu seinem Schwager und hob erstaunt die Augenbraue. "Du bekommst genug Geld. Tim gibt dir nicht mehr, weil es eh nur in Alkohol und Glücksspiel investiert wird." Kieran klang beherrscht, fast gleichgültig. Aber in ihm loderte es.

Aufmerksam lauschte er den Worten Nicos, ob er nicht von dessen Familie erzählt habe. "Wisst Ihr, Mylord, ich verkehre nicht so oft mit Gregor. Und gerade so private Dinge, wie Eure Familienverhältnisse, pflege ich nicht jedem zu erzählen. Schon gar nicht so einem widerwärtigen Schmarotzer, wie er einer ist." Letzte Worte gingen ihm mit einem verachtenden Ton über die Lippen. Seine Augen hatten sich verengt, während sie Gregor fixierten. Und das, was Dominico nun sagte, ließ die flammende Wut in ihm nur noch mehr lodern. Kierans Hände ballten sich zu Fäusten.
 

Gregor

Gregor selbst war noch relativ gelassen, als Kieran hereinkam. War der Kerl schon fertig bei seiner Mutter? Nun, dann würde er wohl zu Plan B übergehen müssen. Er lächelte süffisant, während die beiden ihre Show abzogen, doch das Lächeln gefror ein wenig, als er Dominicos Tonfall hörte. "Ihr könnt mir nichts vormachen", sagte er kühl und blickte zwischen beiden hin und her. "Ihr steht auf Männer!" Er deutete auf Nico. "Ich hab doch gemerkt, wie Ihr mich grad angesehen habt." Er drehte sich zu Kieran. "Und du bist nichts anderes als eine heuchlerische Hure." Er lachte verächtlich. "Mag sein, dass ich kein guter Mensch bin, aber jeder ist sich nunmal selbst der nächste." Er zuckte mit den Schultern. "Wir machen es ganz einfach. Ihr gebt mir Geld, regelmäßig." Er sah Dominico an. "Wenn nicht, sehr ich mich gezwungen, hier und da ein paar interessante Informationen loszuwerden. Über eure Beziehung und eure sexuellen Vorlieben. Ich war Zeuge eines Kusses, habe Briefe gefunden, die wirklich rührselig sind und die sind an einem sicheren Ort befinden." Er grinste überlegen und wendete sich Kieran zu. "Dir dein Studium zu versauen, das du dir mit Sex erkauft hast, ist eh das Beste, was ich mir vorstellen kann! Und ein Lord, der in der Öffentlichkeit kastriert wird, das würde ich auch gern seh..." Doch weiter kam er nicht, denn Kieran ging auf ihn los. Anders als beim letzten Mal, war er diesmal jedoch vorbereitet und packte den Arm, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er wusste, dass er gegen Kieran sich keine Sorgen machen brauchte, doch dieser Sforza war eine andere Liga. Erstmal kurz für Luft sorgen... Und so stieß er diesen hart gegen die Brust in Richtung Schreibtisch, neben dem der andere tatsächlich zu Boden ging.
 

Kieran

Er und sein Studium waren ihm egal - Dominico nicht. Und so war klar, dass die letzte Drohung diejenige war, die das Pulverfass zum explodieren gebracht hatte. "Du widerlicher Dreckskerl!" Kieran lief an und versuchte noch einmal sein Glück. Doch Gregor war diesmal vorbereitet. Kieran wurde am Arm gepackt, gestoßen und damit aus dem Gleichgewicht gebracht. Er stürzte, versuchte sich zu drehen, wie eine Katze und setzte erneut zum Sprung an. "Ich bring dich um, elendiger Bastard", fauchte er und er hatte das seltsame Gefühl, dass er das genau so meinte. Doch noch bevor er abspringen konnte, hatte er die Faust des anderen im Gesicht. Kieran war ein schlechter Kämpfer, was vor allem daran lag, dass er gar nicht kämpfen wollte - zumindest normalerweise. Hier war der Fall anders. Der unbändige Wunsch, dem anderen Schmerzen zuzufügen, war ihm gänzlich fremd aber jetzt nahm sie seinen ganzen Körper ein. Doch es nutzte nicht viel. Gregor drückte ihn zu Boden, während sein Kopf noch surrte. Zumindest hatte er ihn nicht ganz so heftig getroffen. "Du kleine Hure hast keine Chance gegen mich", hörte er Gregor zischen. Und dann spürte er mit einem Mal kalten Stahl an seinem Hals. Wie erstarrt blieb er liegen, die Augen weit aufgerissen. "Na, wo ist jetzt dein Mut?" Kieran knurrte. "Ich wollte dir schon immer dein hübsches Gesicht zerschneiden..."
 

Dominico

Es war doch immer wieder das gleiche. Abgesehen von der kurzen Unterredung, die nicht ganz so der Form entsprach, wie sie es wohl besser sollte, wenn Kieran jemals vor einem hochrangigen Würendenträger mit einem seines eigenen Standes aneinandergeriet - wobei sich Kieran hier wirklich schon redliche Mühe gab - war Gregor genau das, was Nico erwartete. Er warf ihm erneut vor, auf Männer zu stehen, angeblich wegen seines Blickes. Damit hatte Gregor vielleicht sogar recht, denn Nico war verdammt willig und wäre vielleicht sogar darauf eingegangen, wäre Gregor nur hartnäckig genug gewesen... besser nicht daran denken. "Ich könnte diesen Blick einer alten Hexe zuwerfen, wenn es mir nützlich erscheint", konterte er kühl, wieder ganz Herr seiner Sinne und vor allem seines Blickes. Auch wenn die Beleidigungen gegen Kieran hart waren, Nico ließ sich noch nicht aus der Ruhe bringen. Dieser Kerl konnte viel erzählen, aber Macht hatte er keine.. zumindest nicht wirklich. Nicht gegen Nico.. wohl aber gegen Kieran. Und wenn er die Briefe hatte, dann erst recht, denn Nico hatte sie dummerweise unterschrieben. Gregor wurde gerade zu einem wirklichen Risiko und Nico arbeitete bereits an einer Lösung, als Gregor gegen Kieran deutlichst über die Strenge schlug. Das Studium versauen konnte er ihm wohl wirklich, wenn er den richtigen Leuten die falschen Informationen übergab. Homosexualität war Teufelswerk und Ärzte bewegten sich ohnehin schon auf einem schmalen Grat. Kierans Ruf würde das kaum überleben, vor allem nicht bei einem Arzt wie Dr. Sullivan. Er brauchte eine Lösung und das schnell!

Leider wurde er in seinen Überlegungen unterbrochen, als Gregor ihn plötzlich hart gegen den Schreibtisch stieß. Zwar aufmerksam aussehend, aber vollkommen in Gedanken versunken merkte Nico viel zu spät, was passierte und prallte hart gegen den massiven Holztisch. Mit einem Keuchen knickte er ein und schaffte es irgendwie, den Sturz abzufangen, der ihn neben dem Tisch auf den Boden beförderte. Ein unschöner dumpfer Schlag kündigte an, dass einer von beiden gerade den anderen getroffen hatte. Nico biss die Zähne zusammen. Wie durch ein ungünstiges Wunder hatte Gregor ihn so mit der Hüfte gegen den Tisch gestoßen, dass der Schmerz über Nicos gesamte Seite lief. Doch er hatte Schlimmeres erlebt und durchgemacht und biss einfach die Zähne zusammen. Adrenalin half ihm dabe,i sich wieder auf die Füße zu stützen, und er sah zu den beiden, hörte Gregors Worte, der Kieran inzwischen niedergerungen hatte - und dann sah er das Messer. Sein Herz zog sich zusammen und sein Körper wurde eiskalt. Kieran blieb regungslos unter Gregor liegen, starrte nach oben noch immer puren Hass in den Augen und Gregor setzte das Messer an.

Schneller als ein Wimpernschlag dauerte hatte Nico die Schublade des Tisches aufgerissen, einen langen geraden Dolch herausgezogen und war mit einem Satz hinter Gregor. Der wusste ganz offensichtlich nicht, wer Nico war, oder dachte, dass Adelige wie er sich nicht die Fingere schmutzig machen. Doch während Nico vorher noch irgendwie an einer Lösung gearbeitet hatte, die mit Kerker und vielleicht Bezahlung zusammengehangen hatte - jetzt dachte er nur noch an kurzen Prozess. Ohne eine Sekunde länger zu warten, denn Gregors Klinge schnitt bereits in Kierans Kinn, packte er dessen verwuschelten Schopf, riss seinen Kopf nach hinten und legte die Klinge an Gregors Hals. "Du kannst dem Teufel in der Hölle deinen Arsch hinstrecken - vielleicht hat der ja Verwendung dafür", fauchte er, ehe er Gregor mit einer einzigen Bewegung der scharfen Klinge die Kehle durchschnitt.

Dessen weit aufgerissene Augen zeigten Überraschung, dann Schmerz, dann Panik. Blut spritzte aus der durchtränkten Halsschlagader auf Kieran und den Teppich und auf Nicos weißes Hemd. Gurgelnd und zuckend versuchte Gregor Luft zu bekommen, fasste sich in die klaffende Wunde - und erstickte schließlich in Nicos unbarmherzigen Griff. Dominico zuckte nicht einmal mit der Wimper und wandte den Blick nicht ab, bis Gregors Augen brachen. Dann ließ er ihn zur Seite kippen und beförderte ihn mit einem weiteren Tritt weg von Kieran neben dem er auf die Knie fiel. "Ist alles in Ordnung..?" Seine Stimme klang rau und erstickt und an der Hand, die gerade den Dolch fallen ließ, klebte Blut und er wischte es fahrlässig an seiner Hose weg.
 

Kieran

Diesen Blick, den Gregor ihm zuwarf, diese triumphierende Überlegenheit gepaart mit blankem Neid, würde er nie wieder vergessen. Und doch gab es ihm Kraft, irgendwie. Kraft, die er bündelte, um den anderen von sich herunter zu bekommen, auch wenn jener ihm das Messer nun am Kinn ansetzte. Doch soweit kam es nicht mehr. Dominico, den er vorhin nur hatte taumeln sehen, schien wieder aufgestanden zu sein. Kieran hörte etwas wie eine Schublade und dann ging alles recht schnell: Er spürte den Schnitt an seinem Kinn, der wie Feuer brannte. Doch bevor Gregor noch weiter kam, wurde er von den Geräuschen hinter sich abgelenkt. Dann sah Kieran nur noch, wie Dominico den blonden Mann von hinten packte und ihm nun seinerseits einen Dolch an den Hals hielt. Kieran versuchte sich irgendwie aufzurichten, erstarrte aber in der Bewegung, als er diese Bild der beiden Männer sah. Dominico wirkte vollkommen kalt, das Gesicht das er machte, wirkte wie eine Maske, die Dominico aufgesetzt hatte. Das war doch nicht der gleiche Mann, oder? Nun,... doch. Aber keiner, den er bisher hatte kennenlernen dürfen. Das war Dominico, der Soldat, der für den König in die Schlacht zog, um zu töten. Und mit dieser Erkenntnis wunderte es Kieran auch nicht, dass jener ohne eine Sekunde zu zögern durchzog, was begonnen worden war. ‚Die Arteria carotis communis‘, dachte er absurderweise im ersten Moment und wunderte sich über sich selbst, wieso er mit einem Mal begann, den medizinischen Aspekt dahinter zu sehen. Besonders, da das Blut, angepumpt vom erhöhten Herzschlag des anderen, noch immer kräftig durch die Halsschlagader gepumpt wurde und daher sicher bis zur Decke gespritzt wäre, wenn Dominico nicht seine Hand noch immer an der Stelle hielt. Kieran war regungslos und beobachtete mit erschrockenen Augen das, was sich nun abspielte. Ein Mann, der begriff, dass er sterben würde und ohne eine Chance zu haben kämpfte, bis der Lebenswille aus den Augen wich. Kieran hatte einen Moment das Bedürfnis wegzusehen, aber er tat es nicht. Er war hierfür genauso verantwortlich wie Dominico und Gregor. Und er war nicht feige. Dass das alles hier Konsequenzen hatte, die er jetzt in keinster Weise abschätzen konnte, war ihm klar. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Und wenn er ehrlich war: Er hatte den Wunsch, Gregor zu töten, definitiv selbst gehabt.

Noch immer regungslos blieb er halb aufgerichtet, sich mit den Händen hinter sich abstützend liegen, als Dominico den leblosen Körper zur Seite kippen ließ von ihm wegstoßend, und sich schließlich neben ihn kniete. Die Frage kam ihm so irreal vor und irgendwie aus der Ferne. Kieran nickte langsam, mechanisch. „Ich denke schon“, sagte er dann tonlos und wandte erst jetzt den Blick ab von dem Mann, der dort lag, ohne sich zu rühren. Kieran sah zu Dominico. Dominicos Hemd war blutdurchtränkt, seine Hände ebenfalls voll davon. Er sah an sich selbst herunter. Auch er war voller Blut, überall, auf der Kleidung, im Gesicht, den Haaren. Er schmeckte bereits den Geschmack von Eisen in seinem Mund, - Blut, das nicht seines war. Blut, das eben noch durch einen Körper geflossen war…

London - Kälte

Kieran

Kieran schluckte. Dann richtete er sich langsam auf und obwohl er so voll Blut war, umarmte er den Mann, der neben ihm kniete, aus dem dringenden Bedürfnis, einen Moment festgehalten zu werden. Das Bild, das er gerade eben noch gesehen hatte, brannte sich in sein Gedächtnis ein. Es erschreckte ihn sonderbarerweise nicht, aber er würde das erstmal für sich begreifen müssen.

„Und dir?“, fragte er nach einer Weile und löste sich wieder leicht. „Entschuldige, ich habe dich vollgesaut…“, murmelte er verwirrt und versuchte zu lächeln. Irgendwie fühlte sich alles gerade so seltsam an, so völlig verwirrend. Sein Blick wanderte wieder zu Gregor. „Was machen wir mit ihm?“, fragte er tonlos, und überlegte, wie die Abende wohl jetzt ohne diesen im Lager verliefen. Seine Gedanken waren irgendwie vollkommend durcheinander.
 

Dominico

Nico hatte den Toten bereits mehr oder weniger ausgeblendet, als er bei Kieran am Boden saß, und er blendete auch aus, dass alles voller Blut war und sie beide damit eingesaut waren. Kieran ging es offensichtlich nicht all zu schlecht, er wirkte zumindest noch bei sich und nicht panisch, wenn auch ziemlich verwirrt. Nico richtete sich wieder auf und sah sich im Raum um. Was genau machten sie sie jetzt? "AMADEO?" Nicos Stimme hallte durch den Raum und der Diener kam schneller in den Raum, als dass es wahrscheinlich war, dass er einen langen Weg gehabt hatte. Und Amadeo erfasste die Situation beinahe sofort. Er rief zwei andere Namen in den Gang hinaus und kurz darauf erschienen zwei weitere Männer, die der Anblick allerdings nicht ganz so kalt ließ. Gemeinsam mit Amadeo wickelten sie den Leichnahm in ein dickes grobes Tuch und schleiften ihn dann nach draußen, während kurz darauf schon Dienerinnen mit Putzeimern auftauchten. Nun, das Blut würde man nicht wegbekommen. "Verbrennen" keuchte Nico nur leise. Die Anspannung fiel von ihm ab und der Schmerz in seinem Bein kam langsam wieder. "Und noch mal ein wenig Wasser in den Zuber, ja?" Er schaffte es, sich aufzurichten und half Kieran auf die Füße. Nico vertraute seiner Belegschaft, niemand würde Fragen stellen, niemand würde etwas sagen - Amadeo hatte die Mannschaft gut im Griff, wenn man so wollte... und sie würden den Leichnam auch verbrennen, sie würden alles verbrennen und vernichten, was hier auf Gregor hindeutete.. Da war Nico sich sicher.

Und jetzt zählte ohnehin nur Kieran, aus dessen Umarmung er sich schon gelöst hatte und den ihn nun aus dem Raum in Richtung Badehaus hinauszog. Auch dieses war m so groß wie in ihrem Haus in Camebridge, nur noch wesentlich heller. Diener beeilten sich, das Wasser in den Zuber zu leeren und er war schon dreiviertel voll, allerdings war das Wasser kalt. Doch draußen war es relativ warm und Nico musste das Blut loswerden, das an ihm klebte. Es trocknete und fühlte sich einfach nur widerlich an und Kieran ging es sicher nicht anders. Nico riss sich das Hemd vom Körper und streifte die Hose ab, ehe er Kieran half, der noch wesentlich mehr trug als er selbst. "Niemand wird irgendetwas erfahren, es ist nichts passiert...", versuchte er Kieran und auch ein Stück weit sich selbst zu beruhigen, ehe er Kieran in den Zuber half und dann selbst hineinsank, um direkt das Blut von sich zu schrubben. Wenn der erste Schock und die Angst von einem abfiel dann kam dieser Ekel... und außerdem war es alles andere als hygienisch, Blut eines anderen an sich kleben zu haben. Er gab Kieran ein Tuch, das er benutzen konnte, um sich zu säubern, und wusch sich selbst das Haar, ehe er einen der frischen Wassereimer nahm, um frisches Wasser nachzugießen. Seine Finger zitterten, als er den Eimer abstellte und sich gegen den Zuberrand lehnte. "Ich habe ihn umgebracht... ich wollte das nicht, aber er... er wollte dich töten und... das konnte ich nicht zulassen...", erklärte er leise und irgendwie abwesend. "Das hättest du nicht sehen dürfen... ich wollte nicht, dass du diese Seite von mir jemals sehen musst." Denn er hatte in Kierans Augen gesehen, was dieser dabei empfunden hatte. Die Überraschung, einen anderen Nico zu sehen, der keinen Respekt vor dem Leben eines Feindes hatte.
 

Kieran

Fast zuckte er etwas zusammen, als Nico so laut nach Amadeo, seinem Freund und seiner rechte Hand rief. Und wieder reagierte Kieran irgendwie seltsam. Denn der Mann, der nun eintrat, beruhigte ihn erneut ungemein. Dieser schien auch genau zu wissen, was er zu tun hatte, denn er reagierte ebenfalls prompt und rational. Und Nico fällte letztlich das Urteil, was mit Gregor zu tun war. Verbrennen war wahrscheinlich das Sinnvollste. Ein Grab zog Insekten an, die eine verscharrte Leiche nur allzu gut verrieten. Wirklich heißes Feuer würde, wenn überhaupt, nur Knochen zurücklassen, die niemand jemandem zuordnen konnte. Hoffentlich verbrannten sie ihn nur weit genug weg. Verbrennendes Fleisch roch ekelerregend. Kieran wunderte sich über sich selbst, wie rational er war, wie kalt er sich anfühlte. Aber was sollte er sonst machen? Weinen? Wegen diesem Mann? Nicht nachdem er wusste, wie jener wirklich über ihn dachte. Definitiv nicht.

Und außerdem hatte er es selbst getan, da war er sich fast sicher. Kieran war temperamentvoll, ja, aber die Wut, die er gespürt hatte, die war ihm neu gewesen. Das war vielleicht das Einzigste, was ihn etwas erschreckte. Aber Gregor wollte Dominico schaden, und das hätte er niemals zugelassen.

Mit diesen Gedanken beobachtete er das Gewusel, das nun um sie herum ausbrach, bis Nico leicht stöhnte und sich aufrichtete. Kieran hatte noch keine Antwort auf die Frage erhalten, wie es Nico ginge. Er hatte den Aufprall, den Sturz gehört, hatte sich Nico verletzt?

Er sah den anderen an, der sich aufrichtete, fand aber nicht den richtigen Moment noch einmal nachzufragen. Und so ließ er sich hochziehen und ging mit zu dem Badehaus, das dem in Cambridge ähnelte, an das er so schöne Erinnerungen hatte. Dort angekommen entledigte sich Nico seiner Kleider und auch Kieran wollte sie loswerden. Erst jetzt, da er etwas klarer im Kopf an sich herabsah, sah er das Ausmaß des Blutverlustes von Gregor. Und erst jetzt merkte er, wie aufgewühlt er wirklich war, denn seine Hände vegannen zu zittern, und die Knöpfe zu öffnen, fiel ihm schwer. Er blickte irritiert auf, als Dominico kam, um ihm zu helfen, und kurz musste er lächeln bei dem Gedanken, dass er es sich etwas anders vorgestellt hatte, wie er das nächste Mal von Dominico ausgezogen werden würde. Die Worte des anderen ließen das Lächeln jedoch sterben.

Kieran nickte nur. Ja, es würde niemand etwas jemals erfahren, definitiv nicht. Aber konnte man sagen, dass nichts passiert war? Nein, definitiv nicht. Es war etwas Entscheidendes geschehen: sie hatten gemeinsam einen Mord begangen, um sich gegenseitig zu schützen und das, was zwischen ihnen bestand, zu bewahren - was auch immer es war.

Und ein Mord war dich eigentlich ziemlich viel 'passiert', oder?

Aber so weit konnte Kieran gerade nicht denken, als Dominico ihm in den Zuber half und Kieran sogleich untertauchte, um das Blut vom Gesicht und aus den Haaren zu spülen. Das Wasser war kühl und daher sehr angenehm. Es half ihm, wieder mehr zu sich zu finden. Als er wieder auftauchte, nahm er das Tuch, das Dominico ihm reichte und merkte, dass der andere leicht zitterte. Es beruhigte und beunruhigte ihn zu gleichen Maßen. Und während er sich abrieb, sah er immer wieder zu Dominico, der schließlich noch einmal mit frischem Wasser sich übergoss. Und diesmal sah Kieran sehr deutlich, dass der andere zitterte. Kieran ließ davon ab, sich zu säubern und trat an Nico heran, als dieser zu sprechen begann. Dass der andere aussprach, was geschehen war, half ihm, die ganze Situation zu realisieren. Ihm wurde alles immer bewusster. Und die Motivation, die dahinter stand, ließ ihn lächeln. Natürlich würde er von Dominico nie erwarten, für ihn einen Mord zu begehen, aber diese Situation hat einen erfordert. Und hätte Dominico Gregor nicht getötet, hätte er es früher oder später getan, oder wäre eben selbst dabei draufgegangen. Der letzte Punkt, den der andere sagte, ließ ihn noch näher herantreten, den Arm heben und Dominico sanft über das Haar streicheln, so dass dieser ihn ansah. "Zunächst einmal: WIR haben Gregor umgebracht. Und ich schäme mich dafür nicht und ich bereue es nicht. Du hast recht, niemand wird das je erfahren, aber wir können auch nicht sagen, dass nichts passiert ist. Wir haben getötet, du, weil du mich schützen wolltest, und ich hätte ihn genauso getötet, um dich zu schützen. Es ist also nicht nichts passiert." Seine Stimme war ruhig und bestimmt, während seine Hand auf der Wange des anderen zur Ruhe gekommen war. "Und dass ich dich so gesehen habe, stört mich nicht. Es ist ein Teil von dir, der genauso zu dir gehört, wie deine Liebe zu den Pferden. Das bist du und es erschreckt mich nicht, auch wenn ich hoffe, nie dein Feind zu werden." Er lächelte den anderen an. "Mach dir keine Vorwürfe, ich halte mehr aus, als du denken magst und solange ich heute Nacht nicht alleine sein muss, ist alles in Ordnung." Zumindest im Moment, wie es sein würde, wenn er am Abend die Augen schloss, das würde sich dann erst zeigen.
 

Dominico

Es tat gut, das Blut von sich zu waschen. Auch im Krieg oder bei Scharmützeln hatte Nico immer ein Ritual gehabt und zwar ganz gleich ob er tatsächlich gekämpft hatte oder nicht. Er hatte seine Rüstung abgelegt, die währenddessen gereinigt wurde, und hatte sich ausgiebig gewaschen. Manchmal, um das Blut herunter zu waschen, manchmal, um die Schuld abzuwaschen, die er empfand. Diesesmal ging es um das Blut und ein wenig um Schuld - und zwar in zweifacher Weise.

Die Schuld, die er empfand, war auch der Grund aus dem er zitterte. Dass er noch vor kurzem voller Blut gewesen war und Gregor die Kehle durchgeschnitten hatte, störte ihn dabei weniger.

Er sah Kierans Schwester vor sich, die jetzt keinen Mann mehr hatte. Vielleicht würde es ihr helfen, vielleicht wuchs die Familie wieder ein bisschen mehr zusammen - doch sie hatte ihn nicht ohne Grund geheiratet. Diese kleine Einheit in der großen Familie hatte ein Mitglied verloren und nicht nur das, auch Kieran selbst war jetzt nicht mehr ganz so unbedarft wie vorher noch - wegen Nico hatte er sich auch zum Mörder gemacht.

Doch viel schlimmer wog etwas anderes, als dass er getötet hatte, als Gregor über Kieran gekniet hatte: seine Lust. Und als er das Messer an Gregors Hals gelegt hatte war da eine Stimme gewesen, die ihn fragte, warum zur Hölle er den Mann tötete, der sich ihm eben doch noch so herrlich angeboten hatte. Dieser dunkle Teil seiner Seele war der, den er selbst hasste. Doch wenn er das Schwert für seinen König führte, musste er genau dieses Monster sein, das er eigentlich nicht war und auch nicht sein wollte. Seine Hände zitterten nicht, weil er Gregor ermordet hatte, sondern weil er vielleicht wirklich ja gesagt hätte. Aus niederträchtigen, selbstsüchtigen Beweggründen, die Kieran nicht verdient hatte.

Und alles war seine Schuld. Dass Gregor überhaupt aufgetaucht war, war seine verdammte Schuld. Nur weil er Kieran hatte haben wollen, weil er ihn schließlich bekommen hatte und weil er etwas hatte wieder gut machen wollen. War das dumm von ihm gewesen?

Kieran war zu ihm getreten, redete ihm beinahe gut zu, so dass Nico lächeln musste, ehe er ihn sachte ein Stück von sich schob und sich bückte, um den Ablauf zu öffnen. Durch ein unterirdisches Rohrsystem gelangte das Dreckwasser in den Garten - gut genug für die Blumen war es, und Gregors Blut vielleicht ein guter Dünger, wer wusste das schon. Vielleicht würden die Pflanzen auch verderben, aber Nico war es egal. Als die drei Burschen mit 6 Eimern Wasser wieder kamen, bat er sie, die Eimer einfach nur in Reichweite des Zubers zu stellen. "Dann könnt ihr gehen. Nehmt die Kleidung mit und verbrennt sie auch. Alles." Waren seine knappen Anweisungen, ehe die drei Männer abzogen und sie beide alleine ließen. Der Zuber wurde leerer und Nico nahm einen Eimer frischen Wassers um Kieran damit zu übergießen. "Du hättest getötet, sagst du... hast du denn schon mal getötet? Ja, ich weiß, wenn es heißt: er oder ich, dann wählt man immer sich selbst, aber... sei nicht leichtfertig damit zu sagen, du hättest es gekonnt. Ich habe ihm die Kehle durchgeschnitten und ich bereue es nicht. Er war nur ein unbekannter Mann für mich, ich verbinde gar nichts mit ihm. Würdest du mir irgendjemanden vorsetzen und sagen töte ihn, ich könnte es. Auch ohne jeden Grund. Irgendwann hat man genügend Gründe, um einfach das zu tun, was von einem erwaret wird. Glaube mir, ich weiß es inzwischen. Irgendwann fragt man nicht mehr nach dem "Warum", weil man es selbst vielleicht gar nicht wissen will. Krieg und auch so eine Tat wie diese ist meistens nur eine Frage der Loyalität, denn richtig ist es nie. Was mir viel mehr Sorge bereitet ist, dass es überhaupt so weit kommen musste. Und... ich frage mich vor allem, was du da zu suchen hattest. Niemand hat dich angekündigt... woher wusstest du, wo du mich finden würdest?"

Es kam ihm schon etwas spanisch vor, auch wenn er einen konkreten Verdacht hatte. Naja, übel nahm er es Kieran ja nicht, immerhin war er noch rechtzeitig gekommen. Rechtzeitig um zu verhindern, dass Nico einen Fehler beging, den er mit Sicherheit begangen hätte.
 

Kieran

Kierans Stirn verdunkelte sich, als der andere zwar lächelte, aber ihn von sich schob. Es war genau das, was er in dieser Situation nicht hatte haben wollen. Er hatte das dringende Bedürfnis nach Nähe, um diese Kälte, die ihn umgab, zu beseitigen. Stattdessen wurde er von dem Mann weggeschoben, dessen Nähe die einzige sein würde, die er heute ertragen könnte. Er schluckte und wendete sich ab. Irgendwie schien es ihm so, als hätte Dominico mit sich selbst einen Kampf auszufechten und er störte dabei, vielleicht auch, weil er Teil dieses Kampfes war, oder zumindest in gewisser Weise der Auslöser. Das erklärte ihm das Verhalten des anderen, machte es ihm gegenüber nachvollziehbar, aber deswegen fühlte es sich in ihm nicht besser an – gar nicht. Als die drei Diener kamen, hatte er sich soweit wieder gefangen, dass er sich von Dominico übergießen ließ. Dass Dominico seine Kleidung auch verbrennen ließ, war notwendig. Er würde sie, selbst wenn sie gereinigt werden könnte, nicht mehr anziehen können. Dennoch musste er so bald wie möglich wieder einen neuen Anzug machen lassen. So viele hatte er nun mal nicht zur Auswahl. Mit solchen Gedanken lenkte er sich ab, während er sich den letzten Rest Blut vom Körper wusch, bis Dominico ihn wieder ansprach. Ob er es gekonnt hätte? Er beantwortete die Frage erst einmal nicht, sondern ließ den anderen einfach weitersprechen. Und sein ohnehin schon versteinertes Gesicht blieb regungslos, während er die Worte des anderen hörte. Es war ein Einblick in das junge Leben des anderen. Wenn man gezwungen wurde, das Töten zu lernen, dann konnte man es irgendwann. Kieran glaubte ihm das, es war so mit Soldaten, mit Berufskillern, wenn man den Begriff verwenden wollte. Noch bevor der andere endete, wendete Kieran sich ab und stieg aus dem Zuber, griff sich ein Handtuch und trocknete sich ab, schließlich ein frisches Handtuch um die Lenden bindend. „Amadeo hat mich zu dem Arbeitszimmer gebracht“, sagte er tonlos. „Er meinte, dass ich das nicht verpassen sollte. Ich muss sagen, dass ich da kurz versucht war, einfach wieder zu gehen. Eigentlich ging es mich nichts an. Aber weil es Gregor war, konnte ich nicht gehen. Ich hätte nicht ertragen, dass…“ Er unterbrach sich. Es war ohnehin nicht mehr relevant. „Und zu deiner Frage, ob ich schon einmal getötet habe. Ich habe bereits getötet, ja. Aus anderer Motivation als du, aber ich habe es schon getan. Und ich habe auch schon Menschen in meinen Armen liegen gehabt, und darauf gewartet, dass der Tod sie mir wegreißt. Ich sehe jeden Tag Menschen sterben und bin hilflos, weil ich ihnen nicht helfen kann. Aus purem Hass, aus purer Wut habe ich allerdings noch nicht getötet. Aber alles in mir fühlte sich so an, als könnte ich es. Ich wollte ihm nur noch Schmerzen zufügen, wollte, dass er leidet. Sicher, ich kann es nicht sagen, ob ich es wirklich getan hätte, aber was spielt das jetzt noch für eine Rolle?“ Er zitterte leicht, und er konnte nicht sagen, ob es die kühle Luft war, die er spürte, weil er gerade aus dem nicht wirklich warmen Wasser gestiegen war, oder ob es die innere Kälte war, die ihn immer noch gefangen hielt. Und die Erinnerungen an die vielen Male, wo er Menschen hatte sterben sehen, verbesserten seine Situationen nicht wirklich. Er sah Kathy vor sich, wie sie in seinen Armen lag, als er aufwachte, und sie nicht mehr geatmet hatte. Der Körper, der noch so sehr geglüht hatte, als sie eingeschlafen waren, war kalt und reglos gewesen. Und er erinnerte sich an seine Großmutter, der er das Leiden erspart hatte, weil sie es sich so gewünscht hatte. Schnell schob er die Gedanken beiseite. Er sah sich um, als einer der Diener hereinkam, um ihnen etwas Neues zum Anziehen zu bringen, und Kieran kam er wie ein Erlöser vor. Eilig zog er sich das etwas zu große Hemd und eine Hose über, um nicht mehr so ‚nackt‘ dazustehen, um nicht mehr so frieren zu müssen. Irgendwie hing er gerade in der Luft. Einerseits wollte er gerade nur noch gehen. Andererseits wusste er nicht wohin. Nun, John würde zu Hause sein, zu ihm konnte er gehen, er würde auch bei ihm oben schlafen und ihn halten, wenn es notwendig wäre. Vielleicht sollte er das tun...

"Ich muss rechtzeitig in der Stadt sein", stellte er fest. "Das Pferd für meinen Vater nehme ich gleich mit, wenn das ok ist." Die Kluft zwischen ihnen war mit einem Mal immens. Und Kieran sah sich nicht in der Pflicht das zu ändern. Er hoffte darauf, dass Dominico noch einmal auf ihn zukam, aber diese Hoffnung wurde enttäuscht. Dominico schien den Kampf in sich gegen ihn entschieden zu haben. Das, was geschehen war, hätte sie enger zusammenschweißen müssen, doch dem war nicht so. Ganz im Gegenteil.

Kieran verlor, als er das Anwesen verließ, den Glauben daran, dass sie sich jemals wieder nahe kommen könnten. Der Mord hatte sie entzweit. Nun, dann hatte Gregor wenigstens etwas geschafft: er hatte ihm Nico genommen.
 

Dominico

Nico blieb im Zuber stehen, als Kieran hinausstieg. Er merkte, dass Kieran sich ein Stück von ihm entfernte und er konnte körperlich fühlen wie sehr Kieran hoffte, dass Nico ihm folgte. Dass er ihn in den Arm nahm und ihn tröstete, dass sie sich beide Trost spenden konnten. Doch Nico konnte in dieser Situation kaum aus der Maske, die er trug und etwas in ihm sagte ihm, dass es gut war, wenn Kieran ging. Dass es die Sehnsucht mindern würde, auf beiden Seiten, wenn das jetzt zwischen ihnen stand. Er hörte was Kieran sagte, verstand es auch, doch in seinen Ohren blieb nur der Tonfall zurück. Diese maßlose Enttäuschung, die da zwischen ihnen war und langsam aber sicher eine Mauer hochzog.

Dass er es nicht ertragen hätte, wenn Nico zugestimmt hätte. Amadeo hatte richtig gehandelt, wohl auch, weil er Nico gut genug kannte. Wenn er gehört hatte, was Gregor ihm gleich zu bBeginn des Gesprächs angeboten hatte... Ja, dann würde er Kieran geschickt haben, um Nico vor dem Fehler zu bewahren, den er ganz sicher begangen hätte. Nico fühlte wie sein Gesicht sich mehr verschloss, als Kieran davon sprach, bereits getötet zu haben, und davon sprach, beim Sterben eines geliebten Menschen dabei gewesen zu sein. Soetwas war schrecklich.. und doch konnte er das Mitgefühl gerade nicht zeigen, weil ihn etwas davon abhielt. Er goss den nächsten Eimer Wasser über sich, während sich Kieran bereits abschrubbte und etwas überzog. Kieran sprach davon, schnell in der Stadt sein zu müssen und das Pferd mitnehmen zu wollen. Nico hätte ihn bitten können zu bleiben, doch es war ihr bester Schutz, jetzt nicht zusammen zu sein, oder nicht? Es schmerzte, als er nickte und sagte, dass er sich das Pferd in den Stallungen abholen könne... und dann ging Kieran. Nico blieb im Zuber stehen, so lange bis er auf dem Hof den Galopp zweier Pferde hörte, die den Hof verließen.

Dann brach er im Zuber zusammen, eiskaltes Wasser über sich und zitternd. Es fühlte sich an, als habe er nicht Gregor die Kehle, sondern sich selbst das Herz in Stücke geschnitten, aber er wusste, dass dies der einzig richtige Weg war - zumindest sein rationaler Verstand sagte es.

Und es war Alessio, der ihn unterkühlt eine halbe Stunde später so vorfand und ihn - noch immer bebend - aus dem Zuber zog. Der Kardinal hatte weiterhin Reisevorbereitungen getroffen und hatte nach Nico gesucht. Die Dienerschaft hatte gesagt, er sei im Bad und Alessio war vor Schreck beinahe auf dem nassen Boden ausgerutscht. Gemeinsam mit Amadeo schleifte er Nico in sein Schlafzimmer, rubbelte ihn trocken und steckte ihn mit zwei Heizkesseln in das warme Bett. Nur langsam kam Nico wieder wirklich zu sich, sein erster Blick galt Amadeo. "Bruciato?" "Si."

Zumindest einer der Klumpen auf Nicos Herz fiel ihm von der Seele, während Alessio auf einen umfassenden Bericht pochte und darüber nur den Kopf schütteln konnte. Allerdings nicht über Nico, sondern eher über diesen Gregor. "Du hättest dich nicht mit diesen Leuten einlassen dürfen, im Ernst.. das bringt uns nur noch mehr Schwierigkeiten."

Nico winkte ab. "Nur er war schwierig, die anderen nicht. Sieh du lieber zu, dass die größeren Schwierigkeiten uns nicht überennen. In zwei Wochen reise ich nach Spanien, hier wird niemand sein, um die Stellung zu halten. Hast du unsere Vertrauten angewiesen, uns in der Gunst des Könisg zu wahren?" Alessandro nickte. "Keine Sorge, unsere Position wird auch in unserer Abwesenheit gefestigt sein."

"Das ist gut.." meinte Nico nur leise, denn nach dem Schock und der Anstrengung übermannte ihn in der plötzlichen Wärme langsam der Schlaf. Sein Bruder blieb bei ihm, bis er schlief und ließ ihn dann allein. Nico schreckte nicht nur einmal auf, doch so ging es ihm meistens... und gegen Mitternacht wurde sein Schlaf ruhiger und er konnte sich wirklich ausruhen.
 

Kieran

Kieran fand John zu Hause. Jener stellte keine Fragen, merkte auch so, dass Kieran am Ende war. In dieser Nacht blieb John bei ihm, hielt ihn fest und beruhigte ihn wieder, wenn er aus einem Alptraum aufwachte - etwas, was er sich eigentlich von einem anderen Mann gewünscht hatte...

Die Spanienreise - Krankheitsvertretung

Kieran

Die zwei Tage bei Dominico hatten zwei Gutes gehabt: zum einen war sein Auftritt nun angepasster und er verstand es besser, sich den Gegebenheiten an der Uni anzupassen; zum anderen lernte er, verschlossener zu sein, stiller zu werden. Dominico hatte ihm nicht nur beigebracht, wie er höflich war, er hatte ihm auch seine Unbefangenheit genommen. Und teilweise war das wohl auch ganz gut so. Er wurde ein besserer Schauspieler, seine Mimik undurschaubarer. Letztlich lag es wohl einfach daran, dass er mit sich und seinen Gefühlen zu kämpfen hatte. Es war nicht der Mord, den er bald verarbeitet hatte und der ihn nicht mehr verfolgte in den Nächten - es war seine endgültige Trennung von Dominico, die diese Geschichte offenbar mit sich gebracht hatte. Und das schmerzte, es schmerzte so unendlich, dass er in manchen Nächten es gar nicht mehr aushielt und zu John ins Bett kroch. Er wusste, dass das nicht fair war, ihn in gewisser Weise als Kuschel-Ersatz zu missbrauchen, aber es ging nicht anders. Und John, der anderen Männern gegenüber so unnahbar und majestätisch auftrat und jeden rumbekam, wenn er es wollte, hielt ihn, spendete ihm Trost und baute ihn auf, ohne mehr zu verlangen, ohne eine Gegenleistung einzufordern. Wenn der schöne Mann Kierans schlechtes Gewissen sah, schmunzelte er nur und sagte: "Zieh nicht so ein Gesicht. Du bist mein bester Freund, mein einziger Freund. Wir sind füreinander da."
 

Ansonsten stürzte er sich in die Arbeit, um bei den Prüfungen nächste Woche gut abzuschneiden. Es half ihm, ein wenig zu vergessen, es half ihm, an etwas anderes zu denken. Für seinen Körper war diese Zeit alles andere als gut. Er hatte einfach keinen Appetit und daher aß er kaum. Zeit zum Bewegen blieb ihm auch nicht.

Die Prüfungen waren für ihn eine gefunden Ausrede, nicht zu seiner Familie reiten zu müssen. Zuletzt hatte er das Pferd vorbeigebracht, aber da war Gregors Verschwinden noch nicht aufgefallen... Er hatteSeitdem Gregor als verschwunden galt, war die Stimmung in der Familie zwiegespalten. Seine Mutter hatte ihm davon geschrieben. Man freute sich, den Querulanten los zu sein. Aber das Unwissen, wo jener wohl geblieben war, war nagend. Felicitas, die gemerkt hatte, dass jener sich seine teuersten Klamotten mitgenommen hatte, wuchs der Gedanke, dass jener sich in London ein neues Leben aufgebauen wollte -ohne sie. Offenbar war er vorher öfter in London alleine gewesen. Ob er ihn beobachtet hatte? Seine Mutter bat ihn, nach Gregor Ausschau zu halten und ihn zu bitten, nach Hause zu kommen. Es zerriss ihm das Herz... Und doch hoffte er, dass die Wut über das „im Stich gelassen“-Sein aufkam und Feli dadurch über ihn hinwegkam. Und so schrieb er ihr zurück, dass er das tun würde und sie auf dem Laufenden hielte.
 

Dominico

Die zwei Wochen vergingen dank der Vorbereitungen wie im Flug. Es war keine kriegerische, sondern erneut eine politische Reise, doch Nico reiste ausnahmsweise mit großem Gefolge. Neben Amadeo, der ihn sowieso begleitete, würde sein Arzt mitkommen - vor allem um zu verhindern, dass ein spanischer Arzt ihn tötete, oder dass er oder einige der jüngeren Lords, die zu seiner Gesandtschaft gehörten, eine Krankheit aus dem fremden Land einschleppte. Vertreter des Handels, Vertreter der Kirche - unsinnige, nervtötende Anhängsel wie Nico fand. Doch auch sie gehörten nunmal dazu und Henry hatte es befohlen, also würde es passieren. In mehreren Kutschen mit einer wahren Karawane von Tieren würde es zunächst an die Küste und von dort aus mit dem Schiff nach Spanien gehen, ehe man dort die Reise zu Pferd und in der Kutsche fortsetzte. Der Aufbruch sollte früh am Morgen sein, noch vor Sonnenaufgang, um zeitig loszusegeln. Der Weg war nicht allzu weit, doch Nico wollte nicht zu lange auf dem Wasser verbringen. So saß er bereits hoch zu Ross und auf gepackten Taschen, während auf seinem Hof nach und nach die letzten Teilnehmer ihrer Reise eintrafen.

Noch wartete er auf John Chambers, der ihn als Arzt begleiten sollte.

Er hatte gehofft, einen anderen Arzt mitnehmen zu können, doch Henry hatte es so gewollt und es war ja auch nicht John, gegen den Nico etwas hatte... nur John erinnerte ihn an Kieran, den Nico bei all der Vorbereitung und den Gedanken an ihre Zukunft erfolgreich verdrängt hatte. Wobei das gelogen war - er träumte jede Nacht von ihm, und wenn er nicht träumte, so dachte er zumindest jede Nacht an ihn und es wurde immer schlimmer. Er vermisste ihn. Er vermisste ihn aus ganzem Herzen.
 

Kieran

Die Prüfungen verliefen für ihn besser als er erwartet hatte, und besser, als alle Dozenten erwartet hätten. Er übertraf jegliche Erwartungen und schnitt im Vergleich zu den Kommilitonen überdurchschnittlich gut ab. Nur John war besser, vor allem, weil sie die Prüfung in Anatomie erst nächstes Trimester haben würden. Er war noch nie in einer Prüfung gewesen, umso überraschter war er, als ihm das mitgeteilt worden war. Er hatte die Prüfungen für anspruchsvoll, aber nicht für unlösbar gehalten. Dass er besser als die meisten anderen abgeschnitten hatte, war ein seltsames Gefühl.

Als er freudestrahlend mit seinen Ergebnissen bei Dr. Chambers ankam, erstarb seine Freude jedoch bald. Er hatte ihm das noch mitteilen wollen, bevor er Dominico nach Spanien begleiten würde. Er selbst hatte nach dem Vorfall vor knapp zwei Wochen nicht mehr damit gerechnet, dass Dominico ihn mitnehmen würde. Selbst die Briefe waren ausgeblieben – die Trennung war vollzogen. Doch als er bei Dr. Chambers ankam, war dieser krank im Bett. Eine Erkältung, wohl, aber er war definitiv nicht reisefähig. Und was nun kam, war für Kieran das Schlimmste, was hätte passieren können. Dr. Chambers befahl ihm, ihn zu vertreten. Offenbar hatte der Arzt mitbekommen, dass sich zwischen ihm und Dominico etwas geändert hatte – er war ja nicht dumm. Daher gab es auch keine Frage, sondern eine Anweisung. Er erhielt eine komplette Ausrüstung, einen Wagen und zwei Pferde und würde am nächsten Morgen auf den Weg nach Spanien sein.

Eigentlich hatte er vorgehabt, bis zum Beginn des neuen Trimesters im Dezember bei seiner Mutter zu verbringen, und auf dem Weg dorthin Niamh zu holen, die er schrecklich vermisste. Jetzt, da sie bei Dominico war, vermisste er sie mehr denn je. Von wegen, er hätte durch sie einen Grund, den anderen zu sehen…

Als er unter diesen neuen Umständen auf den Hof kam, war er unfassbar nervös, ihm war schlecht vor Anspannung. Aber er musste da durch und er würde es professionell machen. Er hatte mittlerweile etwas gelernt, seit er Dominico kannte: seine wahren Emotionen zu verstecken. Und so blickte er relativ gelassen, als er zu dem Trupp hinzustieß, der abreisebereit dastand. Er lenkte sein Pferd direkt auf Dominico zu, stieg ein Stück vor ihm ab und trat an ihn heran, sich verbeugend und begrüßend. „Lord Sforza, Duce de Segni e di Onano“, sagte er und reichte dem anderen einen Brief von Dr. Chambers. „Dr. Chambers ist unpässlich, so dass er mich angewiesen hat, Euch auf Eurer Reise zu begleiten. Alles Weitere findet Ihr im Brief. Ich hoffe, es ist Euch recht, wenn ich mein eigenes Pferd mit auf die Reise nehme, sofern es Euch jetzt nicht zu lange dauert, es zu holen.“ Er verneigte sich wieder, während er wartete, was nun geschehen würde.
 

Dominico

Nico wurde langsam aber sicher ungeduldig. Er hatte gestern noch einen Brief zu Mr. Chambers geschickt, der ihm daraufhin versichter hatte, pünktlich zu sein. Auch einer der jungen Lords verspätete sich merklich und als er ankam, hatte er ein Weibsbild dabei... Nico verdrehte die Augen. Was zur Hölle sollte dieser Affenzirkus? Er war mehr als nur genervt und traurig, dass Charles ihn diesesmal nicht begleiten würde. Mit wem zur Hölle sollte er sich denn dann betrinken? Er sah es schon auf sich zukommen: Er würde jede Menge spanischer Bastarde zeugen und dann eingehen daran, dass ihm sein Schwanz abfiel, so wie Juan Borgia, der von seiner spanischen Frau was auch immer mitgebracht hatte - oder von einer der zahlreichen Huren.

Als endlich der Wagen von Mr. Chambers die Auffahrt heraufkam, pfiff Nico deutlich zur Aufstellung und die Wagen reihten sich bereits ein, während die letzten Begleiter des Trosses ihre Pferde zäumten... und dann fiel Nico innerlich die Kinnlade herunter. Was zur Hölle sollte das jetzt? Was machte Kieran hier? Er war nichteinmal ARZT! Naja, gut, er hatte die Prüfungen als fast Klassenbester bestanden, er war fähiger als manch anderer, aber was genau hatte sich John dabei GEDACHT? Nico würde sich mehr als nur ein wenig blamieren, wenn er hier mit diesem Taugenichts auflief! Ohne Namen, ohne Rang, ohne etwas, das man vorweisen konnte? Innerlich sank seine Lust auf diese Reise ins Bodenlose. Äußerlich verzog sich seine Miene kein bisschen. Eigentlich freute er sich tief in seinem Herzen darüber, Kieran zu sehen, gepaart mit unendlicher Sorge über diesen so abgemagerten jungen Mann, der nur noch ein Schatten seiner selbst war. Er nahm den Brief entgegen, öffnete und überflog ihn, dann steckte er ihn ein. "Wenn Ihr jemanden findet, der den Wagen für Euch lenkt, soll es mir recht sein. Holt sie und folgt uns, wir werden sicher nicht so schnell vorankommen." Hier nochmal zu warten, auch wenn Kieran sicher nicht lange brauchen würde? Nein. Außerdem steckte ihm die Begrüßung gerade noch in den Knochen. Auch wenn er sie erwidert hatte, mit einem knappen Nicken und einem kurzen "Mr. Carney" Er vermisste Kierans unverfrorenes "Hallo Dominico!". Doch er würde es eine ganze Weile, vielleicht nie wieder zu hören bekommen... nur in seinen Träumen. Verärgert über die eigene innere Sentimentalität gab er dem Pferd die Sporen, das sich mit schlagendem Kopf in Bewegung setzte. Nico tätschtelte ihm entschuldigend die Schulter, dann trabte der Tross die Auffahrt hinab. Es waren recht viele Wagen mit viel Gepäck und noch mehr Geschenken, also hatten sie reichlich Wachpersonal dabei. Kieran hatte genug Zeit, jemanden zu finden, der seinen Wagen übernahm, während er Niamh holen konnte.

Sie hätten auch in London ein Schiff besteigen können, doch Nico hatte darauf bestanden, nach Portsmouth zu reiten. Dover wäre auch eine Möglichkeit gewesen, doch sie waren eine königliche Gesandtschaft, und Portsmouth war seit Henrys Vater der Royal Dockyard. Weil er ein hartes Tempo anschlug - ausruhen konnten sie sich auch noch auf dem Schiff - erreichten sie den Hafen am Nachmittag. Genau so hatte er es geplant, denn das Schiff wurde zügig beladen und sie konnten tatsächlich noch am selben Abend ablegen. Und Nico war gottfroh endlich auf diesem verdammten Kahn zu sein! Es war ein sehr großes Schiff, das sie inklusive der Pferde und Wagen aufnehmen konnte, aber so gehörte es sich - Henry protzte gern mit der Flotte, die er eigentlich nicht hatte.

Der Kapitän erzählte Nico in einer kurzen Lagebesprechung von französischen Kriegsschiffen im Kanal, doch sie würden mit Sicherheit nicht angegriffen, da sie eine diplomatische Flagge zusätzlich gehisst hatten. Der Wind stand günstig und trug sie vom Festland fort und das Schiff schaukelte Nico in seiner komfortablen Kajüte in dieser Nacht in den Schlaf. Es war herrlich... zumindest für ihn.

Nico wurde nicht seekrank, aber irgendwie der größte Teil der anderen Besatzung. Verweichlichte Redner, Bübchen... keine Männer, niemand, der die Stärke hatte, auch zu Wasser eine gute Figur zu machen... erbärmlich. Nicos Laune war kaum zu heben.

Bei den Essen, die man während der relativ kurzen Überfahrt von einigen Tagen gemeinsam beim Kapitän einnahm, kam Nico spät und ging früh, immer mit der Entschuldigung, sich auf die diplomatischen Probleme in Spanien vorbereiten zu müssen. Es war eine verdammt willkommene Ausrede, denn jedesmal, wenn er Kieran im Tisch sah, hätte er so gerne etwas gesagt... doch sie waren einfach nie unbeobachtet. Das Schiff hatte Ohren und Nico sagte nur dort etwas, wo es notwendig war.

Er wusste deswegen auch nicht recht, ob er froh war, Spanien zu erreichen. Er wusste selbst nicht, was er von sich selbst und der Situation halten sollte. Einerseits freute er sich, Kieran wieder zu sehen, und es gab so viel, über das sie reden mussten - und doch brachte er es nicht über sich, nicht auf dem Schiff. Jedesmal wenn er ihn sah, freute er sich, nur um sich im gleichen Atemzug für diese Freude zu verteufeln. Vieleicht fanden sie in Spanien ja die Zeit? Irgendwann... zumindest mussten sie sich unterhalten, bevor sie am Hof eintrafen. Es war ohnehin eine vertrackte Situation mit Spanien.

Karl der Fünfte war König von Spanien und dem heiligen römischen Reich deutscher Nation - allerdings reiste der König viel hin und her, was nur zur Folge hatte, dass andere in Abwesenheit die Herrschaft übernahmen und Nico musste nicht nur Karl, sondern auch den Rest auf seine Seite ziehen.

Vor nicht all zu langer Zeit hatte Isabelle von Portugal, die Frau des Königs, einen Sohn, Prinz Phillipp zur Welt gebracht... ein Thronfolger, der Henry noch schmerzlich fehlte.

Nico würde Glückwünsche zur Geburt überbringen und Geschenke für den jungen Prinzen. Ihr Treffen würde in Madrid stattfinden, der Stadt, die später unter Karls Sohn Hauptstadt des Spanischen Königreiches werden würde. Sie gingen in Santander von Bord und verbrachten die Nacht noch auf dem Schiff - am nächsten Tag würde ihr zweitägiger Marsch nach Madrid beginnen. Wieder saß Nico bereits sehr früh auf dem Pferd, drängte zur Abreise. Er wollte ankommen, seine Sachen erledigen und nach Hause zurück... er fühlte sich nicht wohl und auch Amadeos Gesellschaft konnte ihn nur mäßig erheitern.

Im Grunde wusste er wohl, dass es nicht die Reise oder die Menschen waren, die ihn nervten und die alles so unerträglich scheinen ließen: Nein, es war Kierans Anwesenheit, die ihn so sehr lockte und die er sich selbst verbat. Zwischen ihnen war ein Graben entstanden, seinetwegen... und irgendwie war er einfach nicht bereit, die Hand auszustrecken und Kieran wieder entgegenzukommen. Das Schicksal half ihm wohl dabei, als Amadeo am Abend des ersten Reisetages von einem der Packpferde getreten wurde und sich dabei die Schulter auskugelte. Ja, Gott musste ihn hassen. Während Nico Amadeo stützte und ihm half sich ersteinmal zu setzen, schickte er einen der Diener los, um Kieran zu suchen und ihn zu Amadeo zu bringen.
 

Kieran

Das, was ihm nach seiner höflichen Begrüßung entgegenschlug, schmerzte. Dominico schien wütend darüber, dass Dr. Chambers Kieran geschickt hatte. Entweder, weil er ihn für unfähig hielt, oder, weil er ihn nicht ertrug. Wahrscheinlich beides, so schloss Kieran, während er Niamh holte. Ein junger Soldat, der aus Liverpool kam, wie sich herausstellte, übernahm gerne den Wagen und letztlich war Kieran recht froh über diese Konstellation, den William, wie jener hieß, war ein redseliger Typ, der ihn zwar zunächst sehr respektvoll - er konnte ja nicht wissen, dass Kieran eben noch kein Arzt war - später auch im lockeren Plauderton mit seinen Geschichten zutextete. Kieran war die Ablenkung willkommen, denn so vermied er es, wenigstens seine Augen allzu oft auf jenen Rücken zu lenken, dessen Besitzer ihn so unfassbar kränkte.

Zumal die Zeit auf diese Weise auch schnell verging.

Niamh hatte sich gefreut, Kieran wiederzusehen. Sie sah fantastisch aus und es schien zumindest ihr an nichts gefehlt zu haben. Er hatte aber auch mit nichts anderem gerechnet.

Portsmouth war abends erreicht und Kieran wusste, wie es für jemanden sein konnte, der noch nie auf einem Schiff gewesen war. Für ihn als Arzt würde es eine anstrengende Reise werden. Und er behielt recht: bereits in der ersten Nacht war er dabei, den Männern Medikamente gegen die Übelkeit zu verabreichen. Das war eines der Dinge gewesen, die ihn aufgehalten hatten, pünktlich zu Dominico zu kommen. Er hatte den Vorrat an eben diesen Kräuterelixiereb von John noch erweitern lassen müssen, weil ihm aufgefallen war, dass Dr. Chambers in diesem Punkt zu wenig vorgesorgt hatte. Johns Fähigkeiten aus Kräutern und meist Alkohol Elixiere zu kredenzen, die gegen alle möglichen Arten von Krankheiten halfen, waren phänomenal.

Mit einer Menge seekränker Patienten kam er in den ersten Tagen und Nächten kaum zur Ruhe, und gönnte er sich doch eine Auszeit, so verbrachte er sie bei Niamh, die das Gefühl davon, völlig falsch am Platz zu sein, ihm ein wenig milderte. Was war nur geschehen, dass Dominico ihn so sehr zu hassen schien? Er konnte es nicht begreifen.

In Gesellschaft des Kapitäns, der Adeligen und Offiziere bewegte sich Kieran immer sicherer, lernte durch Nachahmen der Damen die Tischmanieren und führte jene oberflächlichen Gespräche, die bei Tisch wohl üblich waren. Besonders ein junger Lord, der sehr mit der Übelkeit zu kämpfen gehabt hatte, hatte einen Narren an ihm gefressen, wobei er es amüsant fand, von seinem Studium der Rechtswissenschaft zu berichten, wo er offenbar mehr Zeit mit Frauen und Alkohol verbracht hatte, als mit Lernen - zumindest wenn man den Prahlereien Glauben durfte, die besonders der jungen Dame missfielen, die jenen begleitete.

Kieran erschrak vor sich selbst, wenn er in den Spiegel sah, über dieses fahle Gesicht, das sich so gut verstellen konnte. War er das überhaupt noch? Wer war er? Er wusste es kaum noch. Vor Gregors Tod hatte er gewusst, wofür er sich das antat, bzw. für wen. Aber jetzt? Er musste das Studium so schnell wie nur irgendwie möglich abschließen und dann würde er England den Rücken zukehren, definitiv.

Bei den Essen war die einzige Möglichkeit, Dominico zu sehen, allerdings war dieser sehr kurz nur da. Kieran mied es, ihn anzusehen, hatte kaum Appetit und das Gefühl von Übelkeit in seinem Magen rührte nicht vom Seegang her.
 

Als sie endlich Santander erreichten, war Kieran froh. Sie blieben noch eine Nacht am Schiff, was sowohl Mensch als auch Tier half, wieder mit festem Boden unter den Füßen zurecht zu kommen. Dann brachen sie auch schon auf. Spanien war heiß und bereits am ersten Tag litten vor allem die Soldaten daran, zu wenig getrunken zu haben. Kieran linderte abends die Sonnenbrände mit Quark und ließ die Männer trinken. Er selbst merkte, wie die Sonne ihm Lebensenergie spendete. Er war bereits am ersten Tag braun geworden, sein Körper schien die Sonnenstrahlen schier aufzusaugen und sein in letzter Zeit so heller, fast fahler Teint erhielt neue Farbe. Davon merkte er aber kaum etwas, denn er vermied es miterweile komplett, sich im Spiegel anzusehen.

Als einer der Angestellten kam, um ihn zu Lord Sforza zu holen, war er sichtlich überrascht, hatte jener ja noch kein Wort mit ihm gewechselt, seid sie aufgebrochen waren. Der Diener desillusionierte ihn aber auch sogleich wieder, als er sagte, Kieran werde als Arzt gebraucht.

Die Spanienreise - Die ausgekugelte Schulter

Kieran

Kieran betrat die provisorischen Stallungen mit seinem Arztkoffer und trat an die Männer heran, begrüßte mit "Mylord Sforza" und "Amadeo" die beiden Männer mit entsprechender Höflichkeit. Er musste gar nicht fragen, was passiert war, zumindest bei der Schulter war es klar. "Eine Luxation", stellte er etwas aufgewühlt fest. Aufgewühlt, weil er Amadeo so mochte. Der konnte ja nichts dafür, dass Dominico so handelte, wie er handelte. Er kniete vor diesem nieder. "Egal was ist, du darfst keine Muskeln anspannen! Versuche dich zu entspannen, so gut als möglich. Ich werde eine Reposition durchführen." Er blickte zu dem Diener, der wartend auf weitere Anweisungen stehen geblieben war. "Kaltes, wirklich kaltes Wasser, bitte. Und Tücher. William weiß, wo die sind." Der Soldat war ihm seit sie aufgebrochen waren ein wenig zur Hand gegangen, wohl weil er dankbar war, jemanden zu haben, der ihm einfach zuhörte. Kieran kramte in seiner Tasche, holte eine Phiole heraus. "Trink das", wies er Amadeo an, "das wird die Schmerzen lindern." In der Tat war es ein starkes Schmerzmittel, das Amadeo bald auch schlafen lassen würde. John hatte es entwickelt und es war perfekt. Während sie auf das kalte Wasser warteten, sah Kieran Amadeo an. "Wie ist das passiert?" Die Antwort ließ ihn nicken. Er ließ sich noch sagen, ob der Tritt schlimm gewesen war, und versprach sich die Stelle später noch anzusehen, als die Tücher und das Wasser gebracht wurden. "Du kannst gehen", sagte er zu dem Diener, feuchtete die Tücher an und legte sie auf die Schulter. "Wir müssen eine Schwellung verhindern", erklärte er und begann vorsichtig den Arm abzutasten. "Ich prüfe, ob etwas gebrochen ist, aber danach sieht es nicht aus." Er sah nun das erste Mal zu Dominico - und es tat weh. Er wusste, warum er es vermieden hatte. Der Klos im Hals machte ihm das Schlucken beschwerlich. "Ihr müsst ihn festhalten, Mylord", sagte er und seine Stimme war bei weitem nicht mehr so sicher, wie noch zuvor. "Am Besten setzt Ihr Euch hinter ihn." Er griff in seine Tasche, während Nico sich umpositionierte, und nahm das Beißholz heraus. "Es wird leider weh tun, aber dann dauert es nicht lange, bis der Schmerz nachlässt. Beiß darauf!"

Kieran positionierte sich, zählte von drei herunter, dann ruckte es, knackte, Amadeo bäumte sich auf, schrie - dann war die Schulter wieder drin und Amadeos Schmerzen ließen nach. Kieran untersuchte die Schulter vorsichtig, ob alles so war, wie es gehörte. "Ich denke es ist ok", stellte er fest. "Ich werde ihn bandagieren. Die nächste Zeit sollte er die Schulter nicht bewegen." Kieran ließ seinen Worten Taten folgen
 

Dominico

Noch während Kieran im Anmarsch war, stritten die beiden Männer auf Italienisch miteinander. Es klang wie gewohnt heftig, denn die Sprache klang nunmal so und Nico war auch ziemlich erbost. Er saß bereits in der richtigen Positon hinter Amadeo und schien mit ihm darüber zu diskutieren, dass es absolut unsinnig gewesen war, einen Arzt zu rufen, was sich letztlich als Amadeos Idee herausstellte. Nico war inzwischen schon so weit gekommen, Amadeo vorzuhalten, Kieran absichtlich auf ihn loszulassen, um ihn zu quälen, was Amadeo trotz der Schmerzen mit einem hohlen Lachen kommentierte. Kieran ließ nicht sonderlich lange auf sich warten, und es kam wirklich so wie Nico schon vor Wochen prophezeit hatte: sein Auftreten wurde unendlich viel langweiliger, wenn er so höflich war. Es kotzte Nico regelrecht an, weil zumindest er wusste, dass Kieran alles andere als dieser höfische Fatzke war.

Amadeo hatte sich etwas aufgerichtet und begrüßte Kieran strahlend - wenn er sich wenig bewegte, tat's auch wenig weh. "Ja, mal wieder ausgekugelt...", 'übersetzte' er für sich Kierans hochtrabendes Ärztelatein und winkte sehr entschieden ab, als Kieran ihm die Phiole hinhielt. "Hast du eine Ahnung, wie oft mir das schon passiert ist?" Amadeo sah keinen Grund Wert auf Höflichkeiten zu legen. Er hatte Kieran bereits nackt im Bett seines Herrn gesehen, für ihn zumindest waren sie soetwas wie Freunde, wenn man es so nennen wollte, und hier war niemand dabei, vor dem er irgendeine Form wahren musste. "Normalerweise renken wir sie mit einigen Lederbändern und der richtigen Technik wieder ein." Er nickte mit dem Kopf gegen Dominico. "Aber Mylord war der Meinung, dass ein Arzt in Reichweite diese Aufgabe besser selbst erledigen sollte." Es war in der Tat so, dass Nico mit diesen Verenkungsgeschichten selbst ganz gut umgehen konnte, denn es passierte auf ihren Schlachtzügen viel zu oft und man konnte nicht wegen einer ausgekugelten Schulter Tage oder Wochen auf einen Arzt warten, wenn gerade keiner da war. Das Beißholz nahm Amadeo an, während Nico ihn festhielt, das Gesicht beinahe noch verschlossener und mit einem Ausdruck, als wolle er Amadeo gleich persönlich die andere Schulter auch noch auskugeln. Der Schmerz der Amadeos Körper aufbäumen ließ, entschädigte ihn etwas dafür, und er riss die Beine auseinander, als er merkte, dass Amadeo sich durch den heftigen Schmerz gerade selbst eingenässt hatte. "È questo veramente grave?" Amadeo, dessen Schmerz gerade herrlich nachließ blickte beinahe verträumt zu Nico auf und lachte dann wieder. "Quante volte avete fatto voi bagnato mentre ho mantenuto voi?" Nico erhob sich und ließ Amadeo einfach los, der lachend und gleichzeitig mit einem schmerzhaften Stöhnen nach hinten gegen den Strohballen sank, auf dem Nico gesessen hatte. Kieran verband seine Schulter, die Amadeo wirklich wieder unter Kontrolle hatte, doch er ließ sie leblos herabsinken. "Avete sentito? Non riesco a spostarlo!" Nico winkte genervt ab. "Du wirst reiten können, du wirst im Zweifel auch kämpfen können. Tu verdammt noch mal nicht so, als sei es deine erste ausgekugelte Schulter." Nico wusste selbst nicht, warum er so unendlich wütend war über diese ganze Angelegenheit. Er fühlte sich von Amadeo vorgeführt. "Du hast eine Nacht, um dich auszuruhen, morgen reiten wir früh weiter. Mr. Carney, danke für Eure schnelle Hilfe. Behandelt ihn nicht zu gut, er ist nur ein Blender, der mich mit seiner Wehleidigkeit in den Wahnsinn treiben will..." Damit schickte sich Nico an, das Zelt zu verlassen, während Amadeo schon wieder in helles lautes Lachen ausbrach. Das war ja wirklich zu amüsant! Kein anderer hätte sich es wohl erlauben können so mit Nico zu sprechen, doch Amadeo tat es. Er war es leid ständig einen so unglaublich genervten Nico neben sich reiten zu haben. Vielleicht würde er ja jetzt zum Teil seinen Ärger hinunterschlucken, wenn nur Kieran endlich auch aufhörte, all zu steif zu sein... naja, vielleicht hatten sie noch die Möglichkeit, sich kurz allein zu unterhalten, wenn Nico außer Hörweite war.
 

Kieran

Dass die beiden offensichtlich eine Meinungsverschiedenheit hatten, das hatte er schon außerhalb des Zeltes gehört. Aber es ging ihn ja schließlich nichts an. Eigentlich hätte er wahrscheinlich einen Kommentar darüber verloren, einen Scherz gemacht, aber er war momentan einfach nicht er selbst, durfte hier auch nicht er selbst sein, um Dominico nicht irgendeine Angriffsfläche zu bieten. Was auch immer Kieran getan hatte, der Blick des anderen als er eintrat, reichte ihm zu wissen, dass jener ihn verabscheute? Hasste? Was auch immer… Aber er ließ sich nichts anmerken, widmete sie Amadeo, der ihm gerade indirekt mitteilte, dass jener den Arm schon öfters ausgekugelt hatte. Irritiert nahm er zur Kenntnis, dass Dominico nach ihm geschickt haben solle, wo sie doch eigentlich auch alleine zurecht kämen. Das passte gar nicht, mied er ihn doch gerade wie einen Straßenköter oder eine Ratte, die die Pestilenz einschleppte.

Und auch der Vorgang des Einrenkens bestätigte, dass jener das Problem schon öfters gehabt hatte. Jemand, der das erste Mal den Arm ausgekugelt hatte, war wesentlich blockierter und es war schwerer, die Kugel wieder in das Gelenk zu bekommen. Dass sich Amadeo eingenässt hatte, aufgrund der Schmerzen, war etwas, das völlig normal war. Was auch immer die Männer da sprachen, offenbar schien es Nico nicht zu gefallen, was er da hörte. Amadeo konnte so ungezwungen mit ihm umgehen, so wie Kieran das auch einmal gekonnt hatte. Und er vermisste es schrecklich, ja er vermisste den anderen. Auch wenn er mindestens genauso sauer war, im Stich gelassen worden zu sein, fallen gelassen worden zu sein. Es machte ihn fertig.

Während die Männer noch redeten, verband er Amadeo die Schulter, so dass er diese nicht einfach würde bewegen können. „Wie Ihr wünscht“, sagte er tonlos und ohne aufzublicken, als Dominico ihm die letzten Anweisungen gab und dann aus dem Zelt eilte. Kaum war er draußen, brauchte Kieran eine kurze Pause und schloss die Augen.

„Der Mann macht mich fertig“, sagte er aus dem dringenden Bedürfnis heraus, mit irgendwem einmal reden zu können. John fehlte ihm. Er fühlte sich auf dieser Fahrt einsamer als jemals zuvor in seinem Leben, fremd in seinem Körper, alleingelassen und ständig unter Beobachtung. „Hat dich das Pferd schlimm erwischt?“, fragte er Amadeo noch, um das eben Gesagte zu überspielen. „Ansonsten solltest du den Arm wirklich in Ruhe lassen. Wenn du das schon öfters hatte, werden die Bänder und Sehnen so stark belastet, dass das ernsthafte Folgen haben könnte.“
 

Amadeo

Amadeo sah zu, wie Nico das Zelt verließ und legte dann den Kopf schief, um zu Kieran zu schauen. "Ist das dein Ernst? 'Wie ihr wünscht'?" Er äffte Kierans Tonfall nach, was ihm gar nicht so leicht fiel. "Jedem anderen hochgeborenen Bastard hättest du sonstwas um die Ohren geschlagen und jetzt 'Wie ihr wünscht'? Ich kann dir sagen, was Mylord Sforza sich wünscht, aber das wollt ihr sicher beide nicht hören, einer ist ein sturerer Idiot als der andere." Er bewegte den Arm probeweise im Verband. "Es hat mich nicht schlimm erwischt, die Schulter ist ohnehin schon so lädiert.. naja, irgendein Wehwehchen muss wohl jeder von uns haben." Er richtete sich langsam auf und rümpfte die Nase bei näherer Betrachtung seiner Hose. "Ich sollte mich auf jeden Fall dringend waschen und umziehen, aber vielen Dank. Und wenn ich dir einen guten Rat geben darf - heute Abend wird seine Lordschaft nicht mit den anderen speisen. Er hat Korrespondenz aus Madrid erhalten, die er zum Vorwand nimmt, allein zu speisen. Die anderen werden also nicht bei ihm sein und was auch immer gesagt werden muss, solltest du sagen. Sonst hast nicht nur du in Madrid ein Problem, sondern auch Dominico und Mr. Chambers. Sie werden ohnehin über Dominico lachen, weil er einen Studenten, keinen Arzt mitbringt. Ganz gleich wie gut du sein magst, es zählt mehr als das. Und Nico wird sich diesem Hohn aussetzen müssen und es rechtfertigen. Ihr solltet zumindest beide wissen, was zu diesem Thema zu sagen ist, also klärt es, bevor die Probleme erst wirklich anfangen."

Amadeo war eindringlich, doch ihn nervte Nico selbst und Kierans Einsilbigkeit auch ihm gegenüber war traurig. Eigentlich ging es Amadeo nichts an, doch er und Nico waren Freunde. Er mochte seinen Herrn und er wusste, dass Nico unglücklich war, aber eben einfach nicht über seinen Schatten springen konnte, schon gar nicht vor anderen, die genau dieses Verhalten seitens Dominico gegenüber Kieran erwarteten.
 

Kieran

„Nein, das ist es ganz und gar nicht“, fauchte Kieran fast und sah Amadeo wütend an. Einen Moment loderte die angestaute Wut in ihm auf, die er seit Tagen herunterschluckte - nein, die er herunterschluckte, seit er aus diesem beschissenen Zuber gestiegen war. „Soll ich ihm die Meinung sagen? Damit er mich direkt wieder nach Hause schickt?“ Er schnaubte. „Und was wünscht er sich denn schon groß? Er behandelt mich wie einen Aussätzigen! ER hat mich fallen gelassen! ER behandelt mich wie den Mist an seinen Stiefeln.“ In ihm brodelte es gefährlich, doch er atmete tief durch. Amadeo trug keine Schuld daran. Ja, er war vielleicht auch ein wenig stur, aber Dominico hatte definitiv Gelegenheit gehabt, sich ihm gegenüber besser zu verhalten. Kieran war so verdammt müde und erschöpft von diesen Kabalen, dass er einfach keine Lust mehr hatte.

Als der andere ihm mitteilte, dass Dominico an diesem Abend alleine wäre, sah er ihn irritiert an. Was bezweckte Amadeo damit, ihm das mittzuteilen? Sollte er auf Nico zugehen? Doch dann kam ein Punk, den er nicht gewusst hatte. Diese Reise war wahrscheinlich ähnlich dem Besuch in Schottland ein Spießrutenlauf für Dominico. Und er würde ein Kritikpunkt sein? Kieran gefiel das gar nicht. Er wusste, dass er besser war, als so manch anderer der Ärzte, die er mittlerweile kennengelernt hatte. Dominico sollte wegen ihm keine Schwierigkeiten bekommen! Er nickte. „Ich werde es nutzen, die Situation ein wenig zu klären“, meinte er nachdenklich und so nachdenklich blieb er auch den Rest des Tages.

Die Spanienreise - Leere Worte

Dominico

Tatsächlich verabschiedete sich Nico an diesem Abend früh, versprach morgen länger zu bleiben, doch heute war die Korrespondenz wichtiger. Sie hatten ein Zeltlager rund um ihre Wagen errichtet und Nicos stand weit abseits. Die Wache hatte die Gegend ausgekundschaftet, alles war ruhig und so war Nico alsbald auf seinem Feldbett ausgetsreckt und las tatsächlich Briefe, allerdings sehr gelangweilt und nicht mit der Ambition zurückzuschreiben. Er würde irgendwie... wie immer etwas aus dem Ärmel schütteln. Neben ihm stand Wein auf dem Boden und er schenkte sich erneut davon ein, während er die Briefe vor sich hatte. Weil es so warm war, trug er nur eine Hose und sein Blick war bereits etwas glasig von zu viel Wein und zu wenig Wasser.
 

Kieran

Abends verabschiedete Kieran sich nach dem Essen etwas früher von der Gesellschaft der anderen, und ging zu eben jenem Zelt, das zu Dominico gehörte. Ohne zu klopfen trat er ein, wissend, dass der andere alleine war. Er fand ihn auf dem Bett liegend und offenbar las jener gerade ein paar Briefe, eher er sie sinken ließ, überrascht, Kieran hier zu sehen, und ihn ansah. „Bevor du mich jetzt wieder in die Hölle schickst, lass mich dir ein paar Worte sagen“, knurrte er und bemühte sich, ruhig zu bleiben. In ihm hatte sich so viel angestaut, dass er dringend reden musste, sonst würde er noch durchdrehen. „Ich bin es leid, wie der letzet Abschaum von dir behandelt zu werden. Und ich möchte wissen, ob du nun hinter mir stehst, wenn wir in die Höhle des Löwen reiten, oder nicht. Ich kann mich nicht entsinnen, dir irgendetwas getan zu haben. Und was auch immer es gewesen sein könnte, dass du mich so behandelst, dann tut es mir leid. Aber ich ertrage es nicht länger, dass du so tust, als wären wir Fremde, nein schlimmer, so tust, als wäre ich unerträglich. Also sag mir bitte, was ich tun muss, damit du mich nicht mehr mit diesem Blick ansiehst, der mich zur Weißglut treibt, weil ich dir nämlich sonst irgendwann ins Gesicht springe und darin herumtrete und mich wohl fühle. Und dann bin ich weg und bin heilfroh, dich nie wieder sehen zu müssen. Und das sollte vielleicht nicht unbedingt in Madrid sein!“ Zornfunkelnd blickte er den anderen an. Man tat das gut, einmal einfach zu sagen, was er dachte.
 

Dominico

Nico rechnete eigentlich nur noch mit Amadeo. Der schlief bei ihm auf einem zweiten Feldbett, auch wenn es sich eigentlich kaum so gehörte. Allerdings war Amadeo niemand, der besonders früh zu Bett ging. Meistens spielten die Herren draußen noch Karten, und verzockten das Geld hin und her. Amadeo hatte Spaß daran und die anderen Begleiter ihres Trosses, die nicht von Adel waren, hatten ebenfalls Spaß daran, deswegen verbat Nico es nicht. Als er die Briefe sinken ließ, erblickte er Kieran. Ihm lag gerade schon ein Kommentar auf der Zunge, weil ja vermeintlich"Amadeo" eingetreten war und mehr oder weniger auf der Schwelle verharrte, als ihm bewusst wurde, dass es gar nicht Amadeo war... und sicher war Kieran doch genau deswegen hier. Innerlich fluchte Nico erneut. Irgendwann würde er ihn doch eigenhändig köpfen, müssen diesen verdammten Kerl! Nico setzte sich auf und legte die Briefe bei Seite, leerte den Becher in einem Zug und stellte ihn neben die Kanne mit dem restlichen Wein, ehe er sich hinstellte und zu voller Größe aufrichtete - er machte es eigentlich nur dann, wenn er Feinde einschüchtern wollte, doch in seinem schon leicht benebelten Kopf war Kieran gerade der Todfeind geworden, der ihm sein Herz herausgerissen hatte. "Ist das dein Ernst?" Dass er die gleiche Frage stellte wie Amadeo, war ihm nicht bewusst. Er hörte Kieran ganz an, doch im Grunde rauschte das Blut schon nach den ersten Sätzen in seinen Ohren. "Aufeinmal kannst du mich also wieder beim Vornamen nennen, ja? Wie kannst du es wagen auch nur in Frage zu stellen, ob ich hinter dir stehe? Täte ich es nicht, hättest du jetzt wohl kaum noch ein Gesicht, das jede nur erdenkliche Gelegenheit nutzt mir mit Perfektion zu zeigen, was für ein Monster ich geschaffen habe!", fauchte Nico zurück. "Deinetwegen habe ich deiner Schwester ihren Ehemann weggenommen! Deinetwegen werde ich mich in Madrid zum Gespött des Hofes machen, weil ICH dafür gerade stehen muss das John DICH geschickt hat, statt einen der anderen Leibärzte des Königs! Du hast nichtmal den Hauch einer Ahnung wie ich Abschaum behandle und glaube mir, das willst du mit Sicherheit nicht wissen. Ich habe keinen blassen Schimmer, von was du sprichst, du tust geradeso so, als hätte ich dich hinausgeworfen, dabei warst du es, der gegangen ist!" Er drückte Kieran den Zeigefinger auf die Brust. "Du bist nicht mehr bereit das zu ertragen? Dann beende doch an mir, was du bei Gregor so semierfolgreich begonnen hast!" Nico wurde zum glück eher gefährlich leise und nicht laut. "Los, spring mir ins Gesicht und trample darauf herum, mach es! Dann musst du dich nicht mehr damit abgeben, dass es mein Geld ist, das dir dein Studium finanziert, und du musst dich nicht mehr schuldig dafür fühlen, in mein Bett gekrochen zu sein! Vielleicht hätte ich Gregor doch nicht die Kehle durchschneiden sollen, sein Angebot klang nicht nur verlockend, es wäre auch im Nachhinein wesentlich einfacher gewesen, damit fertig zu werden! Ja, zu deiner Information, ich hätte ihn genommen, ich hätte ihn richtig rangenommen, auf diesem Schreibtisch und auf dem Boden auf dem meine Hausmädchen noch immer sein Blut versuchen wegzuschrubben!" Nico war wütend, vor allem auf sich selbst und diesen verdammten Umstand. "Was soll ich noch alles für dich tun, bis du mich endlich in Ruhe lässt?" Wieso sagte er nur so viele Dinge, die er nicht meinte? Er wollte das nicht sagen, er wollte nichts davon sagen und doch kam es aus seinem Mund, zusammen mit einer durchaus beachtlichen Weinfahne. Und überhaupt! Mehr Wein! Er schnaubte und drehte sich zu der Karaffe um, um den Becher erneut zu füllen. Es war ja nicht zu ertragen diese verdammte Geschichte! Warum konnte Kieran nicht einfach... ja, was eigentlich? Wieso musste er ihn noch immer locken? Wieso sah Kieran nicht, dass genau dieses Verhalten für sie beide das beste war? Zumindest rational gesehen... Emotional war es eine andere Geschichte.
 

Kieran

Kieran lächelte, als er sah, wie Dominico sich vor ihm aufbaute. Hatte der andere Angst vor ihm? Er war klein, es war keine Kunst, sich größer zu machen. Und er kannte es, dass andere von oben herab auf ihn sahen. Es nervte ihn, aber mittlerweile hatte er nur ein mitleidiges Lächeln für diese Typen übrig.

"Es ist mein voller Ernst!", sagte er nachdrücklich. "Natürlich stelle ich es in Frage! Der Blick, mit dem du mich vor deinem Anwesen bedacht hast, hat mir mehr als deutlich gezeigt, dass du mich nicht dabei haben wolltest. Und ich wage zu behaupten, dass es nicht nur an der Tatsache liegt, dass ich nur ein blöder Student bin." Er knurrte. "Und ja: DU hast dieses höfliche, gesichtslose Monster geschaffen! Ich erkenne mich selbst nicht mehr, wenn ich in den Spiegel schaue. Aber was soll ich sonst tun? Ich selbst sein? In dieser Gruppe affektierter Vollidioten? Soll ich denen wirklich sagen, was ich über sie denke? Wäre dir das lieber? Gerne! Ich brenne darauf, Herzog Gregory zu sagen, was für ein aufgeblasener Lackaffe er ist, der Potenzprobleme hat und seine Hure dafür bezahlt, ihm seine Manneskraft zu bestätigen."

Er war wütend in diese Scheiße hineingeritten worden zu sein. Doch jetzt fing Dominico an, das zuvor Geschehen, aufzurollen. Und Kierans Augen glommen vor Wut auf. Die Schuldzuweisungen schmerzten. "Meinetwegen", echote er mit einem abfälligen Laut, kurz die Finger betrachtend auf seiner Brust. "Es war nicht meine Idee, dich zu begleiten. Ich hätte weiß Gott was dafür getan, nicht mit DIR hierherkommen zu müssen! Nachdem DU mich von dir geschoben hast, in dem Moment, in dem ich dich am meisten gebraucht hätte. Und gib mir nicht die alleinige Schuld an Gregors Tod!" Es tat ihm verdammt weh, denn er hatte wahrhaftig massive Schuldgefühle deswegen. Doch was nun folgte, das war wirklich verletzend. Aber zunächst war er ersteinmal verwirrt. Was hatte er semierfolgreich begonnen? Er begriff nicht, was Dominico damit meinte. Und dann kam das, was er immer befürchtet hatte, warum er wohl doch lieber in diesem Gefängnis hätte verrotten sollen: Dominico erinnerte sich an seine Schuld. Kieran schluckte und blickte den anderen ungläubig an. Das Geld, der Sex, das Gefängnis und jetzt noch der Mord an Gregor - Kieran war schuldig in vielerlei Hinsicht. "Deine Worte waren also wirklich immer nur hohle Phrasen", stellte er mit einem Mal sehr leise fest. Und mit Entsetzen hörte er dann noch, wovor er am meisten Angst gehabt hatte, nämlich den Grund, warum er wirklich in dieses gottverdammte Zimmer gegangen war. "sein Angebot klang nicht nur verlockend" genau das hatte er nicht wissen wollen, genau das hatte er verhindern wollen.

Kieran wurde schlecht, dass er sich am liebsten übergeben hätte. Die Worte des anderen prügelten weiter auf ihn ein. Und darüber leuchtete das Banner: Du bist doch nur eine Hure gewesen!

Wie vom Blitz getroffen starrte er den anderen an, während dieser sich neuen Wein einschenkte. Dass dieser alkoholisiert war, merkte man deutlich, aber das entschuldigte auch nichts. "Du hast das getan, damit ich dich in Ruhe lasse?", sagte er überraschend ruhig. Er schüttelte den Kopf. "Du hast mich und meine Familie an London gefesselt, hast mich mit deinem Geld an dich gebunden, hast mir, nachdem DU dich von mir getrennt hast, Briefe geschrieben - damit ICH dich in Ruhe lasse? Entschuldige, aber das klingt ziemlich unglaubwürdig." Er wusste noch immer nicht, was er zu all dem sagen sollte. Alles sah nun ganz anders aus. Und gleichzeitig war vieles so verwirrend. "Ich habe dich zu nichts gezwungen. Und ich dachte, du meintest ernst, was du gesagt hattest, dahingehend, dass ich dir eben nichts schuldig sei. Aber ich habe mich wohl geirrt, in allem. Ich habe mich darin geirrt, dass ich nicht nur eine Nummer war, dass wir etwas Besonderes geteilt hatten, dass du anders wärest, ein Herz besäßest. Wie konnte ich nur glauben, dir mein Herz schenken zu können... Du willst dass ich dich in Ruhe lasse? Nur zu gerne! Ich werde dich in Ruhe lassen. Sobald deine Geschäfte in Madrid beendet sind, bist du mich los. Und ich werde froh sein, wenn ich nicht mehr daran erinnert werde, was für ein riesiger Idiot ich war, dass ich auf dich und deine leeren Worte reingefallen bin."
 

Dominico

Nicos Herz machte sprünge, als Kieran endlich wieder Kieran war. Ja, das war der Mann, an den er irgendwie sein Herz verloren hatte, und doch stand gerade dieser riesige Graben zwischen ihnen. Er konnte sehen, wie jedes seiner Worte die Zielscheibe traf, die Kierans Herz war. Aus Angst ihn irgendwann zu verlieren, wollte er es jetzt absichtlich provozieren und doch schmerzte es mehr, als der Alkohol ertränken konnte. Er wolle zwischendurch immer wieder etwas sagen, doch seine Zunge war zu schwer und Kieran zu schnell. Also wartete, bis Kieran geendet hatte und biss sich auf die Lippen. Er hatte sich wieder umgedreht, sah den jungen Mann an, der sich vor ihm nach und nach in Rage redete und wirklich wirklich wütend auf ihn war. Und Nico wusste, dass es im Endeffekt seine Schuld war, doch er steckte weit mehr in gesellschaftlichen Zwängen fest als Kieran. Er konnte nicht einfach tun, was er wollte, denn während Kierans Familie unwichtig war, würde ihre Liebe seine Familie in den Schmutz ziehen. Er würde seine Stellung verlieren, seine Frau, seine Ehre, doch das alles spielte keine Rolle: man würde ihm Kieran wegnehmen und diesen Gedanken ertrug er nicht. Aber konnte er ihm das sagen? Nein, das konnte er nicht. Er war einfach nicht in der Lage dazu, diese Worte aus seinem Mund zu bringen, in Kierans wütendes Gesicht. Dass er Gregor nur gewollt hatte, weil er Kieran nicht haben durfte. Weil ihm förmlich seine Eier explodierten, weil nichts so befriedigend war wie der Geschmack von Kierans Haut. "Wie kannst du behaupten ich hätte kein Herz?" Nicos Stimme klang nüchtern, aber er war es nicht. Es lag ihm so viel auf der Zunge, doch es ergab keinen Sinn und fand keine Richtung. Der Weinbecher flog gegen die Zeltwand und verteilte rote Flüssigkeit auf dem Boden, doch das spielte keine Rolle mehr. Nico packte Kieran, der noch immer in Reichweite stand und zog ihn an sich, grub die Hand in Kierans Schwarzes Haar und küsste ihn. Und alles was er vielleicht nicht gesagt hatte, was er nicht sagen konnte, sagte dieser eine Kuss. Er war Kieran verfallen, er wünschte sich nicht mehr, als bei ihm zu sein und zu wissen, dass es ihnen nicht beiden schadete, doch er würde das nie bekommen, nie. Und jetzt drehte Kieran es so, als habe Nico ihn wirklich gekauft, aber das hatte er doch nicht, oder? Nein... das hatte er nicht, nicht für sein Empfinden und er wollte auch nicht das Kieran glaubte, dass er... in seiner.... Schuld...

Die Gedanken flossen aus Nicos Kopf wie Blut aus einer offenen Wunde und sickerten in den Boden wie der Wein aus seinem Becher. Es gab nichts mehr, nur Kierans Duft, das Gefühl seines Körpers an Nicos. //Viel zu dünn..//, empfand er besorgt, konnte es aber nicht sagen. Er roch ihn, schmeckte ihn, fühlte ihn, und war für einige wenige Sekunden wieder er selbst und bei klarem Verstand. Er brauchte Kieran und er wusste es, nur sein rationaler Verstand konnte das irgendwie nicht erkennen.
 

Kieran

Als Dominico den Becher zur Seite warf, zuckte Kieran leicht zusammen. Würden sie jetzt als Steigerung noch gewalttätig werden? Doch bevor das passieren würde, würde er gleich gehen. Dominico hatte all seine Worte einfach im Raum stehen lassen. War er so gleichgültig? War ihm das alles wirklich egal? Offensichtlich.

Kieran blickte den Mann, an, dem er so verfallen war. Auch jetzt noch, wo sie sich nur Gemeinheiten an den Kopf warfen, hatte Kieran eigentlich nur den unbändigen Wunsch, ihm nahe zu sein. Dieser Mann hat ihm gekonnt den Kopf verdreht, mit seiner gespielten Herzlichkeit. Er musste sich beherrschen, seine Augen auf dem Gesicht des anderen ruhen zu lassen, um nicht den schönen Körper anzusehen, den der andere hatte und der so leicht bekleidet war. Dass Dominico genau der Typ Mann war, den er mochte, hatte er schon bei der ersten Begegnung gewusst. Aber offensichtlich war er doch der Teufel, vor dem er anfangs geflohen ist, und der sich zwischenzeitlich in ein Engelkostüm gepresst hatte. So und nicht anders musste es doch sein, oder?

Dominico kam ihm nahe, und Kieran rechnete mit allem - nur nicht mit dem, was kam.

"Wie kannst du behaupten ich hätte kein Herz?"

Kieran wusste, dass dem wirklich nicht so war. Er war wütend gewesen, als er das behauptete. Es war einfacher, im Dominico nach all dem hier besser vergessen zu können. Aber selbst wenn jener eines besaß - ER hatte darin offenbar keinen Platz bekommen. Kieran wollte schon etwas erwidern, als Nico ihn packte und in einen Kuss zog. Erst völlig überrascht spannte er sich an, doch dann verlor er alle Kontrolle über sich, merkte, dass sein Körper alleine handelte - klar, jeder war sich immer selbst der nächste, und letztlich war sein Körper der, der so sehr litt. Zum andere war dieser Kuss so heftig, so voller Emotionen, dass es Kieran schier erschlug. Und so erwiderte er diesen Kuss, gierig nach dem anderen.

Und dennoch: eine Stimme in ihm wurde lauter, eine, die ihn nur zu deutlich an gerade eben erinnerte, an die letzten Wochen, in denen er gelitten hatte, in denen er wie Dreck behandelt worden war. Und langsam kam er wieder zur Besinnung. Auch wenn das hier das war, was er sich am meisten wünschte - er war es leid immer wieder verletzt zu werden. Was bildete sich Dominico eigentlich ein, so mit ihm umzuspringen? Mal Hüh mal Hott? Nicht mit ihm...

Und so riss er sich schließlich los, schnappte nach Luft, und aus dem ersten Inpuls heraus gab er Nico eine saftige Ohrfeige. "Hör auf mit mir zu spielen und mich rumzuschubsen, wie du es gerade brauchst. Ich bin nicht dein Püppchen, mit dem du machen kannst, was du willst."

Und damit verließ er das Zelt genauso aufgewühlt und durcheinander wie er es betreten hatte. Dieser Mensch hatte es schon wieder geschafft, ihn komplett auflaufen zu lassen!

Und auch wenn er sich jetzt über Dominico aufregte - dass in ihm alles nach Nico geschrien hatte, dass er so riesige Sehnsucht hatte, konnte er nicht verleugnen. Es war noch nicht zu Ende. Aber er musste es beenden, bevor er sich weiter verlor!

Nach Madrid würde er sehen, dass er sich allein nach England durchschlug. Und dann würde er vielleicht endlich einfach vergessen können.

Vollkommend verwirrend war nur das, was er glaubte in Nicos Kuss gespürt zu haben: Sehnsucht und Verzweiflung

Aber da war wohl der Wunsch Vater des Gedanken...
 

Dominico

Auf einmal war die Welt wieder in Ordnung, drehte sich in die richtige Richtung und Nico hatte beide Füße wieder fest auf dem Boden. Alles war gut wie es war und alles fühlte sich richtig an. Kieran in seinen Armen und die Leidenschaft zwischen ihnen, die wieder da war, so als sei sie nie weg gewesen. Nico stöhnte auf, als Kierans Hände über seine nackte Brust fuhren und dann, auf einmal und ohne jeden Sinnzusammenhang stieß Kieran ihn von sich und das nächste was Nico wusste war, dass sein Kopf herumflog und er taumelte und sich am Mittelpfosten des Zeltes stützen musste. Er hörte Kierans Worte, die wie Peitschenhiebe auf ihn einprasselten und dann verschwand er einfach. Nicos viel zu leises "Nein!" ging unter in Kierans lauten Schritten auf dem Pfad zurück zu seinem Zelt. Nico hatte das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen, so sehr schnürte ihn alles ein. Mit einem heiseren Aufschrei stieß er sich vom Pfosten ab und trat gegen die Holztruhe mit seiner Kleidung. Die konnte zwar nichts dafür, war aber der einzige Gegenstand, der seine Wut gerade aushielt. Dann taumelte er weiter, ins Bett, warf sich darauf und drückte das Gesicht in das Kissen, während seine Schultern bebten und italienische Flüche über Gott, die Welt, seinen Namen und alles was dazu gehörte in das Kissen wanderten. Langsam hatte er das Gefühl, dass nicht Alessio von Gott für seine Taten bestraft wurde, sondern er ganz persönlich.
 

Kieran

Kieran rannte mehr in sein Zelt, als dass er lief und war froh, allein zu sein. In ihm tobte alles: Wut, Verzweiflung, Schmerz und Sehnsucht. Warum nur, WARUM NUR konnte er mit Dominico nicht mehr normal umgehen, warum war er nicht mehr so unbefangen, wie er es einmal gewesen war. Ja, damals in Cambridge. Vielleicht war es wirklich so: Camridge war eine Nacht gewesen, die außerhalb jedes Ort-Zeit-Gefüges stattgefunden hatte. Und jetzt befanden sie sich in der Wirklichkeit und die Wirklichkeit war, dass Dominico ihn nicht bei sich haben wollte, dass sie sich zerstritten, getrennt und voneinander distanziert hatten. Aber warum hatte dieser Idiot ihn dann noch geküsst? Warum? Hatten die Worte, die Nico ihm an den Kopf geworfen hatte, ihn nicht ohnehin schon genug verletzt? Hatten diese Worte ihn nicht eh schon aufgeschlitzt und ausbluten lassen? Wieso musste er seine Folter noch damit potentieren?

Kierans Lippen brannten noch immer, er schmeckte den Wein, den Dominico getrunken hatte, noch immer auf seinen Lippen. Und das Erschreckendste war: Es hatte sich so gut angefühlt. -

Aber er hatte richtig gehandelt. Er musste es beenden, bevor es so weiter ging wie bisher. Er wollte nicht mehr behandelt werden, wie einer dieser Hofdamen, die genommen wurden, wann immer es beliebte, aber ansonsten wie Mist behandelt wurden. Er wollte nicht herumgeschubst werden! Er war Kieran und er hatte seinen Stolz und er war nicht irgendeine Hure! Egal wie es für andere aussehen mochte.

Er hatte definitiv das Richtige getan, als er sich von Dominico losgerissen hatte. Definitiv – oder?

Die Spanienreise - Die Verehrerin

Dominico

Der nächste Morgen kam wie in Trance. Nico wusste nicht wirklich, wo ihm der Kopf stand, alles war seltsam weit weg und leer und es ging ihm furchtbar dreckig. Sein Magen schien den Wunsch zu haben, sich zu entleeren, und sein Kopf dröhnte vor Schmerz. Er zwang sich Wasser hinunterzuwürgen und ein paar Kräuter, die er für diesen Zweck hatte. Es half, aber nicht viel. Nun, der Alkohol rächte sich eben bitterböse an ihm und Nico konnte gar nichts dagegen tun.

Missmutig saß er daher auf seinem Pferd und drängte zum Aufbruch, ließ Amadeo jedoch sogar wie Kieran gesagt hatte aufsitzen und kümmerte sich selbst um einige der Dinge, die sonst sein Diener für ihn übernahm. Amadeo trug den Arm in einer Schlinge und ritt einhändig, offensichtlich bestens gelaunt.

Sie kamen auch an diesem Tag gut voran und konnten schon am frühen Abend die Kulisse Madrids vor sich in der Ebene erkennen. Ein Raunen ging durch den Tross, während Nico einfach nur ein riesiges Bad und ganz viel frisches Wasser da vor sich sah. Es war nicht der gleiche Einzug, den sie in London gehabt hätten. Die Menschen auf der Straße schenkten ihnen zwar Beachtung, aber man jubelte ihnen nicht zu. Die Wache bahnte ihnen einen Weg zum "Hof", wo man sie bereits empfing. Nicht der König selbst verstand sich, wohl aber seine engen Vertrauten hatten Aufstellung genommen, und nach ein bisschen Chaos hatten sie ihre Quartiere zugeteilt bekommen. Für den späteren Abend war ein Bankett anberaumt und als Nico endlich baden und sich frischmachen konnte begann es also - das Spießroutenlaufen mit Carlos und all den anderen Lackaffen, inklusive seiner eigenen Gefolgschaft. Nico hatte keine wirkliche Lust darauf, doch er funktionierte wie es von ihm gefordert wurde. Mit einem freundlichen Lächeln und übertrieben vielen Worten um Nichts machte sich der Duce auf den Weg in den Bankettsaal, grüßte hier, überbrachte Wünsche dort.. und machte dem König Komplimente zu seiner schönen Frau und seinem Sohn, zusammen mit unzähligen Geschenken von Henry, die Carlos seiner besten Wünsche versichern sollten. Jedesmal, wenn die britische Delegation von Carlos einem neuen Adeligen vorgestellt wurde, wurden hinter ihnen die Köpfe zusammengesteckt, doch Nico ignorierte es inzwischen so gekonnt wie eh und jeh. Und dann... dann kamen die Damen. Innerlich verdrehte Nico die Augen, doch Carlos stellte ihnen größere Familien vor, die allesamt ihre hübschen aufgeputzten Töchter vorstellten. Nico verteilte Komplimente und hohle Phrasen, bis sie endlich, ENDLICH! zum Essen kamen.
 

Kieran

Er war auch am nächsten Tag wieder froh, dass William so redselig war, und sie plauderten über alles Mögliche. Die Reise wurde dadurch kurzweiliger, auch wenn die Hitze bei einigen immer mehr zum Problem wurde und Kieran auch so genug zu tun hatte. Er selbst genoss die Sonne auf seiner Haut und merkte, dass er keinerlei Probleme damit hatte, so als gehöre er hierher. Nun, als Kind war er ja auch viel in diesen Gefilden gewesen und das wenige Spanisch, das er noch beherrschte, frischte auf, sofern er die Gelegenheit dazu hatte und sie an Siedlungen vorbeikamen. In Madrid würde er schauen, dass er sich ein wenig unters Volk mischte. Er wollte, wenn er schon auf dieser beschissenen Reise dabei war, wenigstens ein wenig für sich mit nach Hause nehmen. Und auch wenn er selbstständig nach Hause ritt, würde er es genießen und das Beste daraus machen. Langsam bekam er richtig Lust dazu, wieder allein unterwegs zu sein, ohne Zwang und ohne diese Fassade, die er um sich errichtete – einfach nur er selbst, wie er war und wie er gerne lebte. Einfach nur weg von diesen schmerzhaften Erfahrungen!

Madrid war ein wenig wie eine Märchenstadt, wenn man die englische Bauweise gewohnt war. Der Einfluss der Mauren, die letztlich noch nicht lange ihre Vorherrschaft hier abgegeben hatten, war deutlich zu spüren und so vollkommen anders als alles andere. Grund genug, dass William der Mund offen stehen blieb und selbst er ein wenig verstummte, während sie durch die lebhaften Gassen in Richtung Hof zogen. Kieran hingegen hatte das erste Mal seit langem wieder ein ehrliches Lächeln auf den Lippen, sah sich um und fühlte sich mit einem Mal sehr entspannt. Sicher, es war nur bedingt so, denn in ihm tobte noch immer das Chaos ob der grauenhaften Erfahrungen der letzten Wochen und der aufwühlenden Geschehnisse des vergangenen Abends. Er hatte noch nicht verkraftet, dass nun auch er sich endlich wirklich von Dominico getrennt hatte. Noch hatte er ja immer gehofft gehabt…

Das Zimmer, das er bei Hofe bekam, war zwar eng, aber gemütlich. Es lag im Trakt der Hofärzte, von denen einer ihm zugewiesen worden war. Señor Matavivo war ein Arzt mittleren Alters, der eine gewisse Arroganz ausstrahlte, aber dessen Augen von Intelligenz zeugten. Kieran war schon bei der Begrüßung klar, dass er sich bei diesem Menschen wohl erst beweisen müsste, bevor er bei ihm punkten konnte. Und weil ihm dieser Mann an und für sich sympathisch war, nahm er sich vor, eben genau das zu schaffen. Er würde Dominico hier keine Schande machen, dafür hatte er ihn einmal viel zu gerne gemocht. Matavivo sprach ihn auch sogleich auf seine Jugend an und Kieran erklärte ihm ohne Umschweife, dass er noch Student sei, sein Mentor unpässlich war und ihn geschickt hatte. Er sprach ihn höflich mit „Mi maestro” an, um ihm verständlich zu machen, dass er ihn als Lehrer ansah, von dem er noch etwas würde lernen können. Noch bevor Matavivo dazu in der Lage war, etwas Abfälliges, Abwertenes zu sagen, erzählte er ihm von einem medizinischen Phänomen, das er angeblich auf der Reise gesehen habe, und fragte ihn, was er wohl davon halte. Er schmierte ihm Honig um den Mund, wie er es bei sich an der Uni gerlent hatte und schaffte es so, den Arzt zumindest neugierig auf ihn werden zu lassen. Dass man über ihn dennoch reden würde, war klar. Aber so würde er zumindest die Chance erhalten, sich zu beweisen, falls es erforderlich werden würde.

Kieran war letztlich doch froh, als er schließlich in Ruhe gelassen wurde und er sich frischmachen und umziehen konnte. Er hatte wenig Wahl gehabt, was er anzog, weil er für diese Temperaturen noch nichts in London gekaut hatte, und es blieb fraglich, ob er überhaupt etwas in der Richtung würde kaufen müssen. Zumindest hatte Dr. Chambers ihm zugesagt gehabt, dass er ordentlich für seine Reise belohnt werden würde und hatte ihm zudem noch Geld zugesteckt, das ihm unterwegs helfen würde. Er machte einen Rundgang zu den Gefährten, die den Tross begleitet hatten, erklärte allen, wo er normalerweise zu finden war, wenn er gebraucht werden würde, und nutzte dann die wenige Zeit, die er hatte bevor das Bankett losgehen würde, um hier einen Schneider zu finden, der es verstand, auch Kleidung im britischen Stile zu schneidern. Für einen horrenden Lohn wurde ihm versprochen, bereits morgen etwas zu bekommen, ein Hemd und eine Hose kaufte er von der Stange und so kehrte er rechtzeitig an den Hof zurück, wo er offenbar nicht vermisst worden war. Kieran gesellte sich zu seinem “Maestro”, den er in den nächsten Tagen als Lehrmeister auserkoren hatte, und dieser schien auf seine Masche anzuspringen und ihn den anderen Kollegen vorzustellen, mit denen Kieran wunderbar ins Gespräch kam. Sein Spanisch kehrte mehr und mehr aus der Versenkung zurück und er war überrascht, wie sehr eine Sprache einem ins Blut überging, wenn man sie als Kind gesprochen hatte. Auch das war sicher ein Bonus, den er bekam. Medizinishe Fachbegriffe, mit denen sie versuchten, ihn aus der Reserve zu locken, waren ohnehin auf Latein und die hatte er sich auch gut einverleibt.

Hin und wieder sah er zu Dominico, wie dieser den Tanz vollführte, von dem er ihm damals auf dem Dach bei Mr. Fores berichtet hatte. Und ein wenig hatte er noch immer Mitleid mit ihm, der ihm erzählt hatte, wie erschreckend er solche Abende fand, wie wenig ihm das Spaß machte. ‘Warst du damals ehrlich?’, dachte er bei sich und verwarf die Frage wieder. Er hatte keine Ahnung mehr, was von dem, was Nico ihm erzählt hatte, jemals ehrlich gewesen war und was nicht.
 

Als es zum Essen ging, sah er, wie Dominico in einer Traube von Damen kokettierte und er sah lieber gleich wieder weg. Dominico war ein freier Mann und wenn er sie heute Nacht alle durchvögelte, sollte er ihm viel Spaß dabei wünschen, oder? Sie aßen und Kieran fand es furchbar ermüdend, so viel reden zu müssen, ließ sich davon aber nichts anmerken. Irgendwann würde auch dieser Abend vorbei sein und sie würden ja auch nicht für immer und ewig in Madrid bleiben... Also Augen zu und durch und gute Mine zum bösen Spiel machen. Bald wäre er wieder frei!
 

Dominico

Für Nico schien der Abend kein Ende zu nehmen. Bankette mit Henry mochte er sogar, wenn man es so betrachtete. Er mochte sie, weil Henry selbst ein recht guter Gastgeber war, weil der Wein in Strömen floss und das Essen hervorragend war. Weil Nico die Männer am Hof kannte und weil er sich in ihren Intrigen sicher Bewegen konnte. Hier war das alles anders und er konnte sich nicht einfach volllaufen lassen, um am nächsten Morgen lang auszuschlafen. Er musste auf jedes Wort achten, das er sagte und selbst nachdem der mehr oder weniger offizielle Teil vorbei war, endeten die politischen Gespräche nicht. Nachdem man seinen Tross vorgestellt hatte, wurde außerdem über die Leute, die er mitgebracht hatte, getuschelt und Nico hörte nicht nur einmal das Wort "Arzt" fallen. Er sagte nichts dazu und wurde darauf auch nicht angesprochen, doch er merkte, dass es durchaus ein Thema an diesem Abend war. Die Feier ging lang und es wurden tatsächlich einige kleinere Kunststücke aufgefürht, in denen Nico nicht nur einmal eine Entlehnung des englischen Hofes erkannte - aber das war nichts Ungewöhnliches und so applaudierte er freudestrahlend, auch wenn er sich am liebsten einfach nur unter den Tisch verkrochen hätte. Über den Rand seines Bechers und beim Tanz mit der Königin und schließlich mit einigen Hofdamen beobachtete Nico immer wieder Kieran, der bei den Ärzten am Tisch saß. Sie schienen zumindest nicht ganz so brüskiert, einen Studenten zwischen sich sitzen zu haben und das beruhigte Nico schon etwas. Vor allem auch, weil Kieran sich weiter formvollendet verhielt und seinem Sturkopf keinen Ausdruck verlieh, indem er Nico dumm dastehen ließ. Zumindest da war er Kieran sehr, sehr dankbar.

Der Abend neigte sich irgendwann dem Ende und Nico war froh, als er sich mit Amadeo verabschieden konnte. Eine ganze Traube von Frauen schien unglaublich deprimiert zu sein, doch Nico wimmelte sie draußen ab. Es war schön und gut, aber er hatte nicht vor, sich heute Nacht mit einer der Damen zu vergnügen, und ganz offensichtlich heute auch nicht die Kraft dazu. Stattdessen verschwand er in seinen Räumlichkeiten, setzte sich auf sein Bett und besah sich das Gepäck, das übriggeblieben war. Neben seinen ganzen diplomatischen Dokumenten und den Briefen lag eine Bibel in der kleinen Truhe neben seinem Bett. Er zog sie hervor und strich über den dunklen ledernen EInband. Es war das Hochzeitsgeschenk seiner Frau gewesen, eine italienische Bibel aus der Druckerei des Vatikan. Er öffnete sie und blätterte darin herum, nicht um zu lesen sondern eher um den vielen Anmerkungen sein Augenmerk zu widmen. Er tat das ab und an ganz gern, denn es entspannte ihn. Und dann, als er weiter blätterte, fiel ihm ein Brief entgegen. Es war ein einfach gefaltetes Blatt, schmucklos und ohne Absender. Darinnen standen nicht viele Worte, doch sie waren in Italienisch verfasst und in einer gestochen schönen Handschrift. "Eure Augen, die mich ansahen, funkelten wie die Steine in meinem Collier." Nico schmunzelte. Er hatte damals das Glück gehabt noch sehr genau gewusst zu haben, wer die Frau war ,die das Collier getragen hatte: seine Frau.

Sie hatte ihm den Brief zugesteckt und so waren sie ins Gespräch gekommen. Henry hatte es eingeleitet und schließlich auch begünstigt, doch dieser Brief war der Anfang ihrer Freundschaft gewesen, die sie noch heute verband. Nico wollte den Brief gerade weglegen, als ihm ein Gedanke kam. Seine Finger fuhren über das weiche Papier, während er nachdachte. Ein Brief... Er hatte Kieran doch immer wieder Briefe geschrieben, oder nicht?

Und konnte man in einem Brief nicht... Dinge sagen, die man so nicht sagen konnte? In Nicos Gedanken begann sich eine Idee zu formen. Vielleicht war das der Weg? Die ganze letzte Nacht hatte er in seinem Halbschlaf damit verbracht, darüber nachzudenken, wie er Kieran sagen konnte, wie es um seine Gefühle bestellt war, von denen er nicht einmal selbst wusste, was sie bedeuteten. Doch wenn er Kieran ansah, wenn er ihn vor sich sah, dann konnte er entweder nur daran denken, mit ihm zu schlafen, oder aber ihn von sich zu stoßen, damit sie sich nicht zu nahe kamen. Aber wenn er schrieb? Vielleicht gelang es ihm ja, da seine Gedanken zu ordnen.

Und doch... nach ihrer letzten Begegnung würde Kieran wohl jeden Brief ignorieren, der aus seiner Feder kam. Wieder rieb er das Papier zwischen seinen Fingern. Was, wenn Kieran nicht wusste, von wem der Brief stammte? Es waren viele Frauen anwesend gewesen... Nico musste beinahe schmunzeln bei der Idee... und doch hatte er in sich das Gefühl, dass es funktionieren konnte. Dass er ihm näher kommen konnte, durch kleine Nachrichten, durch Briefe einer Spanierin vielleicht. Einer Frau, die sich Kieran auf dem Bankett ausgesucht hatte. Es war keine Seltenheit, dass auch andere Gefolgsleute belagert wurden, sie waren schließlich alle Engländer und jede Bindung war gut und recht.

Er wusste selbst nicht, woher diese plötzliche Energie kam, die er in seinem Körper fühlte. Er brauchte Papier! Sein eigenes konnte er nicht nehmen, da dort das Wappen seiner Familie prangte. Also durchwühlte er alle Kisten, bis er einfaches grobes Papier fand. Es machte es noch einfacher seine Schrift zu verstellen, denn das Papier saugte die Tinte förmlich aus seiner Feder. Langsam und mit Bedacht entstellte er seine geradlinige Handschrift mit vielerlei Schnörkeln, wie Frauen es in der Regel taten, als er begann zu schreiben.

Da er Spanisch konnte, war das hier für ihn auch kein Problem... und sicher war es besser, Kieran auf Spansich zu schreiben, dann würde der nicht ganz so schnell auf ihn kommen.

Oh Fremder!

Ich sah Euch heute auf dem Bankett seiner Majestät.

Sicher könnt Ihr Euch nicht an mich erinnern, doch ich hielt mich für unwürdig in den Glanz Eurer Augen zu blicken. Seit Ihr den Saal betreten habt, gab es nur Euch für mich und Euer Wissen, das Ihr so selbstverständlich mit Männern teiltet, die ihr ganzes Leben damit verbrachten, es zu erlangen.

Ich konnte kaum essen, kaum tanzen - so sehr war ich darin versunken Euch zu beobachten. Ein Traum würde wahr, würdet Ihr nur mit mir sprechen. Doch traue ich mich nicht, Euch meinen Namen zu verraten - Euer Herz wird mich erkennen, oder mich ewig im Dunkel zurücklassen.

Ich bete zu Gott, dass er mich erhört und Eure Aufmerksamkeit vielleicht eines Tages auf mich lenken wird.
 

Noch in der gleichen Nacht schob ein Diener den Brief unter Kierans Zimmertür hindurch und Nico schlief besser als in der letzten Nacht.
 

Kieran

Der Abend brachte auch in einer anderen Hinsicht viel Gutes: Kieran bekam wieder Hunger. Ob es das wirklich leckere und so andere Essen war, als in England, wo es immer so fleischlastig war, oder ob es seine aufkommende Vorfreude auf seine neue Freiheit war, konnte er nicht sagen, aber es schmeckte ihm. Und sein Körper freute sich darüber, endlich wieder ein wenig mehr Energie zu bekommen. Überrascht war er, als mit einem Mal auch in seiner Nähe eine Gruppe junger Hofdamen kokettierte, kichernd, tuschelnd, zu ihnen schauend. Doch er bemaß ihnen keine weitere Beachtung. Er hatte definitiv momentan keinerlei Interesse am anderen Geschlecht und ob das jemals wieder kommen würde, stellte er sehr in Zweifel. Kathy würde wohl die einzige Frau bleiben, die er jemals hatte lieben können. Wobei er sich nicht selten die Frage war, ob es wirklich Liebe gewesen war, oder aber einfach eine sehr tiefe Freundschaft.

Der Abend war noch nicht sehr weit vorangeschritten, als er gebeten wurde, nach ein paar der Soldaten zu schauen, die unter ihrer Ausrüstung wohl recht unter der Sonne gelitten hatten. Kieran war dankbar dafür, einen Grund zu haben sich von „Mi Maestro“ verabschieden zu können, um den Jungs zu helfen. Und so kehrte er auch nicht wieder zu der Gesellschaft zurück, sondern ging in sein Zimmer. Es war ohnehin spät geworden, weil er sich ein wenig verquatscht hatte, so dass sich eine Rückkehr nicht mehr lohnen würde. Auch Dominico schien sich verabschiedet zu haben, denn er hörte ihn mit Amadeo kurz reden und dann in sein Zimmer gehen. Kieran hatte sich bedeckt verhalten, als er die beiden Männer hatte kommen hören. Irgendwie war er erleichtert, dass er keine Frauenstimme dabei gehört hatte.
 

Der nächste Tag begann früh, weil sich unter Kierans Fenster offenbar der Küchentrakt befand und zwei Frauen lauthals sich unterhielten. Irgendwie mochte Kieran diese Stimmung, die dabei entstand, und so störte es ihn in keinster Weise, so früh geweckt worden zu sein. Er wusch sich, zog sich an und wollte gerade losgehen, um den Kräutergarten zu erkunden, von dem Matavivo gesprochen hatte, als er den Zettel bei seiner Tür fand. Irritiert öffnete er ihn und staunte nicht schlecht, als er las, was dort stand. Ein wenig musste er ja schon Grinsen.

für unwürdig in den Glanz Eurer Augen zu blicken oder Ein Traum würde wahr, würdet Ihr nur mit mir sprechen. Und auch: Euer Herz wird mich erkennen, oder mich ewig im Dunkel zurücklassen waren schon etwas schnulzige Sätze, aber sie freuten ihn dennoch irgendwie. Auch, dass die Schreiberin des Briefes offensichtlich würdigte, dass er zwar noch kein Arzt war, sich aber geschickt unter diesen bewegte, machte ihn ein wenig stolz. Dennoch – er hatte kein Interesse an einer Affäre hier und wenn die Frau wüsste, wo er wirklich herkam, würde sie solche Briefe sicher auch nicht schreiben. Dennoch legte er ihn zwischen eines der Bücher, die er zum Lernen mitgenommen hatte, und machte sich dann auf in den Kräutergarten, um zu sehen, was er sich hier besorgen musste, um es mit nach Hause zu nehmen.

Der Tag verlief eigentlich genau wie erahnt. Die Männer besprachen sich in diplomatischen Dingen und mittags wurde eine lange Pause gemacht. Kieran nutzte die Zeit, um beim Schneider die verlangte Ware zu holen und sich dem Treiben am Markt hinzugeben, der ihm die Möglichkeit gab, sich mit Kräutern und Samen verschiedener Früchte und Pflanzen einzudecken. Sein Mutter würde ihm ewig dankbar sein, wenn er ihr das Pimiento mitbrachte, das sie so vermisste. Ansonsten war er für die Soldaten da, deren Sonnenüberempfindlichkeit langsam nachließ. Am Nachmittag wurde die Hofgesellschaft dann eingeladen, die Stallungen des Königs zu besichtigen. Es war doch immer dasselbe: Die mächtigen Hengste wurden zur Schau gestellt, als würden die Männer damit ihre Schwanzlänge beweisen. Da einige ihrer Gesellschaft der Führung beiwohnte, war auch Kieran dabei und er bewunderten die schönen Tiere, die ihn teilweise an Dominicos Prachtexemplare erinnerten, teilweise aber auch das kleine, dünne und wendige Exterieur der arabischen Pferde hatten. Der schmale Kopf der wahnsinnig schnellen Pferde hatte so gar nichts gemein mit den schweren Shire Horses, die die Wachen des Königspalastes in London hatten.

Kieran fand den Ausflug angenehm und hätte den Brief, den er heute Morgen gefunden hätte, auch fast wieder vergessen gehabt, wenn nicht wieder eine Schwarm giggelnder Damen hier und da aufgetaucht wäre. Diesmal nahm sie Kieran ein wenig mehr in Augenschein, doch keine machte wirklich Anzeichen, ihm so einen Brief geschrieben zu haben, auch wenn hier und da eine der Damen seinen Blick erwiderte, höflich lächelnd.

Am Abend gab es kein richtiges Bankett, nur eine Herrenrunde, zu der er sich entschuldigte. Er war nur Student und musste noch lernen, sagte er zu seinem Maestro, der ihm daraufhin versprach, ihn am nächsten Tag zu ihnen in die Universität zu nehmen. Kieran war wieder froh um die Ruhe, die er hatte. Und es fiel weiter nicht auf, dass er für zwei Stunden in der Stadt verschwand, um einfach mal wieder er selbst zu sein.
 

Dominico

Nico wusste nicht, ob er zu dick aufgetragen hatte. Es fühlte sich nicht so an, aber man konnte ja bekanntlich nie wissen. Vielleicht lachte Kieran darüber oder kam schneller dahinter, als gedacht, um ihm dann den Brief um die Ohren zu schlagen. Doch anscheinend verdächtigte Kieran ihn nicht als er kurz bei den Besprechungen auftauchte. Meistens war er mit dem Hofarzt unterwegs und Nico war dankbar darum, dass sie sich nicht ständig begegnen mussten. So fiel es ihm wesentlich einfacher, sich dem Gedanken hinzugeben, zwischen ihnen sei alles in Ordnung. Als am Nachmittag seine Majestät persönlich seine Zucht vorführte, war es für Nico beinahe der Höhepunkt seiner Reise. Er würde einige von den Junghengsten aus alten Zuchtlinien kaufen, einfach weil es unglaublich stolze, schöne und kluge Tiere waren. Und er sah auch die hübschen Araber, kleine und wendige Pferde mit geschwungenen Ohren und schlanken Köpfen. Ein Tier, wie es Kieran vielleicht gefallen würde. Er ertappte sich bei dem Gedanken und suchte die Reihen der Männer ab, die ihn begleiteten. Kieran war dabei, mit dem Soldaten, der schon die ganze Zeit Kierans Wagen lenkte. Kieran selbst hing gerade mit dem Blick an einer Gruppe Hofdamen, die schnatternd ihrer Wege ging.. vielleicht hatte es ja doch geklappt? Zumindest schien Kieran wesentlich aufmerksamer gegenüber der Damen zu sein, als noch gestern Abend beim Bankett. Nur hoffentlich ging dieser Schuss nicht nacht hinten los...

Er sah wieder nach vorn und beschloss, einen der Araberhengste zu kaufen, die gerade vorgeführt wurden. Wenn er keine passende Gelegenheit fand, ihn Kieran zukommen zu lassen, dann würde er ihn eben selbst behalten als Erinnerung daran, dass er ihm das Tier hatte schenken wollen.

Als sie die Arena verließen in der eben noch die Tiere vorgeführt worden waren, war Kieran bereits wieder verschwunden und auch am Abend bei der Herrenrunde machte er durch Abwesenheit auf sich aufmerksam - allerdings fiel die nur Nico schmerzlich ins Gewicht. Als er am Abend wieder in sein Zimmer zurück ging, fragte er das erste Mal Amadeo nach Kierans Verbleib und der berichtete ihm davon, dass Kieran häufiger in der Stadt unterwegs war, einfach um sich umzusehen. Eine Idee, der auch Nico gern nachgekommen wäre... er kannte einige wirklich schöne Ecken in Madrid, doch Kieran würde kaum arglos mitkommen, wenn er ihn darum bat. Zumindest glaubte er es nicht. Und wenn doch, dann würde Kieran ihn wohl zurecht mit Verachtung strafen und Nico wollte diese Plätze, die so perfekt waren in seiner Erinnerung, nicht mit dem klammen Gefühl in seiner Brust belasten. Und dennoch gab es vielleicht eine Chance Kieran "sein" Madrid näher zu bringen und so saß er auch an diesem Abend wieder am Schreibtisch in seinem Zimmer und schrieb einen Brief auf grobes Papier.
 

Oh Mylord,

heute habe ich Euch zum ersten Mal lächeln sehen und Euer Lächeln war wärmer als die Sonne über Madrid. Es scheint Euch gut zu tun, hier in Spanien zu sein, und ich wünschte, Ihr würdet bleiben, um uns am Hofe mit Eurer Anwesenheit zu beglücken.

Ich sah Euch in der Stadt auf dem Markt - sicher bietet er viele exotische Dinge, die es in England nicht gibt. Was würde ich dafür geben, bei Euch zu sein und mit Euch durch die vielen gewundenen Gassen zu schlendern. Doch ich bleibe nur ein Schatten... aber, vielleicht - wenn Ihr denn wollt - dann lasst mich Euch ein wenig von meinem Madrid zeigen.

Auch wenn die Kirche es nicht zugeben möchte, den Mauren haben wir viel zu verdanken. Ihre Gewürze sind herrlich und ihr Viertel ist ein Tal der Wunder. Ihr solltet unbedingt dort hingehen! Sucht nach As Sayf, er hat dort ein Geschäft, in dem er viele unbekannte wundersame Kräuter verkauft, für die Ihr sicher Verwendung finden werdet! Und dann geht am Abend hinunter zur Stadtmauer in diesem Viertel und hinauf bis zum Turm und wartet, bis die Sonne hinter dem Horizont versinkt. Dort oben steht die Welt still und Ihr werdet den Zauber von Madrid erkennen...

Und vielleicht eines Tages mein Gesicht...
 

Der Brief fand wie gewohnt durch einen Boten sein Ziel unter Kierans Tür und Nico hoffte, dass Kieran den Faden aufnahm, den er auslegte.
 

Kieran

Auch am nächsten Morgen fand er einen Brief. Überrascht las er ihn und war noch überraschter als zuvor. Man hatte ihn am Markt gesehen? Nein - eine Frau hatte ihn am Markt gesehen? Ihm war niemand aufgefallen… Aber das, was sie schrieb klang verlockend, und intelligent. So, als seien sie wirklich auf einer Wellenlänge, als hätte sie einen ähnlichen Blick auf die Welt, hätte ähnliche Interessen würde auch Orte mit besonderem Zauber aufsuchen. Kieran nahm die Tipps einer Insiderin gerne entgegen und in den freien Minuten, die er an diesem Tag hatte, suchte er diese Plätze auf. Mittlerweile waren die diplomatischen Gespräche vorrangig, so dass er etwas mehr Zeit fand. Und die Schreiberin hatte recht. All das, was sie beschrieben hatte, war außergewöhnlich schön für ihn, war zauberhaft. Und als er am Abend auf diesem Turm stand, so fühlte es sich fast so schön an, wie jene Nacht, als er mit Dominico auf dem Dach gesessen war und sich unterhalten hatte. Und doch schmerzte diese Erkenntnis auch ungemein. Wie sehr würde er sich wünschen, diesen Abend noch einmal zu erleben. Hätte er damals gewusst… Er schob den Gedanken zur Seite. Er musste jetzt nach vorne schauen, nicht in die Vergangenheit. Und die Gegenwart sah nun mal so aus, dass sich Dominico gegen ihn entschieden hatte.

Und wieder fand er am nächsten Morgen einen Brief vor, der ihm erneut „ihr Madrid“ zeigte. Wer auch immer „sie“ war, Kieran wurde langsam neugierig. Nicht, weil er sich auf sie einlassen würde, wenn er es denn erfahren würde, nein, weil es ihn interessierte, wer ihm auf so überraschende Weise ähnlich war, so verbunden war, dass sie ihn an Orte führen konnte, die er auf Anhieb liebte. Er besuchte ein Badehaus nach arabischem Vorbild, sah eine alte Folterkammer, aß türkischen Honig und andere Süßigkeiten, kaufte wunderschöne Kleidung bei einem kleinen Schneider und einen Stirnschmuck für Niamh bei einem Sattler, der wundervolles Zaumzeug fertigte. Die Uni war ebenfalls ein Ort, an den er ging. Einerseits, weil ihn Dr. Matavivo dazu einlud, sich dort umzusehen und dem Unterricht beizuwohnen, was Kieran als große Ehre empfand und ihn letztlich wissen ließ, dass er es geschafft hatte, sich Respekt zu verschaffen. Zum anderen aber auch, weil seine Schreiberin ihm den Hinweis gab, dass man dort in einer riesigen Bibliothek lesen konnte, so viel man wollte – auch die Schriften der Mauren. Er hatte eh schon immer den Wunsch gehabt, sich in dieser Richtung weiterzubilden, und so nahm er sich die Zeit, das auszunutzen, so gut es ging.

Mittlerweile empfand er die Reise nach Madrid als eine Wohltat, denn bei Hofe konnte er Dominico aus dem Weg gehen, mit den Menschen, mit denen er sonst dort verkehrte, verstand er sich gut und das, was er wohl auch durch die Briefe erlebte, gefiel ihm ungemein. Dennoch: an jedem Ort, an den er „geschickt“ wurde, wurde er irgendwie an Dominico erinnert. Entweder, weil es diesem sicher auch gut gefallen hätte, oder weil er einen ähnlichen Ort in England mit ihm besucht hatte. Der Markt, die Süßigkeiten, die Kleidungsstücke, das Badehaus, der Kerker… Irgendwie erinnerte ihn die ganze Welt ständig an diesen Mann. Irgendwann würde er ihn schon vergessen können, ganz gewiss.

Und so verging die Zeit und da der König von Spanien in Richtung Deutschland aufbrechen wollte, wurde das Abschiedsbankett einen Tag früher als geplant abgehalten. Das Gute war: Kieran würde noch einen Tag in Madrid bleiben können, an dem er keinerlei Verpflichtungen haben würde.

Und so traf er, neu eingekleidet und gut gelaunt am Festbankett ein, unterhielt sich sogleich über seine Eindrücke von Madrid mit Señor Matavivo und den anderen Ärzten, die ihrerseits das Gespräch suchten und angetan waren von ihm, ihm viel Glück für den Abschluss seines Studiums wünschten. Er hatte Dominico keine Schande bereitet und das war gut so, alles andere war ihm egal. Nun war er ihm nichts mehr schuldig und würde ihm auch nie wieder etwa schuldig sein. Die Ärzte hier in Madrid konnten ja nicht wissen, dass er das Studium nicht beenden würde, weil er nicht mehr abhängig vom Geldgeber sein wollte. Er würde als fahrender Arzt auch ohne Abschluss einen guten Job machen können, da war er sich sicher.

Kieran sah sich um, ob er von irgendeiner Hofdame ein Anziechen dafür bekam, dass sie ihm die Briefe geschickt hätte, aber keine verhielt sich über die Maße seltsamer als sie es ohnehin immer taten. Es war wirklich ein Mysterium, definitiv. Er hatte an seiner Tür einen Zettel hinterlassen, auf dem “Seelenverwandschaft” stand. Wenn diese Frau ihn wieder anschreiben würde, würde sie den Brief dort sehen. Und vielleicht würde die Frage, die in diesem Brief stand, sie ermutigen, ihm doch ihr Gesicht zu zeigen.

“Wer bist du, damit ich mich bedanken kann für die Wunder, die du mir gezeigt hast?”
 

Dominico

Für Nico bot die Zeit in Madrid kaum eine anständige Abwechslung. Nicht weil es sie nicht gegeben hätte, sondern weil er einfach nicht die Zeit dafür fand. Ständig wurde er belagert, entweder vom König selbst oder von Händlern, Diplomaten oder Frauen und deren Familien. Nico war einfach nur genervt, so dass er - wenn er frei hatte - nur die Abgeschiedenheit und Ruhe seines Zimmers suchte. Und doch, manchmal gelang es ihm abends hinaus zu gehen. Es war nicht seine erste Reise nach Madrid und er besaß eine arabische Robe, die er anlegte. Mit einem geschickt gewickelten Turban, den hier viele der noch in Madrid lebenden Mauren trugen, erkannte ihn auf der Straße niemand. Wenn er es schaffte, folgte er Kieran in großem Abstand und beobachtete ihn ein wenig. Es war definitiv nicht das gleiche wie die Orte mit ihm zu besuchen, aber es war besser, als gar nicht zu sehen, wie Kierans Augen hier und da so fasziniert leuchteten. Und zwischen diesen Ausflügen und den Gesprächen, die Nico tatsächlich allmählich zum Abschluss brachte, verging die Zeit in Madrid wie im Fluge.

Carlos musste wieder zu seinem Hof in Deutschland und würde seine Frazu mit seinem Sohn hier in Madrid zurücklassen, da die Stadt gut bewacht war. Die englische Delegation würde morgen Abend ihre Sachen packen und abreisen und Nico war es nur recht. Das Abendbankett wurde vorgezogen und so konnte er vielleicht selbst noch einige Erledigungen machen - Zumindest hatte er es vor. Als Amadeo ihn zu dem Bankett abholen wollte, hatte der einen Brief in der Hand. Nico runzelte die Stirn, doch Amadeo grinste nur. "Klebte an seiner Tür", meinte er knapp und zeigte Nico den Brief, der die eine Frage darin las und seufzte. Auch wenn es bedeutete, dass er zu spät kam, er musste ihm einfach noch antworten bevor er auf das Fest ging.

Mit Feder und Papier bewaffnet machte sich Nico an den wohl letzten Brief, den er von einer Hofdame an Kieran richten konnte.
 

Habibi,

wie gerne würde ich dir sagen wer ich bin.. doch ich fürchte, meinen Namen kann ich dir nicht nennen. Ich bin nur eine einfache Seele und würde man finden, was ich dir schrieb - es wäre unser beider Unglück. Behalte mein Madrid fest in deiner Erinnerung, wenn du zurück nach England reist. Allein zu wissen, dass du gefallen daran gefunden hast, bringt mich glücklich durch den Tag. Die Bilder, die du gesehen, die Gefühle, die du gefühlt hast, werden uns über die Zeit hinweg verbinden und auch wenn ich mir nichts sehnlicher wünschte, als in deinen Armen zu liegen, so wird es nur ein Traum bleiben, den dein Lächeln genährt hat.

Ich will dir nicht Lebewohl sagen, ich könnte es nicht ertragen - doch ich muss und so will ich beten für dich, und deine gute Heimreise.

Ma'a as-salama
 

Er faltete den Brief beinahe wie ein Geschenk und gab ihn zum letzten Mal einem Boten, der den Brief unter Kierans Tür hindurch schob, während Nico selbst hinunter zum Bankett ging.

Die Spanienreise - Die Entscheidung

Dominico

Der König selbst war auch noch nicht da, damit beging Nico wenigstens keinen Affront. Er setzte sich zu einigen spanischen Händlern, die er schon länger kannte und die einfach nur unehrlich und profitgierig waren, doch diese Menschen konnte Nico wenigstens einschätzen. Er sah Kieran wieder bei den Ärzten und lächelte, ja damit hatte er zufrieden sein können, Kieran hatte sich wirklich gut gemacht. Keine Klagen über ihn waren an Nicos Ohren gekommen, er hatte sich immer tadellos verhalten und sich auch sehr gut informiert. Also war die Reise zumindest von diesem Standpunkt aus gesehen hervorragend gelaufen.

Während sie alle auf den König warteten, wurde das Essen aufgetragen und kurz darauf kam Carlos, der das Bankett eröffnete. Sie speißten und tranken gemeinsam, und als dann wieder der Tanz auf dem Programm stand, wurde Nico von so ziemlich allen Frauen genötigt, mit ihnen zu tanzen. Eine spanische feurige Schönheit war ganz vorn mit dabei und Nico konnte nicht anders, als mit ihr zu kokketieren. Doch vor allem wurde ihm bald bewusst, dass diese Frau mehr war als bloß eine Dirne in einem Kleid. Dominico wimmelte die anderen ab und als sie kurz eine ungestörte Minute hatten, sprach sie Nico darauf an, ihr zu folgen. Sie sei eine Botin des Vatikans und hätte eine Botschaft, einen Brief, der eigentlich Henry erreichen sollte, aber abgefangen worden sei. Nico fragte nicht, woher sie ihn hatte, und auch nicht, wer sie damit beauftragt hatte, den Brief an ihn zu geben - er folgte ihr einfach. Manchmal musste man diese Dinge nehmen, wie sie kamen, und die Frau machte keinen besonders gefährlichen Eindruck. Viel eher war sie einfach etwas älter als die jungen Dinger bei Hofe, und wusste wie der Hase lief. Sie konnte sich gut auf diesem Parkett bewegen, weswegen es Nico nicht als Strafe vorkam, kurz mit ihr die Festlichkeit zu verlassen.
 

Kieran

"Wegen eines Mittels für Gicht?", der junge Arzt, dem er erzählt hatte, wie er zu einem Studienplatz gekommen war, lachte. "Na dieses Mittel möchte ich auch haben!" Kieran lächelte. "Wartet, ich schreibe es Euch auf!"

Es war die beste Gelegenheit, mal kurz raus zu kommen aus diesem Raum, in dem er ständig zu Dominico sehen musste, der mit diesem Superweib sich vergnügte. Kieran war so froh, dass das der letzte Abend sein würde, an dem er sich noch so erniedrigen lassen musste.

Und so verließ er den Saal, um zu seinem Zimmer zu gehen, kurz den Kopf wieder frei zu bekommen. Warum nur fand er es so unerträglich, Nico so zu sehen? Lag es an dem Kuss, den der andere ihm noch gegeben hatte? Lag es an den Orten, an denen er gewesen war und an Nico denken musste, sich sogar dabei ertappt hatte, sich in seine Arme zu träumen, sich vorzustellen, dass jener bei ihm war, die Augen schließend sich eine Umarmung vorgestellt hatte. Er war ein Idiot! Und das wurde ihm gerade richtig bewusst. Für Dominico war er eine Freizeitbeschäftigung gewesen, eine Nummer. Aber jener hatte ihn glauben lassen, dass dem nicht so war, und das Machte ihn gleichermaßen wütend und traurig.

Als er sein Zimmer betrat, fand er den Brief. Neugierig öffnete er ihn und las. Habibi bedeutete Liebling oder Liebster - er liebte dieses Wort. Dass es die Schreiberin verwendete, ließ ihn schließen, dass sie maurischen Ursprungs war. Und das erklärte natürlich, dass er eine Abfuhr bekam. Kieran war dennoch enttäuscht. Zugern hätte er ihr gedankt, aber er verstand auch, dass sie Angst hatte. Hier ging es um Ehre und manchmal sogar um Leben und Tod.

Kieran schrieb die Rezeptur für das Gichtmittel auf und verließ gerade sein Zimmer, als er direkt in Dominicos Gesicht blickte, an dessen Arm die schöne Frau hing. Kieran schluckte und er wusste nicht, was ihn ritt, aber er hob die Hand und strich sich mit seinen Fingern am Kinn nach vorne, eine Geste, die der Italiener nur zu gut kennen musste, es war die Geste für 'Stronzo' - Schimpfwörter konnte man sich nunmal immer am besten merken.

Kieran eilte weiter, sich selbst darüber ärgernd, die Kontrolle verloren zu haben, aber gerade wurde alles zu viel.

Er kehrte noch immer aufgewühlt in den Saal zurück und versuchte sich zu sammeln. Und er versuchte alles, um nicht darüber nachzudenken, dass sich Nico nun mit dieser Frau vergnügte. Sollte er sie doch vögeln! Was ging es ihn an?!

"Und was habt Ihr vorher gemacht?" Kieran konnte sich nicht recht konzentrieren, sonst wäre ihm bestimmt etwas Besseres eingefallen. "Ich war ein Akrobat." Der Arzt hob verwundert die Augenbrauen, dann lachte er. "Na dann habt Ihr euch aber ganz schön gemausert, wenn ihr vom Fahrenden Volk abstammt. Dass Ihr euch hier so gut zurechtfindet, ist ja fast bewundernswert." Kieran hätte in einer anderen Situation sicher gemerkt, dass es nicht böse oder abwertend gemeint war, und mit Ironie reagiert, aber er konnte gerade nicht. Daher reagierte er mit Sarkasmus. "Ja, wirklich ein Wunder, dass ich überhaupt lesen und schreiben kann, und auch noch ein wenig Anstand besitze, Tischmanieren beherrsche und überhaupt gesellschaftsfähig bin. Aber wisst Ihr, Doctore, wenn ich mich hier so umsehe, dann stellt sich mir die Frage, ob nicht meine Familie mehr Anstand besitzt, als alle hier Anwesenden." Seine Augen glommen vor Wut. "Ihr entschuldigt mich bitte!" Und damit ging er in sein Zimmer. Er hatte definitiv genug - von allem.
 

Dominico

Nico und seine spanische Begleitung alberten gerade herum, als sie den Gang hinunterschlenderten und Kieran aus dem Zimmer trat. Nico wollte gerade eine standesgemäße Verbeugung andeuten, während die Dame neben ihm sogar knickste, als von Kieran nur diese Unverschämtheit zu erkennen war. Scheißkerl? Nico runzelte die Stirn, doch Kieran war schon wieder verschwunden und seine Schritte verhallten auf dem gebogenen Gang hinter ihnen. Neben ihm erklang ein seltsam aufgesetztes Lachen und sie zog an seinem Arm. "Na kommt, nur weil er etwas neben der Spur ist, der Gute..." Nico setzte sich langsam in Bewegung, seine Aufmerksamkeit galt aber nicht unbedingt Kieran. Warum waren sie hier? Im Trakt der Ärzte? Männer, die entweder auf dem Bankett waren, oder schon schliefen? Und die Räumlichkeiten der Damen lagen mit Sicherheit NICHT! hier. Erneut wurde er noch langsamer, um einen Wandteppich zu betrachten, und die Dame an seinem Arm wurde zusehends ungeduldiger.. nervöser?

Entschieden löste sich Nico von ihr. "Mylady, ich kann das meinem Gefolge nicht durchgehen lassen. Geht schon vor, ich komme nach und lasse mir den Weg zeigen.. ich bin gleich wieder bei euch." Sie wollte intervenieren, doch Nico war schneller, machte auf dem Absatz kehrt und stürmte Kieran nach. Allerdings nicht, um ihm zu folgen.

Einige Abzweigungen später traf er auf Amadeo, der ihm offensichtlich aus Sicherheitsgründen gefolgt war, und gemeinsam eilten sie zu Nicos Gemächern. Ein Nachtmahl war hergerichtet worden, das jetzt seine Bestimmung im brennenden Kamin fand und auch das Wasser floss alsbald die Fassade hinab, genauso wie der Wein, der auf dem Tablett stand. Sie diskutierten angestrengt - es musste sich einfach um einen Hinterhalt gehandelt haben. Nico ließ einen der Diener rufen, um frisches Wasser zu bestellen, und der Junge eilte los, um es zu holen, während sich Nico auf einem Stuhl niederließ und Amadeo bei der Türe an der Wand lehnte. "Aber wer? Ich verstehe es einfach nicht, ich kenne niemanden, der es gewesen sein könnte. Sie wirkte ganz normal, nur ich Idiot habe gar nicht gemerkt, wohin sie mich bringt. Eine Schande ist das...", fluchte Nico gerade vor sich hin. Außerdem war er allein wegen der Begegnung mit Kieran noch immer schlecht gelaunt, aber das stand vorerst hinten an.

Es dauerte nicht lange, bis der Diener wieder kam, doch als er das Zimmer betrat wirkte er äußerst unsicher, schien immer wieder einen Blick in den Augenwinkel zu werfen. Nico, der sich erst hatte erheben wollen, blieb sitzen, Amadeo hinter der Tür zog sein Messer. "Stellt es grade dort ab."

Der Diener wurde noch eine Spur weißer im Gesicht. Er kam einige Schritte in den Raum hinein und stellte das Tablett auf einen Hocker. Entweder war er so aufgeregt, dass er es nicht merkte, oder es war Absicht - Nico fixierte den Mann mit einem starren Blick und das Tablett landete schief auf dem Hocker und wäre beinahe gefallen - tat es aber nicht, weil die schwere Karaffe in der Mitte das Gewicht gerade so hielt. Scheinbar irritiert, das es nicht fiel, sah der Diener nach unten und dann brach die Hölle in dem Raum los. Ein Schrank von einem Mann stürmte durch die Tür. Er war offensichtlich allein, aber mit zwei Klingen bewaffnet. Weder trug er besonders teure Kleidung, noch machte er einen sehr zivilisierten EIndrcuk. Sein Körperbau sprach eher davon, dass er sich mit gewissen Aufträgen sein Geld verdiente und er kam auch gleich zur Sache, stieß den Diener weg - zufällig genau gegen Amadeo, dessen Angriff aus dem Hinterhalt damit scheiterte und stürmte auf Nico zu. Der riss seinen eigenen Dolch hoch und setzte sich sofort zur Wehr. Nico konnte immerhin kämpfen, doch ihm schlug rohe Gewalt entgegen und gegen Gewalt und Verzweiflung war jede Ausbildung im Nahkampf machtlos. Er schaffte es dennoch für den ersten Moment den Mann auf Distanz zu halten, der wohl nicht damit gerechnet hatte, dass sein Opfer sich so massiv wehrte. Leider nicht ganz ohne Nebenwirkungen für Nico, denn der Dolch seines Angreifers schnitt durch sein Hemd und die Jacke und schlitzte ihm ein Stück des Oberarms auf, den Nico so gedreht hatte, dass der Dolchangriff seine Schulter oder sein Herz verfehlte.

Dann war Amadeo wieder einsatzbereit und sprang den Kerl von hinten an. Ihr "Gast" trug einen Panzer aus Leder, wodurch ein direkter Dolchstoß schwer war, doch Amadeo war ausgebildet in diesen Dingen und während Nico zum Gegenangriff ansetzte und der Kerl sich jetzt zwei Männern gegenüber sah, rammte Amadeo ihm sein Messer in die Achselhöhle. Mit einem Aufschrei ging der Mann zu Boden und Nico rammte ihm die Klinge durch den Hals, was den Schrei aprupt verstummen ließ. Sein Todeskampf dauerte Minuten und es waren Amadeo UND Nico notwendig, um ihn dabei unten zu halten. Doch es gelang ihnen und schließlich erschlafften die Bewegungen unter ihnen. Der Diener stand schlotternd noch immer in einer Ecke des Raumes und jammerte. Nico ließ den Dolch fallen und hielt sich den Arm, starrte zu dem Mann hinüber. "Ihr werdet jetzt gehen und Kieran Carney holen. Und gnade euch Gott, wenn er nicht an einem Stück in diese Räumlichkeiten findet." Schneller als Nico ihm nachsehen konnte, war der Mann aus dem Zimmer gestürmt. Amadeo derweil beschäfigte sich bereits mit der Frage, wohin man die Leiche am besten bringen konnte. Die Lösung war bald gefunden.

Nicos Schlafzimmer hatte einen Balkon, der auf die Außenmauer des Palastes zielte. Darunter lag der breite Wassergraben, der die Palastanlage umgab und der erstaunlich tief war. So tief, dass auch größere Fische darin schwimmen konnten. Gemeinsam hievten Nico und Amadeo den Kerl gerade nach draußen und im Schutz der Dunkelheit über die Brüstung, ehe ein lautes "PLATSCH" ankündigte, dass er sein Ziel getroffen hatte. Schwer atmend und wegen des Blutverlustes langsam schwankend kam Nico zurück zum Bett. Amadeo hatte bereits ein Tuch geschnappt und half Nico einen festen Notverband um die Wunde zu legen, ehe Nico halb auf das Bett sank und den Arm in die Höhe streckte damit das Blut nicht all zu schnell hinauspulsierte. Seine Welt drehte sich noch immer, doch der Schock half ihm, sie langsam wieder gerade zu rücken.

Als dieser Mann auf ihn losgestürmt war, hatte er Gregors Gesicht gehabt. Nico wusste, dass das unmöglich war, doch gerade rasten seine Gedanken. Warum die Frau? Wer steckte dahinter? War es nur ein Einzeltäter? Es lag nahe, denn sonst hätte man einen effektiveren Hinterhalt planen können. Man kannte Nico und wusste, dass er kein Stümper war. Aber warum? Die Frau musste dringend ebenfalls aus dem Weg geschafft werden.. SEHR SEHR dringend. Doch gerade konnte Nico das kaum bewerkstelligen.

Amadeo schickte nach zwei ihrer Wachen, die kurz darauf erschienen - und zu Nicos großer Freude noch nüchtern waren. Sofort nahmen sie Aufstellung vor dem Raum und Nico konnte Amadeo losschicken, um sich dieses Problems anzunehmen.

Und so sehr Nico auch versuchte, den Grund, das Warum für diese Tat zu finden, kreisten seine Gedanken um Gregors Gesicht und Kieran, der ihm, mit Sicherheit ungewollt, das Leben gerettet hatte. Weil er ihn beschimpft hatte und Nico deswegen gezögert hatte, was die Dame aus dem Konzept gebracht hatte und Nico erkennen ließ, dass etwas nicht stimmte. Und trotzdem, der Hass aus Kierans Augen hatte ihn unglaublich verletzt. Wieder dachte er an die Briefe.. DIE BRIEFE! Nico schoss nach vorn und stopfte Papier und Feder in eine der Schubladen des Schreibtisches - keine Sekunde zu früh, denn gerade als er sich wieder auf das Bett warf, klopfte es an der Tür. "Tretet ein...", erklang seine Stimme noch immer etwas zittrig von den Erlebnissen der letzten zwanzig Minuten.
 

Kieran

Kieran begann in seinem Zimmer zusammenzupacken. Übermorgen würden sie aufbrechen und Kieran war froh, diesen Mist hier bald hinter sich zu haben. Er verstaute medizinische Gegenstände in einer Kiste, als ein Diener eintrat - kreideblass und zitternd, der ihn bat, ihm zu Dominico zu folgen. Das war ja schnell gegangen...

Dominico konnte ihn letztlich nur aus zweierlei Gründen zu sich zitieren, beide gefielen ihm nicht: entweder würde er ihn wegen seines Verhaltens vorhin zur Rede stellen, oder aber es war etwas passiert. Er blickte den Diener fragend an. Irgendwas war seltsam, was ihn wachsam werden ließ. "Ist was passiert?", fragte er, seinem Gefühl folgend. Der Junge nickte blass. "Nehmt euren Koffer mit." Kierans Stirn verdunkelte sich und er beeilte sich, seinen Koffer zu holen und dem Diener in den Trakt zu folgen, in dem Dominoco wohnte. Die Wachen vor Nicos Tür ließen ihn nervös werden. Was war passiert? Sie wurden durchgelassen. Er erblickte Dominico, auf dem Bett sitzend, mit blutdurchtränktem, notdürftigem Verband. Kieran spürte, dass ihn Angst packte. Nico war angegriffen worden? Von der Frau? Oder jemandem anderen? Doch letztlich war das nicht das Entscheidende. Er trat zu Dominico ans Bett, öffnete in geübter Bewegung seinen Koffer und holte Blutwurz heraus, hochprozentigen Alkohol und saubere Tücher, dann öffnete er den Verband und machte sich daran, die Verletzung zu behandeln. Wahrscheinlich hätte er höflich sein müssen, ihn begrüßen, mit ihm reden, ihn fragen, was geschehen war, aber er konnte es nicht. Sein Hals war zugeschnürt, die Angst um den anderen ließ ihn verstummen und mechanisch handeln. Er wusste eh nicht, was er ihm hätte sagen sollen. Und er schaffte es auch nicht, ihn anzusehen. Und während er ihn versorgte, wurde ihm bewusst, dass, wenn der Angriff anders ausgegangen wäre, das letzte, was er zu Dominico gesagt hätte, 'Scheißkerl' gewesen wäre. Und das machte ihm wahnsinnig zu schaffen. Er würde sich mit dem anderen aussprechen müssen, bevor sie sich trennten, definitiv.

Er hatte die Blutung gestoppt und die Wunde gereinigt. "Harter Mann oder nähen?", fragte er leise und seine Stimme fühlte sich so fremd an. Er sah Dominico flüchtig an und versuchte zaghaft zu lächeln. Er fühlte sich so verdammt schuldig. "Ich bevorzuge letzteres, weil Ihr unter Umständen den Arm so schnell wie möglich wieder brauchen könnt."

Sorgsam fuhr er fort, den Wünschen des anderen entsprechend zu handeln. "Es tut mir leid", sagte er dann leise, "dass ich vorhin so ... unhöflich gewesen bin." Doch in diesem Moment trat Amadeo ein.
 

Dominico

Nico streckte noch immer den Arm in die Höhe, eine der Wachen hatte ihm inzwischen Wasser organisiert und er trank gierig, vor allem um den Nebel in seinem Kopf zu vertreiben, der dort festsaß. Er musste dringend dringend nüchtern werden, einige Dinge planen - vor allem ihre morgige Abreise aus Madrid. Er würde keinen Tag länger bleiben, auch wenn es besondere Vorsicht im Umland erforderte. Doch hier war der Verschwörer auf bekanntem Boden, draußen war es offenes Feld. Sie würden sich dort besser formieren können und Nico würde ihm oder ihr nicht die Gelegenheit geben, ihn in diesem Palast zu ermorden. Als Kieran hereinkam, erwartete Nico beinahe ein triumphierendes Grinsen. Vielleicht hatte Kieran sonstwas erwartet, die Frau auf ihm oder sie beide verkeilt, krampfend, wie auch immer - doch anscheinend war der Diener bereits mitteilsam gewesen und als er in Kierans Gesicht sah, konnte er dort vor allem Sorge erkennen. Nico löste mit Kieran den Verband und der Schnitt blutete noch immer. Nico biss die Zähne zusammen als der Arzt die Wunde säuberte, während er bereits Instruktionen an die Soldaten gab. "Schickt nach den anderen. Holt sie vom Bankett, sie sollen packen. Ich bleibe keinen Tag länger hier... aber macht es nicht so, dass es einen Affront gegen den König wäre. Wir reisen ab, weil ich heute einen Brief erhalten habe, der sagt, dass das Wetter zur Zeit für eine gute Seereise spricht. Sagt ihnen das und sagt ihnen, dass sie bei Sonnenaufgang reisefertig sein sollen! Die Wache soll sich teilen, ich will, dass jeder Mann morgen so ausgeruht wie nur möglich ist. Bewaffnet auch die mitreitenden Diener und Leibwachen, ich will, dass jeder in der Lage ist, sich zu wehren. Noch haben wir keinen blassen Schimmer, wer diesen Anschlag plante, und es bleibt zu hoffen, dass es niemand ist, der mehr Einfluss hat und mehr Männer schicken kann. Also bleibt wachsam."

Seine Stimme bebte, weil es schmerzte, doch Nicos Befehlston war geübt und die Männer folgten auf den Fuß. Während zwei zurückblieben, um die Türe zu sichern, ging einer anderer los, um die Befehle auszuführen und Nico wandte sich endlich an Kieran, der bereits fertig war. "Nähen, das ist doch die beste Wahl, nicht wahr?" Seine Stimme war so sanft wie er sie klingen lassen konnte in dieser Situation. Die Beleidigung hatte er ihm längst verziehen... vielleicht, so dachte er bei sich, sei es sogar wichtig Kieran zu sagen, dass es letztlich diese Beleidigung war, die ihn gerettet hatte. "Ich werde den Arm schon morgen brauchen. Kein Schmerzmittel, kein Schlafmittel, kein Holz. Näh einfach, ich halte das aus."

Und er würde es aushalten, es war nicht die erste Wunde, die genäht wurde. Er hörte wie die Türe aufging und Amadeo eintrat, doch Nico ließ es sich nicht nehmen, Kieran noch einmal anzusehen. "Ich verdanke dir mein Leben. Hättest du uns nicht aufgehalten, wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass wir am falschen Ort für die Gemächer einer Dame sind. Vergeben und vergessen", meinte Nico nur noch knapp dazu, ehe er sich einem süffisant grinsenden Amadeo zuwandte, der einen Brief zwischen den Fingern hielt. Nico nahm ihn entgegen und sah den Mann fragend an. "Lei si divincolava come un pesce in acqua." Amadeos leiser Singsang ließ beinahe darauf schließen, er sei gerade wirklich fischen gewesen, doch sein selbstzufriedener Ausdruck sagte ihm eher, dass irgendwo in diesem Palast eine Lady erwürgt auf dem Boden lag.

Die Nadel an seinem Arm stach und tat weh, doch es gelang ihm den Schmerz zu verdrängen und den Brief stattdessen zu entfalten. Es war keine Unterschrift darunter, doch die Sprache, in der der Brief gehalten war, reichte, um zu wissen aus welcher Richtung der Ärger kam.. Frankreich.

Sicher nicht als direkter Angriff auf England, nein. Viel mehr schien Francis interesse daran zu haben, England und Spanien aufeinander zu hetzen. Kein dummer Schachzug, doch Nico würde nicht so einfach diesen Köder geben.
 

Als die Wunde genäht war, verabschiedete sich auch Kieran, um zu packen und der Trakt, in dem sie alle untergebracht waren brodelte vor hektischer Betriebsamkeit. Amadeo packte mit Nico der allerdings sehr schwach war ihre Sachen und Amadeo "befahl" seinem Herrn besser ins bett zu gehen und zu schlafen. Doch Nico konnte nicht schlafen. Seine Gedanken kreisten um Kieran, um dessen Blick während er ihn genäht hatte, die zittrigen Finger... Kieran hatte Angst, entweder vor ihm, um ihn oder vor der Situation hier... also beschloss Nico noch einen letzten Brief zu schreiben, vor allem, weil in seinen Gedanken in den letzten Tagen ein Entschluss Gestalt angenommen hatte. Er würde Kieran sagen, von wem die Briefe stammten, aber nicht hier in Madrid. Doch in England oder auf dem Schiff würde er es auch nicht machen können, also blieb ihm nur die Reise nach Santander. Papier und Feder fanden noch einmal den Weg auf Nicos Schreibtisch ehe sie ganz verstaut wurden.
 

Habibi, du hast heute so unsagbar traurig ausgesehen... oder war es Wut in deinem Blick? Ich hoffe, dein Ärger trifft nicht mich und es ist nicht, weil ich dir mein Gesicht nicht zeigen kann.

Ich habe noch einen letzten Ort, der uns verbinden soll, einen letzten Punkt auf unserer gemeinsamen Reise, die wir doch nie gemeinsam unternehmen konnten. Wenn du zurückkehrst nach England, so bleibe in Santander noch einen weiteren Tag und suche die verlassene Capilla de la Virgen llora auf. Geh am Abend, Habibi, dann, wenn die Welt schlafen geht, und schau von der Kapelle aufs Meer hinaus. Behalte dieses Spanien in deinem Herzen, wenn du gehst, und nimm die Trauer nicht mit zurück in dein Leben in England.
 

Darunter stand ein kurzer Abriss aus dem Hohelied Salomos, auf Spanisch und reichlich verziert:
 

Unüberwindlich -

so ist auch die Liebe,

und ihre Leidenschaft

brennt wie ein Feuer.

Kein Wasser kann die Glut der Liebe löschen,

und keine Sturzflut schwemmt sie je hinweg.

Wer meint, er könne solche Liebe kaufen,

der ist ein Narr, er hat sie nie gekannt!
 

Kieran

Also tatsächlich ein Anschlag, sein Gefühl hatte ihn nicht getäuscht. Die Anweisungen, die Nico gab, waren deutlich. Sie würden Madrid so schnell wie möglich verlassen. Dann würde er diese schöne Stadt, wohl doch schneller hinter sich lassen, als geplant. Aber angesichts der Tatsache, dass es jemand auf Dominicos Leben abgesehen hatte, war das auch sehr gut zu verkraften. Da wäre es Kieran sogar lieber, wenn sie schon gestern gefahren wären. Ja, er merkte, dass ihm das mehr zusetzte, als er es sich eingestehen konnte. Die Tatsache, dass er jetzt auch hätte gerufen werden können, um den Tod des andren festzustellen, war erschreckend.

Als er die so sanfte Stimme des anderen sah, blickte er ihn doch an. Konnte es sein, dass Dominico kein bisschen erzürnt war darüber, dass Kieran ihn so dämlich angegangen war? Er nickte über die Anweisungen. „Also harter Mann und dennoch nähen“, grinste er leicht und sparte es sich, Schmerzmittel und Holz herauszuholen. Er bereitete alles vor und begann dann fein säuberlich zu nähen, während Amadeo offensichtlich bei bester Laune hereinkam.

Noch bevor die beiden Männer miteinander sprachen, entschuldigte Nico ihm sein Verhalten. Doch, dass er ihm sein Leben verdanke, war wohl ein wenig zu viel des Guten, oder? Zumal die Tatsache, dass Nico mit der Frau zu ihren Gemächern unterwegs gewesen war, nicht unbedingt das war, was er gern hören wollte. Kieran nickte dennoch. Es machte ihn verlegen und daher ging er nicht weiter darauf ein, sondern wechselte lieber das Thema. „Ist es dann auch verziehen, dass ich Dr. Lorenzo angeschnauzt habe?“, fragte er noch leise und schmunzelte leicht dabei.

Amadeo reichte Dominico einen Brief und schien jenem etwas zu bestätigen. Kieran hatte alle Mühe, die Nadel ruhig zu halten, daher bemühte er sich nicht weiter, zu sehen, was da geschrieben stand. Tatsache war, dass die Furcht um den anderen, ihm die Hand zittrig werden ließ. ‚Reiß dich zusammen, du Hornochse!‘, tadelte er sich selbst und versuchte sich mit den Gedanken abzulenken, was er alles einpacken musste, um nicht mehr über die Dinge nachdenken zu müssen, die ihn belasteten. Und so nähte er den Schnitt sorgfältig zu, die Sorge um den anderen nicht ganz aus seinem Herzen vertreiben könnend und verließ den anderen recht zügig. Es wäre die reinste Folter gewesen, weiter bei ihm zu bleiben und aus medizinischer Sicht gab es auch keinen Grund dafür. Die Nähe, die er unverhofft zum anderen gehabt hatte, hatte wieder mal jeglichen Entschluss, Dominico zu verteufeln, zu vergessen und zu leugnen, zunichte gemacht. Er konnte es nicht! Er konnte diesen Mann einfach nicht so schnell vergessen.
 

Er packte noch lange, hatte ja auch einiges an Kräutern getrocknet in seinem Zimmer hängen und ließ sich Zeit mit dem Packen. Er könnte ohnehin nicht schlafen, das wusste er. Wie konnte man nur so furchtbar besessen von einem anderen Menschen sein? Warum musste es unbedingt Dominico sein? Und wieso hatte er heute so deutlich gespürt, dass aller Zorn, den er auf den anderen gehabt hatte, sich in Nichts aufgelöst hatte, in dem Moment, indem er Angst hatte, Nico sei etwas passiert? Offenbar spürte man wirklich erst durch einen Verlust, was einem jemand bedeutete. Aber war das nicht dumm?! Und doch war dieser Erkenntnis ohne Zukunft. Er wusste doch, dass es keine Chance gab für sie, zumindest gab Nico ihnen keine.

Er schlief über einem Buch gebeugt ein und richtete sich morgens fluchend auf, als er merkte, dass er im Schlaf gesabbert hatte und die Tinte in eben diesem Buch dadurch auf der Seite gelitten hatte. Es war eine der Abschriften des Königs, die er selbst handschriftlich ergänzte, verbesserte und vervollständigte. Und in diesem waren auch die Briefe, die er in den letzten Tagen erhalten hatte. Irgendwie wollte er sie nicht wegschmeißen, hing an ihnen, weil sie ihm das so schöne Madrid nahe gebracht hatten. Der Schaden war nicht groß und so ließ er das Buch noch liegen. Er würde es zuletzt einpacken. Als er sich im Zimmer umblickte, an welcher Stelle er weitermachen wollte, sah er einen neuen Brief. Stirnrunzelnd hob er ihn auf, dachte er doch, dass er keinen Brief mehr erhalten würde. Kieran öffnete ihn hastig und begann zügig zu lesen, während er sich aufs Bett sinken ließ.

Ja, was war es gewesen – Wut oder Traurigkeit? Wahrscheinlich beides… Er musste matt lächeln bei dem Gedanken, die Trauer hier in Spanien zu lassen. Er würde sie unterwegs loswerden, wenn er über die Pyrenäen ritt und durch Frankreich. Spanien würde er definitiv in positiver Erinnerung behalten, auch wenn es das Land war, in dem er Dominico für sich verloren hatte. Die Kapelle zu besuchen klang verlockend, doch wenn es nach seinem Plan lief, dann würde er sich vorher vom Tross trennen und sich verabschieden. Andererseits wäre es doch ok, wenn er sich auch später trennte. Bevor Nico nicht gut auf dem Schiff war, würde er sich vielleicht Sorgen machen, oder? Kieran stutzte: Der Gedanke war absurd angesichts des Vorhabens, den Tross zu verlassen: würde er sich Sorgen machen

Er merkte, dass der Wille, zu gehen, nachließ.
 

Und dann kam dieser letzte Absatz. Kierans Stirn runzelte sich und er musste ihn zweimal lesen, bevor er meinte zu begreifen, was da stand. Er hatte mit den Worten kein Problem, aber der Inhalt machte ihm zu schaffen. Wie konnte eine wildfremde Person von einer solchen Liebe schreiben, wenn sie sich doch gar nicht kannten? Er empfand dieses Wort ‚Liebe‘ als ungeheuer mächtig. Es zu verwenden, sollte man genau überlegen. Aber wenn man sich nie getroffen hatte? Nein, so etwas schrieb man dann nicht.

Besonders der letzte Satz ließ ihn zögern. Wer meint, er könne solche Liebe kaufen, der ist ein Narr, er hat sie nie gekannt!

Irgendwie erinnerten ihn diese Worte augenblicklich an Dominico, der ihm doch so oft versichert hatte, dass er ihn mit allem, was er für ihn getan hatte, eben nicht kaufen und an sich binden wollte. Und noch ein Punkt passte mit einem Mal nicht ins Schema: Das war ein Bibelzitat, er kannte es aus der Sonntagsschule, in der nur Bibeltexte gelesen wurden. Er hatte so damals lesen und schreiben gelernt und er wusste, dass er diese Worte da schon einmal gehört und gelesen hatte. Sie hatten ihm gefallen. Aber wieso zitierte eine Frau, die vorgibt, arabischer Herkunft zu sein, aus der Bibel?

In Kieran gärte ein Gedanke, den er fast nicht zulassen wollte. Er wollte gerade die anderen Briefe holen, um sie alle noch einmal zu lesen und eventuell neue Hinweise zu finden, doch in diesem Moment trat William ein und sah ihn an. „Du siehst scheiße aus. Was hast du heute Nacht getan?“ Kieran zuckte mit den Schultern. „Mit den Büchern geschmust“, sagte er knapp und steckte auch diesen Brief in das Buch. „Ich bin gekommen, um dir zu helfen. Die stressen alle ganz schön, aber es ist vermutlich besser so.“ Kieran nickte. „Du kannst schon mal die beiden großen Reisekoffer heruntertragen", sagte er, um William zu beschäftigen und vom Reden abzuhalten. Und während er packte und sie schließlich hinunter zum Tross ging, versuchte er Argumente zu finden, die seine Vermutung bestätigten. Doch bald verbat er sich, weiter darüber nachzudenken. Er verrannte sich schon wieder und würde am Ende nur enttäuscht sein, wenn dem nicht so war. Er hatte auch keine Idee, wie er das prüfen könnte. Aber wenn dem so war, würden sich alle Briefe ganz anders lesen. Dann hätte Dominico ihm seine Liebe… Nein, nicht verrennen, bloß nicht verrennen! Es würde zu sehr schmerzen, wenn dem nicht so war. Tag- und Nachtträume wurden nicht Realität!
 

Sie brachen wirklich sehr bald auf und Kieran fand gerade noch Zeit, sich bei den Ärzten zu verabschieden, zu entschuldigen und zu bedanken. Kaum hatten sie Madrid ein gutes Stück hinter sich gelassen, konnte Kieran nicht anders, als Niamh am Wagen anzubinden und in eben diesen zu kriechen. Er suchte die Briefe heraus und las sie alle nochmal und nochmal und nochmal. Es machte schon Sinn, insofern, als dass der Schreiber/die Schreiberin ihn bewusst an Orte geschickt hatte, die er automatisch mit Nico verbinden würde. Aber das konnte auch nur Zufall sein. Kieran schloss genervt über sich selbst die Augen. Er hatte den Gedanken und er verselbstständigte sich. Ein Gedanke ist wie ein Virus, resistent, hochansteckend und die kleinste Saat eines Gedanken kann wachsen. Er kann jemanden aufbauen oder zerstören. Und Kieran wusste nicht, was dieser Gedanke mit ihm machen würde.

Irgendwann schlief er im Wagen ein.
 

Dominico

Nico hatte den Brief noch einmal seinem Boten gegeben, der angesichts der Sachlage gerade nicht begeistert aussah ihn zu überbringen, doch Nico gab ihm dafür noch eine Münze mehr. Vielleicht lehnte er sich mit diesem Brief jetzt zu weit aus dem Fenster, vielleicht war zu offensichtlich, was darin stand, aber dann würde er es am nächsten Morgen merken und bis dahin konnte er schlafen.

Besonders ruhig war die Nacht nicht. Amadeo hielt Wache während Nico döste, aber keinen wirklich tiefen Schlaf fand. Alles war viel zu aufwühlend, zu nervenaufreibend gewesen. Nico fürchtete um seine Gruppe und absurderweise auch um Kieran, auch wenn es absolut unwahrscheinlich war, dass dieser ins Fadenkreuz eines Attentäters kam.

Als die Sonne am nächsten Morgen über den Horizont kroch, stand Nico bereits angezogen im Stall. Die Wägen wurden bereits angespannt und die ersten Reisenden saßen auf ihren Plätzen. Kieran verabschiedete sich gerade noch von einigen der Ärzte wie William Nico berichtete, doch als die Glocken die achte Stunde schlugen verließ ihr Tross Madrid. Die Stadt schien noch nicht ganz erwacht zu sein, es war still und friedlich. Für Nico hatte diese Stille allerdings nichts friedliches, eher etwas bedrohliches. Sein Pferd tänzelte wegen Nicos Anspannung und wurde erst ruhiger, als sich auch sein Reiter entspannte, nachdem sie die Stadtore unbehelligt verlassen hatten. So langsam fing Nico an, tatsächlich an einen Einzeltäter zu glauben. Vielleicht ein Emporkömmling mit Kontakten der versucht hatte, sich durch einen so fingierten Triumph bei Francis einzuschmeicheln? Nico wusste es nicht, wusste nur, dass er mit dem Leben davongekommen war, weil er in seinem festen Plan, die Dame der Wahl zu vögeln, unterbrochen worden war und das ausgerechnet von dem Mann, den er versucht hatte mit genau dieser Tat zu vergessen. Nico brütete eine ganze Weile über dieser Tatsache und darüber, dass er dabei war, Kieran zu verlieren. Der Arzt hatte nichts zu ihm gesagt, doch er glaubte es zu spüren. Er hatte ihn verloren als er nicht aus diesem verdammten Zuber hatte steigen können, um Kieran in den Arm zu nehmen und zu halten, als sie es beide gebraucht hätten, aber er wollte nicht einsehen, dass es inzwischen vielleicht zu spät dafür war. Und doch konnte er jetzt sein Pferd nicht wenden, um mit Kieran zu reden, auch wenn es ihn danach verlangte. Seine Aufmerksamkeit galt der Straße und der Dinge, die da kamen. Jeder Wagen, jede Gruppe wurde von Nico gesondert in Augenschein genommen, doch niemand bedrohte sie und sie gelangten auch in keinen Hinterhalt. Dennoch bestand Nico darauf, einen geeigneten Lagerplatz für die Nacht auszusuchen. Sie fanden einen verlassenen maurischen Wachturm, der sich ganz gut dazu eignete, sich zu verteidigen. Da schon Steinräuber zu Gange gewesen waren, war der Turm nicht mehr in seiner vollständigen Höhe erhalten, doch das machte keinen Unterschied. Stein eignete sich nun mal hervorragend gegen Pfeil Bogen und Beschuss. Nico ließ die Wägen in einem Kreis um den Wachturm stellen und so lagerten sie größtenteils in Schweigen. Nach Spielen war niemandem zu Mute und auch Nico ging sehr schnell zu Bett. Sie hatten sich heute nicht damit aufgehalten, Zelte aufzubauen, jeder schlief in seiner Kutsche oder im Wagen. Nico und Amadeo hatten sich in ihrem Wagen einen Schlafplatz eingerichtet und Amadeo würde noch eine Weile Wache halten, vielleicht sogar auf dem Kutschbock schlafen. Nico lag in relativer Dunkelheit und sah hinauf zum spanischen Sternenhimmel, der an der hinteren Öffnung des Wagens zu sehen war.

Kieran fehlte ihm. Er fehlte ihm in seinen Armen, fehlte ihm, um ihn festzuhalten und ihm etwas zu geben, wofür er floh. Zurück nach England, um sich wieder in den Tanz einzureihen? Wenn Nico in Situationen wie dieser war, wäre er lieber tot, als erneut in diesen Reigen einzusteigen. Doch für Kieran? Für Kieran würde es sich lohnen all das durchzustehen, oder besser: Es lohnte sich bereits, denn er musste ihn in Sicherheit bringen. Dass er das Wohl eines einzelnen Mannes über das der anderen stellte, gefiel ihm eigentlich gar nicht, doch anscheinend schien sein Kopf langsam zu begreifen, was sein Herz schon eine ganze Weile lang wusste. Schon seit er zu dem Dolch gegriffen hatte, der Gregors Kehle zerfetzt hatte.

Er hatte einen letzten Brief geschrieben, der noch immer in der Innentasche seiner Jacke steckte. Ein letzter Brief für Kieran, in dem er wohl deutlich machte, von wem auch all die anderen gewesen waren, allerdings mehr unabsichtlich als absichtlich. Nico waren beinahe die Augen zugefallen und die Handschrift die anfänglich so schön geschwungen gewesen war, war nach und nach abgehackter und nicht mehr ganz so perfekt ausgefallen.. doch es würde reichen. Er wollte ja im Grunde, dass Kieran es erfuhr, wer der Schreiber war. ER wollte ihn in der Kapelle treffen und kein erfundenes maurisches Mädchen. Doch würde Kieran kommen? Vielleicht hatte er jetzt schon genug Neugierde um die Kappelle aufzusuchen? Nico fuhr sich über die Brust an der Stelle an der der Brief lag. Ich will dir das nicht aufbürden. Das hier.. hatte er zu ihm gesagt und Du verdienst besseres als das.
 

Ja, Kieran verdiente mehr als eine 'Mätresse' zu sein. War es wirklich das, was Nico umtrieb? Je länger er in dem heißen Wagen darüber nachdachte, der auch in der Nacht kaum abkühlen wollte, wurde ihm klar, dass es nicht ganz so war. Ja, er wollte Kieran das nicht aufbürden, eine Affäre. Doch es war keine Affäre, die Nico wollte.

Und alles andere konnte er zwar wollen, würde es aber kaum bekommen können. wenn er Kieran seine Gefühle offenbahrte, dann lief er Gefahr, verspottet zu werden. Auch wenn er Kieran richtig einschätzte und der sicher nicht der Mensch war, der andere verspottete für ihre wahren Gefühle, so bestand noch immer die Gefahr, dass es eben nur das war, das Kieran wollte: Hin und wieder Sex mit einem Mann, der ihm die Lust schenken konnte, die er wollte.

Eigentlich wusste er, dass er sich allein für diesen "Vorwurf" schon selbst hängen konnte, denn Kieran war sicher niemand der es 'geil' fand, Sex mit einem hochrangigen Mann zu haben. Wenn dann war es wirklich er selbst, den er bevorzugte, aber Nicos höfisches Denken zwang ihn seine Gedanken auch in diese Richtung zu lenken, bevor er eine Entscheidung fällte, die sein Herz schon lange getroffen hatte. Mitten in der Nacht stieg er selbst aus dem Wagen und huschte im Schutz der Dunkelheit in die Herde angebundener Pferde. Es waren sehr viele, da sie auch die gekauften Tiere mitführten, doch Niamh war leicht zu finden, da sie bei den Wallachen und Kutschpferden stand als einzige Stute. Er strich ihr über die Nüstern und befestigte den letzten Brief, in dem er ihn in ihre Mähne flocht. Sie beäugte ihn kritisch, ließ das Schriftstück aber, wo es war und kein anderes Pferd konnte nah genug kommen, um den Brief abzunagen.

Diesesmal enthielt der Brief keine Anrede, war auf englisch geschrieben und die Handschrift war zwar zu Anfang so wie in all den anderen Briefen, doch gegen Ende war sie deutlich gekippt.
 

You are my lover

You are my friend

You are my life to the very end.

You bring me comfort

You keep me warm

You give me hope,

You make me strong.

You take me away to a distant shore

And it's with you that I want to stay forevermore.

Die Spanienreise - Mauergespräch

Kieran

Kieran hatte im Laufe des Tages beschlossen, in Santander zu entscheiden, ob er sich von der Gruppe trennen würde der nicht. Vielleicht - so hoffte er - würde er bis dahin die Gelegenheit bekommen, herauszufinden, ob Dominico nicht doch der Schreiber dieser Briefe war. Und wahrscheinlich würde er es in jener Kapelle erfahren. Also stand ein Besuch dieser Kapelle bei Nacht auf seinem Plan. Und anschließend würde er sich noch immer einfach auf den Weg machen können, sich die Zeit nehmen können, den benötigten Abstand zu Dominico zu gewinnen, um sich nicht weiter selbst zu zerstören. Jene Kapelle würde die Entscheidung bringen, das war ihm klar.

Abends lag er mit William im Zelt, der ihm erzählte, was er in England als erstes alles machen wird, und Kieran warf hier und da eine provokante These in den Raum, so dass dieser weiter und weiter redete. Kieran brauchte die Zeit, um nachzudenken. Darüber, wie alles gekommen war, wo er Fehler gemacht hatte und welche Motivation Dominico hatte, ihn so zu behandeln, wie er es auf der Reise getan hatte. Er ging den Streit durch, den er immer noch nicht verdaut hatte. Und er holte sich all diese Briefe ins Gedächtnis. Irgendwann war er eingeschlafen und erwachte davon, dass das Lager in den frühen Morgenstunden zu Leben erwachte. Er stand schnell auf und nutzte die Gelegenheit, sich ein wenig abzuduschen, zog sich dann an und ging in die Herde, um Niamh noch einmal den Schweiß abzustriegeln, wie er es auch am vergangenen Abend schon getan hatte. Und so fiel ihm auch gleich der Brief in der Mähne auf. Wie um alles in der Welt…? Allein dieser Ort ließ ihn wissen, dass der Schreiber jemand von ihrem Tross sein musste. Er entfaltete den Brief und las ihn, einmal, zweimal, dreimal…. Er schluckte und er spürte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Schnell wischte er diese aus seinen Augenwinkeln und suchte sich zu sammeln. Konnte es wirklich so sein, wie er es sich erträumte? Oder war er nur ein Narr? Die Schrift: die gewohnte, dann kippte sie; das Papier: das der vorherigen Briefe auch; die Sprache: Englisch - und die Worte? sie erfüllten ihn mit einer Wärme, einem Verlangen, einer Sehnsucht, die er niemals würde beschreiben können. Kieran war überwältigt und unfähig sich zu bewegen und er las die Zeilen nochmal und nochmal und nochmal und fasste es nicht. Wäre William nicht irgendwann gekommen, würde er wohl immer noch dort stehen.

„Alles ok?“, fragte er und Kieran nickte lächelnd, während er den Brief wegsteckte. „Jetzt schon“, sagte er und drängte William zum Aufbruch, um endlich nach Santander zu kommen. Er wollte zu dieser Kapelle, auch wenn er dort oben unter Umständen die größte Enttäuschung seines Lebens erfahren könnte. Aber das war ihm egal. Das, was er vielleicht auch bekäme, war mehr wert, als dass er es nicht austesten wollte.

Der Tag zog sich endlos. Es war wie Weihnachten: man wartete und wartete und die Zeit verging einfach nicht. Kieran trug den Brief bei sich und erwischte sich hin und wieder dabei, über die Westentasche zu streicheln, ob jener noch dort war.
 

Als sie in Santander ankamen, war es Nachmittag. Boten der Schiffsbesatzung kamen ihnen entgegen und teilten offenbar mit, dass die Wetteraussichten im Moment noch keine Auskunft darüber möglich machten, ob sie bereits morgen in See stechen würden. Daher war die Bitte, dass der Tross wegen der Pferde außerhalb noch einmal lagern sollte und man dann im Laufe des nächsten Tages entscheiden würde, wie es weiter ginge. Die Herren, die den Tross begleiteten, seien aber natürlich herzlich dazu eingeladen, auf dem Schiff zu nächtigen, da es ja wesentlich komfortabler sei. Kieran entschied sich dafür, beim Tross zu bleiben und so saß er noch bis zum späten Nachmittag mit William und ein paar anderen Wachen am Lagerfeuer und sie unterhielten sich. Er war nervös, wusste nicht genau, wann der richtige Zeitpunkt gekommen wäre. Schließlich stand er auf, als die Sonne immter tiefer rutschte. Er würde wohl 20 Minuten brauchen und er wollte nicht den Sonnenuntergang verpassen. „Ich werde wohl auf dem Schiff nächtigen, falls Lord Sforza oder die anderen Herrschaften mich noch brauchen“, sagte er zu William. Sie verabschiedeten sich und er sattelte Niamh. Kurz darauf befand er sich auf dem Weg zur Kapelle. Er war furchtbar nervös und sein Herz schlug dumpf gegen seine Brust, während er durch die Einsamkeit und die Stille ritt. Er hatte sich bereits erkundigt, wo er hinmusste und fand den Weg gut. Als er oben ankam, band er Niamh an einen Baum und betrat die kleine Kapelle. Kieran war alles, nur nicht religiös erzogen worden. Aber es gab Orte, an denen man durchaus das Gefühl haben konnte, dass es mehr gab, als nur das Sichtbare, dass es vielleicht wirklich da oben einen Mann gab, der auf sie blickte und sich dafür interessierte, was sie taten. Allerdings hatte Kieran zu viele Scheußlichkeiten gesehen, als dass er glaubte, dass dieser Mann allmächtig war. Diese Kapelle war einer dieser Orte voll Ehrfurcht und er betrachtete die Ikonen und Marienstatuen, die darin aufgestellt waren. Erst heute musste jemand die Blumen am kleinen Altar erneuert haben. Kieran trat durch die kleine Kapelle hindurch, in deren hinterem Bereich noch eine Tür war. Er schritt durch sie durch und gelangte so auf einen kleinen Vorsprung über der Steilküste. Das Meer, das man ohnehin ständig rauschen hörte, war nun noch eindringlicher und gab Kieran ein Gefühl von absoluter Ruhe, die er eigentlich so gar nicht hatte. Aber in diesem Moment fühlte er sich vollkommend entspannt – komme was wolle.

Die Sonne ging gerade unter und man konnte in der Ferne einen blutroten Horizont sehen. Kieran setzte sich auf die Steinmauer, die Besucher davor bewahren sollte, hinabzustürzen, und wartete, sich von der Romantik dieses Ortes einnehmen lassend. War es seltsam, dass er bereits an den Schritten hinter sich wusste, wer da kam? Und war es seltsam, dass sein Herz so heftig schlug, dass er gleichzeitig lachen und weinen wollte? Nein, war es nicht. Denn er liebte Dominico – so einfach war das. Und jetzt wusste er auch, dass dieses Gefühl nicht einseitig war. Kieran drehte sich um und sah zu Dominico auf, leicht geblendet von der Sonne, die ihm aus dieser Richtung entgegen schien. „Setz dich zu mir“, sagte er. „Das ist wirklich der schönste Ort von allen, die du mir hier in Spanien gezeigt hast. Und ich bin froh, dass du ihn diesmal wirklich mit mir teilst.“
 

Dominico

Nicht nur Kieran kam der Weg nach Santander endlos vor. Nico trieb sein Pferd zwar zur Eile, doch er wollte und konnte den Tross nicht all zu weit auseinander ziehen. Als sie nach ihrer Mittagsrast endlich die kleine Stadt und das Meer am Horizont ausmachen konnten, wurde er endlich ruhiger. Die Mannschaft ihres Schiffes desillusionierte bereits die ersten Leute ihrer Gesellschaft damit, dass sie heute noch nicht würden auslaufen können, doch man verbrachte bereits den Großteil des Gepäcks in den großen Bauch des Schiffes. Nico überwachte vor allem die Unterbringung der Pferde. Er überlegte schon die ganze Zeit, ob er den schönen weißen Araberhengst mitnehmen sollte, wenn er sich auf den Weg zur Kapelle machte, doch weil er nicht wusste, ob Kieran ihn dort erwartete, und weil er nicht wusste, was ihn dort erwartete, ließ er es bleiben. Sie hatten sich an diesem Tag kaum gesehen und Nico war sich nicht einmal sicher, ob Kieran noch da war. Kaum in Santander angekommen wurde er vom Stadthalter - wenn man es so nennen konnte - belagert wegen der Kosten und all dieser Dinge... Nico hätte den Mann am liebsten erschlagen, doch er ging mit ihm, unterschrieb Rechnungen, beglich Schulden - all das was er eben zu tun hatte.

Als er wieder vor das Haus trat, ging die Sonne bereits unter und ihr provisorisches Lager war bereits in reger Betriebsamkeit des Abendessens zusammengerückt. Nico suchte nach Kieran, konnte ihn aber nicht entdecken. Während er noch scheinbar den Aufbau prüfend um das Lager schlich, kam ihm Amadeo mit seinem gesattelten Pferd entgegen. "Er ist zur Kapelle geritten." Sagte er nur leise und drückte Nico die Zügel in die Hand. "Er hat sich vorhin nach dem Weg erkundigt." Nico sah auf Amadeo, der vor ihm stand und ihm einfach so die Zügel hinhielt. Was wäre er nur ohne diesen Mann? Er nahm die Zügel entgegen und legte Amadeo eine Hand auf die Schulter. "Mein Leben allein reicht nicht, um die Schuld zu begleichen, in der ich bei dir stehe..." Doch Amadeo winkte ab. "Du weißt, dass ich dein Leben hätte führen können und ich wollte es nicht. Das, was ich bin, ist das, was ich sein will. Zumindest solange du jetzt auf dieses Pferd steigst und den Jungen davon abhältst, irgendeine Dummheit zu begehen. Denn er ist ein guter Arzt... und ein guter Freund."

Nico nickte fest und schwang sich dann auf seinen Hengst, galoppierte die Straße hinunter und bog ab, um die Erhebung hinauf zu reiten, auf der die Kirche lag. Kieran war also schon dort... hoffentlich kam er nicht zu spät. Als er den gewundenen und nur von Menschen ausgetretenen Pfad hinaufritt, sah er von weitem schon Niamh an einen Baum gebunden dort stehen. Er stieg vom Pferd und band seinen Hengst in sicherer Entfernung zu der Stute an, ehe er mit dem Finger vor seine Nase herumwedelte. "Mein Freund, wenn ich wiederkomme und du hängst auf ihr, dann gnade dir Gott..." Er wollte durch nichts gestört werden. Doch nach den dunklen Ställen in Madrid und dem kargen Ödland, durch das sie Geritten waren, lockte das saftige Grün hier oben den Hengst viel mehr. Nico ließ ihn stehen, lockerte den Sattelgurt und zog dann langsam die Handschuhe aus, ehe er dem Pfad weiter in die Kirche folgte. Sie war wunderschön und Nico war jedesmal hier gewesen, wenn er in Santander gewesen war. Dieser Ort barg Ruhe und Frieden, die ihm manchmal so sehr fehlten.

Sanft strich er über die steinernen Bänke, die noch in der Kirche standen. Das meiste aus Holz war entfernt worden, doch die Leute aus dem Dorf kamen immer wieder hier hinauf. Die Ikone einer um ihren Sohn weinenden Maria stand hinter dem Altar und es lagen frisch geschnittene Blumen vor ihr. Nico, selbst katholisch erzogen, kniete kurz und bekreuzigte sich. Erbat er sich Glück für das, was er tat? Wenn er ehrlich war, musste er gestehen, dass er diesen Ort bewusst gewählt hatte. Wenn sie hier eine Lösung für sich finden würden, wenn sie beide... das gleiche fühlten, dann konnte Gott, wenn er es denn nicht sehen wollte, sie mit einem Blitz erschlagen oder die Klippen hinunterstoßen. Oder aber er billigte es - Nico wusste, dass es Unsinn war, so über einen Gott zu denken, doch irgendwie kam ihm der Gedanke und ließ ihn nicht mehr los. Er trat durch die Tür, hinter der sich ehemals noch ein Turm befunden hatte, doch heute waren nur noch die Grundmauern dort, die eine Art Ballustrade über der Klippe bildeten. Sie war offen gewesen und schon als Nico in den Türrahmen getreten war, hatte er die andere Gestalt vor dem Panorama des Meeres und des Sonnenuntergangs gesehen. Er trat über die Schwelle, bemüht kein Geräusch zu machen, doch Kieran hörte seine Schritte trotz der Brandung, die gegen die Klippen rauschte. Und er wusste es. Nico sah keine Überraschung in Kierans Blick, als der sich zu ihm umdrehte und ihn ansah, ehe er auf den Platz neben sich deutete. Nico überwand die Distanz zwischen ihnen und setzte sich so auf die Mauer, dass er genau 180° gedreht zu Kieran saß und ihn daher ansehen konnte. Seine Finger kribbelten und sein Herz schlug bis zum Hals. Er hatte das Gefühl nicht ein einziges Wort herauszubringen und es war so viel, das er eigentlich sagen wollte. Er atmete tief die frische Brise ein, die sein Haar aus seinem Gesicht wehte und er versuchte sich an einem Lächeln. "Ich war auch... an allen anderen Orten, die ich dir gezeigt habe. Nur hast du mich nie gesehen", erwiderte er leise. "Ich denke, dass ist ein Lob an meine Verkleidung..." Was redete er hier eigentlich? Unsinnig! Das war es, was er von sich gab! Nico hob die Hand und fuhr sich durchs Haar. "Du hast die Briefe also wirklich alle gelesen...", stellte er treffend fest und hätte sich am liebsten direkt die Mauer hinab gestürzt für so viel Offensichtlichkeit. Also nochmal.

"Was damals passiert ist in meinem Haus... Ich wollte dich nicht gehen lassen. Hätte mein Bruder mich nicht aus dem eiskalten Wasser im Zuber gezogen ich... ich säße nichteinmal hier. Ich wollte dich nur beschützen." Wieder versagte seine Stimme und eine Weile blieb es still zwischen ihnen. "Ich musste dich von mir fernhalten, weil sonst... ich könnte es nicht ertragen wenn du..." Er fand einfach keinen Abschluss. Was in Worten, die er geschrieben hatte, so leicht gewesen war, fand jetzt in seinem Kopf nicht zusammen, ergab keinen Sinn und erschien ihm selbst viel zu schwammig. Seine Gedanken drehten sich im Kreis, sein Puls raste so, dass ihm schwindelig wurde. Sag was verdammt, Dominico, sonst steht er auf und geht! Vielleicht war es Kierans Blick, hoffnungsvoll darauf etwas zu hören, das ihm Halt gab - oder seine eigene Angst, ihn für immer zu verlieren, die den Damm brach:

"Ich kann nicht mehr. Ich kann mich nicht mehr von dir fernhalten. Ich dachte ich kann es für uns beide, ich dachte ich schaffe es, dich so oft von mir zu stoßen dass du irgendwann gehst, aber ich kann nicht mehr. Ich ertrage keinen Tag länger, an dem ich dich in meinen Armen halten will, und an dem ich glaube, dass es auch das ist, was du willst, und ich es uns beiden verbiete. Ich kann nicht mehr! Und ich habe wirklich alles versucht, ich habe versucht es mir mit der Schuld zu erklären, die ich auf meine Seele geladen habe, dass ich nicht noch mehr davon tragen kann, dass es dich umbringen wird und dass du sterben wirst, wenn auch nur irgendjemand etwas ahnt. Aber mein Herz sagt mir, dass ich jede Folter ertragen kann, wenn du mich nur wieder so ansiehst, wie du mich in Cambridge angesehen hast oder auf dem Dach. Es tut mir alles so leid..."
 

Kieran

Kieran sah den anderen verwundert an. Dominico war dort gewesen? An all den Orten, zu denen er ihn geschickt hatte? Er hatte ihn beobachtet? Warum war er nicht… Doch diese Frage konnte er sich selbst beantworten. Selbst wenn sie nicht zerstritten gewesen wären, wäre es Dominico nicht möglich gewesen, mit ihm in der Öffentlichkeit sich so zu zeigen, wie Kieran es sich in seinen Tagträumen erträumt hatte. Das war nun mal so, und es würde wohl auch immer so bleiben. Als der andere feststellte, dass er wohl alle Briefe gelesen habe, musste er lächeln. Dominico schien nervös zu sein und nicht genau zu wissen, was er sagen wollte. Aber ihm ging es ja letztlich genauso. „Ich habe mir vorgestellt, wie es sein könnte, wenn du mit mir dort bist. Im Nachhinein hätte ich gleich wissen müssen, wer die Briefe geschrieben hat. An jedem Ort konnte ich nur an dich denken.“ Er lächelte den Kopf schüttelnd und sah auf seine Hände. „Und ich habe sie nicht nur einmal gelesen…“ Er sah wieder auf und den anderen an, ruhig und abwartend. Jener musste etwas sagen, und jener wollte etwas sagen, er fand nur nicht die richtigen Worte. Also gab er ihm die Zeit sie zu finden.

Die Erinnerung an den Tag, an dem sie Gregor getötet hatten, war wohl ein guter Anfang, ihre Probleme, die sie hatten, sich verständlich zu machen. Ja, er glaubte ihm sogar, dass er ihn nicht hatte gehen lassen wollen, dass er selbst unter der Situation gelitten hatte. Dass jener sogar offenbar so stark gelitten hatte, dass er ‚zusammengebrochen‘ war, erschütterte Kieran ein wenig. Er hätte hartnäckiger sein müssen, hätte Dominico nicht zurücklassen dürfen... Auch er machte sich Vorwürfe, schon seit er vom Hof geritten war. Er war zu sehr mit dem Chaos in sich beschäftigt gewesen, so dass er nicht den Sturm in Dominicos Augen Beachtung geschenkt hatte, wohl auch einfach nicht schenken konnte. Dominico brach wieder ab und Kieran schwieg mit ihm. Er wollte ihn nicht unterbrechen, spürte, dass Dominico noch nicht fertig war. Die letzten Worte hingen ohnehin noch schwer in der Luft. Er hatte ihn beschützen wollen? Ja, das hatte er wohl. Aber Dominico konnte ihn nun mal nicht vor seinen eigenen Gefühlen beschützen. Es ging nicht, so sehr sich das jener auch wünschte. Aber diese Erkenntnis hatte Kieran erst gewinnen müssen. Sie hatten beide erst für sich begreifen müssen, was zwischen ihnen bestand und dass es keinen anderen Weg gab, als damit umzugehen.

Seine Augen ruhten auf dem anderen, als dieser wieder ansetzte und sich unterbrach. Er würde Dominico gerne diese Bürde abnehmen, aber es würde ihnen nur helfen, wenn jener aussprach, was er dachte. Sie sollten aufhören, nicht miteinander zu kommunizieren, sie mussten anfangen, ihre Gedanken dem anderen mitzuteilen, damit man gemeinsam sehen konnte, was daraus zu machen war.

Und dann schien es aus Dominico einfach herauszubrechen und was er sagte, ließ dieses Kribbeln in seinem Inneresten wieder aufblühen, das er schon den ganzen Tag spürte bei dem Gedanken an den Brief, den er am Morgen in Niamhs Mähne gefunden hatte. Als der andere geendet hatte, schwieg er einen Moment und beugte sich dann zu Dominico, um ihn sanft zu küssen. Und er musste sich zusammenreißen, dem anderen nicht direkt auf den Schoß zu klettern. Es mussten noch Dinge geklärt werden, bevor sie nachholen konnten, was sie die letzten Monate versäumt hatten.

„Wir sollten aufhören, alleine für den jeweils anderen Entscheidungen zu treffen, ohne miteinander zu reden“, sagte er leise. „Es ehrt dich, dass du mich nur beschützen wolltest, aber ich bin durchaus in der Lage, für mich auch Entscheidungen zu treffen. Ich bin schon groß – nun gut, nicht unbedingt körperlich... du weißt schon was ich meine.“ Er grinste leicht.

Dann schwieg er kurz und blickte aufs Meer. “Ich konnte auch fast nicht mehr“, sagte er dann. „Du hättest es wirklich fast geschafft, mich zu vertreiben“, begann er dann zögernd. „Ich hatte den Plan, mich noch vor Santander zu verabschieden, alleine nach England zu reiten, meine Sachen zu packen, und wegzugehen. Ich wollte vergessen können, was nicht zu vergessen geht, und ein neues Leben beginnen, als fahrender Arzt oder etwas in der Art. Ich wäre jetzt nicht hier, wenn du es nicht doch noch geschafft hättest, mir doch noch ein Zeichen zu geben. Der Brief gestern, der Berief heute…“ Er lächelte und biss sich auf die Unterlippe, sah den anderen kurz an. „Ich habe nie aufgehört, darauf zu hoffen, dass du dich doch noch für uns entscheidest. Selbst als du mich verbal verprügelt hast in dem Zelt damals.“ Er seufzte. „Ich habe mir versucht einzureden, dass ich dich hasse, dass du das Letzte bist, dass du mich nur belogen und benutzt hättest. Aber es half nichts. Mein Herz hat es nicht akzeptiert und nicht aufgehört zu wissen, dass uns mehr verbindet.“ Es war gar nicht so einfach, über solche Dinge zu sprechen. Da war es wesentlich einfacher gewesen, zu streiten. Er lächelte bei dem Gedanken. „Hör zu, Dominico!“, sagte Kieran ernst und sah Dominico direkt an. „Ich liebe dich!“ Es klang seltsam, sich das sagen zu hören, aber es war nun einmal so, auch wenn er es kaum gewagt hatte, sich das einzugestehen. „Ich liebe dich aus vollstem Herzen und ich kann mir ein Leben ohne dich nicht vorstellen, auch wenn es mit vielen Konsequenzen verbunden ist. Das ist mir egal. Ich möchte nicht ohne dich sein, komme was wolle. Ich will dich, mit Haut und Haar und allem was dazu gehört. Und wenn du mich möchtest, so wie ich dich möchte, dann lass uns lieber beginnen, einen Weg zu suchen, wie das möglich ist, als uns weiter das Leben zur Hölle zu machen. Ok?“ Seine Augen glitten zu den Lippen des anderen, doch er zwang sich dem anderen wieder in die Augen zu sehen. Sie würden diesen Pakt noch besiegeln können, aber erst einmal sollte Dominico noch einmal zu Wort kommen. Gott, wie er sich nach dem anderen gesehnt hatte!
 

Dominico

Es tat gut, sich die Dinge von der Seele zu reden, die ihn belasteten und die er einfach sagen musste. Und es tat gut zu sehen, dass Kieran nicht davonlief, sondern bereit war zuzuhören und es tat ihnen beiden gut, einander zuhören zu können. Und dann, endlich und gefühlt nach Jahrhunderten beugte sich Kieran zu ihm und gab ihm einen zärtlichen, weichen, sanften Kuss. In Nicos Körper begann es zu prickeln, ein heißer Schauer fuhr von seinem Scheitel bis zur Sohle und Kieran löste sich keine Sekunde zu früh, bevor Nicos Hände dafür gesorgt hätten, dass kein Blatt mehr zwischen sie beide passte.

Doch während Kieran ihm Raum gegeben hatte, musste Nico nun seinerseits auch Kieran Raum geben. Auf dessen Erklärung hin musste er unweigerlich grinsen. "Du meinst, du bist groß genug, um bei einem einschlägig bekannten Künstler nackt zu posieren, so dass ich dich am morgen darauf im Kerker besuchen darf, ja?" Er schmunzelte, wurde dann jedoch wieder ernst, als Kieran von seinen Plänen berichtete. Auch sein Blick glitt aufs Meer hinaus, weil er es kaum ertragen konnte, diesen Gedanken nachzugehen. Er wäre fort gewesen und Nico hätte nicht den Hauch einer Chance gehabt, ihn wieder zu finden. "Ich weiß gerade nicht recht, ob ich mich jetzt darüber freuen soll, dass ich dir sagen musste, wer die Briefe geschrieben hat, eben durch diese Hinweise... oder ob ich mich verteufeln soll, weil ich nicht noch ein wenig gewartet habe... aber mein Herz sagt mir, dass es richtig war es dir... so gesagt zu haben. Und auch wenn ich kaum einschätzen kann, was all das bedeutet..." Er machte eine kurze Kunstpause, doch Kieran sprach weiter und Nicos Herz rutschte gefühlt eine Etage tiefer, als Kieran drei Worte sagte, die Nico nur ein einziges Mal in seinem Leben von einem anderen Menschen gehört hatte, als sie auch so gemeint gewesen waren. Er versank in Kierans braunen Augen, hatte wohl selbst einen ziemlich dümmlichen Gesichtsausdruck - doch sein Herz hämmerte wie wild in seiner Brust.

War das Liebe? Ja, das war Liebe. Er wusste es schon seit Tagen, wenn nicht sogar seit Wochen. Sein Herz wusste es schon lange, doch eingestehen können hatte er es sich nicht. Langsam hob er die Hand an Kierans Wange und strich darüber. "Du bist ein Narr, mich zu lieben, und ich bin ein viel größerer Narr, diese Liebe zu erwidern als gäbe es kein Morgen. Ich liebe dich mit jeder Faser meines Körpers und war so lange viel zu blind, um es zu sehen..." Nico sprach leise, wollte mit seinen Worten die Stimmung, die zwischen ihnen herrschte, nicht zerstören. Ein wehmütiges Lächeln zeichnete seine Züge alsbald darauf, kaum dass Kieran ihr Hauptproblem ansprach. Das "Wie" war nämlich nach wie vor alles andere als leicht.

"Ich glaube, der sicherste Weg wäre der, heute Nacht unsere Zelte anzuzünden und zu verschwinden..." Ein trockenes Lachen folgte. "Aber ich kann mich meinen Verpflichtungen noch nicht entziehen, auch wenn ich vermutlich mit dir davonlaufen würde, wenn du mich darum bätest." So verfallen wie er Kieran in manchen Augenblicken war, würde er sogar Henry lynchen. Naja, das war vielleicht übertrieben, aber es gab Momente, in denen es sich nunmal so anfühlte.

Langsam ließ Nico die Hand sinken und griff Kierans Hände.

"Wir werden einen Weg finden, ich werde einen Weg finden. Vielleicht reicht es, dich ja einfach wieder in den Kerker zu stecken." Er grinste erneut, denn in ihm strahlte geradezu nur alles vor Glückseligkeit, was ihn erneut zum Scherzen brachte. Es war eines der Dinge, die er so mit Kieran vermisst hatte. "Naja, oder aber du findest öfter den Weg in mein Haus... vielleicht..." Nun, Kieran würde Mr. Forbes sicher nicht einfach so im Stich lassen. "...aber ich glaube, da wirst du nicht zustimmen..." Er musterte ihn, ehe er beinahe verlegen wieder wegsah. "Unser Hausarzt, also der von Alessio und mir und unserer ganzen Belegschaft, er ist alt geworden. Mein Bruder ist zeitgleich mit mir für eine Weile nach Italien gereist und er hat ihn begleitet. Er wird nicht wieder mit zurück nach England kommen und wir haben noch keinen Nachfolger für ihn. Er hat nicht nur mich und meinen Bruder behandelt, sondern auch Rodrego Fernale, einen Freund. Und natürlich alle unsere Angestellten im Haus und auch viele aus der Umgebung. Er hatte beinahe so etwas wie eine kleine Parxis bei uns eingerichtet.. aber so wie ich dich kenne, wirst du Mr. Forbes kaum allein lassen wollen, oder?" Nico wünschte sich kaum etwas sehnlicher, als Kieran immer bei sich zu wissen, und wenn er bei ihm wohnte, dann war zumindest sicher gestellt, dass sie sich oft sahen und beieinander sein konnten, doch Nico befürchtete, dass Kieran das nicht wollte und das schmerzte, so sehr er es auch verstehen konnte. Eine Brise vom Meer wogte über die Kapelle hinweg und kühlte den heißen Tag langsam ab, doch sie trug vor allem Kierans Duft in Nicos Nase... wie zur Hölle schaffte er es, hier gerade nur zu sitzen und Händchen zu halten?
 

Kieran

„Ja, so in etwa meine ich das“, grinste Kieran und merkte, wie jegliche Anspannung in ihm und zwischen ihnen immer mehr wich. Endlich, endlich konnten sie wieder ungezwungen miteinander umgehen. Das war das, was er so vermisst hatte, unter anderem…

Dass Nico noch immer unsicher war, ob es nicht doch für beide besser wäre, getrennte Wege zu gehen, sah er ihm nach. Für ihn stand mehr auf dem Spiel, als für Kieran. Er hoffte nur, dass der andere, sollte er sich wirklich für ihn entschieden haben, dann nicht mehr unsicher war. Kieran machte keine halben Sachen, so war er nicht. Entweder ganz oder gar nicht. Und das würde er auch von Dominico verlangen. Entweder nahm er ihn ganz oder gar nicht, auch wenn das Ganze durch die äußeren Umstände sicher beeinträchtigt wäre.

Aber genau das, nämlich dass Dominico ihn genauso liebte, wie er ihn, bestätigte ihm dieser auch, als Reaktion auf Kierans Ehrlichkeit. Und es freute ihn, es noch einmal wirklich aus dem Mund des anderen zu hören, was jener ihm letztlich indirekt durch die Briefe schon gesagt hatte. Und zu hören, dass man geliebt wurde, fühlte sich unfassbar an, es aus Dominicos Mund zu hören, hörte sich unfassbar an. Das Gefühl, puren Glücks, das in seinem Körper explodierte, würde er für immer in sich bewahren, definitiv. Seine Wange schmiegte sich an die Warme Hand des anderen und er genoss den Moment.

Der Vorschlag des anderen, die Zelte niederzubrennen und im wahrsten Sinne des Wortes „durchzubrennen“ ließ ihn kurz lachen. „Nein“, sagte er, als der andere endete. „Ich bin kein Typ fürs Davonlaufen.“ Er grinste. „Wir können das schon alles mit unseren Leben vereinbaren, da bin ich mir sicher.“ Als der andere seine Hände ergriff, fühlte es sich schön an. Sacht strich sein Daumen über die Handflächen des anderen. "Ja, wir werden eine Lösung finden", stimmte er zu. Erneut musste er lachen, als der andere vorschlug, ihn in den Kerker zu stecken. „Ich weiß nicht, ob du dir das wirklich antun möchtest.“ Er lächelte und dann wurden sie wieder ernst, besonders Kieran, dem gerade indirekt vorgeschlagen wurde, bei Dominico einzuziehen. Dominico war auch kein Mann der halben Sachen… Er hörte sich das Angebot an und es fühlte sich gut an, es fühlte sich nach einem verlockenden Angebot an. Aber er wusste, dass das noch zu früh war. „Ich werde den Posten einnehmen, weil ihr einen Arzt braucht und ich das gerne mache. Aber ich werde erst einmal nicht bei euch wohnen, zumindest nicht ständig. Ich… ich denke für mich ist es wichtig, etwas ganz Eigenes zu haben. Und dazu brauche ich erst einmal meinen Abschluss. Ich werde mich weiterhin bemühen und das Studium so zügig wie möglich hinter mich bringen, dann sehen wir weiter.“ Er sah den anderen an, rutschte etwas zur Seite, um das Nico zugewandte Bein über die Mauer zu schlagen. „Das heißt ja nicht, dass ich nicht hin und wieder bei dir schlafen werde, sofern ich zum Schlafen komme.“ Er grinste leicht. „Oder dich schlafen lassen möchte.“ Er sah den anderen herausfordernd an. „Wobei ich als Arzt, natürlich dafür Sorge tragen werde, dass du dich nicht übernimmst. Als alter Mann muss man schon ein wenig aufpassen, nicht?“ Er hatte Mühe, ernst zu schauen und das Grinsen wurde immer breiter. Er rutschte auf der Mauer etwas weiter nach vorne, näher zum anderen, und beugte sich zu ihm. „Wie geht es deinem Arm?“, fragte er dann. „Ich denke wir haben jetzt genug geredet. Und außerdem habe ich nämlich das dringende Bedürfnis, über dich herzufallen, um nachzuholen, was wir uns durch unsere Sturheit verwehrt haben.“ Ihr Atem floss ineinander, als er den anderen kurz küsste und sich wieder löste. Hm, ein wenig Spielen war echt schwierig, wenn man in sich ein Tier brüllen hörte, das nach mehr, nach viel mehr verlangte.

Die Spanienreise - junger Hengst

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

London 2 - Erinnerungen

Dominico

Als Portsmouth wieder in Sicht kam, wurden sie von einem Boten seiner Majestät erwartet. Er war schon längere Zeit vor Ort, um den ankommenden Delegationen aus der ganzen Welt mitzuteilen, dass der König einen mehrwöchigen Ausflug durch seine Provinzen geplant hatte und zur Zeit nicht in London weilte. Na klar...

Irgendwo auf irgendeinem Landgut der Familie Boleyn oder irgendeiner anderen Familie, die Henry etwas schuldete, schubste er seine neue Lieblingsmätresse durch die Betten, oder verbrachte sonstwie Zeit mit ihr - immerhin hatte sie ihn NOCH nicht rangelassen, wenn man seinen Geschenken glauben schenken konnte. Denn eigentlich verlor Henry schnell die Lust an etwas, das er schon besessen hatte.

Für Nico hatte es etwas Gutes. Er verabschiedete seine Delegation in Portsmouth, da keine Notwendigkeit mehr bestand, zusammen nach London zurück zu reisen. Allein war er schneller und hatte außerdem den dringenden Wunsch, endlich mal wieder 'nach Hause' zu kommen. Amadeo hatte einen Boten vorgeschickt und Nicos Aufbruch schlossen sich nur wenige Leute an. Der Großteil dieser Leute waren Soldaten, die bereits unter Nico gedient hatten und deren Familien in London lebten. Von den Lords begleitete sie niemand - außer natürlich Kieran und William, der noch immer Kierans Wagen lenkte. Zum ersten Mal auf dieser ganzen Reise war Nico wirklich gelöst. Wenn er mit seinen Soldaten zusammen war, dann war er immer ein anderer Mensch, denn sein Respekt vor diesen Männern, die bereitwillig für den König starben, war größer als sein Respekt vor jedem anderen Lord.

Seine Verabschiedung an der Weggabelung, die einerseits nach London und andererseits zu seinem Anwesen führte, war herzlich und er gab einem jeden der Männer, die ihn begleitet hatten, noch einige Münzen zusätzlich zu ihrem Lohn. Sie sollten ihren Kindern und Frauen nach der entbehrungsreichen Zeit etwas bieten können. Auch William verabschiedete sich von ihnen beiden und Kieran musste den Wagen wieder selbst lenken, Niamh hinten angebunden. Zwei von Nicos italienischen Kammerdienern kämpften sich mit den von Nico erstandenen Pferden ab, die vom trockenen Spanien kommend kaum etwas anderes wollten, als saftiges englisches Grün zu fressen, was für einige Lacher sorgte.

Sie erreichten das Anwesen der Sforzabrüder am frühen Nachmittag. Es war ruhig, bis auf die normale Betriebsamkeit in den Stallungen, in denen noch gemistet wurde. Als sie auf den Hof ritten eilten einige Stallburschen zu ihnen hinüber, um zu helfen, und ein paar Diener aus dem Haus kamen, um Amadeo mit dem Wagen zu helfen. Nico sah seinen Bruder nicht, deswegen nutzte er die Chance, Kieran für einen kurzen Kuss an dessen Wagen zu drücken, kaum dass er vom Bock gestiegen war. Seine Belegschaft interessierte nicht, was ihr Herr in diesem Sinne trieb und Amadeo wusste ohnehin von ihnen beiden.

"Langfristig scheint sich deine Investition ja doch ausgezahlt zu haben." Die kühle Stimme hinter ihm ließ Nico zusammenzucken und herumfahren. Der "Stallbursche", der sein Pferd gegriffen hatte, ohne ihn anzusehen, war kein Stallbursche gewesen... Alessio trug dunkle lederne Hosen, die an der Seite geschnürt wurden, ein weites lockeres Hemd, das darauf schließen ließ, dass er gerade selbst im Stall zu Gange gewesen war, und was dafür gesorgt hatte, dass Nico ihn nicht erkannt hatte: einen Dreitagebart und wesentlich längeres Haar als er normalerweise hatte. Soso, in Italien war die Körperpflege mal wieder zu kurz gekommen... oder aber, Alessio hatte es einfach mal genossen, nicht rasiert und gestriegelt auftauchen zu müssen. "Ist schön dich auch wieder zu sehen, Bruderherz", erwiederte er nach dem ersten abschätzigen Blick auf einen süffisant grinsenden Alessio, dessen Blick jetzt an Kieran heftete. "Mr. Carney... bleibt ihr zum essen?"
 

Kieran

Dass Dominico nun wesentlich ausgeglichener war, davon profitierten auch alle anderen. Die Stimmung an Deck war wesentlich lockerer und herzlicher, als noch bei der Anreise, und Kieran sammelte aus den Gesprächen bei Tisch alle Informationen, die der andere indirekt über ihn verriet. Manches fragte er nach, wenn sie dann abends sich in den Armen lagen, sich liebten und Nähe schenkten. Würden sie es schaffen, auch in England ihre Beziehung so zu leben, würden sie keine Probleme bekommen. Allerdings würden sie räumlich weiter voneinander entfernt sein. Aber auch das wird zu bewältigen sein. Kieran war sich Dominicos Liebe sicher. Er hatte seine Briefe und würde sie sicher verwahren. Und wenn er Sehnsucht hatte, würden sie ihm helfen, diese zu überstehen. Wenn die Uni wieder anfing, war ohnehin wieder weniger Zeit.

Dass Henry nicht bei Hofe war, wertete Kieran insofern positiv, dass er Dominico vielleicht noch ein wenig für sich würde haben können, und so beschloss er, sich ihm anzuschließen, um sich die Räumlichkeiten des ehemaligen Hofarztes der Familie Sforza anzusehen, wie er William erklärte, der sich darüber freute, dass Kieran ein solches Angebot erhalten hatte. Auch William schien nicht gemerkt zu haben, dass Dominico und ihn mehr als nur das verband. Und das war auch sehr gut so.

Mit jeder Stunde, die sie ihrem Ziel näher kamen, stieg ihre Stimmung. Ein Aufenthalt auf dem Anwesen von Dominico würde für ihn bedeuten, sich nicht verstellen zu müssen. Und allein diese Aussicht hob seine Stimmung ins Unermessliche. Als sie sich auf dem Weg auch von den Soldaten trennten, die zurück nach London kehren würden, verabschiedete sich Kieran sehr herzlich von William, und sie versprachen, sich in London wiederzusehen - sofern es Gelegenheit gäbe. Dann zogen sie endlich westlich an London vorbei. Den Wagen könnte er auch am nächsten Tag noch nach London bringen, oder falls Nico doch noch böse Überraschungen zu Hause erwarten würden, eben an diesem Tage noch.

Er beobachtete mit Freude, wie auch Dominico mit jedem Meter, den sie sich seinem Haus näherten, fröhlicher wurde. Heimkommen war immer etwas Schönes. Kieran stellte sich die Frage, wo sein zu Hause nun war. Irgendwie hing er noch immer zwischen den Stühlen. Er würde spontan seine Wohnung als sein „Zu Hause“ nennen, aber Dominico war genauso zu seinem zu Hause geworden. Und was war mit seiner Familie? Er würde sie schnell besuchen müssen, war doch bei seiner übereilten Abreise nur ein Brief möglich gewesen, den sie auch hoffentlich erhalten hatten. Dieses Gefühl, nirgendwo wirklich verwurzelt zu sein, war noch immer seltam, aber es würde sich mit der Zeit geben, da war er sich sicher.

Kieran streckte sich auf dem Kutschbock, als sie endlich hielten. Zu Reisen war doch wirklich immer sehr ermüdend und er war froh, endlich wieder absteigen zu können. Und so stand er auf und sprang hinunter, sich noch etwas streckend, bevor Dominico ihn gegen die Wagenwand drückte und küsste. Er grinste in den Kuss. Hm, diese Unbefangenheit war soooooo schön. Als er eine ihm wohlbekannte Stimme hörte, löste er den Kuss und sah überrascht Alessandro Sforza ins Gesicht, den er zunächst gar nicht erkannt hatte, und mit dessen Anwesenheit er auch gar nicht so gerechnet hatte. Er schob sanft aber bestimmt Dominico von sich, um genug Platz zu haben, sich dem anderen Mann zuzuwenden, sich zu verbeugen, wie Domiinco ihn gelehrt hatte, und den anderen mit einem „Eure Eminenz“, zu begrüßen. Als er sich aufrichtete, umspielte ein Lächeln seine Lippen. “Stellt Euch vor, er hat sogar noch Zeit investiert, um mir Manieren beizubringen“, sagte er und erwiderte den Blick des anderen. „Zudem wir auch noch ganz schön viele Nerven investiert haben, deren Aufwendung, sich aber, wie ich denke, auch ausgezahlt hat.“ Er sah Dominico kurz fragend an und ergriff seine Hand, als Bestätigung, dass dem so war. „Und ob ich zum Essen bleibe, hängt ganz davon ab, was Ihr mit Eurem Bruder besprechen wollt, ob ich störe oder nicht.“ Er sah Alessandro ruhig an. „Ich hatte Euren Bruder wesentlich häufiger in letzter Zeit in meiner Nähe, als Ihr, daher würde ich verstehen, wenn Ihr auf meine Anwesenheit verzichten wollen würdet.“ Er fragte, Dominico bewusst nicht nach seiner Meinung. Das sollte seiner Ansicht nach der Kardinal selbst entscheiden. Wenn jener wirklich seinen Bruder für sich haben wollen würde, könnte er das verstehen. Dann würde er gleich nach London reiten und zu Mr. Fores gehen und Dr. Chambers besuchen.
 

Dominico und Alessandro

Seit er gewusst hatte dass Henry zur Zeit nicht in London war, hatte es Nico noch wesentlich weniger abwarten können endlich mit Kieran "zu Hause" anzukommen. Zumindestens in seinem zu Hause. Sein Bruder würde zwar da sein, doch die ihnen zugedachten Ländereien rund um London waren groß und Nico würde einen Ort finden, an dem er die Zeit, die er mit Kieran noch hatte bis dessen Studium weiter ging und er selbst bei Henry Bericht erstatten musste, nutzen würde. Und wenn es nur wenige Tage waren, sie brauchten Zeit zu Zweit, ohne andere um sich herum, ohne die Masken, die sie sonst immer tragen mussten - all das musste einfach nur weg von ihnen beiden. Sie mussten offen über all die Dinge reden können, die zwischen ihnen vorgefallen waren und sie belastet hatten und über ihre Ängste und Wünsche für die Zukunft. All das musste einfach sein, daran führte kein Weg vorbei. Sie mussten sich auch eine Strategie zurechtlegen, mit der sie anderen begegneten. Sie mussten beide die gleichen Geschichten erzählen, all das musste besprochen werden... und sie mussten eindeutlig auch viel Zeit nackt in einem Bett verbringen, da waren sie sich vermutlich auch einig.

Deswegen war Nico gerade so überschwänglich glücklich und ließ es sich nicht nehmen Kieran vor den Augen der gesamten Belegschaft und wohl auch vor den Augen seines Bruders zu küssen.
 

Sie standen da wie ein frischverheiratetes Paar befand der Kardinal für sich, der gerade so gar nicht nach Kardinal aussah. Er nickte Kieran zu, standesgemäß kurz, aber nicht sonderlich formvollendet. Diese Mühe gab er sich für das Betthäschen seines Bruders nicht unbedingt. Aber immerhin, war war jetzt schon zum widerholten Male der gleiche Mann - Nico war immer mehr der Mensch für ein und die selbe "Mätresse" gewesen. Jetzt gerade fing Nico an zu lachen, als Kieran seine verlorenen Nerven ansprach, ehe er nickte. "Das kann man wohl sagen... Nerven investiert, wenn ich nicht so ein unglaubliches diplomatisches Geschick hätte, wären wir beide schon lang am Galgen gelandet." Gut, das war übertrieben, aber Kieran war schon gut darin, sich in Situationen zu bringen, bei denen der Ausweg wirklich kritisch zu finden war.

Alessios süffisantes Grinsen malte sich immernoch in sein Gesicht, während man ihm inzwischen auch den Hengst abnahm. "Oh, in letzter Zeit häufiger...", widerholte er interessiert. "Um nichts in der Welt möchte ich die Geschichte verpassen wie es dazu kam. Ich bin sicher, ihr brennt darauf, sie zu erzählen?" Alessios Tonfall grenzte bei Nico schon fast an einen Lachanfall. "Alessandro, du hättest Schauspieler werden sollen. Zieh dir lieber dieses stinkende Hemd aus und lass uns essen", entschied Nico einfach über die Köpfe der beiden hinweg. Alessio lachte inzwischen auch und zog sich das Hemd einfach über den Kopf. Nico verdrehte die Augen über so viel Protzgehabe, doch er musste leider anerkennen, dass Alessio ihm nach wie vor kaum nachstand in punkto körperlicher Fitness. "Ich bin Kardinal, Bruderherz, ich BIN also Schauspieler. Möge Gott sich bei meiner halbnackten Erscheinung die Augen zuhalten", rief er gen Himmel, während sie ins Haus hinüber gingen.

Weil der Bote sie bereits angekündigt hatte, war reichlich essen vorbereitet und aufgetragen worden. "Parla italiano?", wandte sich Alessio auf dem Weg in den Wintergarten an seinen Bruder, der nur mit den Schultern zuckte. "Latina parla, ma è abbastanza veloce quando si parla si fatica a capire", erwiederte Nico und sah dann wieder zu Kieran. "Die wenigen wichtigen Dinge können wir in Italienisch besprechen, aber wenn es etwas so unendlich Wichtiges gäbe, dann hätte mein Bruder dich sicher schon vom Hof komplimentiert." Alessio grinste und ließ sich an dem schön gedeckten Tisch auf einen Stuhl fallen. Höfische Gepflogenheiten waren bei den Brüdern fehl am Platze und vor Kieran gaben sich weder Nico noch Alessio Mühe. Ersterer nicht, weil er nicht musste, Alessio nicht, weil er es nicht einsah. Kieran "unter Kontrolle" zu halten war Aufgabe seines Bruders, nicht seine. "Als,o Mr. Carney, was genau ist passiert, seit ihr in Camebridge meinen kleinen Rebellen versorgt habt und mich dabei am liebsten hättet über die Klinge springen lassen?" Nein, das hatte er nicht vergessen.
 

Kieran

Kieran hob zweifelnd die Augenbrauen, als der Kardinal erklärte, er wolle erfahren, wie sie zusammen gekommen seien, und dass er doch sicher darauf brenne, das zu erzählen. Kieran blickte einen Moment Nico fragend an, doch der schien zu wissen, dass er seinen Bruder nicht zu ernst nehmen musste. War Alessio ohnehin schon durch sein heutiges Auftreten bei Kieran in ein neues Licht gerückt worden, so änderte sich dieser Eindruck noch einmal gewaltig, als jener auf Nicos Worte hin sich einfach vor ihnen das Hemd auszog und mit seinem Bruder witzelte. Dass die beiden Brüder waren, sah man auch am Körperbau. Allerdings hatte Alessio bei weitem nicht so viele Macken, wie Nico. Hm, ein Schauspiel... Kieran war froh da bereits zumindest ein wenig mithalten zu können im Haifischbecken des Adels. Und so folgte er Nico und seinem Bruder mit einem Schmunzeln auf den Lippen. Nun, so geschockt wie er von der Art und Weise des anderen in Cambridge gewesen war, so neugierig war er auf den, den er wohl jetzt kennenlernte.

Als der ander Nico fragte, ob Kieran Italienisch spreche, schüttelte er den Kopf. Er konnte einige Worte, die grobe Sinnrichtung vielleicht erahnen, aber wirklich können tat er nicht. Und so nickte er, als Nico ihm sagte, was sie besprochen hatten. Das war ihm nur recht. Er wusste mittlerweile, dass es manchmal besser war, weniger zu wissen. Der Tisch war üppig gedeckt und Kieran hatte Hunger. Er wartete bis sich nach Alessio auch Nico gesetzt hatte und setzte sich dann zu diesem. Wieder fiel ihm auf, dass der Kardinal ohne diese ganzen Ornate wesentlich menschlicher wirkte als auch zum Beispiel auf dem Marktplatz damals.

Auf die Frage des anderen hin, musste er lächeln. "So einiges, ist seit damals passiert, seit Cambridge", antwortete er langsam, nachdenkend. Offenbar hatte Nico in der Zwischenzeit nicht mit seinem Bruder über ihn geredet, seit Cambridge. Es wunderte ihn nur bedingt und er war sogar fast froh drum. Alessio hätte ihm womöglich abgeraten, sich weiter mit ihm zu beschäftigen. Und bei solchen Dingen hatten Familienmitglieder großen Einfluss auf Entscheidungen. "Also begonnen hat alles mit einer Nacht, in der wir einfach mal jegliche Unterschiede, Entfernungen und Grenzen zwischen uns weggelassen haben", fuhr er nun noch immer ein wenig sich sortierend fort. "Dann ging es mit einem folgenschweren Abschiedskuss und einer Verabschiedung weiter, die eigentlich für immer sein sollte." Er lächelte leicht. "Aber das war gar nicht so einfach, sich das auch wirklich einzureden." Während er sprach, sah er manchmal zu Nico, meist aber Alessio an. "Weiter ging es dann zumindest für mich damit, dass ich meinen Fuß in die Tür setzte, die mir Nico aufgestoßen hat, indem ich nach London gekommen und mich da doch ganz gut eingelebt hatte. Ein Wiedersehen fand dann bei Dr. Chambers statt, der mir offenbarte, dass das Stipendium, das ich erhalten habe, um Medizin zu studieren, zum größten Teil Euer Bruder gestemmt hatte. Wieder eine Investition, irgendwie hört sich das immer noch alles nach Prositution an, Nico." Er grinste Dominico an. "Bei einer Nacht über den Dächern Londons haben wir diese Bedenken aber eigentlich ausgeräumt. Und dann überschlugen sich die Ereignisse ein wenig. Dominico hat sich von mir getrennt, obwohl er mir im gleichen Moment sagte, dass er mich nicht verlassen würde, und das, obwohl wir nie zusammen gewesen waren. Die Folge waren tägliche Briefe, in denen wir unsere ganz eigene Sprache entwickelt haben, gefolgt von einem entblößten Dominco im Krankenhaus und Benimmunterricht auf Eurem Anwesen." Er strich sich die Haare aus der Stirn, die er unbedingt mal wieder schneiden müsste. "Und dann ging es erstmal abwärts. Ein Mord, eine entgültige Trennung, weil Dominico meinte, allein entscheiden zu dürfen, was das Beste für uns war. Das ist eine ganz schlimme Eigenschaft, mich unmündig zu machen." Man merkte am Tonfall, dass er es nicht böse meinte. Er lächelte Dominico an. "Dann folgte eine Entscheidung, der Delegation nach Spanien mich mitzuschicken, was bei Eurem Bruder gar nicht gut ankam. Schließlich eine verbale Prügelei, in der wir uns wirklich unschöne Dinge an den Kopf geknallt haben, und das Vorhaben meinerseits, London zu verlassen, um ja nichts mehr mit ihm zu tun haben zu müssen - ich erzähle jetzt nur meine Sicht auf die Dinge." Es war immer noch ein wenig schmerzhaft, an diese Ereignisse zu denken. "Und dann hat Dominico den Poeten in sich entdeckt, mich auf eine Schnitzeljagd durch Madrid geschickt, die letztlich mit einem Besuch einer alten Kapelle in Santander endete, in der wir wahrscheinlich zu nah bei der Kapelle gewesen sind, um es nicht als sündig betiteln zu können. Mittlerweile sind wir glaube ich so weit, sagen zu können, dass wir das schon irgendwie hinbekommen werden, dass uns ein gemeinsames Leben irgendwie gelingen wird." Er sah bei diesen Worten Dominico an. Dann drehte er sich wieder zu Alessio. "Entschuldigt, ich hab wahrscheinlich zu weit ausgeholt." Er lächelte entschuldigend. "Ansonsten gibt es nur noch zu beanstanden, dass Ihr versäumt habt, Eurem Bruder Manieren beizubringen, weil er es nicht lassen kann, mich ständig zu trietzen." Er spielte darauf an, dass er nun schon mehrfach von ihm aus heiterem Himmel zwischen den Schulterblättern berührt worden war, mit einem Grinsen auf dem Gesicht und in Situationen, in denen Kieran ihn kaum zurechtweisen konnte. Es war wirklich fies, einen so offensichtlichen wunden Punkt zu haben. "Ich hoffe das reicht an Ausführungen, eure Eminenz."

Er hatte sich noch immer nichts auf den Teller gelegt, was er nun nachholte.
 

Alessandro

Ja, seit Cambridge war einiges passiert, das wusste Alessio auch. Obwohl ihm ein Hausmädchen beim Hineingehen ein Hemd hingehalten hatte, blieb er oben ohne und ließ sich lässig in einen Sessel fallen, der an dem ausladend gedeckten Tisch stand. Wirklich "hinsetzen" kam nicht in Frage, nicht bei so bequemen Sesseln, die dazu einluden die Füße hoch zu legen und vor allem nicht in seinem Haus. Nico legte ähnlich lässige Haltung an den Tag, nachdem er seine Jacke gelöst hatte. Der Herbst hielt nur langsam Einzug in England und heute war ein womöglich letzter sonnig warmer Tag, so dass weder der eine noch der andere Sforza fror. Während Alessandro an einem Gebäck knabberte in das Schinken und Käse eingebacken war, lauschte er Kieran, während vor seinem Gedächtnis seine Zeit seit Cambridge vorbeizog.
 

Cambridge war ein düsterer Fleck in seiner Erinnerung. Die Bilder in seinem Kopf waren düster. So hell und blond Finley gewesen war, so dunkeltest alles, es mit dem naiven Rebellen zusammengehangen hatte. Finley, Ralph und all die anderen Gesichter, die hätten hängen müssen... und diese unsägliche Wette...

Er hatte sich seiner Verantwortung gestellt.

Henry war in den Palast gestürzt, während Alessandro draußen zurückblieb. Der Hauptmann hatte ihn hilfesuchend angesehen und der Kardinal war mit ihm zu den Gefangenen gegangen. Er trug keine Robe, weswegen man ihn wohl kaum als den Mann erkannte, der vor einer gefühlten Ewigkeit Ralph, ihren Anführer, erstochen hatte. Die Nacht färbte sich langsam grau und Camebridge erlebte an diesem Morgen eine ganze Reihe von Hinrichtungen - allerdings nicht auf dem Marktplatz, sondern auf dem Innenhof des Palastes.
 

Henry war zurück in den Palast gegangen und seitdem hatte ihn Alessio auch nicht wieder gesehen. Vielleicht kniete er in der hauseigenen Kapelle und betete, für sich und für Anne.. oder für was auch imer. Alessio wusste, dass die Menschen vor ihm nicht beteten. Er stand inmitten des Hofes, ohne die rote Robe, nur ein Mann in zivil. Er hörte wie Männer fluchten, Frauen flehten und Menschen, die gerade erst dem Kindesalter entwachsen waren weinten. Der Hof war erfüllt von diesen Klagenden Geräuschen, mit denen die Stadt an diesem Tag erwachte und sie erstarben nur langsam, eine Stimme nach der anderen. Gnade.. nein. Alessio schob all das von sich weg. Während er dort stand und beobachtete, wie grobschlächtige Männer eine Leiche nach der anderen vom Strick nahmen um das nächste Lebewesen daran aufzuknüpfen, stand er einfach nur da und rührte sich nicht. Er stand ganz still, ganz ruhig. Das alles ging ihn nichts an. Er konnte sie nicht retten. Er durfte sie nicht retten. Jeder einzelne von ihnen wusste vielleicht, zu wem Finley gegangen war, was Ralph geplant hatte. Für seinen Bruder, für seine Familie durfte er sie nicht retten, nicht einen einzigen von ihnen.

Und doch starb etwas von Alessio, mit jedem paar Füße, das durch die Fallluke baumelte. Etwas, von dem Alessio eigentlich sicher war, es schon gar nicht mehr zu haben. Ein Ehrempfinden? Einen Sinn für Gerechtigkeit? Er dachte nicht darüber nach, konnte nicht darüber nachdenken. Er wusste nur eines, nämlich das ER schuldig war für den Tod dieser Menschen. Es war SEINE Schuld. Vielleicht nicht seine Schuld allein, doch weil ER mit Finley ins Bett gegangen war, weil ER vielleicht zu viel gesagt, zu viel herausgefunden hatte, nur deswegen hingen diese Menschen jetzt hier oder lagen mit gebrochenen Augen auf dem Wagen eines Henkers, der aus dem wenigen, das sie bei sich trugen, noch das Wertvollste ihren toten Händen entreißen würde.

Als endlich der letzte Mann aufs Schafott gebracht wurde, entspannte sich Alessio langsam, und als auch er seinen Atem ausgehaucht hatte, wurde es still. Sehr still. Alessio schlug das Kreuzzeichen ehe er sich langsam umwandte, um wieder in das Gebäude zu gehen. Alles geschah wie in Trance: Der Bericht, den er an Henry ablieferte, die Besprechung danach.. das Warten auf seinen Bruder. Als Nico endlich eintrat war er sichtlich überrascht, seinen Bruder schon hier vorzufinden, doch sie hatten keinen Zeit darüber zu sprechen, denn ihre Boten bezüglich Anne kehrten zurück und nur Minuten nach deren Bericht war der ganze Palast in Aufbruchsstimmung. Zurück nach London also - und noch immer hatte er keine Gelegenheit gehabt, mit Nico zu reden.

Ihre Verabschiedung fiel mehr als dürftig aus und als Alessio zurück zu ihrem Anwesen ritt, war Nico schon fort. Das Haus lag in angenehmer Stille eines eigentlich schönen Morgens. Wie von selbst lenkten sich Alessios Schritte in das Zimmer, in dem nachts noch Finley gelegen hatte, doch als er eintrat war das Zimmer leer. Die frischen Laken auf dem Bett glänzten weiß und unschuldig, so als habe hier niemals jemand gelegen. So als sei nie etwas passiert.

Auch der Kardinal ordnete an seine Sachen zu packen, doch sein Aufbruch nach London war nicht ganz so übereilt wie der seines Bruders. Irgendwie brauchte er gefühlte Ewigkeiten, um reisefertig zu sein, es war als bewege er sich durch schwere Luft, die alles niederdrückte und jede Bewegung zur Qual machte. Er fühlte nichts, einfach gar nichts, doch er wusste, dass es nicht immer so bleiben würde.
 

Eine Woche später, wieder in seinem Haus in London, fühlte sich Alessio immer noch wie eine Puppe. Anscheinend hatte nicht nur er etwas in Camebridge zurück gelassen, auch sein Bruder wirkte oft abwesend und nachdenklich. Sie beide gingen ihren Beschäftigungen nach, so wie sie es eben immer taten, doch die Zeit plätscherte einfach so dahin. Als sein Bruder schließlich mit Charles nach Schottland reiste blieb Alessio wieder einmal allein zurück und gerade als diese erdrückende Einsamkeit drohte, ihn zu verschlingen kam ein einziger Lichtblick auf ihn zu: Italien.

In einem Brief seiner Familie wurde er gebeten, eine Reise in seine Heimat vorzunehmen, da es einige Dinge zu besprechen gab - und jeder Schritt, den Alessio nach diesem Brief tat, diente nur einer schnelleren Abreise.

Als Nico wieder kam und deutlich wurde, dass der König ihn über kurz oder lang nach Spanien schicken würde, war es ihrer beider Ziel gewesen, ihre Stellung dahingehend zu etablieren, dass vor allem Cromwell nicht gegen sie intrigieren konnte, doch der hatte zur Zeit offenbar andere Probleme als zwei italienische Adelige.
 

In zwei Wochen würden sie beide abreisen, Alessandro einige Tage früher als sein Bruder. Eigentlich gingen sie nie zu zweit, doch diesesmal ließ es sich nicht vermeiden. Der Kardinal war am frühen Morgen in den Palast geritten, um ihrem gemeinsamen Freund Charles Brandon die Beichte abzunehmen, außerdem auch einigen anderen Hofdamen. Eigentlich war Alessandro kein Beichtvater, doch da jeder Priester das recht hatte, die Beichte abzunehmen, hatte es sich irgendwann eingebürgert. Und da er bald nicht mehr da sein würde, ließen sich einige Angestellte noch einmal die Last von der Seele nehmen. Alessandro wusste selbst, dass es manchmal wirklich gut tun konnte zu beichten, doch er glaubte nicht, dass es etwas mit Gott zu tun hatte, sondern eher damit sich den Frust von der Seele zu reden. Doch er war gerne für sie alle da und so verbrachte er fast den ganzen Tag dort, kaufte auf dem Rückweg noch einiges ein, vor allem organisierte er Lebensmittel für die Belegschaft in ihrem Haus auf dem Markt, dass in der Zeit ihrer Abwesenheit niemand würde Hunger leiden müssen. In Sachen Angestellte waren sich die Brüder immer einig.

Als Alessandro bald darauf nach Hause kam und seinen Bruder suchte, "fiel" er förmlich über drei ihrer Dienstmädchen, die Nicos Arbeitszimmer unter Wasser setzten. Ihn hatte schon der Teppich gewundert der draußen hing und wohl auch abgewaschen worden war, aber vielleicht hatte Nico das ja in Auftrag gegeben - die roten Reste in den Fugen des Bodens jedoch, ließen Alessandro alamiert nach Amadeo rufen. Was zur...?

Amadeo braucht eine Weile, um wieder ins Haus zu kommen und an seiner Kleidung klebte Blut. "Was ist los? Wo ist mein Bruder?" Amadeo schien so irritiert wie Alessandro. "Ich dachte, er sei schon wieder hier.. es gab einen Zwischenfall mit der Familie Carney, der Dominico in Camebridge geholfen hatte. Du erinnerst dich sicher noch an Kieran, oder? Soweit ich weiß, war es ein Schwager oder sonst wie Verwandter. Er kam hier her, um mehr Geld von Dominico zu erbitten und hat sich ihm im Austausch dafür angeboten. Es scheint ein offenes Geheimnis, dass der Duce eine ähnliche "Leistung" von Kieran bekommen hat. Dominico sah das wohl anders und Kieran traf wie es der Zufall wollte ebenfalls hier ein. Es kam zum Streit in dem Gregor auf Kieran losgegangen ist und Dominico hat.. naja, sich nur verteidigt. Sie sind dann gemeinsam ins Bad gegangen, um das Blut abzuwaschen, und Kieran hat den Hof schon vor einer Stunde verlassen.. ich dachte Dominico sei irgendwo hier?"

Die Mädchen schüttelten den Kopf und Alessandro stürmte los, Richtung Bad. Vor seinem geistigen Auge sah er seinen eigenen Bruder erstochen im Zuber liegen, weil offenbar alle Kieran hier vertraut hatten. Alessio hatte in Gesprächen mit seinem Bruder durchaus gemerkt, dass der einen Narren an Kieran gefressen hatte, aber wer konnte schon sagen, ob es im Umkehrschluss auch so war? Amadeo lief in Nicos Gemächer, um ihn dort zu suchen, doch es war Alessandro der seinen Bruder im Zuber fand. Eiskaltes Wasser ging ihm bis zur Brust und Nico zitterte, starrte zu ihm hinauf, konnte sich aber nicht bewegen. "HIER HER!", brüllte der Kardinal durch das Haus, während er schon Nico aus dem Zuber zerrte.

Zum Glück ließ sich die Dienerschaft nicht lange bitten und kurz darauf hatten sie Nico abgerieben und in warme wollene Kleidung gepackt, ehe sie ihn in sein Bett schleiften und die Diener sich um Wärmflaschen bemühten.

Alessio saß auf der Kante des Bettes, rieb über Nicos Beine, um sie durch die Bewegung schon zu wärmen, während der zitterte wie Espenlaub. Amadeo kümmerte sich darum, dass man Nico heißen Wein brachte und kam kurz darauf mit einem dampfenden Becher. Verbrannt hatten sie die Leiche also... "Du hättest dich nicht mit diesen Leuten einlassen dürfen, im Ernst.. das bringt uns nur noch mehr Schwierigkeiten."

Nico winkte ab. "Nur er war schwierig, die anderen nicht. Sieh du lieber zu, dass die größeren Schwierigkeiten uns nicht überennen. In zwei Wochen reise ich nach Spanien, hier wird niemand sein, um die Stellung zu halten. Hast du unsere Vertrauten angewiesen uns in der Gunst des Könisg zu wahren?" Alessandro nickte. "Keine Sorge, unsere Position wird auch in unserer Abwesenheit gefestigt sein."

"Das ist gut.." meinte Nico nur leise, dem der Schock und die Anstrengung anzusehen waren. "Ich werde dafür Sorge tragen, dass man sie beobachtet. Ich will nicht, dass auf einmal noch mehr Leute auftauchen und versuchen an unser Geld zu kommen, nur weil du und dieser Schausteller..."

"Er ist Arzt!", fuhr Nico dazwischen, wenn auch nicht gerade sehr energisch. "Er ist deinetwegen Arzt, Fratel..", erwiderte Alessandro etwas sanfter und beugte sich zu Nico hinunter. "Ich weiß, warum du das tust aber... Bitte, es ist gefährlich. Pass auf, in was du da hineinrutschst, das hat doch auf lange Sicht keinen Sinn." Nico seufzte und drängte sich in die Arme seines Bruders, nicht nur weil Alessandro warm war, sondern weil sie beide einfach immer zueinander halten und aufeinander zählen konnten, auch in Situationen wie diesen. "Es wird keine Probleme geben Alessio... mach dir keine Sorgen." Doch seine Stimme wurde leiser, denn die langsam aufkeimende Wärme in seinem Körper brachte die Müdigkeit wie Blei in seiner Glieder. Alessio blieb bei ihm, wärmte ihn und hielt ihn fest in den Alpträumen, die ihn wohl quälten, bis Nico in der Nacht endlich ruhiger wurde.

Der nächste Tag brachte Besserung, und auch wenn Nico noch einige Tage im Bett bleiben musste, so schien er es langsam zu überwinden, in Gesprächen mit seinem Bruder, in denen es vor allem um die Zukunft ging. Es half zu vergessen was war und den Blick auf ihre Reisen zu fokussieren.

Und so betrat Alessandro ein Schiff, das ihn nach Frankreich brachte, von wo aus er wunderbar zu Pferd durch Frankreich und schließlich über die Alpen nach Italien reisen konnte. Die Reise erschien ihm wie ein Geschenk Gottes, ein Weg von all dem was in Cambridge geschehen war Abstand zu nehmen und endlich wieder nur Alessandro Sforza zu sein. Zu Hause erwarteten ihn keine Intrigen, nur das altbekannte Spiel des Vatikan, das Alessio inzwischen so gut spielen konnte wie kaum ein anderer.
 

"Und, kannst du schon etwas hören?" Ceciles amüsierte Stimme klang zu Alessio hinab, der seinen Kopf auf ihren nackten schwangeren Bauch gebettet hatte. Die Decke bis zu den Hüften gezogen lag er nackt zwischen ihren schönen schlanken Schenkeln und streichelte den schon deutlicher gewölbten Bauch, in dem sich das Kind allerdings noch nicht wirklich rührte. Zumindest gerade nicht.

Vielleicht war es auch einfach nur schockiert von dem, was seine Mutter und der potentielle - oder wie Nico befand - ziemlich SICHERE Vater gerade getan hatten. "Ich glaube er ist doch nicht von mir, er rührt sich kein bisschen." Ceciles glockenhelles Lachen erfüllte den Raum und Alessandro musste schmunzeln. "Natürlich ist es nicht von dir", behauptete die schöne Frau, deren Italienisch inzwischen um Welten besser geworden war. "Es war ein Geschenk Gottes in unserer Hochzeitsnacht und der Woche danach, die dein werter Herr Cousin und ich sehr intensiv genutzt haben." Der Kardinal konnte nicht anders als losprusten. "Und er glaubt dir das? Offensichtlich, sonst würde er dich kaum allein schicken, um mich zu empfangen." Sie trat leicht nach ihm, doch er wich ihr aus. "Du hast ja keine Ahnung, wie gut ich eine keusche Jungfrau spielen kann, Eminenz." Ihr Augenaufschlag wirkte wirklich unschuldig, doch Alessio wusste nur zu gut, wie sie ihn vor wenigen Minuten noch in Ekstase geritten hatte - das zählte also nicht. Doch auch alles andere zählte gerade nicht. Er liebte Cecile nicht, er liebte auch Nicos Frau nicht, die bald darauf zu ihnen stieß, als Alessio mit der schwangeren Cecile die Reise nach Rom fortsetzte. Aber es waren beides wunderschöne Frauen, die er schon lange kannte und deren warme Körper ihm ein Stück Ruhe brachten, wenn er neben ihnen einschlief. Sie gaben ihm Selbstsicherheit zurück und der Vatikan nahm ihm die Schuld, die er noch immer empfand. Nicht etwa, weil Alessio zur Beichte ging, sondern weil er in dieser riesigen Kirche, in dieser Kathedrale an der immer noch gebaut wurde, angesichts dieser Größe merkte, wie klein und unbedeutend er selbst und seine Taten waren. Alessio war gläubig erzogen worden und für ihn stand außer Frage, dass Gott existierte, doch hier konnte er ihn tatsächlich spüren, wohingegen er in London manchmal vergeblich nach diesem Gefühl innerer Ruhe und Friedens suchte.
 

Rom richtete Alessio definitiv wieder auf die Beine. Der Schock über das, was geschehen war, die eigenen Schuldgefühle, all das rückte hier in Rom in den Hintergrund und spielte keine Rolle mehr. Es gelang ihm nach und nach die Sache aus einiger Entfernung zu betrachten und auch wenn ein Großteil dessen, was er sich als Entschuldigung für seine Seele zurechtlegte, Selbstbetrug war, so hatte er doch richtig gehandelt. Im schnellen Tod, den er diesen Rebellen bereitet hatte, hatte er ihnen außerdem die langen Qualen der Folter gespart und vielleicht würde ihm das irgendwann einmal angerechnet werden, wenn er vor seinen Schöpfer trat.

Leider verging die Zeit im sonnigen Italien wie im Flug, doch so als ließe Gott sein Licht weiter über ihm scheinen, brachte er die Sonne und die Wärme mit über die Alpen und sogar mit über den Kanal.

Ihre Gärten standen bereits in rotbraunem Herbstlsub, als er auf den Hof zurückkehrte und ihre Pferde grasten auf den grünen Wiesen.

Nach einer ersten Aufwartung am Hofe, in der er Henry von seiner Reise berichtete, kam eine ruhige Zeit auf den Kardinal zu. Wolsey erledigte die meisten kirchlichen Angelegenheiten in der Stadt und zog ihn nur sehr selten zu Rate, während seine Majestät eine kleine "Rundreise" mit Lady Boleyn plante und die Königin krank im Bett lag. Keine Krankheit, bei der Henry darauf hoffen konnte, dass sie verstarb, doch sie war zumindest eine Weile außer Gefecht gesetzt und gab dem König den Freiraum für seine neue Lieblingsmätresse.

Alessio blieb die meiste Zeit auf ihrem Landgut, hier konnte er entspannen und sich wieder sammeln. Nach und nach sammelte er Informationen von Männern, die während seiner Abwesenheit am Hof die Stellung gehalten hatten, doch etwas wirklich Aufregendes oder Gefährliches war nicht geschehen, stattdessen Schritt der König damit voran, die Ehe von Katharina zu scheiden, doch das wusste Alessandro bereits und wusste genauso, dass er selbst sich in dieser Sache heraushalten würde. Es war viel zu heikel, sich dort einzumischen, und Wolsey steckte bereits mit drinnen. In seinen Ambitionen, Papst zu werden, hatte er es sich zum Ziel gesetzt, diese Angelegenheit zu lösen und Alessio ließ ihn nur all zu gern.

In den Tagen, in denen er noch allein blieb und sein Bruder in Spanien weilte, ließ er die Robe deswegen einfach öfter aus, trainierte allein mit dem Schwert und dem Dolch an Trainingspuppen in ihren Kellerräumen und ritt ihre Pferde. Seinen Körper, den er in Italien wirklich nicht im Training gehalten hatte, möbelte er wieder auf - nur das Haar und der Bart blieb als ein Relikt aus der schönen Zeit in seiner Heimat. Und weil es ihm gefiel, ließ er den Dreitagebart auch einfach stehen, rasierte ihn nur, wenn er zu lang wurde. Es veränderte ein Gesicht einfach unglaublich - sogar so sehr, dass Nico ihn eben nicht erkannt hatte.
 

Kieran hatte geendet und Alessio hatte sogar alles wirklich aufgenommen, was Nicos jetzt anscheinend ständiges Betthäschen zu sagen gehabt hatte. Ihr gemeinsamer Start in Cambridge war denkbar schlecht gewesen, doch schon zum Zeitpunkt seiner "Wahl" hatte Alessio ja zu Recht an Kierans Manieren und seinem Auftreten gezweifelt. Sein Bruder hatte ganze Arbeit geleistet, diesen jungen Mann irgendwie gesellschaftsfähig zu maschen, allerdings war das nur eine Maske. Alessio erkannte es bereits daran, dass Kieran vor ihm alles ausplauderte. Er schilderte seine Sicht der Dinge und Nico ließ ihn auch reden in dem Wissen, dass Alessio es ihnen niemals zum Schaden machen würde, und doch war es leichtsinnig und unvorsichtig.

Der Kardinal nickte leicht zu Kierans Ausführungen hinsichtlich seines Bruders, ehe er sich wieder zu Wort meldete. "Ja, mein Bruder ist ganz offensichtlich ein Mann der Tat und weniger ein Mann großer Worte.. dafür redet ihr genug." Er schmunzelte leicht. "Ihr könnt von Glück reden, dass Dominico mein Bruder ist, denn wäre er es nicht, wären eure Informationen an eine ziemlich heikle Stelle gelangt." Er biss wieder in das Gebäck, das herrlich schmeckte. "Aber nun gut, irgendwie habt ihr euch gegenseitig wieder in das gleiche Bett gelegt, das war bereits auf dem Hof zu sehen. Nur, Mr. Carney, denkt nicht, Ihr könntet eine Beziehung zu meinem verheirateten Bruder unterhalten. Das ihr euer Leben gemeinsam leben könnt, klingt mir eine Spur zu romantisch für das abgekaterte Spiel, das ihr gezwungen sein werdet zu spielen. Aber ich bin sicher bei so viel Emotion wird es zumindest eine Weile halten - ich habe mir sagen lassen, mein Bruder sei ein Hengst auf der Matratze." Jetzt musste sogar Nico lachen und Alessio zuckte mit den Schultern. "Nicht dass ich es jemals erlebt hätte... Und was planen die werten Herren nun, während seine Majestät noch irgendwo in einem Landhaus lustwandelt?"

"Weiß man denn schon, wann er wieder in Lndon sein wird?"

Alessio schüttelte den Kopf. "Nicht wirklich. Vielleicht in einer Woche, vielleicht in zweien. Vielleicht morgen, wenn sie die Beine nicht für ihn breit macht, aber daran glaubt kaum noch jemand. Nach dem die Scheidung mehrmals abgelehnt wurde, sehe ich es eher auf uns zukommen, dass der König sich von Rom abwendet... mir kann es egal sein, ich stehe nicht als Kardinal in seinen Diensten." Naja, ganz so egal war es Alessio nicht, doch er beharrte wenigstens nicht auf der katholischen Lehre wenn Henry in der Nähe war.

"Na wenn das so ist, werde ich Mr. Carney unsere Ländereien zeigen. Er wird den Posten des Arztes in diesem Haus übernehmen und weiterhin in London leben, doch er soll wenigstens sehen, für welche Menschen er verantwortlich ist. Ich denke, wir werden einige Tage unterwegs sein."

Alessio verdrehte die Augen. "Also ich gebe euch recht, Mr. Carney, wenn Ihr sagt, dass er mit Worten nicht der Beste ist. Unsere Ländereien bist du an einem Tag abgeritten.. du willst doch nur wieder in dieses Landhaus, um dich von der anstrengenden Reise zu erholen." Nico zuckte grinsend die Schultern. "So klingt es aber schöner."
 

Kieran

Der Seitenhieb zu ihm, dass er zu viel rede, war eindeutig. Kieran senkte die Gabel, die er eben zum Mund führen wollte. Er lächelte nachsichtig über die Worte, die folgten.

"Und wäret ihr nicht sein Bruder und wüsste ich nicht, dass er euch vertraut und liebt, wie keinen anderen, hätte ich euch nicht auf eure Frage geantwortet", entgegnete er knapp und aß endlich den Bissen. Er hatte Hunger und auch, wenn die beiden anderen Männer sehr entspannt wirkten - er war es definitiv nicht, auch wenn er sich bemühte, die lässige Art der anderen zu übernehmen. Er hatte nicht vergessen, was damals in Cambridge geschehen ist, vor ihrem Aufbruch hatte er gehört, dass etliche gehängt worden waren. Nico hatte ihm auf dem Dach erzählt, wer Finley gewesen war. Sicher verrottete dieser auch irgendwo, im Gefängnis oder unter der Erde. Wobei Kieran ahnte, dass Nico das selbst auch nicht wusste. Er jedenfalls wusste, dass Alessandro Sforza ein gefährlicher Mann war. Aber er wusste auch, dass er Nico nie würde ganz haben können, wenn er sich nicht mit dem Kardinal arrangierte. Also sprach er offen zu ihm, und die legere Art des anderen kam ihm durchaus entgegen. Durch Nico wusste er, in welcher Hölle sich die Familie teilweise bewegen musste, ob Königshof oder Kirche war wahrscheinlich egal. Und daher war er sich auch sicher, dass sich hinter dem Mantel des Kardinals jemand versteckte, der ein gutes Herz haben musste. Wen sonst könnte Nico sonst so lieben? Also versuchte er, eben diesem Herz zu genügen, auch wenn er sich sicher war, dass er das nur über Dauer und Geduld erreichen konnte.

Und Geduld brauchte er schon bei den nächsten Worten, die ihm bestätigten, dass jener ihn nur bedingt ernst nahm. "Ich bin durchaus ein Realist, eure Eminenz. Und ich bin mir durchaus bewusst, dass ein gemeinsames Leben nur bedingt möglich ist. Daher verwendete ich auch das Wort 'irgendwie'. Und der Romantiker bin definitiv nicht ich." Ihm wäre es wohl nie in den Sinn gekommen, dem anderen einen Liebesbrief zu schreiben oder ihn zu einer einsamen Kapelle zu locken.

"Und was die Qualitäten Eures Bruders im Bett betrifft, kann ich definitiv nicht klagen. Ich vermute auch, dass unsere Beziehung genau aus diesem Grund ein wenig halten könnte." Nun so ganz konnte er seinen Ärger über diesen Kommentar nicht verbergen.

Als Alessandro seinen Bruder fragte, was sie nun tun würden, während Henry nicht da war, blickte auch Kieran seinen 'Freund' interessiert an. Erstaunt hob er die Augenbrauen, dass dieser offensichtlich schon so konkrete Pläne hatte, von denen er selbst noch gar nichts wusste. Sicher, er würde seinen Posten als Arzt hier gerne annehmen und musste sich hier auch zurechtfinden, aber er war davon ausgegangen, dass er sich nur die Räumlichkeiten ansehen würde, bevor er nach London fahren würde und wenn dort alles geregelt war, weiter zu seiner Familie. "Das ist ja interessant", sagte er daher. Er mochte es nicht, wenn über seinen Kopf hinweg etwas entschieden wurde. "Aber ich freue mich", fügte er hinzu, damit Nico nicht dachte, dass er sich wirklich ärgerte. Eigentlich freute es sich. "Allerdings hab ich noch andere Verpflichtungen, die mich nicht für 'einige Tage' entschuldigen. Ich fürchte, das Wochenende muss reichen." Es war Freitag. Wenn er am Montag zurück nach London käme wäre es ok.
 

Alessandro

Nun, immerhin bestätigten Kierans nächste Worte, dass er kein unverbesserlicher Träumer war. Es beruhigte ihn ungemein zu sehen, dass Kieran kein zweiter Finley war. Ja, sein Bruder hatte im Nachhinein diese Wette eindeutig gewonnen und die bessere Wahl getroffen, auch wenn er eigentlich nicht den erforderlichen Einsatz gebracht hatte.

Vielleicht war es ja wirklich besser so. Kieran hatte keinen hohen Stand und würde ihn nie haben und als Arzt war seine Anwesenheit auf ihrem Hof wirklich berechtigt, denn Verletzungen gab es wirklich täglich. Es würde vermutlich nicht einmal schwer werden, so lange sie in London nicht gemeinsam aufmarschierten und das würde wohl weder Nico noch Kieran wirklich wollen. Vielleicht an dem ein oder anderen wirklich großen Bankett, an dem die Ärzte des Königs ebenfalls dabei waren, doch sonst würde Kieran nicht wirklich an dieser Gesellschaft teilhaben und somit würde auch kaum jemand etwas mitbekommen. Es sei denn sie waren unvorsichtig... aber dafür war Nico bereits zu lange am Hof, um leichtsinnig zu sein.

"Ich sehe, ihr wisst worauf ihr euch einlasst. Dann will ich nichts gesagt haben." Auch wenn es Kieran schwer fiel, er zeigte Respekt. Vermutlich hatte er den auch wirklich, wäre Alessio aber in freier Wildbahn eher aus dem Weg gegangen. Dass er sich versuchte mit ihm ganz normal zu unterhalten, tat er nicht, weil er mit Alessio eng befreundet sein wollte, sondern weil er Nico wirklich mochte, wenn nicht sogar mehr als das. "Dann habt ihr meine besten Wünsche", meinte er juvial und breitete die Hände aus, ehe er nach einem Becher griff und ihn hob. "Auf dass meinem Bruder die Standkraft nie ausgehen möge", beschwor er gen Himmel, ehe er grinste und einen Schluck trank. "Pass nur auf Nico, er lässt sich nicht so einfach mit ein paar Briefen um den Finger wickeln...", meinte der Kardinal auf Kierans Worte.
 

Dominico

Sie plauderten noch eine Weile über recht belanglose Dinge beim Essen und als Alessio ging, um mit einer Magd über ihre Vorratskammer zu sprechen, die in den nächsten Tagen erneut gefüllt werden musste. Nico sah ihm nach, bevor er sich zu Kieran drehte und sich ein wenig im Sessel nach hinten lehnte. "Du bist wirklich verdammt pflichtbewusst, mein Lieber... aber wenn ich die nächsten beiden Tage mit dir habe, dann wird es mir wohl reichen müssen..." Sie würden sich ja auch danach noch sehen, doch nach der Reise würde ihnen etwas Zeit nur zu zweit wirklich gut tun. Und so ließ Nico sich nicht sonderlich lange bitten.
 

Kieran

Kieran war fast erleichtert, als der Kardinal seine Worte offenbar als passend empfand, ja sogar schier seinen Segen dazugab. Kieran lächelte darüber, dass der andere seine Ironie aufgriff und sie gemeinsam auf Nicos Potenz anstießen. Er merkte, dass er irgendwie erleichtert war. Und während sie sich noch etwas unterhielten, über Italien und Spanien plauderten, entspannte er sich langsam. Ja, so in etwa musste man sich beim ersten Besuch bei der Schwiegermutter fühlen... Aber Alessandro zeigte sich ihm gegenüber ganz anders als noch in Cambridge und das war auch gut so. Wenn sie nun mehr miteinander zu tun hätten, würden sie sich vielleicht wirklich noch irgendwie anfreunden können.

In Kieran wuchs während des Gesprächs der unbändige Wunsch, Dominico zu küssen, bis dieser nicht mehr wusste, wie ihm geschah. War das schlimm? Nein. Kieran lächelte über diesen Gedanken. Die Aussicht, den anderen zwei Tage nur für sich zu haben, war euphorisierend. Sie hatten es wirklich geschafft, nicht? Sie waren zusammen. Und es würde funktionieren, definitiv. Auch, wenn sie sicher häufiger als andere Paare auf die Probe gestellt werden würden.

Als sich der Kardinal verabschiedete, blickte Kieran zu Nico. Sie waren frei in diesem Haus, oder? Was der andere zu ihm sagte, ließ ihn lächeln. Kurzerhand kletterte er ihm auf den Schoß, seine Arme rechts und links auf den Schultern des anderen ablegend. "Wenn es nach mir ginge, würde ich nie wieder von deiner Seite weichen, mein Liebster. Aber es geht hier nicht nur um mich", sagte er leise und küsste den anderen sanft. "Und vielleicht wirst du nach den zwei Tagen ganz froh sein, eine Verschnaufpause zu bekommen." Er grinste leicht und küsste den anderen erneut, diesmal gieriger. Als er den anderen aus dem Kuss entließ, stieg er ihm vom Schoß. "Lass uns aufbrechen."

Sie organisierten sich, bald stiegen sie auf die Pferde und ritten los. Kieran freute sich über die zwei Tage, in denen Nico ganz ihm gehörte, die sie nutzen würden, um das Band zu festigen, das sie umgab. Mehr und mehr wurde ihm bewusst, wie unfassbar er den anderen Mann liebte und wie erstaunlich das war, bedachte man, dass sie eigentlich kaum etwas voneinander wussten, sich erst so kurz kannten. Aber so war es eben. Und Kieran genoss dieses Gefühl.
 

Dominico

Gemeinsam mit Kieran ging er selbst in die Küche hinunter, um sich Proviant mitgeben zu lassen. Käse, frisches Brot und Schinken, ein bisschen Beeren und Karotten und Saisongemüse. Außerdem ein paar Kleidungsstücke zum Wechseln. Wasser würden sie dort aus einem Brunnen hinaufpumpen können, doch Wein gab es nicht und so nahm Nico noch ein paar Schläuche Würzwein mit. Die Pferde, die sie schon von Portsmouth hier her getragen hatten, durften jetzt ausruhen. Sie bekamen frische Pferde, die bereits gesattelt waren, als Nico und Kieran gemeinsam auf den Hof traten, um loszureiten. Ihr Weg würde sie über die angrenzenden Länderein führen, bis an ein nahegelegenes Waldstück. Dort lag eine traumhaft schöne Hütte mit gerademal zwei Zimmern. Eine Latrine gab es an der Außenwand, nur ein kleiner Verschlag aber ausreichend. Unter einem Vordach gab es eine Waschmöglichkeit und eine Sommerküche, drinnen einen Raum mit einem Kamin, der als Aufenthaltsraum gedacht war und ein Schlafzimmer. Für die Pferde gab es einen kleinen Unterstand und Heu, das würde für die nächsten Tage reichen. Sie erreichten den Ort gegen Abend, als es bereits dunkel wurde und auch wenn Nico eigentlich nicht besonders kitschig veranlagt war, es hatte etwas verdammt romantisches an sich.
 

Alessandro

An Romantik dachte Alessio eigentlich nicht wirklich. War er neidisch? Definitiv ja. In Italien hatte er Cecile gehabt, und Giulia, Nicos Frau... aber das war auch nur heimlich gewesen. Hier? Hatte er niemanden. Warum hatte ausgerechnet sein verheirateter Bruder immer das Glück mit den Männern? Er sehnte sich nach Nähe, nach soetwas wie Zärtlichkeit, zumindest ab und an. Nach nebeneinander Aufwachen.. aber er bekam es nicht, nicht hier in London und wahrscheinlich nie.

Er stand noch immer im Wintergarten und blickte auf die leere Straße hinaus, als Amadeo an ihn heran trat. Alessandro trug noch immer kein Hemd, fröstelte inzwischen aber leicht. "Rodrego ist hier. Er will die Pferde beschlagen, die Dominico von der Reise mitgebracht hat. Gehst du ihm helfen, oder soll ich?" Alessio blinzelte und atmete kurz darauf tief durch. "Ich gehe schon. Ich denke ein wenig Arbeit kann mir auch nicht schaden." Und damit ging er hinaus, verzichtete erneut auf das Hemd. Eisen aufbrennen würde stinken und er musste nicht noch mehr Hemden ruinieren. Rod hatte die Schmiede bereits angeheizt, als Alessandro eintraf.

London 2 - Gespräch in der Stallgasse

Erinnerungen I
 

Rodrego


 

Sehr geehrter Mr. Fernale,
 

Ich bedaure, dass ich mich nicht schon viel früher an Euch gewandt habe. Aber die Ereignisse vor fünf Jahren bedrohten auch meine Existenz und ich fürchtete damals um mein Leben. Mit diesem Brief gehe ich wieder das Risiko ein, meinem Leben ein Ende zu setzen, aber Euer Schicksal hat mich nie losgelassen und mittlerweile weiß ich, dass ich nie zur Ruhe kommen werde, solange Ihr nicht die Wahrheit erfahrt, warum Eure Familie von so großer Grausamkeit heimgesucht worden ist.

Aus Angst, versteht das bitte, werde ich nicht selbst schreiben, was geschehen ist, und ich kann es auch nicht ohne Gegenleistung tun.

Ich werde euch die Möglichkeit geben, selbst die Schlüsse zu ziehen, die euch die Mörder eurer Familie offenbaren. Wenn Ihr das wünscht, so bitte ich Euch dafür zu sorgen, dass der Kardinal Sforza am Samstagmittag verspätet in London eintreffen möge.

Ich werde das als Zeichen für Euren Wunsch nach Wissen sehen.

Egal wie Ihr euch entscheidet, bitte verbrennt diesen Brief, wenn Ihr ihn gelesen habt.
 

Hochachtungsvoll

Ein Freund
 

Vor drei Tagen hatte er diesen Brief gefunden. Er hatte ihn am Grab seiner Schwester gefunden, ein Grab, das niemand kannte, weil er es niemandem gezeigt hatte, wo er sie vergraben hatte, nachdem man ihr ein christliches Begräbnis versagt hatte. Er hatte sie unter einer schönen Linde auf dem Anwesen der Sforzas gebettet, genau wie seinen Vater, den er vom Galgen geschnitten hatte, bevor die Raben ihm seine Augen auspicken konnten.

Seitdem er den Brief gefunden hatte, war er vollkommen durch den Wind. Er wusste nicht, was er davon halten sollte. War das ehrlich? Wer schrieb ihm? Welche Gegenleistung? Warum kümmerte es den Schreiber wirklich?

Und was ihn noch mehr bewegte: wollte er die Antworten auf die vielen Fragen, die ihn seit fünf Jahren quälten? Was würde das bewirken? Was würde es ändern?

Er wusste es nicht. Er wusste nicht, ob er es wollte, wusste nicht, ob er sich darauf einlassen sollte, wusste nicht, ob er die Antworten verkraftete, wie er darauf reagieren würde...

Aber immerhin war es das erste Indiz dafür, dass mehr hinter den Morden an seiner Familie stand, als nur der Verdacht, dass sein Vater ein Spion oder sonstiger Gegner des Königs gewesen war, wie ihm vorgeworfen worden war.

Und das war es doch immer gewesen, was er gewollt hatte: die Wahrheit über die Unschuld seiner Familie.
 

Als an diesem Morgen ein Bote am Königshof eintraf, dass der Tross aus Spanien auf dem Weg nach London war und im Laufe des Tages zurückkehren würde, war Rod irgendwie erleichtert gewesen. Endlich würde er Nico sehen können und mit ihm reden können. Vielleicht nicht konkret über den Brief, eher allgemeiner... Aber Nico hatte ihm gefehlt in den letzten Tagen.

Da der König ohnehin nicht da war, beschloss Rod kurzfristig, sich erst um Nicos Pferde zu kümmern. Seit der Nacht in Cambridge hatten sie wenig Zeit gehabt. Zumal er mitbekommen hatte, dass Nico ein paar Nächte später 'Besuch' gehabt hatte. Er selbst war recht eingespannt gewesen damals, weil einige Pferde Koliken bekommen hatten. Als er eben an jenem Abend zum Anwesen gekommen war, hatte er das mitbekommen. Seitdem hatte Nico teilweise so fahrig gewirkt, so als sei er mit seinen Gedanken bei jemand anderem. Rod vermisste ihn manchmal, nicht als Lebens- oder Sexpartner, sondern als Freund, und seit drei Tagen besonders.
 

Als er am Anwesen eintraf, herrschte relative Ruhe. Offenbar war der Tross bereits länger wieder zurück. Rod schickte sich an, die Schmiede herzurichten. Während er den Zustand der Hufe kontrollierte und nachsah, welche Pferde einen Beschlag brauchten, heizte der Ofen bereits vor. Der Stalljunge betätigte den Blasebalg, um die nötige Hitze zu erlangen und schließlich suchte Rod die passenden Eisen aus. Ein paar Pferde kannte er noch nicht: eine Stute und ein paar Pferde, die Nico sicher aus Spanien mitgebracht hatte.

Die Arbeit tat ihm gut, dabei konnte er sich wenigstens ablenken. Schließlich schickte er den Stalljungen nach jemandem, der ihm aufhalten konnte. Er hoffte auf Nico, aber ansonsten würde er ihn später aufsuchen.

Als jemand eintrat blickte Rodrego kurz auf, erkannte erst gar nicht, wer da gekommen war, und senkte daher den Blick wieder, um zu beenden, was er gerade angefangen hatte. Doch im gleichen Moment blickte er erstaunt wieder auf, als ihm klar wurde, wer da gekommen war. Er lächelte unwillkürlich und stand auf, trat auf den anderen zu. "Alessandro, mio caro!", begrüßte er den anderen. "Du siehst verdammt gut aus, so... verwildert." Er grinste breit. "Italien scheint dir gut getan zu haben. Du glaubst nicht, wie sehr ich dich beneide." Er war an ihn herangetreten und lächelte ihn an. Seit dem Vorfall damals in Cambridge hatten sie sich kaum gesehen. Und es nagte noch immer an ihm, wie er ihn behandelt hatte. Er hob die Hand und strich Alessio eine Haarsträhne nach hinten. Alessio sah genau so aus, wie er ihn von seiner Jugend her kannte, natürlich attraktiv - nicht in eine Kutte gepresst. Und Rod war dadurch etwas verwirrt. Lange hatte er ihn nicht mehr so gesehen... "Du siehst wirklich gut aus", sagte er leise, dann drehte er sich zu der Stute, die er aus der Box geholt hatte. "Schön, dass du mir helfen möchtest. Sag, seit wann hält dein Bruder eigentlich Stuten hier im Stall?" Meist standen diese doch auf den Weiden, außer sie waren kurz vor der Geburt. "Ist Nico auch da?", fragte er dann noch, weil er bisher noch nichts von ihm gehört und gesehen hatte.
 

Alessandro

Als der Kardinal in den Stall kam, schlug ihm bereits die angenehme Wärme der Schmiede entgegen, die von dem Jungen noch immer auf Temperatur gebracht wurde. Niamh stand bereits in der Boxengasse und schien darauf zu warten, dass man ihr die Hufe sauber ausschnitt. Es war immer gut, wenn das direkt nach einer so langen Reise erledigt wurde, denn vom Horn war einiges abgesprungen und abgeplatzt.

Weil er so legere angezogen war, erkannte ihn wohl auch Rodrego auf den ersten Blick nicht und Alessandro war nicht unbedingt böse darum. So hatte er ein wenig mehr Zeit ihn anzusehen, wie er dort kniete und die meisten überstehenden Ränder bereits abschnitt. Rod machte seine Arbeit immer sehr pflichtbewusst, doch obwohl sein Haus gar nicht so weit entfernt war und noch auf ihrem Land lag, hatte Alessandro ihn in letzter Zeit wirklich selten gesehen. Einerseits lag es daran, dass er sich selbst keine Zeit nahm, andererseits hatten sie beide wohl viel zu tun gehabt. Während er näher kam und sich über den nackten Oberarm fuhr, musterte er den Schmied, der ihm halb den Rücken zugewandt hatte. Noch so etwas, was sein Bruder bekommen hatte und er nicht.

Rods breite Schultern hatten ihn schon immer dazu eingeladen, mit den Händen darüber zu streichen, sanft die verspannten Muskeln zu massieren.. nun. Er hätte es gern getan...

In Italien waren sie sich alle drein sehr nahe gewesen, waren ein eingeschworenes Team gewesen. Wobei schon damals es ihm schien, dass Nico ein anderes Verhältnis zu Rod hatte, als er. Was zu Beginn früher einmal der Neid auf seinen Bruder gewesen war, war bald wirklich zu einer kleinen Schwärmerei seinerseits ausgeartet. Er hätte gerne mehr von Rodrego gehabt... Doch weil Alessio die Kutte gewählt hatte, war die Kluft zwischen ihnen beiden größer geworden und Alessio war leider nie der Mann geworden, dem Rod sich hatte anvertrauen wollen... sehr zu Alessandros Bedauern. Als sie später etwas gemeinsam unternommen hatten, waren sie zu dritt gewesen und irgendwann hatte Alessio einfach resigniert. Er wollte nicht in die Fußstapfen seines Bruders treten, das erschien ihm falsch, und Rod hatte kaum Interesse an ihm, zumindest empfand Alessio es so. Es schien fast so, als würde er ihn meiden, ihm aus dem Weg gehen. Besonders seit vor fünf Jahren Rod alles verloren hatte - auch durch die Kirche. Aber sich jetzt darüber Gedanken zu machen, hatte ohnehin keinen Sinn...
 

Als Rod ihn jetzt doch erkannte und so freudestrahlend auf ihn zukam, musste Alessio unwillkürlich lächeln und begrüßte ihn ebenso überschwänglich - dennoch: das was Rod ihm in Cambridge gezeigt hatte, was er getan hatte, das saß noch immer tief. Und so wäre er beinahe weggezuckt, als Rodrego Hand an seine Wange legte, weil er ihm eine Strähne hinters Ohr strich. Dann war der Moment vorbei, und Alessio zuckte die Schultern. "Er hält sie nicht wirklich, sie gehört nicht ihm. Das ist die Stute seines... Liebhabers." Er hatte eine Weile das richtige Wort suchen müssen und war auch jetzt nicht mit seiner Wahl zufrieden. "Ich weiß nicht genau, ob man ihn so bezeichnen kann. Lange Geschichte im Grunde... er hatte schon eine Weile nur noch Augen für ihn. Jetzt in Spanien hatten sie wohl Zeit, ein wenig ungestört zu sein, und als er vor einigen Stunden wieder kam, da waren sie beide der festen Überzeugung, eine längere Beziehung hier auf die Reihe zu bekommen." Alessio strich Niamh sanft über den Hals und tätschelte ihre Schulter. "Ich habe keine Ahnung, ob dem so ist, aber sie wirkten sehr glücklich. Und hier ist er nicht mehr, sie haben den Hof vor knapp einer Stunde verlassen, um zu der Hütte am Wald zu reiten. Ich glaube auch nicht, dass sie da in den nächsten Tagen wirklich rauskommen."

Rod kannte die Hütte, sie waren alle schon ab und an dort gewesen, ein jeder von ihnen mit einer anderen Begleitung. "Also wollen wir beginnen? Italien hat mir tatsächlich Kraft und Tatendrang zurückgegeben und wenn man mir es ansieht - um so besser. Aber du siehst auch aus, als wäre die Arbeit nicht liegen geblieben. Was macht dein Rücken?"
 

Rodrego

Rod hob etwas überrascht und mindestens genauso überrumpelt die Augenbrauen. „So, so…“, sagte er etwas atemlos. „Ein fester Partner? Wow.“ Rod wusste nicht so recht, was er sagen sollte, er war etwas aus der Spur, bei dieser Information. Er hatte ja eigentlich wirklich dringend mit ihm sprechen wollen. Aber jetzt war er wieder unerreichbar. Seine Gedanken wirbelten durcheinander. Doch er versuchte sich nichts anmerken zu lassen. „Das glaube ich auch nicht“, er lachte, aber es klang wohl nicht sehr echt. Rod ging zu Niamh und stich ihr über den Hals. Dann hatte Nico also einen festen Partner. Es freute ihn eigentlich, aber gerade im Moment hätte er ihn gerne hier gewusst. Erst jetzt merkte er so richtig, wie sehr er mit Dominico hatte reden wollen, obwohl er beim Herkommen noch unschlüssig gewesen war. Doch jetzt, da Nico nicht verfügbar war, riss ihm das irgendwie wieder den Boden unter den Füßen weg. Was sollte er jetzt tun? Wie sollte er sich verhalten? Es war…

Erst jetzt merkte er, dass Alessio weitegesprochen hatte und er realisierte nur langsam was jener gesagt hatte. „Ja, lass uns anfangen…“, murmelte er und schüttelte den Kopf, um die Gedanken wegzuschütteln und sah den anderen an. „Man sieht es dir wirklich an“, stimmte er mit einem Lächeln zu. „Du hast mich vorhin an damals erinnert, als wir Fossano unterwegs waren. Erinnerst du dich?“ Er grinste bei dieser Erinnerung und sie tat ihm unheimlich gut. „Wie wir unsere ‚Männlichkeit’ gefeiert haben, indem wir das Wochenende völlig eins draufgemacht haben?“ Sie waren gemeinsam losgezogen. Sie waren jung gewesen, hatte noch nicht das Diktat ihres Werdegangs erhalten und das Wochenende einfach nur gefeiert, getrunken und die Sau rausgelassen. Es war das schönste Wochenende gewesen, das letzte schöne, bevor sie die Realität eingeholt hatte und Alessio zur Kirche, Nico zum Dienst an die Waffe verdonnert wurde und er noch Hoffnungen gehabt hatte, irgendwann nicht mehr nur als Schmied sein Geld zu verdienen. Sie waren unbeschwert gewesen und frei, zumindest im Schein.

„Mein Rücken? Das ist momentan das geringste Problem“, er seufzte. „Die letzte Zeit war anstrengend gewesen. Mein Rücken meldet sich regelmäßig. Aber ich war in letzter Zeit öfters bei Tan. Kennst du ihn?“ Er war ein Asiate, der als Leibeigener am Hofe war. Er war ein Künstler, wenn es darum ging, Muskeln zu entspannen und Knochen wieder in Position zu bringen. Tatsächlich hatte jener ihn des Öfteren durchgeknetet und ihn auch wieder eingerenkt. Dann tat es immer einen Knacks und die Knochen waren wieder an Ort und Stelle und man fühlte sich großartig. „Er hat mir recht geholfen.“ Tan war zudem nicht nur ein guter Masseur, er war auch was man so sagte: die Frau im Männerkörper. Und er hatte Glück, so exotisch zu sein, denn man ging davon aus, dass einfach alle asiatischen Männer so waren. Dass er auf Männer stand, verbarg er gekonnt.

„Lass uns anfangen“, sagte er noch einmal und holte das passende Eisen heraus. Alessio hatte angehoben und Rod brannte es kurz auf, zog es wieder herunter, um zu sehen, wie es passte. Dann ging er zum Amboss und passte es an, testete noch einmal und tauchte es dann in den Wassereimer, um es erkalten zu lassen.
 

Alessandro

Der am Hof gut geschulte Kardinal merkte beinahe sofort, dass es nicht nur ihn selbst überrascht hatte, Nico so plötzlich so viel Emotion versprühen zu sehen. Es passte einfach nicht wirklich zu seinem Bruder, zumal er eigentlich immer mit ihm redete. Offensichtlich hatte Dominico entweder bis Spanien nicht gewusst, was er mit Kieran anzufangen hatte, oder er hatte es wirklich vor ihnen beiden verheimlicht, denn Rod schien genau so wenig zu wissen wie er. Es gab ihm ein gewisses Gefühl der Genugtuung, auch wenn das sicher unangebracht war.

Nach dem Rod den Hof der Stute ausgeschnitten hatte und mit dem glühenden Eisen kam, drehte Alessio den Kopf leicht zur Seite um den beißenden Qualm nicht direkt einatmen zu müssen. "Ja, ich kenne Tan. Wer kennt ihn nicht? Jeder, der bisher mal auf einem Bankett des Königs war, kennt ihn. Die Frauen schwärmen in den höchsten Tönen von seinen akrobatischen Leistungen... ich glaube einige von ihnen würden ihn gerne mal in ihrem Schlafzimmer begrüßen, aber daraus wird wohl nichts." Denn auch Alessio hatte durchaus gesehen, wie Tan zum Beispiel den König ansah - nicht unbedingt die anwesenden Damen. Aber wegen seiner asiatischen Herkunft verzieh man ihm diese Eigenart wohl tatsächlich. "Er soll in diesem Fall tatsächlich der Beste sein. Ich glaube ich habe mich gestern beim Training auch übernommen, aber ein heißer Zuber heute Abend wird die Sache wohl wieder richten." Alessio war da recht praktisch veranlagt, außerdem halfen warme Umschläge oder durchblutungsfördernde Salben auch immer gut gegen diese Schmerzen. Er ließ den Huf der Stute wieder absinken und lehnte sich ein wenig gegen sie während Rod das Eisen bearbeitete. Seine Augen verfolgten das Spiel der Muskeln an Rods Schultern, als der mit dem Hammer auf das Eisen schlug.
 

Das erste Pferd war schnell erledigt, doch mit jedem weiteren Tier wurde es wärmer. Irgendwann rann Rod der Schweiß über den Rücken und auch Alessandro schwitzte, auch wenn seine Arbeit bei weitem nicht so anstrengend war. Um schneller voran zu kommen, schnitt Alessandro die Hufe teilweise schon selbst vor, einfach weil sie sich dann besser zuarbeiten konnten. Dennoch war das letzte Pferd erst in der Box, als die Sonne bereits untergegangen war und der Hof von Fackeln erleuchtet wurde. Alessandro trat in die laue Nacht hinaus und ließ den Schweiß auf seinem Körper trocknen, genoss das Gefühl zur Ruhe zu kommen, langsam aber sicher.

Einer der Hausdiener hatte ihnen Wein gebracht und Alessio setzte den Becher an und trank ein paar große Schlucke. Es war nicht gut, mit Rod zu arbeiten, wenn sie allein waren, vor allem nicht dann, wenn er ihn noch an alte Zeiten erinnerte. Alte Zeiten... wenn Alessandro ihn so halb nackt und verschwitzt arbeiten sah, dann dachte er durchaus an alte Zeiten, in denen er Rod sich nicht nur als Freund hätte vorstellen können. Und das Gefühl zumindest diesen Körper einmal zu fühlen, wurde präsenter denn je, wenn Alessio sich nicht ablenkte. Wie eine Süßigkeit, die man begehrte, aber nie bekam. Rod trat neben ihn und Alessandro hielt ihm den zweiten Becher hin. "Alte Zeiten, ja. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern. Wie lange ist es schon her, dass wir das letzte Mal zusammen gefeiert haben? Vielleicht sollten wir das einfach mal nachholen und dir schadet ein heißer Zuber sicher auch nicht. Wir sollten den verdienten Feierabend begießen und vielleicht noch eine Kleinigkeit essen, was hälst du davon?" Es war sicher alles andere als klug, mit seinen Gedanken im Hinterkopf mit einem noch viel nackteren Rod in den Zuber zu steigen, aber gerade erschien es ihm logisch. Und wenn er sich nur schnell genug betrank, dann würde er einfach ins Bett wanken und schlafen. Das erschien ein guter und erstrebenswerter Plan, mit dem er vor allem diese Gedanken aus seinem Kopf töten konnte - für eine gewisse Zeit.
 

Rodrego

Rod lachte. „Nein, ich denke auch nicht, dass daraus ernsthaft etwas wird.“ Tan war quirlig, überdreht und einfach nur ein netter Kerl – die Frauen mochten ihn, weil er so unbedarft mit ihnen umging. Aber er stand definitiv auf Männer. „Und er ist wirklich gut“, stimmte Rod zu. Ein heißer Zuber – Rod lächelte, aber die Erinnerungen, die diese Worte mit sich brachten, waren auch nicht die angenehmsten. Er würde sich dafür noch entschuldigen müssen. Aber nicht jetzt, während sie Eisen auf die Hufe brannten und versuchten so wenig von dem beißenden Geruch wie möglich einzuatmen. Sie arbeiteten erstaunlich gut zusammen und Rod entspannte sich in Alessandros Anwesenheit zusehends. Er hatte beschlossen, die Geschichte, die der Brief in Erinnerung gebracht hatte, ruhen zu lassen. Er würde mit Nico reden, sobald es ihm möglich wäre, würde ihm den Brief zeigen, den er natürlich nicht verbrannt hatte. Und er würde mit ihm beschließen, was zu tun war. Ja, so würde er es machen. Und so arbeiteten sie gemeinsam, schweigend, in angenehmer Atmosphäre. Rod war Alessio dankbar dafür, dass er ihm half, und das Auftreten des anderen war seit langem das erste Mal wieder so, dass er sich wohl fühlte. Trug Alessio seine Robe, seine Ornate und diese ganze Staffage, kam er ihm immer so fremd, so weit weg und unnatürlich vor.

Die Arbeit war anstrengend, die lange Reise hatte die Hufe einiger stark beansprucht. Die jungen Pferde, die neu waren, rührte er für heute erst einmal gar nicht an. Er würde morgen sehen, wie gut sie bereits an den Umgang mit Menschen gewöhnt waren und inwiefern das Beschlagen bald möglich wäre. Als sie fertig waren, räumte er sein Werkzeug auf, schüttete über die Glut im Ofen Sand, damit die Glut bald erstickt sein würde und keine Gefahr mehr darstellte. Dann trat er hinaus in die kühlere Nacht und die frische, kühle Luft tat ungemein gut. Vielleicht sollte er sich jetzt für damals entschuldigen und so trat er zum anderen. Dieser hielt ihm einen Becher hin, den er nur zu gerne nahm und davon trank. Alessios Worte ließen ihn schmunzeln. „Ziemlich lang, mein Lieber“, seufzte er und haderte kurz mit sich. „Ich halte recht viel davon, ja, es würde mich freuen. Und Hunger habe ich definitiv genauso sehr, wie das Verlangen nach einem Bad.“ Er lächelte den anderen an. „Aber der Zuber bringt unangenehme Erinnerungen hoch. Ich wollte mich schon längst für diese Szene in Cambridge entschuldigen. Es war eine blöde Situation, an der du und Nico letztlich schuld gewesen seid. Aber ich hätte mich da nicht so reinziehen lassen sollen. Es tut mir leid.“ Er hatte damals mit dem Wissen gespielt, dass Alessandro ihn einmal begehrt hatte - und er den anderen ja auch... Aber Rod ging davon aus, dass Alessandro schon lange nicht mehr an ihn dachte, ihn schon längst vergessen hatte. Es war doch eigentlich schon lange her, seitdem sie sich so nahe gewesen wären, dass er manchmal an mehr als nur Freundschaft gedacht hatte. Vor allem seitdem er mit Nico zusammen gewesen war, kam es ihm so vor, als seien sie sich nicht mehr sehr nah gewesen - vielleicht hätte er es sich auch vorher nur eingebildet. Vorher waren sie alle drei sich sehr nahe gewesen. Doch Alessio war ihm immer fremder geworden, nachdem er zum Vatikan gegangen war. Zu oft hatte Rod das Gefühl gehabt, dass die Robe des Kardinals zwischen ihnen und ihrer Freundschaft stand. Er war damals auch in Rom gewesen, als seine Familie zerstört worden war. Und große Anteilnahme schien er nicht verspürt zu haben...
 

Aber an diesem Tag heute? Da fühlte es sich irgendwie wieder wie früher an. Wie sehr doch so blöde Kleidungsstücke einen Blickwinkel beeinflussen konnten. „Vergeben und vergessen?“, fragte er den anderen und sah ihn an, ihm den Becher Wein hinhaltend. „Oder sag mir, was ich machen kann, damit du mir das verzeihst.“ Selbst wenn Alessio sein Angebot nun doch noch zurückziehen würde, so würde er sich heute betrinken, hatte er sich soeben vorgenommen. Vielleicht würde ihm das helfen, doch wieder klarer zu sehen.
 

Alessandro

Das Anwesen hatte etwas wirklich Traumhaftes, wenn man es bei Nacht betrachtete, unter einem klaren Sternenhimmel. Ob sein Bruder den auch gerade sah? Vielleicht saß er mit Kieran in dem Zuber, draußen nahezu unter freiem Himmel.. und genoss die Nähe des jungen Arztes und die Ruhe. Alessandro hatte auch Ruhe, aber niemandem mit dem er sie wirklich teilen konnte. Zumindest nicht wie... nun, es biss sich die Katze in den Schwanz, wenn er weiterhin versuchte darüber nachzudenken. Der lauwarme Wein breitete sich angenehm in seinem Magen aus und erinnerte ihn daran, dass er dringend noch mal etwas essen musste, wenn er nicht schon nach dem ersten Becher in die Knie gehen wollte. Tatsächlich hatte auch er das Gefühl, dass ohne die rote Robe, die er sonst meistens trug, die Kluft zwischen ihnen weniger groß war, und doch war da immer noch ein fader Beigeschmack, wenn sie beide wohl an Zuber dachten.

Alessio hatte es eigentlich totignorieren wollen, wollte am liebsten nie wieder daran erinnert werden, doch Rod griff das Thema tatsächlich noch einmal auf, nachdem er zugestimmt hatte, mit ihm Baden zu gehen. Während er versuchte möglichst unbeteiligt auszusehen und seinen Blick zum Haupthaus hinüber schweifen ließ, zuckte Alessio mit den Schultern. Die Szene im Zuber hatte wirklich weitreichende Folgen für sie alle gehabt und Alessandro hätte vielleicht... ja, was hätte er getan, wenn Nico und Rod ihn nicht so provoziert hätten?

Wenn sie nur zu zweit in diesem Zuber gesessen hätten, bei Wein und ein paar Happen? Vielleicht hätte er Fin ausgeladen. Vielleicht wäre ihm ihre Freundschaft wichtiger gewesen. Dann wäre Fin noch am Leben.. aber Anne Boleyn vielleicht tot. Henry vielleicht tot? Wer konnte das schon wissen. Vielleicht wären dann all die Frauen und Männer noch am Leben, doch Rod mit in das hinein zu ziehen was seine eigene Schuld gewesen war? Das war weder fair noch richtig. So seufzte er nur und zuckte mit den Schultern. "Du hast mir Zweifelsohne ziemlich die Laune verhagelt an diesem Abend. Aber es hat geholfen... ich hatte keine besonders große Lust mehr auf mein "Spielzeug", wie du es so treffend beschrieben hast.. letztlich hat es dazu geführt, dass ich ihn wohl zu hart angegangen bin und dabei ein paar Worte gefallen sind, die vielleicht dem König das Leben gerettet haben. Du hast es sicher mitbekommen." Es gab kaum jemanden, der es NICHT mitbekommen hatte, dass einige Rebellen ihr Leben gelassen hatten. "Wir sind denke ich, einfach aus dem Alter heraus, solche dämlichen Wetten abzuschließen. Und da ich selbst nicht unschuldig an der Situation war ,ist es vergessen.. aber es gibt wirklich etwas, das mir dabei helfen würde, dir zu verzeihen." Er schmunzelte leicht, während er sich in Bewegung setzte, um zum Haus hinüber zu gehen. "Ich mache mir Sorgen um meinen Bruder. Kieran ist... wirklich ein netter Kerl. Er ist klug und er weiß, welchen Stand Nico inne hat. Er sorgt sich darum, nicht entdeckt zu werden.. und dennoch habe ich ein ungutes Gefühl bei dieser Sache. Vielleicht, weil ich es nicht kontrollieren kann. Oder vielleicht gerade, weil ich es könnte aber nicht will? Ich als sein Bruder könnte ihm bestimmt ein schlechtes Gewissen einreden, aber ich möchte ihm nicht im Weg stehen, wenn ich ihn doch endlich mal wieder glücklich sehe. Dann ist es wenigstens einer von uns." Er leerte den Becher und gab ihn an der Haustür einem der Diener, die sie bereits in Empfang nahmen. "Mylord, wir dachten ein Bad im Wintergarten könnte Euch gefallen in dieser schönen Nacht. Wenn Ihr nicht damit einverstanden seid, so lassen wir den anderen Zuber sofort füllen." Alessio schürzte kurz die Lippen und schüttelte dann den Kopf. "Nein, ich denke ein wenig hinaussehen und die Nachtluft genießen wird nicht schaden." Und das tat es tatsächlich nicht.
 

Rodrego

Rod merkte deutlich, dass der Vorfall damals in Cambridge dem anderen noch immer nachging. Alessio konnte ihn nicht ansehen, zuckte nur mit den Schultern und schien mit sich zu hadern, bevor er ihm bestätigte, dass es ihm nahe gegangen war. Und Rod war froh zu hören, dass Alessio es vergessen wollte. Ja, diese Geschichte hatte einiges nach sich gezogen. Der blonde, selbstverliebte Fratz, der für seinen Geschmack auf unangenehme Weise selbstgefällig aufgetreten war, schien eine Art Spion gewesen zu sein. Das Ganze war aus dem Ruder gelaufen. Rod hatte die Männer, Frauen und Kinder hängen gesehen und einen Alessio daneben, der ihm so fremd vorkam, dass es ihn zutiefst erschreckt hatte. Lieber jetzt, wo der andere so zerbrechlich vor ihm stand, nicht daran denken. Denn genau das war es, was ihn immer mehr auf Abstand hatte gehen lassen. Diese schier zwigespaltene Persönlichkeit des anderen, bei der er oft nicht mehr wusste, welche die richtige war. "Es ist alles ein wenig eskaliert, denke ich", sagte er nur knapp.

Er nickte daraufhin und als der andere erklärte, er könne etwas für ihn tun, sah er ihn an und hörte den Ausführungen zu, während er dem anderen zum Haus folgte. Und die Worte, die nun folgten, freuten und verwunderten Rod in gleichem Maße. Alessio war ein Mann der Tat und besonders wenn es um seinen Bruder ging, zögerte er eigentlich nicht, zu handeln, wenn er sich Sorgen machte. Es freute ihn, zu hören, dass der Mann mit dem Nico nun liiert war, offenbar Nico glücklich machte. Und daher schmunzelte er, als er hörte, dass Alessio diesem sein Glück gönnte. Allerdings schwand das Schmunzeln, als er den letzten Satz hörte. Hm, da schien jemand melancholisch zu sein. Und ein wenig konnte er es verstehen. Rod wusste, wie schön es war, jemanden an seiner Seite zu wissen, jemanden, den man liebte, den man begehrte und der einen das auch zurückgab. Er wusste, dass Alessio sich eigentlich nahm, was er begehrte, aber echte Zuneigung konnte man eben nicht nehmen oder bezahlen. Es stimmte Rod ein wenig nachdenklich, dass das dem Kardinal doch mehr zusetzte, als er gedacht hätte. Das war ihm doch sicher bewusst gewesen, dass die Robe ihn einsam machte, oder? Aber es zu wissen und etwas zu 'leben' war ein Unterschied. Und Alessio war es nicht wirklich überlassen worden, was er mit seinem Leben anfing. Rod fragte sich, ob diese Kälte, die er in Cambridge wahrgenommen hatte, wohl einfach ein Schutzschild gewesen war.

Auch er leerte den Becher auf einen Zug und übergab ihn. Er sollte genau wie Alessio dringend etwas essen, bevor er weiter trank.

London 2 - gemeinsame Jugend, getrennte Wege

Alessandro

Der Raum war nur schwach erhellt, der Zuber dampfte und daneben stand Essen und Wein. Nachdem sie den beiden Männern noch Handtücher dagelassen hatten, entließ Alessio die Dienerschaft für diesen Abend und öffnete seine Hose, zog die Stiefel aus. "Es wäre mir ein Anliegen", griff er den Faden wieder auf, "wenn auch du ihn vielleicht ab und an nach Kieran fragen könntest. Ich will ihm damit nicht auf die Nerven gehen... ich möchte nur rechtzeitig da sein, wenn er in sein Unglück rennt." Oder eher: In unser Unglück.. doch das war Rod sicher selbst klar. "Ich denke, das ist nichts Unmögliches, was ich verlange - oder?" Seine Hose rutschte an ihm hinab und er schaffte es zumindest jetzt bei diesem ernsten Thema Rodrego nicht anzustarren. Er hatte ihn sehr sehr lange nicht mehr nackt gesehen - Camebridge einmal ausgenommen - und gerade Rods Statur faszinierte den Kardinal. Er war eigentlich niemand, der Männer anregend fand, die "männlicher" als er selbst waren, doch auch wenn Rod nicht größer war als er selbst, er war breiter und sein Körper von der Arbeit gezeichnet, die Alessio nur freiwillig verrichtete. Und dann erwischte er sich doch dabei, wie er Rods Bewegung mit den Augen folgte, die gerade dessen Wäsche von den Hüften schob. "Die Frauenwelt im Palast liegt dir sicher zu Füßen", witzelte er um die Situation etwas zu lösen und schenkte neuen Wein ein. Mehr Wein war DRINGEND notwendig, wenn das hier nicht zum Desaster werden sollte. Er hatte Rod gegenüber nie Andeutungen gemacht, dann brauchte er jetzt auch nicht damit anzufangen.
 

Rodrego

Dass ein Zuber im Wintergarten bereitgestellt worden war, freute Rod, der heute nicht nur dem eiskalten Brunnenwasser bei seinem Haus entging, sondern auch noch ein herrliches Ambiente bekommen würde. Er mischte sich aber in Alessandros Entscheidung nicht ein, folgte ihm dann umso freudiger in den Wintergarten.

Dort sprach Alessio nun zu Ende, äußerte seine Bitte, Nico immer mal wieder dahingehend zu interviewen, ob dieser sich verrannte, ein unnötiges Risiko einging oder sogar die Familie gefährdete. Rod zog ebenfalls die Stiefel aus, öffnete seine Hose, zog sie aus und legte sie über einen Stuhl, bevor er sich Alessandro zuwendete. Dieser war gerade dabei, sich zu entkleiden und Rods Blick glitt über den Körper, der dem seines Bruders ähnlich war, aber nicht identisch. Es wäre sicher einmal interessant auch diesen Körper unter seinen Fingern zu spüren. Früher hatte er genau das begehrt. Und Nico hatte ihm versöhnt, als ihm klar wurde, dass Alessandro unerreichbar für ihn geworden war. Und jetzt? Es war seltsam, wie diese Gefühle von damals offensichtlich ganz und gar nicht weg waren... Er schob den Gedanken beiseite. "Nein", antwortete er lächelnd. "Das ist nichts Unmögliches. Ganz im Gegenteil. Ich freue mich, dass Nico Glück hatte und glücklich ist. Aber ich verstehe deine Sorge und teile sie. Wenn er wieder da ist, muss ich ohnehin mit ihm reden. Dann spreche ich ihn auch drauf an und werde es weiter verfolgen." Er zog nun auch die Unterhose aus und als er Alessandros Kommentar hörte, lachte er leicht. "Wenn ich ehrlich bin, sind die mir momentan vollkommene egal, auch wenn einige tatsächlich oft anklopfen. Ich hab andere Sorgen, als mir einen Bastard andrehen zu lassen und eine Familie möchte ich nicht." Er zuckte mit den Schultern. In der Tat war er begehrt. Aber in letzter Zeit, war er immer seltener drauf eingegangen. Tan war da eine willkommene Abwechslung gewesen. Allerdings war die Leere der letzten Tage drückend gewesen. Er trat an den anderen heran, nahm zwei Trauben beim Vorbeigehen und hielt eine davon Alessandro vor den Mund, während er die andere sich in den Mund schob. "Ehrlich gesagt reizen mich Frauen momentan eher weniger", gab er dann zu und nahm Alessio den Becher Wein ab, den dieser sich eingeschenkt hatte, um daraus zu trinken. Dann wand er sich ab und stieg in den Zuber. Dass Wasser war angenehm. Er ließ sich hineingleiten und tauchte kurz unter, den Becher über Wasser haltend. Dann strich er sich mit der freien Hand die Haare aus der Stirn und lehnte sich an den Zuberrand. "Und bei dir? Was machen die Männer und Frauen?" Vielleicht hatte der andere Bedarf zu reden, auch wenn er eigentlich nicht der rechte Ansprechpartner war, wie er glaubte. Aber Alessio würde nicht reden, wenn er nicht wollte. Und ihn würde es weiter ablenken, nicht an diesen elenden Brief zu denken.
 

Alessandro

Beobachtet zu werden, wie er sich auszog, war seltsam, doch Rod starrte nicht, sondern schien einfach so nach ihm zu schauen. Seine Hose rutschte von seinen Hüften und er stieg hinaus, schob die Wäsche hinterher, ehe er zum Wein griff. Besonders viel hatte er nicht von dem Becher, den er sich vollgeschenkt hatte - Rod nahm ihm den Becher auf dem Weg zum Zuber ab. Gerade als er mucken wollte, hielt Rod ihm die Traube vor die Lippen und Alessio öffnete den Mund, um sie zu essen. Gefüttert werden fühlte sich seltsam an, aber nicht unbedingt schlecht. Alessandro griff nach einem zweiten Becher und füllte ihn ebenfalls, ehe er nach einer Scheibe Brot und einem Stück Schinken angelte, den er sich in den Mund schob, ehe er Rod in den Zuber folgte und zufrieden kaute. Er hatte verdammten Hunger.

Der Wein, mit dem er das erste heruntergeschlungene Stück Brot wegspülte, stieg ihm im heißen Wasser schnell zu Kopf, doch Alessio genoss dieses Gefühl beinahe, ehe er auch untertauchte und sich das lange Haar nach hinten strich. Seine dicken Locken waren nicht ganz durch und durch nass geworden und so perlte noch Wasser daran entlang, als sich Alessio auf die Bank setzte und nach hinten lehnte, um Rod zuzuhören. Dass ihr gemeinsamer Jugendfreund ihm helfen würde, ein Auge auf Nico zu haben, beruhigte Alessandro durchaus. Er fühlte sich verantwortlich für die Familie und den Teil davon, der in London lebte. Das schloss auch ihre Dienerschaft mit ein, sie waren ein eingeschworenes Team und daran sollte sich auch nichts ändern. "Gut, dann werde ich dir die Sache von Cambridge wohl auch verzeihen können", schloss er dieses Thema ab, ehe sie zu weitaus leichteren und angenehmeren Themen übergingen. Frauen und Sex war etwas Bestimmendes in einer Gesellschaft, die andere Freuden kaum kannte und viel zu viel Zeit hatte, sich genau damit zu beschäftigen.

Gut, viel ZEIT hatte Rod eigentlich nie, er war immer früh morgens auf den Beinen, um zu arbeiten, und es gab nur selten Tage, in denen er Ruhe hatte. Oft musste er auch mit dem König reisen, wenn der länger unterwegs war, doch da Henry diesesmal allein gegangen war, hatte sogar Rodrego soetwas wie Urlaub. Frauen reizen mich eher weniger - nun, das war keine wirkliche Neuigkeit. Allerdings war Rodrego wie auch Alessio und Nico nie ein Kind von Traurigkeit gewesen, deshalb verstanden sie sich auch so gut. Alessio grinste amüsiert. "Sie sind auch furchtbar nervtötend, oder? Nach Italien kommen mir die Engländerinnen schrecklich fad vor...", sinnierte er, während er sich erneut Brot in den Mund schob. Es war mit Olivenöl und Kräutern getränkt und schmeckte einfach nur hervorragend. Während er kaute, überlegte er, was er Rod erzählen konnte von seinen "Männern und Frauen", entschied sich dann dafür einfach zu erzählen, was gewesen war. Er musste kein großes Geheimnis daraus machen, oder?

"Ich werde wohl Vater...," gab er amüsiert zu. "Du kennst doch sicher noch Lady Cecile. Sie hat vor einigen Monaten meinen Cousin in Rom geheiratet. Mit Giulia verbringt sie die meiste Zeit in der Stadt während mein Cousin - unser Cousin oft außerhalb unterwegs ist. Nach ihrer Hochzeit haben sie wohl eine Woche im Landsitz der Familie verbracht und angeblich ist das Kind dort entstanden, doch Cecile schwört darauf, schon auf der Überfahrt schwanger gewesen zu sein. Naja, nach dem unser Cousin auch meine Schwägerin tröstet, soll es mir egal sein." Immerhin konnte man ihnen nicht nachhalten, nicht zu "teilen". "Ansonsten gibt es nicht viel zu berichten, eigentlich gar nichts. Die Zeiten sind schwierig und ich lasse mich nicht in irgendein Bett ziehen, um zum Spielball einer Familie zu werden, nur weil ich der wohlbetuchten Tochter einen Bastard in die Wiege gelegt habe. Der Vatikan wäre stolz, wenn er wüsste, in welcher Abstinenz ich seit Cambridge lebe... bis auf diese Wochen in Italien jetzt", fügte er schnell hinzu. Er füllte seinen Becher erneut mit Wein und hielt ihn Rod hin, um darauf anzustoßen. "Auf alte Zeiten, mein Lieber..." Wieso war er nur so melancholisch? Sonst war er doch auch nicht so gefühlsduselig. Langsam streckte er die Beine aus und fuhr dabei mehr unabsichtlich als absichtlich an Rodregos ausgestreckten Schenkeln entlang. Rods Beine waren bemuskelt, doch da gaben sie sich vermutlich beide nichts, immerhin brauchte man die Beine nicht immer zum Schmieden, während Alessio viel ritt und daher eine recht gute Figur machte. "Wir sollten wirklich mal wieder durch die Gassen ziehen - in Italien meine ich. Wenn du das nächste Mal nach Hause reist, kommen wir einfach mit. Ich vermisse dieses Leben, du kannst dir kaum vorstellen, wie sehr. Nichtmal Kardinal bin ich wirklich, Wolsey reißt das alles an sich. Und selbst WENN... ich glaube gerade sollte man alles andere lieber sein als Kardinal." Er lachte trocken und hob den Becher, nachdem sie angestoßen hatten wieder an die Lippen. "Irgendwann werden sie mir das hoffentlich wieder abnehmen..." Auch wenn das nicht mehr als ein frommer Wunsch war.
 

Rodrego

Rod angelte nach einem Stück Brot, das er sich sogleich in den Mund schob, um noch nach etwas Käse und Salami zu angeln. Alessio ließ sich währenddessen ebenfalls in den Zuber gleiten. Er lächelte, als jener ihm nun endgültig zusagte, Cambridge der Vergangenheit zu lassen. Es beruhigte ihn. Er hatte sich damals mies gefühlt, hatte gemerkt, wie die Kluft zwischen ihnen immer weiter wurde. Und eigentlich war ihm Alessio einmal genauso wichtig gewesen, wie Nico - wenn nicht sogar noch mehr, anders irgendwie. Und das war wohl auch der Grund, warum es ihm jetzt gerade so gut ging. Dadurch, dass Alessio hier so natürlich wirkte, so wie er ihn gekannt hatte, schien es ihm ein wenig, als sei dazwischen nichts passiert, seit jener sich der Kirche verschrieben hatte. Und auch wenn das nur bedingt so stimmte, auch wenn es eine Illusion war, so genoss er sie für diesen Moment, weil er gerade einfach jemanden brauchte, um nicht allein zu sein. Wenn er alleine wäre, würde er wieder ins Grübeln kommen, und das musste er verhindern.

Rodrego lachte leicht, als Alessio die Frauen als ‚nervtötend‘ beschrieb. „Nun, sie sind einfach so anstrengend“, sagte er seine Meinung. „Sie suchen Sicherheiten und machen dafür die Beine breit, aber man muss ihnen diese Sicherheiten versprechen, bevor man wirklich zum Zuge kommt. Sie sind so verbindlich. Bei Männern ist es viel entspannter. Entweder man will Sex, oder eben nicht. Es nervt dieses Drumherum, was Frauen wollen. Bei Männern, kann man einfach viel direkter sein. Ich brauche dieses Getue nicht. Und ja, die italienischen Frauen sind leidenschaftlicher, wissen genau was sie wollen und daher auch wesentlich unkomplizierter als die englischen, definitiv.“ Er seufzte. Diese Damen kokettierten um ihn herum, aber dennoch erwarteten sie, dass man ihnen in irgendeiner Art und Weise den Hof machte. Es war wirklich ‚nervtötend‘.

Dann lauschte er den Worten des anderen. Als dieser damit begann, ihm zu erklären, dass er Vater wurde. Rod hob mit einer Mischung aus Überraschung und Anerkennung die Augenbrauen, lächelte dann aber. „Na, meinen herzlichsten Glückwunsch“, sagt er lächelnd und hob den Becher, um darauf zu trinken. Offenbar gefiel Alessio der Gedanke, einen Teil von sich auf dieser Welt hinterlassen zu können. Er selbst hatte dieses Bedürfnis gar nicht mehr. Aber schön, wenn es dem anderen gelungen war. Er nickte, auf die Frage, ob er Cecile kenne. „Sie war in Cambridge“, stellte er knapp fest und hörte dann weiter zu. Rod nahm noch etwas zu Essen und lauschte weiter den Ausführungen des anderen. Er nickte zu dessen Worten, was das Phänomen betraf, dass einige Familien ihre Töchter dazu missbrauchten, ihre Stellung zu erhöhen und auszubauen. Es war widerlich mit anzusehen, wie junge Frauen, kaum in ihrer Blüte schon gereift, dazu gezwungen wurden, sich Männern anzubiedern, die ihnen einen Namen verschaffen würden. Diese Kinder hatten keine Ahnung, aber sie gehorchten. Was sollten sie sonst tun? Ins Kloster gehen? Dazu entschlossen sich die wenigsten. Schließlich hatte man ja eine Libido und mit Gott verheiratet zu sein war nicht unbedingt befriedigend. Männliche Kirchenvertreter hatten es viel einfacher als die in einem Konvent lebenden Frauen.

Rod grinste, als Alessandro ihm erklärte, dass der Vatikan wohl stolz auf ihn wäre. Er hob ebenfalls den Becher und stieß mit dem anderen an. „Ja“, sagte er, „auf alte Zeiten.“ Ein wenig die aktuellen Dinge von sich zu schieben und freier zu atmen, würde ihm heute gut tun. Als Alessio an seinem Bein entlang streifte, war er kurz versucht, es wegzuziehen, aber wieso? Es störte ihn genauso wenig, wie vor dem anderen nackt zu sein. Sie waren erwachsene Männer, oder? Sie kannten ihre Körper von klein auf, hatten sich schon oft umarmt und berührt. Und irgendwie war es auch schön, Alessio einfach mal wieder ein wenig näher zu kommen.

Die nun folgenden Worte lösten gemischte Gefühle bei ihm aus. „Ja, das sollten wir wohl“, meinte er schließlich nachdenklich geworden. „Aber in Italien habe ich kein zu Haue mehr, genauso wenig, wie hier in England.“ Sein Kiefer presste sich aufeinander, während er diese Worte von sich gab und sich das eingestand. Er wusste das, schon lange, aber es auszusprechen war nun mal doch immer etwas anderes. „Ich bin froh, dass ich hier auf eurem Anwesen eine Art zu Hause gefunden habe.“ Er lächelte traurig und senkte den Blick. Aber er sollte jetzt nicht mehr ins Grübeln kommen. „Ich vermisse es auch oft, die Zeit, in der wir unbeschwerter einfach nur Freunde sein konnten ohne diese ganzen Verpflichtungen und den Differenzen, die die Zeit mit sich gebracht hat.“ Er lächelte den anderen an und trank einen Schluck Wein. Die Wärme, der Wein und das noch nicht sehr üppige Essen merkte er schon deutlich. „Ich kann mir vorstellen, dass es nicht so einfach ist, Kardinal zu sein, vor allem nicht jetzt, wo Henry die Kirche dafür verantwortlich macht, seine Hormone nicht im Griff zu haben“, sagte er dann ernst geworden. „Aber ich hatte immer den Eindruck, dass dir der Weg nach oben in der Kirche durchaus auch getaugt hat. Ich hatte nicht das Gefühl, dass du lange gezögert hast, dir deinen Weg frei zu räumen, um nun dort zu stehen, wo du stehst.“ Er meinte das nicht wertend. Er wusste auch, dass Alessios Eltern nichts anderes von ihrem Sohn erwartet hatten. „Ist es denn überhaupt möglich, einen solchen Posten in der Kirche wieder zu verlieren? Ich meine, als Kardinal könntest du ja auch irgendwann Papst werden, wenn du dazu gewählt werden würdest. Kann man irgendwann sagen, dass man in dieser Position wieder degradiert wird? Ich kann mir das kaum vorstellen.“
 

Alessandro

"Glaubst du das wirklich? Dann kennst du Mr. Carney tatsächlich noch nicht.. frag nicht, wechen Spießroutenlauf sich mein Bruder und er geliefert haben, bis sie endlich zum Sex kamen. Es gäbe ein wunderbares Material für ein Theaterstück. Henry würde Beifall klatschen, bis ihm die Finger bluten, und lachen, bis er keine Luft mehr bekommt. So einfach wie du es gerade darstellst, ist es zumindest bei den beiden auch nicht gewesen.. aber du hast sicher recht, dass es unter unseresgleichen wirklich leichter ist, was Sicherheiten angeht. Aber wundert es dich wirklich? Immerhin kann ein Mann kein Kind von dir bekommen, das der nächste als Bastard deklarieren wird. Sie müssen eben darauf achten, dass sie ihre Schäfchen schnell ins Trockene bringen. Dieses Problem haben wir Gott sei Dank nicht." Beinahe hätte er sich bekreuzigt, doch er unterdrückte den Impuls.

Dass Rod ihn zu seiner baldigen Vaterschaft beglückwünschte, brachte Alessandro ein wenig ins Grübeln. Sein Sohn war zwar sein Sohn und er konnte sogar seinen Werdegang sehen oder gar beeinflussen, aber mehr auch nicht - sein Sohn und doch nicht sein Sohn, es gefiel ihm nicht wirklich. Außerdem liebte er Cecile nicht, daher brachte es nicht viel, außer der Gewissheit, in dieser Welt etwas zurückzulassen. Doch ob es so klug war von sich selbst etwas zurücklassen zu wollen? Etwas von ihm? Er konnte sich an manchen Tagen selbst nicht leiden, wie sollte es dann anderen gehen? Nein, das Kind würde mit ihm einfach nichts zu tun haben und das würde auch das Beste so sein. Er würde ihn sehen, irgendwann in Italien und war schon jetzt froh, seinem Cousin ähnlich zu sehen. In ihrer Familie sah man sich in der männlichen Linie immer ziemlich ähnlich, dann konnte wenigstens niemand beanstanden, Ceciles Kind sei nicht von ihrem Ehemann.

Er prostete Rodrego zu und trank erneut, ließ sich neben dem leckeren Brot langsam aber sicher in die sanfte Schwammigkeit des Betrunkenseins sinken.

Es tat gut, dieser fernere Blick auf die Welt, in dem langsam aber sicher alles andere egal wurde. Zu Hause... das war so weit entfernt und es klang noch weiter, als Rod davon sprach. Alessio winkte fahrig ab. "England ist niemandem ein zu Hause. Und du weißt, dass du auch in Italien immer zu uns kommen kannst. Du bist wie ein Bruder für mich und von Dominico muss ich ja wohl kaum sprechen." //Und doch wäre ich gern mehr als nur ein Bruder für dich gewesen.// Rods warme Haut an seinem Bein fühlte sich gut an und er merkte erst, dass er mit seinem Fuß über Rods Bein tastete, als er das schon eine ganze Weile machte. Während er den Becher in der Hand drehte versuchte er den Fuß ruhig zu stellen, doch der wollte anscheinend weiter über Rods Bein tasten und so ließ er sich selbst einfach genau das tun. Wenn Rod es nicht wollte, konnte er das Bein wegziehen und dann konnte er sich immer noch entschuldigen. Die Antwort auf Rods Frage war viel wichtiger, denn sie rührte an etwas tief in Alessio, über das er eigentlich nicht sprach. Der Alkohol jedoch löste seine Zunge und auch das Gefühl, jetzt vielleicht mal dazu zu kommen mit Rod zu sprechen, ohne dass andere Ohren lauschten. "Henry würde einem Hund die Schuld geben, der auf Katharinas Türschwelle schläft, wenn es ihm nur helfen würde. Es wird nicht mehr lange gut gehen... der Papst hat dem nicht die notwendige Bedeutung beigemessen, die diese Sache verdient. Und nachdem er einmal abgelehnt hat, kann er jetzt kaum umschwenken... der Vatikan hat doch gar keine wirkliche Macht mehr, zumindest nicht offen auf der Bühne der Mächte." Er nippte erneut am Wein. "Frankreich und Spanien nebst aller italienischer Provinzen haben ein großes Interesse daran, die Hochzeit nicht scheiden zu lassen. Es geht kaum um Katharina oder Anne, noch weniger um den König - es geht um Geld und Einfluss. Wenn der Papst sich weiterhin weigert, die Ehe zu scheiden, wird Henry es auf eigene Faust tun und Anne einfach heiraten. Er wird Rom den Rücken kehren und damit zur Zielscheibe aller Staaten werden, die sich katholisch schimpfen. Ketzerei ist doch ein wunderbarer Grund für Krieg, das war er schon immer." Er merkte, dass er abschweifte und schüttelte den Kopf. "Wie auch immer, dann habe ich hier ohenhin nichts mehr zu melden. Noch weniger als ich jetzt schon zu sagen habe. Aber ich sollte mich nicht beschweren, dann rollt immerhin nur Wolseys Kopf und nicht meiner." Denn er hatte durchaus großen Respekt vor Henrys sprunghaften Entscheidungen. "So wie du über mich redest, klingt es wie ein skrupelloses Monster, aber vermutlich hast du Recht." Er strich sich durch die nassen Strähnen und brachte sie so in eine halbwegs sichtbare Ordnung. "Aber ganz ehrlich - Papst? In Rom auf einem Stuhl sitzen bis ich sterbe? Niemals. Ich bin nicht aus Glaube oder Überzeugung Kardinal geworden, ich bin Kardinal, weil meine Familie es so wollte und weil der Papst mich berufen hat, weil der Vatikan von den Ländereien meiner Familie lebt. Ich bin den Weg fokussiert gegangen und habe tatsächlich wenig Rücksicht genommen, aber doch nur, weil ich meine Familie stolz machen wollte... leider haben sie mir das Los nicht abgenommen. Aber irgendwann werde ich es selbst tun. Ich werde sagen, dass ich mich für den Dienst als Kardinal nicht mehr eigne, dass ich es nicht mehr will. Das ich Gott auf andere Weise dienen will... Bei den ganzen Sünden, die ich bisher begangen habe...", wieder strich Alessandros Fuß an Rods Bein entlang, "komme ich ohnehin in die Hölle."
 

Rodrego

"Ich vermute Kieran war das Gegenstück der Wette?" Er hatte gemerkt, dass Nico von ihm angetan gewesen war und wenn die beiden jetzt ein Paar waren, dann war der Weg dorthin nicht einfach. Aber wahrscheinlich vor allem wegen des Standesunterschiedes. "Ich kann mir vorstellen, dass die beiden es schwerer hatten, ja. Aber wenn du keinen Namen hast und in London in die entsprechenden Pubs gehst, dann findest du, was du suchst, ohne lange um den heißen Brei herumreden zu müssen und ohne dafür zu bezahlen." Er grinste leicht. "Und ja, dass wir Männer uns keine Kinder schenken, macht es einfacher, definitiv." Rod nahm noch etwas zu Essen, während Alessio ins Grübeln zu kommen schien. Der andere schien heute wirklich sehr nachdenklich zu sein. Aber mittlerweile war sich Rod sicher, dass der Grund Nico und Kieran war. Alessio fühlte sich wohl wirklich einsam, auch wenn ihn der Gedanke, Alessio könnte einsam sein, teilweise irritierte. Dass dem anderen jemand fehlte, der ihm Geborgenheit und ehrliche Zuneigung schenkte, damit hatte er nicht wirklich gerechnet. Der Kardinal wirkte so ergaben und unantastbar auf ihn. Doch jetzt erschien ihm Alessio mit einem Mal in einem ganz anderen Licht, er wirkte so zerbrechlich, dass es ihn irgendwie rührte.

Rod lächelte, als der andere ihm erklärte, dass er und Nico in Italien sein zu Hause waren. Ja, sie waren seine Familie. Aber er hatte auch einmal Eltern gehabt, die er geliebt hatte, eine Schwester, die ihm sehr nahe gestanden hatte. Und diese waren ihm genommen worden, ohne dass er sie hätte beschützen können. Und das konnte ihm leider niemand ersetzen. Rod trank den Wein aus und füllte den Becher erneut. Dass Alessandro begonnen hatte, seinen Fuß erkundend über sein Bein streichen zu lassen, ließ er ihn gewähren. Wieso sollten sie sich nicht ein wenig Nähe spenden? Vor allem wenn es Alessio ganz offensichtlich nicht wirklich besser ging, als ihm. Er wusste, dass ihre ungewohnte Zweisamkeit Mittel zum Zweck war, nicht noch melancholischer zu werden - für beide. Aber es war in Ordnung.

Interessiert lauschte er der Ausführungen des anderen hinsichtlich der Situation bei Hofe. Und es war eine wirklich differenzierte und kluge Einschätzung der Lage. Rod merkte, dass Alesssio gar nicht im Namen der Kirche sprach, sondern einfach nur als der, der er war. Und wieder tat es gut zu sehen, dass dieser Alessio noch ganz sein Alessio von früher sein konnte. Es war ein schöner Zufall, dass sie sich heute so unverhofft getroffen hatten. Vielleicht hatte er den anderen zu lange gemieden, vielleicht hätte er sich früher dafür interessieren sollen, wie es in Alessio wirklich aussieht, wer er wirklich war. Vielleicht lag es auch daran, dass er die Veränderung des andren so wahnsinnig erschreckend fand. Oder daran, dass er ihn zu gern gemocht hatte und ein wenig angefressen gewesen war, dass jener sich so gut in diesen Kirchen-Scheiß eingefügt hatte, dass ihm Rom wichtiger gewesen war, als er in den dunklen Stunden seines Lebens, in denen er ihn gebraucht hätte... "Nun in den deutschen Landen ist der Protestantismus auf dem Vormarsch. Luther gilt als Befreier des Volkes und dass man ihn für vogelfrei erklärt hat, ändert nichts an seiner Beliebtheit, sondern fördert nur noch mehr seine Bekanntheit. Womöglich wird Henry das aufgreifen. Er ist Mann genug, in dieser Hinsicht tätig zu werden. Aber wenn du mich fragst, wird er noch irgendwas finden, was eine Scheidung doch rechtfertigt. Auch wenn Katharina eine starke Frau ist, die ihm kaum einen Angriffspunkt bietet, so wird er etwas finden, was er heranziehen wird. Die Bibel ist dick und nie eindeutig zu lesen. Er wird eine Antwort finden, da bin ich mir sicher.“

Als der andere aufgriff, wie Rod ihn in gewisser Weise charakterisiert hat, war er überrascht aus dem Mund des anderen zu hören, dass er sich durchaus auch als skrupellos betitelte. Und was er nun hörte, bestätigte ihm das, was er immer gehofft hatte. Er lächelte unwillkürlich, als der andere so überzeugt davon klang, sich irgendwann einmal aus dem Joch der Robe zu befreien. Und als er schloss, lachte er leicht, schnappte sich den frechen Fuß des anderen und zog ihn zu sich, drehte sich leicht und legte ihn sich auf die Brust, so dass die Fußspitzen an seiner Schulter lagen. „Dein Fuß ist ganz schön frech, mein lieber Kardinal“, sagte er. Rod merkte, dass ihre Themen sie aus ihrer Melancholie nicht brachten. Eher im Gegenteil. Vielleicht sollten sie aufhören, über so ernste Themen zu reden. Seine Finger strichen das Schienbein des anderen entlang zu dessen Knie. Einen Moment folgten seine Augen seinen Fingern, dann sah er den anderen an. „Wenn der Tag gekommen ist, dass du die Robe loswirst, dann melde dich bei mir und wir werden die ganze Nacht durchfeiern. Ich vermisse meinen Alessio, der eine elendigen Heuchlerin noch den letzten Groschen gibt, weil er ihr abgekauft hat, nichts mehr zu essen zu haben.“ Es war jenes Wochenende gewesen. Das durchtriebene Luder hatte wohl alle drei auf sich rutschen lassen, aber Alessandro hatte sie dann auch noch den letzten Groschen abgeschwatzt. „Und wenn du in die Hölle kommst, dann komm ich mit.“
 

Alessandro

"Ja, das war er wohl. Frag mich nicht warum Nico so anhänglich geblieben ist, wo er doch eigentlich schon verloren hatte. Mir soll es egal sein." Eigentlich war es ihm nicht so egal, doch da es ihn in diesem Fall wirklich nichts anging, ließ er es dabei bewenden, dass Nico seine Entscheidung getroffen hatte. Er nahm sich noch einige Trauben, die er sich immer noch nachdenklich in den Mund schob, während er Rod beobachtete. Der sah ihn mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an, den Alessio noch nicht oft bei ihm gesehen hatte, beinahe so als würde ihm gerade bewusst, dass es ein Mensch war, der vor ihm saß, und nicht irgendein seltsames Konstrukt. Ja, sie hatten wirklich viel zu wenig Zeit miteinander verbracht seit dem letzten Sommer vor fünf Jahren, an dem sie noch recht häufig abends zusammen gesessen hatten.

Warum hatte er es eigentlich nie richtig in Betracht gezogen mit Rodrego über politische Dinge zu sprechen? Nur weil er inzwischen nur noch Schmied war, hieß es ja nicht, dass er vor der Politik die Augen verschloss... und Rods Worte bestätigten ihm das auch. Ja, Rod ging auch mit offenen Augen durch die Welt und sah was im Palast schief lief - oder zumindest anders, als Wolsey sich das vorstellte. "Nun Henry hat sich zunächst ja noch als Kämpfer gegen Luther dargestellt und die ersten Anfänge dieser Revolution in England im Keim erstickt, aber Anne selbst ist den Schriften nicht abgeneigt und wird beim König die Reformation vorantreiben... es wird nicht mehr lange dauern. Und so wie es aussieht, hat der König auch schon einen Beweis gefunden." Er zischte leise als Rods Hand unter dem Wasserspiegel verschwand und dem Lauf seines Beines folgte. Zum Glück war Rods Arm nicht ganz so lang wie Alessandros Bein, doch das Kribbeln, das die Berührung auslöste, schoss definitiv weiter das Bein hinauf und sammelte sich in der Hüfte des Kardinals. Er war irgendwie zu lange nicht zum Zug gekommen, stellte er fest. "Zumindest hat er beim letzten Mal anklingen lassen, es sei nach der Bibel nicht richtig, mit der Frau seines Bruders zu schlafen - und auch wenn Katharina sagt, sie sei Jungfrau gewesen, so kann man es jetzt kaum noch nachweisen, nicht wahr? Sie ist sehr standhaft und würde ihren guten Namen nicht beflecken... Ich glaube, sie gönnt ihm Anne sogar, wenn er sie als Mätresse denn behalten würde - doch Anne will unbedingt Königin werden und macht Henry Druck... da hat es etwas Gutes Kardinal zu sein." Alessio lehnte den Kopf zurück und schloss eine Weile genießend die Augen. "Mir macht so schnell keine Frau Druck, nur weil sie in mein Bett steigen und meine Frau werden will." Das hatte tatsächlich seine Vorteile.

Grinsend sah er wieder auf und musterte seinen Fuß an Rods Brust, ehe er mit den Zehen über Rods Schulter tastete. "Ist er das? Deine Finger sind es auch, mein Herr Fernale.." Er mochte Rodregos Nachnamen sehr, denn er rollte angenehm von der Zunge und Alessio hauchte ihm noch ein wenig mehr verruchtes Leben ein. "Und noch mehr deine Zunge." Er "kickte" ihm leicht gegen den Hals, den er gerade noch mit den Zehen erreichte. "Es war pure Nächstenliebe, die mich dieser Frau hat helfen lassen - es war sicher nicht mein letzter Groschen und für ihr Talent, einem jeden von uns die beinahe unschuldige Jungfer zu geben, hat sie das allemal verdient." Er leerte den Becher inzwischen schon wieder und stellte ihn jetzt aber ganz weg, ebenso die Reste der Rebe in seinen Händen. "Außerdem war ja wohl eindeutig klar, dass ich für sie im Bett die beste Wahl gewesen bin. Bei euch hat sie nicht annähernd so genussvoll gestöhnt, wie durch meine Lenden." Alessandro stellte den zweiten Fuß neben Rod auf der Bank ab und stieß gegen seine Seite. "Aber was kann man von zwei Rüpeln wie euch schon erwarten." Sein alkoholisiertes Hirn machte ihn eindeutig mehr zu dem Alessio, den Rod vermisste. Und weil zwischen ihnen gerade nichts mehr stand, was zu bereden gewesen wäre, konnte der Kardinal loslassen. Die Gedanken an den Hof verblassten zugunsten der Gedanken an ihre herrliche Vergangenheit. "Ich bin sicher, du grunzt im Bett wie ein Eber, der eine Sau besteigt." Er mochte es, zu sticheln, und es war viel zu lange her, dass er ein anderes Opfer als seinen eigenen Bruder gehabt hatte, der ihm oft genug vorwarf, das Unschuldslamm bei den Frauen zu spielen, nur um sie so zu reizen, dass sie wirklich wie wilde Huren gebärdeten, um dem Kardinal den Anblick seines Lebens zu bieten.
 

Rodrego

Während Alessandro die neuesten Informationen bezüglich der Geschichte zwischen Henry, Katharina und Anne ihm mitteilte, hatte er begonnen, den Unterschenkel des anderen zu massieren. „Ich sagte ja, er findet schon etwas“, sagte er kopfschüttelnd. „Die Kirche verliert mehr und mehr an Macht, ich bin davon überzeugt, dass solche Dinge wie Scheidungen irgendwann einmal ganz normal möglich sind. Aber es wird sich zeigen, inwiefern das wirklich gut ist. Die Könige und Herrscher werden mehr und mehr ihre eigenen Gesetze formulieren, die wohl nicht immer auch automatisch die der Kirche entsprechen.“ Er zuckte mit den Schultern. Sie würden es nicht mehr erleben. Und letztlich war es ihm auch gleich – er war ein Mann, er hatte definitiv mehr Rechte als die Frauen, die wohl am meisten darunter leiden würden, wenn Männer sich einfach scheiden lassen konnten. Wobei. So manche Frau wäre wahrscheinlich auch dankbar, wenn sie sich trennen könnte. Aber das war ein Thema, das sie nicht hier diskutieren mussten. Schon gar nicht, wenn Alessandro ihn grinsend ansah und seine Stichelei aufgriff. „Na, na na“ sagte er tadelnd, mehr zum Fuß des anderen, der ihn anstieß, als zu Alessio, während er ihn nahm und zu massieren begann, wobei der Grat zwischen Massage eines Fußes und dem Kitzeln eines Fußes schmal war. Dabei nahm er den Fuß fest genug, so dass Alessio ihn nicht einfach wegziehen konnte. Seinen Namen so ‚verrucht' zu hören, gefiel ihm irgendwie. „Meine Zunge?“, fragte er und sah den anderen herausfordernd an. „Ich weiß nicht, wovon ihr sprecht.“ Er grinste leicht. „Ihr habt ja keine Ahnung, was meine Zunge so alles anstellen kann.“ Er sah, wie Alessio den Becher beiseite stellte und hörte, wie er nun auf jene Hure einging. Und mit jedem Wort hoben sich seine Augenbrauen. Als er den anderen Fuß neben sich auf der Bank spürte, stellte auch er seinen Becher Wein zur Seite. Und der Vergleich des anderen, hinsichtlich der Geräusche, die er wohl beim Sex machen würde, ließen ihn auflachen. „Wenn sie an diesem Abend überhaupt einen echten Orgasmus gehabt hatte, dann wohl durch mich“, widersprach er und unterdrückte ein Grinsen. „Die Gute hatte Mitleid mit dir und wollte dir ein wenig mehr Selbstvertrauen geben. Ganz offensichtlich ist es dir bis heute zu Kopf gestiegen.“ Er packte den anderen Fuß und zog gleichzeitig den ersten neben seine Hüfte. Dann ließ er die Hände an ihnen nach vorne wandern und zog den anderen sanft aber bestimmt zu sich, als seine Hände an der Unterseite dessen Oberschenkeln angekommen war. Sobald es ihm möglich war, ergriff er den anderen an seiner Hüfte und setzte ihn sich auf seinen Schoß. „Und was den Eber betrifft“, knurrte er leiser geworden, den anderen ansehend. Seine Hände wanderten an der Seite des anderen hinauf. Dann beugte er sich zum Ohr des anderen. „Ngh…“, stöhnte er leise. „Ich glaube nicht, dass ich grunze, wohl aber, dass ich durchaus die Standkraft eines Ebers habe“, wisperte er dann. „Ich frage mich nur, wie du klingst, wenn du in höchster Lust jegliche Beherrschung verlierst und dich in Ekstase ergießt.“ Er ließ seine Nasenspitze an der Ohrmuschel des anderen entlangstreichen. „Allerdings jetzt, wo du so abstinent lebst, vermute ich, dass du schneller kommen würdest, als ich überhaupt begonnen hätte, meine ach so freche Zunge arbeiten zu lassen.“ Er zog sich wieder zurück und blickte den anderen fragend an.
 

Alessandro

Vielleicht würde das irgendwann in ferner Zukunft wirklich möglich sein..., aber Alessio konnte sich genau so lebhaft vorstellen, dass die Kirche niemals von der heiligen Ehe abstand nehmen würde. Sie brachte zu viele Vorteile und zu viel Macht, wenn man nur die richtigen Leute miteinander verheiratete, doch wer konnte schon wissen wie es in ein paar hundert Jahren aussah? Niemand. Und gerade war Alessio auch immer weniger im Stande darüber nachzudenken, was nicht zuletzt an seinem Alkoholpegel lag.

Die Massage von Rodregos rauen starken Fingern an seinem Unterschenkel tat gut und er ließ den Fuß etwas kreisen, um die Muskeln nacheinander anzuspannen, während Rod sie lockerte. Da er in die Offensive gegangen war, war es an Rod sich zu "verteidigen" und Alessandro ertrug die "Ausflüchte" mit stoischer Gelassenheit, die in seinem Gesicht deutlich zeigte, was er von Rods Worten hielt. Während Nico ein guter Schauspieler war, war Alessio was das anging, perfekt. Was in seinem Inneren vor sich ging, konnte sein Gesicht absolut verheimlichen, einfach ausblenden. Und ihm ging durchaus nah, was sein Gegenüber sagte. Was Rodrego mit seiner Zunge anstellen konnte? Sicher einige sehr angenehme Sachen.

Alessandros Augenbraue rutschte in die Höhe, als ihn der Schmied am anderen Bein griff, seine Füße neben sich abstellte und dann an ihm zog. Für den Bruchteil einer Sekunde wollte Alessio Widerstand leisten, doch dann ließ er sich einfach ziehen. Warum auch nicht? Er glaubte noch nicht wirklich daran, dass Rod noch weiter gehen würde. Das hier war eine Ausgeburt des Alkohols und ein sich gegenseitig Hochschaukeln, nicht mehr. Sie würden sich necken und weiter trinken und irgendwann sturzbetrunken aus dem Zuber schwanken - oder nichteinmal das schaffen, sondern nur das Wasser ablassen und im Sitzen einschlafen, mit einem Handtuch über dem Körper und einem Eimer vor dem Gesicht. Nichts was Alessio mit Rod und seinem Bruder nicht schon erlebt hatte. Also ließ er sich ziehen, scheinbar unbeteiligt, bis er auf Rodregos Knien zum Sitzen kam und seine Beine soweit einknickten, dass er mit den Knien auf der Bank neben Rodrego zum ruhen kam. "Glaubst du das wirklich, ja? Dass sie Mitleid hatte? Mitleid hatte sie vielleicht mit euch beiden jungen, unerfahrenen Knaben." Dass er ein Jahr älter war, musste immerhin zu etwas gut sein. Seine Hände hingen ruhig an seinen Seiten hinab, locker und kein bisschen angespannt, sein Blick, gleichgültig wie eben noch, als er auf der anderen Seite des Zubers gesessen hatte. In ihm brodelte es. Rods Nähe und seine rein körperliche Überlegenheit gaben Alessandro zu denken. Er hatte sich nie wirklich Gedanken dazu gemacht, WIE Rodrego und sein Bruder Sex gehabt hatten - in der Zeit in der sie ein Paar gewesen waren - doch jetzt ,wo er auf Rods Schoß saß, die Beine gespreizt und in diesem Sinne "angreifbar", kam ihm dieser Gedanke sehr deutlich. So wie Rod ihn anfasste, machte er nicht den Eindruck, als sei er derjenige, der in der Regel oben saß - und das machte dem Kardinal nun doch zu schaffen, denn er war in diesem Gebiet noch unschuldiger als Maria persönlich. Er hatte sich stets jüngere und knabenhaftere Spielzeuge gesucht, die er kontrollieren konnte, und dabei hatte sein Hintern nie zur Debatte gestanden. Eigentlich war er der Meinung gewesen, dass sein Bruder es ähnlich handhabte, doch jetzt begann er langsam daran zu zweifeln und dem winzigen Teil in ihm, der weiter dachte als sein rationaler Verstand, rutschte das Herz in die nicht mehr vorhandene Hose.

Rods Hände glitten an seinem Körper empor und auch wenn Alessio innerlich eine Gänsehaut nach der anderen bekam, blieb er äußerlich vollkommen ruhig, sein Körper zeigte nicht den Hauch von Erregung. Diese Fähigkeit hatte er sich im Laufe der Zeit zugelegt, seit er Kardinal geworden war. Die Schwelle für seine eigene Erregung lag sehr hoch und seine Fähigkeit, sie zu unterdrücken, ging sehr weit - einfach, weil es Frauen dazu brachte, sich wilder zu gebärden, und Alessio sich einen Spaß daraus gemacht hatte, sie schiere Ewigkeiten hinzuhalten, bis er wirklich losließ.

Ob Rod sich wirklich an seiner Selbstbeherrschung versuchen wollte? Es war wohl dem Alkohol geschuldet, dass in Alessandros gleichgültig dreinblickenden Augen der Funke des Wettbewerbs aufloderte. Das Stöhnen kurz darauf nah an seinem Ohr gab der Vorstellung von einem nackten Rodrego im Bett neues Feuer und ließ seinen Körper innerlich erbeben. "Die Standkraft eines Ebers... natürlich." Alessandros Stimme klang eigentlich kühl, hatte aber doch einen leicht bebenden Unterton. Betrunken war das eben doch alles einen Hauch schwerer. "Ich bin mir sicher, du kannst es auch nur wie ein Eber treiben, vermutlich hat das Weib deswegen so geschrien und dir den Orgasmus vorgetäuscht, damit du schneller wieder von ihr unten bist. Was MICH dagegen angeht - und meine Töne - du bist sicher der letzte, der es schaffen würde, mir die zu entlocken - oder sehe ich in deinen Augen erregt aus?" Er war es zumindest körperlich nicht und schaffte es noch vollkommen schlaff zu bleiben. Noch. Vermutlich nicht mehr sehr lange. "Vielleicht bin ich ja in meiner unendlichen Güte für eine Kostprobe bereit?"

London 2 - Vernunft und Gefühl

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

London 2 - Was bin ich für dich?

Rodrego

Heißer Atem rann Rodrego über die Lippen, während Alessio in seinen Armen, auf ihm saß und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Rodrego genoss seinerseits das Gefühl tiefer Befriedigung, das nicht nur durch den Orgasmus sich in seinem Körper breit machte, sondern auch durch das Gefühl, dem anderen genügt zu haben, ihm ihren Sex angenehm gemacht zu haben. Als der andere ihn jedoch küsste, um sich von ihm zu lösen, bereute er wieder, den Weg ins Bett nicht auf sich genommen zu haben. Denn dort könnten sie eng beieinander liegen bleiben, auch wenn Rod verstand, dass Alessio sich von ihm löste, denn besonders bequem war seine Position sicher nicht. Dass sich der andere jedoch löste, indem er sich einfach nach hinten fallen ließ, ließ Rod kurz auflachen. Kurz wollte er aufstehen, um ihm aufzuhelfen, doch Alessandro hatte sich schon wieder gefangen und richtete sich grinsend auf. Rod blickte an Alessio auf und lächelte, als dieser ihm einen Kuss gab. Doch die nun folgenden Worte ließen das Lächeln sterben. Warum sagte er so etwas? Rod war irritiert und verärgert, dass Alessio von ihm so dachte. Vermittelte er wirklich den Eindruck, als sei er einer, der sich gerne die schnellen Ficks suchte? Wirklich?

Oder bezog sich die Frage eigentlich gar nicht auf ihn? War das seine Realität? War es das, was Alessio sonst erlebte und er wollte sich schützen, indem er sich so darauf vorbereitete?

Rod ergriff das Handgelenk des anderen und zog diesen zu sich, während er selbst aufstand. Sein Gesicht war ernst. "Das letzte, was mir jetzt einfiele, Alessio mio, ist, dich jetzt allein zu lassen", sagte er leise und eindringlich. "Ich möchte dich in meinen Armen halten und deine Haut schmecken und deine Lippen auf den meinen spüren und dich streicheln und vielleicht überkommt es uns dabei noch einmal oder wir schlafen irgendwann ein und spenden uns Wärme. Oder vermittel ich dir das Gefühl, dass du für mich ein Fick gewesen wärest? Für wen hältst du mich?" Er sah ihn eindringlich an. "Oder möchtest du, dass ich gehe?"
 

Alessandro

Alessandro ließ sich in Rodregos Arme ziehen, als er wieder stand. Seine eigenen Beine pochten und kribbelten als wieder Blut in seine Unterschenkel floss, doch seine Füße waren nicht undankbar wieder Boden zu spüren. Während Rod gerade noch grinsend dabei zugesehen hatte, wie Alessandro sich wieder aufrichtete, fror sein Gesicht bei den nächsten Worten des Kardinals ein. Beinahe unbeabsichtigt nahm Alessandro innerlich Haltung an für das was kommen würde. Worte konnten so viel schrecklicher verletzen als Taten und Alessandro wusste das selbst nur zu gut. Rodregos Worte klangen so süß und so unschuldig, so liebevoll - und doch konnte Alessio dem nicht vorbehaltlos trauen, auch nicht als Rodrego ihm vorwarf sonstetwas von ihm zu halten. Der Blick mit dem Alessio Rod maß war daher wohl halb beeindruckt von so viel Zärtlichkeit, aber auch abschätzig - er hatte das nicht nur einmal bereits gehört. "Sicher wirst du mich gleich wieder dafür schelten, meinen Kopf auf meinem Hals zu behalten, Rodrego, aber was glaubst du passiert in der Regel, wenn ein Mann oder eine Frau in das Bett eines Kardinals findet? Was glaubst du empfinde ich für all die Männer und Frauen, die kommen und gehen wie es ihnen oder mir gefällt?" Er stieß ihm sachte mit einem Finger gegen das Kinn. "All die Jahre hast du den Weg hierher zu diesem Punkt nicht gefunden, zu mir. Aus ehrlichem Interesse, aus Sehnsucht oder aus.. was auch immer. Du warst nicht bei mir, du bist nicht bei mir geblieben. Ich mache dir keinen Vorwurf daraus, versteh mich nicht falsch.. aber erwarte jetzt nicht von mir, all die Male zu vergessen, in denen Männer und Frauen genau jetzt gegangen sind. Ich habe irgendwann aufgehört es zu wollen, vor allem es von dir zu wollen." Ihm hatten andere Worte auf der Zunge gelegen, aus Selbstschutz und Angst, Rod weiter an sich heran zu lassen, nur um ihn dann doch wieder gehen zu sehn. Denn wenn.. er musste diese Frage laut stellen. "Denn wenn ich für dich nicht nur der Fick gewesen bin, was bin ich dann - außer deinem guten Freund aus Kindertagen?" In Alessandros Augen war kein Schmerz oder Gram zu sehen. Er empfand ihn zwar, aber es spielte nur eine untergeordnete Rolle. Er wollte auch nicht, dass Rodrego ging, doch es gab nunmal Tatsachen. Und Alessio war ein Mann, der diese Tatsachen gerne klärte bevor die Enttäuschung am nächsten Morgen kam. Er hatte es einmal zu oft erlebt, als dass er es jetzt darauf ankommen lassen wollte. Und bei all den Dingen, die Rod ihm versprochen hatte, gelang es ihm nicht jetzt einfach darüber hinweg zu sehen, dass sein Rodrego, der Mann dem er eine gefühlte Ewigkeit nachgelaufen war, auf einmal *sein* sein sollte. Das passte nicht in das Bild der letzten Monate, absolut gar nicht.
 

Rodrego

Die Worte, die Alessio auf seine Gedanken hinsichtlich: 'wie stelle ich mir den Rest des Abends vor' erwiderte, taten zunächst ziemlich weh. Wie konnte er nur so dämlich sein und den anderen fragen, ob er ihn nur als Fick behandeln würde, wenn jener es vielleicht einfach gerade selbst getan hatte? Oder verstand er das jetzt falsch? War er einer dieser Männer, die ihren Weg in das Bett des Kardinals gefunden hatten? Eigentlich, so hatten sie doch ausgemacht, war der Kardinal nicht anwesend gewesen, zumindest nicht phsychisch. Aber was machte Rod sich da eigentlich vor? Der Kardinal war immer anwesend. Er war ein Teil von Alessio. Und irgendwie bekam er den Gedanken nicht los, dass Alessio durch die Kirche sehr nachhaltig beeinflußt worden war. Es war wirklich nicht so einfach, den Alessio zu finden, der er einmal gewesen war. Es war wahrscheinlich einfach nur ein Wunschtraum seinerseits gewesen, der nicht real werden konnte. Und Alessio konnte da nichts dafür, oder nur bedingt. Rod spürte den Widerwillen wider in sich aufkeimen, der ihn so lange davon abgehalten hatte, Alessio wieder nahe zu kommen.

Noch immer etwas irritiert lauschte er auch den anderen Worten. Und nun kamen Vorwürfe an ihn, warum er eben nicht dagewesen war, warum er ihn verlassen hatte. Rod war ein wenig überfordert damit, merkte, wie ein komisches Gefühl ihm die Kehle zuschnürte. Hatte Alessio so sehr darunter gelitten? Er hatte gedacht, dass jener nicht wirklich ernstes Interesse an ihm gehabt hatte, dass jener nur neidisch auf Nico gewesen war. Wie oft hatte er erelebt, dass die Brüder immer genau das hatten haben wollen, was der andere gerade hatte. Oder hatte er es falsch gesehen? Hatte er das so sehen wollen? Dass Alessio keine ehrlichen Ambitionen gehabt hatte? Er war verwirrt. Was war die richtige Sicht auf die Dinge? Und die abschließende Frage ließ das seltsame Gefühl in ihm weiter ansteigen. Einen Moment blickte er den anderen ruhig an, dann ließ er die Arme sinken, ging ein wenig auf Abstand, um sich selbst zu schützen. "Ich weiß es nicht", sagte er dann ehrlich. "Ich kann dir das nicht wirklich beantworten." Er sah den anderen noch immer ein wenig irritiert an. "Ich weiß, dass du kein Fick gewesen bist, dass du für mich besonders bist, es immer warst und sein wirst." Er strich sich die Haare aus der Stirn, um irgendetwas zu tun. "Warum ich nicht da war?" Er überlegte. "Ich glaube ich war beleidigt. Ich habe mich über dich geärgert, dass du diesesn Weg beschritten hast, dass du dich von mir so weit distanziert hast. Warum ich dich verlassen habe? Ich wusste nicht, dass wir zusammen gewesen sind. Ich habe dich immer bewundert, du warst es lange Zeit gewesen, dem ich nahe sein wollte. Aber ich hatte es eher so empfunden, dass du mich verlassen hast, dass du mich verraten hast, dass du nicht da warst. Und immer wenn ich dir begegnete, kamst du mir so fremd vor, dass ich dich verloren glaubte. Du schiebst mir nie in die Augen sehen zu können." Er redete wirres Zeug, irgendwie hatte er keine Ahnung, ob das Sinn machte, was er da sagte. Er hatte eigentlich noch nie darüber nachgedacht gehabt. "Was du für mich bist? Heute? Hier? Ich dachte, du wärst mein Alessio, den, den ich begehrt und geliebt habe. Aber langsam begreife ich, dass der wirklich nicht mehr existiert." Er sah den anderen ruhig an. "Und vielleicht ist es wirklich dumm von mir, dich gebeten zu haben, auf den Kardinal heute Nacht zu verzichten. Ich bekomme dich nicht - ohne ihn. Aber vielleicht könnten wir versuchen, uns miteinander zu arrangieren. Voraussgesetzt du möchtest nicht, dass ich einer von den Männern bin, die kommen und dann wieder gehen. Wobei ich mich dann schon frage, wieso du mich hattest überreden wollen, noch bei dir zu bleiben. Mir scheint, dass du wirklich gebranntmarkt wurdest."
 

Alessandro

Ehrlichkeit war das, was Alessio sich erhofft und erwartet hatte. Das, was er seiner Meinung nach verdient hatte und das was er brauchte. Das, was ihm gerecht wurde, wenn er ehrlich war. Rod löste sich von ihm und obwohl sie noch immer im überkniehoch warmen Wasser standen fröstelte es den Kardinal plötzlich, als sie sich nur noch gegenüber standen und er Rods warmen Körper nicht mehr direkt an seinem hatte. Er schluckt und sah zur Seite auf die spiegelnde Wasserfläche, bis Rods Stimme ihn zwang den Blick wieder zu heben und ihn anzusehen. Was er zu hören bekam erschreckte Alessio einerseits, beruhigte ihn aber auf der anderen. Wenn auch Rod es nicht wusste, waren sie immerhin zwei, die mit dieser Situation hier wenig anzufangen wussten. Allerdings... verloren? Dennoch wartete er bis Rod geendet hatte, um sich ein Bild machen zu können und sich seine Antwort zurecht zu legen. Was konnte man schon dazu sagen? Es fühlte sich... seltsam an. Er räusperte sich und fuhr sich mit der Hand über den Oberarm, weil es irgendwie gerade kälter geworden war. "Ich bin dein Alessio.." Der Blick, mit dem Alessio sein Gegenüber traf, war beinahe flehentlich. "Ich bin Alessandro, ich bin niemand anderes. Wenn ich mit Nico hätte tauschen können.. ich hätte es getan. Ich wäre lieber kein Kardinal, aber was hätte ich tun sollen, Rodrego? Ich konnte meinen Bruder nicht im Stich lassen. Er hat das Leben immer so sehr geliebt und wenn ich geflohen wäre, um glücklich zu sein, dann hätte ich Nico in die Robe gezwungen, und das konnte ich ihm nicht antun. Du weißt wie wichtig es unserer Familie ist, dass ein Sohn ein Kirchenamt inne hat.." Doch das tat hier eigentlich nichts zur Sache. "Du hast recht, wenn du sagst, dass er zu einem Teil von mir geworden ist, aber er ist ein Teil den ich eben so sehr hasse, wie du dich von ihm abgestoßen fühlst. Wenn ich in meinem Amt handle, dann bin das nicht ich. Dann sind das rational durchdachte Entscheidungen für das leibliche Wohl meines Bruders und meines eigenen. Es ist nur ein Werkzeug, nicht meine Seele..." Er machte einen Schritt auf den Rand zu und angelte nun doch nach den Handtüchern, auch wenn er sich wirklich weit vorlehnen musste, bis er sie zu fassen bekam. Langsam richtete er sich wieder auf und reichte Rod eines, ehe er sich das andere um die Schultern legte, um sich darin zu wärmen. "Hätte ich gewusst dass diese verfluchte Robe mir alles nimmt, was ich mir gewünscht und was ich geliebt habe, dann hätte ich sie abgelehnt. Aber ich dachte, ich kann zwei Leben leben. Ich wollte es und ein Teil von mir will es wirklich noch. Es ist der größere Teil.. und es ist genau dieser Teil in mir, der nicht will, dass du gehst. Nicht du. Du bist nicht irgendein Mann, der geht, kein unbekannter Fremder, der mir nichts bedeutet. Das, was du eben mit mir getan hast, hätte ich keinen anderen Menschen auf dieser Erde tun lassen." Er sah mit einem beinahe verschmitzten Lächeln zu Rod hinüber. "Ich will nicht, dass du dich arrangierst mit etwas, das dir nicht gefällt. Ich will dir entgegen kommen.. verzeih mir meine Übervorsicht." Er zuckte mit den Schultern und machte wieder einen kurzen Schritt auf Rodrego zu. Seine Hand hob sich langsam und berührte Rods Seite ehe er langsam noch näher rückte. "Bleib bei mir." Diesesmal klang es schon wesentlich überzeugter und fester. Allerdings war Alessandro gerade in diesem Zeitpunkt auch klar: Wenn Rod jetzt ging, würde er endgültig daran zerbrechen und der Teil von ihm, der noch nicht mit der kühlen Abgebrühtheit der Robe dachte, würde zu einem mikrigen Nichts schrumpfen.
 

Rodrego

Rod merkte, dass seine Worte sicher nicht nur einfach für den anderen waren. Aber er war einfach nur ehrlich zu ihm. Und während er sprach hatte er das ganz dringende Bedürfnis, den anderen in den Arm zu nehmen. Aber er wussten nicht, ob es dem anderen auch so ging. Zumal er nicht wusste, welchen Stellenwert er bei dem anderen hatte, ob nicht er einfach nur der Fick gewesen war. Aber so hatte es sich eigentlich nicht angefühlt, und eigentlich hätte sich Alessio dann auch nicht nehmen lassen, oder?

Und als er den Blick des anderen auffing, als jener zu Reden begann, traf ihn das heftig. Was war das? Dieses Flehen? Und die Worte, die erklärten, dass er diesen Weg nur seinem Bruder zur Liebe gewählt hatte, ließen sein Herz noch einmal verkrampfen. Ja, Dominico wäre in dieser Aufgabe verzweifelt gewesen, das sah er auch so. Und ja, die Familie… Wie froh war er gewesen, dass es bei ihm anders gewesen war. Dass er zu Höherem hatte streben können, etwas, was er selbst gewollt hatte, wissend, dass er immer aufgefangen worden wäre, wenn er gefallen wäre. Nun, er war gefallen, und niemand hatte ihn aufgefangen. Aber das war eine andere Geschichte.

Und heftig ging es weiter, als Alessio ihm erklärte, dass er den Kardinal in sich hasste. Hass war etwas sehr Großes, das man nicht leichtfertig sagen sollte. Schweigend blickte er den anderen an, der die Handtücher holte, ohne dass er ihn wirklich sah. Es war wirklich schwierig, diese Situation. Rod hatte sich so sehr nach seinem Alessio gesehnt, dass er dem Drang, der so stark in ihm hochgekommen war, nachgegeben hatte. Und nun? Er wollte Alessandro in den Arm nehmen und ihn halten. Er griff mechanisch nach dem Handtuch und begann es sich umzulegen. Auch ihn fröstelte es, aber er registrierte es kaum.

Zwei Leben? Er seufzte. Ja, das war meist nicht so einfach, wie man es sich vorstellte. Und er selbst hatte es dem anderen ganz offensichtlich auch nicht leichter gemacht. Er hatte nur die eine Seite gesehen, sehen wollen. Sie hatte ihn abgeschreckt und ihn daran gehindert, genauer hinzusehen. Und irgendwie fühlte er sich schuldig dafür, seinen Freund so im Stich gelassen zu haben. Er lächelte sanft, als der andere ihm sagte, dass er nicht wollte, dass er ging, dass es der größere Teil in ihm war. Das Lächeln gefiel ihm sogleich auch schon besser, als dieser Blick vorhin. Und als der andere erklärte, dass er ihm entgegenkommen wolle und sich für seine Vorsicht entschuldigte, winkte er leicht ab. Willkommen waren die Berührungen des anderen und die Worte, die fast so etwas wie die Hoffnung auf etwas Längerfristiges waren. Rod sah den anderen lächelnd an, hob nun seinerseits die Hand und strich dem anderen die Haare leicht zurück. „Entschuldige, dass ich nicht genauer hingesehen habe, dass ich dich im Stich gelassen habe“, sagte er leise und küsste den anderen vorsichtig. „Ich möchte gerne bleiben“, sagte er und blickte Alessandro in die Augen. „Lass uns uns ein wenig Nähe geben. Ich glaube, die können wir beide gerade sehr gut gebrauchen. Dich zu küssen fühlt sich für mich an, wie nach Hause zu kommen. Ich habe dich schrecklich vermisst.“ Sein Handtuch, das er sich über die Schultern gelegt hatte, rutschte ab und landete im Wasser. Rod blickte hinab und sah den anderen dann grinsend an. „Meinst du, du kannst mir noch einmal ein Handtuch angeln, wie gerade eben?“, fragte er mit einem frivolen Grinsen auf den Lippen. Und als sich der andere schließlich tatsächlich noch einmal für ihn über den Rand des Zubers beugte, konnte er nicht umhin, diesen wunderschönen Körper zu betrachten. Seine Hand strich über den Hintern des anderen, seinen Rücken hinauf, als dieser sich wieder aufrichtete, und er zog Alessio erneut in einen Kuss, einen gierigen, verlangenden Kuss.
 

Irgendwie war Rod viel erleichterter, als sie schließlich sich auf den Weg in Richtung Zimmer machten. Er hatte Alessandro nicht mehr losgelassen, hielt auch auf dem Weg seine Hand, die Finger ineinander verschränkt und mit festem Griff. Er würde ihn einfach nicht mehr so schnell loslassen. Zum einen, weil Alessandro es wohl einfach brauchte, zum anderen, weil er selbst es genoss und es sich mehr als gut anfühlte, dem anderen wieder so nahe gekommen zu sein. Im Zimmer zog er Alessandro wieder zu sich, küsste ihn sanft, zärtlich. Von der Müdigkeit, die ein langer Tag mit sich brachte, merkte er nichts. Was sprach also dagegen, den Tag noch zu verlängern...
 

Alessandro

Es war für sie beide wohl eine wirklich komisch vertrackte Situation, aber sie mussten beide irgendwie damit umgehen, und Alessio wusste das hier wirklich nur die Flucht nach vorn half. Und was er sagte entsprach der Wahrheit, wie er sie empfand. Er hasste den Kardinal in sich und wusste doch, dass er ein Werkezug war, um hier ihr Überleben zu sichern. Auch wenn dieses Spiel immer heikler wurde, so hielt es ihn am Leben, weil er wusste, dass er damit sich, seinen Bruder aber auch Rodrego und alle Italiener und damit in den Augen der Engländer Romtreue Menschen waren, schützen konnte. Also blieb er der Kardinal und hoffte einfach darauf, irgendwann einmal all das abwerfen zu können. Schon jetzt legte er immer wieder Geld bei Seite, hortete es förmlich in allen möglichen Ecken ihres Anwesens. Einen Teil hatte er schon in Italien versteckt - gottlob war das noch möglich und es zählte reines Münzsilber und Gold genug als Bezahlung in den Gegenden, in denen man sich erneut niederlassen konnte. Irgendwann würde er ausbrechen, dann wenn sein Bruder wieder sicher war und sie England verlassen hatten. Irgendwann würde es unweigerlich passieren müssen, sein ganzes Leben konnte er in diesem Haus nicht verbringen. Doch Rodrego schien langsam aber sicher zu verstehen, wie es in ihm aussah und erkannte, dass es weit weniger einfach war Kardinal und ihn zu trennen und das Alessio doch immer noch der alte sein wollte. Er lehnte seine Stirn an Rodregos Schulter als der ihn ein wenig näher an sich zog und er merkte wie sich die Stimmung zwischen ihnen beiden entspannte. Als Rod sagte, dass er gerne bleiben wollte, atmete Alessio innerlich erleichtern auf. Er hatte schon damit gerechnet, dass er gehen würde, dass er ihn verlassen würde.. und es hätte ihm ganz und gar nicht gepasst, es hätte ihn wahrscheinlich wirklich trostlos und allein zurückgelassen und die Zeit, um wieder aufzustehen, hätte noch einmal länger gedauert.

Als Rod dann das Handtuch ansprach, sah Alessio überrascht auf. Das frivole Grinsen im Gesicht des anderen ließ ihn zunächst verwirrt dreinschaun, ehe er verstand und sein Blick sich in ein tadelndes Lächeln wandelte. "Eigentlich gehört dir kein neues Handtuch, nachdem du es so leichtfertig ins Wasser fallen lässt..", gab er zurück, doch er beuegte sich langsam vor und über den Rand des Zubers. Es war schon irgendwie lustig. Noch hatte er sich nie Gedanken darüber machen müssen, wie es aussah, wenn er sich vornüberbeugte. Jetzt, als er es tat, kam er nicht umhin ins gegenüberliegende Fenster des Wintergartens zu schauen, um es so erotisch wie möglich aussehen zu lassen.. und Rodregos Blick, der über seinen Rücken abwärts wanderte, ließ ihn innerlich erbeben, auch wenn er kaum das Gefühl hatte, diese süße Tortur noch einmal durchzustehen. Er fühlte wie Rods Hand seinen Hintern berührte, darüber und an seinem Rücken hinaufstrich, als Alessio ihm das Handtuch aufhob und er es beinahe hätte wieder fallen lassen, als sich Alessandro erneut in einen Kuss ziehen ließ, der beinahe versprach, doch noch einmal zu wiederholen, was sie eben schon getan hatten.

Aber nicht nochmal hier im Zuber! Sie schafften es hinaus und Alessio benutzte das Handtuch, um es sich wie einen Schurz um die Hüfte zu schlingen, als sie das Arbeitszimmer trockener verließen. Er hatte den Weinkrug mitgenommen, Rod trug die Becher. Als sie sein Zimmer erreichten, stellten sie beides auf den Kamin und es tat verdammt gut, Rod noch nicht loslassen zu müssen auf dem Weg hier her. Als sie schließlich nur noch Augen und Hände füreinander hatten, erwiderte Alessandro den Kuss, zärtlich und sanft, während seine Finger abwärts fuhren und sowohl sein als auch Rodregos Handtuch löste, so dass sie wieder nackt voreinander standen. Und das war wesentlich besser, als diese dünne Barriere aus Stoff zwischen ihren Körpern.

Alessio zog Rod sanft zum Bett und ließ sich mit ihm darauf gleiten, versuchte den Kuss dabei nicht zu lösen, auch wenn es kaum ging. Und allein das Gefühl, das es in ihm auslöste, mit jemandem im Bett zu liegen, den er so sehr mochte, den er begehrte und von dem er wusste, dass er nicht gehen würde bis es morgen wurde, heilte Alessios Einsamkeit immens. Er schmiegte sich an Rod und wurde in seinen Armen immer lockerer. Als Rods Hände nach einiger Zeit frech über seinen Körper fuhren, war es weitaus weniger schlimm sich ihm entgegen zu strecken, und nachdem er eben schon so herrlich hatte genießen dürfen, wie gut es war mal "unten" zu liegen, hatte er jetzt auch keine Angst mehr davor. Die Nacht verschwamm vor seinen Augen zu einem wundervoll perfekten Traum... und er konnte selbst nicht genau sagen, wann er eingeschlafen war oder ob er überhaupt geschlafen hatte.

London 2 - Eifersucht und der Umgang damit

Dominico

Der Weg über ihre Länderein war schön, das Wetter spielte mit und so hatte Nico wirklich einmal Zeit zum entspannen und herumblödeln. Und das taten sie beinahe auf dem gesamten Weg zu der Hütte... Allerdings wurden die Witze und Blödeleien immer anzüglicher je näher sie ihrem Ziel kamen und es kostete Nico einiges an Willensanstrengung, um gerade noch die Pferde abzusatteln und zu versorgen. Da sie diesesmal zwei Hengste hatten war es kein Problem, die Tiere nebeneinander stehen zu lassen. Zu mehr war Nico auch nicht mehr in der Lage, als ein halbnackter Kieran vor ihm in die Hütte "floh". Nico folgte ihm grinsend und sie verteilten kurz darauf ihre Kleidung überall in der Hütte und gaben sich erst eine ganze Weile später damit zufrieden, nackt nebeneinander auf dem breiten hölzernen Bett zu liegen, dass sich ganz schön lautstark bewschwert hatte so "vergewaltigt" worden zu sein.

Nico strich Kieran sanft eine verschwitzte Strähne hinter das Ohr. Das Fenster über dem Bett war offen und streichelte ihre erhitzten Körper mit kühler Nachtluft während sie, im Blick des jeweils anderen versunken einfach nur da lagen und das schon seit einigen Minuten. Nico wollte sich einfach nicht bewegen, um die Szene nicht zu zerreißen, doch neben ihren körperlichen Bedürfnissen lagen ihm so viele Fragen auf der Zunge, die er stellen wollte... so viele Dinge, die er über Kieran erfahren wollte. Er beugte sich langsam vor, um Kieran zärtlich zu küssen, leckte über seine Lippen ehe er sich wieder von ihm löste und lächelte. "Ich weiß gar nichts von dir..." Seine Stimme war leise in der Dunkelheit, die inzwischen herrschte, nur erhellt durch den Mondschein, der durch das Fenster fiel und vom weißen Laken reflektiert wurde. Es war damit hell genug, dass Nico Kieran im Zwielicht erkennen konnte und auch sein Gesicht sah. "Ich finde... es ist Zeit darüber zu reden, oder? Ich möchte mehr über dich erfahren..." Seine Finger glitten über Kierans Seite abwärts, kreiste über kleine Male, die er im Eifer des gefechts an Kieran hinterlassen hatte. "Auch darüber, wie du gelernst hast dich so zu bewegen." Er konnte ein grinsen nicht vermeiden als seine Hand Kierans Hüfte erreichte und ihn noch einmal tiefer in seinen Schoß zog, ehe sein Blick wieder ernst wurde. "Nein, ich meine - du interessierst mich. Ich möchte etwas über dein Leben erfahren und auch darüber, wie ich in dieses Glück gekommen bin, dass du Männer attraktiv findest..." Er lächelte noch immer, doch es war wirklich eine Frage die ihn bewegte. Wie war Kieran dazu gekommen Männer zu mögen? Warum mochte er sie? Wie hatte er es bisher ausgelebt, wie hatte er bisher gelebt? Wie war er aufgewachsen? So viele Dinge, die Nico nicht wusste aber wissen wollte.
 

Kieran

Die Hütte, zu der sie ritten, kam Kieran vor wie ein Stück des Paradieses. Sie lag idyllisch und vielleicht hätte er die Aussicht und das Drumherum noch viel genauer betrachtet, wenn er nicht so verdammt hungrig nach Sex gewesen wäre, als sie ankamen. Die Sticheleien und das Flirten war ihm irgendwann so dermaßen unter die Haut gegangen, dass sie bereits im Stall ihre ersten Kleidungsstücke verloren, er noch zumindest in die Hütte floh, um später sich nicht das Stroh aus den Haaren ziehen zu müssen.

Und nun lagen sie da, nackt, verschwitzt, entspannt und zumindest fürs erste recht befriedigt. Seine Augen ruhten in denen des andern und das Gefühl, das sich in ihm breit machte, wärmte ihn von innen heraus. Dieser Mann hatte es wirklich geschafft, ihn ganz und gar für sich einzunehmen. Er war ihm verfallen, anders konnte man sonst nicht diesen Drang erklären, ihm so nah wie möglich sein zu wollen.

Als der andere ihn küsste, spürte er wieder dieses Kribbeln in seinem Bauch, das hoffentlich nie weniger werden würde. Die Worte ließen ihn seine Augen wieder öffnen, sahen den andren fragend an. Doch es war klar gewesen, dass dieses Thema irgendwann einmal aufgegriffen werden würde. Und so nickte er, als der andere sagte, dass es Zeit wäre, darüber zu reden. Solche Dinge waren nun mal auch wichtig, woher man kam, wie man zu dem geworden war, der man war. Kieran kannte mittlerweile jede Narbe am Körper des anderen, aber er kannte nicht die Geschichten dazu. Und auch wenn sie ihn wahrscheinlich auch erschrecken werden, so wollte er sie einmal alle kennen. Er erschauderte leicht unter den Fingern, die über seine Haut strichen und leicht kitzelten. Die Erregung war noch nicht ganz verebbt, so dass er die Finger so viel intensiver spürte. Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen, als der andere seine Hüfte zu sich zog und seine Beweglichkeit bemerkte. Und nun wurden die Fragen konkreter.

„Das sind einige Fragen“, sagte Kieran nachdenklich und hob seine Hand, um Dominico sacht über das Haar zu streicheln. „Etwas über mein Leben…“, wiederholte er. „Ich wurde wohl in Italien oder Spanien meinen Eltern einfach vor das Zelt gelegt. Meine Mutter konnte selbst nie Kinder bekommen, daher wurde ich ihr anvertraut und darüber bin ich sehr glücklich. Nun, und wenn man in einer Familie voll Magier Gauklern, Akrobaten und Jongleuren groß wird, lernt man sich zu bewegen. Es ist der Alltag, das, womit man Geld verdient. Durch meine Größe hatte ich den Vorteil, dass ich recht leicht war und dadurch vor allem in der Akrobatik recht gut geworden bin. Es machte mir immer Spaß und ich vermisse es. Ich habe schrecklich abgebaut und merke wie ich vom vielen Sitzen und Lernen an Kraft verloren habe. Ich sollte wieder mehr trainieren. Aber momentan habe ich ja nicht einmal wirklich Zeit zum Essen, da bleibt auch kaum Zeit zum Trainieren.“ Er seufzte leicht, während seine Finger mit den Haaren des anderen spielten. „Wir sind viel gereist und ich liebe das Reisen. Ich liebe die verschiedenen Länder, die Kulturen, die Landschaften. London schnürt mir fast die Kehle zu, manchmal fehlt mir die Luft zum Atmen. Wirklich erinnern kann ich mich vor allem an Spanien, an Frankreich und auch an Deutschland. Dort hat uns einige Zeit ein Medicus begleitet. Von ihm habe ich mein Wissen von der Wirkung der Kräuter, wobei auch meine Mutter viel weiß. Der Medikus jedoch hat in mir den Wunsch geweckt, viel tiefer in die Materie einzudringen. Aber das wurde auch eine ganze Weile gedämpft. Ich… Wenn man merkt, dass man an die Grenzen der Medizin stößt, das sind keine schönen Erfahrungen.“ Er lächelte traurig in Gedanken. Sein Blick schien weit weg, doch dann sah er den anderen wieder an, die Gedanken mit einem leichten Kopfschütteln entfernend. „Und warum ich Männer attraktiv finde? Eigentlich weiß ich das schon länger, habe es schon früh gemerkt. Aber ich dachte mir immer, dass das fahrende Volk schon genug Probleme hatte, da musste ich mir nicht auch noch die aufbürden, die damit einhergingen, auf das gleiche Geschlecht zu stehen. Und außerdem war da noch Kathy. Sie war…“ Er suchte nach den richtigen Worten. „..sie war wohl einfach meine Jugendliebe. Wir waren als Kinder immer zusammen und irgendwann entwickelte sich mehr daraus. Aber wenn ich so im Nachhinein darüber nachdenke, war es nie wirklich mehr als eine tiefe Freundschaft. Eine Freundschaft, die einer Liebe gleichkommt und doch keine war. Letztlich fehlte das Feuer der Leidenschaft. Wir waren jung, gerade mal 16… Wie auch immer. Seit sie tot ist und ich ihren Tod verwunden hatte, habe ich mir gestattet, mich dem männlichen Geschlecht doch hin und wieder hinzugeben. Aber nur denjenigen, die mir wirklich gefallen haben.“ Er grinste den anderen an. „Nun ja, und dann standest du mir plötzlich in meinem Zelt und ich hatte das Gefühl, ich müsste ganz schnell fliehen, bevor sich meine Gedanken verselbstständigten.“ Oh Gott, wenn er daran dachte, wie er Dominico zunächst begegnet war. Im Nachhinein wusste er, warum er so heftig auf den anderen reagiert hatte. Und er hatte es ihm auch im Kerker gebeichtet, aber dennoch war es fast ein wenig beschämend, wenn er daran dachte. Also schnell das Thema wechseln. "Und bei dir? Erzähl mir ein wenig von deinem Leben, den vielen Narben und ihren Geschichten. Und erzähl mir, wieso ich das Glück habe, dass du Männern nicht abgeneigt bist." Dass jener sicher nicht nur auf Mänenr stand, wie er selbst von sich nun mittlerweile glaubte zu wissen, war ihm bewusst. Schließlich hatte der andere zwei Kinder und eine Frau und er hatte gesehen, wie jener sich von einer Frau hatte abschleppen lassen. Kieran musste definitiv mit mehr kokurrieren, als es Dominico im Gegenzug musste.
 

Dominico

Er wusste nicht, inwiefern es klug sein würde, noch mehr über Kieran zu erfahren, und inwiefern es seine Meinung über ihn ändern würde, doch Nico war wohl kaum in der Position, Eifersucht zu empfinden. Und bei all den Dingen, die Nico in seinem Leben getan hatte, konnte er froh sein, dass ihm gewisse Körperteile den Dienst noch nicht verweigerten. Kieran war sauber, wirklich sauber - das wusste er inzwischen und er wirkte nicht wie jemand der sich durch die Welt vögelte. Er lauschte interessiert den Ausführungen während er es doch nicht lassen konnte, Kierans Körper zu streicheln. Als es kühler wurde, zog er eine Bettdecke über sie beide, löste sich aber weiterhin nicht. Der Herbst hielt Einzug und bald würde es deutlich kälter werden.
 

Kierans Leben klang nach Abenteuer und Spaß, aber auch nach einer harten Schule. Er erfuhr, warum Kieran sich für Medizin interessierte und auch, dass er eigentlich nicht Sohn seiner Mutter war. Er hatte es sich fast gedacht, denn Kieran sah seiner Muter und seinem Vater nicht ähnlich, aber in solchen Familien konnte man nie wissen. In seiner eigenen war es ja kaum anders - auch wenn er sich relativ sicher sein konnte, dass seine Kinder seine eigenen waren, wer konnte schon wissen, ob da nicht Bruder oder Cousin die Hände oder eher etwas ganz anderes im Spiel gehabt hatten? Familie mochte einen Ausschlag geben, aber keinen so großen wie man immer wieder glauben wollte. Er machte es Kieran zumindest nicht zum Vorwurf unter welchen Umständen er groß geworden war - sicher hatte Kieran es oftmals leichter gehabt und mehr Spaß in seiner Kindheit gehabt als er selbst.

Als Kieran dann dazu kam, wie er eigentlich darauf gekommen war, Männer auch attraktiv zu finden grinste er. Ja, soetwas merkte man immer früh. Er konnte sich noch lebhaft daran erinnern, als er das erste Mal von soetwas gehört hatte. Von jungen Männern in Bordellen und seinem und Rods sehr angestrengten Gespräch darüber. Sie waren sich so sicher gewesen, dass das alles Unfug war... er schob den Gedanken wieder bei Seite, um sich auf Kieran zu konzentrieren und ließ eine Augenbraue in die Höhe schnellen. "Ohja, ich kann mich sehr lebhaft daran erinnern... und wie du die Flucht ergriffen hast. Ich war wirklich beleidigt und zwar nicht unbedingt davon, so abgewiesen zu werden, sondern von deiner Art... so als sei ich wirklich ein Monster, dabei hätte ich wesentlich offensiver sagen können, dass ich nur wünsche, dass du in mein Bett steigst." Er war eigentlich recht umsichtig an die Sache heran gegangen, aber Kieran war zu feinfülig gewesen und hatte den Braten schon von weitem gerochen - naja man hatte halt nicht immer Glück. "Dann kann ich mich ja glücklich schätzen, in deinen Augen gutaussehend genug zu sein, hmn? Ohje, und jetzt fragst du mich.." Er sah an sich hinab, sah auf die Narben. "Wenn ich dir wirklich jede einzelne Geschichte erzählen würde, dann sitzen wir in drei Wochen noch hier. Aber ich denke einige der wichtigsten solltest du schon erfahren." Er schmunzelte und legte sich etwas bequemer. "Wie du sicher weißt, oder dir zumindest denken kannst, bin ich in Italien aufgewachsen. Alessandro ist mein älterer Bruder, zwei Jahre um genau zu sein - auch wenn man diesen Unterschied kaum sieht. Obwohl unsere Familie ihre Landgüter weit ab von Rom unterhält, ist ein Teil der Familie immer in Rom und alle Kinder aus der Familie wachsen in Rom auf und gehen im Vatikan in die Schule. Das gehört sich so, frag mich nicht warum. Zusammen mit Rodrego Fernale haben wir die Stadt unsicher gemacht, ich glaube wir hatten recht schnell einen Namen. Die kleinen Narben stammen von damals." Er deutete auf zwei Narben, eine am Arm eine an der Stirn. "Prügeleien unter kleinen Jungs, man härtet sich sozusagen ab. Mein Bruder wurde irgendwann dazu ausgebildet, Kardinal zu werden. Es ist üblich, dass der ältere Bruder dieses Amt übernimmt und ich bin Gott dankbar, dass es nicht mich getroffen hat. Irgendwann war er Kardinal und ich bei der Armee. Es geht in unseren Kreisen sehr schnell. Den Umgang mit der Waffe lernst du, wenn du gerade groß genug bist das Schwert halten zu können und kaum alt genug, wirst du in deine erste Schlacht geschickt. Meine erste hab ich fast nicht überlebt." Er deutete auf eine eigentlich unscheinbare Narbe an der Seite. "Ein Dolchstoß, hat zum Glück nichts Ernsthaftes getroffen.. Alessandro hat mir beigestanden in der Zeit.. später habe ich erfahren, dass er kurz davor gewesen war, die Robe abzulehnen und zu flüchten. Er ist meinetwegen geblieben, verrückt nicht wahr? Naja.. ich hatte das Gefühl ihm dafür etwas schuldig zu sein und habe es manchmal noch. Als sich für uns die Möglichkeit ergab nach England zu kommen, habe ich sofort zugestimmt. Es hat uns vom Einfluss des Vatikan einfach ein wenig gelöst und wir leben hier freier, auch wenn es einfach nicht unsere Heimat ist." Er hatte Kierans Hand gegriffen und musterte sie und seine die ineinander verschlungen waren. "Auch meine Frau zu heiraten hat geholfen, den Einfluss zu mindern.. man denkt, ich sei alt und gesetzt genug, um mich um Familiäres zu kümmern. Man sieht ja wie gut das klappt." Er grinste. "Naja, all die anderen Narben habe ich vornehmlich aus Schlachten und Scharmützeln in Italien mit verfeindeten Familien. Ein Paar hier aus England, eine aus Frankreich, bei der ich das erste mal an Henrys Seite in den Krieg geritten bin. Und die Sache mit den Männern....", der Gedanke von vorhin kam ihm in den Sinn, "ach, wir hatten das mal gehört. Drei halbstarke Jungs, die sich damit brüste,n mal in einem Bordell gewesen zu sein, wenn wir gerade mal durch die Vorhänge gelugt hatten. Wir haben festgestellt, dass es wohl auch Männer dort drinnen gibt, die sich an Männer verkaufen, und es war total schockierend. Mit Rodrego habe ich nächtelang darüber debattiert, was die dann wohl machen. Ich meine, wir wussten ja was uns an uns gefällt, aber das alles war so komisch, dass wir es uns nicht vorstellen konnten. Einmal haben wir uns auf die Lauer gelegt und es beobachtet, frag nicht wie wir uns damals darüber kaputt gelacht haben. Es war ein alter Kardinal, der es kaum geschafft hat, seine Männlichkeit in Gefechtsposition zu bringen und der Jüngling musste sich ganz schön anstrengen. Danach haben wir im Stall gesessen und immernoch behauptet, es sei widerwärtig. Irgendwann kamen wir auf die Idee, es mit einem Kuss zu versuchen.. naja, die nächste kluge Feststellung war, dass ein Mann wohl nicht feucht werden kann wie eine Frau." Er musste auflachen bei dem Gedanken daran. "Naja, und dann haben wirs irgendwann nochmal versucht, hat uns wohl nicht losgelassen.. Wie es mit meinem Bruder aussieht, weiß ich nicht, wir haben es ihm auch erzählt, aber er schien zu wissen, wie es geht. Naja, es gab kaum was, das wir drei nicht geteilt haben. Mit Rodrego dachte ich sogar eine Weile lang einen Gefährten fürs Leben gefunden zu haben, aber.. wie du sagst, eine Freundschaft ist nicht gleich Liebe, auch wenn sie enger nicht sein kann. Und wir hatten schwere Zeiten, in denen wo froh waren, einander zu haben." Auf Kathy war er nicht eifersüchtig... das war vor seiner Zeit gewesen, aber was war mit anderen Männern zur jetzigen Zeit? Hatte es die gegeben? Vielleicht sollte er besser nicht fragen.. oder einfach mal mit gutem Beispiel voran gehen? "Als..", setzte er an und sein Gesicht verzog sich etwas, "ich dich an diesem Abend nicht haben konnte, war Rodrego bei mir... aber der Gedanke an dich hat mich nicht wirklich losgelassen. Vielleicht ist es ein guter Zeitpunkt dir zu sagen, dass es mir leid tut, was ich zu dir gesagt habe... im Zelt in Spanien. Ich habe das nicht so gemeint." Nein, das hatte er wirklich nicht. "Und auch wenn ich mich in London ablenken musste, habe ich dich seit Camebridge nicht vergessen. Aber sag-" Er sah wieder in Kierans Augen und versuchte sich an einem herausfordernden Grinsen. "Was genau hast du denn eigentlich in diesen Lokalen getrieben von denen du erzählt hast, hmn? Wo Männer mit gleichgesinnten..?" Er ließ es offen, doch Kieran würde schon wissen, um was es ging.
 

Kieran

Hm, ja beleidigt war der andere gewesen, das hatte er gemerkt. Aber das hatte ihn auch nur in seiner Vermutung gestärkt. „Ich bin froh, dass es gekommen ist, wie es gekommen ist“, sagte er. Denn wenn er wirklich mit Dominico nach Hause geritten wäre damals. Ob sie dann jetzt hier so dalägen? Und so wie es im Moment war, war es wunderbar. Also lieber nichts an der Vergangenheit schrauben. Er grinste breit, als der andere die Schlussfolgerung zog, dass er froh sein könne, mit ihm hier liegen zu dürfen. „Ich bin sehr wählerisch..“, merkte er an und küsste den anderen kurz, bevor er ihm zuhörte, was jener von sich zu berichten hatte. Er hörte, dass Nico mit seinem Bruder in Rom aufgewachsen war, dort sogar beim Vatikan zur Schule gegangen ist, dass sein bester Freund offenbar jener Rodrego war, dessen Namen Nico auch schon genannt hatte, als er ihn gebeten hatte, für sein Anwesen und seine Gefolgschaft und eben seinen Freund der Hausarzt zu werden. Er hörte heraus, dass Alessandro in die Kardinalsrobe geschlüpft war, obwohl er es nicht wollte, dass Nico sich ihm gegenüber schuldig fühlte. Dass er selbst Soldat geworden war, seine erste Schlacht kaum überlebt hatte. Dass sie letztlich England als Fluchtmöglichkeit genommen hatten, um ein wenig mehr atmen zu können. Und Kieran konnte das verstehen. Dominicos Jugend klang so gar nicht nach Freiheit und Selbstverwirklichung. Es klang nach Pflichterfüllung, nach dem Streben, Erwartungen nicht zu enttäuschen, nach Ausbrechen, sobald sich die Gelegenheit ergab und den Konsequenzen von Blessuren dadurch, bevor man wieder in das Korsett zurückkehrte, das einem von Geburt an angezogen wurde. Seit ihrem Gerpsäch damals im Lager vor Cambridge wusste er, wie Dominico zu seiner Frau stand, welches Verhältnis sie zueinander hatten, so dass ihre Erwähnung ihn auch nicht weiter störte. Vielmehr musste er lächeln, als Dominico ihn letztlich als Grund nannte, weshalb jener wesentlich weniger gesetzter und alt war, als es vielleicht den Anschein haben sollte. Er zog ihre ineinander verschlungenen Hände zu sich und küsste den Handrücken des anderen sanft. Dass Dominico in vielen Schlachten sich zu bewährend hatte, das war eine Sache, die ihn durchaus nicht unberührt ließ, eine andere war die Tatsache, dass er auch von Angriffen nicht gefeit war, die jederzeit und immer von irgendwelchen Rivalen herkommen konnten. Er hatte in Spanien gesehen, wie schnell der andere in Lebensgefahr schweben konnte. Er sagte dazu nichts, es war Nicos Leben. Aber wenn sich jemals eine Möglichkeit ergeben würde, dass dieser sich etwas mehr aus dem Brennpunkt zurückzog, würde er ihn darum bitten, es zu tun. Es war schon damals in Spanien schlimm gewesen, der Gedanke, ihn zu verlieren. Jetzt, wo sie wirklich zueinander gefunden hatten, war das noch viel unerträglicher.

Als Dominico ihm erzählte, wie er den Weg zu den Männern gefunden hatte, lauschte er mit einem amüsierten Grinsen den Ausführungen. Und es war wunderbar, den anderen anzusehen, während er erzählte, auflachte, in diesen Erinnerungen versank. Dominico war einfach unheimlich schön.

Allerdings war Kieran überrascht, als Nico ihm erklärte, dass er einmal mit diesem Rodrego zusammen gewesen war, dass sie miteinander Sex gehabt hatten, auch wenn es offenbar eben ähnlich wie bei ihm und Kathy keine Liebe gewesen war. Aber sie waren offenbar noch immer eng befreundet. Wie Rodrego sich dann wohl im gegenüber verhalten würde? Ob jener das genauso sah, wie Dominico? Er wollte etwas sagen, in diesem Punkt nachfragen, damit er wusste, was auf ihn zukam, aber Nico sprach schon weiter. Und es war schon ein seltsames Gefühl, als er hörte, dass er an jenem Abend durch den Mann ersetzt worden war, mit dem Nico einmal eine Beziehung gehabt hatte. Er wusste nicht so genau, wie er darüber denken sollte. Aber eigentlich war das doch völlig egal, oder? Sie waren da so weit weg von dem, was sie jetzt hatten, wie sonst nie wieder. Also warum sollte es ihn stören? Doch das komische Gefühl in seinem Magen wurde nicht besser, als Dominico sich auch noch dafür entschuldigte, was damals in Spanien im Zelt gesagt worden war. Auch nicht, als jener ihm offenbarte, dass er sich in London „abgelenkt“ habe. Und im nächsten Satz wollte er von ihm wissen, was er so in den entsprechenden Pubs in London trieb. Kieran war ein wenig irritiert. Aber wieso? Wie ihn Dominico daran erinnerte, war er auch nicht keusch geblieben. Nicht wahr?

„Ich..“, sagte er nachdenklich, sammelte sich dann aber und sah den anderen wieder an. „Ich habe mich genauso abgelenkt, wie du dich offensichtlich“, fuhr er dann fort. „Ich war der festen Überzeugung, dass es besser für uns ist, wenn wir uns nicht mehr sehen, dass du eh kein Interesse an mir hast und ich dich einfach vergessen sollte.“ Ja, so war das in London in der Anfangszeit gewesen. Damals hatte er keinen Anspruch auf Nico gehabt und sich genauso wie dieser mit anderen Dingen abgelenkt. „Ich gehe mit John oft in ein irisches Pub. Die Stimmung ist schön, es wird getrunken, getanzt und gelacht, es ist locker und es gibt dort viele Studenten, die ihre pseudophilosophischen Gespräche führen und daran arbeiten, die Welt zu verbessern.“ Er grinste leicht, fand er diese verkopften Menschen doch unheimlich rührselig und naiv. „oder wir gehen ins Red Stallion, eine Kneipe für Freidenker. Ich mag die Atmosphäre und das Gefühl der Ungezwungenheit. Und wenn man weiß, worauf man achten muss, dann findet man auch ein paar Männer, mit denen man tanzen kann, oder ‚nach hinten‘ verschwinden kann, oder eben nach Hause, je nach dem, welche Bedürfnisse man hat.“ So war das damals gewesen. Seit er wieder Hoffnungen auf Dominico gehabt hatte, war er mit John vor allem gegangen, um andere Bekannte zu treffen, zu trinken, zu tanzen und zu reden. Er wusste nicht so genau, wie er zu dem Thema Treue stand. Aber ihm war im Moment klar, dass er Nico nicht teilen wollte. Er spürte das nagende Gefühl der Eifersucht tief in sich. „Es gibt aber auch Läden, in denen es eindeutig vor allem um Sex zwischen Männern geht. Das kann durchaus mal ganz nett sein, wenn man keine Lust auf lange Gespräche hat, sondern einfach nur das Verlangen nach schneller Befriedigung. Die habe ich aber damals eher weniger aufgesucht.“ Er sah den anderen an. „Ich habe es dir ja schon einmal angeboten, John und mich zu begleiten. Das Angebot steht noch immer. Allerdings hoffe ich, dass ich dann nicht zusehen muss, wie du ‚nach hinten‘ verschwindest. Denn ich glaube, da hätte ich definitiv ein Problem damit.“ Er sagte das überlegend. „Dass ich dich bei Hofe wahrscheinlich nie für mich haben werde, darüber denke ich lieber nicht nach. Solange ich es nicht weiß und sehe, ist es mir wahrscheinlich auch egal. Aber wenn ich bei dir bin, möchte ich nicht den Eindruck haben, dich teilen zu müssen, zumindest nicht richtig, also sexuell... du weißt schon, was ich meine, oder? Flirten ist eine Sache, aber Sex eine ganz andere.“ In diesen Kneipen wurde nunmal viel geflirtet. Und Nico war sicher jemand, der so einige ansprach. Aber zu wissen, dass jener sich einen Blowjob dort am Ende abholte oder einen Quickie – nein, lieber nicht. Er würde das auch nicht tun.

„Wenn du sagst, dass du Rod in Cambridge bei dir hattest, heißt das, dass ihr da noch zusammen ward? Wie ist dein Verhältnis zu ihm? Ich soll ja auch ihm ein Arzt sein, soweit ich das weiß. Und irgendwie ist das ein wenig komisch, es fühlt sich seltsam an.“ Er blickte wieder auf ihre Hände, die ineinander lagen, so als würden sie sich nie trennen wollen. „Und was du damals im Zelt gesagt hast… Ich habe nur deshalb das Zimmer betreten, um das zu verhindern. Es aber aus deinem Mund zu hören, hat mich ganz schön erschreckt. Mittlerweile weiß ich, dass du das nur gesagt hast, um mich wirklich zu verschrecken, damit ich dich vergessen kann. Es ist schon ok. Du musst dich nicht dafür entschuldigen.“
 

Dominico

Sie waren an einem sehr heiklen Thema angekommen und Nico merkte es. Obwohl sie wohl beide das dringende Bedürfnis hatten, darüber zu sprechen, fiel es ihnen nicht leicht sich so ganz zu entblättern. Kieran war es ja schon damals nicht leicht gefallen, jetzt schien es noch schwerer zu sein - Nico konnte es nur zu gut nachvollziehen. Schon im Kerker hatte es Kieran nicht gepasst, sein Innerstes preis zu geben, hier war es eine andere Situation aber es kostete sie beide Überwindung. Nico war zwar vorgeprescht, doch er hatte gesagt, was er hatte sagen wollen - jetzt war es an Kieran nachzufragen und ob ihm das schmecken würde, wusste er noch nicht. Er sah bereits an Kierans Gesicht, dass das Geständnis mit Rodrego nicht in sein Konzept gepasst hatte von dem, was er damals von Nico gedacht hatte, aber das hatte Nico bereits erwartet. Als Kieran dann zu erzählen begann merkte Nico bereits wie sich etwas in ihm verkrampfte. Eifersucht war auch in seiner Beziehung zu Rodrego ein Thema gewesen, denn während er selbst nicht sehr oft darauf achtete, wie er sich gab, achtete er bei anderen peinlich genau darauf. Er machte zwar nicht direkt Szenen, doch er wurde schnell misstrauisch und das vermutlich zu unrecht. Er fühlte wie sich in ihm Widerstand breit machte, als Kieran von diesen Lokalen berichtete und dem Spaß, den er dort gehabt hatte. Wie er darüber sprach klang es offen und ehrlich, doch in Nicos Ohren klang es wie der reinste Betrug, obwohl er nicht mal damit zu tun hatte. Er schob das Gefühl bei Seite, konzentrierte sich auf die Dinge, die vor ihnen lagen, und die Einladung klang gut. Das was danach kam, brachte ihn aber eindeutig zum Grübeln und er räusperte sich. "Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich nicht Henry bin, der seinen Schwanz in jedes sich ihm bietende Loch steckt, obwohl ich Königin und Mätressen zur genüge habe. Ich will auch am Hof nicht in deiner Abwesenheit herumhuren, auch das gehört sich nicht.. und ich werde sicher nicht vor deinen Augen mit einem anderen Mann "nach hinten" verschwinden, um sonstetwas zu tun. Zumindest nicht, wenn ich noch im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte bin." Er wollte das Thema etwas auflockern, das ihm gerade schon ordentlich auf die Brust drückte. "Wenn nicht, musst du der Mann sein, mit dem ich nach "hinten" verschwinde, okay? Er grinste, doch es lag auch eine Spur Ernst in seinem Blick. "Ich bin jemand, der sicher gerne flirtet und sehr charmant sein kann, aber.. Ich feiere manchmal auch ein bisschen zu gut." Es war keine Entschuldigung, das wusste er selbst. "Aber keine Sorge, ich kann auch an mich halten. Und wenn ich dich haben kann, dann will ich keine der anderen aufgedonnerten Frauen am Hof.. nein, dich in meinen Armen zu haben, ist tausend mal schöner.." Er küsste Kieran sanft ehe er wieder zu dem ernsten Thema zurückfand. "Mein Verhältnis zu Rodrego ist nur noch freundschaftlich. Es war im Grunde nie etwas anderes, außer das wir eine ganze Zeit lang täglich in einem Bett geschlafen haben. Mir ging es schlecht und er war für mich da und umgekehrt, das ist alles. Wir waren im Cambridge auch schon lange nicht mehr zusammen, es war nur die Not und ein Theaterspiel für meinen Bruder. Alessio.. naja, ich weiß es nicht genau - er hat es mir nie gesagt, aber ich glaube, als wir noch jünger waren, da hatte mein Bruder ein Auge auf Rodrego geworfen. Als er und ich aber gemeinsam diese 'Freuden' - wie ich sie die beschrieben habe - kennen gelernt haben, war Rod für meinen Bruder zum Tabu geworden, er wollte wohl nicht mit dem gleichen Mann wie ich.. keine Ahnung." Er schüttelte kurz den Kopf. "Auf jeden Fall, als ich die Wette verloren hatte, da wollte ich nicht allein sein. Alessio hat mir mit diesem blonden Flittchen wirklich eine lange Nase gezeigt und dass er ihn nicht direkt auf meinem Schoß genommen hat, war alles. Sie kamen zu uns in den Zuber, oder wollten zumindest, aber das hätte ich nicht ertragen. Also ist Rod in die Bresche gesprungen und hat sich selbst auf meinen Schoß gesetzt und aus dem Theater für Alessio, den es wohl wirklich getroffen hat, uns so zu sehen ist dann einfach mehr geworden. Es hatte nichts zu bedeuten, es war nur Sex, nur Befriedigung." Und das war es wirklich gewesen. "Rod sieht das nicht anders, wir sind Freunde und er wird sich für mich freuen, wenn er von dir und mir erfährt, da bin ich sicher." Er streckte sich etwas und zog Kierans Knie an, so dass er es um seine Hüfte schwang. "Ich kann mir schon denken, dass du nicht grundlos damals ins Zimmer geplatzt bist nur.." Er suchte nach den richtigen Worten "Ich will ehrlich sein. Ich hatte nicht so häufig die Gelegenheit, mich mit sonstwas zu vergnügen, und die Befriedigung, die ich empfinde, wenn ich mit dir schlafe, ist nichts gegen das, was bei schnellem Sex hinter einem Wandvorhang mit einer Frau passiert. Seit du bei Mr. Chambers in die Lehre gegangen bist, wollte ich dich. Dass ich es überhaupt geschafft habe, aus diesem Haus zu flüchten, wundert mich heute noch. Jeder Brief, den du mir geschrieben has,t hat mich weiter getrieben in dieser Sehnsucht, ich wollte dich so sehr.. und dann steht dieser Kerl vor mir und bietet mir an.. wärest du nicht hinein gekommen, dann hätte ich es getan. Ich hätte es bereut, ich hätte es nicht gewollt, nicht im tiefen Inneren - aber ich hätte es getan. Ich hatte diese Wut in mir über das, was er sagte, ich hatte Druck, der einfach raus musste.. ich glaube nicht, dass es für ihn besodners angenehm gewesen wäre, und vermutlich hätte er danach nichtmal mehr seine Frau beglücken können." Er zuckte mit den Schultern. "Aber es wäre auch nur ein Mittel zum Zweck gewesen.. nicht weil mich sein Angebot gereizt hat, sondern weil mein Verstand vor Sehnsucht nach dir beinahe ausgesetzt hat." Er wollte das Kieran es verstand, auch wenn es kaum zu verstehen war. Und jetzt war er wieder an der Reihe, oder? "Erzähl mir.. von John." Er wollte seine Stimme nicht forschend klingen lassen, doch nch allem was er über John wusste, war das Konkurrenz im Haus - und das war gar nicht gut.
 

Kieran

Es war wirklich nicht einfach, über all diese Dinge zu sprechen. Aber Ehrlichkeit war das Wichtigste, wenn ihre Beziehung irgendeine Zukunft haben sollte. Sie kamen aus so völlig verschiedenen Welten, wenn sie da nicht ehrlich zueinander wären, könnten sie es auch gleich sein lassen. Also nahm sich Kieran vor, tapfer zu sein, bedenkend, dass das ein oder andere, was er Nico erzählte, diesem sicher auch nicht unbedingt schmeckte.

Er war froh, als Dominico ihm versicherte, am Hofe durchaus in der Lage zu sein, zu wiederstehen, und auch nicht vorhatte, vor seinen Augen sich abschleppen zu lassen. Nun, es gab Beziehungen, wo die Partner das durchaus erregend fanden – er hatte das beobachtet - aber es war definitiv nichts für ihn selbst. „Ich denke ohnehin, dass - wer auch immer versuchen sollte, dich abzuschleppen - nicht wirklich an mir vorbeikommt. Und so oder so werde ich dann immer der sein, der mit dir nach hinten verschwindet!“ Vielleicht sollten diese Worte Spaß sein, aber dem war eigentlich nicht so. Selbst wenn es jemanden gäbe, der versuchen würde, Nico anzugraben – er würde sicher nicht tatenlos zusehen und den anderen gewähren lassen. Er konnte da schwer aus seiner Haut. Sanft erwiderte er den Kuss, nachdem Nico ihm versichert hatte, dass es er war, den er in seinem Armen liegen haben wollte. Er lächelte. Ja, das wusste er. Aber so wie er sich kannte, so wie er die Situation einschätzte und wie er Nico kannte, war er sich sicher, dass auch andere Zeiten auf sie zukämen. Er war da Realist genug.

Dass Dominico so ausführlich über sein Verhältnis zu Rodrego berichtete, gab Kieran die Gewissheit, dass es wirklich nicht mehr war, dass sie auch in Cambridge nur Sex gehabt hatten. Er hatte damals ohnehin überhaupt keinen Anspruch auf den anderen, also betraf es ihn letztlich auch gar nicht. Interessant fand er dann diese Dreiecksbeziehung zwischen Alessio, Rod und Nico, bzw. die Geschichte aus Cambridge, die nun eine ganz neue Dimension erreichte, als die Ausführungen des anderen in den Stallungen damals. Kieran nickte, als Nico damit endete, dass Rod sich für sie freuen würde. Er war gespannt, wer Rodrego wohl war, und war sich sicher, dass er ihn noch kennenlernen würde.

Es schien fast, als wolle Dominico ihn festhalten, als er sein Bein über seine Hüfte zog, damit Kieran bei den folgenden Worten nicht würde fliehen können. Denn die Geschichte mit Gregor beschäftigte Kieran noch immer ziemlich, manchmal nachts in seinen Träumen, manchmal tagsüber, wenn er jemanden sah, der seinem ehemaligen Schwager ähnlich sah. Er hatte das alles verdrängt, aber es lastete noch schwer auf ihm. Und so wurde sein Blick auch sehr ernst, als der andere erklärte, weshalb er wohl wirklich auf dieses Angebot eingegangen wäre. Und dabei dachte er auch an John, bei dem er damals ins Bett gekrochen war, weil er ihm die Wärme gespendet hatte, die ihm gefehlt hatte, nachdem Dominico sich im Waschhaus von ihm abgewandt hatte. Und Kieran glaubte Nico, dass er es nicht gewollt hatte. Es war wahrscheinlich die Tatsache, dass Gregor ihn so schikaniert hatte, dass er ihn so blöd angegangen war, ihn so offen gehasst hatte, die die Sache für ihn so schlimm machte. Wäre er hinzugekommen, wenn irgendwer Nico zweideutige Angebote gemacht hätte, dann wäre er wahrscheinlich gegangen. Aber bei Gregor war da einfach etwas anderes. „Du hättest mich damals schon haben können, mein Herz hattest du schon längst“, sagte er schließlich und seufzte. „Wir haben uns eine ganze Zeit lang unnötig gegeißelt. Ich.. Mich hat die Sache mit Gregor glaube ich am meisten deshalb verletzt, weil ich gerade so guter Hoffnung gewesen war, dass wir uns wieder annähern. Die Briefe, der Benimmunterricht.. Ich hoffte, dass ich einfach nur geduldig sein musste, dass du dich vielleicht doch noch für mich entscheiden würdest. Und dann ausgerechnet Gregor, der mir so böse Dinge an den Kopf geworfen hatte… Ich war irgendwie schrecklich enttäuscht.“ Nun, vielleicht sollten sie das jetzt auch einfach ruhen lassen. Es war vorbei, sie hatten sich über Umwege doch noch gefunden und Gregors Tod reute ihn nicht.

„Von John?“ Kieran sah den anderen prüfend an. Hörte er da ein wenig mehr als nur belangloses Interesse heraus? „John ist zu einem guten Freund geworden. Wir haben uns auf Anhieb verstanden, obwohl er eigentlich ein absoluter Einzelgänger ist. Er war froh, jemanden im Haus zu haben, der ihn akzeptiert wie er ist. Er hat mir von der Uni erzählt, mir die Unterlagen aus den Vorlesungen zur Verfügung gestellt, weil er wusste, wie scheinbar unmöglich es für mich sein würde, an die Uni zu kommen. Er sagte immer, dass ich der bessere Arzt werden würde, als er es ist. Er liebt seine Drogerie, er ist ein genialer Alchimist, wenn man so will, aber er ist kein besonders guter Arzt. Er kann zum Beispiel kaum Blut sehen. Er hasst es, an Leichen herumzuschneiden. Dafür liebt er die Poesie, die Literatur, die Musik. Und Männer.... Er ist ein ganz widerwärtig direkter Mensch und sein Sarkasmus ist nicht immer leicht zu ertragen. Aber es wundert mich nicht, dass er so ist. Sein Vater ist sehr streng mit ihm, zu streng. Er ist nicht sehr beliebt, denn die wenigsten können ihm das Wasser reichen. Er hat einfach eine zu scharfe Zunge, ohne dass man es ihm zutrauen würde. Keine Ahnung.“ Er zuckte mit den Schultern und dachte einen Moment nach. Er hatte noch nicht ganz durchschaut, was John so hatte werden lassen, wie er geworden war. Im Gegensatz zu ihm wusste der andere allerdings, sich im rechten Moment zurückzunehmen, wann man besser seinen Mund hielt, und wann nicht. Er war in seiner Schicht perfekt aufgehoben, höflich dem Adel gegenüber, bissig, wenn es darum ging, die Gesellschaft oder Gleichgestellte einzuschätzen. Dabei ist er ihm gegenüber sehr feinfühlig. Kieran vermutete ein großes Herz unter all der Ablehnung, die er anderen entgegentrug. „Er hat mir London auf eine andere Art und Weise gezeigt und mir viel Kraft gegeben, als ich dort Fuß fassen musste.“ Irgendwie befand er es für besser, nicht zu erwähnen, dass jener ihm auch Nähe geschenkt hatte, als er sie ganz dringend gebraucht hatte, dass er ihm zu verstehen gegeben hatte, in ihm einen Partner finden zu können, dass jener ihm unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hatte, dass er von Dominico nichts hielt. Es war für alle besser, wenn das erstmal so bliebe. Dennoch war sich Kieran sicher, dass ein nach Hause Kommen am Montag schwierig werden würde. Denn John ging davon aus, dass Kieran auf seiner Reise über Nico hinweg sein würde. Dass Nico mitgereist war, hatte er ihm nicht gesagt. Und gerade vor den Prüfungen und nach dem Mord an Gregor, waren er und John sich viel näher gekommen. Und Kieran hatte es vermieden, dem anderen eindeutige Signale zu geben – weder in die ein, noch in die andere Richtung.
 

Dominico

Gregor war eine Sache, die sie beide wohl nicht so schnell loslassen würde. Eine Sache, die sie niemals loslassen würde, da war sich Nico sicher. Ein Mord, den man mehr oder weniger gemeinsam beging, blieb immer im Gedächtnis, immerhin war man nicht allein damit, es zu vertuschen. Doch Nico wusste, dass Kieran niemals etwas darüber sagen würde, nichtmal unter Folter.. und er auch nicht. Sie hatten ja nichteinmal darüber gesprochen in der Zeit, in der sie so sehr versucht hatten, sich gegenseitig zu vergessen und sich beinahe zu hassen. Gregor würde immer ein Thema zwischen ihnen bleiben und genau deswegen wollte Nico, dass Kieran verstand, was ihn umgetrieben hatte - umso besser, dass Kieran es zumindest nicht erneut so sehr verteufelte. "Ich weiß, ich hätte dich haben können.." Mit einem Lächeln stahl er sich erneut einen Kuss von Kieran, diesesmal einen etwas längeren. "Aber es wäre ungerecht gewesen. Ich hatte darüber nachgedacht, aber die Bedingungen waren einfach falsch. Wenn, dann sollten es Bedingungen sein, die dir gerecht werden und ich bin mir auch jetzt noch nicht sicher, ob sie es sind. Dieses Versteckspiel ist falsch.. aber jetzt muss ich es spielen, weil ich dich nicht mehr gehen lassen kann." Um das nochmal zu unterstreichen drehte er sich etwas und zog Kieran halb auf sich. Er mochte das Gewicht von Kierans Körper auf seinem, es fühlte sich gut an. Und dann erzählte Kieran von John.. und auch wenn Nico eigentlich nicht derjenige war, der sich all zu sehr in den Intrigen bewegte, sondern eher sein Bruder, der sie selbst spann, so waren seine Ohren auch fein genug, um zwischen dein Zeilen zu "hören". Ja, wie John so war, charakterlich, und wie er war im Studium - das machte alles Sinn. Doch von dem Zeitpunkt, zu dem Kieran bei John und seinem Vater eingezogen war, bis zu dem Zeitpunkt, an dem er angefangen hatte zu studieren.. da waren Monate vergangen. Und John hatte Kieran sicher nicht jeden Tag von dem Studium erzählt, auch wenn er sich schon vorstellen konnte, dass Kieran wissbegierig wie er war den armen jungen Mann mehr als einmal genötigt hatte, ihm so viel wie möglich zu erklären. Dass John kein Blut sehen konnte, schloss aus, dass er ihm viel darüber berichtet hatte und Kieran sagte immerhin auch, dass er mit John feiern gewesen war.. Kieran schien seinem Blick bewusst nicht auszuweichen, gab aber unumwunden zu, dass John ausnahmslos am männlichen Geschlecht interessiert war. Er haderte mit sich. Er musste weiter nachfragen, das war klar - aber wie? Auf eine sanfte Tour, die es Kieran unmöglich machen würde, weiter zu schweigen, oder auf eine lustige unverfängliche Art, die Kieran das Gefühl vermittelte, dass Nico es ihm nicht übel nahm wenn mehr gewesen war? Er konnte förmlich riechen, dass da noch mehr hinter dem Namen "John" steckte und der Gedanke, Kieran zurück in dieses Haus gehen zu lassen war eine pure Tortur... andererseits stand Kieran nicht anders da, Rodrego wohnte auf ihrem Anwesen.

Und wenn Kieran Rod erstmal kennen lernte, gegen den Adam von Da Vinci blass wurde... dann würde Kieran vielleicht auch anders darüber denken. Wobei sich Nico noch nicht so sicher war, ob Kieran ähnlich eifersüchtig war wie er. Zwar klang es so an, aber Nico war... nun, recht jähzornig, wenn es um Eifersucht ging. Er entschied sich für eine Mischung beider Möglichkeiten. Mit einem Lächeln auf den Lippen stieß er Kierans Nase mit seiner an. "Du willst mir also sagen, dass du mit einem jungen Mann wie John, der sicher so ziemlich jeden Trick beherrscht, den es zu beherrschen gibt, jede Nacht unter einem Dach schläfst, ohne das er jemals Hand an dich gelegt hat?" Nico legte den Kopf schief. "Ich hab ja selbst erfahren dürfen, wie schwer es ist, dich aus deiner Kleidung zu schälen, aber... ich glaube nicht, dass du so prüde bist." Er grinste noch immer, strich Kieran über den Oberschenkel. "Ich hoffe die Verhältnisse zwischen euch sind so klar wie bei Rodrego und mir, ob nun etwas gewesen ist oder nicht... Ich möchte nicht, dass unser Glück von solchen Szenen getrübt wird." Ja, das war doch ganz gut gelungen, oder? "Und ich denke, ich werde deine Einladung annehmen. Nicht sehr bald, aber sicher irgendwann! Ich werde dich in diesem Pub treffen und du wirst staunen, wenn du mich dort siehst. Ich bin sicher, du wirst mich kaum widererkennen..." Denn Nico konnte sich stark verändern. Das Haar ein wenig gestutzt, was ohnehin wieder notwendig war, zurückgekämmt und ordentlich gemacht, gepaart mit einer anständigen Rasur und anderer Kleidung machte aus seinem Gesicht etwas vollkommen anderes. Hoffentlich gefiel er Kieran dann noch.. "Also, ich werde dir Bescheidgeben, wann ich es schaffe, euch dort zu besuchen für eine kleine Tour mit mir!" Er gab Kieran einen Klaps auf den allerwertesten. Ohje, die Mädchen würden fluchen, wenn sie die Laken zum Waschen bekamen. Alles war voller Öl, Schweiß und verdünntem Wein, den Nico noch versucht hatte zu trinken... allerdings war ihm das wegen Kierans Lippen eine Etage tiefer etwas missglückt.
 

Kieran

Kieran erwiderte den Kuss nur zu gerne, tat es doch so gut, jetzt Dominico so verbunden zu sein. Und als der andere schließlich weitersprach, seufzte er ein wenig. „Aber ich kann auch für mich selbst entscheiden und selbst darüber nachdenken, was mir gerecht wird, Dominico“, sagte er eindringlich. „Solche Dinge müssen gemeinsam entschieden werden. Und ich habe weit weniger ein Problem damit, verstecken zu spielen, als du es vielleicht glauben magst.“ Es freute ihn natürlich zu hören, dass Dominico ihn haben wollte und dafür alle Lüge in Kauf nahm. Aber er hatte da auch ein Wort mitzureden. „Aber lassen wir das. Wir haben uns gefunden und vielleicht hat uns diese ganze Geschichte auch noch einmal viel enger miteinander verbunden. Und das ist in jedem Fall gut. Er hatte sich auf den anderen ziehen gelassen und küsste Dominico nun sanft, schließlich verspielter. Seine Hand glitt über den Oberkörper des anderen und so zu liegen weckte schon wieder unanständige Gedanken in ihm, obwohl er eigentlich langsam wirklich geschafft von der Reise und dem langen Tag war.

Was nun kam ließ aber jeglichen Gedanken an erneuten Sex wieder verschwinden. Etwas kritisch musterte er Nico, der seine Eifersucht auf John offenbar versuchte hinter Witz und Lässigkeit zu verbergen. Aber dass jener nachfragte, zeigte nur zu deutlich, dass Nico mehr wissen wollte, wie es zwischen ihm und John stand. Und das, was er fragte, war ja wohl auch eindeutig. Seine Augenbrauen wanderten nach oben, als er das Wort ‚prüde‘ hörte und als sei das nicht schon genug, prophezeite ihm Nico, dass ihr „Glück getrübt“ werden würde, wenn da doch mehr war und sich John mehr erhoffte. Und als Nico ihm dann zusagte, mit ihm in das Londoner Nachtleben einzutauchen, klang das eher so, als wollte Nico sehen, wie keusch Kieran wirklich lebte. „Werde ich dich nicht wiedererkennen, weil du bei jedem Kerl, der mich ansieht, beißen wirst? Oder werde ich staunen, weil du versuchen wirst, alle in den Schatten zu stellen, die es wagen werden, mit mir zu tanzen?“, fragte er provozierend. Dann seufzte er. „John ist mir ein guter Freund und er ist nicht so wie du denkst. Er bekommt jeden ins Bett, das weiß ich, das sehe ich. Aber glaube mir bitte: er würde nie seine „Tricks“ auspacken, um MICH ins Bett zu bekommen. Das hätte er sonst schon längst getan. Er würde mich nie anrühren, wenn ich das nicht wollte. – Und das hatte er ja wirklich nicht, als Kieran mehrmals neben ihm die Nacht verbracht hatte. - Er hat mir durchaus zu verstehen gegeben, dass er sich mehr mit mir vorstellen könnte, aber ich habe ihm gesagt, dass es jemanden gibt, den ich nicht vergessen kann. Und wenn ich nach Hause komme, dann werde ich ihm sagen, dass es jemanden gibt, den ich nicht vergessen muss.“ Er sah Dominico ernst an. „Du weißt, dass ich mich nur schwer verstellen kann. Mir ist Ehrlichkeit sehr wichtig, und noch wichtiger ist mir Vertrauen. Wenn du mir nicht vertraust, dann kränkt mich das. Ich vertraue dir auch. Ich vertraue darauf, dass es sich so verhält, wie du mir das vorhin versprochen hast, bei Hofe, mit anderen Männern. Solange ich derjenige bin, den du liebst, möchte ich nichts davon wissen, was du bei Hofe zu tun hast.“ Er schwieg kurz. „Ich hatte nichts mit John und werde das auch nie haben, solange wir zusammen sind. Und meine Freunde sind meine Freunde.“ Irgendwie war er leicht gereizt. Sicher, für ihn wäre es auch nicht angenehm, wenn er wüsste, dass Rod und Nico noch vor kurzem etwas miteinander gehabt hätten und beieinander wohnen würden. Aber er hatte mit John definitiv nichts gehabt, außer dass er bei ihm geschlafen hat, als es ihm schlecht ging. „Du kannst uns gerne begleiten, aber verschone mich vor irgendwelchen Szenen, ok? Ich liebe dich, Dominico, von ganzem Herzen. Dich und nur dich.“ Er sah ihn eindringlich an. „Und daran ändert sich auch nichts, wenn ich mit meinen Freunden ausgehe und ein wenig Spaß habe.“ Er schwieg kurz. Er brauchte seine Freiheiten und würde diese auch Nico zugestehen. Er wollte unbefangen flirten können, das machte ihm Spaß. Aber das war ja nichts von Bedeutung. Wenn Dominico flirtete, war das auch ok. Solange jener eben zu Hause aß, wenn er sich auswärts Hunger gemacht hatte, war das in Ordnung. Und vielleicht fände er es auch nicht weiter schlimm, wenn Nico mit anderen Sex hatte. Er wollte es nur nicht auf die Nase gebunden bekommen. Und er wollte Ehrlichkeit dann haben, wenn jemand anderes Nico mehr bot, als er das konnte, wenn Gefühle mit ins Spiel kamen und wenn damit die Beziehung drohte zu kippen. „Wir gehen meist am Donnerstag und Freitag aus. Du bist jederzeit willkommen, wenn du es dir einrichten kannst. Aber ich muss jetzt erstmal heimkommen und sehen, was es zu tun gibt, bei Dr. Chambers, bei Mr. Forbes, an der Uni. Und ich muss auch dringend zu meiner Familie. Sie fehlt mir. Und das nächste Trimester startet auch. Die Zeit vor Weihnachten wird sehr stressig." Er seufzte leicht und ließ sich auf Nicos Brust sinken, legte den Kopf an der Schulter ab und strich mit seiner Hand dem anderen über die Brust. „Ich werde dir schreiben, sobald ich den Überblick habe, wann es etwas ruhiger wird.“
 

Dominico

Kieran wirkte eigentlich gerade so, als wolle er das Gespräch am liebsten verebben lassen, doch Nico merkte schnell, dass seine Aussage jetzt zu weit gegangen war. Kieran hatte seine lockere ungezwungene Fassade durchschaut und Nico wusste nicht genau, ob er froh darüber sein sollte oder ob ihn die Menschenkenntnis, die Kieran von ihm in so kurzer Zeit gewonnen hatte, erschrecken sollte. Kierans Blick war kritisch und Nico merkte, wie Kieran sich auch körperlich etwas distanzierte, auch wenn er noch immer auf ihm lag. Nicos Maske fiel und er verzog das Gesicht. So hatte er es ja jetzt auch nicht gemeint.. naja, und wenigstens bekam er jetzt eine etwas ausführlichere Erklärungzu John. Er wusste, dass er es ihm einfach glauben musste wenn Kieran sagte, dass John ihn nicht angerührt hatte. Kieran würde nicht lügen, das hatte er auch bisher nie getan. Dass John allerdings nicht der Typ dafür war, Kieran ins Bett bekommen zu wollen, da war sich Nico nicht all zu sicher.. schon gar nicht, wenn jener offenbar ein reges Sexleben hatte. Er hielt es aber für besser, jetzt nicht darauf hinzuweisen, dass Kierans Schauspielkünste wesentlich besser geworden waren, seit er in London studierte. Aber Kieran hatte vermutlich recht, dass er das nicht würde vor Nico verbergen müssen... und Nico selbst war die viel größere Fremdgehgefahr und er musste sich eindeutig an die eigene Nase fassen. Doch er war innerlich bereit dazu, und das war doch das wichtigste, oder? Wenn er bereit dazu war, treu zu sein, dann würde er es auch schaffen.

Dennoch konnte er nicht ganz verhindern, dass bei Kierans Darstellung seiner selbst jene höfische Arroganz in seinen Blick zurückfand, die Kieran bei ihrer ersten Begegnung so verabscheut hatte. "Irgendwelche Szenen?", echote er, ebenfalls etwas gereizt von Kierans Vorstellung eines eifersüchtigen Nico. "Würde ich Szenen machen, mein lieber Kieran, dann läge ich bereits tot in einem Wassergraben. Weder werde ich dich davon abhalten, mit irgendjemandem zu tanzen, noch werde ich dich davon abhalten, zu flirten, wenn es das ist, was du willst. Ich kann dir auch dabei zusehen, es stört mich nicht." Gut, das war nicht ganz die Wahrheit, aber solange Nico dabei war, störte es ihn wirklich nicht. "Was genau denkst du von mir? Ich glaube, du siehst die Sache etwas falsch. Ich bin es vielmehr nicht gewohnt, dass Männer oder Frauen, die mir sagen dass sie mich lieben mir treu sein wollen, das ist alles. Und wenn du mit John in einem Bett schläfst, dann finde ich das vielleicht nicht toll, weil ich der sein will, der neben dir im Bett schläft, aber wenn es so kommt, dann kommt es so. Ich will nur nicht, dass du zwischen zwei Stühlen stehen musst, das ist alles." Und das war es beinahe wirklich, denn auch wenn Nico Konkurrenzdenken hatte, er glaubte Kieran, wenn der ihm sagte, dass er ihn liebte. "Hmn.. ich will nicht daran denken, zurück zu müssen." Er fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht und strich die Haare zurück. "Wenn du möchtest, reiten wir schon am Sonntag zu deiner Familie.. ich könnte auch eine Nacht bei ihnen sein, wenn es dich nicht stört." Denn Nico war gern bei Kierans Familie und da er noch nicht offiziell wieder in London war, würde man ihn dort auch nicht suchen oder ihm auflauern. Es war also eine einmalige Chance.
 

Nico merkte, wie sich bleierne Schwere langsam aber sicher auf seine Glieder legte und er schob Kieran sanft von sich. "Ich gehe noch mal hinaus und sehe nach den Pferden.. danach brauche ich glaube ich dringend Schlaf. Willst du dich noch mal waschen?" Draußen gab es einen Brunnen, den sie dafür benutzen konnten.

Nico erhob sich langsam und ging nackt hinaus, wo kurz darauf Wasser plätscherte, als Nico sich das kühle Nass einfach übergoss und sich abschrubbte. Mit einem frischen Laken auf dem Bett würde es sicher viel bequemer sein zu schlafen. Er tränkte die Pferde noch einmal und gab ihnen frisches Heu, doch alles sah ruhig und friedlich aus. Er atmete tief die kühle angenehme Nachtluft ein und sah in den Himmel hinauf. Es war vielleicht das aller erste Mal, dass er Gott wirklich aus ganzem Herzen für das dankte, was er ihm mit Kieran geschenkt hatte.
 

Kieran

Die Fassade, die mit einem Mal auftauchte, ließ ihn etwas erstaunt den anderen ansehen. Doch mit den Worten begriff Kieran, was jener meinte, warum er sich jetzt hier so gab. Und er hatte ja recht. Er war wohl in der Sorge, von Nico ‚eingeengt‘ zu werden mal wieder über das Ziel hinausgeschossen. Alles, was ihn irgendwie einengte machte ihm Probleme, auch wenn es eigentlich absurd war. Seine Beziehung zu Nico war wohl eines der Dinge im Leben, das ihm die meiste Freiheit raubte. Aber er nahm es in Kauf. Allerdings konnte er dann gut und gerne auf Eifersucht verzichten. Wobei er selbst ja auch eifersüchtig war! Er musste dringend an sich arbeiten. „Und ich glaube nicht, dass ich, wenn du dabei bist, mit jemand anderem wirklich flirten möchte, aber man kann nicht verhindern, dass man angeflirtet und angegraben wird“, entgegnete er ruhig auf die Worte des anderen, dass er in seiner Anwesenheit ruhig flirten und tanzen dürfte. Und was Nico dann sagte, erstaunte ihn dann doch sichtlich. „Das werde ich nicht, keine Sorge“, beendete er dann vorläufig das Thema. Vorläufig, weil er sich fast sicher sein konnte, dass John noch einmal ein Thema werden würde. Nicht, weil er doch Lust hätte, sich auf ihn einzulassen – er hatte das wohl eigentlich auch gar nicht, er war eigentlich nicht der Typ Mann, der ihn reizte – sondern weil Nico und John sicher nie wirklich grün miteinander werden würden, soviel war ihm klar.

Er lächelte, als der andere sagte, dass er nicht ans Zurückreiten denken wollte und küsste ihn sanft auf den Hals. Ja, dass er bald wieder in dem Alltag sein würde, in dem jedes Treffen mit Dominico kostbar und schwierig werden würde, darüber wollte er lieber auch nicht so genau nachdenken. Sie waren die letzten Tage so viel beieinander gewesen, dass es ihm sehr schwer fallen wird, auf die Anwesenheit des anderen zu verzichten. Als Nico jedoch vorschlug, zu seinen Eltern mit zu kommen, dachte er kurz nach. „Weit ist es nicht“, überlegte er laut. „Eigentlich keine schlechte Idee, Dada wird glücklich sein, dich zu sehen.“ Er grinste leicht. "Lass es uns so machen. Das hält mir den nächsten Sonntag frei, an dem ich dich vielleicht sehen könnte."

Als Nico ihm erklärte, nochmal nach den Pferden sehen zu wollen, nickte er und rollte sich leicht von dem anderen herunter, ihn loslassend. „Ich komm nach“, sagte er und streckte sich kurz einfach nur ein wenig aus, um Ruhe zu finden. Die Dinge, die sie nun besprochen hatten, waren wichtig gewesen, aber auch irgendwie anstrengend.

Als das Plätschern schon wieder verebbt war, stand Kieran dann doch noch auf, bezog kurzerhand das Bett neu und ging hinaus, um es Nico gleich zu tun, und sich zu waschen. Der andere war wohl noch bei den Pferden, als er fertig war, zumindest hatte er ihn nicht zurückkehren sehen. Und so ging er frisch geduscht hinüber zum Stall, wo Nico stand und wohl die Ruhe genoss. Er umarmte den anderen von hinten, schmiegte sich an ihn und küsste ihn sanft zwischen die Schulterblätter. Dann legte er seinen Kopf an den Rücken des anderen und schloss einen Moment die Augen. „Lass und schlafen gehen“, wisperte er schließlich.
 

Sie genossen noch den nächsten Tag in vollen Zügen, um sich einfach Nähe zu schenken und mehr über den anderen zu erfahren. Viel zu bald würden sie sich wieder nur noch selten sehen können und auch dann teilweise nur kurz.

Die Heimkehr zu seiner Familie war eine Wohltat. Sie wurden herzlich empfangen und willkommen geheißen. Fatih, Timothy und seine Mutter wieder zu sehen, zeigte ihm erst wieder auf, wie sehr er sie vermisst hatte. Und sie redeten viel und aßen und tranken und sangen den ganzen Tag und Abend. Dass Dominico mittlerweile ganz offensichtlich sein Lebenspartner war, störte hier niemanden. Seine Mutter freute sich über die Kräuter, die er ihr mitgebracht hatte. Als sie abends ein wenig von ihrem neuen Programm zu Übungszwecken vorführten, merkte Kieran wie weit diese Welt mittlerweile von ihm entfernt war. Er würde so bald nicht mehr hierher zurückkehren können. Auch die Nähe zu Fatih hat gelitten, nicht nur daran, dass er so lange unterwegs gewesen war, sondern vor allem deshalb, weil Kieran mittlerweile einfach in einer ganz anderen Gesellschaftsschicht lebte. Das war nicht wertend gemeint, aber es entsprach nun mal der Realität. Dennoch war ihre Begegnung herzlich. Als sie abends in Richtung London aufbrachen, war ihnen beiden wahrscheinlich flau im Magen. Sie schwiegen den Weg über. Die entspannte Zeit war nun vorbei und es würde sich zeigen, wie sich ihre Beziehung im Alltag bewähren würde. Kieran war guten Mutes, dass sie das meistern würden, aber sie konnten zu diesem Zeitpunkt ja nicht einmal sagen, wann genau sie sich wiedersehen würden. Die Arbeit würde ihn ablenken, da war er sich sicher, Und dennoch fühlte es sich sehr schmerzhaft an, als sie sich kurz vor London verabschiedeten und Nico zurück auf sein Anwesen ritt.
 

Dominico

Eigentlich wollte Nico am liebsten gar nicht zu Bett gehen und schlafen, um so viel Zeit wie möglich mit Kieran verbringen zu können, aber so einfach war es leider nicht, sein Körper verlangte durchaus auch seine Rechte und so lagen sie bald eng umschlungen im frisch bezogenen Bett und schliefen bis die Sonne sie wachkitzelte.

Es war ein wunderschöner Tag, der leider viel zu schnell vorbei ging. Nico lernte Kieran endlich etwas besser kennen, erfuhr von seiner Kindheit und seiner Vergangenheit und Kieran lernte ebenso viel über ihn. Die Kluft zwischen ihnen war riesig, allein was ihre Erziehung und ihre Möglichkeiten betraf, doch sie fanden einen gemeinsamen Nenner und das war wichtig. Als sie am Sonntagmorgen zu Kierans Familie ritten fühlte Nico sich in der Gegenwart seines Partners wirklich einfach nur wohl und er wusste, dass er diese Zeit, in der sie sich so offen zeigen konnten, wirklich genießen musste - denn nur all zu bald würde das nicht mehr möglich sein. Auch in Briefen durften sie nicht all ZU offen schreiben, das war gefährlich. Es sei denn.. naja, es würde wohl eine Möglichkeit sein, die Briefe zu tarnen. Wenn nicht Nico, sondern eines der Dienstmädchen des Hauses die Liebesbriefe schrieb, würde jemand, der sie las, vielleicht nicht all zu viel hinein interpretieren - ja, Nico hob sich diesen Gedanken definitiv auf.

Bei Kierans Familie mussten sie sich zumindest nicht verstecken und es war ein schöner Tag mit viel feiern, lachen, singen und tanzen. Sie hatten viele Mitbringsel für Kierans Familie, die ein ums andere Mal in verzücktes Jauchzen ausbrach und Nico freute sich, weil er gern Menschen glücklich machte. Umso schwerer war es, sich am späten Abend von Kieran zu trennen. Er wollte ihn nicht gehen lassen, musste aber - nur wusste er bei diesem Abschied sehr genau, dass er Kieran wieder sehen würde, wieder halten können würde - und das tröstete ihn doch sehr über diesen Verlust hinweg. Als er das Anwesen erreichte war sein Bruder entweder schon im Bett oder noch aus. Nico beschloss einfach, selbst zu Bett zu gehen, ohne die Belegschaft zu wecken. Morgen früh würde er alles weitere mit Alessandro klären können.

London 2 - Verspätung

Alessandro

Alessandro hatte in der Tat einiges mit Nico zu klären.

Als er am Samstagmorgen erwachte, fühlte sich sein ganzer Körper matt und taub an. Ein warmer Körper lag in seinem Rücken und ein recht schwerer Arm auf seiner Seite. Sein Rachen schrie nach Wasser und Alessio hangelte nach dem Krug, nur um festzustellen, dass sein Kopf ihm den Alkoholkonsum etwas übel nahm. Zum Glück war ihm nicht schlecht... Mit verzogenem Gesicht würgte er die ersten Schlucke Wasser hinunter, ehe seine Kehle wieder befeuchtet war und er den Becher hinunterstürzen konnte. Dann erkannte er Rodrego hinter sich und von seinem missmutigen Gesichtsausdruck fiel das Griesgrämige ab. Die Erinnerungen an die letzte Nacht kamen wieder wie eine Sturmflut in sein Hirn und dazu ein ihm unbekanntes Ziehen in seiner Kehrseite... Ja, auch daran erinnerte er sich jetzt. Nochmal fand ein voller Wasserbecher den Weg an seine Lippen, ehe er sich neben Rod wieder ausstreckte und sich an ihn schmiegte. Der Sonnenstand verriet ihm, das der Vormittag weit fortgeschritten war, aber das war ihm egal. Im Kopf ging er durch, was heute wichtig gewesen wäre und verwarf es gleich wieder. Nur ein Treffen mit Wolsey, in dem es darum ging, ihm den Hintern zu küssen... Und darauf hatte Alessandro gerade keine Lust. Er würde sich krankheitsbedingt entschuldigen, wenn er später nach London ritt. Jetzt wollte er Rodregos Nähe genießen, die ihn erfüllte und ihm das erste Mal seit langem das Gefühl gab, nicht allein aufzuwachen und nicht allein zu sein.

Als Rod erwachte, schmunzelte Alessio leicht und strich ihm das Haar aus der Stirn, ehe er auch ihm Wasser reichte, das Rod ähnlich gierig trank wie er.

Aufstehen war Alessandro noch nie so schwer vorgekommen. Als sie beide gefühlte Stunden später endlich aufstanden, um sich zu waschen und anzukleiden, kam es Alessio irgendwie vor wie ein herber Verlust. Rod musste sich wegen seiner Arbeit bald verabschieden und nur der sanfte Abschiedskuss tröstete den Kardinal darüber hinweg, ihn jetzt gehen lassen zu müssen.
 

Rodrego

Rodrego wachte von dem Gefühl auf, beobachtet zu werden. Und dieses Gefühl, das hier in dem Fall auch nicht wirklich ein schlechtes war, hatte er schon lange nicht mehr gehabt. Er blinzelte und lächelte sogleich, als sich bestätigte, dass Alessio noch immer neben ihm lag, ihn ansah. Seine Arme zogen den anderen näher zu sich, während er die Augen noch einmal schloss, um erst richtig wach zu werden. Sanft küsste er den anderen an die Halsbeuge. „Wie spät ist es?“, wisperte er mit von Schlaf und dem Alkohol des vergangenen Abends verfremdeter Stimme. Er öffnete die Augen wieder etwas und nahm Alessio den Becher Wasser ab, den dieser ihm reichte. Er trank zügig und während er trank, merkte er, dass er irgendwie das Gefühl hatte, etwas vergessen zu haben, - neben den leichten Kopfschmerzen, die er verspürte. Er lauschte diesem Gefühl und wurde unruhig, als ihm der Brief in den Sinn kam.

„Hast du noch etwas vor, oder können wir noch ein wenig liegenbleiben? Ich möchte nicht ungemütlich sein, es ist grad so schön, aber ich möchte auch nicht, dass du Ärger bekommst wegen mir“, sagte er dann und als der andere ihm sagte, dass es nichts gäbe, was nicht bis später Zeit hätte, nickte er zufrieden. Nun, wenn dem so war, würde er ja den anderen von nichts zurückhalten, wie es in dem Brief gefordert worden war, oder? „Das ist schön“, sagte er lächelnd und küsste den anderen sanft auf die Schulter und zog ihn noch etwas näher an sich.

Dennoch war auch er ja nicht ganz ohne Arbeit und als sie sich schließlich verabschiedeten, küssten sie sich, als würden sie sich das Versprechen geben, sich bald wieder zu sehen, diese Nacht vielleicht bald zu wiederholen. Etwas Verbindliches, irgendetwas Konkretes sagten sie nicht, ließen in der Schwebe, was aus dieser Nacht in Zukunft werden würde, aber Rodrego würde es begrüßen, wenn sie wirklich ausprobierten, ob mehr zwischen ihnen sein könnte, als die Freundschaft, die sie bisher geteilt hatten.
 

Alessandro

In eine dunkelrote Robe gehüllt ritt Alessandro Sforza erst am Nachmittag durch die Tore von London zum Palast, durch die geschäftigen Gassen Londons. Er war mit den Gedanken allerdings ganz woanders und merkte erst als er Wolseys Arbeitszimmer erreichte, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte. Die Blicke der Menschen draußen hatte er eben noch als Überraschung über den Schnitt seiner neuen Robe gedeutet, doch jetzt merkte er, dass sie ihn musterten. Fragend? Forschend? Er zwang sich seine Gedanken beieinanderzuhalten, als er bei Wolsey vorgelassen wurde und erfuhr schon kurz darauf, warum die Menschen so starrten als er Wolseys wütenden Blick sah. "Wo seid ihr gewesen, eure Eminenz?" Alessio beeilte sich, sich zu verneigen. "Verzeiht, eure Eminenz, aber ich habe mir in Italien wohl den Magen verdorben. Mein Arzt musste mich heute Morgen erst behandeln, bevor ich in der Lage war zu essen", gab er zurück und Wolsey schien sich, wenn auch schlecht gelaunt, damit zufrieden zu geben. "Es gibt Probleme, massive Probleme." Er bot Alessio einen Stuhl an und der Kardinal setzte sich gegenüber seinem Kollegen. "Cromwell nimmt mehr und mehr Einfluss auf den König. Er sagt, eine Scheidung von Katharina sei rechtens, weil die Heirat bereits ungültig ist. Sie war ja bereits verheiratet und daher wahrscheinlich keine Jungfrau mehr. Er sagt, wenn Henry nur einen Weg finden würde, sich von Rom zu lösen, würde er dafür sorgen, dass der König Anne heiraten kann. Der König ließ darüber abstimmen und Eure Stimme fehlte zu unseren Gunsten!" Alessio runzelte die Stirn. Das waren in der Tat alles andere als gute Neuigkeiten, aber ein Drama war es auch nicht. "Dem Papst ging es bereits schlecht, als ich in Rom weilte. Ich bin sicher, man wird bald das Konklave einberufen und dann seid ihr Papst. Will der König sich nicht mehr gedulden?" Wolseys Handbewegung deutete auf das Gegenteil hin. "Er will keinen Tag länger vergeuden, an dem er keinen Thronfolger mehr zeugen kann! Er liegt seiner Frau nichteinmal mehr bei, sondern hat nur noch Augen für diese Hexe Boleyn. Wir müssen ihn dringend davon abhalten, sich von Rom loszusagen, sonst ist mein und euer Stand in London nicht mehr sicher."

Alessio nagte auf seiner Unterlippe, ehe er nickte. "Ich werde mit meinem Bruder sprechen, sein Wort hat Einfluss bei seiner Majestät. Er soll mit ihm sprechen." Und so debattierten sie noch den ganzen Nachmittag darüber, wie man Henry und seinen Heiratswahn stoppen konnte. Dass es seine Schuld war, dass es soweit gekommen war, sah Alessio zwar ein, doch er bereute es keinesfalls, so lange neben Rodrego im Bett gelegen zu haben... er konnte immernoch fliehen, wenn hier die Schiffe sanken, und noch nahm er Henrys Drohungen einfach nicht ernst.
 

Rodrego

Rodrego war überrascht, als an diesem Abend ein Bote kam, um ihm einen Brief zu überreichen. Noch bevor er richtig fragen konnte, von wem dieser Brief kam, eilte der Bote allerdings schon weiter. Rod war sich sicher, dass er ohnehin keine Antwort erhalten hätte.

Der Brief enthielt nur ein paar Worte: „Danke, Ihr werdet bald mehr erfahren; weitere Anweisungen folgen!“ – Rod war unschlüssig, was er damit machen sollte. Eigentlich hatte er Alessio in seinem Arm haltend vor dem Einschlafen beschlossen gehabt, diesen Brief zu vergessen, ihn zu ignorieren, und sich vielleicht doch einfach damit abzufinden, dass seine Eltern gestorben waren, unabhängig davon, wer diese Intrige gegen ihn eingefädelt hatte. Und das Resultat dieser Entscheidung war eine ruhige Nacht, in der er zwar letztlich nicht viel, aber immerhin so entspannt wie schon lange nicht mehr geschlafen hatte.

Und doch war es nun wieder ein seltsames Gefühl, diesen Hinweis in den Händen zu halten. Was würde folgen? Welche Anweisungen?

Und es beschäftigte ihn doch noch eine andere Frage: Ganz offensichtlich war Alessio zu spät gekommen, aber: zu was?

Bald jedoch waren diese Fragen nebensächlich, denn die Arbeit holte Rodrego ein und hielt ihn auf Trab. Warum auch immer – aber es schien, als wolle Henry den Winter nutzen, um sein Waffenarsenal zu erweitern…
 

Alessandro

Ihm war nach wie vor nicht bewusst, welche Tragweite die Nacht mit Rodrego nach sich gezogen hatte, von dessen geheimen Erkundungen einmal ganz abgesehen. Nach dem Gespräch mit Kardinal Wolsey hatte Alessio die Messe besucht, um seine Gedanken zu sammeln. Nicht unbedingt, weil das Gespräch mit Gott ihm dabei half, doch hier hatte er wenigstens seine Ruhe. Schon auf dem Weg in die Kirche hatte er gemerkt, wie die Menschen um ihn herum tuschelten, und es ging ihm mehr als nur ein wenig auf die Nerven. Was zur Hölle war denn geschehen?

Nach seinem Gebet und einigen Treffen mit Informanten und Bekannten, die er alle am Hof im Audienzsaal und den Gärten fand, zeichnete sich nach und nach ein Bild, das Alessio mehr und mehr blanke Furcht in die Knochen trieb. Cromwell hatte schon eine ganze Weile gegen ihn intrigiert, doch so langsam nahm diese ganze Sache überhand. Die Abwesenheit der Brüder hatte Cromwell nicht dazu genutzt, sie öffentlich zu denunzieren oder gegen sie vor dem König zu reden - nein, Cromwell war wesentlich hinterhältiger. Alessandro merkte sehr bald, dass er mit Cromwell einen sehr, sehr ebenbürtigen, wenn nicht sogar überlegenen Gegner hatte. Der neue Mann an Henrys Seite war glühender Verfechter einer englischen kirchlichen Revolution. Einst selbst lange Zeit durch Italien gereist und gefühlte Jahrzehnte immer an der Seite Wolseys anzutreffen ging der Mann anscheinend jetzt seinen ganz eigenen Weg und dieser Weg gefiel Henry besser als Wolseys schleichender Versuch den Vatikan im gesamten zu übernehmen. Vielleicht auch, weil ein Papst Wolsey noch immer den Vatikan bedeutete und weil Henry die Unabhängigkeit die ihm vorschwebte besser gefiel? Alessio konnte es nicht sagen. Auf jeden Fall stützte sich Cromwell auf revolutionäre Kräfte und bediente sich allem Anschein nach nicht unbedingt den normalen Mitteln für seine Intrigen: Er nutzte unbekanntere, unwichtigere Männer, um sie von seiner Sache zu überzeugen, und schaffte es so langsam aber sicher eine Schar von Fürsprechern für sich zu gewinnen. Alessio hatte zwar keinen Boden verloren, als er in Italien gewesen war, aber er hatte auch keinen gut gemacht… Cromwell dagegen schon. Sogar einige der Leute, von denen sich Alessio sicher gewesen war, dass sie eigentlich dachten wie er und sein Bruder, ließen durchblicken, dass auch sie eine Abspaltung der englischen Kirche befürworteten, auch wenn niemand besonders begeistert davon schien, wie Henry mit seiner Königin umsprang... aber das stand ja bekanntlich auf einem anderen Blatt, denn gegen Henry sagte niemand auch nur ein Wort, es sei denn, man war bereit für diese Überzeugung zu sterben - und das war bereits zu oft passiert.

Letztendlich hatten sie also doch Boden verloren und Alessio kam lange nicht auf das Hofgut zurück, schlief kaum. Nachts traf er sich mit Informanten, die den Schutz der Dunkelheit vorzogen, am Tage mit hochrangigen Familienvertretern, nur um festzustellen, dass Cromwell mehr als vorsichtig und klug vorging.

Als er am Mittag des darauffolgenden Montags wieder auf seinen Bruder traf, wirkte der fröhlich und gelöst, als er den Palast erreichte, zumindest solange bis er auf einen abgekämpften und übermüdeten Alessandro traf. Sie gingen ein wenig durch die Stadt, denn Henry war noch unabkömmlich und hatte die Sitzung verlegen lassen. Die Zeit war zu kurz für all das, was Alessio seinem Bruder zu berichten hatte, doch in groben Zügen gelang es ihm die Dringlichkeit ihrer Situation zu schildern.

Cromwells Plan schien es zu sein, vor allem ausländische Familien aus England zu vertreiben. Es schien beinahe so, als sei es Cromwell zuwider, dass so viele ausländische Familien versuchten, Einfluss auf Henry zu nehmen, auch wenn sich Alessandro kaum vorstellen konnte, welche das waren. Er hatte zumindest herausgehört, dass es Cromwells erklärtes Ziel war, sie beide von Henry zu entfernen und zwar am besten in einer Art und Weise, die auch Charles Brandons Einfluss auf Henry minderte. Alessio wusste, wie wenig Dominico und Charles Thomas Cromwell leiden konnten... leider gehörte Alessio selbst nicht in den illustren Kreis von Henrys Günstlingen. Aber so wie es sich derzeit darstellte, würde auch sein Bruder nicht mehr besonders lange in diesen Kreis gehören, wenn sie sich nicht zusammenrissen. Das Allerwichtigste war es wohl, sich sofort mit Charles in Verbindung zu setzen. Alessandro hatte das bereits auf mehreren Wegen getan und schon eine Antwort erhalten, dass Charles sie demnächst zu einem Abendessen besuchen würde. Sie mussten ihre guten Kontakte dringend zusammenhalten und noch eine Spur aufmerksamer sein, was Anschläge wie den in Madrid anging... vielleicht war bereits das eine von Cromwells Taten gewesen und dass sie nicht vorbereitet gewesen waren, schockierte Alessio mit jeder Minute mehr, die er darüber nachdachte. Als er endlich am Abend auf das Anwesen zurückkam, gemeinsam mit seinem Bruder und einer verstärkten Wache, war er am Ende seiner Kräfte und schlief am nächsten Tag beinahe bis zum Nachmittag.

London 2 - Gedanken an Weihnachten

John

Es war etwas stickig in London und die Wärme der letzten Tage nervten John irgendwie. Es war Herbst! John mochte das kalte, feuchte, neblige Wetter der Stadt eigentlich gerne. Vielleicht, weil es so oft seine Stimmung widerspiegelte…

Wahrscheinlich war er aber vor allem deshalb genervt, weil er - seit Kieran in Spanien war und nicht mehr für seinen Vater zur Verfügung stand - alles übernehmen musste, was dieser eigentlich arbeitete. Und er wunderte sich jeden Tag aufs Neue, wie Kieran das alles normalerweise so scheinbar mühelos schaffte. Dass Kieran nicht auf den Kopf gefallen war, war ihm klar. Aber dennoch. Es war wirklich bewundernswert, wie der kleine Kerl das alles bewerkstelligt hatte, während er ja auch deutlich Liebeskummer gehabt und unter diesem Idioten gelitten hat, der ihn doch nur von vorne bis hinten verarschte.

John war nicht dumm und konnte eins und eins zusammenzählen. Und auch wenn Kieran nie einen Namen hatte fallen lassen, war ihm durchaus klar, mit wem er ein Verhältnis gehabt hatte. Aber er war auch klug genug, nichts in der Richtung zu sagen. Bei Menschen von diesem Stand hatte man schneller einen Dolch im Rücken oder eine Dosis toxicum im Essen, als man Amen sagen konnte. Da würde er sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen...

John musste oft an die Nächste denken, in denen dieser schöne Körper neben ihm im Bett gelegen hatte, in denen Kieran neben ihm unruhig schlief, seine Nähe gesucht hatte und sie erhalten hatte, wenn er alptraumgeplagt aufschreckte. Und John war sich überlegte, ob Kieran und er wohl mittlerweile zueinandergefunden hätten, wenn Dr. Chambers ihn nicht nach Spanien abkommandiert hätte. John ärgerte sich darüber. Allerdings war es auch kein guter Anfang für eine Beziehung, wenn man gerade erst von dem einen abserviert worden war.... Er wollte Kieran - wenn überhaupt - nur ganz. Und so hoffte er, dass jener aus Spanien zurückkehrte und Dominico Sforza hinter sich gelassen hatte.

Allerdings stand diese Hoffnung auf Messers Schneide, schließlich hatte John mittlerweile bei Hofe erfahren, wer diese Reise überhaupt leitete: kein geringerer als Dominico selbst. Und da konnte er so gar nicht abschätzen, was sich entwickelt hatte oder eben nicht.

Nun, er würde abwarten müssen. So sehr er sich sonst nahm, was er wollte, wann er es wollte, so sehr konnte er abwarten,w enn ihm etwas wirklich bedeutete. Und das tat Kieran. Er bedeutete ihm viel. Kieran war seit langem einmal wieder ein Mann, den er gerne wirklich an seiner Seite wissen wollte. Er war seit langem der einzige Mensch, dem er sich überhaupt öffnete... Und egal was die Spanienreise bringen würde: er würde geduldig sein müssen. Zum einen bis sich Kieran wirklich von Nico losgesagt hätte: denn, was nützte ihm Kierans Körper, wenn sein Geist bei jemand anderem war? oder eben zum anderen: wenn Kieran und Nico doch noch zusammen wären. Denn so sehr er ihn gerne als Lebensgefährten hätte, so wichtig war ihm seine Freundschaft. Kieran ganz zu verlieren und nicht nur an Dominico, wollte er nicht riskieren. Und letztlich war ihm ja eigentlich nur eine Sache wichtig: dass Kieran glücklich war und wertgeschätzt wurde.

Er musste geduldig sein.
 

Es war Sonntagabend und sein Vater blickte nachdenklich aus dem Fenster, während er die Konsistenz der Salbe überprüfte, die sie gerade gemeinsam angesetzt hatten. Auch sein Vater vermisste Kieran, den er wie einen Sohn in sein Herz geschlossen hatte und den er als Arzt an seiner Seite schätzte. Kieran war ihm zu dem Sohn geworden, den er nie gehabt hatte.

John hatte kein Problem damit. Er wusste, dass er seinem Vater nicht genügte, aus diversen Gründen. Er hatte nie eine Chance bei ihm gehabt, obwohl er es wirklich versucht hatte. Er genügte ihm nicht, weil er kein guter Arzt war, weil er war, wie er war, weil er aussah, wie er aussah... So war es halt, da gab es nichts daran zu beschönigen. Dafür half er ihm in der Drogerie und kredenzte seine Medikamente. Darin war er unschlagbar und nicht angreifbar. Es gab in ganz London niemandem, der ihm in diesem Punkt das Wasser reichen konnte. Zumindest darauf konnte er vielleicht ein wenig stolz sein.

Die Tür, die unten ging, ließ sie beide sich ansehen, dann hörten sie Schritte auf der Treppe. Sein Vater stand auf und trat hinaus in die Stiege, bevor sein verlorener Sohn einfach an ihrer Wohnung vorbei ins Dachgeschoss hätte entkommen können. „Kieran!“, begrüßte er ihn und schloss ihn in die Arme. „Wir haben dich schrecklich vermisst“, hörte er seinen Vater sagen und lächelte darüber. Sein Vater löste die Umarmung wieder und sah den anderen an. „Du siehst braungebrannt aus, gar nicht mehr britisch“, stellte er fest und Kieran zuckte mit den Schultern. „In Spanien hat man keine andere Wahl“, erklärte dieser und sah nun John an. Das Lächeln und die Freude in den Augen des anderen war ehrlich, aber der Blick trug noch etwas anderes in sich, Schuld vielleicht? John ahnte, was der andere ihm bald offenbaren würde. Nun, dann war es so. Hauptsache, er war glücklich und auch bei ihm.

„Hey, Kleiner!“, begrüßt er nun seinerseits den anderen und schloss diesen in eine Umarmung. Hm, das tat gut. Ja, er hatte Kieran auch vermisst. Doch lange hielt die Umarmung nicht an, denn Kieran piekste ihn in die Seite und tadelte ihn mit einem. „Nenn mich nicht ‚Kleiner‘!“ Aber das ließ er sich nicht nehmen und Kieran hatte mal gesagt, dass er der einzige sei, bei dem er das dulden könne, auch, wenn er es nicht gut hieß. Und so hatte sich das ein wenig wie ein running Gag zwischen ihnen etabliert. „Schön, dass du wieder da bist“, fügte John an und half dem anderen die Sachen nach oben zu bringen.

Der Abend wurde lang und Kieran erzählte von der Reise und was er für sie mitgebracht hatte und wollte wissen, wie es hier so allen ergangen sei, den Patienten, Mr. Forbes und dem Laden. Später verabschiedete sich sein Vater ins Bett und sie hatten Zeit, etwas vertrauter miteinander zu reden.

„Im Stallion wirst du vermisst“, wechselte er das Thema. „Jenny fragt schon, ob sie dich buchen könne. Du würdest dann das Bier auch umsonst bekommen.“ Er grinste leicht. Kieran hatte bei ihrem letzten Besuch die Anwesenden damit amüsiert, dass er die Bedienung begonnen hatte zu unterstützen, weil es ihm nicht schnell genug mit ihrer Bestellung ging. Dass er dabei das ein oder andere kleinere Kunststück hat einfließen lassen, hatte einigen sehr gefallen. „Bloß nicht noch ein Job“, winkte Kieran ab und lachte. „Aber ausgehen wäre super.“ Kieran schien kurz zu zögern und John blickte auf und sah ihn fragend an. „Er möchte auch einmal mitkommen, sobald es ihm möglich sein wird...“ John hob zweifelnd die Augenbrauen. „Na da bin ich ja mal gespannt.“
 

Die Woche startete für sie beide mit viel Arbeit. In der Uni musste man sich in die Kurse eintragen und wenn Kieran vermeiden wollte, noch einmal mit Sullivan zu tun zu haben, würde er sich rechtzeitig bei Dr. Goyle einschreiben müssen. Kieran hatte dann noch alle Hände voll zu tun, Dr. Chambers gerecht zu werden, der ihn sogleich einspannte, obwohl sein Vater ja auch hoffte, endlich wieder Patienten an den Schwarzhaarigen abtreten zu können. Und so wunderte sich John von der Ferne einmal mehr, wie es der kleine Mann schaffte, sich so zu vierteilen, dass er allen gerecht wurde. Abends saßen sie dann da und unterhielten sich. Er war gespannt, was noch so geschehen würde, wenn der Sforza in Kierans Welt eintauchen würde. Er würde es mit einem amüsierten Lächeln herausfinden. Hauptsache, der Kleine sah so glücklich aus, wie es im Moment war.
 

Kieran

Die erste Woche verging wie im Flug. Er hatte ja gewusst, dass die Arbeit ihn schnell wieder einholen würde. Und so legte er sich ins Zeug und war froh, beschäftigt zu sein. Er schaffte es in die Kurse, in die er wollte, übernahm wieder ein paar Patienten von Mr. Forbes und auch Dr. Chambers spannte ihn sogleich wieder ein, ihn in der Klinik zu unterstützen. Kieran fragte sich zwischenzeitlich manchmal, wie er es schaffen sollte, wenn ab der nächsten Woche die Vorlesungen wieder beginnen würden. Wirkliche Ferien hatte er nicht gehabt… bis auf die zwei Tage mit Nico in jener Hütte, an die er sich gerne zurückerinnerte…

Dominico hatte er einen Brief geschrieben, in dem er sich sehr förmlich erkundigte, ob er am Sonntag auf die Ländereien kommen könne, um seine Stelle als Arzt anzutreten. Dass er hoffentlich noch Zeit für Nico haben würde, war natürlich der Hintergedanke…

Doch so viel Zeit blieb zumindest an diesem Tag gar nicht. Kieran war in der Früh noch mit seinen Patienten beschäftigt und als er endlich am Anwesen eintraf, wartete da auch einige Arbeit auf ihn. Aber die Praxis, die er nun sein eigen nennen durfte, war phänomenal. Nicht nur, dass die Räumlichkeiten allen Komfort boten, die man als Arzt haben konnte, es gab einen perfekt angelegten Kräutergarten, der im nächsten Frühjahr sicher einiges zu bieten hatte, ein Labor, in dem es besseres Equipment gab, als in der Uni, und zudem eine ganze Sammlung an Büchern. Dass es sein Vorgänger hinterlassen hatte, wunderte ihn, freute ihn aber umso mehr.

"Darf ich John einmal hierherbringen? Wenn der das Labor sieht, flippt er aus. Das würde ihm glaube ich einige Arbeit erleichtern." Dominico stimmte zu, auch wenn er etwas zu zögern schien. Nun, vermutlich würde es ohnehin erst im Frühjahr wieder Sinn machen, wenn die Kräuter wieder wuchsen. Bis dahin würde die Situation zwischen Nico und John hoffentlich geklärt sein…

Es war später Nachmittag, als sie dann doch noch zum Baden kamen und Kieran nutzte die Gelegenheit, Dominico noch einmal auf die vergangene Woche anzusprechen, in der der andere nichts von sich hatte hören lassen. Dominico erzählte ihm davon, dass es aufgrund der Situation mit Henry immer mehr zu Spannungen bei Hofe käme und ein gewisser Cromwell versuche, die Situation für seine Zwecke zu nutzen und seine Position bei Henry zu festigen, während er versuchte die ausländischen Familien aus dem Land zu vertreiben. Kieran hörte zu, weil er merkte, dass es Nico belastete. Er fragte allerdings nur bedingt nach, weil er wusste, dass zu viel an solchem Wissen für ihn auch sehr schnell nach hinten losgehen konnte.
 

Die Zeit verging wie im Fluge und auch der Sonntag war so schnell vergangen, dass Kieran das Gefühl hatte, dass die Uhr schneller lief, wenn er mit Dominico Zeit verbringen konnte.

Als er schließlich nach Hause kam, stand ihm eine lange und anstrengende Woche in der Uni bevor, in der er sicher kaum Zeit haben würde, nachzudenken.

Zum Einstieg ins Semester war es offenbar Brauch, dass sich die Studenten und Dozenten im größten Hörsaal trafen und das Semester mit einem kleinen Umtrunk starteten, bevor die Kurse, die man in dem Semester besuchen würde, genannt und Zeitpläne ausgehändigt wurden.

"Ich bin nicht mehr bei Sullivan." Kieran seufzte erleichtert, als er den Zettel betrachtete, der ihm ausgehändigt worden war. Er entwand John den seinigen und las sie vergleichend. "Wir haben fünf Vorlesungen gemeinsam." Dann runzelte Kieran die Stirn. "Wieso darfst du zu Dr. Cabbage in den Kurs für fortgeschrittene Pharmazie und ich nicht?" John zupfte ihm den Zettel aus der Hand und grinste breit. "Ich hab mit ihm geschlafen", sagte dieser schulterzuckend und lachte dann, als er das kritisch zweifelnde Gesicht von Kieran sah. "Ich bin halt brillant, das weißt du doch", sagte er dann grinsend und Kieran musste grinsen. Nun, wo John recht hatte… Kieran sah deutlich, dass John sich über diese Anerkennung sehr freute. Ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen, als ein Raunen durch die Menge ging und der Dekan der Hochschule eintrat. Das neue Trimester wurde eröffnet und bis Weihnachten würde die Hölle los sein. Wieviel Zeit er da wohl für Dominico haben würde? Er seufzte innerlich. Aber es würde schon gehen…
 

Alessandro

Die Woche verging wie im Flug. Charles kam am Donnerstagabend zu ihnen zum Essen und hatte ebenfalls einiges zu berichten.

Das Bild das sich bei den drei Männern abzeichnete war alles andere als gut. Cromwells Intrigen zielten nicht darauf ab, ein wenig mehr Macht zu bekommen, nein. Er hatte das hier von langer Hand geplant und keiner konnte wirklich sagen, was noch auf sie zukommen würde. Doch weil die drei Männer sich lange genug kannten und alle drei aus den widrigsten Verhältnissen zu ihrem Stand gekommen waren, würde Cromwell an ihnen scheitern. Sie beschlossen gemeinsam Cromwell vorerst gewähren zu lassen während Alessio zusehen sollte, ihren Stand wieder zu festigen. In dieser Zeit würden Nico und Charles auf die offenen Provokationen eingehen, die sie beide gegeneinander aufhetzen sollten, um vor Cromwell so zu tun als ginge sein Plan auf. Sie mussten die Männer finden, die Cromwells Pläne ausführten, die er beeinflusste. Sie mussten Männer finden, die bereit waren gegen Cromwell auszusagen wenn es um ihr Leben und ihre Ehre ging - und leider war das ein äußerst langwieriger Prozess mit einem Wettlauf gegen die Zeit. Es war wie beim Schach.. viele Züge dienten nur dazu den Gegner zu verwirren, ihn kennen zu lernen und dafür zu sorgen, dass er Fehler machte. Alessio würde dafür sorgen, das Cromwell Fehler machte.

Die Zeit spielte ihnen eigentlich in die Hände: Es würde bald Winter werden in London und erfahrungsgemäß geschah im Winter mehr in den Bankettsälen als auf den Turnierplätzen. Die Vorweihnachtszeit war auch in London etwas, das Henry äußerst ausführlich beging und vielleicht würden ihnen die Gottesdienste und kleinen Feste die Bühne geben, die sie brauchten, um ihre eigenen Pläne umzusetzen.

Um sich selbst besser zu schützen, riefen die beiden Brüder auch ihre Angestellten zusammen. Mehr denn je sollten die Männer und Frauen darauf achten, nicht den falschen Leuten zu vertrauen und ungebetene Gäste erst gar nicht auf das Anwesen oder in das Haus hinein zu lassen. Im Gegenzug versprach Alessandro ein schönes Weihnachtsfest, gemeinsam in ihrem großen Saal. Es war eine Schande, dass Giulia nicht bei ihnen sein konnte, doch Dominicos Frau hatte Verpflichtungen in Rom. Dennoch hoffte Alessandro darauf, dass es ein paar besinnliche schöne Tage geben würde, die ihnen allen die Kraft gaben, gegen Cromwells Sturm zu bestehen. Außerdem wollte er noch etwas anderes genießen - Rodrego. Sie hatten sich nicht häufig gesehen in den letzten Tagen, da der Schmied sehr viel Arbeiten musste. Wenn sie sich allerdings gesehen hatten, dann waren sie einander nah gekommen und Alessandro genoss diese Ablenkung sehr. Er hoffte, dass Rodrego das ebenso sah wie er und Alessandro zum ersten Mal seit langer, langer Zeit ein Weihnachten nicht allein verbringen musste.
 

Kieran

Der Nacken schmerzte, genauso wie der Kiefer. Ein fahler Geschmack im Mund zeigte davon, dass er mit offenem Mund eingeschlafen war. Kieran schreckte auf, als er spürte, dass er bewegt wurde. Müde blickte er John an, den er im Halbdunkel erkannte. "Du bist schon wieder über den Büchern eingeschlafen...", erklärte dieser, der seinen Arm über seine Schulter gelegt hatte, und ihn nun hochhob, um ihn in sein Bett zu bringen. Kieran schmiegte sich an den anderen, atmete verschlafen ein. "Und du riechst nach Kneipe und Sex", murmelte Kieran. Er merkte, dass John ihn kurz ansah, bevor er ihn ins Bett legte und ihm half, die Hose auszuziehen. "Kann ja nicht jeder so einen tollen Mann haben, für den es sich lohnt, abstinent zu leben", knurrte John und Kieran grinste. "Wo du recht hast..." Seitdem er aus Spanien zurückgekommen war, war Kieran glücklich. "Schade nur, dass du deinen Prof häufiger siehst als ihn..." Kierans Grinsen starb jäh. "Es hat seinen Grund", knurrte er und sein Blick tadelte John. Musste er immer darauf herumreiten? Ja, verdammt. Er würde Nico auch gerne öfter sehen, aber es ging nun mal nicht immer so, wie er es wollte. Wenn Kieran Nico sah, wirkte er angespanntund voll Sorge. Er erzählte ihm nicht viel, nur dass Intrigen gesponnen wurden, die ihnen alles nehmen könnten. Kieran wollte lieber nicht zu viel wissen. Es war gesünder... und er wusste, dass er umso mehr aufpassen musste, damit er für Dominico nicht zum Problem wurde.

"Schon gut, entschuldige!", murmelte John und hob beschwichtigend die Hände. "Es ist nur so, dass ich es vermisse, mit dir unterwegs zu sein..." Kieran nickte. "Vielleicht im neuen Jahr, wenn das Trimester zu Ende geht. Im Januar sind Prüfungen. Und wenn ich Nico irgendwie überhaupt sehen will, muss ich abends lernen..." Anders ging es nicht. "Und vor Weihnachten wirst du aber auch noch kaum Zeit haben... Das Fieber, das umgeht, verbreitet sich immer schneller. Dein Vater braucht jeden, den er haben kann." John schnaubte, sagte aber nichts. Kieran runzelte die Stirn. Manchmal würde er gerne in Johns Kopf sehen können. Er verstand noch immer nicht, was Vater und Sohn für eine Beziehung hatten... Von Herzlichkeit war keine Spur zu sehen, aber ein offener Konflikt fehlte auch.

John stand unschlüssig da. "Weckst du mich morgen?" Kieran nickte. "Klar!" John drehte sich um. "Gute Nacht, Kleiner!", sagte er noch, bevor er die Tür hinter sich schloss. Kieran mummelte sich ein und schlief ein. Schön wäre es, wenn John auch jemanden hätte... Aber der Kerl war so weit weg davon, sich auf jemanden einzulassen, wie Henry davon entfernt war, zu seiner Ehefrau zurückzukehren... Kieran seufzte, dann schloss er die Augen und schlief ein.
 

In der Tat rückte Weihnachten unaufhaltsam näher. Und damit verbunden waren irgendwie neue Probleme, die Kieran so gar nicht auf dem Schirm gehabt hatte: Was sollte er Nico schenken? Hätten sie eine Chance, Weihnachten überhaupt gemeinsam zu verbringen? Nico hatte erklärt, dass Henry ein Bankett abhielt, zu dem seine Anwesenheit gewünscht war. Sollte er dann zu seiner Familie reisen? Und was war mit John? Irgendwie konnte er sich nicht vorstellen, dass dieser einen netten Abend mit seinem Vater vor einem Weihnachtsbaum haben würde. Als er John einmal fragte, wie sie Weihnachten verbrachten, hatte er gesagt: "Wie jeden anderen Tag... Meistens haue ich nach dem Essen ab und hol mir meinen Nachtisch auswärts." Kieran fand das traurig, denn bei ihm in der Familie war es üblich, dass man das Fest gemeinsam beging, obwohl keiner von ihnen wirklich tief religiös war. Es war ein Familienfest...Als John sein Gesicht sah, lachte er leicht. "Mach dir keinen Kopf", sagte er und lächelte ihn an. "Ich lege darauf gar keinen Wert und es stört mich nicht!"

Kieran glaubte ihm sogar, und doch machte es ihn traurig. Daher nahm er sich vor, den anderen zumindest mit einem Geschenk zu überraschen, und er hatte schon eine Idee... Wenigstens hatte er genug Geld, seitdem er so viel arbeitete...
 

Es war ein willkommener Zufall, dass Kieran an einem der Tage, an denen er auf dem Hof war und sich um Nicos Belegschaft kümmerte, Alessandro traf. Er hatte wenig mit ihm zu tun und ihn seit ihrer Ankunft aus Spanien nicht gesprochen. Und umso angespannter war er, als er zu jenem trat. "Eure Eminenz", sprach er ihn vorsichtig an. "Entschuldigt, dass ich Euch störe, aber ich wollte Euch etwas fragen."

Als jener ihn ansah und ihm andeutete, dass er sprechen solle, blickte sich Kieran kurz um. Nico sollte ihn nicht hören und jener hatte manchmal die Angewohnheit, plötzlich einfach irgendwo aufzutauchen. "Ich weiß, dass ihr über Weihnachten vermutlich ziemlich eingespannt seid. Aber ich würde Nico dennoch irgendwie gerne überraschen. Aber ohne Hilfe schaffe ich es nicht. Da er an Weihnachten beim König sein muss, mache ich mir gar keine Hoffnungen, dass ich ihn da irgendwie sehen kann. Aber vielleicht an den darauffolgenden Tagen? Könnt Ihr mir sagen, ob es da Möglichkeiten geben könnte?" Ob er da bei Alessio richtig war, wusste er nicht. Aber fragen konnte er ja, oder?
 

Alessandro

Vielleicht war es seine Anwesenheit in London, vielleicht auch einfach nur die Tatsache, dass Dominico und Charles Brandon mehr und mehr auf die Provokationen Cromwells eingingen. In jedem Fall wurde es ruhiger am Hof und Alessandro gelang es zumindest, wieder ein wenig Fuß zu fassen und seine Kontakte spielen zu lassen. Cromwell hatte wirklich ganze Arbeit geleistet, doch ganz auf verlorenem Posten standen sie nicht und die Tatsache, dass Charles und Nico im Geheimen zusammenarbeiteten, würde dem ach so geflissentlichen Cromwell hoffentlich irgendwann einen Strich durch die Rechnung machen.

Dominico jedenfalls nahm seine Rolle sehr sehr ernst und war oft am Hof anzutreffen, während Alessandro sich rar machte und nicht zu auffällig unter Henrys Augen trat. Es gab ein Kollegium, das sich mit der Frage befasste, wie man wohl mit dem Antrag des Königs umzugehen hatte, der vorsah, Henry zum alleinigen Oberhaupt der Kirche von England zu ernennen. Alessandro musste sich notgedrungen diesem Kollegium anschließen, doch er schaffte es bisher immer, seine Stimme neutral zu halten und eher dem Bestreben des Königs zuzustimmen, auch wenn das nicht seine Überzeugung war. Er wusste, was mit Gegenstimmen früher oder später passieren würde und er hatte nicht vor, all zu früh abzudanken.

Daher waren seine Auftritte am Hofe eher in sehr schlichten Roben gehalten und er vermied es, dem König all zu nahe zu kommen. Wenn er ihm doch unter die Augen trat, blieb er übertrieben höflich und weltlich, ließ den Kardinal nicht all zu sehr heraushängen. Er hatte ohnehin kein offizielles Mandat in London und je mehr er "nur" der Bruder von Dominico war, desto besser. In ihrem Haus lag die Sache etwas anders. Dort war er Alessandro Sforza, Kardinal im Dienste Roms. Das war auch, was die Belegschaft von ihm erwartete und er unterhielt seine Korrespondenz mit Rom und seiner Familie ohne Unterlass. Er würde einen Weg finden, sie hier in London abzusichern und dabei noch so zu tun, als handle er im Interesse ihrer Familie und Roms.. dazu war er schließlich ausgebildet und erzogen worden.

Da er selten im Palast unterwegs war, verbrachte er viel Zeit auf ihrem Landsitz. Er ritt viel, wenn er nicht gerade arbeitete und als er an diesem Tag aus dem Stall zurückkam, lief er Kieran über den Weg. Der junge Arzt war ein häufiger Gast in ihrem Hause geworden. Er kümmerte sich um ihre Belegschaft, um das Labor und auch um Dominico. Erstaunlicherweise hatte sich Kieran tatsächlich gewandelt. Der junge Mann der jetzt vor Alessandro stand, hatte nichts mehr mit dem frechen Schausteller gemein, den sie Anfang des Jahres in Camebridge getroffen hatten. Er hatte höfische Manieren gelernt, studierte inzwischen und kleidete sich standesgemäß der Mode entsprechend. Ja.. definitiv die bessere Investition, wie Alessandro erneut zugeben musste. Er hielt inne, als Kieran ihn ansprach und sah den Schwarzhaarigen an. "Ja..?" fragte er knapp, in der Annahme, es handele sich um eine Frage bezüglich ihres Personals. Was Kieran jedoch zu sagen hatte, ließ Alessandro leise auflachen. Er machte sich wirklich über WEIHNACHTEN Gedanken? Das war irgendwie niedlich. "Ihn überraschen? Wollt ihr euch eine Schleife umbinden und ihn in seinem Bett erwarten?", fragte der Kardinal frech, ehe er sich wieder zur Ordnung rief. "Komm mit, hier ist nicht der richtige Ort um das zu besprechen", erklärte er und deutete Kieran ihm in seine Gemächer zu folgen, in denen sie ungestörter sein würden. Da Kieran seinen Bruder bereits nackt gesehen hatte, waren Alessandros Skrupel nicht sehr groß und er begann seine verschwitzte Kleidung auszuziehen. "Es gibt tatsächlich einen Empfang beim König zu Weihnachten. Der ist allerdings am Vormittag und wird nicht lange dauern. Wir werden dem König im Namen unserer Familie ein frohes Fest wünschen und danach zügig verschwinden. Keiner von uns beiden hat Interesse der Veranstaltung lang beizuwohnen, zumal wir vorhaben HIER zu feiern, wie wir das immer tun. Was habt ihr euch gedacht, als ihr von einer Überraschung gesprochen habt?"
 

Kieran

Die prompte Antwort des anderen, traf Kieran so unerwartet, dass er augenblicklich errötete. Nicht nur, weil der andere den Gedanken der „Überraschung“ offenbar amüsant fand, sondern weil er tatsächlich einen Moment darüber nachgedacht hatte, Nico so etwas in der Art zu schenken… Und in seinen Tagträumen sah er Nico, wie er die Schleife mit den Zähnen… Kieran zuckte zusammen, als der Kardinal ihn anwies, ihm zu folgen. Und etwas nervös folgte er ihm. Alessandro hatte zwar gesagt, dass hier nicht der richtige Ort sei, aber bis in seine Gemächer ihm zu folgen, machte ihn einfach nervös. Viellicht hätte er doch nicht fragen sollen…

Kieran wusste nicht so recht, wohin er schauen sollte, während sich Alessandro entkleidete und umzog. Als er ihm offenbarte, dass Nico nur vormittags beim König sein würde und sie dann – wie gewohnt – gemeinsam hier feiern würden, senkte er den Blick. Gut, er hatte noch nicht mit Nico überhaupt darüber geredet, aber irgendwie fühlte es sich seltsam an, dass Nico ihn nicht fragte, ob er mit bei ihnen dabei sein wollte. Wobei? Warum sollte er auch fragen? Er könnte ja an Weihnachten einfach zu seiner Familie gehen… Und vermutlich war das auch sinnvoller, wenn sie die Gewohnheiten nicht durcheinanderbrachten. „Ich denke, ich werde dann an einem der Tage nach Weihnachten einfach vorbeikommen, und ihm ein Geschenk bringen“, sagte Kieran ausweichend und lächelte zaghaft. Er hatte zum einen noch nicht wirklich eine Idee gehabt, womit er ihn überraschen wollte, zum anderen würde es ja ohnehin nicht möglich sein, wenn Nico mit seinem Bruder feierte. Noch zwei Wochen… War ja auch nicht so wichtig, dass sie gemeinsam Weihnachten feierten. Sie konnten sich ja auch zwischen den Jahren sehen. „Ich überrasche ihn dann damit. Vielleicht habe ich ja Glück und sehe ihn zwischen den Jahren etwas.“

Wenn Nico ihn nicht an Weihnachten mit seiner Familie haben wollte, dann konnte er es verstehen… Die Situation war ja nicht so einfach. Vielleicht blieb er auch bei John. Der schien ja auch nicht wirklich ein Weihnachtsfest zu haben. Und wenn es weiter so kalt bliebe, war es auch nicht so einfach, zu seinen Eltern zu kommen. Der Boden war gefroren, es war rutschig und er war vorhin schon mehr gelaufen, als geritten, als er hierhergekommen war.
 

Alessandro

Alessandro hatte nicht erwartet, mit seinem Vorschlag ins Schwarze zu treffen. Ob Kieran wirklich eine schöne Weihnachtsnacht mit Nico verbringen wollte, oder ob er nur unterschwellig daran gedacht hatte: Die Röte auf Kierans Wangen zeigte deutlich, dass der Kardinal den richtigen Riecher gehabt hatte. Während er sich umzog und eigentlich erwartete, eine Reaktion von Kieran zu erhalten oder eine Idee zu der Überraschung, die Kieran eben angesprochen hatte, bekam er eine sehr ausweichende Antwort. Alessandro hatte sich gerade ein frisches Hemd übergestreift, nach dem er sich ein wenig an einem Waschbecken frisch gemacht hatte und sah Kieran jetzt prüfend an. Der Mut, mit dem er ihn eben in der Halle noch angesprochen hatte, schien jetzt voll und ganz verflogen. "Wieso an einem anderen Tag..?" hakte er nach, ehe er abwinkte und in die frische Hose schlüpfte, die er schloss, kaum das er das Hemd hinein gestopft hatte. "Wir feiern hier mit der Familie, mit unseren Angestellten und den Leuten, die uns wichtig sind. Natürlich seid ihr genau so eingeladen, denn mein Bruder wird Weihnachten nicht ohne euch feiern wollen. Wenn er euch noch nicht gefragt hat, dann liegt es schlicht und ergreifend daran, dass er noch nicht die Gelegenheit hatte. Zu Weihnachten ist es immer recht ruhig in London, die Menschen gehen kaum aus dem Haus. Mag auch am Wetter liegen. Wir feiern hier, genießen die Wärme im Haus und bestes italienisches Essen. Wenn ihr euch also von eurer Arbeit bei Mr. Forbes losreißen könnt, so seid ihr uns hier sicher herzlich Willkommen. Aber ihr habt mir noch immer nicht gesagt, was für eine Überraschung ihr euch für meinen Bruder ersonnen habt.. es sei denn, es geht wirklich darum, eine Schleife um euch zu binden. Dafür müsste ich euch dann aber vielleicht an einen unserer Angestellten verweisen, denn ich bin auch nur ein Mann mit zweifelhafter Vergangenheit." Er zwinkerte Kieran zu und begann, seine lockigen Haare mit einem Kamm wieder etwas in Form zu bringen.

Wieso er gerade so gut gelaunt war, konnte er selbst nicht sagen. Vielleicht hatte ihn das Reiten einfach auf positive Gedanken gebracht, oder aber das Thema ließ ihn einfach positiv denken: Er würde Weihnachten mit Rodrego verbringen und er hatte bereits ein Geschenk für seinen Schmied in Auftrag gegeben. Er freute sich schon jetzt darauf, es Rodrego zu übergeben und er hoffte, dass es ihm gefiel. Auch für Dominico hatte er etwas in petto und er freute sich bereits darauf, auch selbst Geschenke zu erhalten. "Also, was ist es? Und wie kann ich euch dabei behilflich sein?"
 

Kieran

Dass er leicht zu durchschauen war, war ihm mal wieder bewusst, aber diesmal war er ganz froh darum. Denn Alessandro schien zu verstehen, worin das Problem bestand: Nico hatte ihn noch nicht eingeladen. Und er würde sich definitiv nicht selbst einladen. Und dass Alessandro ihm jetzt erklärte, dass er willkommen war, dass Nico ihn dabeihaben wollte, nur noch nicht dazu gekommen war, ihm das auch zu sagen, machte ihn glücklich. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen und seine Freude war ihm anzusehen. „Um die Schleife geht es auch…“, sagte er und die Röte in seinem Gesicht schien noch nicht gänzlich gewichen zu sein. Dennoch senkte er nicht den Blick. Er war mit Nico zusammen. Kein Grund sich dafür zu schämen, oder? Und auch nicht dafür, dass er unanständige Gedanken hatte, wenn er an ihn dachte… „Aber es ging mir einfach nur darum, ein wenig…. Weihnachten zu feiern…. Irgendwie.“ Er lächelte den anderen an. „Er hatte noch keine Zeit, mich einzuladen… Aber wenn Ihr euch sicher seid, dass ich willkommen bin, könnten wir das ja nutzen. Ich habe eine Kleinigkeit für ihn und ich fände es schön, wenn er wirklich überrascht wäre.“ Es war nichts Besonderes, aber vielleicht würde er sich dennoch darüber freuen, mit ihm zusammen Weihnachten zu feiern. „Wenn ich ihm also sagen würde, dass ich eben nicht an Weihnachten da wäre, sondern bei meiner Familie, dann könnte ich ihn wirklich überraschen.“ Der Plan, funktionierte nun mal nur, wenn er Verbündete hatte. Und deshalb war er zu Alessandro gekommen. „Was meint Ihr, wäre das möglich? Dann wäre ich einfach doch da, wenn ihr vom König nach Hause kehrt.“ Blöd wäre es eben gewesen, wenn er irgendwo umsonst warten würde. Erwartungsvoll blickte er den Kardinal an. Würde der andere ihm helfen, Dominico zu überraschen? „Und die Schleife kann ich mir übrigens auch selbst umbinden…“ Er grinste leicht.
 

Nun, das hätte schonmal geklappt! Kieran ging glücklich und zufrieden an diesem Tag an die Arbeit. Auch von Nicos Belegschaft hatten sich ein paar erkältet, aber zum Glück hatte niemand das Fieber, das herumging.

Weniger glücklich war er, als er später feststellte, dass er Nico an diesem Tag wohl nicht mehr sehen würde. Allerdings hieß das auch, dass er ihn nicht ins Gesicht würde schwindeln müssen, was wiederum ein Vorteil war. Denn wenn sie sich schrieben wäre es einfacher. Er hinterließ ihm einen Zettel am Schreibtisch.

Ich vermisse dich! Hoffe auf ein bisschen Zeit zwischen den Jahren...

Nun, damit hatte er schon angedeutet, dass er an Weihnachten keine Zeit haben würde.
 

"Hey, Honigkuchenpferd!", hörte er John, der ihn aus seinen Tagträumen riss. "Schau mal raus!" Kieran blickte verwirrt zu John, dann hinaus. Weiße Flocken tanzten in Scharen vor dem Fenster. Überrascht sah er John an. "Es ist generell kälter geworden. Ist letztes Jahr auch schon so gewesen..." Kieran erinnerte sich. Sie waren letzten Winter an der Südküste Englands gewesen, am Meer, bevor sie weiter in Richtung Cambridge gezogen waren... Cambridge. Es wirkte so lange her... Kieran sah zum Kalender. Morgen war Weihnachten. Aber wenn es so schneite, wie sollte er dann hinaus kommen? Aber darüber würde er sich morgen Gedanken machen. Jetzt experimentierte er mit John an einem Kräuterelixier, das bei Erkältungen half, den Kopf und die Nase frei zu bekommen... das kleine Labor duftete nach Thymian, Salbei und Rosmarin.

London 2 - Die Überraschung

Dominico

Von den geheimen Absprachen zwischen seinem Bruder und Kieran bekam Dominico nichts mit. Er freute sich zwar ähnlich wie sein Bruder auf die besinnlichen Tage um Weihnachten, doch gerade war er vollauf damit beschäftigt, sich so dermaßen mit Charles Brandon zu zerstreiten, dass jeder am Hof, jeder in London, ja über London hinaus von der Fehde der beiden Männer Wind bekam. Als man an einem Tag, mitten im Dezember, Charles Pferde vor seinen für die Abreise auf den Hof führte, griffen sich die beiden Männer sogar körperlich an. Ihre Schlägerei war so heftig, das der König selbst sich bemüßigt gesehen hatte einzuschreiten und sie beide für ein paar Tage vom Hof verbannt hatte. Cromwell hinter ihm konnte ein gewinnendes Grinsen nicht verbergen und Nico war froh um den Kinnhaken, den Charles ihm mitgegeben hatte, sonst hätte er sich vermutlich genauso darüber amüsiert, dass ihre Rechnung aufging. Es waren kleine Gesten, mit denen er und Charles sich so verständigten, dass klar wurde, wie sie nach wie vor zueinander standen.

Die freien Tage gaben Nico die Chance, sich endlich einmal selbst um Weihnachten zu kümmern, auch um das Geschenk, welches er ohnehin für Kieran besorgen wollte. Er war gemeinsam mit Alessandro in die Stadt geritten, kaufte auf dem Markt das ein oder andere ein und schlenderte dann von einem Kunsthandwerker zum nächsten, um das zu finden, was er haben wollte. Außerdem hatten die beiden Brüder noch nichts für den König gefunden, dem sie schließlich auch ein Geschenk zukommen lassen sollten. Nico hatte vorgeschlagen, ihm zwei ihrer Hengste zu schenken, und als sie jetzt bei einem Sattler zwei schöne passende Sättel dazu fanden, entschlossen sie sich endgültig dafür. Der König hatte zwar genügend Pferde für die Jagd, doch er wusste neue Zucht zu schätzen.

Nachdem sie gemeinsam etwas zu Mittag gegessen hatten, verabschiedete Nico sich kurz, um Kieran in Mr. Forbes Apotheke zu besuchen. Er traf ihn sogar dort an, wurde aber bei seiner Einladung zu Weihnachten etwas enttäuscht. Andererseits hatte er sich ja denken können, dass Kieran Weihnachten sicher bei seiner Familie verbringen wollte und daher nicht unbedingt zu ihm kommen konnte. Der junge Arzt versprach, zwischen den Jahren vorbei zu kommen und Zeit mit ihm zu verbringen und Nico gab sich damit zufrieden. Etwas anderes konnte er ja auch nicht tun, auch wenn er den Gedanken daran, einen Abend mit Alessandro und Rod allein verbringen zu müssen, nicht all ZU angenehm fand. Er hatte gemerkt, dass der Kardinal und der Schmied verdächtig oft zusammen aßen und die Blicke der beiden sprachen Bände. Nico war nicht eifersüchtig, doch er war sich nicht sicher, ob sein Bruder das war, was Rodrego sich für sein Leben wünschte. Der manipulative Kardinal brauchte einen starken Gegner, nicht nur am Hof, sondern auch in seinem Bett. Davon ausgehend, was Nico von Rodrego wusste, war der Schmied eigentlich niemand, der sich auf diese Art Beziehung einließ.
 

Er traf Rodrego einige Tage später in ihrem Stall, als er wieder ein paar der Pferde beschlug. Sie unterhielten sich ein wenig zwanglos, ehe Nico das Gespräch auf Weihnachten lenkte, doch Rod sah den Feiertagen sehr entspannt entgegen und Nico wollte ihm die Laune nicht verderben. Während Rodrego beschäftigt war, schlenderte Nico durch die große Halle, in der Rod die Pferde angebunden hatte. Hier standen ihre Kutschen, die beide Brüder benutzten. Einfachere kleine Kutschen, um zügig von einem zum anderen Ort zu kommen, aber auch zwei komfortablere Reisekutschen, für amtliche Angelegenheiten. Dann, ganz hinten, bemerkte Nico ein weiteres Gefährt, an das er gar nicht mehr gedacht hatte: Ein Schlitten!

Er ging hinüber, hob den groben Stoff an, mit dem man das schöne Gefährt abgedeckt hatte. Die Sitze waren ziemlich verstaubt, doch auf den ersten Eindruck sah der Schlitten gar nicht so schlecht aus. "Rodrego?", rief er den Schmied zu sich, der kurz darauf bei ihm auftauchte. Nico deutete auf den Schlitten. "Es geht das Gerücht in London, dass es Schnee geben soll zu Weihnachten. Was hälst du davon, wenn wir das gute Stück herausziehen und ein wenig aufmöbeln?" Nico sah Rodrego an, dass der daran zweifelte, doch er half ihm trotzdem. Bei etwas mehr Licht betrachtet sah man, dass einige Dinge an dem Schlitten auf Vordermann gebracht werden mussten, doch Dominico hatte der Ehrgeiz gepackt. Wenn es wirklich schneite, konnte er mit Kieran eine schöne Ausfahrt mit dem Schlitten machen. Und das wäre für den Arzt wohl ein noch besseres Geschenk als das, das er bereits gekauft hatte.
 

Mit ECHTEN weißen Weihnachten hatte Nico dann aber doch nicht gerechnet. Als es zwei Tage vor Weihnachten anfing zu schneien wie verrückt, konnte er sein Glück kaum fassen. Ihre Angestellten fanden die ganze Sache weniger lustig, denn irgendwie mussten die Schneemassen ja bei Seite geschafft werden, um zumindest ein wenig laufen zu können, doch die Kinder spielten nur noch draußen und überhaupt war das ganze Ambiente irgendwie friedlich. Das Haus wurde geschmückt und Dominico kümmerte sich darum, dass ihr Koch mit dem Schlitten nach London fahren konnte, um die letzten Zutaten für ihr Essen auf dem Markt kaufen zu können. Es würde ein schönes Fest werden und Nico freute sich darauf. Am Weihnachtsmorgen stand er früh auf, kleidete sich frisch an und traf seinen Bruder bei einem kargen Frühstück. Da sie mit dem Schlitten unterwegs waren, würden sie zwar hoffentlich gut voran kommen, doch Nico wollte beim König nicht zu spät aufschlagen. Alessandro hatte heute auf eine Robe verzichtet, trug ganz zivile Kleidung - vielleicht eine gute Wahl, wenn man bedachte, wie der König derzeit über rote Kardinalsroben dachte. Rodrego war auf dem Anwesen zurück geblieben, hatte versprochen alles zu überwachen und dafür zu sorgen, dass das Essen fertig war, wenn sie wieder kamen. So lenkte Amadeo den Schlitten mit den beiden Brüdern an diesem Morgen nach London, durch eine winterliche Traumlandschaft, die Nico gern mit Kieran genossen hätte. Was er nicht wusste: Alessandro hatte Tags zuvor einen Boten zu Forbes Apotheke geschickt, hatte ihm gesagt, dass sie mit dem Schlitten nach London fahren würden, und dass Kieran sie am Hof würde treffen könne, um Dominico zu überraschen.
 

John

Gott, war er froh, als dieser Bote kam, der Kieran erklärte, er solle am nächsten Tag zum Palast kommen. Nicht, weil er sich so wahnsinnig freute, dass der Kleine Weihnachten dort draußen verbringen würde, sondern einfach weil er dieses Nervenbündel loswurde, das ihm seit zwei Tagen in den Ohren lag, dass er nicht wusste, wie er rechtzeitig zu diesem Hof hinauskäme. Jetzt aber strahlte Kieran über beide Ohren und zog nun schon das dritte Hemd wieder aus, weil er sich offenbar nicht gefiel. John saß in seinem Sessel und betrachtete das Schauspiel mit amüsiertem Grinsen. „Wieso ist es so wichtig, was du anhast? Er wird dich doch nachher eh ausziehen, oder?“, fragte er Kieran, der schnaubte und ihm einen zornigen Blick zuwarf. „Ich werde mit dem Kardinal und ihm offenbar mit einem Schlitten durch London fahren. Da kann ich nicht irgendwie aussehen… Und so wie ich den Kardinal verstanden habe, wird auf dem Anwesen noch gefeiert. Auch da kann ich nicht irgendwie aussehen…“, belehrte ihn Kieran und John nickte mit hochgezogenen Augenbrauen und verkniff sich ein Grinsen. Er hatte ein Bein über die Armlehne geschlagen und ließ es baumeln, während er einen Apfel aß. Dass sein Vater in der Kirche war, war von Vorteil. Später würde er ihn lange genug ertragen müssen. Wenn John Glück hatte, käme später ein Notruf, so dass er früher losziehen konnte, um sich mit jenen zu treffen, die genauso wenig Weihnachten feierten, wie er. „Ich begleite dich nachher ein Stück“, sagte er unvermittelt und Kieran sah ihn überrascht an. So würde er zumindest ein wenig Weihnachtsgefühle bei einem Spaziergang im Schnee haben…
 

„Ich wünsche dir viel Spaß!“, sagte er später, im Schnee stehend und frierend. Er spürte, dass Kieran ihn umarmen wollte. John ließ es zu und schloss einen Moment die Augen, bevor er ihn wieder sacht von sich schob. „Mach dir ein paar schöne Tage! Hast du dir verdient.“

Erst wesentlich später, als er sich in seinem Zimmer umzog, um auf die Piste zu gehen, entdeckte er das Geschenk auf seinem Nachttisch. Als er die Sanduhren auspackte, die ihm helfen würden, seine Experimente mit präziser Zeitmessung durchzuführen, musste er sich doch einen Moment setzen. John hatte das Gefühl, das erste Mal in seinem Leben wirklich Weihnachten zu erleben.
 

Kieran

Gott, er war so heilfroh, als dieser Bote kam, um ihm die Nachricht zu bringen. Er hatte sich so gefreut, hatte in den letzten Wochen Nico nur so kurz gesehen, nur einmal, als er hier vorbeigekommen war. Und nun würden sie sich wirklich wiedersehen können. Zu Weihnachten! Es war ihm so schwer gefallen, den anderen anzuschwindeln. Aber er hatte es geschafft. Nun würden sie sich nachher wiedersehen und das Schlimmste wird sein, den Schein zu wahren, bis sie endlich am Anwesen ankommen würden. Aber vielleicht würde ja auch genau das reizvoll sein und die Sehnsucht nach dem anderen so vergrößern, dass es danach umso schöner wäre, ihn endlich wieder berühren zu dürfen…
 

Dass John ihn begleitete, freute ihn. Es tat ihm leid, ihn in dem Haus zurückzulassen, in dem nichts daran erinnerte, dass heute Weihnachten war außer der spärlichen Dekoration im Laden, die vor allem für die Kunden bestimmt war. Immerhin hatte er sein Geschenk so platziert, dass John sich wenigstens an einem Geschenk freuen konnte. Irgendwie glaubte er nicht, dass Mr. Forbes seinem Sohn etwas schenkte…

Er war etwas nervös, als er zum Palast kam. Aber er tat wie ihm geheißen und wurde schließlich durchgelassen. Im Hof wartete die Kutsche. Kieran blieb einen Moment stehen, als er sie sah. Irgendwie war es ein unglaublich schönes Bild. Die Pferde hatten Futtersäcke vor dem Maul und Decken auf dem Rücken, sie kauten friedlich mit halb geschlossenen Augen. Der Schnee glitzerte und die Stille, die dieser mit sich brachte, ließ die Szenerie unfassbar beschaulich wirken. Sein Herz klopfte allein bei dem Gedanken daran, mit Nico gleich in die Kutsche zu steigen, und nach Hause zu fahren…

Er zuckte etwas zusammen, als Amadeo ihn ansprach und ihn einlud, sich schon in die Kutsche zu setzen. Er lächelte den Italiener an, der ihm von Anfang an so sympathisch gewesen war. Nico konnte sich glücklich schätzen, so jemanden bei sich zu haben. Kieran hatte sein Geschenk in einer Tasche, die er nun fester griff und auf die Kutsche zuging. Nun hieß es warten, bis sie kamen.
 

Dominico und Alessandro

Dominico empfand den weihnachtlichen Empfang beim König als ziemlich ätzend. Um nicht erneut in eine körperliche Auseinandersetzung mit Charles zu geraten, hatte der König darauf bestanden, sie beide getrennt voneinander zu empfangen. Charles war schlicht früher dagewesen als er, doch Nico "gönnte" ihm diesen kleinen Sieg. Er hatte am heutigen Tag ohnehin nichts mehr zu tun. Als er und sein Bruder schließlich beim König vorgeladen wurden, saß Anne an der Seite des Königs. Sie trug Schmuck, der eigentlich Katharina gehörte, doch weder Dominico noch Alessandro erlaubten sich einen Kommentar zu dem, was sie hier sahen. Stattdessen überreichte Amadeo dem König eine kleine Kiste. Normalerweise waren die Dinge, die man dem König schenkte, immer exorbitant groß.. man konnte daher schon in Henrys Augen sehen, dass der König wenig begeistert von der kleinen Truhe war. Immerhin standen die Geschenke der beiden Brüder in direkter Konkurrenz zu den Geschenken von Charles Brandon..

Amadeo verneigte sich vor dem König und klappte den Deckel der Kiste auf, in der nur zwei zusammengerollte Führstricke lagen. Zwar waren die Haken vergoldet und die Stricke aus teurem Leder kunstvoll geflochten, doch trotzdem war es kein angemessenes Geschenk für einen König. Henrys Augenbraue wanderte nach oben. "Glaubt ihr, Dominico, dass ich nicht über ausreichend Stricke für meine Pferde verfüge..?" fragte er mit einem gefährlichen Unterton. Nico verneigte sich tief, auch wenn ihm dieser ganze Aufstand eigentlich gehörig gegen den Strich ging. "Ich glaube, euer Majestät, dass Ihr durchaus über genügend Stricke für Eure eigenen Pferde verfügt. Doch es war etwas schwer diese beiden Prachtexemplare in eine Kiste zu stecken." Er machte eine Geste in Richtung Fenster und trat hinüber. Henrys Gesichtsausdruck wurde neugieriger und nach einem Blick zu Anne erhob sich der König von seinem Sessel, trat neben Dominico an das Fenster. Unten im Hof hielt ein Stallbursche aus dem Hause Sforza die beiden Hengste am Zügel, die ein wenig nervös durch den Schnee tänzelten. Um sie vor den kalten Temperaturen zu schützen, hatte man ihnen kunstvoll bestickte Decken aufgelegt. Henry klatschte in die Hände und lachte, drehte sich um und winkte Anne heran. Dominico machte den beiden gebührenden Platz an dem Fenster und trat zurück zu seinem Bruder, der bereits zwei weitere Hofdiener mit den Sätteln herangewunken hatte.

Als Henry und Anne sich zu ihnen umdrehten, verneigte sich der Kardinal ebenfalls. "Um euch die Arbeit mit den Tieren so bequem wie möglich zu gestalten, möchten wir euch zusätzlich diese beiden Sättel schenken." Die beiden prunkvoll verzierten Sättel wurden hereingetragen. Henry kam wieder zu ihnen herüber und inspizierte das teure beschlagene Leder sehr zufrieden. Auf einen Wink des Königs wurden die beiden Sättel fortgetragen. "Ich danke Euch, Dominico... und ich danke Euch, Alessandro." Der Kardinal neigte den Kopf. Es war Zeichen genug, dass Henry darauf verzichtete, ihn mit dem kirchlichen Ehrentitel anzusprechen, doch er muckierte sich darüber kein bisschen. "Wir wünschen Eurer Majestät frohe Weihnachten", griff Dominico den Faden wieder auf. Henry winkte seinerseits nun einen Diener herbei. "Ich habe auch etwas für Euch, Dominico", erklärte Henry und ein Hofdiener brachte eine kleine Kiste. Darin verbarg sich ein kleiner Langbogen mit Köcher und Pfeilen. Dominico war ehrlich überrascht, als er die Stücke sah. "Für Euren Sohn", erklärte Henry überflüssigerweise. "Mit meinen besten Wünschen." Erneut verneigte sich Nico tief. "Vielen Dank, Euer Majestät. Ich werde es ihm ausrichten."

Damit entließ Henry beide Brüder und Amadeo trug das Geschenk für Dominicos Sohn, als die beiden Brüder einige Zeit später den Empfang verließen, um nach Hause zu reiten. "Das ist besser gelaufen als ich erhofft habe...", erklärte Alessandro nicht ganz unzufrieden. Jetzt war immerhin der offizielle nervige Teil des Tages abgehandelt und sie wurden auf ihrem Weg nach draußen auch -fast- nicht aufgehalten. Dominico ließ sich zu zwei, drei Gesprächen hinreißen. Irgendwie hatte Alessandro das dumme Gefühl, dass Dominico gar nicht so schnell nach Hause wollte. Er konnte es verstehen, immerhin wartete "nur" ein Abend mit ihren Angestellten und ihm und Rodrego auf den Heerführer seiner Majestät. Von Kierans Erscheinen wusste Dominico schließlich noch nichts.

So war Amadeo bereits eine ganze Weile vor ihnen an der Kutsche und wartete gemeinsam mit dem eingetroffenen Kieran auf die beiden Sforza Brüder. Als die herauskamen, unterhielten sie sich angeregt und Dominico bemerkte eine ganze Weile nicht, dass jemand in der Kutsche saß, mit dem er nicht gerechnet hatte. Da er auch von vorn auf den Schlitten zuging, verwehrten ihm Amadeo und der Stallbursche auf dem Bock den Blick auf den offenen Schlitten. Als Dominico das Gefährt umrundete und Kieran dort schließlich sitzen sah, brach sein Redefluss ab. "Was..", fragte er irritiert, als er Kieran da auf der Bank sitzen sah und kniff die Augen zusammen. Kieran grinste derweil breit wie ein Honigkuchenpferd. "Na los, wir wollen doch keine Wurzeln schlagen, oder?" Alessandro griff an Nico vorbei und öffnete die halbhohe Tür, die in den Schlitten führte. Nico stieg etwas mechanisch ein und setzte sich neben Kieran. "Ich dachte du hast keine Zeit..", sagte er schließlich leise und zog die Decke über den Schoß, da es auf der Fahrt kalt sein würde. Wie gern hätte er sich hinüber gebeugt und Kieran geküsst, doch das war der verdammte Palasthof und neugierige Augen beobachteten sie sicher ohnehin. Wenigstens unter der Decke tastete er nach Kierans Hand und griff sie fest. "Aber es ist eine wundervolle Überraschung, dass sich deine Pläne wohl geändert haben", fuhr er fort und schenkte Kieran ein Lächeln, das zeigte, wie glücklich er wirklich darüber war. Als auch Alessandro saß, lenkte Amadeo die Kutsche vom Hof. Irgendwie war der Gedanke an einen Nachmittag zu Hause jetzt gar nicht mehr so schlimm...
 

Kieran

Sein Herz klopfte unwillkürlich heftiger, als er endlich die beiden Männer aus dem Haus treten sah. Sie unterhielten sich und Nico nahm keinerlei Notiz von ihm. Ihr Plan war also aufgegangen und Nico ahnte also wirklich nichts davon, dass er hier sein würde, um Weihnachten mit ihm zu verbringen. Eine Freude erfüllte mit einem Mal sein Innerstes. Eine Freude, die er bisher nicht wahrgenommen hatte, wohl weil die Arbeit in den letzten Wochen so viel Zeit eingenommen hatte, dass kein Platz für sie dagewesen war.

Hatte sein Herz eben noch kräftiger zu schlagen begonnen, schien es nun in seiner Brust Überschlage zu machen, als Dominicos Blick ihn nun doch auffing und die Erkenntnis in seine Augen einzog. Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen, auch wenn er eigentlich so wenig Emotionen wie möglich zeigen wollte. Schließlich waren sie bei Hofe und hatten beide viel zu verlieren. Während Dominico zu zögern schien, schob ihn Alessandro in die Kutsche.

Als Nico sich setzte und ihm zuflüsterte, schmunzelte er. Er hob die Decke an, die ihn warm gehalten hatte, damit die Brüder darunter schlüpfen konnten. Gerade, als er antworten wollte, spürte er unter der Decke die Finger des anderen, die nach den seinen tasteten. Als sich ihre Hände vereinten, rührte er sich weiter nicht, als dass er den Druck leicht erwiderte. Und sein Herz rührte sich natürlich, das vor Freude schier aus der Brust zu springen gedachte!

"Ich freue mich, dass der Plan, dich zu überraschen, aufgegangen ist", murmelte er und blickte Nico nur kurz an, bevor er wieder nach vorne blickte. Doch die helle Freude darüber, war sicher in seinem Blick zu erkennen gewesen. Er hatte den Wachen gesagt, dass die Brüder nach ihm geschickt hatten, weil Personal erkrankt sei. Daher gab es eine gültige Erklärung für seine Anwesenheit in der Kutsche. Dennoch sollten zu neugierige Augen definitiv keinen Verdacht schöpfen. Nico verriet ihm zwar nicht viel, was gerade los war. Aber auch das, was er an der Uni und bei Dr. Chambers mitbekam reichte, um zu wissen, wie schwierig die Zeiten waren.

Da sollte Nico nicht noch wegen ihm angreifbarer sein.
 

Die Fahrt durch das verschneite London und schließlich an den herrschaftlichen Anwesen vorbei war irgendwie... irgendwie... romantisch. Kieran fiel kein anderer Begriff ein. Der Schnee und der Tag an sich hüllten London in eine besondere Stille. Das Schnauben der Pferde, das Knirschen der Hufe und Kuven auf dem Schnee und das leise Läuten der Glöckchen am Geschirr schienen die einzigen Geräusche zu sein. Es war kalt, aber unter der Decke und dicht an dicht beieinander sitzend war es in der Kutsche angenehm. Der hellgrau bedeckte Himmel, der noch mehr Schnee ankündigte, ließ die späten Mittagsstunden ohnehin dunkler erscheinen, als sie vermutlich wären.

Erst eine Weile nachdem sie vom Hof weggefahren waren, hatte Kieran gewagt, sich etwas an den anderen zu lehnen und die Nähe tat gut. Sie hatten in dem Trubel so wenig Zeit füreinander gehabt, dass es jetzt fast zu schön war, um wahr zu sein. Die erste Zeit hatten sie nur die beschauliche Stille genossen, nun drehte sich Kieran doch Nico zu und musste unwillkürlich lächeln. Auf der breiten Allee war keine Menschenseele zu sehen. "Ich hatte etwas Unterstützung, aber es war mein größter Wunsch, am Heiligabend bei dir zu sein. Ich bin wirklich so froh, dass es geklappt hat", sagte er leise und widerstand der Versuchung, noch näher an Dominico heranzurücken. "Und ich freue mich, dass wir nun etwas mehr Zeit füreinander haben..."

Der Schlitten bog auf das Anwesen ein und bald sah man, dass das ganze Haus für das Fest vorbereitet worden war... Kieran bekam große Augen.
 

Alessandro

Alessandro hatte sich ihnen gegenüber auf die Sitzbank fallen lassen und die warme Decke bis zu den Schultern hinauf gezogen. Er schien mit dem bisherigen Tagesverlauf mehr als zufrieden und tat so, als würde er nicht sehen, wie Dominico und Kieran auf der anderen Sitzbank immer näher aneinander rückten. Er gönnte es seinem Bruder, jetzt mehr denn je. Immerhin wartete Rodrego "zu Hause" auf ihn und er würde selbst nicht nur der Zuschauer sein, der mitansehen musste, wie Dominico sich mit dem Schmied betrank, nur um dann allein in ein kaltes Bett zu kriechen.

Dominico verschwendet derweil keinen Gedanken an Rod oder seinen Bruder oder das verschneite London. Es hatte seinen ganz eigenen Charme, doch den hatte er auf der Herfahrt genossen. Jetzt musste er all seine Selbstbeherrschung aufbieten, nicht schon in der Kutsche über Kieran herzufallen und ihn auf seinen Schoß zu ziehen. Innerhalb von London waren die neugierigen Augen noch immer weit geöffnet und auch draußen auf der verschneiten Straße erschien es Dominico unklug, Kieran zu nah an sich zu ziehen. Dennoch kuschelten sie unter der Decke und saßen näher beieinader, als das eigentlich notwendig gewesen wäre. Alessandro grinste nur vor sich hin und sagte nichts, also genoss Nico das Gefühl, Kieran so nah bei sich zu wissen.

"Ein wenig Unterstützung...", echote Dominico auf Kierans Worte hin und warf einen Blick zu seinem Bruder, der gar nichts sagte, sondern abwesend die winterliche Landschaft begutachtete. Ahja.. natürlich.

"Da kannst du ja froh sein, dass ich nicht schon auf dem Bankett angefangen habe, zu trinken... aber offensichtlich wusste deine Hilfe einen guten Weg, um mich nach Hause zu treiben." Tatsächlich hatte Alessandro unterschwellig Dampf gemacht. Hatte von fertigem italienischem Essen gesprochen und davon, dass sie zu Hause erwartet wurden. Letztlich hatte sich Dominico seinen Angestellten auch mehr verpflichtet gefühlt als irgendwelchen Höflingen und so hatten sie das Bankett früher verlassen, obwohl er eigentlich nicht nach Hause gewollt hatte. "Ich freue mich auch... Auch wenn ich wirklich nicht damit gerechnet habe. Es freut mich um so mehr."

Sie fuhren noch eine Weile durch die winterliche Landschaft und als sie endlich auf das Anwesen einbogen, hatte wieder leichter Schneefall eingesetzt. Amadeo lenkte den Schlitten direkt vor den Stall, so dass sie die Pferde schnell ins Warme und Trockene bringen konnten.

London 2 - Enthüllungen

Alessandro

Alessandro stieg als Erster aus dem Schlitten und streckte sich. Zeit, die Nico nutzte, um Kieran endlich einen warmen, zärtlichen Kuss auf die schönen Lippen zu drücken. "Ich habe dich so lange nicht wirklich gesehen.. und ich hatte meine Sehnsucht nach dir tief in mir vergraben. Umso mehr kehrt sie jetzt zurück...", erklärte er grinsend und half Kieran dann ebenfalls aus dem Schlitten heraus.

Gemeinsam gingen sie auf das Haupthaus zu, das wirklich schön geschmückt worden war. Kinder der Belegschaft spielten im frisch fallenden Schnee und Alessandro ließ sich sogar kurz zu einer Schneeballschlacht hinreißen, ehe sie in das Haus hineingingen. Alles wirkte friedlich, schön und gelöst.

Im Ballsaal des Anwesens war ein Teil des Buffets wirklich bereits aufgetragen worden. Eine Tischordnung gab es nicht, man hatte alles auf und an dem man sitzen konnte irgendwie in den Raum organisiert, eine kleine freie Tanzfläche gelassen und lediglich den Tisch der Herrschaften so gestellt, dass sie bequem sitzen konnten. Rodrego war gerade dabei noch ein paar frische Zweige über dem Kamin zu drapieren, kam aber nicht weiter, weil die beiden jungen Männer, die ihm helfen sollten, nur mit ihm scherzten. Dominico grinste als er eintrat. "Ich sehe, du hast alles im Griff, Rodrego..", frotzelte er in Richtung des Schmieds. "Nun, wie weit ist das Essen?", wandte er sich an eine junge Frau, die mit einem Tablett aus der Küche kam. Ihre Wangen waren rot und ihr Blick ein wenig glasig. Offenbar floss da schon ein wenig Wein. "Der Braten wartete nur noch auf euch, Herr!", erklärte sie feierlich und verschwand dann zügig wieder gen Küche.

Durch die Ankunft der Hausherren angelockt, strömten jetzt auch immer mehr Menschen in den Ballsaal, begrüßten vor allem Kieran herzlich.
 

Rodrego

Sie hatten nicht viel Zeit füreinander. Die angespannte politische Situation ließ Alessandro wenig Zeit und Rodrego verstand das natürlich. Dafür fühlten sich die wenigen Male, an denen sie gemeinsame Zeit verbringen konnten, einfach nur gut an.

Die Nähe, die sie teilten, wurden immer vertrauter, unbefangener. Nicht nur Alessandro entspannte sich mehr und mehr, auch er selbst spürte, dass der unerreichbar scheinende und daher aufgegebene Wunsch, mit seinem Alessio ‚zusammen‘ zu sein, niemals erloschen war und jetzt umso mehr Platz in seiner Brust einnahm. Er dachte viel an ihn, so wie früher…. Damals, als sich ihre Wege so unterschiedlich entwickelt hatten und er so enttäuscht von Alessandro gewesen war hatte er seine Gedanken schnell auf andere Dinge gelenkt, hatte sich in seine Arbeit gestürzt, hatte dem König zeigen wollen und natürlich müssen, dass es wert war, ihn am Leben zu lassen. Er hatte geackert bis die Gedanken Alessandro nicht mehr hochkamen, hatte sich letztlich auch mit Nico von dessen Bruder abgelenkt. Aber jetzt ließ er sie zu, ließ die Gedanken zu an ihre gemeinsame Zeit. An den Sex, den sie hatten, aber auch an die Gespräche, die sie führten, während sie sich hielten und zur Ruhe kamen.

Dass sie Weihnachten ein wenig mehr Zeit füreinander haben würden, freute ihn daher ungemein. Obwohl er auch ein wenig unsicher war, wie Alessandro mit ihm umging, wenn andere um sie herum waren. Noch waren ihre Treffen eher heimlich. Ob Nico überhaupt schon von ihnen wusste?
 

„Wovon träumst du denn?“, hörte er Antonio neben sich, der ihn anstieß und ihm die Girlande aus der Hand nahm. „Perdonno!“, murmelte Rodrego und grinste verlegen. „Ich dachte gerade, dass das englische Weihnachtsfest so anders ist, als in Italien.“ Die Umstehenden nickten. Diese Dekoration, dieses Schmücken zum 24. Dezember war anders, als sie es gewohnt waren. Ein richtiges Fest stand in Italien immer erst zum 6. Januar an. Aber hier in England stürzte man sich lieber auf den Geburtstag Jesus Christus. Und dass man mit Kränzen und Schmuck das ganze Haus verzierte, war auch eher keine italienische Sitte. Aber irgendwie – so fand Rodrego – könnte man das ruhig auch in Italien machen. Wobei er bezweifelte, dass geschmückte Kiefernzweige so schön aussehen könnten, wie Tannenzweige… „Ich find es aber schön“, erklärte Marco. „Und die Weiber finden es umso schöner…“ Er grinste vielsagend. „Sie kommen dann immer in so eine… kuschelige Stimmung…“ Er warf Rodrego ein paar Zweige zu und lachte, als dieser etwas überrascht versuchte sie zu fangen. „Gib’s zu! Du hast daran gedacht!“, frotzelte Antonio und Rodrego lachte. „Nun ja, nicht so ganz, aber vielleicht auch.“ Und in Gedanken sah er das Schlafzimmer Alessandro, das er des Vormittags geschmückt hatte...

In diesem Moment hörte er Nico hinter sich, der mit einem ziemlich fröhlichen Kieran eingetreten war. „Total!“, seufzte Rodrego. „So schön, wie es aussieht, so nervig ist es, es hin zu drapieren… Schön, dass du da bist, Kieran. Scheint ja alles geklappt zu haben.“ Er grinste leicht und sein Blick suchte Alessandro, der hinter den beiden stand. Sie sagen dich einen Moment an. Schön, dass sie alle beieinander waren... Dann blickte er zu Antonio und Marco. „Ich denke wir sollten uns beeilen. Ich mag damit fertig sein, wenn es Essen gibt. Seit Stunden duftet das ganze Haus. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, das Knurren meines Magens wäre ein Bär!“
 

Kieran

Der Kuss brannte noch immer auf seinen Lippen und sein Innerstes jubilierte noch immer, als er mit etwas weich gewordenen Knien aus der Kutsche stieg. Die Überraschung war geglückt und sie hatte nun endlich etwas mehr Zeit füreinander! Kieran war rundum einfach nur glücklich, auch wenn er etwas nervös war, was nun auf ihn zukäme. Er mochte die Menschen, die hier arbeiteten. Und sie schienen ihn auch zu mögen, denn er war ihnen ein guter Arzt – zumindest versuchte er es. Allerdings war er noch nie vor allen an Dominicos Seite aufgetreten. Er wusste, dass Giulia eine wunderbare Frau sein musste, dass sie von allen hier geliebt wurde. Er konnte sich vorstellen, dass nicht jeder hier begeistert davon war, dass Dominico ihn an seiner Seite hatte… Schließlich waren Italiener sehr religiös und die Ehe galt viel – neben der Tatsache, dass die Mütter einer jeden Familie ebenfalls sehr geehrt wurden.

Dass Nico und Alessandro es viel gelassener sahen, merkte er, als Nico seinem Bruder frech einen Schneeball hinterherschickte, als dieser aufs Haus zulief. Diese Provokation ließ dieser natürlich nicht einfach so durchgehen. Das kurze Hin und Her half Kieran vermutlich, etwas lockerer zu werden.

Dennoch hielt er sich zurück, als sie eintraten. Er lächelte Rod zu, als dieser ihn so herzlich wollkommen hieß. Offenbar hatte jener von seinem Vorhaben gewusst. Von Alessandro? Wie auch immer. „Danke!“, sagte er schnell, als er schon von anderen begrüßt wurde. Und es freute ihn ungemein, dass einige kamen, um ihn willkommen zu heißen und ihm ein frohes Weihnachtsfest zu wünschen. Nun zumindest, bis viele in die Küche verschwanden und das Essen auf den Tisch trugen, das in rauen Mengen für alle zubereitet worden war. Kieran hielt bald darauf einen Becher Wein in den Händen und redete mit einigen seiner Patienten über den aktuellen Stand ihrer Genesung. Er wusste, wie wichtig es für Menschen war, die schwerer erkrankt waren, darüber zu reden, dass es besser wurde. Und er musste ohnehin sagen, dass die Belegschaft hier keine der wirklich schlimmen Krankheiten hatte, wie Tuberkulose oder Keuchhusten, die momentan viele Menschen in London wieder dahinrafften…
 

Alessandro

Alessandro ließ seinem Bruder und Kieran den Vortritt in den Saal. Er selbst musterte Rodrego, der noch immer auf dem Hocker stand, als sie eintraten. Er wirkte gelöst und unter den anderen Italieniern freier als am Hof. Auch wenn Rod sonst auf dem Hof war, wirkte er nicht so in sich gekehrt, wie man ihn oft im Stall seiner Majestät sah. Es war wirklich ein kleines Stück Italien, das sie hierher gebracht hatten. Alessandro war es wichtig gewesen und schon in der Eingangshalle hatte es hervorragend nach Essen geduftet. Es war sündhaft teuer gewesen, denn guten Fisch und anständiges Fleisch bekam man in London um diese Zeit kaum. Also hatte Alessandro ordentlich Geld springen lassen, um große Fische aus dem Norden heranzuholen, und italienische Gewürze von einem Händler gekauft. Auch Gemüse hatte er aus dem Süden bekommen, Gemüse und Obst. Italienische Wurst, italienischen Käse. Sie würden genug haben und es würde phantastisch schmecken.

Vielleicht würde es wenigstens einen Abend lang wieder so sein, wie es früher einmal gewesen war. Früher, als sie noch jung gewesen waren und als Weihnachten einfach nur ein riesiges Fest gewesen war, das für sie alle die halbe Nacht lang dauerte und einfach nur Spaß bedeutete.

Rod fand seinen Blick für einen Moment, erwiderte ihn kurz und Alessandro erlaubte sich ein Lächeln. Rod trieb die beiden anderen Männer wieder an und der Kardinal folgte Kieran und Dominico hinein. Nachdem er sich einmal im Raum umgesehen hatte und feststellte, dass es an nichts mehr fehlte und alles so hergerichtet worden war, wie er es sich erhofft hatte, verabschiedete er sich für einige Minuten, um in etwas Bequemeres zu schlüpfen.

Als er wieder in den Festsaal kam, war das Essen fast zur Gänze aufgetragen worden und ihre Belegschaft, bis auf die Küchenhelfer, im Saal versammelt. Es war recht laut, aber eben auf ihre Art. Es wurde beinahe ausschließlich Italienisch gesprochen. Lediglich bei Kieran bemühten sich die Männer und Frauen, mit ihren Englischkenntnissen zu glänzen. Der Arzt konnte zwar mit seinem Latein recht viel erschließen, doch sie wollten höflich sein und taten ihm den Gefallen, sich zu bemühen.

Nico gesellte sich zu seinem Bruder, der sich an ihren Tisch gesetzt hatte, und griff sich einen gefüllten Kelch. Rod saß neben Nico und hatte sich ebenfalls bereits einen Becher gefüllt. Offenbar warteten sie alle nur auf die Reste des Buffets.

Als sich der Tisch schließlich unter den schweren Speisen bog, erhob sich Dominico für eine kurze Ansprache. Auch wenn eigentlich Alessandro eher die Verwaltungsaufgaben des Hauses übernahm, war Nico noch immer der Mann von Giulia - der Frau, der dieser Landsitz eigentlich gehörte. Er war mit der Hochzeit in den Besitz der Familie Sforza übergegangen, die in seinen Umbau ebenfalls einiges investiert hatte. Um die Aufmerksamkeit der Leute zu erregen, klopfte Nico mit seinem inzwischen leeren Becher auf den Tisch. Nach einigen Zischlauten im Raum kehrte Ruhe ein und Nico grinste in die Runde. "Ich will euch nicht lange auf die Folter spannen - wir alle haben Hunger. Meinen Dank an unsere phantastischen Köche für dieses wundervolle Essen. Ich wünsche euch und uns allen ein schönes Fest, ein ruhiges Fest. Auf dass es uns Kraft geben möge für das neue Jahr, auf das uns die Geburt unseres Erlösers an all diejenigen erinnert, die weniger haben als wir. Seid gut und barmherzig, beschenkt euch nicht nur mit Gütern, sondern auch mit Ehre, Respekt und Liebe. Ich überlasse es meinem Bruder, das Tischgebet zu sprechen - nach wie vor kann er das besser als ich." Einige Leute lachten, klatschten und wurden wieder ruhig, als Alessandro sich erhob. Ein katholisches Tischgebet war in einer so großen Runde eine Tradition und Alessandro ließ es sich nicht nehmen, den Ritus ganz und in einem schönen choralen Singsang auszuführen. Nico lächelte in sich hinein. Sein Bruder war alles andere als ein gläubiger Kirchendiener, doch in Situationen wie diesen erkannte er ihn kaum wieder. Irgendwie, auch wenn Alessandro es immer wieder bestritt, taten ihm Auftritte wie dieser gut.

Als das letzte lateinische Wort verklungen war und aus dem Saal ein dumpfes "Amen" zurückkehrte, atmete Alessandro noch ein, zweimal tief durch. Dann durchbrach er die Stille mit einem schlichten "Ich wünsche euch einen guten Appetit" und eröffnete damit den Sturm auf das Buffet, während sich der Kardinal grinsend wieder in seinen Sitz fallen ließ. Auch er hatte Hunger, doch bei all dem Essen würde er sicher nicht verhungern müssen, wenn er noch einige Momente wartete. Er sah zu Rodrego hinüber und nickte hinauf zu den Zweigen. "Hübsch...", kommentierte er leise mit einem Grinsen. "Sieht mein Schlafzimmer auch so hübsch dekoriert aus?"
 

Kieran

Die Stimmung hier im Saal erinnerte ihn so sehr an seine Familie und ihre Feste, dass Kieran sich von vornherein wohl fühlte. Auch wenn er etwas Wehmut verspürte. Aber er wurde gut abgelenkt. Dass die Angestellten sich alle bemühten, ihn in ihre Gespräche zu integrieren, war so zuvorkommend und lieb, dass Kieran ganz warm ums Herz wurde. Sicher, er war ihr Arzt, aber… Nun, eigentlich nichts aber. Dominico war gerecht und freundlich, er behandelte seine Angestellten gut und hatte ihr Vertrauen. Sie begegneten ihm mit Respekt und daher vermutlich auch ihm. Und Kieran ließ sich nur zu gerne darauf ein. Schließlich gehörte es zu seinem Beruf, seine Patienten gut zu kennen.

Als das Essen da war, setzte sich Kieran. Sein Blick glitt über die so reich gedeckte Tafel und er wusste nicht, wann er zuletzt so eine Masse an Essen gesehen hatte. Im Forbschen Haus gab es nur spärliche Mahlzeiten, vor allem weil weder John noch Mr. Forbes gerne kochten und Kieran zu selten dazukam. Zudem schien Mr. Forbes nichts zu essen zu brauchen und John verging meist spätestens dann der Appetit, wenn sein Vater etwas gegen ihn sagte. In letzter Zeit kam es daher oft vor, dass John mit Lebensmitteln zu ihm nach oben kam und sie da gemeinsam etwas aßen, während sie lernten.

Als Nico sich erhob, blickte er neben sich zu Nico hoch, der eine kleine Ansprache hielt. Kieran hatte das Gefühl, dass die Blicke der Angestellten auch ihn trafen, was vermutlich gar nicht stimmte. Aber irgendwie fühlte er sich gerade doch ein wenig fehl hier neben Dominico, dem Hausherrn. Und so war er froh, dass Nico nicht lange zu reden gedachte. Was jener sagte, war schön und er musste unwillkürlich lächeln. Ja, Ehre, Respekt und Liebe waren kostbare Güter… Als Alessandro nun das Tischgebet vortrug, schien die Welt ein wenig stillzustehen. Der Klang der Stimme war unfassbar schön und auch wenn Kieran weder religiös erzogen war, noch viel Ahnung davon hatte, was genau Alessandro hier vortrug, so jagte ihm der Choral Schauer über den Rücken.
 

Rodrego

Es tat so gut, wieder nur Italien zu spüren. Er vermisste es so sehr, wie er genau in solchen Momenten feststellte. Er vermisste die Freiheit, die er dort immer gehabt hatte – während er hier unter dem Joch eines Königs knechtete, dessen Launen sich mit der Windrichtung zu ändern schienen. Und das Lächeln, das Alessandro ihm gerade geschenkt hatte, tat sein Übriges, dass er mit den anderen beiden die Dekoration mit einem zufriedenen Lächeln beendete und dann zu Nico hinüber an den Tisch ging. Es war nicht nur Kieran, der glücklich war…

Wie es üblich war, sprach Nico ein paar Worte und als Alessandro zum Gebet aufstand, blickte Rodrego auf seine Hände, die sich weigerten, sich zu falten. Die Kirche hatte ihm zu viel genommen… Und doch berührte ihn die Stimme, das Gebet ihn im tiefsten Innersten, berührte etwas, was lange zurücklag. Empfindungen, Gedanken, sein Herz, das seine Familie vermisste. Es gab nur wenige Momente, in denen er es zuließ, sich dieser Gefühle wirklich gewahr zu werden, denn es bedeutete oft Tage für ihn, in denen er antriebslos war, verloren in seinen negativen Gefühlen.

Doch nun hatte er dafür keinen Grund. Viel zu schön war das hier alles und so blickte er auf, als Alessio das Büffet eröffnete und sich wieder setzte. Ihre Blicke trafen sich und Rod schmunzelte, als Alessandro die Dekoration kommentierte. Die darauf folgende Frage ließ ihn nun doch grinsen und er sah Alessio mit einem geheimnisvollen Blick an. „Wer weiß, was ich mir da ausgedacht habe…“, entgegnete er und legte eine kurze Pause ein. Tatsächlich hatte er etwas vorbereitet, wenn auch nicht mit Tannenzweigen, so doch mit Kerzen, Bändern und Duftöl. „Vielleicht zeige ich es dir, wenn du mich später unter einem Mistelzweig triffst…“
 

Alessandro

Offensichtlich war ihm gelungen, was er sich selbst als Ziel gesetzt hatte: Rodrego sollte sich ein wenig mehr wie "zu Hause" fühlen. England würde nie Italien sein, dafür war es zu kalt, zu englisch, zu leblos. Italien war Lebensfreude, Herzlichkeit und Wärme. Es roch einfach anders, nach Sonne und Blumen und warmer Erde. Hier in London überlagerte oft der Gestank der Themse alles andere und jeder Duft von Blumen wurde im Regen ertränkt. Wenn es ihm also hier ihrem Haus gelungen war, Rodrego ein Gefühl von Italien und "zu Hause" zu geben, dann hatte er sein eigenes Ziel erreicht. Nach dem Gebet sah Rod ihn schmunzelnd an und Alessandro spürte, wie sein Herz einen kleinen Hüpfer machte. Dieser Mann war verboten attraktiv und die leisen Worte, gepaart mit Rodregos dunkler Stimme, lösten eine sehr angenehme Gänsehaut auf Alessandros Armen aus. "Oho.. ich bin gespannt. Ich werde nach einem Mistelzweig Ausschau halten, aber ich hoffe, ich muss nicht immer unter einem stehen, wenn ich dich heute Abend küssen möchte...", erwiderte Alessandro ebenso leise und verschwörerisch, ehe er Rodregos Hand griff. Einer ihrer Angestellten kam zu ihnen, eine große Platte mit allen möglichen Köstlichkeiten balancierend. So mussten sich die Herrschaften nicht direkt in das Gerangel am Buffet stürzen, sondern hatten ihre eine erlesene Auswahl an Speisen. Alessandro dankte dem jungen Mann, ohne Rodregos Hand loszulassen. Er wusste nicht, wie der Schmied es sah, doch für ihn brauchten sie sich hier im Hause nicht verstecken. Er wollte an diesem Abend die Nähe zu Rod genießen und sie sich nicht vermiesen lassen durch die Angst, von anderen als das erkannt zu werden, was sie waren: ein Paar. Zumindest nach Alessandros Meinung.

Er richtete sich etwas mehr auf und zog Rodregos Hand zu sich heran, hauchte ihm einen Kuss auf die Fingerknöchel und ließ ihn dann los, um die Platte näher zu ziehen und sich und Rodrego etwas von dem leckeren Essen aufzutun. Dominico neben ihnen bemerkte die Geste und zog eine Augenbraue hinauf, während er die zweite Platte zu sich und Kieran heranzog. "Was habe ich denn hier ganz offensichtlich verpasst, meine Herren..?", fragte er feixend in Richtung der beiden Männer, die beinahe ein wenig ertappt zu ihm sahen. Alessandro warf Rod einen kurzen Blick zu, dann zuckte er die Schultern. "Du hast nichts verpasst, Dominico. Du weißt, dass ich als junger Mann nur zu gern mit dir getauscht hätte. Ich habe jetzt lediglich den Mut gefunden, zu dem Mann zu stehen, der mir wichtig ist. Und ich bin glücklich, dass er das offenbar auch so sieht."
 

Rodrego

Da war sie, die Andeutung, dass für Alessandro durchaus in Ordnung wäre, ihre Beziehung heute nicht zu verstecken. Nun, ihm sollte es recht sein. Schließlich wusste er, dass es hier niemanden, wirklich niemanden geben würde, der ihn bei Hofe denunzieren würde – oder schlimmer noch: Alessandro einen Strick daraus drehen würde. Hier waren sie unter sich, sie waren hier alle Familie. „Keineswegs“, entgegnete er daher leichthin und drückte leicht die Hand, die die seinige ergriffen hatte. „Wir hatten ohnehin zuletzt zu wenig Zeit für uns. Fast scheint es mir, als wüsste ich nicht mehr, wie herrlich deine Lippen schmecken… aber nur fast.“ Er zwinkerte dem anderen zu, als ihnen die Platte hingestellt wurde und er aufsah, mit einem unglaublich schönen Gefühl im Innersten, dass seine Hand nicht losgelassen wurde. Und fortan zierte ein Lächeln seine Lippen, das so bald sicher nichts und niemand davon wegwischen könnte. Er wusste selbst, dass ihre Beziehung eine Gradwanderung war. Und dass sie stets aufpassen mussten und wenig Zeit füreinander hatten. Umso schöner war es, dass sie nun hier Weihnachten als Paar verbringen konnten.

Als er Dominicos Stimme hörte, drehte er sich leicht zu diesem um. Stimmt, da war ja noch jemand, der einen besonderen Status in dieser Geschichte hatte. Offenbar hatte Alessandro seinem Bruder tatsächlich nichts von ihnen erzählt. Und es war sicher nicht an ihm, das jetzt zu tun. Das war aber auch nicht nötig, denn als er fragend zu Alessandro blickte, zuckte dieser nur mit den Schultern und erklärte sich seinem Bruder. Und das Lächeln auf seinen Lippen wurde zu einem Freudestrahlen. Nun war es Rodrego, der Alessandros Hand ergriff und sie küsste, während er Dominico ansah. „Und ob“, sagte er bestimmt. „Das Leben scheint aus lauter Umwegen zu bestehen. Und auch wenn diese Umwege viel Gutes gebracht haben, so haben wir zum Glück beide auch nicht das eigentliche Ziel unserer Herzenswünsche aus den Augen verloren…“ Er sah Dominico lächelnd an, gespannt, was er dazu sagen würde. Schließlich war er es, mit dem er zusammen gewesen war, als Alessandro in weite Ferne gerückt war. Nico war sein bester Freund gewesen und hielt damals vielleicht auch ein wenig als Ersatz hin. Aber sie wussten beide, dass ihre Beziehung ein gegenseitiges Nehmen und Geben gewesen war. So wie er Halt gebraucht hatte, so hatte Nico ihn auch gebraucht. Ihre Beziehung war von tiefer Zuneigung geprägt gewesen – in gewisser Weise noch immer geprägt. Aber nicht von tiefer Liebe. Sie waren sich wichtig und hatten sich gegenseitig gegeben, was jeder einzelne vermisst hatte: Zärtlichkeit, Zweisamkeit, das Gefühl von Gehaltenwerden. Und als sie es nicht mehr benötigt hatten, als sie beide wieder fester auf eigenen Füßen gestanden hatten, war ihre Beziehung einfach wieder in jene Freundschaft zurückgekehrt, die sie vorher auch schon verbunden hatte. Sie hatten sich nie gestritten, hatten sich nie getrennt. Sie waren einfach wieder auf ihren Weg zurückgekehrt – jeder für sich. Wissend, dass sie einander immer haben würden, wenn sie einander brauchten.

„Ich freue mich für euch“, hörte er nun Kieran hinter Dominico, der sich vorbeugte, um sie besser sehen zu können. Der junge Arzt lächelte und blickte sie mit etwas Unsicherheit im Blick an. Vermutlich wusste er nicht, ob er sich überhaupt einmischen durfte. „Und ich freue mich für euch“, entgegnete Rodrego. „Ich habe Dominico schon lange nicht mehr so glücklich gesehen…“ Erneut knurrte sein Magen. „Aber jetzt lasst uns Essen! Sonst verhungere ich vor gedeckten Tafeln!“ Und damit griff er zu dem Löffel, mit dem er sich Antipasti auf den Teller lud, bevor er Brot nahm und endlich etwas aß.
 

Alessandro

Rodrego fand die passenden Worte für das, was in Alessandros Kopf herumspukte. Es war schwer soetwas in Worte zu fassen, wie er fand. Letztlich mochte es für Außenstehende seltsam aussehen: Dominico, der lange mit Rodrego zusammen gewesen war, in Freundschaft und im Bett verbunden. Und Alessandro, der Kardinal, der neidvoll daneben gestanden hatte. Jetzt war er der Mann an Rodregos Seite - weil Dominico sich Kieran zugewandt hatte? Sich selbst nicht als zweite Wahl zu betrachten, war Alessandro zunächst schwer gefallen. Es waren Rods Erzählungen gewesen, die ihn schließlich überzeugt hatten. Erzählungen von Italien, aus ihrer Jugend. Erinnerungen an eine Zeit, in der Rodrego und Alessandro einander näher gewesen waren. Kierans Worte ließen Alessandro leicht grinsen. Nun.. es tat gut ein wenig Bestätigung von anderen zu bekommen.

Als Rodrego schließlich das Thema beendete, in dem er verkündete, vor Hunger fast umzukommen, stimmte Alessandro ihm zu. Er lud sich den Teller ebenfalls voll und war froh, das leckere italienische Essen hier genießen zu können, statt im Palast langweilige englische Küche hinunterwürgen zu müssen.

Auch Dominico und Kieran griffen kräftig zu und vor allem Kieran kam gar nicht mehr aus dem Lob für die Küche heraus. Auch Alessandro musste zugeben, dass das Essen heute wirklich SEHR sehr gut schmeckte. Es war eben immer noch mal ein Unterschied, ob man für sich selbst oder für andere kochte.. die Menschen hier hatten sich für sich selbst, ihre Familien und Freunde und für Weihnachten riesige Mühe gegeben.

Es wurde ein wirklich schöner und langer Abend, bei dem ordentlich viel Wein floss und viel getanzt wurde. Auch Alessandro ließ sich zum Tanzen hinreißen, auch wenn er das eigentlich nicht so gern tat. An sich mochte er Musik und er mochte es auch, sich dazu zu bewegen. Früher hatte er mit Rodrego und Dominico viel getanzt. Jetzt erschien es ihm in Hinblick auf seine Kardinalswürde als falsch.. und er wollte keinen falschen Eindruck bei ihren Angestellten vermitteln. So sehr er auch in London oder England allgemein umtriebig sein mochte, er wollte, dass seine Angestellten zumindest noch ein wenig den Priester in ihm sahen, der er für sie auch war. Es mochte sein, dass Henry sich von der Kirche abwandte, doch in ihrem Haushalt lebten viele sehr gläubige Katholiken. Sie tolerierten zwar, was ihre Herren hinter verschlossenen Türen taten, doch sie verlangten die kleinen privaten Gottesdienste und die Beichte von Alessandro. Er wollte sich heute nicht vollständig enthemmt auf dem Fest zeigen.

Als er das Gefühl hatte, genug gegessen und vor allem genug getrunken zu haben, kam er wieder zu Rodrego hinüber. "Ich glaube, ich habe genug für heute. Wirst du mich begleiten?", fragte er leise, so dass keiner der anderen ihn hören konnte. Er wusste, dass Rodrego ihn heute Nacht sicher nicht allein lassen würde, doch es zu hören, war eben schön. So machten sie sich kurz darauf auf den Weg zu Alessandros Gemächern, ließen Gelächter und Musik hinter sich zurück.

Als Alessandro die Tür zu seinen Gemächern aufstieß und durch den Salon in sein Schlafzimmer schritt, wurde er an diesem Abend doch noch einmal überrascht. Er hatte nicht damit gerechnet, Feuer in seinem Kamin vorzufinden - immerhin feierten alle Angestellten. Doch im Kamin flackerte ein wärmendes schönes Feuer vor sich hin und Rodrego hatte wirklich etwas hier getan. Grinsend musterte der Kardinal die schöne Dekoration, drehte sich einmal um die eigene Achse, nur um festzustellen, dass ein Mistelzweig über dem Durchgang zum Schlafzimmer hing - und über seinem Bett. Er lachte und zog den Schmied nahe an sich heran. "Du wolltest wohl auf Nummer Sicher gehen, hmn?"
 

Rodrego

Mit jeder Minute, die verstrich, merkte Rodrego wie der Stress der letzten Wochen mehr und mehr von ihm abfiel. Die letzten Tage waren auch für ihn anstrengend gewesen, denn auch wenn die Pferde weniger Arbeit machten, weil sie nur selten geritten wurden und so die Eisen länger hielten, so war der Winter vor allem dazu da, Waffen und Rüstungen zu reparieren und zu erneuern. Zudem kamen die Wünsche nach schmiedeeisernen Schmuckstücken, die man zu Weihnachten verschenken konnte. Er hatte also in letzter Zeit alle Hände voll zu tun gehabt und war nun froh um die Auszeit, die er bekam, auch wenn er wusste, dass sie nur zwei Tage dauern würde. Er hatte für die zwei Tage, die er frei hatte, mit einigen Leuten diskutieren müssen. Schließlich hatte er, der er keine Familie im eigentlichen Sinne aufwies, keinen wirklich triftigen Grund gehabt, sich über Weihnachten frei zu nehmen. Dafür hatte er dem Stallmeister versprochen gehabt, zwischen den Jahren seinen kompletten Dienst zu übernehmen. Und nun saß er hier und aß feinstes Essen, trank besten Wein, spürte vertraute Heimat und ließ sich zum Tanzen hinreißen, zum Lachen, zum Singen und zum Leben…

Als Alessandro zu ihm trat, hatte er schon einiges getrunken, auch wenn er noch nicht gänzlich betrunken war, so spürte er doch den Alkohol, der ihn in eine angenehm gelöste Stimmung versetzte. „Ich wüsste nicht, wem ich lieber folgen würde“, entgegnete er lächelnd. „Ich freue mich schon den ganzen Tag darauf, dich wieder für mich allein zu haben…“ Und besonders freute er sich darauf, das Gesicht des anderen zu sehen, wenn er sein Schlafzimmer betreten würde… Mit einem Lächeln voll Vorfreude ging er nun genau dorthin und blieb hinter dem anderen zurück, als dieser in das Zimmer trat, das er für sie beide hergerichtet hatte. Er schloss leise die Tür und betrachtete den schönen Mann, der mit leuchtenden Augen sich umsah. Und das Lachen des anderen war das i-Tüpfelchen. Die Überraschung, die zum Teil ja schon angekündigt war, war geglückt und Rodrego freute sich darüber.

„Aber natürlich“, entgegnete er, seine Arme um den Körper des anderen legend und ihn seinerseits unter den Mistelzweig ziehend. "Ich hab dich vermisst!" Die Ansätze eines Tanzes, der durch ihre Bewegung entstand, führte er fort und wiegte Alessandro ein wenig hin und her. „Du sahst so schön aus, als du getanzt hast“, sagte er leise. „Weißt du eigentlich, wie schön du bist?“ Er lächelte und küsste Alessandro sanft.

Sanft aber bestimmt löste er diesen aber wieder. „Bevor ich es nicht mehr schaffe, dich loszulassen“, entschuldigte er sich, „möchte ich dir noch eine Kleinigkeit geben…“ Er entließ Alessandro kurz aus seinem Armen und drehte sich zu einer der Kommoden, auf die er eine Schachtel gestellt hatte. „Es ist nichts Besonderes, aber ich könnte mir vorstellen, dass es dir gefällt…“, erklärte er und reichte Alessandro die Schachtel. Wenn er schon für andere Schmuck und andere Dinge herstellen musste, dann konnte er es auch für denjenigen tun, den er liebte. Und so hoffte er, dass die in ziemlich aufwändiger Feinarbeit gefertigte Gürtelschnalle Alessandro gefallen wird. Er hatte auf die Vorderseite Pferde eingraviert, edle spanische Hengste vom Exterieur her, die von Ornamenten umrahmt wurden. Hinten hatte er nur einen Schriftzug eingebracht: Alessio mio
 

Alessandro

Alessandro war angetrunken genug, um nicht beschämt zur Seite zu schauen, als Rodrego ihn als "schön" bezeichnete. Er selbst hatte seine körperliche Attraktivität gegenüber Frauen zwar immer wahrgenommen, doch wenn Rodrego ihn als "schön" bezeichnete, dann hatte das irgendwie einen anderen Unterton, mit dem sich Alessandro noch nicht so ganz anfreunden konnte. Andererseits... es war schön, es zu hören, und er wollte es Rod ganz sicher nicht verbieten. Er wiegte sich ein wenig mit ihm hin und her und wurde nun doch verlegen, als Rodrego den Tanz ansprach. "Wenn wir Musik hier hätten, dann würde ich auch mit dir so tanzen...", erklärte er leise und ließ sich ein paar Minuten hinreißen, ehe Rod sich doch wieder löste.

Alessandro blieb stehen und sah zu, wie Rod von einer Kommode eine kleine Schachtel holte. Er hatte nicht erwartet, etwas geschenkt zu bekommen. Schon gar nicht von dem Schmied, der nicht wirklich etwas besaß. Natürlich sorgte Henry dafür, dass seine Angestellten Essen und Trinken hatten, doch die Qualität ließ zu Wünschen übrig und die Hierarchie im Palast sorgte dafür, dass Schmiede und Stallangestellte nicht das Beste Essen bekamen. Deswegen war Alessandro auch so froh, dass der Schmied noch immer auf ihrem Grundstück lebte und das der König daas auch tolerierte. Vielleicht sah er einfch Kosten eingespart, wenn er nicht noch ein Maul stopfen musste, doch sowohl Nico als auch er selbst hatten Rod gesagt, dass ihre Küche und ihre Vorräte ihm immer offen standen. Alessandro hätte nie ein Geschenk erwartet, doch als er die Schachtel jetzt öffnete, musste er unwillkürlich lächeln.

Das war wirklich ein schönes Geschenk und vor allem war es eines, das Rodrego selbst gemacht hatte. Es zeugte von dessen Fingerfertigkeit, als Alessio die Finger leicht über die filigrane Arbeit streichen ließ und sie schließlich herausnahm, um sie ganz anzusehen. Als er die Schnalle mit der Hand drehte, sah er den Schriftzug auf der Rückseite und musste leise lachen. "So setzt du dein Zeichen an die richtige Stelle, hmn?" Er zwinkerte Rod zu und legte die Schnalle in die Schachtel zurück. "Wenn ich sie trage, bist du wohl der Einzige, der sie öffnen darf...", vermutete er schmunzelnd und drückte Rod dann einen warmen Kuss auf die Lippen. "Danke.. sie ist wirklich wunderschön. Ich habe nicht mit einem Geschenk gerechnet, daher freut es mich um so mehr.. aber ich habe auch etwas für dich." Er griff Rodregos Hand und zog ihn zum Bett hinüber, schubste ihn darauf und drehte sich dann um. Er hatte Rodregos Geschenk in der Truhe versteckt, in der er seine Roben aufbewahrte. Wissend, dass Rodrego dort sicher GAR NICHT drangehen würde. Er öffnete sie und zog einen langen, flachen Holzkoffer heraus. Er war schmucklos, aber an den Ecken mit Metall beschlagen, so dass er nicht so schnell kaputt gehen würde. Alessandro hielt ihn dem Schmied hin und setzte sich neben ihn, als Rodrego ihm den Koffer abgenommen hatte. Innen befanden sich verschiedene Schmiedemesser und drei längere Feilen. Sie alle waren aus wertigem Stahl und hatten einen stabilen festen Holzgriff, in den Rodregos Initialen eingraviert waren. Henry mochte Rodrego wie einen Knecht behandeln, doch Alessandro wusse, dass Rodrego der beste Schmied war, den er kannte. Er wollte ihm die Arbeit erleichtern und hoffte, es mit diesen Messern tun zu können.
 

Rodrego

Rods Augen ruhten nicht auf dem Geschenk, das er dem anderen überreicht hatte – das kannte er zu genüge – vielmehr ruhten sie auf dem Gesicht des anderen, der das Geschenk auspackte. Und es war so schön zu sehen, wie sich die Mimik veränderte, wie der fragende, neugierige Ausdruck einem erkennenden wich, der dann zu einem sich freuenden wurde. Rods Lippen zierte ein zufriedenes Lächeln, als Alessandro umdrehte und nun las, was er geschrieben hatte. Und unwillkürlich musste er lachen. „Aber selbstverständlich“, entgegnete er leichthin und genoss den kurzen Kuss. Einen Moment sahen sie sich an. Der warme Glanz in den Augen des anderen berührte ihn tief. Als Alessandro erklärte, er habe auch etwas für ihn, hob er überrascht die Augenbrauen und ließ sich mitziehen und aufs Bett schubsen.

Überrascht hob er die Augenbrauen, als er den flachen Koffer überreicht bekam. Was darin wohl sein konnte? Einen Moment strich er über das weiche Holz, bevor er den Verschluss öffnete und den Deckel anhob. Ein leiser Pfiff entwich seinen Lippen, als er sah, dass es nicht nur ein Geschenk war, und vor allem, als er sah, WAS er da geschenkt bekam. „Du bist verrückt…“, sagte er in einem ersten Moment des völligen Überwältigt-Seins. „Du bist verrückt…“ Ehrfurchtsvoll ergriff er eine der Feilen, drehte sie in der Hand und wog sie darin. Sein Daumen strich über seine Initialen. Dann legte er die Feile vorsichtig wieder zurück, um zum Messer zu greifen. Vorsichtig prüfte er mit seinem Daumen die Klinge. „Sie sind wunderschön und fantastisch!“, sagte er dann leise und legte auch das zurück, schloss gewissenhaft den Koffer und drehte sich dann Alessandro zu. „Vielen Dank“, sagte er dann. „Ich kann sie gut gebrauchen und werde sie in Ehren halten.“ Er lächelte bei dem Gedanken. „Ich werde immer an dich denken, wenn ich sie benutze… Das finde ich schön!“ Er hob die Hand und strich dem anderen sanft über die Wange. Er beugte sich zu ihm und küsste ihn zärtlich. Er lächelte in den Kuss. Es war das schönste Weihnachten seit langem. Und dieses schöne Weihnachten war noch nicht zu Ende, sondern fing gerade erst an…

Einen Moment löste er den Kuss. „Nicht bewegen…“, sagte er leise. Dann legte er den Koffer vorsichtig ab und drehte sich Alessandro wieder zu. Er hob die Hände, umfasste Alessandros Kinn und küsste ihn sacht. „Ich hatte schon lange keine Weihnachten mehr…“ Und dann fand er, hatten sie genug geredet…

London 2 - Geschenke

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

London 2 - Lästige Pflicht

Tancred
 


 

Lobet den Herren, den mächtigen König der Ehren

meine geliebete Seele, das ist mein Begehren.

Kommet zuhauf, Psalter und Harfe wacht auf,

lasset den Lobgesang hören!
 

Die hohe Stimme des vielleicht gerade mal 8 Jahre alten Jungen hallte durch die Kathedrale wie der frühe Morgenwind, der durch die Segel der Raashno strich. Tancrèd war sicher, dass man in diesen Hallen jetzt hätte eine Stecknadel fallen lassen können und es hätte geklungen wie das Donnern der Kanonen auf See - doch niemand ließ etwas fallen, niemand rührte sich. Kein Stiefel kratzte über den Boden, kein Hüsteln, kein Räuspern, gar nichts. Vermutlich lag es daran, dass einfach niemand da war. Niemand außer dem vor dem Altar knienden König, einem Priester - nicht Wolsey - und dem kleinen Jungen, der mit erstaunlich fester Stimme in die Grabesstille der Kirche hineinsang.

Tancrèd stand hoch oben auf der Empore, während sich Thomas Howard ebenso andächtig neben ihm auf einem Hocker kniete, um wohl ebenfalls zu beten. Tancrèd konnte nur mit Mühe ein Gähnen unterdrücken und ärgerte sich dabei über sich selbst. Es war zwar früh am Morgen, doch selbst für seine Verhältnisse war es bereits spät. Auf dem Schiff begann der Tag viel früher und wäre er jetzt noch in Portsmouth gewesen, dann wäre er bereits jetzt entweder auf dem Drillplatz oder aber auf dem Meer, am Steuerrad und Befehle über Deck brüllend. Das verdammte Morgengebet hätte Kadmin in seiner unvergleichlichen Art übernommen, die darin bestand im Krähennest zu stehen und für alle deutlich hörbar seinen eigenen Gott anzurufen:
 

Allāhu akbar

Ašhadu an lā ilāha illā llāh

Ašhadu anna Muḥammadan rasūlu llāh

Ḥayya ʿalā ṣ-ṣalāh

Ḥayya ʿalā l-falāḥ

Ḥayya ʿalā ḫayri l-ʿamal

aṣ-ṣalātu ḫayrun mina n-naum

Allāhu akbar

Lā ilāha illā llāh
 

Und dabei wäre der Großteil seiner arabischstämmigen Mannschaft auf Deck marschiert, hätte ihre Teppiche auf Deck ausgerollt und zumindest einmal am Tag gebetet. Solange sie vor Anker lagen, erlaubte Tancrèd diesen Brauch und er selbst empfand das innige Gebet zu Allah - der im Grunde für ihn nur eine andere Version von Gott war - auch als wesentlich intimer, als das von so viel Gehabe begleitete Gebet in einer christlichen Kirche. Sein ganzes Leben lang war er nach katholischen Regeln und Werten erzogen worden, war sogar für das Kreuz und Christus in den Krieg gezogen, doch so fundamentalistisch wie viele andere Ordensmitglieder war er nie geworden. Sein Verständnis von Gott war wohl ein gänzlich anderes als das, was der Vatikan predigte. Vielleicht lag es an der Belagerung auf Rhodos, oder von den Kämpfen auf dem Meer: Manchmal musste man einfach einsehen, dass Gott entweder weg sah oder den Menschen selbst überließ, die richtige Entscheidung zu treffen. Religiöser Fundementalismus widerstrebte ihm und es war ihm vielleicht auch gerade deswegen leicht gefallen, sich von seiner Familie abzuwenden. In seine Mannschaft hatten zwar Muslime gefunden, doch wenn es ums Überleben oder um Manöver ging, dann musste das Gebet eben warten. Sie alle waren der Meinung, dass Beten besser lebendig ging und man nicht auf einem Teppich kniend von der feindlichen Kanonenkugel von Deck geblasen werden wollte. Weil seine Männer ihm so entgegen kamen, erlaubte ihnen Tancrèd das Morgengebet, wenn es sich einrichten ließ. Wer auf seinem Schiff Christ war - und in seiner Mannschaft gab es Christen - der durfte Beten wann immer er Freizeit hatte und so spielte Religion auf ihrem Schiff keine wirkliche Rolle oder verursachte Reibereien. Die gab es meistens nur am Hafen, wenn andere Mannschaften durch das Rufen ihres arabischen Kameraden aus dem von Rum geschwängerten Tiefschlaf gerissen wurden. Engländer waren nicht nur mieserable Trinker, sie waren auch miserable Seefahrer und deswegen störten Tancrèd die wüsten Verwünschungen nicht, wenn ihr Ruf an Allah aus dem Krähennest tönte. Er hätte einiges dafür gegeben jetzt dort auf den vertrauten Planken stehen zu können und nicht hier. Zwar hatte er auch hier Holz unter den Händen, doch es war nicht seine Reeling, es duftete nicht nach Meer und Wind, sondern nach verdammtem Weihrauch!
 

Lobe den Herren, was in mir ist, lobe den Namen.

Alles was Odem hat, lobe mit Abrahams Samen.

Er ist dein Licht, Seele, vergiß es ja nicht.

Lobende, schließe mit Amen!
 

Die finale Strophe, getragen von der anbetungswürdigen Stimme des Chorknaben, verhallte langsam in dem großen Bau und neben Tancrèd kam Leben in Thomas Howard, der sich wieder erhob und ihm deutete, nach unten zu gehen, wo sie den König treffen würden. Tancrèd richtete sich langsam und steif auf. An Deck trug er bequeme Hosen aus festem grobem Leinen, hohe Lederstiefel und meist kaum mehr als ein Hemd - hier war er gezwungen, höfischere Kleidung zu tragen. Auch wenn er es aus seiner Jugend mehr als gewohnt war. Er fühlte sich mehr als eingesperrt darin. Die breite Krempe des Hutes gab einen Ausgleich zu seinem blinden Auge, das er mit einer Klappe verdeckte. Die Hosen, die er trug, waren eng geschnitten mit einem goldenen Streifen an der Seite, das Hemd zwar weit, doch die Jacke darüber maßgeschneidert und mit einem Bewegungsspielraum von ungefähr 0. Die Pelisse über seiner rechten Schulter schien das ganze aufzulockern, doch für Tancèd war sie nur unnötiges Beiwerk, das im Falle eines Kampfes nur eine Behinderung darstellte.

Sie erreichten den unteren Absatz der Treppe gerade, als Henry sich vom Gebet erhob, sich bekreuzigte und sich dann umwandte, um die Kirche direkt zum Palast hin zu verlassen. An der Türschwelle trafen die drei Männer aufeinander und Henry lud sie ein, ihm zu einem Frühstück zu folgen.

Das war das einzige, das Tancrèd manchmal auf See vermisste: Obst! Er griff sich einen der Äpfel, als der König sie aufforderte, sich zu bedienen, und biss hinein. Howard starrte ihn an, als sähe er einen Wilden zum ersten Mal, Henry schmunzelte amüsiert, doch ablehnen kam für den Kapitän nicht in Frage. Nachdem er jetzt ja nicht direkt antworten konnte, berichtete Thomas Howard über die Fortschritte, die ihre Flotte machte, und Henry nickte begeistert und zufrieden. Als Tancrèd an der Reihe war, berichtete er ebenfalls von den wichtigen Manövern, die sie immer wieder übten und davon, dass man die Mannschaften bald soweit haben würde, in einem Verband eine ganz gute Figur abzugeben. Es war eigentlich eine Lüge, denn die Matrosen waren einfach keine Seefahrer. Doch irgendwann würde man sie in das kalte Meerwasser werfen müssen - und das Meer war Ende März wirklich noch sehr kalt. Jeder Mann auf See musste sich seinen Platz an Deck selbst verdienen und kein Kapitän war gut ohne eine gute Mannschaft. Deswegen kam es Tancrèd mehr darauf an, die Mannschaft zu schulen und sie aufeinander einzuschwören, ihnen die Angst zu nehmen.. und genau dabei gab es ein Problem. "Eure Majestät, wenn Ihr erlauben würdet eine bescheidene Bitte zu äußern." Der König winkte, gut gelaunt von guten Nachrichten seiner aufstrebenden Flotte - obwohl ihm eigentlich klar sein musste, dass man in drei Wochen keine Wunder vollbringen konnte. "Es fehlt uns an Ärzten eure Majestät. Eigentlich sollte jedes Schiff zumindest einen guten Schiffsarzt haben. Natürlich kann man an Deck oder mitten im Meer nicht viel erreichen, doch das Wenige, das man erreichen kann, das sollte man zumindest anbieten können. Euren Männern wäre wohler dabei und ich bin sicher, für eure zahlreichen Studenten ist das eine einmalige Herausforderung." Der König zeigte sich unglaublich begeistert von dieser Idee und versprach, gleich bei der nächsten Konferenz einen entsprechenden Aufruf an die Universität zu machen und auch einen Aufruf an seine Leibärzte, ihre Schüler in Sachen Seegefecht ausbilden zu lassen. Die Universität würde bald Semesterferien die freie Zeit füllen... Und immerhin konnte es nur all zu gut sein, dass auch Henry selbst in einer dieser Schlachten Hilfe brauchte.

Innerlich verdrehte Tancrèd den Kopf. Der König von England würde vielleicht einmal dabei sein, wenn ein Schiff im Kanal eine Kanone auf ein französisches Schiff abfeuerte. Bei einer wirklichen Schlacht, bei rauer See, mitten in der Nacht auf offenem Meer? Niemals würde Henry das freiwillig auf sich nehmen, da war sich Tancrèd sicher. Dennoch bedankte er sich überschwänglich, lobte "seine Majestät" für die guten Einfälle und versprach mit Thomas Howard dafür sorge zu tragen, Henrys Namen auf dem Meer berühmt zu machen. Genau. Und danach würde er sich mit der Krone den Arsch abwischen.

Aber was tat man nicht alles für ein geregeltes Einkommen?! Außerdem brauchte Tancrèd einen Rückzugsort oder einen Freibrief. Frankreich kam nicht in Frage, gegen die Spanier fuhr er selbst zur See - viel mehr blieb nicht als England. Zudem Henry verschwenderisch war, wenn es um seine Navy ging, also nutzte der Mann das aus.

Schon eine sehr arbeitsreiche Woche in Portsmouth später erreichte Tancrèd eine Einladung in die Universität in London, wo er gemeinsam mit Thomas Howard geeignete Studenten in Augenschein nehmen konnte, die für den Dienst auf Schiffen einsatzfähig waren. "Schon wieder nach London?" Sein erster Maat hatte sich über Tancrèds Schulter gebeugt und las den Brief, während er seine Alkoholfahne in Tancrèds Nase bließ.

Sie saßen alle in der Taverne in Portsmouth und aus irgendeinem Eck drang ein gegröltes "Marie hieß meine Braaaut" zu ihnen herüber, ehe der Kapitän den Brief wieder in die Tasche steckte. "Schon wieder London" bestätigte er mit einem beinahe schon genervten Tonfall. Sein erster Maat fiel neben ihm auf die Bank. "Ich begleite dich Kapitän! Drei Augen sehen besser als eins.." Tancrèds Hand traf den Mann am Hinterkopf. "Übernimm dich nicht. Die Huren in London sind teurer als hier." "Aber sie hüllen sich auch in edlere Stoffe", gab der Maat zurück, was Tancrèd nur zum Lachen veranlasste. "Was interessiert es dich, was sie tragen? Willst sie doch eh nur nackt sehen!" "Ich ziehe das Schiff aber lieber aus der rauen See als aus einem vermatschten Tümpel" erwiderte der Mann und Tancrèd musste ihm schmunzelnd Recht geben. "In Ordnung, begleite mich. Aber bettel mich ja nicht um Geld für deine Weiber an.. wir haben dort einen Auftrag und je früher wir Ärzte für diese Pussymatrosen auftreiben können, desto früher stechen wir wieder in See. Und du weißt, was das bedeutet." Der Araber mit dem dunkelroten Turban grinste breit "Das heißt fette Beute!"

London 2 - Miteinander ausgehen

Tancrèd

London war, entgegen aller Beschönigungen ein Sündenpfuhl der übelsten Sorte. Tancrèd mochte die Stadt nicht, doch er hatte auch Paris nicht wirklich gemocht. Die Armen waren und blieben arm und die Reichen wurden immer reicher, bauten sich immer schönere Paläste und der König thronte beinahe wie ein Gott über allem. Wegen irgednwelcher Nichtigkeiten saß er nun schon den dritten Tag fest und wurde ums Verrecken nicht bei Henry vorgelassen. Thomas Howard konnte es sich auch nicht erklären, bekam jedoch bald vom König einen Brief, in dem stand, dass er sie wohl am nächsten Mittag erwarte und untröstlich wegen der Verspätung sei. Allerdings seien die Kurse an der Universität erst jetzt vergeben worden und man hatte noch nicht die Zeit gefunden, die Studenten so wie es nötig war einzuteilen - nun, das leuchtete sogar ein. Doch Tancred gefiel es nicht. Er war nicht gerne eingepfercht und sich wie ein Lackaffe eingekleidet über Nichtigkeiten zu unterhalten, während seine Mannschaft allein darauf wartete, endlich wieder zur See zu fahren... Nein, das passte ihm gar nicht. Schon die letzten beiden Tage war er deswegen am Abend durch die etwas zwielichtigeren Gassen gestreift und hatte ein Pub gefunden, das ganz nach seinem Geschmack war. Ein irisches Pub, mit lockerer Stimmung, guter Musik und offenbar Männern, die auch an Männern interessiert waren. Zumindest interpretierte das Tancrèd auf diese Art und Weise, wenn sie nach hinten verschwanden und mit diesem seligen Gesichtsausdruck wiederkamen. Ihm sollte es nur recht sein, hier konnte er sein Ale trinken und würde niemandem vom Hof begegnen... Gott sei Dank!
 

John

"Du siehst gut aus!", sagte er noch einmal gedehnt und leicht genervt. Dass Kieran so nervös war, war unerträglich. Seitdem er gerade noch zu einem Patienten gerufen worden war und erst jetzt zurückgekehrt war, wuselte er wie ein aufgescheuchtes Huhn durch sein Zimmer, um sich frisch zu machen und anzuziehen. John lag auf seiner Matratze und genoss die Show, die der andere ihm halbnackt und sich immer wieder ausziehend bot. Kieran warf ihm das Hemd, das er sich eben über den Kopf gezogen hatte, ins Gesicht. "Du bist mir keine Hilfe!", motzte der Kleine und John zog sich lachend das Shirt aus dem Gesicht. "Jetzt mal ehrlich, Kieran", sagte John schließlich. "Wen interessiert es, was du anhast? Spätestens nach den ersten Tänzen bist du eh so verschwitzt, dass jeder sieht, was darunter ist. Und nicht selten ziehst du das Shirt dann eh aus, wenn es dir lästig wird. Und halbnackt gefällst du mir ohnehin am besten." Den Blick des anderen fing er mit erhobenen Händen ab. "Ja, ich weiß. Ich bin nicht der, den du bezirzen möchtest. Aber auch er wird dich nehmen, ob du nun das dunkelblaue, das schwarze, oder das weiße Hemd anziehst." John zuckte mit den Schultern. Kieran sah wider in die Spiegelung am Fenster, dann seufzte er und zog sich das weiße Hemd an. "Ich hab ihn nur viel zu lange nicht mehr gesehen. Aber so wie die Stimmung bei Hofe ist, werde ich wahrscheinlich eh froh sein können, wenn er überhaupt kommen kann. Er hat mir auf meinen letzten Brief nicht einmal geantwortet", hörte er Kieran leise sagen. Kieran hatte seit Neujahr wenig Zeit und Möglichkeiten gehabt, sich mit Dominico zu treffen. Und er litt, das hatte John gemerkt. Nach einer so intensiven Zeit, wie die beiden sie wohl an Weihnachten und zwischen den Jahren verbracht hatten, war das auch kein Wunder, wenn man sich kaum noch sah und auch nicht einfach normal komunizieren konnte. Mittlerweile war Ostern durch und das neue Trimester begann schon bald wieder. Eigentlich hatte Kieran mehr Zeit als während der Prüfungen. Aber offenbar hatten sie sich diese Woche wieder nicht treffen können.

John hoffte inständig, dass dieser Sforza wusste, was für einen tollen Menschen er an Kieran gefunden hatte. Ansonsten würde er ihm persönlich ein Toxicum verabreichen! Aber immerhin löste er heute endlich sein Versprechen ein, und sie würden sich heute endlich zum Ausgehen treffen. Und das hatte der Kerl dem Kleinen ja eigentlich schon wir Monaten versprochen!!!!

Er selbst war gespannt, wie Dominico sich an dem Abend überhaupt auf Kieran einlassen würde. Eine Beziehung öffentlich zu zeigen, war generell nicht so einfach möglich. Gut, dort wo sie hingingen war ein Laden, in dem sich fast nur Männer trafen, die alle das gleiche Interesse hatten. Und dennoch musste man immer vorsichtig sein. Ob jemand von diesem Stand, mit dieser Fallhöhe überhaupt in der Lage war, Kieran zeigen zu können, dass er auch nur ansatzweise das gleiche empfand wie dieser?

Und Kieran hatte recht. John hatte letztlich nicht wirklich viel zu tun bei Hofe, schließlich begleitete er seinen Vater kaum dorthin. Aber selbst er hatte gemerkt, dass es brodelte, weil Henry langsam einen Weg fand, augenscheinlich alles Rechtens zu machen, was eine Scheidung von Katharina rechfertigte.

Nun ging es darum, dass sich auch die Kirchenmänner neu positionierten. Sie standen in den Startlöchern, um den besten Platz an Henrys Seite zu erobern, wenn der Startschuss fiel.
 

Als sie endlich loskamen, liefen sie schweigend durch das dunkle, abends noch recht kalte London. John merkte, dass Kieran ohnehin mit seinen Gedanken woanders - oder eher bei jemand anderem - war. Ihm war das egal, er war bei ihm, alles andere war nebensächlich. Dominco Sforza hätte sich ja auch dazu bereiterklären können, Kieran zu Hause abzuholen, um wenigstens ein wenig Zeit mit ihm alleine verbringen zu können. Ob Kieran darauf gehofft hatte? Vielleicht. Denn auch, wenn jener sehr relisitisch das ganze betrachtete, konnte man seine Hoffnungen und Gedanken nur bedingt von der Vernunft unterdrücken lassen.
 

Kieran

Als sie endlich das Connor's betraten, merkte Kieran erneut, wie nervös er war. Die Zeit war irgendwie viel zu lang gewesen, und dadurch, dass Dominico offensichtlich nicht einmal dazugekommen war, ihm auf seinen letzten Brief zu antworten, war er auch ziemlich unsicher geworden. Er wusste, wie aufwendig ihre Beziehung war. Und dennoch hätte er sich über ein kleines Wort gefreut gehabt. Dominico würde es ihm bestimmt bei Gelegenheit erklären. Aber Kieran wusste im Moment auch gar nicht, was jetzt am Wochenende auf ihn zukäme. Würde er auf das Anwesen hinausreiten können, oder nicht? Er hatte Dr. Chambers und Mr. Forbes gesagt, dass er es wahrscheinlich täte, ansonsten aber dennoch nicht da wäre, weil er dann seine Eltern noch einmal besuchen würde. Er hatte den Eindruck gehabt, dass die Zeit mit seiner Familie viel zu kurz was, um seiner Familie und seinem Bedürfnis nach eben dieser in irgendeiner Weise gerecht zu werden.
 

Seine Augen wanderten durch den Raum, den er mittlerweile so gut kannte, und blieb kurz an verschiedenen Gesichtern hängen, Bekannte, die öfters hier waren. Er nickte ihnen zu und stellte zumidenst schon einmal zufrieden fest, dass keiner der Männer da war, die er damals abgeschleppt hatte, als er krampfhaft versucht hatte, Nico zu vergessen. Er folgte John durch den Raum, der schon gut gefüllt war. Der Geruch von Alkohol und Schweiß lag in der Luft. Die Tanzfläche war gefüllt und Jenny hatte Mühe, den Bestellungen zu folgen, die auf sie einströmten. Als seine Augen zum Tresen wanderten, bemerkte er einen Mann, der mit nur einem Auge dasaß und auch ihn offentichlich eben angesehen hatte. Kieran musste kurz schmunzeln über den Gedanken, den er spontan hatte, dass er diesen Mann interessant fand. Er hatte das Gefühl, dass er sich mit ihm verstehen könnte, dass er viel zu erzählen hatte. Die Haut war von der frischen Luft und der Sonne gebräunt, das Gesicht an sich sicher nicht britisch. Er hatte etwas Herbes an sich, etwas Markantes, etwas Intellektuelles. Sicher niemand, der einfacher Handwerker war - ohne das jetzt wertend zu meinen. Jemand, eben, der etas zu erzählen hatte, der etwas von der Welt gesehen hatte und dem er deshalb gefiel. Ähnlich wie es Dominico von Anfang an getan hatte. Er setzte sich neben John in die Bank und Jenny wuselte an ihnen vorbei und stellte ihnen mit dem Kommentar "Dafür bekomm ich aber was, Kieran!" zwei Bierkrüge hin. Kieran nickte lachend. "Ich werde mich bemühen!", versprach er und stieß mit John an, der wie immer einen guten Zug hatte. Oder wollte er heute Abend lieber etwas mehr intus bekommen? Kieran war ja wirklich gespannt, wie es sein würde, wenn John und Dominico aufeinandertrafen. Er hatte John gebeten, ihn nicht in Verlegenheit zu bringen. Mal sehen, ob er sich daran hielt. Aber normalwesiee war darauf Verlass.
 

Wenig später machte Kieran schon sein Versprechen wahr und jonglierte mit ein paar Bierkrügen - es war ja nicht so, dass er das nicht konnte. Er mochte es nur nicht so gerne. Und bald schon fand er sich auf der Tanzfläche wieder, wo man ihn mitzog und ihn in die Reigen eingliederte. Sein Blick glitt immer wieder zur Tür, merkte, wie die Hoffnung, schwand, dass Dominico noch kommen würde. Dabei ertappte er sich immer wieder, wie er auch jenen Einäugigen ansah. Er würde zu gerne wissen, wer der Mann war, was ihn heirhertrieb und woher er kam. Als sich ihre Blicke einmal länger trafen und jener ihn anlächelte, war er kurz davor, einfach zu ihm zu gehen, als er mitgezogen wurde und noch einmal tanzen musste. Der Abend würde vielleicht noch einmal Gelegenheit dazu bieten.
 

Tancrèd

Er war bereits einer der ersten Gäste gewesen, hatte etwas gegessen und saß jetzt am Tresen, um ein Ale nach dem anderen zu leeren, während die Musik ihn zurück auf sein Schiff trug. Er war eigentlich nie wirklich ein Seemann gewesen, doch seit er dieses Schiff hatte, war es zu seinem Lebensinhalt geworden und das weite freie Meer hatte ihm etwas von dem Leben zurückgegeben, das er im Morgenland verloren hatte. Auf dem Meer war er sein eigener Herr, hier in der Stadt nur ein dressierter Affe, der auf einen König zu hören hatte, und das gefiel ihm kaum. Als die ersten Gäste kamen, war Tancrèd bereits etwas angeheitert und beobachtete junge Männer beim Tanzen und Scherzen. Einer von ihnen fiel ihm ins Auge. Es war ein schwarzhaariger junger Mann, anscheinend körperlich äußerst flexibel, zumindest zeigten das seine akrobatischen Kunststückchen auf den Tischen. Mit ihm war ein braunhaariger Mann herein gekommen, der wohl heute vorhatte wirklich zu feiern.. oder aber er gab das nur vor. Sein Blick wanderte verdächtig oft den Tresen entlang zur Tür, so als schien er nur auf jemanden zu warten. Tancrèd nahm ihn nur am Rande wahr, sein Blick blieb wesentlich öfter an dem Schwarzhaarigen hängen und er ließ seinen Gedanken freien Lauf. Auf dem Schiff gab es keine Frauen und die Männer wussten sich da durchaus kreativ zu behelfen. Auch wenn sie an Land jedes Bordell aufsuchten, das sie finden konnten - auch die arabischen Mitglieder seiner Mannschaft - so war auf See meistens ein anderes Programm zur abhilfe sexueller Gelüste angesagt und Tancrèd tolerierte es, wie alles andere auch. Er hatte es irgendwann einmal angesprochen und deutlich gemacht, dass er es nicht billigte, wenn man einen seiner Männer dazu zwang, doch was freiwillig hier und da geschah ignorierte er einfach. Er selbst? Nun, es gab Situationen, in denen er von einem Mannschaftsmitglied, seinem ersten Maat, Besuch bekam. Aber er zwang ihn nicht. Und er war eigentlich nicht unbedingt all zu versessen darauf, wie wild herumzuvögeln.

Der Schwarzhaarige und seine Biegsamkeit allerdings ließen in Tancrèds schon leicht alkoholisiertem Hirn ein paar recht hübsche Bilder entstehen, die eine angenehme Erregung in ihm keimen ließen. Ihre Blicke trafen sich dann und wann und Tancrèd lächelte irgendwann, weil ihr Blickkontakt länger hielt als nur ein flüchtiger Blick. War das eine Einladung? Tancrèd nahm es nicht an. Versprach man sich von solchen Dingen zu viel, wurde man ohnehin nur enttäuscht. Sein "Gegenüber" schien darüber nachzudenken, ob er zu ihm laufen sollte, wurde dann aber für den nächsten Reigentanz einfach mitgerissen und so brach ihr Blickkontakt ab. Tancrèd sah wieder zu dem Braunhaarigen hinüber und bemerkte, dass diesesmal dessen Blick auf die Türe gerichtet war und er meinte soetwas wie Überraschung darin zu erkennen. Überraschung und.. Neid?

Tancrèd folgte dem Blick langsam zu der Tür und hustete kurz in sein Ale weil er den Mann, der gerade durch die Türe trat, nur all zu gut kannte. Da stand doch wirklich der militärische Berater seiner Majestät in der Tür... Tancrèd war ihm schon das letzte mal in Lodnon vorgestellt worden und hatte ihn erst gestern gesehen und kurz mit ihm gesprochen. Auch wenn er unrasiert und in einfacher Kleidung hier stand und, wie Tancrèd zugeben musste, nicht gerade schlecht aussah bei dem Versuch einen verwegenen Eindruck zu erwecken, er erkannte ihn wieder. Und Dominico schien ihn nur all zu deutlich auch zu erkennen. Erst schien sich sein Gesicht für einige Sekunden zu verschließen, dann schmunzelte er und schlenderte zu ihm hinüber, ließ sich auf den Hocker neben ihm sinken und deutete mit der Handbewegung der Bedienung ihm auch einen Krug Ale vor die Nase zu stellen.
 

Dominico

"Euch hätte ich ihr nicht erwartet..", eröffnete Dominico das Gespräch leise, während Tancrèd noch immer in den Gastraum blickte und dem Bruder des Kardinals dann einen Seitenblick zuwarf. Sein Französischer Akzent brach leider immer wieder durch, als er antwortete. "Ich euch euch nicht, Mylord Sforza", gab er ebenso leise zurück. Nico winkte ab. "Ich denke, das hier ist nicht der richtige Ort, um auf höfische Floskeln zu bestehen Tancred.. bist du da nicht meiner Meinung?" Der Seemann schmunzelte, als er mit Nico und dem Ale anstieß. "Ganz deiner Meinung." Es war heikel, keine Frage. Aber Nico war der Meinung, dass es Tancrèd ziemlich egal war, wen er hier antreffen würde. Welchen Vorteil sollte Tancred davon haben zu wissen, dass er hier war? Keinen wirklichen. Und wenn doch? Nun.. er würde es sehen. Tancrèd erschien ihm nicht der Mensch zu sein, der daraus irgendeinen Profit ziehen konnte, ihn hier gesehen zu haben. Ob es vielleicht ein Problem gab, wenn er merkte, dass Nico und Kieran? Nein, auch das erschien ihm unsinnig. Tancrèd war Seemann und nichtmal Engländer. Gut, er selbst auch nicht, aber noch hoffte er, dass Henry ihm mehr vertraute, als einem Kapitän zur See, wenn der denn irgendeinen Versuch machen sollte, ihn zu denunzieren. Es würde trotzdem ein Drahtseilakt sein, nicht zu viel preiszugeben. "Was treibt dich hierher? Noch immer keine Audienz beim König?" Tancrèd lachte dunkel. "Seine Majestät hat offenbar ganz andere Probleme, als seine miserable Flotte. Mal sehen, ob er uns die Audienz morgen wirklich gewährt. Ich bin London schon leid gewesen, kaum dass ich vor drei Tagen einen Fuß hinein gesetzt habe...", gab der einäugige Mann zurück. Nico lachte leise. "Seine Majestät befindet sich in einer äußerst prekären persönlichen Lage - wie du sicher weißt. Aber morgen wird er sicher Zeit finden und du kannst zurück zu deinem Schiff."

"Ich will es hoffen. Mir sind seine Frauengeschichten gleich, ich will einen Freibrief und meine Befehle und dann will ich meine verdammte Ruhe vor diesem Affenzirkus." Ja.. der Mann konnte einem fast sympathisch werden. Vielleicht war es nicht ganz so übel, an diesem Ort auf ihn getroffen zu sein.

Als Nico sich mit dem Ale ebenfalls umdrehte, um in den Schankraum zu blicken, sah er auch Kieran. Er hatte es bewusst vermieden, den Rauzm nach ihm abzusuchen und auf sich aufmerksam zu machen, er wollte nicht, dass sofort alle merkten, dass er erstens überhaupt da war und zweitens wegen wem er hier war. Als er zu ihm hinüber sah, merkte er, dass Tancred in die gleiche Richtung blickte wie er.. nun, sie hatten ja gesagt, dass Schauen keine Sünde war.. oder nicht? Also wartete Nico, trank sein Ale und sah zu Kieran hinüber. Er wollte es ihm überlassen, den ersten Schritt zu tun, zumal Kieran gerade noch mit Tanzen beschäftigt war... nur Johns Blick lag schon auf ihm, seit er den Raum betreten hatte, doch Nico gab sich größte Mühe ihn zu ignorieren.
 

John

John hob die Augenbrauen, als Dominico Sforza sich offenbar doch noch bequemte, hier aufzulaufen. Er trank sein Bier aus und beobachtete, wie der Mann, der offensichtlich sehr überlegt hier auftrat, zum Tresen ging. Also würde der Italiener wohl wirklich nicht offensichtlich zeigen, warum und für wen er da war. Er hätte es sich denken können. Ob Kieran das erwartet hatte oder nicht, war egal. Aber so, wie jener dem anderen entgegengefiebert hatte, schien die Enttäuschung beim Kleinen nicht ausbleiben zu können, oder? Wobei? Ganz offensichtlich kannte Dominico den Mann, über den Kieran ihn vorhin gefragt hatte, ob er ihn kenne. Vielleicht deshalb diese scheinbare Gleichgültigkeit des älteren. John blieb sitzen und beobachtete gelassen die Szenerie. Er würde dann auch tanzen gehen. Dafür brauchte er nur einen gewissen Pegel, sonst mochte er es einfach nicht.
 

Kieran

Fast war es so, als sei Dominico einfach plötzlich da gewesen. In einer Runde, hatte er noch nichts von ihm gesehen, in der nächsten stand er mit einem Mal am Tresen. Kieran stutzte, als er sah, dass er sich mit niemandem geringeren unterhielt, als dem Einäugigen. Kannten sich die beiden Männer? War das er Grund, weshalb er ihn nicht einmal begrüßte, sondern sich gleich ein Bier bestellte?

Jetzt, wo er ihn sah, merkte er, wie sehr er ihn vermisst hatte. Und klar, sie mussten vorsichtig sein, aber wenigsens einmal zu ihm sehen? War das zu viel verlangt? Kieran schluckte und tanzte etwas verwirrt weiter. Sicher lag es daran, dass dieser Bekannte da war und dass Dominico nicht wirklich hier gleich auffallen wollte. Und doch ärgerte er sich ein wenig.

Als das Lied zu Ende war, ging er zu John an den Tisch, ergriff sein Bier und trank den Rest aus. Dann nahm er auch das Glas des anderen, das dieser ebenfalls geleert hatte. "Ich hol noch was", sagte er zu seinem Freund, der ihn kritish ansah und langsam nickte. "Mach das."

Kieran hielt auf den Tresen zu, stellte die beiden Bierkrüge zwischen den beiden Männern ab und wartete auf Jenny. "Vier noch", sagte er und sie sah ihn erst fragend an, nickte dann aber mit einem "Kommt gleich." Dann sah er zu Dominico. "Einen guten Abend, schöner Mann", sagte er dann zu ihm und es kostete ihn verdammt viel Kraft, die Form zu wahren, als er in die grünen Augen blickte, die er so liebte. Dann konnte er doch nicht umhin, die Hand zu heben, um über den Bart zu streichen, den der andere sich ein wenig stehen gelassen hatte. "Hm, ziemlich verwegen", stellte er fest und lächelte. Dominico war wirklich wandelbar. Und so sah er verdammt gut aus. Nun blickte er aber zu dem Mann mit der Augenklappe. "Magst du mir deinen Freund vorstellen?", fragte er dann und blickte Tancrèd an.
 

Tancrèd

Tancrèd brauchte eine Weile um zu verarbeiten, was in den letzten Minuten hier geschehen war. Er wusste, dass dieses Wissen unsagbar kostbar war. Dominico Sforza in einem Etablissement wie diesem, dazu noch in einer Aufmachung, die darauf hindeutete, dass er ganz und gar nicht wegen irgendwelcher Amtsgeschäfte hier war. Und gleichzeitig wusste er, dass es ihn nicht wirklich interessierte. Er hatte den Italiener als einen sehr klugen und weit vorausschauenden Mann kennengelernt, was den Krieg und das Militär anging. Als Italiener hatte er sogar ein ganz passables Wissen über die Seefahrt und die Marine - und Dinge die möglich und unsinnig waren. Henrys romantische Vorstellungen von Pferden und Rittern auf einem Schiff und unrealisierbaren Geschützen wurden von Dominico Sforza auf eine so künstlerische Weise einerseits aufgenommen und andererseits umgeschrieben, als wären es Henrys eigene Ideen gewesen, so dass der König bei ihrem letzten Gespräch mehr Geld bewilligt hatte als Thomas Howard sich jemals hatte erhoffen können. Dieser Mann war Gold wert an der Seite eines Königs und schien dennoch sehr auf dem Boden geblieben zu sein. Natürlich konnte man eine gewisse Erziehung niemals leugnen oder verbergen, auch Tancred konnte das nicht.. aber Dominico war ein Mann, wie Tancred sich bei den Kreuzfahrern damals mehr gewünscht hätte. Jemand, der das Wesentliche durchaus sah, auch wenn er manchmal entweder aus Pflichtgefühl oder eigenen Interessen anders handelte. Und dieser Mann stand jetzt neben ihm am Tresen und trank Bier in einer Wirtschaft, in der es wohl nur um eine einzige Sache neben Trinken und Tanzen ging. Gerade verschwanden drei junge Männer durch eine schmale Tür am Ende des Schankraumes und Tancrèd leerte den Krug. Er wusste nicht, ob es besser an der Zeit war zu gehen oder ob er bleiben wollte und sollte.. doch gerade als er sich für's Gehen entscheiden wollte, bewegte sich das Objekt seiner unterschwelligen Begierde auf den Tresen und auf sie beide zu. Weder Dominico noch Tancrèd machten Anstalten, den Platz für Kieran zu räumen, der sich schon kurz darauf einfach zwischen sie quetschte. Tancrèd warf Nico über Kierans Kopf hinweg einen beinahe überraschten Seitenblick zu, ehe er erkannte, dass sich der Schwarzhaarige und Mylord Sforza bereits kannten. Bereits besser kannten. Innerlich lachte er auf.

Nicht unbedingt, weil der Mann ihn gereizt hatte, nein, das taten andere Männer auch. Sondern weil Dominico Sforza nicht nur hier her kam, um wie Tancrèd etwas zu trinken und den Gedanken freien Lauf zu lassen. Nein, ganz offenbar war es bei ihm nicht nur bei Gedanken geblieben. So wie die braunen Augen das verwegene Gesicht jetzt musterten und wie zärtlich der Jongleur die Stoppeln berührte, das war nicht das erste Mal. Als ihn der Blick traf hatte Tancrèd zum Glück bereits nach einem der Alekrüge gegriffen und konnte sich so zum Teil dahinter verstecken - nicht nur sich, sondern auch seine konsternierte Miene.
 

Dominico

Auch Dominico hatte daran zu knabbern, Tancrèd hier zu begegnen. Auch wenn er sich sicher war, dass es keinen Unterschied machte, ob der Seemann mehr über ihn erfuhr oder nicht, auch im Hinblick auf seine Sexualität, doch er war eben genau dieser Faktor, den Nico schon vorab hatte nicht berechnen können. Allerdings war es im Umkehrschluss ja auch Tancrèd, der hier neben ihm am Tresen stand und sicher auch nicht nur etwas trinken wollte. Sie saßen also sprichwörtlich im selben Boot und nach den ersten locker gewechselten Worten und den ersten Schlucken Ale fiel die Anspannung von Nico ab. Das hier waren Leute wie in Kierans Familie. Nur Tancrèd hatte ihn erkannt und der war ein Risiko, aber er konnte es einschätzen.

Als Kieran sich dann zwischen sie quetschte und weder er selbst noch sein Gegenüber abrückten, wurde Kieran für einen Moment beinahe zwischen ihnen eingeklemmt. Das Gefühl, ihn nah an seinem Körper zu spüren, rief ihm ins Gedächtnis, wie sehr auch Nico ihn in den letzten Wochen vermisst hatte, und wie sehr es ihm fehlte, mit ihm über all das zu reden, was im Palast und seinem Leben gerade verdammt daneben lief. Doch er kam nicht dazu und würde so schnell nicht dazu kommen, so viel war sicher. Vielleicht gingen sie heute gemeinsam nach Hause, doch das war eigentlich eher unwahrscheinlich, zumindest nach Johns Gesicht zu urteilen, das ihm nur so entgegen schrie wie erbärmlich es ihn fand.

Nico konnte nichteinmal sagen, warum John ihn so ärgerte. Was es war, das ihn so reizte. Hinzu kam Tancrèds wenn auch nur unterschwelliges Interesse an Kieran, zumindest hatte er ihn angesehen. Und dann noch der Druck, bloß nicht aufzufallen hier in diesem Pub. Nico musste sich für einen Weg entscheiden, das wusste er. Und er musste es nicht wegen sich, wegen Tancrèd oder wegen diesem diabolisch grinsenden John, der nur darauf wartete, dass Nico sich erneut distanzierte und Kieran damit nur das Herz brach. Nein, er musste es eben wegen Kieran, der vor ihm stand und in dessen Blick er so viel Sehnsucht sehen konnte. Eben als er hereingekommen war, hatte er zwei Männer gesehen, die in den Dunstschwaden und im Zwielicht eng umschlungen was auch immer getan hatten. Die Musik spielte noch immer und die meisten waren mit Tanzen beschäftigt. Und selbst wenn nicht, er vermisste Kieran doch genauso wie der ihn. Und er wollte, dass John diese hochnäsige und abschätzige Maske aus dem Gesicht fiel. Für den Sohn von Mr. Forbes musste es sicher so aussehen, als sei Kieran nur ein Lustknabe für Domincio, den der rief wann immer es ihm passte - doch so war es eben ganz und gar nicht und genau das musste Nico hier und jetzt klarstallen. Als Kieran über seinen Bart strich und bekundete, dass es ihm gefiel, grinste der Italiener und griff Kierans Hand, um sie bei sich zu behalten. Er drückte die Lippen auf den Handrücken ehe seine andere Hand schon um Kierans Taille gefasst hatte und ihn näher an seinen Hocker zog und ihn einfach küsste. Er hatte es zu lange vermisst, zu lange entbehren müssen. Und tatsächlich fuhr nicht der Blitz auf sie herab! Die Musik spielte weiter und die Männer um sie herum ignorierten es auch. Als Nico sich wieder von Kieran löste grinste der Militärberater seiner Majestät und entließ Kieran aus seinem Griff. "Gleichfalls guten Abend der Herr", erwiderte er schließlich auf Kierans Begrüßung. Erst jetzt ging er auf die Frage ein, die Kieran gestellt hatte und ein kurzer Blickwechsel von Nico zu Tancrèd und zurück brachte den Mann mit der Augenklappe dazu, sich selbst vorzustellen. Nico wusste nicht, wie viel Tancrèd preisgeben wollte und er überließ es ihm, seinen Namen zu nennen. "Nenn mich einfach Nadim." Die Betonung des Wortes klang bei dem Franzosen beinahe noch amüsanter als beim englisch oder spanischsprachigen Teil der Besatzung, lediglich die Araber konnten es richtig artikulieren. Trotzdem war Tancrèd nah dran. Er reichte Kieran eine Hand, nachdem er den Krug abgestellt hatte. "Und du bist?"
 

Kieran

Dass Dominico ihm keinen Platz machte, freute Kieran irgendwie. Viel zu lange hatte er keinen Körperkontakt gehabt und er vermisste ihn sehnlichst. Dass der andere ihm keinen Platz machte, war… sagen wir nicht ganz unerwartet. Ihr Blickkontakt vorhin war zu lang, um nicht zu wissen, dass jener auch an ihm interessiert war, in welcher Hinsicht auch immer. Aber Kieran störte das nicht.

Und sein Herz schlug ihm hart gegen den Hals, als Dominico seine Hand ergriff, sie küsste, ihn an der Taille fasst und in einen viel zu sehr begehrten Kuss zog, als dass er ihn unschuldig hätte erwidern können. Er hatte mit allem gerechnet, einer heimlichen Berührung, einigen Worten, die nur er entschlüsseln konnte, einer Geste oder einem Blick – aber nicht damit, dass Dominico ihn hier und jetzt und in aller Öffentlichkeit und in Anwesenheit eines ihm bisher fremden Freundes einfach so küsste. Aber dieser Kuss machte alle Sorge, alle Unsicherheit zunichte, die er die Wochen gespürt hatte. Er tat einfach nur unheimlich gut.

Und auch wenn er Nico am liebsten gleich mit nach hinten genommen hätte, wusste er, dass es so einfach auch wieder nicht war. Er lächelte zu Nicos Begrüßung und folgte nun seinen Blick zu dem Mann mit der Augenklappe, der sich ihm als „Nadim“ vorstellte. Kieran konnte nicht umhin das Gefühl zu haben, dass das nicht sein ‚richtiger‘ Name war, sondern eher so etwas wie ein Künstlername. Zudem stellte er den französischen Akzent fest, der zu dem aber eher maurischen/arabischen Namen nicht unbedingt passte. Kieran ergriff die Hand und drückte sie. „Mein Name ist Kieran“, stellte er sich vor. „Was bedeutet Nadim?“, fragte er dann sogleich ohne Scheu, während er sich an Dominico lehnte und das Gefühl genoss, diesem einfach nur nahe sein zu können. Die Erklärung des anderen ließ ihn lächeln. „Gute Freunde kann man immer gebrauchen“, stellte er fest. In diesem Moment stellte Jenny die Krüge mit dem Bier für ihn hin und Kieran zog ein paar Münzen aus der Tasche, um sie ihr zu geben. „Ihr seid eingeladen“, sagte er mit einem Ton, der keine Widerworte zuließ. „Wollt ihr mit rüberkommen?“ Er deutete zu John, dessen Lächeln verriet, dass jener ein wenig milder gestimmt war. „Oder magst du gleich tanzen? Dann stelle ich die Krüge nur schnell rüber“, er blickte über die Schulter Dominico an, der ihm erklärte, tanzen zu wollen. Als dieser sagte, dass er tanzen wolle, lächelte Kieran, sah nun aber zu Nadim. „Möchtest du meinem Freund Gesellschaft leisten? Er braucht immer erst ein paar Bier, bevor er die Tanzfläche betritt. Er hat Komplexe, die völlig bescheuert sind. Als ob er nicht gut tanzen könne…“ Kieran löste sich fast ein wenig widerwillig von Dominico und trug die Krüge hinüber an den Tisch. „John, das ist Nadim“, stellte er nun die beiden sich vor. „Und das ist John“, sprach er an Nadim gewandt. Er hatte seine Schuldigkeit getan, oder? Er sah John an und wollte gerade fragen, ob er tanzen gehen durfte, als dieser ihm ein „Hau schon ab!“, zuwarf und Kieran sich grinsend umdrehte. Er nahm Dominico bei der Hand und zog ihn mit sich in Richtung Tanzfläche, wo er begann ihn anzutanzen, den Körperkontakt über die Hand nicht abreißen lassend. Er wollte Dominico am liebsten den ganzen Abend nicht mehr loslassen.
 

John

John blickte den beiden kurz hinterher und schüttelte dann lächelnd den Kopf. Dominico Sforza hatte ihn angenehm überrascht und das gefiel ihm. Es kam ihm zwar zum einen ein wenig vor wie ein trotziges Kind, das beweisen musste, dass es sich traute vom Dach des Schuppens zu springen, zum anderen, wie ein Akt des „Reviermarkierens“, aber es war ok. Dominico hatte klar gemacht, dass Kieran ihm hier in diesem Moment gehörte und es war ok. Das Strahlen in Kierans Gesicht und das Funkeln in seinen Augen gerade, machte John glücklich. Und das war das Wichtigste. John sah nun zu Nadim auf und stand leicht auf, ihm die Hand gebend. „Und da ist der viel zu kleine Wirbelwind schon wieder tanzen“, sagte er. „Ich bin John, wie er schon gesagt hat. Wenn du keine große Lust auf Konversation hast, verstehe ich das, wenn doch, würde ich mich freuen, wenn du dich zu mir setzt. Ich versuche auch, nicht zu fragen, warum du nur ein Auge hast.“ Er zwinkerte dem etwas älteren Mann zu und ließ einen Blick einen Moment über den Körper des anderen gleiten. „Aber ich vermute einfach mal, dass du schon die ein oder andere Schlacht gekämpft hast und dass dein Name ein Relikt aus einem weit entfernten Land ist, das von den ach so schrecklichen Barbaren bereinigt hätte werden sollen?“
 

Dominico

Tancrèd stellte sich definitiv nicht mit seinem Namen vor und Nico konnte es verstehen. Er hatte nicht vor den Mann zu verraten, wieso auch? Namen spielten hier sicher keine Rolle. Doch er nahm diesen Namen und seine Bedeutung auch als Hinweis auf die Verschwiegenheit des Franzosen. Ein guter Freund verriet gewisse Dinge nicht einfach und er schwieg an manchen Stellen, an denen andere vielleicht etwas von sich hätten hören lassen, nämlich bei ihrem Kuss. Tancrèd wandte den Blick auf seinen Becher und schwieg ehe er sich vorstellte und Kieran die Hand schüttelte. Sein Blick war genau so ausdruckslos wie zuvor auch, doch auch Nico wusste, dass das alles eine Maske war - wie er sie selbst trug. Doch was immer sich der Franzose über das eben Gesehene dachte, er teilte es ihnen nicht mit und das war auch gut so. Kieran griff sich die vier Krüge und war schon wieder auf und davon gen Tisch ehe die beiden Männer noch reagieren konnten. Wieder tauschten Dominico und Tancrèd einen Blick und nach Nicos einladender Geste, Kieran zu folgen, setzte der Franzose sich in Bewegung. Nico hatte jetzt ohnehin nichts mehr zu verbergen, also konnte ihnen der Mann auch gern Gesellschaft leisten. Außerdem dachte Nico gerade wieder rein praktisch - so konnten sie vielleicht ein wenig übers Geschäft reden, wenn sie denn irgendwann dazu kamen.

Als sie den Tisch mit John erreichten, konnte man es wohl kaum eine normale Begrüßung, sondern eher ein gegenseitiges taxieren nennen, was die beiden Männer taten. Tancrèd ließ sich auf den Stuhl fallen und tat höflichst so, als merke er von der kurzen Spannung nichts. Nico aber merkte es sehr wohl. Da er sich aber kurz darauf entschied, tanzen zu gehen, spielte es vorerst keine Rolle. Er wollte mit Kieran tanzen und sie eroberten die Tanzfläche kurz darauf im Sturm. Neben den Reigen zu irischer flotter Musik, gab es auch die üblichen einfacheren Hoftänze und natürlich die Volta. Später einmal würde das gemeinsame Kind von Henry und Anne Boleyn, Elisabeth die Erste, diesen Tanz zu ihrem ganz persönlichen Lieblingstanz erklären. Mit vielen Drehungen und eng getanzt war die Volta genau der Tanz für Nico, bei dem er sein Bedürfnis nach Nähe zumindest ein wenig auskurieren konnte. Und weil sie sich ständig nah waren konnte er auch mit Kieran reden, ohne schreien zu müssen oder Lauscher zu haben. "Ich habe dich vermisst", hauchte er ihm ins Ohr als er ihn gerade anhob, um ihn durch die Luft zu wirbeln, wie bei der Volta nunmal vorgesehen. "Und ich wollte dir schreiben, aber es gab massive Probleme im Palast. Ich erzähle dir später irgendwann davon.." In der nächsten Drehung stahl er sich erneut einen Kuss von Kierans Lippen. "Aber ich habe alles soweit bereinigt, dass ich das Wochenende solange du willst für dich habe. Immerhin musstest du dich lange genug nach mir richten." Es erschien Nico nur fair, Kieran auf diesem Wege entgegen zu kommen. Sie drehten sich erneut und ihr enger Körperkontakt entlockte Nico ein genüssliches Stöhnen als seine Hand beim nächsten Hochheben über Kierans Hüfte glitt. "Du siehst gut aus heute Abend.." Und dabei war Kieran schon verschwitzt vom vielen Tanzen. Doch gerade diese unkonventionelle Ader liebte Nico. So als würde in diesem Moment, hier und jetzt einfach nichts anderes zählen als sie beide. Und im Grudne tat das auch nicht, doch Nico wäre es eindeutig lieber gewesen, wenn sie jetzt an einem Ort wären, an dem weder ihn noch Kieran irgendjemand kannte, denn dann konnte man noch gelöster miteinander umgehen.
 

Tancrèd

Als Franzose überraschte Tancrèd kaum noch etwas, was das Verhalten hochrangiger Männer anging. Das Dominico diesen jungen attraktiven Mann einfach so küsste, überraschte ihn dann aber doch. Nicht unbedingt wegen der Sache an sich, sondern weil Nico es so direkt und deutlich vor ihm tat. Machte er sich wirklich keine Sorgen? Oder war es viel mehr der Beweis eines gegenseitigen Vertraues in Dingen, die sie beide angingen? Sie würden, wenn sie für Henry eine wirklich schlagkräftige Flotte aufbauen wollten, sehr eng Hand in Hand arbeiten müssen. Sie würden sich auch vertrauen müssen, denn so war der Krieg nunmal. Man musste sich auf die Leute verlassen können. Vielleicht zeigte ihm Nico auch gerade, dass er bereit war zu vertrauen - und deswegen stellte sich Tancrèd nicht mit seinem normalen Namen, sondern seinem arabischen Spitznamen vor: Nadim. Es bedeutete guter Freund und er übersetzte es gern für Kieran, dem das zu gefallen schien. Kurz darauf war er plötzlich eingeladen, und ehe er sich's versah auf dem Weg zu dem braunhaarigen jungen Mann an den Tisch. Eigentlich war ein bisschen Gesellschaft keine schlechte Idee und die Zeit verging schneller als allein mit einem Krug Bier. Den Kopf kurz zu John neigend setzte er sich an den Tisch und griff einen der Krüge, ehe Kieran mit Dominico gen Tanzfläche abrauschte. Der Blick des Franzosen folgte den beiden, auch als sie bereits mitten dabei waren zu tanzen. Unweigerlich tauchten in Tancrèds Geist die üblichen Fragen auf, die man sich bei so einer Konstellation stellte. Wie lange schon? Wusste Kieran auf was er sich einließ? War es ernst oder Spaß? Er wurde aus seinen Überlegungen gerissen, als der Braunhaarige zu reden anfing. Er hatte eine recht angenehme Stimme und Nadim wandte sich ihm zu, musterte ihn diesesmal ein wenig intensiver. John hatte definitiv ein als schön zu bezeichnendes Gesicht. Seine Augen waren klar und einnehmend, seine Haut ziemlich makellos, was man von Tancrèds nicht behaupten konnte. Er wirkte wie jemand, der oft hier ein und ausging und die Feindseligkeit, mit der Nico und John sich unterschwellig begegnet waren, war auch an Nadim nicht unbemerkt vrbei gegangen. Doch auch diese Tatsache blieb unkommentiert, es machte keinen Sinn das anzusprechen. Johns abgeklärte Vorstellung inklusive Gesprächseinstieg war interessanter. War der junge Herr etwa etwas genervt? Nadim grinste breit und löste die Augenbinde einfach. "Du darfst gern fragen, aber ich habe nicht nur ein Auge sondern zwei. Ich seh auf dem zweiten nur nichts - außer hell und Dunkel", gab er zurück, mit dem zweiten Auge wohl auch John fixierend. Man sah kaum mehr als Weiß in seinem Auge, auch wenn es einen Schatten der Pupille darin gab. Es war jedoch unweigerlich zu sehen, dass er auf diesem Auge nicht mehr wirklich sah und eine Narbe direkt daneben schien der Auslöser gewesen zu sein. "Und ja, ich habe sicher schon die ein oder andere Schlacht gekämpft, das tun alle Männer, die in der Lage sind, eine Waffe zu tragen. Der Name stammt tatsächlich aus einem Fernen land, aber Barbaren habe ich noch auf keinem Ort der Welt kennen gelernt", versuchte er so gut es ging die beinahe schon rethorischen Fragen zu beantworteten, ehe er zum Gegenangriff überging. "Und du bist da mit einem Mann, mit dem du gerade selbst wohl gern tanzen würdest, um ihn einem anderen zu überlassen - ist das die derzeitige Mode in England, sich unerreichbare Ziele zu setzen? Oder sieht das da" Er nickte gen Tanzfläche "nach mehr aus als es ist?" Er stieß sich nicht daran, dass John ehrlich heraus war. Es tat gut keinen Honig ums Maul geschmiert zu bekommen.
 

Kieran

Als die Musik begann den ¾-Takt der Volta zu spielen, freute sich Kieran. Er mochte den unbefangenen Tanz, der so verrucht war, weil man –Oh Gott – den Unterrock der Damen dabei sehen konnte. Er aber man hatte so die Möglichkeit, dem anderen nahe zu sein, ihn zu berühren und letztlich auch einfach anzumachen. Denn es gab die ein oder andere Bewegung, die man auch wie einen Akt der „Verführung“ tanzen konnte. Und Kieran war in genau dieser Stimmung. Sicher, sie durften nicht zu sehr auffallen und das rief er sich immer wieder in den Kopf, aber ein wenig spielen war doch erlaubt, oder? Als der andere ihn anhob und ihm zuflüsterte, dass er ihn vermisst habe, lächelte Kieran und auf die Erklärung, warum jener nicht geschrieben habe, nickte er. Und bevor er etwas dazu sagen konnte, küsste ihn Dominico erneut, bevor er ihm erklärte, das Wochenende für ihn Zeit zu haben. Kierans Lächeln wurde breiter. Er drehte sich und entfernte sich so von Dominico, um mit einem leichten Anlauf dem anderen auf die Hüfte zu springen. Dort blieb er sitzen, gestützt vom anderen, die Arme auf den Schultern blickte er ihn an und hörte, dass er gut aussah, sah, dass es dem anderen gefiel, ihn so zu halten. Sanft küsste er ihn erneut. „Ich habe dich auch schrecklich vermisst“, sagte Kieran leise und obwohl der Tanz weiterging, machte er keine Anstalten, von Dominico hinunterzuspringen. „Und danke für die Blumen." Er grinste leicht. Jeder hörte es gerne, dass man gut aussah. "Es ist schön, dass wir morgen und übermorgen etwas Zeit füreinander haben. Aber ich werde wohl erst mittags zu dir kommen. Ich muss noch ein paar Hausbesuche machen.“ Er hatte ein schlechtes Gewissen, wenn er Mr. Forbes und vor allem John alles überließ. Zumal sie gerade einen siechenden Patienten hatten, dessen Anblick definitiv nichts für John war. Erneut küsste er Dominico, dann lauschte er wieder der Musik, ließ sich an ihm hinuntergleiten und setzte wieder in den Takt ein. Wenn es nach ihm ging, könnten sie immer so weitertanzen.

Als die Volta schließlich ihr Ende fand und die Gäste ihre Begeisterung darüber kundtaten, da sie das Klatschen anfingen, setzte der nächste höfische Tanz an. Die konnte Kieran nicht wirklich leiden, und so trat er auf Nico zu. „Lass uns uns ein wenig setzen. Ich bin schon ganz verschwitzt und brauche eine Pause“, sagte er blickte an Nico vorbei zum Tisch, an dem sich John und Nadim offensichtlich gerade ganz gut unterhielten.
 

John

John blickte den Mann mit dem französischen Akzent interessiert an, als dieser seine Augenbinde abnahm. John runzelte die Stirn, hatte er doch so etwas noch nie gesehen. „Eine Störung der Durchblutung würde ich schätzen“, überlegte er laut. „Du bedeckst es vor allem, weil es sehr lichtempfindlich ist?“ Seltsamerweise empfand er das Auge weniger störend, als so manche Verletzungen, die er tagtäglich sah und die schon das modern angefangen hatten. Während Kieran da gar keine Scheu an den Tag legte, auch zum Beispiel Gliedmaße zu amputieren, wenn es notwendig war, so war das sein größtes Grauen. Aber dieses Auge rief in ihm nicht die bekannte Scheu hervor, die ihm sein Studium als Medizinstudent so schwierig machte. Tancreds anderes Auge hatte so einen starken Ausdruck, dass der unverhofft ihm gegenüber sitzende Mann ihn zu interessieren begann. Wie es wohl wäre, wenn er mit beiden Augen ihn ansah? Ob der Blick dann noch intensiver wäre? Konnte man so eine Verletzung überhaupt rückgängig machen? John schweifte mit den Gedanken ab und holte sich wieder in das Hier und Jetzt zurück.

John hob die Augenbrauen, als er hörte, dass alle Männer, die eine Waffe tragen konnten, eine Schlacht gekämpft hatten. „Die wenigsten, die eine Waffe ‚tragen‘ können, können damit auch umgehen. Und die meisten, die eine Schlacht gekämpft haben, haben vorher nie etwas anderes getan, als ein Feld zu bestellen, Schuhe zu reparieren oder Holz zu bearbeiten. Ich bin auch in der Lage, eine Waffe zu tragen. Aber ich vermute, dass es für alle Beteiligten besser ist, dass ich mich mit den Dingen beschäftige, die ich kann.“ Er lächelte. Seine Einstellung zu der Art und Weise, wie man ein Heer rekrutierte, war wohl nicht zu überhören. Wieviele Menschen in diesen Kriegen, die wegen Idiotie heraufbeschworen wurden und schließlich von irgendwelchen Bauern und Handwerkern ausgefochten wurden, ihr Leben ließen, war erschreckend. Viel sinnvoller wäre es seiner Meinung nach, dass man allen eine Art Grundausbildung gab. Die Verteidigung des Landes war sicher nicht unwichtig, aber arme Menschen zu verheizen empfand er als menschenverachtend. Er lächelte, als der andere erklärte, dass er noch keine Barbaren kennengelernt hatte. „Das habe ich mir schon fast gedacht.“ Er holte nur jetzt lieber nicht auch noch dazu aus, dass er diese Kreuzzüge, die die vergangenen Jahrhunderte geprägt hatten, wohl das Barbarischste waren, was die christliche Kirchengemeinschaft jemals begangen hatte. Er wollte lieber nicht in ein Fettnäpfchen treten. Was wusste er schon, wie der andere da tickte, auch wenn er offenbar die Mauren, gegen die er wohl Krieg geführt hatte, schätzte und die ihm offenbar den Namen verabreicht hatten.

Als der andere nun ihn fragte, warum er sich gerade antat, Kieran und Nico zuzusehen und er die Anspielung auf den König und Anne hörte, lachte er leicht. „Ich denke nicht, dass es die gleiche Situation ist“, sagte er dann überlegend. „Anne würde ihn ja ranlassen, wenn er geschieden ist. Kieran würde mich nicht ranlassen, solange er mit seinem Kopf immer bei ihm ist.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich weiß noch nicht, wie unerreichbar das Ziel ist.“ Seine Augen ruhten auf dem Paar, das so aussah, als hätte es alles um sich herum vergessen. „Ich möchte nicht bestreiten, dass ich definitiv gerne mit ihm jetzt dort tanzen würde. Aber er ist gerade glücklich und ich bin nicht der Grund dazu, also akzeptiere ich das.“ Er sah wieder Nadim an. „Ich fürchte, es sieht nicht nach mehr aus als es ist, es ist recht viel, zumindest was den Kleinen betrifft. Ich hoffe nur, dass er mittlerweil genug durch die Hölle geschickt worden ist, und endlich mal ein wenig Glück genießen darf. Ansonsten sehe ich mich wohl gezwungen, aus der Passivität herauszutreten.“ Er lächelte. Er hatte sich da bisher immer relativ geschickt herausgehalten, war einfach da, wenn Kieran ihn gebraucht hatte, ohne ihm zu versuchen, irgendetwas auszureden - auch wenn er sich den ein oder anderen Kommentar nicht verkneifen konnte. Aber die Wut, die er gegenüber Dominico empfand und auch ein wenig der Neid waren natürlich dennoch da und würden auch so bald nicht gehen. „Wenn er ihn noch einmal fallen lässt, dann werde ich Kieran nicht nur auffangen“, fügte er nachdenklich an. "Kieran ist ein toller Mensch, der nicht als Spielball behandelt werden sollte."

Als er sah, dass die beiden zu tanzen aufhörten, nahm er den Krug und prostete Nadim zu. „Und du? Bist du zufällig hier, oder suchst du einen nächtlichen ‚Tanzpartner‘?“
 

Dominico

Am Hof zu tanzen war etwas ganz Anderes als hier zu tanzen. Niemand achtete peinlich darauf, wie nah man sich kam, und als Kieran lieber auf seine Hüfte sprang und Nico ihn sogleich festhielt, nahm auch niemand Anstoß daran. Sie konnten losgelöst und befreit miteinander umgehen, und auch wenn sich Nico damit am Anfang schwer getan hatte, es fiel ihm jetzt immer leichter. "Du wirst auch bei uns ein wenig arbeiten müssen - fürchte ich." Und griff damit das ernstere Thema auf. "Wir pflügen auf unseren Äckern. Es sind nur Kleinigkeiten, aber die Leute würden sich freuen. Ich hoffe du übernimmst dich nicht bei der Arbeit." Er schmunzelte als er Kieran wieder abließ und der Tanz schließlich endete. Kieran wollte eine Verschnaufpause und Nico hatte nichts dagegen sich zu setzen und ein wenig Bier zu trinken, doch für einen Moment hielt er Kieran am Arm zurück, ehe sie zum Tisch hinüber gingen. Hinter ihm stützte ein Pfosten das Obergeschoss der Schenke und Nico lehnte sich leicht dagegen, zog Kieran gegen seine Brust. "Muss ich dich heute Nacht allein nach Hause gehen lassen?" Er strich über Kierans Wange und suchte in seinen Augen nach einer Antwort. Er wusste, dass er selbst derjenige gewesen war, der nicht wie ein Dieb aus Kierans Tür am frühen Morgen hatte schleichen wollen, vor allem weil es dann vielleicht Mr. Forbes mitbekam. Doch der Gedanke ohne Kieran heute nach Hause zu kommen, war gar nicht gut. Er brauchte jemanden in seinen Armen, wenn er einschlief, vor allem wenn er jetzt noch mehr trank. Er würde vielleicht nach diesen anstrengenden Woche zu leichte Beute für jemand anderen sein und das wollte er ganz und gar nicht. Er wollte bei Kieran sein und bleiben. "Du hast nämlich nicht den Hauch einer Ahnung, wie viel es mich gerade kostet, dich nur anzusehen." Oh ja. Wenn es nicht viel zu auffällig gewesen wäre, hätte Nico Kieran postwendend hinter den Vorhang aus Holzperlen geschleift, der den Hinterraum abtrennte. Doch von da drangen ab und an recht eindeutige Geräusche durch die Pausen der Musik und Nico hatte es noch nicht so nötig, dass er es im Zweifel nicht wenigstens noch in den angrenzenden Stall und damit in eine relative Bequemlichkeit schaffte. Aber viel fehlte leider nicht mehr.

Um das besser zu demonstrieren, zog er Kieran nah an seine Hüfte heran - allein der Tanz und ihr Körperkontakt war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Nico beugte sich vor zu Kierans Ohr und hauchte ihm einen zarten Kuss auf den Hals. "Ich glaube langsam, du hast mich in Madrid verhext.. du hast mir irgendeines deiner Mittel verabreicht, das gewisse Körperteile von mir beim bloßen Gedanken an dich kaum noch ruhig zu halten sind." Denn es war wirklich beeindruckend, welchen Eindruck Kieran in dieser Hinsicht bei ihm hinterlassen hatte. Und Nico konnte, auch wenn er nicht sehr stolz darauf war, in dieser Hinsicht auf ein breites Erfahrungsspektrum blicken. Er hatte so ziemlich alles bereits getestet und viele Frauen oder Männer waren in ihren Fähigkeiten gut gewesen. Kieran fühlte sich auch nicht anders an, als jeder andere nackte Körper, doch wenn er ihn berührte dann löste das etwas ganz Anderes in Nico aus und der Sex war unbeschreiblich. So hatte Nico noch nie gefühlt, zumindest empfand er das in diesen Momenten so und jeder Gedanke an eben diese Momente brachte sein Hirn gelegentlich zum Aussetzen.
 

Tancrèd

"Klingt ganz als seist du Mediziner. Dein kleiner Freund da auch?" Er nickte zu Kieran hinüber, der inzwischen auf Nicos Hüften saß, was bei dem Herren Sforza wohl Hormone in Wallung brachte. Nadim konnte es in diesem Fall sogar nachempfinden. Mit einem wie Kieran auf dem Schoß, so eng, da würde seine Hose vermutlich auch bald platzen, aber er war nicht der, auf dessen Schoß Kieran saß. Er wandte sich wieder John zu und musterte ihn mit dem einen Auge. Sogar im recht dunklen Schankraum war das gleißend helle Licht, dass er mit dem linken Auge wahrnahm unangenehm hell und er zog die Klappe erneut über das Auge. Hier zumindest benutzte er eine schön geschnittene Klappe, auf See behalf er sich eigentlich mit einem Tuch oder einem Turban. Es war wesentlich angenehmer aber er hatte gerade kein Tuch zur Hand. Nachdem er noch einen Schluck Ale getrunken hatte, musterte er John erneut und dachte kurz über das nach, was er sagte. "Nun, vielleicht braucht man nicht immer ein Schwert, um seine ganz persönliche Schlacht zu schlagen. Du hast deine eigenen sicher auch schon hinter dir, sie verändern einen. Nicht unbedint ein Schwert und ein Gegner im Feld. Aber selbst da kommt es meistens kaum aufs Können an, sondern vielmehr auf die pure Masse." Das war leider viel zu wahr, wie Tancrèd selbst schon hatte feststellen müssen. Er lehnte sich in dem Stuhl zurück und folgte erneut Johns Blick hinüber zu den beiden, die aneinander klebten als ginge kaum ein Blatt zwischen sie. Liebe? Nadim glaubte einfach mal nicht daran. Es klang plausibel und ziemlich abgeklärt. So abgeklärt, dass Nadims Augenbraue in die Höhe wanderte. So schnell fand sich niemand damit ab und Johns Gesichtsausdruck nach zu urteilen, schien er nicht wirklich daran zu glauben, dass das dort vorn lange Bestand haben würde, auch wenn er es zumindest Kieran zu wünschen schien. Spekulierte John darauf, dass Dominico Sforza irgendwann einen Fehler beging? Vermutlich. Er schien sich nicht nach anderem umzusehen, zumindest nicht seit Tancrèd die beiden beobachtete. Er haderte mit sich. Sollte er noch etwas dazu sagen? Aber warum nicht? "Er wird ihn früher oder später fallen lassen müssen. Aber das wird Kieran sicher wissen und ohne dieses Wissen hätte er sich sicher auch nicht auf jemanden wie Dominico Sforza eingelassen. Früher oder später muss oder will er nach Italien zurückkehren und dort hat er, wie ich weiß, Frau und Kinder. Er kann keine männliche Affaire neben dem Vatikan in seinem Stadthaus in Rom halten. Nichteinmal mit seinem Namen."

Tancrèd zumindest war der Name Sforza ein Begriff. Die Familie kontrollierte einen Großteil des Seehandels von Italien aus, auch wenn sie eigentlich kein direkten Zugang zum Meer von ihren Ländereien aus hatten. Doch sie hatten nunmal den Wein und die Oliven und alles was noch dazu gehörte und im Rest der Welt begehrt war. "Und angesichts der politischen Lage kommst du vielleicht früher ans Ziel als du denkst. Selbst wenn jemand wie er es wollen würde.. er müsste schon tot umfallen, um sich den neugierigen Augen zu entziehen, die sein Leben beobachten. Irgendwann wird diese Liebe zu einem massiven Problem für ihn werden, so wie Anne für seine Majestät bereits jetzt zu einem massiven Problem geworden ist." Tancrèd merkte, dass er abschweifte und vor allem viel zu sehr in höfisches Denken verfiel. Er schüttelte angewiedert von sich selbst den Kopf. "Verzeih, die Langweile in der Stadt bringt mich fast schon wieder dazu, wie einer der Speichellecker am Hof zu denken." Er kippte den Krug hinunter, so als könne das Ale die Gedanken bei Seite wischen. "Einen Tanzpartner suchen? Ich weiß nicht genau." Er musterte John ein wenig, während er über die Antwort nachdachte. "Ich habe mir ehrlich gesagt keine Gedanken dazu gemacht. Sicher bin ich wie niemand hier ohne Grund in genau diesem Gasthaus gelandet, da sind wir uns bestimmt einig, oder?" Sein Mundwinkel zuckte in Andeutung eines Lächelns nach oben. "Bisher war kein wirklich interessantes Material anwesend." Er ließ offen, ob sich das nun geändert hatte. Tancrèd war spontanem Sex sicher nicht abgeneigt, doch so wie manche es hier erzwangen war er nicht.
 

Kieran

„Ich finde es gut, wenn ich gebraucht werde“, sagte er lächelnd auf Dominicos Ausführungen dazu, dass er auf dem Anwesen als Arzt gebraucht wurde. „Aber ich werde mich bestimmt nicht übernehmen, du kennst mich doch.“ Er grinste leicht und küsste den anderen. „Und für dich habe ich noch alle Kraft, die ich brauche, mein wilder Hengst.“ Letzteren Satz flüsterte er dem anderen ins Ohr.
 

Bereitwillig ließ sich Kieran noch einmal zurückhalten zu den anderen zu gehen, ließ sich zu Dominico ziehen und schmiegte sich an den Körper, der ihm so sehr gefehlt hatte. Es war schon etwas anderes, wenn man allein in seinem Bett lag, in dem man sich eigentlich wohl fühlte, aber das einem so leer vorkam, wenn man andere Nächte an der Seite Dominicos verbracht hatte. Und die Frage die nun kam, war etwas überraschend. Hieß das, Dominico wollte mit zu ihm nach Hause kommen? Er konnte sich noch gut daran erinnern, dass jener geflohen war mit den Worten, er wolle sich nicht am nächsten Tag wie ein Dieb davonschleichen müssen. War das jetzt anders? Offenbar, und Kieran freute sich darüber. Und doch zögerte er. Schließlich würden sie sicher nicht nur Händchen halten, wenn sie zu ihm gingen. Und er wollte nicht, dass Mr. Forbes gestört wurde oder John das hörte. Noch bevor er etwas erwidern konnte, sprach Dominico noch einen Gedanken aus, den er selbst auch hatte. Es fiel ihm definitiv ebenso schwer, den anderen nur anzusehen. Und als jener ihn noch näher an sich zog, spürte er, dass ihr Tanz beim anderen wirklich nicht spurlos vorübergegangen war. Er schmunzelte und sah Dominico an. „Allein aus ärztlicher Sicht kann ich kaum erlauben, dass du heute Nacht noch nach Hause reitest“, sagt er leise, als sich Dominico vorbeugte und ihm nun vorwarf, ihn verhext zu haben. Kieran lief ein Schauer über den Rücken durch das Wispern, den Kuss auf seinem Hals. Als ob er ihm jetzt noch verwehen könnte, ihn mit nach Hause zu nehmen. „Ich glaube eher, du beginnst gerade eine Zeremonie, die mich absolut willenlos machst“, raunte er und neigte den Kopf leicht, die Augen genießend geschlossen habend. „Ich kann dich jetzt noch weniger nach Hause gehen lassen, weil ich sonst gar nicht wüsste, ob ich überhaupt Schlaf fände.“ Er sah den anderen an und küsste ihn gierig, drängte sich an ihn. Gott, ließ dieses Verlangen irgendwann nach? Den anderen spüren zu wollen, Sex mit ihm haben zu wollen? Er hoffte nicht und er konnte es sich auch kaum vorstellen. Kieran löste unter größter Anstrengung den Kuss. „Lass uns gehen“, sagte er etwas atemlos. „Aber wir dürfen nicht zu laut sein.“ Er sah Dominico ernst an, dann drehte er sich von ihm weg und zog Dominico mit sich in Richtung Ausgang. Kurz sah er zu John, der den Blick schließlich erwiderte. Er grinste leicht und zuckte mit den Schultern, während John theatralisch seufzte und die Hand zum Abschied hob. Ob jener ihm sehr böse war? Er würde sich morgen entschuldigen. Eigentlich hatten sie ja zusammen ausgehen wollen. Aber zumindest ließ er ihn nicht alleine zurück. Und da John auch keiner war, der sich nicht auch ‚Ablenkung‘ suchte, war sein schlechtes Gewissen nicht allzu groß.

Der Weg nach Hause war eine Tortur und es war ein Wunder, dass sie es überhaupt schafften und erst da letztlich übereinander herfielen. Dass man ein so großes Verlangen haben konnte, eins mit jemand anderem zu werden, war ein vollkommen neues und ebenso unfassbares Gefühl für Kieran. Und er erfüllte ihn mit purem Glück. Aber so oder so ähnlich fühlte es sich wohl einfach an, wenn man sich liebte. Dann war alles intensiver und bedeutender, als all die Male, die man Sex hatte, ohne dass Gefühle im Spiel waren.
 

Dominico

Ob sich Kieran nicht übernehmen würde, da war sich Nico noch nicht ganz so sicher. Bisher war Kieran einige Male auf ihrem Anwesen gewesen. Aber im Winter war alles ruhiger und bis auf Fieber, Erkältungen und Grippe waren keine schweren Verletzungen oder Krankheiten zu behandeln gewesen. Wenn er ersteinmal die großzügigen Räumlichkeiten ihres alten Medicus würde benutzen können, inklusive aller möglichen Tigelchen und Töpfchen und Kräuter, die dort noch hingen und lagerten und von denen keiner von ihnen so genau wusste, zu was sie da waren.. Kieran würde das sicher genießen und Nico ihn vermutlich eine ganze Weile lang nicht mehr sehen.

Während Kieran noch nachdachte, merkte Nico, dass der junge Mann in seinen Armen zögerte. Doch zu viel der Nähe? Kieran schien nicht abgeneigt, doch Nico wusste, dass nicht nur Mr. Forbes, der schon etwas älter war und vielleicht nicht mehr so gut hörte, da sein würde - nein, irgendwann in dieser Nacht musste auch John nach Hause kommen und wenn das geschah, dann sollten sie beide vielleicht besser schon ruhig sein.. ganz so dreist wollte Nico nicht unbedingt sein und das Haus zusammenstöhnen, wenn zumindest John in der Lage war es zu hören. Kieran lenkte seine Gedanken dann allerdings sehr schnell von so viel Nächstenliebe hin zu purem Eigennutz. "Ja, einen Ritt nach Hause würde ich mit Sicherheit nicht überleben...", raunte Nico gegen Kierans Lippen, die kaum noch von seinen getrennt waren. Dass er eigentlich derjenige war, der dafür sorgte, dass Kieran nicht mehr gerade denken konnte, schweig er an dieser Stelle tot. Er musste zum Glück auch nichts mehr sagen, denn so wie Kieran ihn küsste, war jedes weitere Wort zu viel und Nicos Hände krallten sich beinahe in Kierans Hüfte, um zu verhindern, dass er ihm das Hemd höher zog und die Hände in Kierans Hose gleiten ließ. Wie auch immer sie es schafften den Kuss zu lösen, es war definitiv eine Meisterleistung und so wie es sich anfühlte, würde sich die Lust aufeinander so schnell mit Sicherheit nicht ändern. Sie lösten sich soweit, dass sich nurnoch ihre Hände berührten und Nico fühlte sich irgendwie ziemlich nackt ohne Kieran an sich dran. Doch der zog ihn schon Sekunden später Richtung Ausgang und Nico folgte ohne noch einmal zurück zu sehen. Dass Kieran sich wohl mit John irgendwie absprach, sah er zwar, doch er vermied den Blick zum Tisch, um kein triumphierendes Grinsen sehen zu lassen, das sich mit Sicherheit auf sein Gesicht gestohlen hätte.

Eigentlich war der Weg nicht sonderlich weit, doch da sie laufen mussten und nicht reiten konnten, weil es für den kurzen Weg sinnfrei gewesen wäre, dauerte es verdammt lange, bis endlich die Tür hinter ihnen fiel und Nico Kieran in dem dunklen Treppenhaus gegen die Wand drückte, um ihn endlich wieder zu küssen. Ihre Hände fanden schneller unter ihre Kleidung als ihre Füße die Treppen erklimmen konnten und irgendwann mussten sich sich zwischen Laufen oder auf der Treppe bleiben entscheiden. Kieran erledigte diese Überwindung für Nico, in dem er sich beinahe mit einem Hechtsprung vor ihm in Sicherheit brachte und die Treppe so leise es ging hinaufstürmte. Nico hatte wenigstens seine Stiefel ausgezogen und hechtete Kieran wesentlich leiser als damals nach. Doch oben im Zimmer und hinter verschlossener Tür gab es kein Halten mehr. Nicos Hemd riss etwas, als er zu ungeduldig war es anständig auszuziehen, und Kierans Hose hätte vermutlich ähnlich gelitten, hätte der sie nicht schnell selbst abgestreift. Alles verblasste um sie herum und Nico genoss das selige Vergessen, das sich über all den Stress an diesen Tagen legte, als ihre Körper miteinander verschmolzen.
 

Gefühlte Stunden später in Kierans Bett, den Blick auf den Himmel über Kierans Bett gerichtet, hoffte Nico, dass dieses Wochenende nicht so schnell vorbeigehen würde.. denn der Alltag würde ihn nur wieder einholen.

London 2 - Miteinander schlafen

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

London 2 - Miteinander aufwachen

John

Auf seine innere Uhr war eigentlich immer Verlass. Und so wachte er auch an diesem Morgen zeitig auf. Es wurde dämmrig und John vermutete, dass die nächste Turmuhr sechs Uhr verkünden würde. Einen Moment betrachtete er den Mann neben sich, diesen Seefahrer, der noch so viele Geheimnisse in sich barg. Es war eigentlich ein schöner Abend gewesen, weil er so unverbindlich gewesen war und vor allem so… harmonisch, irgendwie. Sie hatten sich nicht viel sagen müssen und sich dennoch verstanden. Das kam nicht sehr häufig vor. Und die Art und Weise, wie ihn Nadim behandelt und angefasst hatte, hatte John gefallen. Es war höflich und dennoch bestimmend gewesen und er hatte nie das Gefühl gehabt, in die falschen Hände geraten zu sein. Falsch im Sinne von Händen, die bestimmen wollten, koste es was es wolle. Er hatte ruhig geschlafen und zufrieden, befriedigt, wenn man so sagen wollte. Er hatte Kieran und Dominico Sforza für diese Nacht vergessen, und das war es ja auch gewesen, was er bezwecken wollte. Vielleicht sollte er sich wirklich langsam an den Gedanken gewöhnen, dass Kieran für ihn wirklich unerreichbar war. Einfach schon allein aus dem Grund, weil er ahnte, nie dieses Leuchten in Kierans Augen zu bekommen, wie es die Anwesenheit dieses anderen Mannes gestern vermocht hatte. Nichts desto trotz würde er ihn schützen und für ihn da sein. Er war ihm einfach zu sehr ans Herz gewachsen, seit er da vor ihm gestanden hatte und für seine Ohren zu offensichtlich seinem Vater klar gemacht hatte, dass er keinen Frauenbesuch mit nach Hause nehmen würde. Ihm wurde warm ums Herz bei diesem Gedanken. Aber war das ein Gefühl von Liebe oder nicht eher von Freundschaft...? Verwechselte er etwas? John löste sich langsam und vorsichtig aus dem Arm, der ihn umschlugen hielt, und stand leise auf. Seine Sachen lagen am Boden verstreut vor dem Fenster, das leicht offen stand und kühlere Morgenluft hereinfließen ließ. Zügig zog er sich an. Er würde frische Brötchen unterwegs besorgen und vor seinem Vater so tun, als sei er einfach so früh wach gewesen, bevor er sich daran machen würde, ihm im Laden zu helfen. Ab Montag würde er wieder an die Uni gehen und da sollte er schauen, dass er vorarbeitete, um selbst dann ein wenig Ruhe zu haben, bis die Kurse klar waren und sich der Alltag wieder eingeschlichen hatte.
 

Tancrèd

Es war einfach nicht wie auf dem Meer. Wenn Tancred die Chance hatte, dann schlief er immer auf seinem Schiff, selbst wenn es in einem Hafen vor Anker lag. Das sanfte Plätschern der Wellen, selbst bei ruhiger See, brachte ihm einen wundervollen Schlaf. Auch wenn das Meer in Stürmen manchmal bocken konnte wie ein wilder Hengst und Tancred ab und an schon unsanft aus seinem Bett befördert hatte - es war immer noch besser als hier in diesem Raum auf diesem statischen Bett zu liegen. Der Schlaf war nicht sonderlich tief und er empfand ihn nicht besonders entspannend, auch wenn es besser als die letzten Nächte gewesen war. Als John sich bewegte, war Tancred jedoch sofort sehr wach. Da er seine Gedanken allerdings erst einmal sortieren musste, behielt er die Augen geschlossen und miemte weiter den Schlafenden, während er merkte wie sich Johns Gewicht vom Bett entfernte. Er versuchte den gestrigen Abend zu rekonstruieren - sie waren in diesem Pub gewesen.. vor seinem inneren Augen erschienen Gesichter. Dominico Sforza, ein schwarzhaariger Tänzer, John. Er hatte gar nicht so viel Ale getrunken, aber es reichte um die Erinnerung etwas zu trüben. Langsam jedoch entstand ein gesamtheitliches Bild vom Abend und vor allem der darauffolgenden Nacht und das brachte Tancred dazu, die Augen zu öffnen. John war bereits angekleidet und schickte sich an, zur Tür zu gehen. Auf leisen Sohlen erhob sich Tancred, wie eine Katze und wohl wissend wie man sich lautlos auf Holzdielen bewegen konnte. Noch bevor John die Tür erreichen konnte, griff er ihn am Arm und zog ihn herum. Der kleine Schock und die Überraschung in Johns Gesicht waren amüsant und brachten Tancred zum Grinsen. Mit Zeigefinger und Daumen der rechten Hand griff er sich Johns hübsches Kinn und drückte ihm einen sinnlichen sanften Abschiedskuss auf die Lippen. Nicht zu kurz und nicht zu lang, dann löste er sich wieder, griff an John vorbei und zog die Türe auf. Gegen das Türblatt gelehnt deutete er hinaus, ohne noch ein weiteres Wort zu sagen. Er hatte sich ja selbst geschworen, nichts zu sagen, und es gab auch nichts zu sagen - lediglich seine Augen schienen verschmitzt zu grinsen ob Johns offensichtlicher Überraschung. Vielleicht würden sie sich noch mal wieder sehen, vielleicht nicht - zumindest war es eine schöne Erinnerung als John die Treppe hinablief und Tancred die Türe hinter ihm wieder schloss. Er wollte sich gerade wieder zum Bett begeben, als sein erster Maat hinter ihm durch die Türe trat. Er schien besorgt, doch als er seinen Kapitän bei bester Gesundheit sah, legte sich das wieder. "Spaß gehabt heute Nacht, Kapitän?" "Eine Hure in edlen Stoffen gefunden, Kadmin?" Der Araber grinste breit. "Ich besorge ein Frühstück. Danach sollte ich dich dringend rasieren, wenn wirklich heute eine Audienz ansteht." Tancred grunzte, er wollte noch etwas ausruhen - doch vermutlich hatte Kadmin recht.
 

John

Gott! Erschreckte ihn dieser Kerl doch fast zu Tode! John war so in Gedanken vertieft gewesen, dass er definitiv gar nicht mitbekommen hatte, dass Nadim aufgestanden war, um ihn aufzuhalten. Er war zusammengefahren und einen Moment hatte sein Herzschlag ausgesetzt. Hatte er etwas angestellt? Er hatte nichts gestohlen und der Kerl hatte auch nicht so auf ihn gewirkt, als müsse er nachdrücklich ihm erklären, dass er niemanden von ihrem Techtelmechtel erzählen sollte. John war schon kurz davor zu sagen, dass er ihn gehen lassen sollte, als er das Grinsen des anderen im Halbdunkel sah und zögerte. Und schon spürte er die Lippen des anderen auf den seinigen und nun war er wirklich völlig aus dem Konzept gebracht worden. John war ehrlich gesagt zu überrascht, um irgendetwas zu tun, und so erwiderte er den Kuss auch nur bedingt. Dafür schlug sein Herz, nun umso heftiger gegen seine Brust. Ob es wegen des Schreckens oder des Kusses war, konnte John nicht sagen. Er folgte der stummen Geste und verließ den Raum, stieg noch immer ziemlich irritiert die Treppen hinunter und wäre fast in einen Mann hineingelaufen, der ihm gerade noch zur Seite sprang. Dann eilte er nach Hause und hätte auch fast die Brötchen vergessen. Warum küsste ihn der Kerl zum Abschied?! So etwas machte man nicht mit Typen, die man nur für eine Nacht nahm. War das eine besondere Auszeichnung für ihn? Oder erhoffte sich der andere doch mehr? War das das stumme Angebot, das zu wiederholen? John wusste nicht genau, was er davon halten sollte. In jedem Fall hatte Nadim nun einen bleibenden Eindruck bei ihm hinterlassen.
 

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Dominico

An anderer Stelle erwachte gerade Dominico Sforza von den Toten. Angenehm kalte Morgenluft strich über seinen und Kierans nackten Körper in Kierans Bett. Die Nacht war heiß gewesen, denn wenn tagsüber die Frühlingssonne schien, heizte es unter dem Dach recht auf. Gut, es konnte auch an ihren Aktivitäten gelegen haben, dass sie geschwitzt hatten... Nico blinzelte gegen die ersten Sonnenstrahlen und drehte sich auf den Rücken, um sich etwas zu strecken. Die küphle Luft streichelte seinen Körper und Nico lächelte, als er Kieran neben sich betrachtete. Sanft drückte er ihm einen Kuss auf die Stirn und strich über seine Seite. Es war ein schöner Abend gewesen, auch wenn das Ausgehen wirklich kurz gewesen war... und eine noch schönere Nacht. Doch Nico musste früher oder später hier verschwinden und früher war da eindeutig besser. "Hey mein Hübscher..", gurrte er gegen Kierans Ohr. "Ich befürchte, ich muss so langsam gehen, bevor John oder sein Vater hier oben aufschlagen.." Er strich Kieran einige Strähnen aus dem Gesicht. "Aber wir sehen uns ja schon später wieder, nicht wahr? Und wenn es heute wieder warm wird, dann können wir schwimmen gehen...," schlug er leise vor, weil der Gedanke an Wasser gerade herrlich war.
 

Kieran

"Hm", murmelte Kieran, als er die Worte des anderen hörte. Er war gerade so gar nicht begeistert davon, dass Dominico schon wach war. Konnten sie nicht einfach liegen bleiben und noch schlafen? Er hatte zwar einigermaßen gut geschlafen, aber irgendwie tat ihm gerade alles irgendwie weh. Der Mann da neben ihm verlangte ihm aber auch einiges ab... oder er ihm? Kieran lächelte bei dem Gedanken. Und der Gedanke an das, was sie letzte Nacht gemacht hatten, kribbelte in seinem Inneren. Nicht nur der Sex, einfach diese Zweisamkeit löste in ihm schon dieses schöne Gefühl aus, das er bis dato einfach nicht gekannt hatte. Dieser Mann da neben ihm gehörte ihm, zumindest ein Stück weit. Und auch wenn ihre Beziehung schwierig war, sie machte ihn glücklich. Als der andere weiterredete, drehte er den Kopf etwas, um ihn besser sehen zu können. Er genoss die Berührungen, den Kuss, wie Dominico ihm das Haar zurückstrich und rührte sich nicht weiter. "John würde nicht kommen und Mr. Forbes erst recht nicht. Seit ich hier wohne, war er nicht mehr hier oben. Er ist da sehr diskret." Kieran seufzte. "Aber du hast ja recht. Je früher wir aufstehen, desto eher sehen wir uns auch wieder. Und schwimmen klingt definitiv sehr sehr sehr gut." Kieran drehte sich etwas und streckte sich. Dann zog er Dominico noch einmal zu sich und küsste ihn sanft. Ihm lagen so viele Dinge auf den Lippen, die er dem anderen gerne sagen wollte. Wie sehr er ihn liebte, wie süchtig er nach ihm war, dass er immer an ihn denken musste. Doch er traute sich nicht, solche Gedanken wirklich auszusprechen.

Dominico wusste das sicher. Und alles, was sie in dieser Richtung verbalisierten, verursachte nur Schmerzen, wenn sie sich nicht sehen konnten. Er entließ den anderen aus seiner Umarmung, sah ihm dabei zu, wie er aufstand und tat es dem anderen schließlich gleich. Sie wuschen sich etwas, dann zogen sie sich an. Dominico sollte bei Gelegenheit etwas für sich hier deponieren. Das wäre sicher sinnvoll. Sie veraschiedeten sich und das Wissen, dass sie später Zeit füreinander haben würden, machte es ihm leichter.
 

John

Kaum war er zu Hause, rannte er auch schon fast in den zweiten Mann hinein. Diesmal war des Dominico Sforza, der gerade ihr Haus verließ. Na, da war er ja gerade rechtzeitig gekommen. Und offenbar hatten die beiden wirklich die Nacht miteinander verbracht, denn der unrasierte Mann wirkte nicht so, als hätte er lange geschlafen. "Entschuldigt, Mylord", sagte er anständig und neigte den Kopf, als er zur Seite trat und dem anderen Platz machte. Kaum war jener an ihm vorbei, trat er hinter ihm ins Haus und stieg schnellen Schrittes die Stufen hinauf. Er wollte bloß nicht in die Situation kommen, mit ihm auch noch irgendwie reden zu müssen.

"Ich habe Brötchen geholt", begrüßte er seinen Vater, der in der Küche stand und Wasser kochte. "Ich hole noch Kieran." Sein Vater nickte und sah ihn einen Moment kritisch an. Offenbar war er doch ein wenig zu spät augestanden. Nun gut, sollte sein Vater denken, was er wollte. Er stellte eh keine Fragen, denn dieser Bereich in seinem Leben interessierte seinen Vater herzlich wenig - oder eher: er hatte Angst vor der Wahrheit, die er als Krankheit diagnostizieren würde. Während andere Söhne in dem Alter verheiratet wurden, um die soziale Stellung zu manifestieren, glaubte sein Vater vermutlich, dass man ihn eh niemandem zumuten konnte - unabhängig davon, dass er ohnehin niemals heiraten wollte. Aber daran war er gewöhnt.

Er stieg die Stufen hinauf zu Kieran, der ihn mit bester Launte begrüßte und sich so sehr bei ihm entschuldigte, dass es John sehr viel Spaß machte, den etwas Beleidigten zu spielen. Kieran war bei so etwas aber auch wirklich ein wenig zu sehr besorgt, sich den Groll anderer zuzuziehen. Lachend gingen sie zum Frühstück und begannen den Tag. Hm, er gönnte Kieran sein Gück, definitiv. Die Nacht hatte ihn geholfen, Abstand zu gewinnen. Kieran war außerhalb seiner Reichweite gerückt und das sah er nun klarer, als je zuvor. Und dennoch blieb ein negatives Gefühl deswegen aus. Er war nicht enttäuscht oder traurig. Eher sogar froh, das zu merken. Kieran war ihm wichtig. Hatte er Freundschaft mit 'Verliebtsein' verwechselt? Vielleicht - in beidem hatte er keine Erfahrung. Aber er wusste jetzt besser, dass nur eines wichtig war: dass Kieran glücklich war. Aber er war auch ein wenig neidisch - ein bisschen. Auf Kieran, weil er jemanden hatte. Und auf Dominico, weil er Kieran hatte. Die Zeit würde zeigen, ob er noch einmal jemandem wie ihm begegnen würde, bei dem er den Drang verspürte, ihm näher zu kommen und sich ihm zu öffnen. Im Moment lieber nicht. Nicht solange sein Vater ihn eh wie eine Pestbeule beäugte.
 

Dominico

Dass ihm John noch mehr oder weniger über den Weg stolperte, wunderte Nico schon. Er hatte eigentlich geglaubt, dass John irgendwann in der Nacht nach Hause gekommen war.. und eigentlich hätte er ihn doch hören müssen, wenn er das Haus am Morgen verlassen hätte, oder? Er nickte ihm zu und ging dann die Straße hinunter, um sein Pferd aus dem Stall zu holen - kaum war er im Stall angekommen, hatte er die Sache mit John schon wieder vergessen. Stattdessen hing er mit seinen Gedanken bei Kieran. Bei Kierans schönem Körper, der ihn heute Nacht mehr als nur ein bisschen gefordert hatte. Sie hatten sich vermutlich beide ziemlich gefordert, zumindest fühlte es sich so an. Nicos Hüfte schmerzte vor Muskelkater, ebenso sein Bauch und seine Oberschenkel... aber die Sehnsucht war so verdammt groß gewesen, dass er Kieran einfach nicht hatte loslassen können, bis sie beide am Ende ihrer Kräfte gewesen waren. Und es hatte so verdammt gut getan zu wissen, dass Kieran ihn liebte. Auch wenn weder er noch Kieran das ausgesprochen hatten, sie wussten es, wenn sie zusammen waren. Nico fühlte es in jeder Berührung, in jedem Kuss. Sie verstanden sich ohne Worte und Kieran verstand es Nico aufzufangen. So in Gedanken versunken und leidlich richtig angekleidet hätte er den Boten fast nicht bemerkt, der ihm schreiend hinterher ritt. Anscheinend war der Mann auf dem Weg zu ihrem Anwesen gewesen, und hatte Nico amüsanterweise schon davor gesichtet und wollte ihn abfangen. Nico zügelte das Pferd und ließ den keuchenden Jungen, der vom Schreien kaum Luft bekam, erst einmal zu Atem kommen. Aus den gekeuchten Worten konnte er entnehmen, dass man ihn im Palast erwartete - zu einer Audienz mit dem König, Charles Brandon und Thomas Howard UND - Tancred de Nerac. Nico grunzte unwillig. Er sah miserabel aus, war nur leidlich gewaschen und nicht rasiert - so konnte er unmöglich vor dem König auftauchen. Er bedankte sich bei dem Boten und gab ihm ein paar Münzen, ehe er seinem Pferd die Sporen gab, um auf das Anwesen zu hetzen. Befehle bellend sprang er vom Pferd, ließ sich direkt ein frisches Satteln während er bereits neue Kleidung gebracht bekam, kaum dass er die Eingangshalle betreten hatte. Ohne auf große Konventionen zu achten, riss er sich Jacke und Hose vom Körper und schlüpfte in die frischen Sachen, während Amadeo mit einem fein geschliffenen Rasiermesser bereits den Dreitagebart abrasierte und Nico damit wieder ein frisches und weniger verwegenes Aussehen gab. Kaum hatte er das Messer das letzte Mal über Nicos Wange gezogen, rannte Nico wieder hinaus, schwang sich auf das Pferd und donnerte, gefolgt von Amadeo vom Hof. Er hoffte, dass er nicht zu spät kam - doch kaum dass sie auf den Hof ritten, erwies sich diese Sorge als unbegründet, denn man teilte ihm mit, dass seine Majestät noch eine Weile brauchen würde. Im Audienzsaal traf Nico auf Charles Brandon - und Cromwell. Um dem Schein genüge zu tun begrüßten sich die beiden Männer steif, ehe sie sich nur noch ignorierten. Da Charles gerade in ein Gespräch mit Thomas Howard vertieft war, schlenderte Nico, betont gelassen, zu Tancred hinüber und begrüßte ihn förmlich. Das undefinierbare Schmunzeln in Tancreds Blick griff er auf und lächelte. "Ich hoff, Ihr hattet einen angenehmen Aufenthalt in der Stadt, Monsieur de Nerac." Tancred neigte leicht den Kopf, um seine Zustimmung zu symbolisieren. "Sehr angenehm, Mylord. London kann wirklich die schönsten Geschöpfe auf Gottes Erde sein eigen nennen." Taktvoll, Nico zog innerlich den Hut. Ohne sich auf ein Geschlecht festzulegen, hatte Tancred den Nerv der Sache getroffen und blieb damit diplomatisch, denn er konnte genau so gut die Hofdamen meinen. Ein Geheimnis zwischen ihnen, bei dem nur sie beide wussten was die Wahrheit war - und gleichermaßen eine Erinnerung daran, was sie beide verband. Sie unterhielten sich noch eine Weile, bis seine Majestät sich bestgelaunt dazu bequemte, zu ihnen zu stoßen. Zu seiner angenehmen Überraschung entließ Henry Cromwell, weil das seiner Meinung nach nichts mit dessen Befugnissen zu tun hatte - so konnten Charles und Nico wesentlich angenehmer mit Tancred und Thomas Howard sprechen. Im Grunde war ihr Gespräch nur eine Wiederholung bereits abgemachter Verträge. Gemeinsam wollten sie am Montag in der Universität geeignete Ärzte aussuchen. Tancred würde dann unmittelbar wieder nach Portsmouth reisen, während die jungen Männer im Laufe der Woche nachkommen sollten. Henrys Besuch würde dann in einem Monat folgen, so dass bereits erste Manöver auf See vorgeführt werden konnten, und die Mannschaften Hand in Hand arbeiten konnten. Man wollte außerdem demonstrieren, wie Wunden auf See schnell und gut versorgt werden konnten, um dem König einen Eindruck von der Schlagkräftigkeit seiner Navy zu geben. Nach einigen Stunden des Plauderns verabschiedeten sich die Männer und Nico machte sich auf den Weg nach Hause. Er freute sich unheimlich auf das Wochenende mit Kieran.
 

Nachdem Kieran die wenigen Menschen versorgt hatte, die ihn brauchten konnten Nico und Kieran das Wochenende endlich genießen und der Brief, der Nico zugestellt worden war, rückte in den Hintergrund. Als sie sich am Sonntagabend verabschiedeten, tat es weh... doch sie würden sich bald wieder sehen, das wussten sie ja. Zumindest dachte Nico das. Als er wieder hineinging und Kieran vom Hof ritt, wedelte Alessandro mit einem Brief vor seiner Nase. "Sie kommt morgen früh mit dem Schiff. Hast du das schon vergessen?" Oh ja.. da hatte er wohl etwas entscheidendes in seinem Liebestaumel vergessen.

London 2 - Stadtarchiv

Rodrego Fernale

Schlag um Schlag hämmerte Rodrego auf das glühende Eisen ein, wieder und wieder und wieder. Kurz hielt er inne, hob das glimmende Metall hoch, um es genau zu betrachten. Erneut folgten Schläge, bis er zufrieden war und es unter dampfendem Zischen ins kalte Nass beförderte. Rodrego wischte sich die Stirn, streckte kurz sein Kreuz. Seit Tagen war er dabei, Pferd um Pferd zu beschlagen, Rüstungen zu fertigen oder Werkzeug zu erneuern. Es war ja nicht so, dass er im Winter untätig gewesen wäre, aber just im April schienen alle erst zu merken, was sie brauchten. Und so arbeitete er hart. An solchen Tagen erinnerte er sich gern an die ruhigen Tage zwischen den Jahren, die er intensiv mit Alessio verbracht hatte. Täglich dachte er daran schon allein wegen des Werkzeuges, das er damals geschenkt bekommen hatte... und er freute sich, denn morgen würde er Zeit finden, sich mit Alessandro zu treffen.

Rodrego war überrascht, als an diesem Abend ein Bote kam, um ihm einen Brief zu überreichen. Noch bevor er richtig fragen konnte, von wem dieser Brief kam, eilte der Bote allerdings schon weiter. Rod war sich sicher, dass er ohnehin keine Antwort erhalten hätte.

Der Brief enthielt nur eine Uhrzeit und die Worte „Zugang zum Archiv“ und “eine Stunde“ – Rod war unschlüssig, was er damit machen sollte. Jener Brief lag so lang zurück! Warum jetzt plötzlich?Eigentlich hatte er, wann immer er Alessandro in seinem Arm hielt, beschlossen, diesen Brief zu vergessen, ihn zu ignorieren, und sich vielleicht doch einfach damit abzufinden, dass seine Eltern gestorben waren, unabhängig davon, wer diese Intrige gegen ihn eingefädelt hatte. Und das Resultat dieser Entscheidung waren ruhige Nächte, in denen er zwar letztlich nicht viel, aber immerhin so entspannt wie schon lange nicht mehr geschlafen hatte.

Und doch war es nun wieder ein seltsames Gefühl, diesen Hinweis in den Händen zu halten. Ob er hingehen sollte? In das Stadtarchiv kam man nicht so einfach hinein. Und was würde er dort finden? Unterlagen zu den Verhandlungen? Zu den Richtern? Denen, die das Urteil gefällt hatten?

Und es beschäftigte ihn doch noch eine andere Frage: Ganz offensichtlich war Alessio damals doch zu spät gekommen, aber zu was?
 

An diesem Abend war Alessio auf dem Anwesen nicht vorzufinden und so verbrachte Rod den Abend alleine nachdenklich und abschätzend.

Am nächsten Morgen ritt er nach London. Er hatte entschieden, zumindest zu sehen, was er dort finden würde. Anschließend würde er überlegen, ob er weitermachen würde oder nicht. Und so traf er zu besagter Zeit am Archiv ein und er bemerkte gleich, dass das Archiv nicht bewacht wurde. Neugierig geworden, trat er ein und auf den zentralen Schreibtisch in der Mitte des runden Zimmers zu, auf dem einige Papiere lagen. Darunter auch eine Rolle und ein ihm mittlerweile recht bekannter Brief – zumindest von seiner Aufmachung her.

Er öffnete erst den Brief.
 

„Lieber Rodrego,
 

es freut mich, dass Du beschlossen hast, der Wahrheit auf den Grund zu gehen, auch wenn diese wahrscheinlich ziemlich schmerzhaft für Dich sein wird. Einen so engen und guten Freund zu haben, der ohne zu zögern das Todesurteil Eurer Mutter unterschrieb, schmerzt Euch wahrscheinlich sehr. Das Gefühl von Verrat ist ein heftiges, es durchstößt einem das Herz. Und man beginnt sich zu fragen, ob jede Freundlichkeit, jedes nette Wort Lügen gewesen waren. Lügen, hinter denen das hämische Grinsen eines skrupellosen Mannes stand. Nichts von dem, was gewesen ist, scheint nun noch echt gewesen zu sein. Nichts scheint ohne Absicht getan worden zu sein.

Doch wie kann man einem solchen Mann jemals wieder unter die Augen treten, ihn richtig behandeln? – Ich sage Dir, es geht nicht. Ein solches Verbrechen muss gesühnt werden.

Aber übereilt nichts! Der Schmerz, den der andere empfinden soll, will wohl überlegt sein. Verhalte dich ganz normal, als sei nichts gewesen. Und im richtigen Augenblick werden wir zuschlagen und dafür sorgen, dass der Mord an eurer Mutter nicht ungestraft bleibt.

Sei so vertraut wie immer, ein Freund. Ich werde euch helfen, ihm zu zeigen, dass man nicht leichtfertig mit Menschenleben umgeht, dass man nicht aus reinem Eigennutz Freunde verrät.

Ich melde mich!

Hochachtungsvoll

Ein wahrer Freund
 

Rodregos Miene war verdunkelt. In ihm kam ein Gefühl hoch, das ihn erzittern ließ. Die Worte, die er gelesen hatte, erschreckten ihn. Ein Freund soll ihn verraten haben? Er hatte nicht viele echte Freunde, hatte nur Dominico und Alessandro. Einer von diesen hatte ihn verraten? Er merkte, wie seine Hand zitterte, als er zu der Papierrolle griff. Sie war schon angestaubt – klar, es waren 5 Jahre vergangen. Sein Herz schlug ihm hart gegen die Brust, während er das Siegel durchbrach und langsam die Rolle öffnete. Es war das Todesurteil einer 'Hexe', seiner Mutter, Leonora Fernale, angeklagt mit dem Teufel im Bunde zu sein, weil sie den Teufel beschworen hatte, ihren Mann zu rächen. Unterzeichnet von – Alessandro Sforza.

Rodrego hatte das Gefühl, ihm drehe sich gleich der Magen um. Die körperliche Reaktion war heftig, er zitterte, ihm wurde schwindelig, er war nicht mehr Herr über sich. Gleichzeitig überschlugen sich seine Gedanken doch letztlich war er nur zu einem einzigen Gedanken fähig:

Ich habe eine Liebesbeziehung mit dem Mörder meiner Mutter!
 

Er wusste später nicht mehr so recht, wie er aus dem Archiv gekommen war, wie er nach Hause gefunden hatte. Er war völlig neben der Spur und saß nun vor seinem Haus. Er hatte die Rolle mitgenommen, sie gut verwahrt. Nun hielt er den Brief in Händen, der ihm irgendwie Halt gab. Dennoch war er ratlos. Er hatte keine Ahnung, wie er sich verhalten sollte. Das Gefühl von tiefem Hass breitete sich mehr und mehr in ihm aus und gleichzeitig wurde er immer ruhiger. Und langsam begann er klar zu sehen.

Seine Einschätzung Alessandros gegenüber war richtig gewesen und das, was er die letzten Monate sehen durfte, einmal mehr eine perfekte Charade gewesen. Sicher lachte sich Alessandro innerlich über ihn tot. Er fickte denjenigen, dessen Familie er zerstört hatte. Rodrego konnte es noch immer nicht fassen, wie ein Mensch zu so etwas in der Lage war. Dabei hatte er wirklich geglaubt, dass jener Nähe brauchte. Wie ging das zusammen? War dem anderen nicht mehr bewusst, was er ihm angetan hatte? Ihm wurde schlecht bei dem Gedanken, und doch war ihm klar, dass es genau der Punkt sein würde, an dem er ansetzen musste. Wenn er Alessandro Sforza zeigen wollte, wie man sich fühlte, jemanden sehr Wichtigen zu verlieren, dann durfte er sich nicht anmerken lassen, dass er von dessen Todesurteil von seiner Mutter wusste. Er würde ihm zeigen, wie es war – aber dazu würde er dem anderen erst einmal die Nähe schenken müssen, die jener angeblich so sehnlichst vermisste.

London 2 - Schiffs-Auslese

Tancrèd

Als Tancred am Montag aus dem Gasthaus trat, fühlte er sich mehr als nur ein bisschen wohl. Seine Sachen waren gepackt und Kadmin war bereits nach Portsmouth mit ihrem Gepäck vorausgeritten - heute Nacht würde er wieder in seinem Bett an Deck schlafen und er würde das Meer riechen, das Holz - und alles was die wundervolle See mit sich brachte. Oh ja, heute war ein guter Tag.

Sein Weg führte ihn das kurze Stück die Straße hinunter zu einem Stall, in dem sich sein Leihpferd aus Portsmouth befand. Es war bereits gesattelt und Tancred bezahlte den Stallburschen großzügig, ehe er sich hinaufschwang, um gemächlich zum Palast zu reiten.

Als er dort eintraf, warteten bereits Thomas Howard und Charles Brandon ebenfalls auf den König, dessen gesatteltes Pferd schon bereit stand. Er begrüßte die beiden anderen Männer und konnte es sich nicht verkneifen, nach Dominico Sforza zu fragen. Charles Brandon grinste und zuckte die Schultern. "Seine Frau ist heute morgen in Portsmouth an Land gegangen. Ich befürchte seine Lordschaft hat heute anderes zu tun, als ein paar Ärzte zu bewundern."

"Wenn du nur wüsstest..", dachte Tancred bei sich, doch er sagte nichts mehr. Wundern tat es ihn allerdings schon. Nun, er hatte sich gedacht, dass Nico verheiratet war. Doch dass er seine Frau tatsächlich noch in England begrüßte? Na hoffentlich wusste Kieran davon, sonst würde John vielleicht doch noch eine Chance bekommen.

Die vier Männer machten sich kurz darauf auf den Weg zur Universität. Flankiert von berittenen Wachen des Königs ritten sie schließ in den Hof, auf dem bereits in etwa 20 Studenten aufgereiht standen und scheinbar auf sie warteten - oder zumindest auf etwas. Die ratlosen Gesichter ließen den Schluss zu, dass man ihnen nicht gesagt hatte, wer - oder besser: was - auf sie zukam. Naja, so konnten sie sich wenigstens nicht drücken.

Tancred suchte mit einem kurzen Blick die Reihe ab. Für eine Millisekunde blieb sein Blick mit einem schelmischen Aufblitzen an John und Kieran hängen, ehe sein Pferd neben Henry zum Stehen kam. Die Männer stiegen ab, während sich Diener um die Tiere kümmerten und Henry vor die versammelte Mannschaft trat. "Einen wunderschönen guten Morgen wünsche ich den werten Herren." Er machte eine ausladende Geste. "Ich bin sicher, ihr wisst nicht, warum man euch heute hier hat Aufstellung nehmen lassen, doch ihr werdet sehr bald von eurem Unwissen befreit werden." Er gefiel sich in dieser Rolle, das war deutlich. "Wie ihr sicher wisst, werden wir beständig vom Meer durch andere Nationen bedroht." Er machte eine Kunstpause. "In den vergangenen Jahren wurde an unserer Navy zu viel gespart, wir waren zu sehr mit uns selbst beschäftigt, um uns der Bedrohung von Außen zu widmen. Das ist jetzt vorbei." Seine Stimme hallte über den Hof nach. "Lordadmiral Thomas Howard", er deutete auf den Mann neben Tancred, "hat in hervorragender Arbeit, Schiffe auf das Wasser gebracht, die uns die Hoheit im Kanal und auf dem Meer zurückbringen sollen. Um unseren Mannschaften die bestmögliche Ausbildung gegen die französischen und spanischen Flottenverbände angedeihen zu lassen, hat der Lordadmiral einen der berüchtigtsten Seefahrer des Mittelmeeres in unsere Dienste gestellt: Monsieur Tancred de Nerac." Tancred neigte leicht den Kopf. "Nachdem nun unsere Flotte mit den besten Männern, den besten Kanonen und der besten Munition ausgestattet ist, fehlt nur noch eines: ausgezeichnete Schiffsärzte, die im Kampf auf See dafür sorgen, dass unsere Männer die beste medizinische Versorgung erhalten, die wir ihnen an Bord eines Schiffes bieten können. Und genau deswegen sind wir hier." Wieder eine Kunstpause und innerlich verdrehte Tancred schon seit geraumer Zeit die Augen. Beste medizinische Versorgung, auf einem Schiff? Da ging gar nichts, außer den Männern Mut zuzusprechen und sie so lang am Leben zu halten wie der Kampf andauerte. Aber diese englischen Weicheier wollten nunmal medizinischen Beistand.

"Alle Anwesenden" - Henrys Geste schloss alle auf dem Hof mit ein - "werden daher im Laufe dieser Woche nach Portsmouth reisen, um in der Schiffsmedizin ausgebildet zu werden. Es wird dafür ein besonderer Titel verliehen, der einen jeden von euch dazu berechtigen wird, auf den Schiffen unserer großartigen Navy als Arzt zu dienen und damit seiner Familie Ruhm und Ehre zu bringen. Außerdem werden die Prämien unter der gesamten Mannschaft geteilt, was reiche Beute verspricht, meine Herren." Und damit war Henrys Auftritt vorbei. Der König verabschiedete sich kurz angebunden, stieg erneut aufs Pferd und ritt vom Hof, gemeinsam mit seiner Wache - die genaue Auswahl überließ er Charles, Tancred und Thomas Howard. Tancred musterte die einzelnen Männer, die dort standen. Bis auf wenige Ausnahmen war das kaum anständiges Material.
 

Kieran

Ein unruhiges Gemurmel ging durch die Reihen, als der König auf den Campus der Universität geritten kam. Kieran und John warfen sich fragende Blicke zu und noch überraschter waren sie, als sie sahen, wer sie da begleitete. 'Nadim' im Gefolge des Königs erklärte ihnen natürlich, weshalb sich Nico und dieser gekannt hatten. Nico allerdings nicht auch hier zu sehen, war etwas, was vor allem Kieran wunderte. Aber vielleicht ging es ja gar nicht um irgendetwas Militärisches...

Die Studenten verneigten sich vor dem König und richteten sich erst wieder auf, als dieser seine kleine Rede hielt, die John lautlos seufzen ließ. Warum diese furchtbar wichtigen Männer immer so viel Theater spielen mussten. Aber so war es eben und die meisten aus dem Volk wollten es ja auch so und nicht anders. Erneut sahen sie sich erstaunt an, als sie zu hören bekamen, dass sie in Portsmouth ausgebildet werden sollten, als Militärärzte für die Navy arbeiten zu können.

Kieran wusste nicht so genau, was er davon halten sollte. Zum einen freute es ihn irgendwie, dass er trotz seines jungen Semesters diese Möglichkeit erhielt, zeigte das doch, dass er sich zu den besseren dazuzählen durfte. Außerdem bedeutete das eine neue Herausforderung für ihn, eine Möglichkeit, sich in seinem Wissen weiter voranzubringen - und nebenbei auch etwas zu verdienen. Gut, für das Militär zu arbeiten war nicht wirklich sein Traum, aber da wurden Ärzte zumindest wirklich immer gebraucht und es gehörte mehr dazu, als den Leuten Schlafsaft oder Fiebersenker zu verabreichen. Es würde ein Abenteuer werden, irgendwie. Und Kieran mochte die See.

Andererseits würde das bedeuten, dass er einige Zeit nicht in London sein würde und er weder Dr. Chambers, noch Mr. Forbes noch auf Nicos Anwesen als Arzt würde tätig sein können, und am schlimmsten war: er würde Nico definitiv einige Zeit überhaupt nicht zu Gesicht bekommen.

Kieran sah John an und was der davon hielt, sah man deutlich: nämlich gar nichts. "Was hast du?", fragte er seinen Freund leise und dieser sah ihn an. "Ich habe es endlich geschafft, bei Cabbage zu sein und bleiben zu dürfen. Wenn ich da nur einmal fehle, schmeißt er mich raus und das war es dann mit meiner Karriere", antwortete dieser. "Außerdem wird mein Vater sich überanstrengen, wenn du weg bist und ich auch noch. Du weißt, wie kurzatmig er teilweise ist. Ich glaube, sein Herz wird nicht mehr lange schlagen." //Falls er so etwas besitzt//, fügte er in Gedanken zu. Doch da war noch etwas, das wusste Kieran, als er John auf seiner Unterlippe kauen sah. Johns Vater war eigentlich noch recht rüstig, auch wenn es stimmte, dass es schwer für ihn wäre, alles allein zu machen. Dass Cabbage streng mit der Abwesenheit war, wusste er auch, aber wenn der König persönlich erschien, würde er nichts machen können... "Und?", bohrte er daher nach und John musterte hineindenken Moment, bevor er noch einmal das Wort an ihn richtete. "Außerdem habe ich schreckliche Angst vor Wasser und fühle mich auf einem Schiff definitiv alles andere als wohl. Und ich kann mir etwas Schöneres vorstellen, als Kriegsverletzungen zu verarzten. Du kennst mich..."

Kieran sah John besorgt an, während sie sich in der Reihe eingliederten, zu der sie gebeten worden waren. Warum auch immer John Angst vor Wasser hatte, er verstand, dass das nicht sehr zuträglich war. Und letztlich ging es hier auch um seine Zukunft, seine Familie und seinen Ruf als Arzt. Kierans Augen wanderten zu Nadim. Ob er John wählen würde? Sie kannten sich. Dass er selbst mitmusste, das war Kieran fast schon klar. Schließlich war er schon an Bord eines Schiffes für eine englische Delegation gewesen. Aber John? Kieran wusste nichts davon, dass John mit Tancred die Nacht verbracht hatte. Es ging ihn nichts an, wenn er One-Night-Stands hatte. Es waren ja einmalige Geschichten, die keine weitere Bedeutung hatten.

Kieran sah, dass sie einzeln vortreten mussten und offensichtlich Fragen beantworteten. Als er in der Reihe war, gab er seinen Namen an. Auf die Frage, inwiefern er schon Erfahrungen als praktizierender Arzt gesammelt hatte, erklärte Kieran ein wenig überrascht, dass er bereits als fahrender Arzt Erfahrungen gesammelt hatte und an Dr. Chambers und Mr. Forbes Seite Patienten betreue und dass er die Deligation nach Spanien hatte begleiten dürfen. Anschließend wurde er gefragt, was er tun würde, wenn einer der Männer zu ihm käme, weil ihm übel sei. Kieran konnte nicht umhin zu schmunzeln. "Ich würde ihm wohl sagen, dass er sich vorher hätte überlegen sollen, ob er auf dem Meer dienen wollte, und ihm sagen, dass er sich an das Geschaukel gefälligst zu gewöhnen habe." Nun, ob das die klügste Antwort war, wusste er nicht, aber Übelkeit war an Deck wohl das geringste Problem, oder? Nicht bei Soldaten, die daraufhin ausgebildet wurden, auf dem Meer zu arbeiten.
 

John

Tancred de Nerac also war sein eigentlicher Name. Nun, ob jener nun immer noch ein 'Nadim' für ihn wäre? Es war Befriedigung gewesen - und vermutlich nicht die schlechteste -, mehr nicht. Und letztlich kannten sie sich nicht. Und genau so würde er den Mann auch behandeln. Kieran hatte er gar nicht von der Nacht erzählt und das würde er auch nicht weiter tun.

John war alles andere als begeistert über das, was er hier hörte. Wieso wählten sie auch ausgerechnet ihn für diesen Mist? Er tat sich doch nie sonderlich hervor, um genau das zu vermeiden. Sicher, die schriftlichen Prüfungen liefen gut und Cabbage war bisher sehr angetan von ihm, aber.... er wollte das hier nicht! Er wollte auf kein gottverdammtes Schiff, er wollte nicht aus Meer und überhaupt wäre er allein wegen seinen Ängsten dafür nicht gemacht. Außerdem hatte er sich so gefreut, bei Cabbage seinen Abschluss machen zu können und gerade sah er wie dieser Traum zerplatzte - wie so viele seiner Träume in seinem Leben. Vielleicht war das der Fehler. Oder... ein Gedanke kam ihm. Er würde irgendetwas sagen müssen, was ihn disqualifizierte, auch wenn das seine Karriere als Arzt wohl beeinträchtigen würde - oder auch nicht. Er sah seine persönliche Zukunft nun mal in der Pharmazie und nicht als Arzt. Schon gar nicht auf einem Schiff und schon gar nicht, wenn er Kriegsverletzungen versorgen musste.

Kieran kehrte mit einer Rolle zurück. John sah ihn kritisch an. Das Gesicht, das sich so leicht lesen ließ, zeugte von Zweifel gleichermaßen wie von Freude. Kieran freute sich sicher über die Möglichkeit, aber er würde da einige Zeit auf Dominico verzichten müssen. Und jemand, der gerade auf Wolke sieben schwebte, war sicher nicht besonders glücklich über eine solche Veränderung, wenn das normale 'Sich-Sehen' ohnehin schon schwierig war.

Als er endlich dran kam, gab er seinen Namen an und antwortete auf die Frage, wieviel Erfahrung er habe, dass er nur die Kurse an der Uni im Krankenhaus vorweisen könnte, was nur bedingt stimmte. John begleitete seinen Vater manchmal. Aber der traute ihm nicht wirklich zu, die Patienten richtig zu betreuen. Er sprach immer davon, dass er zu kalt sei dafür. Er sei kein herzlicher Mensch, der anderen Fürsorge spenden könnte. Er hatte sich daran gewöhnt, dass sein Vater nicht mit seinem Charakter zurecht kam. Und er war froh, letztlich auch. Er war wirklich nicht der Typ dafür, der alten Menschen die Hand hielt und ihnen gut zusprach. Das konnte er einfach nicht.

John bekam zudem die Frage gestellt, wie er mit einer Schussveletztung am Bein umgehen würde. John antwortete ausweichend, so als habender keine Ahnung, und meinte schließlich, dass er das Bein wohl von jemanden amputieren lassen müsste. Inständig hoffte er, sich auf diese Art und Weise ins Aus manövriert zu haben. Die Frage war zwar dumm gestellt worden, schließlich gab es viel verschiedene Möglichkeiten für Verletzungen am Bein, aber er hätte wahrscheinlich deshalb ausführlicher darauf antworten müssen. Eine Amputation war eigentlich immer das letzte Mittel, was man hernahm. Nun, er wünschte sich einfach, dass sein Plan aufging.
 

Tancrèd

Tancred war nicht sonderlich überrascht, Kieran und John hier zu sehen. Beide waren in dem Semester, in dem Henry die meisten Studenten ausgewählt hatte - weil sie eben noch nicht so weit waren, um für die Universität unerlässlich zu sein, andererseits eben jung und vital genug, um auf dem Schiff eine gute Figur zu machen. Nach Henrys Rede und seiner Verabschiedung wurde ein Tisch aufgebaut. Thomas Howard setzte sich, flankiert von Charles Brandon und Tancred auf den Stuhl in den Schatten eines großen Baumes und begann die Studenten der Reihe nach abzuarbeiten. Da sie nur einen Arzt pro Schiff benötigten, und Henrys Flotte nicht aus hunderten Schiffen bestand, konnten sie vorerst noch gut auswählen. Das hier war ohnehin nur der erste Schwung. Sie würden nach und nach mehr Männer nach Portsmouth bringen, um sie für den Ernstfall auszubilden - soweit der Plan.

Tancred beäugte über Howards Schulter die Liste und stellte immer wieder Fragen an die vortretenden Studenten. In ihren Gesichtern spiegelten sich unterschiedliche Emotionen. Die, die schon aussahen wie Abenteurer, die Spaß daran hatten, an blutigen Wunden herum zu schneiden, waren Feuer und Flamme für diese Arbeit. Andere, die die Medizin sehr ernst nahmen, waren zumindest neugierig. Wieder anderen ging es wohl nur um den Titel und den Ruf - die hatten keine Ahnung. Tancred sortierte rigoros aus, er wollte nicht noch mehr Idioten an Deck, die Mannschaften gaben sich dabei bereits genug. Schließlich trat Kieran vor, Thomas Howard hatte seinen Namen genannt. Wie zu erwarten gewesen war antwortete Kieran zügig, klug und mit der richtigen Spur Witz. Tancred schmunzelte, während Thomas beinahe verärgert dreinsah. "Gute Antwort." Gab Tancred über Thomas Schulter zurück. "Aber ihr könnt euch darauf verlassen bei den frisch ausgebildeten englischen Soldaten mit Seekrankheit zu kämpfen zu haben. Sie sind die See nicht gewohnt und ihr solltet eine gute Medikation zur Verfügung haben, um sie Kampfbereit zu halten. Eure Erfahrung zeigt mir jedoch, dass ihr es bereits bei einem Handelsschiff geschafft habt - also werdet ihr nach Portsmouth reisen." "Und auf meinem Schiff arbeiten", fügte Tancred in Gedanken dazu. War es eine Bevorteilung? Mit Sicherheit. War es ungerecht gegnüber dem abwesenden Dominico Sforza? Mit Sicherheit. Doch Tancred war einerseits eigennützig, andererseits überzeugt davon, dass auf seinem Schiff echtere Unfälle passierten, als auf den anderen. Nur so würde Kieran lernen.

Der junge Carney bekam einen Brief, der ihm die Details seiner Unterkunft, Verpflegung und Bezahlung mitteilte und auch Datum und Zeit des ersten Arbeitstages. Für die Studenten, die an ihrer Ausbildung teilnahmen, wurde dafür ein Teil der anderen Kurse, die vielleicht nicht ganz so wichtig waren, erlassen. Zwei Dozenten, die nach Portsmouth mitreisen würden, würden die wichtigsten Themen vor Ort besprechen.

Nach Kieran kam John an die Reihe. Tancred musterte ihn kühl und distanziert. Nicht, weil er ihn nicht leiden konnte oder ihn vergessen hatte, sondern weil das zwischen ihnen einfach belanglos gewesen war. Er verachtete ihn nicht, zeigte nur eben auch kein übermäßiges Interesse.

Johns Antwort auf die von Thomas Howard gestellte Frage, brachte Charles Brandon zu einem Lachanfall, während Tancrèd sich ein Schmunzeln nicht verkneifen konnte. Thomas Howard starrte den jungen Mann irritiert an. War das etwa sein Ernst?!

"Lordadmiral, ich fürchte man hat uns nicht nur operierende Ärzte vorgestellt, sondern ganz offensichtlich auch Alchemisten." Charles lachte noch lauter, während Thomas den Namen "John Forbes" von der Liste strich und Tancred abwinkte. "Wenn ich richtig liege, seid ihr der Sohn des Mannes, dem die Apotheke gehört, nicht wahr? Ich bin ein paar Mal in meiner Zeit in London daran vorbeigekommen. Ich denke, wir sollten seinen Namen nicht ganz von der Liste streichen, Lordadmiral. Sein Vater kann uns sicher mit den nötigen Materialien beliefern. Würdet ihr ihm diesen Vorschlag unterbreiten?" Tancred sah John wieder fragend an, während Charles sich langsam wieder fing. "Damit wäre uns sicher der größere Dienst getan."
 

John

Dass der andere ihn wie jeden anderen behandelte, war John durchaus recht. Er selbst sah ihn kaum an. Und so sah er den anderen Mann, Thomas Howard, mit einem möglichst naiven Blick an, um ihm weißzumachen, dass er das wirklich ernst meine. Das Lachen ertrug er mit stoischer Ruhe, wusste er ja, dass er es mit seiner Antwort durchaus verdient hatte, ausgelacht zu werden. Dafür musste er kurz, wirklich nur sehr kurz schmunzeln, als jener ihn als Alchemisten betitelte. Nun, damit hatte er definitiv nicht unrecht.

Als sich Nadim einmischte, und erklärte, er wisse von der Apotheke, nickte John auf die Frage, ob er der Sohn sei. "Jawohl, Mylord", sagte er, wie es eben üblich war. Doch was nun kam, ließ ihn innerlich sich ärgern. Doch der Ärger verflog so schnell, wie er aufgekommen war. Nun, wenn er nach Portsmouth Medikamente liefern sollte und ansonsten hier in London und vor allem auf festem Boden bleiben würde, könnte er das durchaus machen. "Ich werde es ihm ausrichten. Mein Vater wird sich geehrt fühlen und das Hause Forbes wird Euch nur zu gerne mit notwendigen Medikamenten versorgen. Und Ihr habt ja ohnehin den fähigsten Arzt gerade genommen. Mr. Carney arbeitet für meinen Vater und hat viel von ihm gelernt. Es wird also eine ganz einfache Zusammenarbeit möglich sein."

Wenn das Labor auf dem Anwesen Sforza wirklich so gut bestückt war, wie Kieran das geschildert hatte, dann würde es für ihn wirklich ein Leichtes werden, größere Mengen an entsprechenden Arzneien, Tinkturen und Salben herzustellen und die Schiffe zu beliefern. Sein Vater allein würde das allerdings nicht stemmen können. Dafür hatte er eigentlich nicht die Mittel. Aber nachdem Kieran es ihm fast schon aufgdrängt hatte, sich endlich einmal in dem Labor auszutoben, würde er es jetzt wohl dich einmal annehmen.

Lust darauf, Dominico zu sehen hatte er jedoch nach wie vor nicht.

Er nickte und wandte sich ab, damit ja nicht noch jemandem einfiel, ihn doch noch zu rekrutieren.
 

Kieran kam ihm entgegen. "Und?", fragte dieser. John lächelte leicht. "Ich darf euch mit Medikamenten und Verbandszeug versorgen, aber ich muss nicht mitfahren." Kieran nickte lächelnd. "Na, da wird dein Vater wohl gar nicht mehr wissen, wie ihm der Kopf steht. Wir sollten versuchen noch diese Woche in das Labor zu kommen, um so viel wie möglich zu schaffen, bevor ich am Freitag weg bin", erklärte Kieran. John sah ihn an und merkte, dass die Rolle geöffnet worden war. "Am Freitag schon", meinte er seufzend. "Das wird Vater nicht gefallen. Jetzt muss er seinen geliebten Sohn gleich wieder hergeben. Weißt du, wie lange du da eingesetzt bist?" Kieran sah ihn genervt an, zuckte dann mit den Schultern. "Ich habe keine Ahnung. Und ich weiß auch noch gar nicht, wie ich das meiner Familie verklickern soll. Ich bin grad nicht fähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Zum einen freue ich mich, zum anderen würde ich lieber hier bleiben und mein eh schon kompliziertes Leben einfach so fristen." John strich Kieran über den Kopf. "Du schaffst das schon, Kleiner", sagte er sanft. "Da bin ich mir sicher. Und du wirst nicht vergessen sein. Vielleicht wirst du ja einmal besucht. Und du hast sicherlich auch Landurlaub. Letztlich ist es eine überschaubare Zeit, die du auch zum Lernen nutzen kannst." Kieran nickte sacht und schien weit weg zu sein. Sicher würde er sich später gleich daran machen, einen Brief zu schreiben.
 

Kieran

Und das tat er tatsächlich. Kaum hatte er ein wenig Zeit, verfasste er einen Brief an Dominico, in dem er ihm erklärte, dass er einige Zeit abkömmlich sein werde und diese Woche am Donnerstag wie besprochen auf das Landgut kommen würde, um nach den am Wochenende verarzteten zu sehen, Medikamente da zu lassen und im Labor zu arbeiten. Er würde John dafür mitbringen und hoffte, dass das in Ordnung gehen würde.

Noch an diesem Tag übergab er den Brief an Dr. Chambers. Was er nicht wusste war, dass dieser Dominico die ganze Woche nicht zu Gesicht bekommen würde.

London 2 - Gemischte Gefühle

Rodrego

Es war wahrscheinlich besser für ihn, dass Alessandro in den nächsten Tagen nicht am Anwesen gewesen zu sein schien, obwohl Giulia angekommen war.

Wobei er es ebenfalls vermieden hatte, an den Essen teilzunehmen. Denn auch wenn Rod wusste, was er zu tun hatte, so fühlte er sich in den ersten beiden Tagen dennoch wie erschlagen. Sowohl Alessandro als auch Nico und Giulia kannten ihn zu gut, als dass sie nicht bemerken würden, dass es ihm nicht gut ging.

Mechanisch ging er seiner Arbeit nach, während er mit dem Kopf weit weg war. Er versuchte sich zu erinnern, was genau an jenen Tagen alles geschehen war, als seine Familie ausradiert wurde. Und er veruschte sich zuerinnern, wie Alessio ihn behandelt hatte, nachdem er vom Tod siner Eltern erfahren hatte. Er bildete sich ein, dass Alessio erst einmal nicht dagewesen war. Als er zurückgekehrt war, hatte er ihn trösten wollen, aber Rod war nicht richtig darauf eingegangen. Irgendwie war Nico ihm da wichtiger gewesen. Hatte er damals schon geahnt, dass Alessio etwas damit zu tun haben könnte? Aber warum war er dem Gefühl nicht gefolgt?

Rod wusste es nicht. Er wusste nur, dass auch Alessio spüren sollte, wenn man jemanden wichtigen verlor. Das würde jenen am härtesten treffen, wenn er das Wissen darum ausnutzte, dass Alessio sich nach Zuneigung sehnte, ehrliche Zuneigung. Es würde hart sein, ihm das vorzuspielen. Aber er musste es probieren.

Und so nutzte er die Tage, an denen er Alessio nicht sehen konnte, um sich selbst wieder in eine Art Stabilität zu bringen, damit er sein Spiel vortragen konnte. Und irgendwann, wenn Alessio an ihn gebunden war, würde er ihn fallen lassen und jener würde ebenfalls einmal spüren, wie es war, einen wichtigen Menschen zu verlieren!
 

Es war eigentlich eher Zufall, dass er Alessandro im Garten fand, auf dem Boden liegend. Und doch hätte es nicht besser sein können. Der Anblick gefiel ihm, er war so friedlich und jenseits von den höfischen Zwängen, die Alessio sonst so oft begleiteten. Hätte er nie herausgefunden, was er am Montag im Archiv gefunden hatte, so könnte er diesen Anblick sicher noch mehr genießen. So aber fragte er sich doch, wie man so friedlich dort liegen konnte, wenn man ein so skrupelloser Mensch war. Dennoch - er würde so tun müssen, als hätte es den Montag nicht gegeben...

So trat er auf den Mann zu, den er eigentlich gleichermaßen hasste wie liebte. Mit einem Lächeln auf den Lippen ließ er sich auf der Kopfseite des anderen auf die Knie nieder und sah auf allen Vieren auf Alessio hinab. Sanft legten sich seine Lippen auf die des anderen, fast liebevoll. Er war kein übler Schauspieler... Als er sich löste, sah er dem anderen lächelnd in die Augen. "Eine anstrengende Woche gehabt, Alessio mio?", sagte er leise und hob die Hand, um dem anderen das Haar ein wenig aus dem Gesicht zu streichen. Dann setzte er sich richtig hin und zog den anderen sanft zu sich, so dass er seinen Kopf auf seinem Schoß betten konnte. Es war ein seltsames Gefühl, mit dem Wissen, das er besaß. Aber da musste er wohl jetzt durch. Seine Finger streichelten durch das Haar des anderen und schenkten diesem ein wenig Entspannung. "Ich habe dich vermisst", fügte er leise an.
 

Alessandro

Die letzte Zeit war jeder Tag für Alessandro zum Spießroutenlauf geworden. Selbst mit Charles Unterstützung, der sie sich immerhin sicher sein konnten, erwartete der Kardinal bei jedem Ritt nach London einen Mörder hinter der nächsten Ecke. Die Übergriffe auf Kirchenmitglieder wurden häufiger und Henrys Anhänglichkeit an Cromwell immer schlimmer. Er sah in Cromwell den Reformer, der Cromwell wohl auch war, doch das Schlimme daran war einfach, dass Cromwell diese Reform auch über Leichen durchbringen wollte. Alessio hatte Briefe gelesen, Briefe von Cromwell an Unterstützer in Frankreich und er hatte an diesem Morgen schon herausgefunden, dass es Cromwells Tat gewesen war, Nico in Spanien angreifen zu lassen. Sie hatten viel zu lange geruht und Alessio wusste kaum, wo er ansetzen sollte, um Cromwell zu stoppen. Seine Informanten, er und Charles brauchten Zeit, um Ergebnisse zu erzielen, doch diese Zeit hatten sie nicht... und so war er nur äußerlich ruhig, als er dort im Gras lag, während seine Gedanken rasten. Er hatte bereits veranlasst, einen Teil ihres Geldes und ihres Besitzes außer Landes zu schaffen, und er hatte bereits mehrere Fluchtpläne ausgearbeitet, wenn es dazu kommen sollte. Doch noch wollte er die Hoffnung nicht aufgeben, Cromwell wieder vom Thron zu stoßen. Beinahe zuckte er zusammen, als Rod plötzlich über ihm auftauchte und ihn küsste. Er hatte ihn nicht einmal kommen hören, so sehr war er in Gedanken versunken. Er erwiederte den Kuss beinahe abwesend und ließ sich schon kurz darauf etwas höher ziehen, um den Kopf in Rodregos Schoß zu Betten, der ihm durchs Haar strich. Die Worte kamen von so weit her und Alessios Lächeln brauchte kurz, bis es seine Augen erreichte und er sich räusperte. "Verzeih, anstrengend ist nicht mal ansatzweise das was es trifft. Im Palast geht gerade alles drunter und drüber. Der König..." Er unterbrach sich selbst und schüttelte den Kopf, als könne er damit auch die Gedanken abschütteln. Er hatte Rod versprochen, den Kardinal so gut es ging außen vor zu lassen und so schloss er die Augen und schmiegte sich gegen Rodregos Hand. Er lächelte kurz. "Ich habe dich auch vermisst." Er hauchte einen leichten Kuss auf Rodregos Hand und griff die andere mit seiner eigenen, um sie zu halten. "Mein Kartenhaus zerbricht gerade und ich habe zum ersten Mal wirklich das Gefühl, keine Kraft mehr zu haben, es wieder aufzubauen... aber das Leben geht weiter, nicht wahr?" Er konnte sich der Verantwortung, die er inne hatte, nicht entziehen und wollte es auch nicht... Doch irgendwie hatte er gerade viel zu wenig in der Hand. "Hast du noch zu arbeiten oder.. würdest du mich auf einen Ausritt begleiten?" Das Wetter war ja schon herrlich. Von Nico und Giulia hatte Alessio heute noch nichts gesehen oder gehört. "Wir könnten schwimmen gehen." Die Tage war der Frühling so richtig durchgebrochen und die Temperaturen ließen schon einen Sommer erahnen. Und war der See nicht weit, das Wasser vermutlich noch frisch, aber dennoch angenehm. "Ich muss irgendetwas tun, das meine Gedanken von all dem wegbringt, sonst werde ich noch wahnsinnig. Das kann ich zur Zeit wirklich nicht gebrauchen." Er sah zu Rod auf und auch wenn er sich an einem Pokerface versuchte, sah man doch die Verzweiflung und Ratlosigkeit in Alessios Blick. Das war nicht gespielt, er hatte ja wirklich offen zu Rodrego sein wollen und das war er jetzt auch. Es war so verdammt gefährlich geworden in den letzten Tagen.. Dass Nicos Frau hier war, war zweischneidig. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn sie in Italien geblieben wäre. Wie sollte er sie nur alle heil herausbringen? Das würde niemals funktionieren.
 

Rodrego

Dass Alessio zusammenzuckte, den Kuss nicht wirklich erwiderte und überhaupt sehr weit weg schien, verwunderte Rod. Er sah ihn ernst an und als jener zu einer Entschuldigung ansetzte, nickte er, als er hörte, dass es im Palast drunter und drüber ging. Doch dann blickte er Alessio wieder musternd an, denn jener sprach nicht weiter, sondern schien all die Gedanken, die ihn eben noch festgehalten hatten, wegschütteln zu wollen. Rod überlegte kurz, ob er nachfragen wollte, ließ es aber. Er selbst hatte momentan keinen blassen Schimmer, was im Palast los war und es interessierte ihn gerade auch kaum, hatte er doch ganz andere Probleme, die er irgendwie in den Griff bekommen musste. Und wenn Alessandro nicht darüber reden wollte, dann musste er das akzeptieren, oder? So war es doch, oder? Er merkte tief in sich, dass es ihn dennoch irgendwie störte. Vertraute er ihm nicht? Oder woran lag es, dass er nicht mit ihm reden wollte? Doch bei diesem Gedanken schalt er sich in Gedanken selbst. Wieso sollte Alessio ihm vertrauen? Momentan war es besser, wenn er es nicht tat. Und für ihn war es besser, wenn er das Gefühl hatte, dass der andere weit von ihm entfernt blieb. Denn Alessandro jetzt hier so zu sehen, berührte ihn anders, als er es erwartet hatte. Die Worte des Vermissens waren nicht unbedingt gelogen gewesen... Er drückte die Hand leicht und hielt den anderen fest. "Als ich dich die ganze Woche nicht habe sehen und mit dir reden können, habe ich gemerkt, wie sehr ich dich vermisst habe. Wir sollten versuchen, mehr Zeit miteinander zu verbringen. Das würde dir gut tun." Rod war irritiert, wie diese Worte aus ihm heraussprudelten. Er musste gar nicht darüber nachdenken. Waren das nun Lügen, oder war das die Wahrheit? Irgendwie überforderte ihn die Situation. Er sollte nicht darüber nachdenken, sondern sich einfach treiben lassen.

"Aber jetzt wird mir klar, dass du ganz andere Sorgen hattest." Er strich Alessio über den Kopf, den Arm, "Du hast so unendlich viel Kraft, dass du das auch überstehen wirst, was auch immer da auf dich zukommt. Ich habe dich für deine Stärke immer bewundert. Du wirst das schaffen, da bin ich mir sicher." Dass Alessio vorhin unterbrochen hatte, ließ ihn auch jetzt nicht nachfragen, was genau sein "Kartenhaus" zum Einsturz brachte. Wenn Alessandro darüber reden wollte und konnte, würde er es doch tun, oder?

"Arbeit gibt es immer, aber ich habe heute keine Lust mehr", sagte Rod und lächelte den anderen an. "Ein Bad im See klingt ganz verlockend und ich schließe mich gerne an." Sein Lächeln wurde zu einem Grinsen. "Ich lenke dich immer gerne ab." Er wand sich vorsichtig unter Alessio weg und stand auf, und hielt dem anderen die Hand hin, um ihn hochzuziehen. Dabei zog er ihn nahe zu sich und küsste ihn erneut. Es ging wirklich leichter, als er es sich vorgestellt hätte. "Lass uns dich ein wenig auf andere Gedanken bringen", murmelte er, als er den Kuss löste. "Ich habe schon wieder ganz andere Gedanken, wenn ich mir vorstelle, gleich nackt mit dir im See zu schwimmen..." Gemeinsam gingen sie zum Stall und bald darauf waren sie auf dem Weg zum See.
 

Alessandro

Alessandro war tatsächlich weit weg, und es fiel ihm schwer gerade "anzukommen". Er hatte kein bisschen mit Rod gerechnet, nicht mal gewusst, dass er hier war. Er freute sich, ihn wieder zu sehen und hatte gleichermaßen Angst vor dem, was zwischen ihnen passierte. Er wünschte sich mehr Nähe, Rückhalt und Liebe und doch war es genau das, vor dem er sich gerade fürchtete. Denn so wie es aussah, nahm ihm Cromwell alles, was ihm lieb und teuer war. Und wenn er sich mehr und mehr auf Rod einließ - was er seit Weihnachten eigentlich schon tat - war er noch angreifbarer. Was, wenn Cromwell das merken würde? Wenn er es irgendwie herausfinden würde und es ans Licht brachte? Es würde Rodregos Tod sein, sein eigener Absturz... Das durfte nicht passieren! Und doch brauchte Alessio diesen Mann, um den Rückhalt zu haben, aus dem er seine Kraft schöpfen konnte. Alessio lächelte leicht. "Du weißt, dass es mir auch so ergangen ist... Ich bin nur gerade mit dem Kopf soweit weg... verzeih." Er sah zu Rod auf, als der sich erhoben hatte, um ihn ebenfalls in die Senkrechte zu ziehen - und diesesmal erwiderte er den Kuss schon wesentlich aktvier als eben noch. "Es ist frevelhaft von dir", meinte er grinsend und stieß Rod leicht gegen die Brust, ehe er die Schultern hob, "aber genau so von mir, also ist es ausgeglichen." Er lehnte sich etwas an den Schmied, sog seinen Duft ein und genoss es, ihn zu spüren und damit alles andere etwas weiter von sich abrücken zu lassen. "Ich weiß nicht, ob ich wirklich unendlich viel Kraft habe. Aber ich werde bestehen müssen, für unser aller Wohl, also wird meine Kraft reichen müssen. Aber jetzt klingt es gut, nicht mehr daran zu denken, zumindest für heute Nacht." Das klang es wirklich, auch wenn Alessio durchaus etwas... irritiert war. War Rod wirklich so? Er erschien ihm ein wenig sehr offensiv, aber vielleicht lag es auch einfach an seiner eigenen Passivität. Eigentlich war Alessio niemand, der nicht ebenfalls auf dumme Gedanken kam, wenn er einen anderen Mann nackt in Aussicht hatte, doch gerade empfand er die Vorstellung in Rods Armen zu liegen schon erleichternd genug, ohne dabei an den Sex zu denken, an den Rod wohl dachte.

War Rod auch bei Dominico so gewesen? Hatte sich sein Bruder mit unkompliziertem schönen Sex über seine Probleme hinweggetröstet? Eigentlich konnte Alessio es sich nicht vorstellen. Dennoch würde er sich hingeben und verführen lassen. Nicht nur um die Gedanken aus seinem Kopf zu vertreiben, sondern auch um Rodrego zu gefallen. Als Rod ihn erneut küsste öffnete Alessio genüsslich die Lippen, um den Kuss zu vertiefen. "Woher willst du wissen, dass ich nackt schwimmen gehe?", gurrte er leise, doch es war wohl wirklich keine Frage - sie schwammen grundsätzlich nackt.

Der Ritt zu Rods Haus und damit zum See dauerte nicht sehr lange und kaum, dass sie dort waren und die Pferde abgesattelt hatten, flog Alessios Kleidung schon in den Sand, der den See an der Strandseite umgab. Seine Schuhe und die Hose folgten, ehe er ins kühle Nass watete, um Rod, der hinter ihm kam einen ordentlichen Schwall kaltes Wasser entgegen zu schaufeln. Ja, der See brachte ihn auf andere Gedanken und er fühlte bereits jetzt, wie Rods Lächeln einen teil der Last von ihm nahm, die die letzten Wochen, ja Monate, auf seine Schultern gebürdet hatte. Doch es blieben unweigerlich Restzweifel - auch wenn es genau das war, was Alessio sich gewünscht hatte - jemand der nicht nur als Freund für ihn da war, sondern ihn auch umarmte und hielt, so wusste er mit dieser wunderschönen Nähe noch nicht immer richtig umzugehen.
 

Rodrego

Rod nickte lächelnd, als Alessio ihm versprach, stark zu sein, für dies Zeit, in der sie nun aber zusammen waren, er die Sorgen einfach mal vergessen würde. "Das ist gut", murmelte Rodrego und merkte, dass mit jedem Kuss, den sie sich gaben, die Passivität des anderen ein wenig wich, sie sich wieder näher kamen und sich der andere fallen ließ. Gut so, denn das war es doch, was Rod wollte, oder? Dass er sich ihm anvertraute, ihm vertraute und sich ihm emotional hingab - um ihm dann zu zeigen, wie es sich anfühlte, wenn man von vorn bis hinten belogen und betrogen wurde. Das war es doch. - Oder?

Rod lachte leicht gegen die Lippen des anderen, als dieser ihn fragte, woher er wisse, dass er nackt bade. "Weil ich dich so schon oft habe baden sehen, Alessio mio", sagte er mit einem Lachen in der Stimme und grinste ihn an.
 

Kaum hatten sie die Pferde versorgt, ließ Alessandro die Hüllen fallen. Rod, der ein wenig später aus dem Sattel glitt als der andere, beobachtete ihn dabei und lächelte. Die Stimmung hier war so angenehm. Ein lauer Wind ging, es war so still und friedlich alles, ruhig und harmonisch. Der See lag still da und schien nur darauf zu warten, dass sie zu ihm kamen. Auch Rod ließ, während er zum See dem anderen hinterherlief, Stück für Stück seiner Kleindung auf dem Weg fallen und ging die ersten Schritte in den See recht zügig hinein. Das Wasser war kalt, aber erfrischend. Er ging immer gerne zügig ins Wasser, um es sich nicht doch noch anders zu überlegen. Als Alessio ihm Wasser zuschaufelte erwischte er ihn eiskalt. "Brrr", knurrte Rod nach dem ersten Schreck und sah Alessio strafend an. "Ich fürchte, wenn Ihr so weitermacht, Mylord Sforza, werde ich euch eine Lektion erteilen müssen", knurrte er und lachte im gleichen Moment, ehe auch er dem anderen das Wasser zuschaufelte, mehr und immer mehr, während er sich dem anderen näherte und schließlich selbst schon vollkommen nass vor dem anderen zum Stehen kam. Wasser rann ihm übers Gesicht und auch Alessio erging es nicht besser. Die Sonnenstrahlen der Abendsonne verfingen sich in den Tropfen, die in Alessandros Haar perlten, und langsam beruhigte sich das Wasser wieder um sie herum, während sie dastanden und sich nur ansahen, bevor sie sich küssten, erst sanft, dann verspielter. Und mitten in diesem Kuss packte Rod den anderen, hob ihn leicht hoch und ließ sich mit ihm nach hinten in das kühle Nass fallen.

Lachend und prustend tauchten sie schließlich wieder auf und Rod grinste den anderen an. "Lass uns schwimmen", sagte er dann und sprang mit ausgestreckten Armen nach vorne kopfüber in das Wasser. Nach kurzen Zügen unter Wasser tauchte er schließlich wieder auf, drehte sich und schaute, wo Alessio blieb, der kurz darauf auf seiner Höhe war und sie gemeinsam losschwammen, die kleine Insel im Visier habend, die in der Mitte des Sees lag und ein Idyll für sich war.
 

Alessandro

Das kühle Nass, das Rodrego als Rache zu ihm herüberschaufelte, traf Alessio an Oberschenkel und Brust und er lachte als er versuchte sich wegzudrehen, um dem Wasser zu entgehen. Allerdings war das ziemlich unmöglich und die Fontänen, die sie einander zuschaufelten, sorgten nur dafür, dass sie beide ziemlich nass waren als sie endlich voreinander standen. Alessio fühlte wie einzelne Tropfen über seinen Körper perlten, während er den Tropfen auf Rods Körper zusah, die sich einen Weg nach unten bahnten. Sie standen bereits beinahe Hüfthoch im Wasser, doch Alessio sah mehr als deutlich wohin das Wasser lief und er kam nicht umhin, sich auf die Unterlippe zu beißen. Rod war verdammt attraktiv und wirklich eine verdammt gute Ablenkung für ihn. Langsam sah er auf, so dass sich ihre Blicke kreuzten, und blieb in der Tiefe von Rods Augen hängen. Sie näherten sich so langsam an, dass der erste Kuss so sacht wie ein Windhauch war. Alessio überlief eine wohlige Gänsehaut und er keuchte unweigerlich gegen Rods Lippen. Oh ja, das vertrieb die bösen Gedanken. "Eine Lektion... Ihr mir?" Er versuchte es so abschätzig wie möglich klingen zu lassen, doch daraus wurde nichts. Er sehnte sich nach Rods Küssen und seinem Körper und so dauerte es nicht wirklich lange, bis ihre Küsserei deutliche Wirkung bei Alessio zeigte - die nur Sekunden später wieder vollkomen verschwunden war. Mit einem heiseren Aufschrei und rudernden Armen platschte Alessio mit Rod in das kühle Nass. Obwohl er den Kuss hatte aufrecht erhalten wollen, gab es keine Chance, er prustete und ruderte mit den Armen, kaum das Rod ihn losgelassen hatte, um wieder an die Oberfläche zu kommen. Noch konnte er stehen und strich sich die Haare aus dem Gesicht, die unweigerlich hinein gefallen waren, ehe er sich neu orientierte und zu Rod sah, der neben ihm ebenfalls wieder auftauchte. Sie schwammen gemeinsam los, hinüber zu der kleinen Insel.

Es gab ein paar Büsche, Gras und ein wenig Sand und einen kleinen Verschlag, indem neben einer Decke ein paar Flaschen Wein lagerten, die sie irgendwann dort rüber geschafft hatten. Alessio beließ es jedoch dabei, den Wein im Hinterkopf zu behalten. Als Alessio aus dem Wasser watete, strich er sich das Wasser vom Körper und sah sich um. Es war unberührt, so wie sie es im letzten Herbst verlassen hatten, als es noch warm genug gewesen war, hierher zu kommen. Sie hatten auch ein kleines Ruderboot, das jedoch vertäut am anderen Ufer lag und vermutlich über den Winter leck geschlagen war.

Neben ihm hatte sich Rod auf die Decke fallen lassen, nachdem er sie ausgeschüttelt hatte und Alessio kam zu ihm, stellte einen Fuß rechts und einen Fuß links neben Rodregos Hüfte ab und ließ sich dann langsam in die Knie sinken bis er auf ihm zum Sitzen kam. Um ihn zu küssen, musste er sich etwas vorbeugen, doch das störte den Kardinal nicht. "So erschöpft..?", fragte er leise, während er die Beine langsam nach hinten ausstreckte und zur Seite rutschte, so dass er halb auf Rodrego zum liegen kam. Der Ort war wirklich perfekt und die warme Sonne auf Alessios viel zu heller Haut tat gut. Endlich wieder etwas mehr Farbe in diesem tristen Land bekommen. "Erzähl mir von deiner Woche. Sie kann sicher nicht so ätzend gewesen sein wie meine..." Gedankenverloren und einfach darauf hoffend, etwas anderes zu hören, als das, was ihm im Kopf herumschwirrte, strich er mit einer Hand sanft über Rodregos Seite hinauf und hinab und über seine Leiste. Rodregos Körper fühlte sich gut unter seinen Fingern an.
 

Rodrego

Rodrego war schon lange nicht mehr mit Nico oder Alessio auf der Insel gewesen. Er suchte sie selbst immer mal wieder gerne auf, wenn er einfach etwas Ruhe brauchte. Außerdem entspannte das Schwimmen seine Muskeln, besonders wenn er auf dem Rücken schwamm. Jetzt hier mit Alessio anzukommen, fühlte sich irgendwie schön an. Rod ging zu dem Verschlag, unter dem sie in einem groben Sack eine Pferdedecke aufbewahrt hatten, und holte diese hervor, schüttelte sie aus und ließ sich darauf nieder. Er streckte sich aus und genoss die warme Sonne auf seiner Haut, die ihn langsam trocknete. Als Alessio über ihn trat, öffnete er wegen des Gegenlichts blinzelnd die Augen und grinste leicht. "Ein schöner Anblick", sagte er frei heraus und betrachtete den andren ohne Scheu. "Und ja, ein wenig bin ich erschöpft", sagte er seufzend und ahnte die nächste Frage schon, ehe dieser sie ihm stellte. Er hatte sich die ganze Woche mit diesen Fragen beschäftigt, die sicher kommen würden, wenn er mit Alessio redete. Was hatte er gemacht?

Er überlegte kurz. "Ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Sie war irgendwie so schnell vorbei, dass ich gar nicht weiß, wo die Zeit geblieben ist", antwortete er dann und schloss den andren in seine Arme, ihm sanft über die Haut streichelnd, und ihn ansehend. "Die Rüstungspläne des Königs lassen mich viel zu tun haben. Außerdem versuche ich mich gerade daran, Rüstungen härter zu stählen, indem man sie mehrfach erhitzt und bearbeitet." Er genoss die Finger des anderen auf der Haut, auch wenn er genau bei diesem Gedanken sich erneut wundern musste, wie leicht es ihm fiel, den anderen so nah an sich heran zu lassen. Hatte er ihn zu Beginn der Woche noch am liebsten einfach umgebracht, so kam es ihm fast wie ersehnt vor, den anderen festzuhalten und bei sich zu wissen. Es war wirklich chaotisch, was in ihm vorging. Er begriff es selbst nicht. Die Stimmen, die in seinem Kopf alles mögliche flüsterten, erschöpften ihn und ließen ihm keine Ruhe, besonders, weil sie kein klares Bild zuließen, was er fühlte oder eben nicht.

"Und wenn ich dann höre, dass du währenddessen die Welt rettest, kommt mir mein Leben einmal mehr so belanglos vor... Ich hätte gerne mehr geleistet in meinem Leben, als Pferde zu beschlagen und die ein oder andere Rüstung und Waffen herzustellen." Er lächelte traurig. Ja, er wäre gerne sozial aufgestiegen und hätte sich gerne als Ritter im Dienste des Königs bewährt. Sicher, er wäre nie in einer Stellung gewesen, die der Dominicos oder Alessandros gleich käme, aber vielleicht hätte er irgendwann die Möglichkeit bekommen, ein wenig Land zu verwalten und abseits von London ein Leben zu leben, das unbeschwerter war, als das, das er nun zu führen hatte. Einfach etwas, wo er in aller Ruhe Pferde züchten könnte...

Die Anwesenheit bei Hofe war bisweilen mehr als anstrengend für ihn, auch wenn er sich versuchte aus allem herauszuhalten und auch den Damen, die ihn so nervten, aus dem Weg zu gehen.

"Aber lass uns nich davon sprechen", sagte er schließlich und küsste Alessio sacht auf die Stirn, drehte sich leicht zu ihm, um ihn besser ansehen zu können. "Ich habe darüber nachgedacht, was du gesagt hast, hinsichtlich Italien. Ich würde dich das nächste Mal vielleicht wirklich gerne dorthin begleiten. Ich sehne mich nach meinem Heimatland. Vorausgesetzt Henry erteilt mir die Erlaubnis."
 

Alessandro

"Die Welt retten? Ich wünschte ich wäre wichtig genug, das zu können..." Alessio stützte den Kopf auf, um Rod ansehen zu können während dieser sprach. Hörte er da Gram und Wehmut heraus? Er dachte eine Weile darüber nach, während er Rodregos Gesicht betrachtete. Er hatte sich nie wirklich darüber Gedanken gemacht, was aus Rodrego einmal hätte werden können. Als sie in England angekommen waren, nur mit Geld und dem Willen, Dominico zu verheiraten, war Alessandro damit beschäftigt gewesen, etwas aufzubauen. Er hatte ein Heer aus Männern an sich gebunden, teils durch Freundschaft und Geschenke, teils durch Bestechung und so weiter. Nico hatte eine Frau gefunden, die er geheiratet hatte. Damit hatte er Henry einen Gefallen getan und weil Nico gut mit dem Schwert war, hatten sie sich irgendwann eingeschlichen in diese illustre Gesellschaft am Hof. Rodrego hingegen? Auch er war mit ihnen nach England gekommen und seine Familie war dabei gewesen. Rodrego hatte sie sehr häufig an den Hof begleitet und während sein Vater stets nur für Nico und Alessio Pferde beschlagen hatte, war Rodrego damals ambitionierter gewesen. Während Alessio in Italien und Dominico in Frankreich gewesen war, musste jedoch irgendetwas passiert sein. Alessio selbst hatte diesen Vorfall nie genau rekonstruieren können, da man ihm als "Nahestehendem" keine Auskunft hatte geben wollen. Er wusste nur, dass als er wieder kam, Rodregos Familie tot war. Der Vater gehängt, die Mutter verbrannt, die Schwester verschwunden. Der Grund sei angeblich Hochverrat gewesen, doch Alessio war sich da nicht ganz sicher. Zu dieser Zeit war Henry gerade in einer äußerst schwierigen Phase seiner Regentschaft gewesen, der Krieg in Frankreich war im Begriff verloren zu gehen, und weil es Gerüchte gab, die besagten, der König sei gefallen, hatte es viele gegeben, die hier und da die falschen Worte benutzt hatten. Katharinas grandiose Unterstützung für ihren Ehemann hatte zur Folge gehabt, dass auch einige Menschen, die gegen Henry gewesen waren, ihr Leben lassen mussten, und Alessio hatte das bisher immer als Grund für den Tod dieser Familie gesehen. Katharinas extremer Glaube an die katholische Kirche ging soweit, dass er ihr zutraute, auch einer Hexenverbrennung zuzusagen - bei Anne wäre sie zur Zeit sicher auch bereit dafür.

Er hatte nie das Gfühl gehabt, dass Rodrego darunter litt, nicht mehr EInfluss zu haben oder zumindest die Chance gehabt zu haben, ihn zu erlangen... Anscheinend ein Irrtum. Seine Finger folgten Rodregos Arm zu seiner Hand, an der ein Finger fehlte. Vielleicht hätte er genauer hinsehen sollen, damals. Vielleicht hätte er es abwenden können? Nein, vermutlich nicht. Er sah gerade überall nur Fehler, auch wenn es nicht seine eigenen waren. "Ich glaube, ich sollte sie gar nicht retten. Vielleicht ist es ja die Strafe, die uns zusteht." Er war wirklich am Ende und er merkte es an den Dingen, die er von sich gab. "Oh man, was rede ich da nur..." Er fuhr sich durchs Gesicht. "Ich weiß nicht, ob ich jemals wieder nach Italien reisen werde. Oder eher, ich habe momentan die dumpfe Ahnung, dass ich nur noch einmal hinreisen werde und danach nie wieder zurückkomme. Ich hoffe dieses Denken vergeht bald wieder." Er lächelte matt und legte seine Hand wieder auf Rodregos nackte Brust. "Ich hätte gern, dass du mich begleitest, wie in alten Zeiten. Du und ich in Rom, was wären wir nur für ein Gespann." In diesen Erinnerungen zu schwelgen, selbst nur für den Moment, tat gut. "Und Henry wird es dir verdammt erlauben... Du bist nicht sein Sklave. Du kannst gehen wohin du willst, oder etwa nicht?" Alessio war zumindest nicht all zu sehr bewusst, wie sehr diese Geschichte damals dafür gesorgt hatte, dass Rodrego in der Schuld des Königs stand.
 

Rodrego

Dass Alessio seine Hand betrachtete, der ein Finger fehlte, bewirkte in Rodrego ein Gefühl von Unwohlsein. Er hasste diese Hand, die ihn tagtäglich an die Schuld erinnerte, die er wegen seines Vaers bei Henry zu begleichen hatte. Täglich sah er diese entstellte Hand, wenn er Pferde beschlug, wenn er aß, wenn er las, wenn er nichts tat. Sie erinnerte ihn daran, dass er nie ganz frei sein würde, dass er dem König verpflichtet war, dass sein Vater ein Verräter gewesen sein sollte. Aber Rod wusste, dass dem nicht so gewesen war. Jetzt wusste er es endlich. Der, der die Briefe verfasste, wusste es. Und er würde ihm früher oder später sagen, wer dafür verantwortlich war, dass sein Vater gehängt worden war.

Er selbst war damals aus fadenscheinigen Gründen nach Portsmouth geschickt worden. Als er zurückkehrte und sein Vater gehängt, seine Mutte verbrannt worden waren, erklärt man ihm, sein Vater habe bei Hofe darüber geredet, dass er hoffe, dass nun, da Henry für Tod gehalten werde, das Hause York endlich wieder seinen rechtmäßigen Platz auf dem Throne erhielte. Rod wusste, dass das vollkommener Quatsch sein musste, denn sein Vater hatte mit den Intrigen am Hof nichts zu tun gehabt und schon gar nicht sich in irgendwelche politischen Lager begeben. Er hatte ihn nur darin unterstüzt, in den Ritterstand erhoben zu werden - mehr nicht.

Warum seine Mutter brennen musste, das wusste er jetzt. Und der Grund dafür lag in seinen Armen. Die Situation war absurd und Rod versuchte sich zu entspannen, während er merkte, dass ihm das nicht mehr so gut gelang. Er zog die Hand zurück und schluckte. Und die Worte des anderen waren keine, die seine Situation im Moment besserte. War das alles wirklich Strafe? War der Tod seiner Eltern eine gerechte Strafe für ihn und seine Schwester gewesen? Nein, das glaubte er nicht. Er war zwar nur bedingt katholisch erzogen worden, seine Eltern waren ehrlichen und bescheidene Menschen gewesen, die sich an Normen und Wertvorstellungen orientiert hatten, die auch mit einem gesunden Menschenverstand sagte, nicht unbedingt ein Prediger auf der Kanzel brauchten. Warum sollte ihn ein Gott so dafür strafen wollen? Rod wusste, dass es vielmehr die Gier der Menschen nach Macht und noch mehr Macht war, die sie zu solchen Dingen antrieb. Er schnaubte. Seit damals hatte er jeglichen Glauben verloren. "Du weißt, dass ich nicht wirklich daran glaube, dass es eine höhere Macht gibt, der die Menschen bestraft", sagte er ausweichend. "Die Menschen sind schlecht und neigen grundsätzlich dazu, nur zu ihrem eigenen Vorteil zu handeln. Was ja auch verständlich ist. Aber da gibt es dann eben einige, die dafür über Leichen gehen. Das, was wirklich ungerecht daran ist, ist, dass sie dabei weiter ihre Macht ausbauen, damit sie nicht belangt werden können."

Und Alessandro war dafür wohl letztlich auch ein gutes Beispiel. Und doch ließen die Worte ihn den anderen etwas besorgt ansehen. Offenbar ging es Alesandro momentan wirklich nicht gut. Aber er kam auch jetzt wieder nicht wirklich dazu, zu fragen, was passiert war, denn Alessandro wechselte das Thema. Zumindest teilweise. "Was treibt dich zurück? Die Tatsache, dass Henry ernst zu machen scheint und sich von der katholischen Kirche lossagt?", fragte er nun daher. Dass der andere ihn dabei haben wollte, ließ ihn lächeln. Eigentlich hatte er das vorhin nur so gesagt. Rod konnte nicht davon ausgehen, dass er Alessio so lange noch etas vorspielen würde. Zum einen, weil er es nicht konnte, zum andren, weil es nicht sinnvoll war. Bald würde er nichts mehr mit ihm zu tun haben. Er würde ihn verletzen, weil er es verdient hatte. Und danach nie wieder sehen... Und das war gut so, oder?

Er lachte leicht, als Alessio behauptete, er sei nicht Henrys Sklave. "Doch, das bin ich. Und das hat er mir recht eindrucksvoll vermittelt." Er hob die Hand, die er vorhin noch weggezogen hatte. "Ich stehe bis an mein Lebensende in seiner Schuld. Ich werde für ihn immer als Schmied arbeiten, bis ich sterbe. Ich hoffe inständig, dass es ein schneller und früher Tod ist."
 

Alessandro

Der Kardinal merkte, dass es Rodrego unangenehm war, dort berührt zu werden, und er konnte es sogar ein wenig verstehen. Einerseits war er zwar selbst schnell dabei ,eine solche Strafe einzufordern, doch sie an Rodrego zu sehen, tat ihm furchtbar leid. Wenn er es doch nur hätte verhindern können - aber dazu war es jetzt zu spät und er würde es nie wieder ändern können. Er zog die Hand zurück, als Rod sie ihm entwand und legte sie wieder ruhig auf Rods Brust. Hatte er gerade das Gefühl, das sich zwischen ihnen ein Graben auftat? Alessio merkte, dass er viel zu schnell vertraute. Er hing bereits nach so wenigen gemeinsamen Nächten an diesem Mann, einfach so. Das war ganz und gar nicht gut, eigentlich. Im Grunde war es zwar genau das, was er wollte, doch in ihrer jetzigen politischen Situation? Er wollte Rodrego nicht auch noch in diese ganze Sache hineinziehen.

Rodregos ketzerischen Reden wäre an anderer Stelle sicher wesentlich härter begegnet worden als hier. Hier hörte der Kardinal einfach nur zu und seufzte leise - Rod hatte ja irgendwie recht. Vor allem mit der Beschreibung dieser Menschen... und Alessandro wurde das Gefühl nicht los, das da auch etwas auf ihn gemünzt war. Sicher hatte Rod mitbekommen, wie er den Rebellen in Camebridge Herr geworden war und das war genau so gewesen. Er war über Leichen gegangen, nicht, um seine Macht auszubauen, wohl aber um sie zu erhalten. Er versuchte den Gedanken zu verdrängen, doch irgendwie war es wieder ein kleiner Schlag, den Rodrego dem Kardinal versetzte, den er selbst ja nicht leiden konnte. Es tat weh, aber es war wohl richtig und deshalb widersprach er nicht, sondern nahm es hin. Rodregos Frage kurz darauf brachte ihn zu einem Aufseufzen. "Was der König tut kann mir eigentlich egal sein... Ich meine, ich bin der Bruder seines Heermeisters, ob ich in England bin oder nicht ist egal, solange ich nicht versuche, ihm die katholische Linie aufzudrücken. Ich würde mich eher versuchen herauszuhalten, aber vielleicht würde er mich heimschicken. Nein, was mich eher dazu treibt, an Flucht zu denken, sind Intrigen im Palast, die sich gezielt gegen einige der nahestehenden Personen des Königs zu richten scheinen, und das gefällt mir nicht. Ich mache mir Sorgen, dass es mich unvorbereitet trifft... Lieber gehe ich, als für eine Revolution zu sterben, die nicht mal meine ist." Er fühlte, wie er langsam trocknete und an den Stellen, an denen er an Rod kuschelte, etwas zu schwitzen begann - aber es war nicht unangenehm. "Und wenn es so kommt, dann werde ich dich mitnehmen." Das klang nicht unbedingt wie eine Floskel, sondern mehr wie ein sicheres Versprechen. "Ich werde nicht zulassen, dass du bis an dein Lebensende Pferde zu beschlagen hast für diesen wahnsinnigen Trotzkopf." Er griff erneut nach Rodregos Hand, die er gehoben hatte, und verdeckte mit seiner den abgeschnittenen Finger. "Du wirst nicht früh und schnell sterben, sondern im hohen Alter auf einem Landgut in Italien, mit Blick über das wundervolle Meer, wenn es das ist was du willst. Und wenn es das letzte ist, das ich tue, ich könnte mir nie verzeihen, dich hier zurückzulassen, wo ich schon so viel anderes nicht habe schützen können. Dann will ich wenigstens dich vor so einem Leben beschützen."
 

Rodrego

Rodrego war ein wenig erstaunt, dass Alessio seine Anklage hinnahm. Aber er war auch froh darüber, dass er das Thema unter den Tisch fallen ließ. Auch er würde es nicht noch einmal aufgreifen. Er hatte wohl zu schnell geredet. Aber im Moment war es eben genau der Punkt, der ihn so herunterzog, der ihn abends heimsuchte und diese trüben Gedanken denken ließ, die ihm immer wieder ins Ohr flüsterten, dass es besser gewesen wäre, damals selbst auch gestorben zu sein. Trotzdem zog er sich immer wieder aus diesem Sumpf, weil es ja doch ein paar Dinge gab, die das Leben etwas schöner machten. Doch seit er wusste, dass Alessandro mitverantwortlich war...

Er schluckte und versuchte sich auf die Worte des anderen zu konzentrieren. Er schwieg nach diesen Worten erst einmal. Er hatte die Woche kaum gelauscht, was so getuschelt wurde, hatte nicht wirklich mitbekommen, worauf Alessio gerade anspielte. Aber darin lag in jedem Fall die Begründung, weshalb der andere eine so schlechte Zeit gehabt hatte. Dadurch, dass Alessandro keine konkreten Namen nannte, wusste Rod, dass er da auch nichts Genaueres erfahren würde. "Das verstehe ich", sagte er schließlich. "Pass auf dich auf, damit du nicht zum Ziel wirst, Alessio mio", sagte er und drückte den anderen leicht an sich.

Dass er selbst Teil dieser Intrige war, das war ihm in diesem Moment absolut nicht bewusst - es würde ihm erst viel später, zu spät bewusst werden.
 

Rod lachte leicht, als er die Kampfansage des anderen hörte, er wolle ihn mitnehmen, wenn er ginge. Es klang so süß und für ihn so irreal. Und das Bild, das der andere von seinem Leben in Italien zeichnete, fühlte sich zwar genauso gut an, kam ihm aber noch irrealer vor. Er küsste den anderen sanft auf die Stirn. "Alessio mio", murmelte er und wusste nicht so genau, was er sagen sollte. Sein Leben hatte aufgehört, als seine Familie ermordet wurde. Und jetzt, da er wusste, dass Alessandro mit dafür verantwortlich war, klangen die Worte des anderen wie blanker Hohn. Glaubte der andere selbst, was er da sagte? Es klang irgendwie so kindlich naiv und damit so frevelhaft ehrlich. „Wir werden sehen, was passiert“, sagte er schließlich. „Aber an die Idee könnte ich mich durchaus gewöhnen.“ Er lächelte, auch wenn ihm zum Heulen zumute war. Da war es wieder, dieses Gefühl, das sich so oft in ihm ausbreitete, und das ihn so hoffnungslos werden ließ.

Er merkte, dass er den anderen noch immer fest in seinen Armen hielt und lockerte daraufhin den Griff. "Wollen wir zurückschwimmen?“, fragte er den anderen und strich ihm über den Rücken. „Bleibst du bei mir, heute Nacht?“, fügte er leise noch hinzu. „Ich würde mich freuen.“ Nein, er wollte mit diesem Gefühl nicht alleine sein. Seine Situation wurde immer beschissener, immer aussichtsloser.
 

Zurück in seinem Haus machten sie sich gemeinsam eine Kleinigkeit zu essen. Sie nahmen es mit auf die Veranda, wo sie sich hinsetzten und nicht mehr diese schweren Themen aufgriffen, sondern sich über alte Bekannte und Freunde aus Italien unterhielten, die Alessio jüngst wiedergesehen hatte oder die ihnen einfach so wieder in den Sinn kamen und sie sich fragten, wie es ihnen wohl ginge. England und den Königshof vermieden sie beide und Rod war das nur recht. Es herrschte gerade so viel Chaos in seinem Leben, dass er nicht ständig daran erinnert werden wollte. Es tat gut, einfach über Belangloses zu reden, zu witzeln und zu lachen. Und als sie später ins Bett krochen, war ihr Sex zärtlich und nach Schutz suchend, so als würden sie sich gegenseitig halten wollen, ohne eigentlich genau zu wissen, was den anderen so bekümmerte.

London 2 - Zweite Wahl

Kieran

Als sie am Donnerstag aufbrachen, um auf das Anwesen der Sforzas zu kommen, war Kieran noch immer nicht mit sich im Reinen. Er wusste einfach nicht, ob er sich nun freuen sollte, oder nicht. Die Erfahrungen, die er da sammeln würde, wären viel wert. Es gab eine Menge Geld und durchaus auch eine Qualifikation, die ihm vielleicht einmal helfen würde, Dominico ins Ausland zu begleiten. Und dennoch wäre er gerade auch glücklicher, wenn er zum Beispiel die Aussicht gehabt hätte, ein Wochenende bei Nico verbringen zu können.

Außerdem war er etwas irritiert, weil Nico nicht auf seinen Brief geantwortet hatte. Ob es bei Hofe wieder drunter und drüber ging? Kieran hatte ja einige Dinge erfahren und er wusste, dass so tiefgehende Intrigen nicht von heute auf morgen beendet waren. Entsprechend konnte er sich denken, dass der andere gerade echt anstrengende Zeiten durchlebte. Da war es klar, dass Dinge, die ja eh schon abgemacht worden waren, nicht noch einmal extra beantwortet werden mussten. Nico hatte ihm ja die Zustimmung gegeben, er brauchte nicht noch eine schriftliche. Und doch kränkte es ihn ein wenig. Zum einen, weil er gerne jemand wäre, dem der andere seine Probleme anvertraute und er ihm gerne helfen würde, diese zu tragen, zum anderen, weil er enttäuscht war, dass dem anderen ganz offensichtlich egal war, dass er bald weg sein würde.

Als sie das Anwesen erreichten, teilte ihnen einer der Diener mit, dass die Familie aktuell nicht anwesend sei. Kieran erklärte, dass er mit einem befreundeten Arzt im Labor arbeiten werde und die Patienten versorgen würde und dass es mit Dominico abgesprochen sei. Das reichte diesem, damit sie an die Arbeit gehen konnten.

John war wirklich hin und weg von den Möglichkeiten, die er hier hatte, und machte sich gleich daran, zu arbeiten, während Kieran erst einmal losging, um seine Patienten zu besuchen.
 

Dominico

Tatsächlich hatte Nico im wahrsten Sinne des Wortes eine anstrengende Woche. Das Handelsschiff, mit dem seine Frau über den Kanal gesetzt hatte, erreichte Portsmouth früh am Montagmorgen. Er hatte daher absagen müssen, als es darum ging, die Ärzte für die Navy auszuwählen, und war bereits in der Nacht nach Portsmouth aufgebrochen. Eigentlich brauchte man nicht lange, wenn man ritt, doch weil er seine Kinder und seine Frau kaum auf Pferde setzen konnte, musste er in der Kutsche reisen und die brauchte länger.

Als das Schiff in den Hafen einlief, winkten die Kinder bereits von der Reeling und Giulia hob ebenfalls die Hand zum Gruß. Die hatte nichts ihrer Schönheit eingebüßt, seit Nico sie das letzte mal gesehen hatte. Obwohl sie eigentlich Engländerin war, hatte sie ein sehr südländisches Aussehen, langes schwarzes Haar und wunderschöne Augen. Ihr Körper war zierlich und schlank, mit den richtigen Rundungen an den richtigen Stellen, die das Kleid, das sie trug, nur noch mehr hervorhob. Als sie schließlich von Bord ging, während die Kinder ihr vorausstürmten, wusste Nico, dass er keine andere jemals hätte heiraten wollen. Nicht etwa, weil er sie so abgöttisch liebte, sondern weil sie das Ebenbild der perfekten Ehefrau war. Ungestüm wie Nico selbst, rannten ihm seine Kinder entgegen und er nahm sie beide auf den Arm - auch wenn das langsam immer schwerer wurde, denn auch sie waren in seiner Abwesenheit wirklich sehr gewachsen.

Als seine Frau bei ihm stand, verneigte er sich leicht vor ihr und küsste ihre Hand sanft und zärtlich, ehe er ihr den Arm bot, um ihr beim Einsteigen in die Kutsche zu helfen. Ihr Gepäck und die beiden Dienstmädchen, die sie begleitet hatten, würden kurz darauf nachkommen.

Die Fahrt gehörte definitiv ihren Kindern. Sie haten ihrem Vater viel zu erzählen und das plötzliche Familienglück beruhigte Nico angesichts der politischen Lage etwas.

Als sie den Hof erreichten, wurden sie von Alessandro und einem Teil der Belegschft empfangen, die sich freuten die Dame des Hauses wieder bewirten zu dürfen. Giulia ließ es sich nicht nehmen, alle zu begrüßen und auch die KInder durch diese Prozedur zu zwingen, ehe sie sie laufen ließ und die Wirbelwinde mit den Kindern der Angestellten sofort in alle Himmelsrichtungen davonstoben.

Andere Kinder wurden sehr streng erzogen, doch Giulia und Dominico suchten den rechten Ausgleich für den Unterricht, dem sie beiwohnen mussten, und Nico hatte schon das Gefühl, dass Giulia alles richtig machte.

Alessio geleitete sie in den Wintergarten, wo Giulia sich ersteinmal setzen und ausruhen konnte - allerdings nicht sonderlich lange. Nico hatte sich neben sie auf das Sofa fallen lassen, während der Kardinal, in roter Robe diesesmal, auf einem Sessel platznahm. Über die Reise sprachen sie nur kurz, ehe beide Männer Giulia bereits berichteten, welche Probleme es derzeit im Palast und am englischen Hof gab.

Giulia war sehr wissbegierig, was das anging. Klatsch erreichte sie in Rom kaum, nur römischer Klatsch eben - und sie liebte den englischen Hof, auch wenn sie Rom zum Leben vorzog. Sie war eine kluge Frau und erkannte schnell, dass ihre Anwesenheit durchaus auch gefährdet war - und versprach daher, wenn auch schweren Herzens, sich bereit zu halten, überstürzt abzureisen, wenn es nötig sein sollte. Außerdem versprach sie, sich zurückzuhalten was Henry anging und stattdessen zu versuchen, eine Freundin für Anne Boleyn zu werden, um damit den beiden Brüdern zumindest aus dieser Ecke den Rücken zu stärken. Es war nicht unsinnig, auch Anne gegenüber ihrer Familie milde zu stimmen, wo die Frau doch eigentlich wusste, dass beide Brüder sie zumindest nicht über alle Maßen schätzten.
 

So verging die Woche beinahe rasend schnell und die Abende im Palast und zu Hause reichten kaum, um über all die Dinge zu reden, die sich ansammelten, wenn man in zwei Welten lebte. Und so wenig er es auch zugeben wollte, Nico merkte wie sehr ihm dieser Rückhalt, den seine Frau ihm als Freundin gab, fehlte. Sie konnte sich auf seinem Parkett bewegen wie er und wusste, wann und wo das Richtige zu sagen war. Sie war ein unersetzbarer Teil seines Lebens... auch wenn die Liebe zwischen ihnen nie wirklich bestand gehabt hatte.

Auf einer der letzten Sitzungen mit Thomas Howard am Mittwoch, erfuhr Nico schließlich die Namen der ausgewählten Studenten für die Navy und wunderte sich nicht wirklich, dass Kieran darunter war. Es fuchste ihn ziemlich, während er andererseits beinahe froh darum war. Er vermisste den jungen Mann schrecklich, und auch wenn er wusste, dass seine Frau Mätressen oder leichte Jungs in seinem Bett tolerierte - er brauchte keine weiteren Gerüchte in ihrer Anwesenheit. Die Zeiten waren zu gefährlich... wirklich zu gefährlich. Nico beschloss, auf dem Rückweg bei Mr. Forbes vorbeizuschauen, um Kieran einfach förmlich zu gratulieren. Vielleicht bekam er die Gelegenheit, kurz unter vier Augen mit ihm zu sprechen, denn jeder Brief von seiner Familie wurde mit Sicherheit doppelt und deifach geprüft. Er hoffte es einfach, denn anders würde er kaum an Kieran herankommen, zumindest nicht solange seine Frau da war... Und bald war Kieran für eine lange Weile unerreichbar weit fort.

Als er am Nachmittag die Apotheke erreichte, traf er auf einen verwunderten Apotheker, der berichtete, Kieran sei mit John bereits zum Anwesen vorausgeritten, um wegen der Medikamentenlieferung für Portsmouth im Labor zu arbeiten. Nico rutschte das Herz in die Hose.

Mr. Forbes erwähnte, dass Kieran ihm geschrieben hatte. Doch Nico erklärte, dass er Dr. Chambers die Woche über nicht gesehen habe. Danach bedankte er sich und ging, er würde Kieran ja auf dem Anwesen treffen. Hoffentlich. Wenn er noch nicht die Flucht ergriffen hatte.
 

Alessandro und Giulia

Auf dem Anwesen war die Familie tatsächlich nicht anwesend, denn während Dominico sich mit dem König besprach, hatte Alessandro Giulia zur Messe begleitet. Sie kamen gegen Mittag zurück und Alessandro half Giulia gerade aus der Kutsche, als Amadeo an ihn herantrat. "Eure Eminenz, Mylady, ich möchte euch ausrichten, dass Kieran Carney und John Forbes hier sind, um im Labor zu arbeiten. Sie beliefern die Navy seiner Majestät mit Medikamenten. Nur dass ihr euch nicht wundert, wenn ihr Fremde in eurem Kräutergarten seht." Er verneigte sich kurz und trat dann wieder zur Seite, während Alessio seinen Seitenblick durchaus einfing. Nico war offensichtlich nicht da... sonst hätte Amadeo das erwähnt. Giulia indess musterte Alessandro neugierig. "Wer sind die beiden? Ich kenne sie gar nicht." Alessio rang sich zu einem Lächeln durch. Na prima, jetzt blieb das an ihm hängen.

"Kieran Carney ist der Schützling deines Mannes. Dominico hat auf Wunsch von Dr. Chambers einen Font eingerichtet, der dem jungen Mann das Medizinstudium finanziert. John Forbes ist der Sohn des Apothekers Forbes, ihn kennst du vielleicht noch." Giulias Gesicht verriet, dass sie versuchte sich zu erinnern - es schien ihr zu gelingen. "Ah, schön! Endlich tut mein Gemahl mal etwas Sinnvolles mit meinem Geld." Alessio stieß sie leicht an und Giulia lachte. "Ich möchte sie kennenlernen! Jetzt gleich. Ich liebe Ärzte, das weißt du doch."

Ja, natürlich liebte sie Ärzte... Frauen. Innerlich verdrehte Alessandro die Augen. Aber Giulia hatte bei der Einrichtung dieses Kräutergartens immerhin mitgewirkt und war selbst nicht ganz auf den Kopf gefallen, also konnte Alessio sie nicht davon abhalten. Gemeinsam mit ihr machte er sich auf dem Weg zum Labor, wo sie freudestrahlend und neugierig bald darauf eintrat, um die beiden jungen Männer zu begrüßen, während Alessandro mit einem weniger begeisterten Gesichtsausdruck hinter ihr durch die Türe in den Kräutergarten trat.
 

Kieran

Kieran war zufrieden mit der Entwicklung der Verletzungen, die er am Wochenende behandelt hatte. Allerdings war er auch unzufrieden mit der Situation. Er hasste es, halbe Sachen zu machen. Und er merkte mehr und mehr, dass diese Arbeit hier auf dem Anwesen, eigentlich keine Arbeit war, die man an ein-zwei Tagen in der Woche erledigen konnte. Das wurde den Menschen, die letztlich ja auf seine Hilfe angewiesen waren, nicht gerecht. Er versorgte noch einen Jungen, der eine Augenentzündung hatte. Offensichtlich hatte er etwas ins Auge bekommen und Kieran wusch die Augen mit Kamillenwasser aus und ordnete an, das die nächsten Tage zu wiederholen.

Als er mit Niamh, die er endlich mal wieder hatte reiten können, zurückkehrte, war er etwas erschöpft und der Vormittag war bereits vorangeschritten. Noch bevor er zu John zurückkehrte, stattete er dem jungen Hengst, den Dominico ihm in Spanien gekaut hatte, einen Besuch ab, wie er es immer tat. Auch für ihn hatte er letztlich viel zu wenig Zeit. Er würde gerne eine bessere Verbindung zu dem Tier aufbauen, das nächstes Jahr unter den Sattel kommen sollte. Allerdings kümmerten sich die Pfleger auch gut um ihn und holten ihn immer wieder mal von der Weide, um mit ihm Bodenarbeit zu machen. Zeit - ein wirklich kostbares Gut. Und Kieran nervte es, so wenig zu besitzen. Aber er wusste auch nicht, wo er abstriche machen sollte, um mehr Zeit zu gewinnen.
 

"Und?", fragte er, als er zu John ins Labor kam. "Hast du dich zurechtgefunden?" John nickte leicht und konzentrierte sich auf die Messbecher, während er die Flüssigkeit umfüllte. Kieran sah sich um und sah, dass John bereits soweit fertig war mit der Zubereitung des Schlafsaftes, dass sie sich gleich mit dem nächsten würden befassen können. und so ging er in den Kräutergarten, um die passenden Kräuter für eine wundheilende Salbe zu besorgen. Ob er Nico heute überhaupt sehen würde? Jener musste doch gewusst haben, dass er kam und war nicht hier. Vielleicht hatte er bei Hofe zu viel zu tun. //Mit Tennisspielen...//, fügte er in Gedanken hinzu. Irgendwie hatte dieses Erlebnis ihn geprägt. Klar wusste er, dass da weit mehr dazu gehörte und er würde definitiv nicht mit Nico tauschen wollen, aber dennoch.

Vertieft in seine Arbeit, die Kräuter so zu schneiden, dass die Pflanze in dieser Wachstumsperiode noch einmal austrieb, fuhr er erschrocken herum, als er ein leises Räuspern hörte und hinter sich zwei Personen stehen sah, deren Schritte er nicht vernommen hatte. Die eine Person hatte Dominicos Statur in etwa. Aber er konnte das Gesicht nicht erkennen, da er gegen die Sonne blickte, die andere Person war eine Frau. Kieran legte die Kräuter sorgfältig in den Korb, den er migenommen hatte, und legte das Messer bei Seite, bevor er aufstand und nun erkannte, dass es sich nicht um Dominico sondern seinen Bruder handelte. "Eure Eminenz", begrüßte er Alessandro und verneigte sich, wie erwartet, dann wendete er sich der Frau zu, die man wohl als Schönheit bezeichnen musste. Selbst er war angetan von ihrem Aussehen, das durch kluge Augen in einem perfekten Bild erschien. "Mylady...", er verneigte sich auch ihr gegenüber und richtete sich leicht auf, als er vernahm, was er irgendwie im ersten Moment bereits gedacht hatte. Das war Dominicos Frau!

Kieran funktionierte, wunderbar. Aber hätte man ihn gefragt, was er gerade dachte und fühlte, würde er wohl nicht fähig dazu sein, das zu beantworten.

"Mylady Sforza", fuhr er nun, da er ihren Namen kannte, fort. "Euer Mann hat mir als seinem Hofarzt die Erlaubnis gegeben, die Räumlichkeiten des Labors und der Praxis zusammen mit meinem Freund und Komilitonen John Forbes zu benutzen. Ich hoffe, wir stören Euch nicht, ansonsten werden wir sogleich nach London zurückreiten." War das nicht gerade mehr ein Wunsch, hier weg zu können, als die reine Höflichkeit, nicht stören zu wollen. Er wusste es nicht so genau. In ihm ging es drunter und drüber und er konnte kaum umhin, als dieses Geschöpf zu betrachten, das wohl alle weiblichen Reize besaß, die einen Mann faszinieren mochten. Selbst bei ihm kam ein wenig der Beschützerinstinkt auf, obwohl er nicht wesentlich größer war als sie. Kieran zwang sich Alessandro Sforza anzusehen, dann blickte er wieder zu ihr. "Der Kräutergarten, den mein Vorgänger angelegt hat und der vom Personal so liebevol gepflegt wird, ist unfassbar großartig", sprach er einfach weiter, weil er irgendwie gerade nicht richtig wusste, wie er mit der Sitatuion umgehen sollte.

Da stand doch tatsächlich Nicos Frau vor ihm. Kein Wunder, dass Nico sich nicht bei ihm gemeldet hatte. Und selbst wenn Kieran nächstes Wochenende und das darauf und das darauf hier wäre, er würde Dominico definitiv nicht mehr sehen, bevor die Frau nicht abgereist war. Und wann hatte Nico gedacht, ihm das zu sagen? In drei Monaten vielleicht, wenn die Frau nach Italien zurückkehrte und Dominico wieder alleine in seinem Bett lag? Kieran schluckte bei dem Gedanken. Das Bett... Wieder sah er Alessandro an und nahm derweil Haltung an.

Jener hatte ihn darauf hingewiesen, dass diese Situation irgendwann kommen würde. Nun, jetzt war sie da. Aber er wäre geren darauf vorbereitet worden. Er empfand nicht unbedingt Eifersucht auf die Frau. Er wusste ja, dass Nico und sie eigentlich keine Liebe sondern vielmehr Freundschaft verband. Und doch war der Gedanke, welche Rechte die Frau an Nico hatte, gerade wirklich schmerzhaft.

"Darf ich Ihnen meinen Kollegen vorstellen", er deutete auf die Tür, durch die man ins Innere gelangte. Und gemeinsam gingen sie hinein, wo John dabei war, die benutzten Gegenstände wieder zu reinigen und alles für die Wundheilcreme herzurichten. "Das ist John Forbes", erklärte Kieran. "Der wohl beste Alchimist, Pharmazeut und Giftmischer, den man sich vorstellen kann." Ein Lächeln lag in seiner Stimme bei diesen Worten. Aber so recht war sein Lächeln nicht vorhanden. "Morgen werde ich mit einer Delegation von Jungärzten zur königlichen Flotte hinzustoßen und dort weiter ausgebildet werden. Dafür fertigen wir gerade Arzneien, die an Deck der Schiffe von Nöten sein werden." Vielleicht war es gut, wenn sie wusste, dass er eh bald weg wäre.
 

Alessandro und Giulia

Als sie in den Garten kamen, hockte Kieran in einem Beet und umsorgte die Pflanzen. Alessandro räusperte sich, um ihn auf sich Aufmerksam zu machen und Kieran hatte ersteinmal mit dem Gegenlicht zu kämpfen, so dass Giulia schon fast bei ihm angekommen war, als Kieran erkannte, wen er da vor sich hatte. Und so wie Kierans Augen plötzlich einfroren, hatte er definitiv nicht mit Giulia gerechnet. Alessio spürte, wie etwas in ihm sehr starkes Mitleid für den jungen Mann aufbrachte. Da hatte Nico wirklich massiv etwas versäumt. Vielleicht hatte er es wirklich nur vergessen, aber das war schon hart.

Pflichtbewusst stellte Alessandro seine Schwägerin vor, die lächelnd vor Kieran den Kopf neigte - dennoch war auch ihr der seltsame Blick der kurz in Kierans Augen gewesen war, nicht entgangen. "Oh selbstverständlich! Unser Dottore kam vor einigen Wochen in Rom an. Ihm tut das warme Wetter wirklich sehr gut und im Vatikan kann er seine Studien niederschreiben - es ist wundervoll zu sehen, dass Dominico zwei so jungen Männern die Chance gibt, all das zu erben." Sie kokketierte, definitiv. Und Alessio wusste, dass er das stoppen musste, denn Kieran war defintiv der falsche Mann. Sie gingen hinein, wo John gerade herumwerkelte. Alessio rümpfte etwas die Nase, es roch zwar nicht streng aber fremd. Naja.. Ärzte eben.

Giulia tanzte förmlich in den Raum hinein, besah sich dies und das ohne etwas zu berühren und kam strahlend zu John, um ihn zu begrüßen. "Oh, es ist mir eine Freude, euch kennen zu lernen. Vielleicht muss ich eure Dienste ja auch mal in Anspruch nehmen - England schlägt mir schon jetzt furchtbar auf den Magen." Sie kicherte und besah sich all die Dinge, die die beiden herrichteten. "Wenn ihr irgendetwas braucht, dann wendet euch an Amadeo. Ich werde dafür sorgen, dass ihr alles bekommt, was ihr für diese ehrenhafte Aufgabe braucht. Ich bin noch immer ganz begeistert davon, dass das alles hier erhalten bleibt." Sie war ehrlich erfreut, denn Nico hatte sich nie all zu sehr darum gekümmert. Ihr Blick glitt wieder zu Alessio, dessen Gesichtsausdruck irgendwie gequält wirkte. Sie kam zu ihm zurück und stieß ihn leicht an. "Vielleicht solltest du selbst auch mal das ein oder andere Mittel versuchen - du machst schon ein Gesicht wie deine scheintoten Kollegen im Vatikan." Sie meinte es lustig, doch Alessio war nicht zum Lachen zu Mute, weil er wusste, dass Nico noch nicht so bald kommen würde und er die Bombe platzen lassen musste, bevor Giulia versuchte zu sehr mit Kieran oder John zu flirten. "Giulia..", ermahnte er sie sanft und leise "non è certo un buon momento, ma lui è l'uomo che il tuo uomo..." Er brach ab, doch sein Blick sagte, was Giulias Mann mit diesem Mann dort normalerweise tat.

Giulia entgleiste für einen Augenblick das Gesicht, während Alessio sich zu einem Lächeln zwang. "Oh.. Non ha dirgli che vengo?" Alessio zuckte die Schultern zum Zeichen daür, dass er keinen blassen Schimmer hatte. "Ich dachte eigentlich schon aber.." Nun, was sollte das? Er konnte doch mit Kieran reden, der immerhin im Raum stand. Das hier war ein offenes Geheimnis und wenn John es nicht wusste - was Alessandro kaum glaubte - dann würde er es eben jetzt erfahren. "Hat er dir gesagt, dass sie hier sein wird?"

Giulia drehte sich langsam wieder zu den beiden Männern und machte einen ziemlich zerknirschten Eindruck - wenn sie das gewusst hätte, wäre sie vermutlich weniger offensiv an die beiden Ärzte herangegangen. Und außerdem musste auch sie gestehen, dass es schon ein wenig dreist von Nico war, es ihr nicht selbst zu sagen und vor allem den jungen Mann dieser Situation auszusetzen. Sie selbst war am Hof groß geworden, dass sich Mätressen die Kleider gegenseitig liehen, war ihr nicht unbekannt und sie nahm es Nico nicht böse. Sie betrog ihn in Italien mit seinem Wissen immerhin auch nach Strich und Faden... Doch bei allem musste man ehrlich bleiben.
 

Kieran

Kieran war überfordert, definitiv. Das Gehabe der eigentlich wirklich sehr sympathischen Frau wirkte fast, als wolle sie mit ihm flirten. Nein, es schien nicht nur so, es war auch so. Das merkte er deutlich, als sie ins Innere gingen und sie um John tänzelte, der bei Frauen wirklich gut ankam, weil er so groß war und weil er so makellos war.

Dieser konnte auch gut mit Frauen umgehen, was Kieran insgeheim immer bewunderte, und ging auch gleich auf die Vorlage ein, die ihr die Dame des Hauses gab. "Ich kann mir gut vorstellen, dass euch die englische Lebensweise auf den Magen schlägt. England fehlt neben der Wärme definitiv meist auch die Würze!" Er lächelte sie einnehmend an, sah dann aber besorgt zu Kieran, der so gar nicht lächeln konnte, während Mylady zu Alessandro trat. Sicher, er konnte die Dame zumindest von Kieran ablenken, aber sonst? Aber auch der Kardinal schien nur gequält lächeln zu können.

Kieran merkte, dass der einzige hier im Raum, der wirklich etwas gegen Übelkeit brauchte, er selbst war. Ihm war das furchtbar unangenehm und hätte er auch nur einen Hauch einer Ahnung gehabt, wäre er bestimmt nicht hier. Nur wie konnte er jetzt gehen, ohne dass es auffiel? Sie würde doch Verdacht schöpfen, wenn er schier floh, und dann? Lieber nicht riskieren, dass sie begriff, wer er war. Nico hatte keine Geheimnisse vor seiner Frau, soviel wusste er. Aber er wusste nicht, ob er selbst da nicht doch eine Ausnahme war. Er wusste ohnehin sehr wenig, fiel ihm gerade auf. Redete Nico eigentlich nur mit ihm, wenn es gar nicht anders ging? Neben der Übelkeit kam nun die Wut hoch. Er wusste, dass es ungerecht war, denn Nico war eigentlich immer ehrlich zu ihm gewesen - dachte er zumindest. Aber - na und? Dann war er jetzt eben ungerecht! Mag sein, dass er immer ehrlich zu ihm war. Das hieß ja nicht, dass er ihm wirklich auch alles erzählte. Heute war der Beweis: Nico hatte ihn ja ins offene Messer laufen lassen...

Doch offenbar hatte Alessandro andere Pläne als Kieran. Denn der schien lieber klar machen zu wollen, dass Kieran der Liebhaber von Dominico war. Und wieder einmal hatte er das Gefühl, einfach nur ein billiges Stück Fleisch zu sein. Er war eine Affäre, nicht mehr und nicht weniger. Und sicher, ihm war das immer bewusst gewesen - theoretisch. Seine Mutter hatte es ihm klar gemacht, John, ja sogar Alessandro, aber es jetzt hier so zu spüren zu bekommen, war definitiv etwas anderes. Und doch war das der ausschlaggebende Punkt, dass er wieder seine Fassung fand und Haltung annahm. Eben, er hatte gewusst, dass er niemals Nico für sich alleine haben würde, dass es eine Frau gab, dass die gesellschaftliche Stellung ihm immer vorzuziehen war. Und daher sah er die beiden an, die sich auf Italienisch über den Umstand, in dem sie sich befanden, austauschten. Dass Lady Sforza ebenfalls ziemlich überrascht war, war klar gewesen. Als Alessandro ihn fragte, ob Nico ihn informiert hätte, antwortete Kieran höflich: "Nein, Eure Eminenz." Er zwang sich zu einem Lächeln. "Ich habe ihm eigentlich geschrieben, dass ich heute käme, aber er hat nicht geantwortet. Da es eigentlich schon abgesprochen war, dachte ich, es ginge in Ordnung. Ich hätte nicht einfach kommen dürfen. Es ist meine Schuld." Er sah kurz zu John, dann wieder zu den beiden anderen, blickte Giulia direkt an. "Es ist wichtig für die Apotheke, dass John die Arzneien heute hier herstellt. Ich werde gehen. Es tut mir furchtbar Leid, Euch in eine solche Situation gebracht zu haben." Er verneigte sich leicht. "Aber bitte erlaubt meinem Freund, hier weiterarbeiten zu dürfen. Er hat damit nichts zu tun." Damit richtete er sich wieder auf und blickte zu John. 'Du kommst allein zurecht?' - bedeutete sein Blick und jener nickte, dann drehte er sich um und ging aus dem Haus.

Als er sich sicher war, dass er nicht mehr im Blickfeld war, ging er zügiger weiter. Er hatte Niamh zwar heute schon geritten, aber er hatte das dringende Bedürfnis, sie jetzt mit zu sich zu nehmen und auch nach Portsmouth, wohin er gleich morgen reiten würde. Nur weg hier, weit weg, das war alles, woran er denen konnte.
 

John blickte Kieran einen Moment hinterher und hatte das Gefühl, ihm eigentlich nachgehen zu müssen. Aber es war wichtiger, hier zubleiben und wirklich weiterzuarbeiten. Kieran würde auch nichts anderes akzeptieren. Später würde er zu ihm gehen und ihm helfen, damit zurecht zu kommen. Was für eine beschissene Situation. Und der Groll gegen Dominico wuchs in ihm. Dieser Idiot hätte ihm doch irgendwie sagen können, dass da seine Frau käme. Das ganze Wochenende den Kleinen in seinem Bett durchvögeln, aber nicht den Anstand besitzen, ihn darauf vorzubereiten, dass seine Frau käme. Wie konnte man nur so wenig an den anderen denken! Er war spachlos.

"Ist es wirklich in Ordnung, wenn ich weitermache?", fragte dieser nun die beiden. Zur Not würde es auch zu Hause gehen. Das würde die Medikamente nun einfach teurer machen.
 

Alessandro und Giulia

"Es ist nicht.." Doch weiter kam Giulia nicht, da war Kieran schon aus dem Labor geflohen und auf und davon. In ihrem leichten Kleid hätte sie ihm unter minimaler Aufopferung ihrer Würde sicher nachrennen können, doch das erschien ihr nicht richtig - wenn Kieran gehen wollte, war es sein gutes Recht zu gehen. Stattdessen richtete sich ihr leiser Groll jetzt gegen Alessandro. "Du hast manchmal wirklich das Feingefühl eines Schmiedehammers! Da unterscheidet ihr beiden euch wirklich nicht das geringste Bisschen!" In einer typisch italienischen händeringenden Geste riss Alessio die Arme nach oben, um anzuzeigen, dass er ja wohl kaum etwas dafür konnte, doch Giulia ließ sich nicht beirren. "Dominico soll nur mal nach Hause kommen, dem werd ich was erzählen.. der arme junge Mann!" Giulia hatte ehrliches Mitleid. Sie kannte diese Position nur zu gut, in der Kieran sich gerade befand, und zwar noch eine Etage höher.

Während der König Anne noch nicht gekannt hatte, war er immer gern zu Giulia gekommen, oder besser, hatte sie zu sich bestellt. Irgendwann hatte er den Gefallen an ihr verloren und sie war durch eine andere ersetzt worden - davon ganz abgesehen, dass Henry sie auf Empfängen stets ignoriert hatte. Dieses Gefühl, nur die zweite Wahl zu sein, war schrecklich, selbst wenn eigentlich alle Treueschwüre der Welt das Gegenteil behaupteten. "Ich möchte wirklich wissen, was hier in England in euch gefahren ist..."

Alessio fand zumindest die Sprache wieder, um sich zu verteidigen. "Hey, du bist hier reingestürmt wie ein Wirbelwind und hast dich den beiden an den Hals geworfen, was hätte ich denn tun sollen? Darauf warten, dass er dir selbst sagt, dass er das nicht wünscht? Peinlicher geht es doch kaum!" Giulia winkte entschieden ab. "Na und, was erwartest du? Ich schlafe Nacht für Nacht neben einem Mann, der mich aus Gründen, die ich jetzt kenne und verstehen kann, nicht mehr anrührt. Ich bin eine Frau in den besten Jahren, lieber Alessandro, ich verzichte sicher nicht gern auf meine ehelichen Freuden", gab sie zurück und störte sich nicht im geringsten daran, dass John noch immer anwesend war. Allerdings fiel er ihr wohl gerade wieder ein, denn sie wandte sich ihm erneut zu. "Selbstverständlich ist es in Ordnung, wenn ihr hier arbeitet. Und um Gottes Willen, auch Mr. Carney darf hier wann immer er das möchte ein und aus gehen. Ich weiß selbst nicht, was meinen Mann dazu bewogen hat, aus dieser Sache so ein Staatsgeheimnis zu machen... Es tut mir schrecklich leid, dass ich so überschwänglich gewesen bin." Das schien ihr wirklich peinlich zu sein.

Alessandro derweil konnte kaum fassen, welches Glück sein Bruder mit dieser Frau hatte. Sie war klug und über die Maßen verständnisvoll gegenüber den Gelüsten ihres Mannes, die sie im Laufe der Ehe nur zu gut kennen gelernt hatte... Nico verdiente das kaum, zumindest glaubte der Kardinal das manchmal. "Mr. Forbes..?" Wandte sich Giulia noch mal an John, der immer noch am Tisch stand. "Wenn Ihr in der nächsten Zeit öfter hier seid, dann... Ich würde Mr. Carney gerne schreiben. Ich möchte das aufklären, versteht Ihr? Das sollte wirklich beredet werden, von mir zu ihm. Ohne meinen Mann. Das ist seine Sache, wie er das klären will. Doch ich bin wirklich sehr an der Medizin interessiert und glücklich darüber, dass mein Mann sich, aus welchen Gründen auch immer, entschieden hat, sein Geld dort zu investieren, wo es wohl gebraucht wird. Also.. würdet Ihr ihm einen Brief überbringen, wenn ihr ihn noch einmal seht oder die Medikamente nach Portsmouth liefert? Und richtet ihm wirklich meine Entschuldigung aus. Es ist mir schrecklich peinlich und ich kann euch versichern, dass ich mir dieses Kind, das meint, mit allem Spielen zu können, wirklich noch einmal vorknöpfen werde!" Und damit meinte sie niemand anderen als Nico.. Alessio hatte schon beinahe soetwas wie Mitleid.
 

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Dominico

Als Nico am späten Nachmittag wieder auf das Anwesen kam, erwartete ihn tatsächlich eine angesäuerte Giulia, die nicht lange fackelte, ehe sie ihm deutlichst an den Kopf warf, was sie davon hielt, Ehefrau und Mätresse so nichtsahnend aufeinander prallen zu lassen. Nico hatte keine Antwort, keine Ausrede und keine Erklärung. Er habe vergessen, dass Kieran kommen wolle wegen all des Trubels im Palast und den Brief von Dr. Chambers nicht erhalten. Er versprach, Kieran sobald er die Zeit fand, zu schreiben oder sogar nach Portsmouth zu reisen, um ihn zu besuchen - denn Giulia verdonnerte ihn förmlich dazu, nachdem Nico zugegeben hatte, dass ihm etwas an Kieran lag. Doch all das war viel einfacher gesagt als getan. Henry hatte ein Sommerturnier anberaumt und Nicos Pferde waren nicht trainiert genug. Hinzu kam Cromwells Intrige und die Vorbereitungen auf einen Krieg gegen Frankreich und eine Rückeroberung der Herrschaft auf See - Nico hatte keine Zeit. Und vielleicht wollte er sich auch keine nehmen. Er dachte zwar oft an Kieran, doch gerade waren da seine Kinder und seine Frau... und Kieran hatte in Portsmouth eine Aufgabe. Wenn Kieran wieder kam und seine Familie abreiste, dann konnten sie sich doch immer noch zusammensetzen und darüber sprechen, oder? Jetzt war es sehr gefährlich für alle Beteiligten. Und vielleicht war sich Nico seiner Sache auch eine Spur zu sicher.

An Deck - Ankunft auf der Raashno

Kieran

Kieran kam sich noch immer vor wie ein Idiot. Er lag die ganze Nacht wach und fragte sich, wann er eigentlich seinen gesunden Menschenverstand verloren hatte. Seit wann war er so naiv und vertrauensselig, dass er sich so in irgendwelche Wunschträume hat einlullen lassen? Es war unfassbar, wie dumm er gewesen war, zu glauben, Dominico würde ihn besser behandeln als irgendeine Mätresse bei Hofe. Sicher, wenn sie beieinander waren, hatte er das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, ihm wichtig zu sein, geliebt zu werden. Aber Dominico war eben auch nur ein Mann, der definitiv ein guter Schauspieler war. So viele hohle Worte - er konnte es kaum fassen und wollte es auch kaum glauben. Warum um alles in der Welt, behandelte er ihn so? Womit hatte er das verdient?

Johns Erzählungen, was geschehen war, nachdem er gegangen war, hatten ihn zumindest etwas beruhigt. Aber dieses abscheuliche Gefühl in ihm blieb. Mylady musste sich wohl sehr über Dominico geärgert haben, hatte dieses Verhalten ihres Mannes nicht entschuldigen wollen. Außerdem hatte sie ihnen weiter erlaubt, dort zu arbeiten, was für John in jedem Fall wichtig war. Und sie hatte John gebeten, ihm möglichst bald einen Brief schreiben zu dürfen. Kieran war gespannt, was darin stehen würde. Wobei Johns Schilderung darauf schließen ließ, dass sie ihm erstaunlicher Weise wirklich in keine Vorwürfe machte, sie auch offenbar kein Problem damit hatte, dass ihr Mann mit einem anderen Mann eine... ja... Affäre hatte. Und das passte wiederum zu dem, was Kieran von ihr wusste. Und dass die beiden offenbar in einem Bett schliefen, aber Nico sie nicht anrührte... Ganz ehrlich? Bei so einer Frau? Das konnte er sich nicht vorstellen! Netter Versuch von ihr, ihn beruhigen zu wollen, aber das glaubte er definitiv nicht!

Kieran drehte sich einmal mehr um, blickte in Johns Gesicht, der neben ihm lag und schlief. Er war erst spät gekommen und hatte sich einfach zu ihm gelegt. Sie hatten noch geredet, doch nach dem Tag im Labor war er fix und fertig gewesen. Er roch nach Oleander, was Kieran wieder weniger mochte. John probierte sich gerade an einem Schlafmittel, das sich auch auf den Blutkreislauf auswirkte, so dass man fast meinen konnte, der Schlafende sei tot. Kieran wusste nicht, ob das wirklich funktionierte und gesund war. Er äußerte die Bedenken, dass jemand mit schwachem Herzen unter Umständen dabei wirklich sein Leben ließ. John hatte ihm versprochen, vorsichtig zu sein. Aber irgendwie schmeckte Kieran die Geschichte nicht.

Seine Gedanken glitten wieder zu Dominico, der wahrscheinlich gerade in seinem Bett mit seiner Frau lag und entspannt und befriedigt schlief. Dieses Bild quälte ihn, mehr als er geglaubt hatte. Er musste wohl abwarten, was passierte. Von Mr. Forbes wusste er, dass Dominico am Nachmittag hier gewesen war. Er hatte seinen Brief nicht bekommen. Und dennoch! Es war ausgemacht gewesen... Er begriff es nicht.

Aber Nico würde sich erklären müssen - dringend. Wenn er sich ihm nicht erklärte oder sich nicht entschuldigte, dann wusste er auch, was er davon zu halten hatte.
 

Als er am Morgen Aufstand, machte er sich daran, seine Sachen zu packen und zu verstauen. Johns Vater würde bald eine Lieferung nach Portsmouth schicken, da würde er die meisten Sachen mitfahren lassen. Er hatte nur ein gewisses Volumen, wenn er Niamh ritt. Er wartete letztlich den ganzen Vormittag, ob Nico käme, bis John ihm ins Gewissen redete, loszureiten, um nicht in die Dunkelheit zu geraten. Nico kam nicht...

Er erreichte Portsmouth gegen Abend. Am nächsten Morgen hatte sich erst zu melden, also nahm er sich ein Zimmer in einer Pension weiter weg vom Hafen. Er hatte keine Lust, jetzt schon jemandem vom Schiff oder gar Monsieur de Nerac zu begegnen. Und so verbrachte er den Abend mit ein paar Bier und seinen düsteren Gedanken, bevor er zeitig schlafen ging, obwohl er kaum Schlaf fand.
 

Mit dem entsprechenden Brief fand er sich schließlich am Hafen ein, um sich zum Dienstantritt zu melden. Niamh hatte er schon am Tag vorher etwas außerhalb untergebracht. Und nun würde sich zeigen, was diese neue Aufgabe für ihn bereithielt. Er hatte beschlossen, Nico so lange aus seinem Kopf zu verbannen, bis dieser sich bei ihm entschuldigt hatte. Er brauchte seinen Kopf jetzt für sich.
 

Tancrèd

Tancred hatte sich nicht einmal umgezogen. Er war postwendend nach der "Fleischbeschau" in der Universität zurück nach Portsmouth geritten. Erst als er in der Stadt eintraf, das Pferd abgegeben hatte und über die Gangway wieder auf sein Schiff stieg, löste sich das klamme Gefühl in seiner Brust und wich einem befreiten Aufatmen. Beinahe zärtlich strich er über die Reeling, schlenderte über das Deck in Richtung Heck, in dem seine Kajüte lag. "Willkommen zurück an Bord!", tönte von oben der Ruf aus dem Krähennest, das immer besetzt war. Und auch hinter dem Steuerrad lugte ein Matrose hervor, der ihm zuwinkte. Tancred ging nicht weiter darauf ein, er wollte einfach nur diese Klamotten los werden... und dafür musste er nicht sonderlich lange warten. Kaum war er durch die Türe, die zu seiner Kajüte führte, schlug sie hinter ihm mit einem Knall zu. Er atmete tief die abgestandene Luft ein, die daher rührte, dass niemand gelüftet hatte, und schmiss einfach nur seine Kleidung Stück für Stück in die nächste Ecke. Er würde sie einfach in eine Truhe stopfen, später.

Nackt und um gefühlte hunderte Kilo leichter begab er sich an die Fenster, um sie aufzustoßen. Meeresluft strömte herein und das Schiff bewegte sich träge in den Wellen. Tancred grunzte zufrieden.

Wie Gott ihn schuf ließ er sich schließlich vorwärts in die weiche überdimensionale Koje fallen, die eigentlich mehr ein fest im Holzrahmen verbautes Bett war. Er sank hinein und war binnen Sekunden eingeschlafen - ein ruhiger Schlaf, den er in London nicht gefunden hatte und aus dem ihn so schnell auch niemand mehr holen würde, der es nicht mit allen Mitteln versuchte.

Als er am Abend wieder erwachte, sich seine wesentlich bequemeren Hosen und ein Hemd anzog und in die Taverne ging, wurde er bereits von Kadmin und dem größten Teil seiner Mannschaft empfangen. Sie feierten die Rückkehr ihres Kapitäns aus London - naja, sie feierten alles was irgendwie Grund zum Feiern gab. Und doch waren sie auch neugierig auf das, was Tancred zu berichten hatte und als er es erzählte, war bald der ganze Schankraum still. Erst jetzt merkte der Franzose, dass die Taverne äußerst ungewöhnlich vollgestopft mit Menschen war... und er merkte schnell, dass jedes von Henrys Schiffen einige Männer hier untergebracht hatte, um die Neuigkeiten aus erster Hand zu erfahren, die Kadmin nicht schon hatte geben können. Tancred räusperte sich und überlegte schon, die Männer in ihre Schranken zu weisen - lauschen war keine feine Art. Doch er tat es nicht, stand stattdessen auf und berichtete, was er in London erreicht hatte. Keine halbe Stunde später floss das Ale in Strömen - auch wenn er keine Ahnung hatte, warum die Männer sich so freuten, nur weil sie einen leidlich ausgebildeten Arzt an Deck bekommen würden. Tancred fand das alles immer noch verrückt, doch wenn es ihre Moral steigerte, dann würde er ihnen auch einen Pastor fürs Seelenheil auf jedes Schiff verfrachten.
 

Als am Ende der Woche nach und nach die jungen Ärzte eintrudelten, wurde es noch einmal voller in den wenigen Gasthäusern in Portsmouth. Die Stadt blühte regelrecht auf bei diesen vielen Menschen und Tancred sah dem Ganzen amüsiert zu. Ob die Seemänner immer hier bleiben würden, war fraglich, aber es half der Stadt definitiv, sich etwas mehr zu etablieren. Der Markt hatte mehr Angebot und die Bauern erzielten mit ihren Waren höhere Preise.

Er selbst stand an der Reeling seines Schiffes und beobachtete den Hafenplatz, der sich langsam füllte. Mit Seemännern einerseits und Studenten andererseits. Ohne es wirklich zu wollen, musste Tancred anerkennen, dass die englischen Matrosen sich doch deutlich von den Studenten abhoben. Dadurch, dass sie jeden Tag aufs äußerste gedrillt wurden, hatten sie alle ordentlich zugelegt, sahen roher aus und verwegener. Männer, die anpacken konnten - doch gegen Tancreds Mannschaft noch immer ein jämmerlicher Haufen. Thomas Howard war inzwischen auch eingetroffen und man hatte eine kleine Bühne geschaffen, von der aus der Mann verkünden konnte, wer welchem Schiff zugeteilt worden war. Tancred tat sich hier nicht mehr besonders hervor, das war nicht mehr seine Aufgabe. Er hatte am Vorabend mit den diensthabenden Kapitänen der anderen Schiffe gesprochen und ausgemacht, dass jeder Arzt in der Offizierskajüte direkt neben der Kapitänskajüte untergebracht war. Das verbannte zwar unter Umständen den ersten Maat unter Deck, doch man musste bekanntlich Abstriche machen. Die Kammer war im Zweifel auch groß genug für die Versorgung, denn es gab dort wenigstens einen großen Schrank und damit genügend Stauraum, ein Bett und einen Tisch. Außerdem frische Luft und das war das A und O wie Tancred befand. Die zugeteilten Ärzte sollten vorerst ihre Kajüte beziehen, ihre Medikamente und Materialien einräumen und sich dann mit der Mannschaft bekanntmachen. Tancred selbst hatte dann vor, direkt aus dem Hafen zu segeln und einige Manöver zu versuchen, einfach nur, um Kieran an eine Gefechtsatmosphäre zu gewöhnen und zwar gleich am ersten Tag. Den anderen überließ er es, wie sie wollten, doch er war sich ziemlich sicher, dass mehrere Schiffe bereit waren, den Hafen zu verlassen und etwas zu Kreuzen.

Thomas trat gerade vor die Mannschaften und verlas die Liste mit den Namen. Erste Personengruppen bewegten sich zu kleineren Anlegern, verschiedenen Kais oder Booten, die sie zu Schiffen bringen würden, die weiter im Hafenbecken verankert lagen. Von seiner eigenen Mannschaft stand nur Kadmin dort unten, um Kieran in Empfang zu nehmen, der sich bereits etwas hilflos nach dem Schiff umsah. Der große Araber, mit Turbangekröntem Haupt trat an ihn heran und bat ihn, ihm zu folgen.

Tancred beobachtete sie auf dem Weg hierher, Kieran mit seinem Rucksack, dem Arztkoffer und der geschulterten Satteltasche. Viel war es nicht, doch es würde noch genug nachkommen, wenn John Forbes lieferte. Kieran wirkte.. unsicher? Gespannt? Ob er wohl gerade an Dominico Sforza dachte? Tancred schmunzelte leicht als Kieran die Gangway hinter Kadmin erklomm, der hinaufkletterte als sei es eine breite französische Avenue. "Willkommen an Bord, Kieran." Er sprach ihn direkt mit dem Vornamen an - hier gab es keine höfischen Floskeln. Mochten die anderen tun was sie wollten, Tancreds Männer sprachen sich alle mit Vornamen an. Lediglich ihm gebürte der Respekt, in wichtigen Angelegenheiten "Kapitän" genannt zu werden.
 

Kieran

Sein Blick wanderte über den überfüllten und furchtbar chaotisch wirkenden Hafenplatz und unwillkürlich breitete sich ein Lächeln auf seinen Lippen aus. Der Geruch des Meeres, das im Hafen so konzentriert nach Salz, Fisch und Brackwasser roch, erfüllte die Luft und die Möwen kreischten, sich um Fischreste zankend, die von einem Fischerboot etwas weiter weg geworfen wurden. Irgendwie hob dieser erste Eindruck seine Stimmung um einiges. Und dieses Gefühl, das er gerade empfand, versuchte er sich zu bewahren. Er brauchte positive Gefühle, wenn er hier zufriedenstellend arbeiten wollte und auch mit sich zufrieden sein wollte. Und so ließ er die Stimmung auf sich wirken, die so fern von dem elendigen Hof war, der ihm all zu oft die Kehle zuschnürte und ihm die Luft zum Atmen nahm. Hier fühlte er sich freier, auch wenn dieses Gefühl wohl teilweise etwas trügerisch war. Denn auch hier war der Hof anwesend, es gab klare Regeln und das Militär war sicher nichts, was man als "frei" bezeichnen konnte. Und dennoch wirkte das hier gerade alles so auf ihn. Zwischen den Studenten, denen er zunickte, sich kurz mit dem ein oder anderen unterhielt, standen Soldaten, die aufgrund ihrer Kleidung eindeutig der Marine zuzuordnen waren, und Seemänner, die aus fernen Ländern kamen. Sein Blick glitt üder die Schiffe, die direkt am Kai oder weiter draßen im Hafenbecken ankerten und auf einem konnte er Tancred de Nerac ausmachen, 'Nadim', wie er sich damals vorgestellt hatte. Ob er zu ihm gehen würde? Er konnte sich gut an den Blick des anderen erinnern, den sie ausgetauscht hatten im Connors'. Er war an ihm interessiert gewesen, auf irgendeine Art und Weise. Und wenn Kieran ehrlich war, fand er diesen Mann ebenfall interessant. Wenn auch vielleicht nicht auf die gleiche Art, zumindest hatte er sich damals keine Gedanken darüber gemacht. Andererseits, war jener offenbar mit Nico befreundet und, was viel wichtiger war: er wusste von ihm und Nico - was auch immer das in diesem Moment war. Und das wiederum konnte ihm viel mehr Ärger bringen, als ihm vielleicht lieb war. Er würde immer aufpassen müssen, was er sagte, stand sicher unter Beobachtung. Vielleicht wäre es da besser, auf ein Schiff zu kommen, wo man ihn nicht kannte, wo er einfach nur der Arzt war, der sich um die Soldaten kümmerte.

Kieran schulterte die Satteltasche mit seinen Klamotten und persönlichen Sachen. Sein Arztkoffer war berstend voll und schien fast zu platzen, so dass er ihn einfach abstellte, um ihn keiner unnötigen Belastung auszusetzen.

Und nun erhob Thomas Howard seine Stimme und verlas die Zuteilung.

Kieran wusste nicht, welches Schiff es war, dessen Namen 'Raashno' war. Und so blickte er sich etwas irritiert um, als ein Maure auf ihn zutrat und ihm erklärte mit ihm kommen zu dürfen. Und Kieran war alles andere als überrascht, dass er ihn auf jenes Schiff brachte, auf dem Tancred stand. Er merkte, dass die Gelassenheit ein wenig wich. War das nun positiv oder negativ? Immerhin war er zumindest auf dem Schiff, das am meisten zu sagen hatte. Aber eben auch mit jemandem zusammen, der unter Umständen zu viel wusste.

Er folgte dem viel größeren Araber den Steg nach oben an Board und blickte Tancred lächelnd an und fand es angenehm, geduzt zu werden. Aber bedeutete das, dass er auch duzen durfte? Er war unsicher. Bei Hofe ging das einfach mal gar nicht. "Danke", sagte er und fügte ein "Monsieur de Nerac" hinzu. Er verneigte sich dem Stand entsprechend und merkte, dass die Crew, die an Deck stand, grinsen musste. Sicher, er machte sich gerade wahrscheinlich einfach nur lächerllich. Aber er konnte ja nicht einfach von Dingen ausgehen, die er erhoffte, nicht wahr?

Er richtete sich wieder auf und blickte Tancred an. "Darf ich mein Zeug loswerden, bevor ich mich der Mannschaft vorstelle?", fragte er nun wesentlich entspannter. Er war höflich gewesen, oder? Und jetzt konnte er sich so verhalten, wie er es für richtig empfand, angesichts der Männer, die barfuß um ihn standen und dem Kapitän, der hinsichtlich der Klamotten sich nur bedingt vom Rest unterschied. Kieran überlegte kurz, ob man ihn als Kapitän erkennen würde, wenn man es nicht wüsste. Aber ja, das würde man wohl. Er hatte eine gewisse Ausstrahlung, eine natürliche Autorität, die man deutlich wahrnahm.
 

Tancrèd

Als Kadmin das Schiff mit Kieran betrat, nahm niemand der Männer Haltung an. Auf den anderen Schiffen verhielt sich die Sache etwas anders, nicht aber bei ihnen. Kieran wirkte unsicher. Gefangen in höfischen Benimmregeln, die ihm, wie Nadim sich dachte, sicher ganz und gar nicht gefielen, war er jetzt nicht sicher wie er sich am besten gegenüber seinem neuen "Maestro" zu verhalten hatte. Und von allen Namen, die er hätte benutzen können - Mylord, weil Tancred adelig war, Kapitän, weil er das nun mal wegen des Schiffes war, oder Admiral, weil das wohl der äquivalente Rang gewesen wäre - benutzte er die französische Anrede. Während Tancreds Gesicht einen beinahe säuerlichen Ausdruck annahm, brach die Mannschaft um sie beide herum in prustendes Gelächter aus. Und es nahm kein Ende. Nadim atmete tief durch und räusperte sich - der französische Dialekt, den er leider immer hatte, half nicht gerade, die Gemüter zu beruhigen. "Kapitän reicht vollkommen. Oder wenn es informell sein sollte - Nadim. Das ist mein Name auf diesem Schiff und ich will keinen anderen hören", erwiderte er in einem Tonfall, der es beinahe wie einen Befehl klingen ließ. "Das hier ist meine Mannschaft - wie du dir unschwer denken kannst. Du wirst sie nach und nach kennen lernen, ich halte mich nicht damit auf, sie dir einzeln vorzustellen. Du sollst nur die kennen, auf deren Entscheidungen du an Bord dieses Schiffes zu hören hast, und das ist neben meiner Wenigkeit nur ein Mann, nämlich Kadmin, der erste Maat." Tancred nickte dem großen Araber zu, der seinerseits arabisch gen Kieran grüßte, indem er die Hand an Kinn, Nase und Stirn hob und sie dann im Bogen wieder nach unten führte.

"Er wird dir deine Kajüte zeigen. Die anderen - macht diesen Kahn endlich los, ich will raus aus diesem Hafen, und zwar als erster.. bevor sich die anderen Idioten hier verkeilen." Das musste er nicht zwei mal sagen. Die Runde löste sich auf, bis nur noch Tancred, Kadmin und Kieran dort standen. Der große Araber grinste noch immer. "Seine Kajüte - und danach bringe ich ihn wieder zu euch, Monsieur de Ne-" weiter kam er nicht, denn Tancred hatte einen der Lumpen gepackt, die noch vom Deckschrubben hier lagen, und feuerte ihn in Kadmins Richtung. Der Araber wich geschickt aus und spurtete gen Heck, um aus Tancreds Reichweite zu kommen.

Er zeigte Kieran kurz die Kajüte und verabschiedete sich dann wieder. Es dauerte nicht lange, da hörte man ihn an Deck Befehle brüllen, größtenteils auf Arabisch.

Von den beinahe 40 Mann Besatzung des Schiffes, waren nicht alle arabischer Herkunft. Es gab Spanier, Engländer, zwei Franzosen und sogar einen Deutschen. Sie waren eine bunt gemischte Truppe doch sie funktionierten perfekt zusammen.
 

Kieran

Dass sich alle über den dressierten Affen totlachten, davon war fast auszugehen gewesen. Aber es war ja nicht das erste Mal, dass er verlacht wurde. Kieran, der eh schon beschissen drauf war, reagierte mit Gleichgültigkeit und verzog keine Mine. Innerlich verwünschte er genau wie auf der Reise nach Spanien, was diese neue Welt - was Nico - aus ihm gemacht hatte. Aber die Worte des Kapitäns schürten zumindest die Hoffnung, dass er, sobald es ihm besser ging, einfach wieder einmal er selbst sein durfte. Und die Aussicht war gut. Er ignorierte die grinsenden Gesichter, als Tancred ihm seinen ersten Maat vorstellte und nickte ihm lächelnd zu, als dieser ihn auf so andere Weise begrüßte. Er hatte diese Begrüßung in Spanien gesehen und da Kadmin rein äußerlich maurischer Abstammung war, komplettierte sich nun das Bild. Kieran begriff, dass dieses Schiff hier definitiv etwas Besonderes war. Es war eben kein englisches! Und das bedeutete, dass die Besatzung aus verschiedensten Ländern stammte und jeder das Recht hatte, zu sein, wie er sein wollte. Kieran schmunzelte bei dieser Erkenntnis und hatte er eben noch das Gefühl gehabt, einfach zurück nach London reiten zu wollen, sich in sein Bett zu legen und die Decke über den Kopf zu ziehen, um seine Existenz zu verleugnen, so entspannte er sich langsam.

Er folgte Kadmin in die Kajüte, bedankte sich bei diesem und war froh, um den kurzen Moment Ruhe, den er hatte.

Er packte seine Klamotten in den Schrank und ordnete die Medikamente ebenfalls hinein. Das Zimmer war schön, recht weit oben an Deck und durch die runden Fenster durchaus mit Licht gesegnet. Schließlich trat er wieder aus dem Zimmer heraus und trat an Deck, auf dem reges Treiben herrschte, da man begonnen hatte, das Schiff von der Hafenmauer zu lösen. Kieran blieb einen Moment stehen und lauschte der Betiebsamkeit. Die Stimmung empfand er als sehr wohltuend, so vertraut und heimelich fast. Er würde sich hier wohlfühlen können, da war er sich sicher. Jetzt war nur noch herauszufinden, weshalb er bei Tancred gelandet war.

An Deck - Ankommen

Tancred

Als Kieran wieder an Deck trat, war das Schiff bereits dabei abzulegen. Mit 20 Rudern unter Deck wurde das Schiff kurz darauf aus dem Hafen manövriert, ehe die Segel gelöst wurden und der Wind das Schiff förmlich aus dem Hafen blies. Tancred stand am Steuerrad während Kieran langsam zu ihm hinaufstieg und die rege Betriebsamkeit um sich beobachtete. Die Männer huschten von dort nach dort, arbeiteten Hand in Hand und machten das Schiff im gleichen Atemzug auch gefechtsbereit. Tancred war sehr zufrieden.

"Sie sind gute Männer. Jeder von ihnen kennt seinen Platz und seine Stellung hier an Deck. Du bist neu und meine Männer brauchen keinen Arzt und eigentlich wollen sie auch keinen. Aber genau deswegen bist DU auf meinem Schiff." Er fing lieber gleich mit Klartext an. Hier hatte der Hof keinen EInfluss und er hatte keine Lust auf viel Gerede drumherum. "Hier kannst du am ehesten etwas lernen, das dir für dieses Gewerbe etwas bringt. Hier wird dir vorerst niemand für das danken, das du tust. Sie werden nicht einmal zu dir kommen, wenn sie sich verletzen. Du musst deinen Platz hier in dieser Mannschaft finden. Sie beobachten, wie sie arbeitet, sie kennen lernen. Du fängst am unteren Ende dieser Hierarchie an und wirst sehen müssen, wie weit nach oben du aufsteigen kannst. Aber das ist letzten Endes das, was dir helfen wird, über dich hinauszuwachsen." So klang es gut. Nicht nach: Ich will dich unbedingt auf meinem Schiff haben, weil ich neugierig auf dich bin.

"Wir werden einfache Manöver versuchen. Wir verschießen nur Schwarzpulver und Steine, keine echten Kanonenkugeln. Viel zu teuer so viel Eisen ins Meer zu blasen. Wir werden sehen, wie lange wir das machen, vielleicht fahren wir über Nacht, vielleicht nicht. Es entscheidet sich spontan, ob wir über Nacht im Hafen ankern oder in einer geschützten Bucht.. generell ist es dir freigestellt, auf dem Schiff zu schlafen, wenn du möchtest. Ansonsten gibt es nichts zu beachten.. außer: Steh niemals im Weg." Und das war wohl so ziemlich das Schwerste auf einem Schiff, auf dem sich die Männer gegenseitig auf die Füße traten.
 

Kieran

Als er die Treppe hinauf zum Steuerrad ging, beobachtete er die Männer. Und mit einem Mal wurde ihm klar, warum es sich so heimelich anfühlte. Das Treiben an Deck, damit das Schiff auslief, war nicht anders als das Treiben, wenn seine Familie an einem Veranstaltungsort ankam. Jeder wusste, was er zu tun hatte, und jeder arbeitete vor sich hin. Jeder hatte seine Position, seinen Rang, seine Aufgaben.

Und man konnte deutlich beobachten, wer wem auswich, wer die Befehle an wen gab, weiterreichte oder befolgte.

Er trat zu Nadim hin und dieser erklärte ihm sogleich unverblümt, was er zu erwarten hätte. Erst wusste Kieran nicht, wie er mit so viel Ehrlichkeit umzugehen hatte, war er sie ja kaum mehr gewohnt. Doch dann war er eigenlich ganz froh. Letztlich konnte er da nur dankbar dafür sein. Schließlich wusste er nun, was auf ihn zukam. Er nickte auf die Worte hin und blickte auf das Schiff. Er musste sich also hocharbeiten, wenn ihm das hier wirklich etwas bringen sollte. Kieran dachte gerade wieder mit Sehnsucht an sein Bett zu Hause und die Bettdecke, die so verlockend erschienen, doch dann schob er den Gedanken beiseite. Sicher, zu erfahren, dass man unerwünscht war, tat nicht besonders gut, aber er war keiner, der sich davon abschrecken ließ. So war er definitiv ncht. Er stellte sich Herausforderungen und er kniff nicht. Er würde das Beste geben und sehen, was passieren würde. Nur der Umstand, dass wieder einmal jemand augenscheinlich nur das Beste für ihn wollte, ließ ihn schmunzeln. Mal sehen, ob dem wirklich so war, oder ob mehr hinter der Tatsache stand, dass er ausgerechnet hier gelandet war. Sei es, weil Nadim das so hatte haben wollen, sei es, weil Nico ihn darum gebeten haben konnte, sei es Zufall.

Er lauschte den Ausführungen des anderen und entnahm daraus für sich, dass er nichts würde planen können. Kein Besuch bei seiner Familie, kein Besuch zu Hause - nun er würde dann halt schreiben müssen.

Sie fuhren gerade aufs offene Meer hinaus und Kieran musste sich an der Reling festhalten. Er war sportlich, aber aus der Form. Und an das sichere Bewegen an Deck würde er sich gewöhnen müssen. Als Tancreds letzte Anweisung kam, sah er ihn an, nickte und lächelte. "Ich werde es versuchen", sagte er auf die Anweisung, nicht im Weg zu stehen, und blickte Nadim an. "Und Ihr... Du hast die unmögliche Aufgabe bekommen, aus diesen steifen britischen Soldaten, eine kampftaugliche Marine zu machen? Wie soll das funktionieren? Die Briten haben sich doch schon immer darauf verlassen, auf ihrer blöden Insel unerreichbar zu sein. Im Vergleich zu deinen Leuten sind die Briten auch viel zu förmlich, als dass diese Betriebsamkeit aufkommen könnte, die bei dir herrscht. Und deine Mannschaft scheint mir nicht sonderlich geduldig zu sein. Führt ihr die anderen in den Manövern vor? Oder schult ihr sie auch an Land für die See?"
 

Tancrèd

Die Strömung direkt hinter dem sicheren Hafenbecken war aufgewühlt und die eben noch so ruhige Fahrt wurde dann doch etwas schaukeliger. Gut, hier an Deck würde Kieran nie mit Übelkeit zu kämpfen haben, die aus Seekrankheit herrührte. Hier waren die Männer maximal zu betrunken. Sie nahmen weiter Fahrt auf und Tancred wählte einen Kurs an der Küste entlang, in schnellem Gewässer. Das Schiff drehte sich recht flink zum Wind und der Bug schnitt in die aufgewühlte See. Tancreds Herz blühte richtig auf, wenn er das fühlte. Wasser schwappte durch die Stückpforten und floss wieder aus ihnen hinaus, das Schiff ächzte und seufzte, so als freue es sich ebenfalls wieder auf der See zu tanzen.

Kieran neben ihm fand langsam seine Sprache wieder und Tancred musste unweigerlich schmunzeln, als Kieran zunächst wieder höfisch ansetzte und sich dann korrigierte. "Ja, diese Aufgabe habe ich bekommen. Hab zu viel Spanier versenkt, da wurde man leider auf mich aufmerksam. Und weil ich meine Mannschaft gerne bezahle und spanische Kriegsschiffe nicht wirklich reich mit Gold beladen sind, bin ich auf den Handel eingegangen. Man kann die Schiffe nur schlecht schleppen und verkaufen. Auf dem Meer kann man sie nur versenken, sonst kommt das nächste und versenkt dich, während du noch das erste schleppst... eine schlechte Sache. Man verdient nur Schutzgeld von Händlern und das lohnt auch nicht. Die englische Krone zahlt gut, also sind wir hier solange sie zahlt... Dass ich mich dabei mit Engländern plagen muss, stört mich nicht sonderlich."

Er grinste schief. "Einige von ihnen können meinen Ansprüchen immerhin genügen." Die Zweideutigkeit dieser Worte musste er wohl kaum besonders betonen. "Sie sind ja nicht mal so schlecht, wenn es um ihre Schiffe geht. Aber es sind eben Landratten. Sie wollen nicht zu weit hinaus segeln, sie begnügen sich damit, die Insel zu verteidigen, und das reicht dem König nicht mehr. Sie hochseetauglich zu machen, ist schwer, aber sie lernen dazu. An den Kanonen sind sie schon wesentlich besser geworden, aber das liegt vor allem daran, dass meine Kanoniere zweimal laden, bis sie den ersten Schuss abfeuern können. Es ist ein Wettbewerb und der drillt sie besser als jeder Kommandant. Sie wollen gegen Ausländer kein schlechtes Bild abgeben..." Er grinste und korrigierte leicht den Kurs, während die Kanonen auf der Seeseite in die Stückpforten geschoben wurden, ohne dass er etwas sagen musste. "Und natürlich führen wir sie vor. Denkst du meine Männer bleiben ernst bei diesem Affentanz? Sicher nicht. Aber sie geben sich Mühe, sie zu motivieren, das ist wichtig." Die erste Salve löste sich krachend vom Bug und hüllte das Meer in dichten Rauch. "An Land schulen wir nur die wenigsten. Es sind ein paar Sachen, das Entern und so etwas... Man muss es lernen, sonst fällt man zwischen den Schiffen in die See. An Tauen zu schwingen oder über Enterbrücken zu balancieren, ist an sich nicht schwer, aber wenn von der anderen Seite Männer mit Säbeln nur darauf warten, dass du kommst, und einem die Kanonenkugeln um die Ohren pfeifen, dann darfst du dich nicht mehr auf deine Füße konzentrieren. Du wirst es auch lernen. Als Arzt bist du Teil dieses Schiffes und du wirst es genauso wie alle anderen verteidigen müssen. Deswegen bist du auch hier. Die anderen bringen den Ärzten sicher kaum etwas bei und kommen wegen jeden Wehwehchen zu ihnen. Hier wirst du lernen, wie man die Verletzungen zufügt, die du später behandelst. Es wird dir gefallen, da bin ich sicher." Kieran würde sich hier einfügen, daran bestand kein Zweifel. "Über das Wochenende hast du noch Schonfrist, habe ich den Männern eingebläut. Ab Montag musst du dann auf eigenen Beinen stehen. Das kriegst du doch hin, oder?" Schmunzelnd warf Tancred einen Seitenblick auf Kieran, der schon sehr sicher auf Deck stand. Ein guter Anfang, definitiv.
 

Tancred entschied an diesem Abend, nicht mehr nach Portsmouth zurückzukehren, und auch an den darauf folgenden Tagen nicht. Er hatte die See vermisst und seinen Männern ging es nicht anders, so dass die Tage auf dem Meer einfach gut taten. Sie kreuzten ein wenig, übten sich an den Geschützen und am Kampf auf Deck, brachten das Schiff einfach mal wieder ordentlich in Fahrt und als sie auf ein weiteres Schiff trafen, sich selbst auch wieder in Gefechtsbereitschaft. Es war beinahe, als würde man aus einem tiefen Schlaf erwachen, zumindest kam es Tancred so vor.
 

Kieran

Es war kein unbekanntes Gefühl für ihn, auf einem Schiff zu sein. Er hatte ein gutes Gleichgewichtsgefühl allein schon deshalb, weil das früher für ihn und ihre Show entscheidend gewesen war. Daher machte es ihm nicht wirklich etwas aus, dass das Schiff auf den Wellen tanzte, und er brauchte nicht lange, um sich daran zu gewöhnen... Der Wind, der Wellenschlag gegen den Rumpf des Schiffes, es fühlte sich in diesem Moment alles so viel besser an, als in London zu sitzen und zu grübeln. Daher ließ er sich bereitwillig darauf ein und die Bettdecke, die ersehnte, verschwand von Minute zu Minute aus seinem Kopf.

Den Ausführungen des anderen hinsichtlich dessen, wie es dazu gekommen war, dass er nun hier in England stationiert war, lauschte er mit Interesse, zeigte ihm doch das, was er schon vermutet hatte. Er hatte es hier mit einem Mann zu tun, der schon viel gesehen hat, viel bereist und erlebt hat. Und Kieran konnte nicht anders, als solche Menschen in irgendeiner Form 'anziehend' zu finden. So war er eben. Dennoch spürte er, dass mehr dahinter steckte, dass jener spanische Kriegsschiffe versenkte. Kieran fragte nicht nach, denn dafür war er nicht in der Position. Aber wenn jener offenbar ohne Flagge fuhr, hatte er das eigenmächtig getan und nicht für Frankreich. Und warum versenkte man Schiffe? Sicher schickte man nicht hunderte Menschen aus Spaß in den Tod. So schätzte er Tancred zumindest nicht ein... Er war ihm sympathisch, wirkte ehrlich und in sich ruhend. Oder täuschte das?

Aber zunächst würde die Zeit, die er hier an Deck wohl haben würde, durchaus interessant für ihn werden. Die Zweideutigkeit hinsichtlich dessen, dass er ihm auch genügte, bedachte Kieran mit einem Lächeln. "Wobei ich mich nicht wirklich als Englädner sehe. Ich habe hier nur einige Zeit meines Lebens verbracht, so dass es etwas wie meine Heimat geworden ist", erklärte er daraufhin. Dann hörte er weiter zu, während Tancred ihm erklärte, wie er die Engländer ausbildete. Es machte Sinn, was er erfuhr und er nickte dazu. Ja, diese Mannschaft würde mit ihm genauso wenig erbarmen haben, wie mit den anderen Schiffen, wie mit allen, die versuchen würden, bei ihnen Fuß zu fassen. Aber es war gut zu wissen, dass sie fair waren, dass sie ihnen eine Chance gaben.

Als die Kanonen feuerten, zuckte er automatisch ein wenig zusammen. Er hatte das schon gehört, an Land, in Deutschland. Und dennoch war es immer wieder ein wenig erschreckend für ihn.Sie benutzten Schwarzpulver in ihrer Show, um sie spektakulärer zu machen, aber hier wurde es verwendet, um zu zerstören und letztlich auch, um zu töten. Und das war etwas, woran er sich wohl nie wirklich gewöhnen können würde. Die weiteren Ausführungen des anderen, machten das nicht besser. Ja, er würde wohl Teil der Mannschaft werden, irgendwie. Und allein bei der Arbeit an Deck verletzte man sich leicht genug. Aber würde er auch "mitkämpfen" müssen? Kieran ahnte, dass er im Falle eines Falles keine Wahl haben würde. Wenn es ums Leben ging, war sich jeder selbst der nächste. Aber schmecken tat ihm das nicht. Und ob es ihm gefallen wird, jemanden zu verletzen? Nun, da war sich Kieran nicht so sicher, wie es Tancred war. Er würde es auf sich zukommen lassen. Sicher, das ganze war letztlich nur ein Spiel, bei dem der Adrenalinkick sicher nicht zu verachten war. Aber Kieran hoffte inständig, dass er niemals wirklich bei einer Schlacht auf See oder sonst wo zugegen sein musste. "Ich bin gespannt, was da auf mich zukommt", sagte er daher wahrheitsgemäß. "Und ich bin froh, wenn ich keine Wehwehchen verarzten muss. Ich kann Selbstmitleid nämlich nicht ausstehen." Da hatte er in London schon genug zu tun mit diesen Menschen, denen man am liebsten sagen würde, dass sie sich nicht so anstellen sollten.

Dass er über das Wochenende eine Schonfrist erhalten sollte, ließ ihn kurz lachen. "Auf eigenen Beinen stehen?", überlegte er. "Hm, das habe ich ja noch nie gemusst. Das wird schwierig. Ich hab niemanden, der mir den Hintern abwischt? Oje..." Wieder lachte er leicht. Er hatte definitiv keine Angst davor, sich hier irgendwie zu behaupten. Sein ganzes Leben hatte er das doch letztlich machen müssen, oder? "Deine Leute werden schon nicht schwieriger sein, als diese Schlagengrube bei Hofe." Wenn er an Dr. Sullivan dachte, wurde ihm noch immer schlecht. Doch er schob den Gedanken wieder weg. Der Hof war weit weg ud nichts anderes vermittelte ihm Nadim. "Ich bin letztlich in einer Gruppe großgeworden, die wahrscheinlich deiner Mannschaft nicht unähnlich ist. Ich werde da durchaus auf eigenen Beinen stehen können. Und wenn nicht, kann ich ganz gut auch auf meinen Händen stehen." Er grinste leicht. Seine Vergangenheit wird ihm hier sicher helfen, das wusste er.

Kieran ahnte, dass Tancred nachfragen würde, woher er kam. Und hätte er es nicht erzählen wollen, dann hätte er das nicht erwähnt. Und daher erzählte er dem anderen, dass er in einem Trupp von Schaustellern großgeworden war, der Europa bereiste und aktuell hauptsächlich in London gastierte. Er ezählte ihm von ihrer Show, seinem Beitrag dazu und umriss, wo sie schon in Europa gewesen waren. Letztlich waren das belanglose Dinge, die er erzählte. Zu persönlich wurde er nicht. Dafür kannte er Nadim zu wenig.

Doch wärehnd er erzählte nutzte er die Gelegenheit, sich die Crew genauer anzusehen, was von hier oben nun mal am besten ging. Und es dauerte nicht lange, bis er ein paar der Strukturen durchschaute. Und er hatte auch recht schnell denjenigen gefunden, der in der Hirarchie eher ziemlich weit unten anzusiedeln war. Ein junger Mann, jünger sogar als er, vielleicht 18 oder 19 Sommer würde er wohl zählen. Er war offensichtlich eher für die undankbaren Aufgaben zuständig, das Schiff sauber zu halten, die Abfälle und Exkremente zu entsorgen und in der Küche dem Koch zu helfen. Der Koch selbst war ein mürrischer, eher schweigsamer Mann. Der, der hier nach Kadmin das Sagen hatten, war ein großer Mann, ein Araber, der sich gerne reden hörte. Wenn Kieran seinen Namen richtig verstand, hieß er Iskander. Dann gab es noch die spanischen Brüder oben im Krähennest, Meister des Degens und freundliche Männer. Sie hießen Tulio und Miguel. Der Deutsche - Joseph - war schon etwas älter. Zumindest könnte sich Kieran mit ihm in einer Sprache unterhalten, die er gut konnte. Zafir - auch ein Araber - bildete mit Redar ein Geschutzengespann, wobei Kieran auffiel, dass die beiden sehr eng miteinander verbunden waren. Redar schien krank zu sein und Zafir entlastete ihm, so gut es ging und so sehr es Redar überhaupt zuließ.
 

Kieran verabschiedete sich schließlich von Tancred mit den Worten, dass er sich umsehen wolle, und tat das auch. Den Tag verbrachte er damit, sich auf dem Schiff umzusehen, vorsichtig, um niemandem auf den nichtvorhandenen Schlips zu treten, und sich mit den Räumlichkeiten - viele waren es ja nicht - bekannt zu machen.
 

Als er sich abends zum Essen zu den anderen dazusetzte, setzte er sich bewusst in die Nähe von dem jungen Mann nieder, der eigentlich Mohammed hieß, aber von allen nur "Jamahl" genannt wurde. Wahrscheinlich, weil es einige Mohammeds hier gab und man sie irgendwie unterscheiden musste. Also wurde der hübsche junge Mann eben so genannt. Kieran hatte ein Stück Seil in seinen Händen und versuchte sich an den Knoten, die er heute beobachtet hatte. Er merkte, dass er von Jamahl beobachtet wurde, auch andere schauten zu ihm hinüber, gingen aber nicht darauf ein. Derjenige, der die Chance hatte, jemanden endlich auch mal zu belehren, nahm diese jedoch wahr und rutschte schließlich näher. "Das geht so", sagte er mit einem Ton der Abfälligkeit, der ihm definitiv nicht stand und ihm auch nicht so einfach von den Lippen ging, weil er nicht ihm selbst entsprach. Und so kamen sie ins Gespräch und Kieran bat ihn, ihm ein wenig zu helfen, sich zurecht zu finden. Der Junge fühlte sich geschmeichelt und half ihm tatsächlich. Und am nächsten Tag begleitete er ihn durch den Tag, machte genau die gleiche Arbeit wie er und bemühte sich, niemandem im Weg zu stehen. Er packte mit an und half und tat auch sonst alles, nur nicht irgendwie heraushängen lassen, dass er eigentlich Arzt war. Es wirkte fast so, als wolle er hier anheuern und nicht als Arzt tätig werden. Manche spotteten ein wenig, witzelten, indem sie Dinge sagten wie: "Hat der Hübsche noch einen Kleinen dazubekommen." Aber Kieran störte sich da nicht dran. Dafür kam er mit den Leuten leichter ins Gespräch, die ihn wohl einfach nicht als Fremdkörper empfanden, sondern als jemanden, der sich integrieren würde. Das Falscheste wäre wohl an seiner Stelle gewesen, hier den Studierten, den Gelehrten heraushängen zu lassen. Aber da sich Kieran selbst sogar nicht als einen Höhergestellten sah, war ihm das ohnehin fern. Bei anderen Studenten würde es das sicher nicht so einfach gehen...

Auch der Koch, der Nassir hieß oder genannt wurde, war zufrieden mit ihm. Er hatte so viel seiner Mutter beim Kochen geholfen, dass er da geüt und versiert war. Und als er Nassir auch noch Kräuter gab, die jenem ausgegangen waren, hatte er einen Stein bei ihm im Brett. Wieder ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung.

Sie waren nun schon den drei Tage unterwegs, als sie eines der anderen Schiffe der brittischen Flotte sahen. Kieran hatte mittlerweile ganz gut gelernt, sich auf dem Schiff zu bewegen, beim Setzen der Segel, beim Rudern zu helfen, auch wenn er noch immer ziemlich auf der Hut war, nicht am falschen Fleck zur falschen Sekunde zu stehen. Er bemühte sich, was nicht einfach war. Und wenn er abends im Bett lag, tat ihm alles weh. Er war echt nichts mehr gewohnt. Seine Hände waren schwielig, aber das war nicht der Rede wert. Letztlich fühlt er sich so frei und in sich ruhend, wie schon lange nicht mehr. Die körperliche Arbeit, die ihm so sehr fehlte, tat seiner Seele gut.

Man gab Zeichen, dass man das Treffen mit dem anderen Schiff nutzen wolle, um zu üben und Kieran war gespannt, was auf sie zukäme. Hier merkte er, dass er definitiv noch viel lernen musste. Er war nicht flink genug, nicht geübt genug, um dem Gegner wohl immer einen Schritt voraus zu sein, und das wurmte ihn ein wenig.

Als sie abends dann endlich einmal wieder nach Portsmouth zurückkehrten, hatte Kieran das Gefühl, in der Mannschaft bereits zumindest akzeptiert worden zu sein.

Da die Mannschaft freibekam, nahm er sich die Zeit, an Land zu gehen, um nach Niamh zu sehen und zwei Briefe, einen an John, einen an seine Mutter, aufzugeben.

Dann kehrte er an Deck zurück, die Ruhe genießend, die dort herrschte, da die Besatzung ausnahmslos in die Tavernen geströmt war. Er saß auf der Reling und blickte hinaus auf das Meer und überschlug in Gedanken die Ereignisse der letzten Tage. Er hatte wirklich wenig Zeit gehabt, an Nico zu denken. Doch jetzt musste er wieder einmal. Er hatte Post erhalten, von John, der ihm mitteilte, dass morgen die Lieferung in Portsmouth eintreffen würde. Von Dominico war keine Nachricht gekommen.

An Deck - Inszenierungen

Tancrèd

Als sie am Abend des dritten Tages wieder in den Hafen einliefen, war es beinahe so, als seien sie gerade erst gefahren. Doch die Mannschaft war eindeutigt bester Laune und als der Kapitän sie verabschiedete - denn die Deckwache übernahm Tancred in der Rotation wie jeder andere - waren sie schneller von Bord, als man "Schiff Ahoi!" sagen konnte.

Tancred besah sich noch einige Dinge in seiner Kajüte, ein paar Karten auf denen er am Horizont gesehene spanische Schiffe mit Datum der Sichtung verzeichnete. Als er in den lauen Abendwind hinaustrat, dämmerte es bereits. Weil das Wetter so herrlich war, hatte er beschlossen sich oben am Steuerrad einfach eine Decke hinzulegen und dort den Abend bei einer Flasche Portwein, Brot und mit etwas Fleisch den Abend ausklingen zu lassen. Er hatte die Decke schon über die Schulter geworfen, als er Kieran dort auf der Reling sitzen sah. Der junge Mann hatte ein paar Briefe in der Hand, die er durchgeblättert hatte, doch jetzt sah er einfach nur in die Ferne. Tancred lief leise über die Planken zu ihm hinüber und legte eine Hand so auf Kierans Schulter als wolle er ihn schubsen, hielt ihn dann aber zurück. Das war sicher eine sehr wirksame Methode, Kieran wieder ins Hier und Jetzt zu holen, und der strauchelte kurz, ehe er sich ein wenig geschockt zu ihm umsah und in Tancreds grinsendes Gesicht blickte. Der Kapitän lehnte sich mit den Ellebogen auf die Reling und sah auf den Hafen hinab. Das Wasser lag heute recht hoch und das Schiff thronte recht weit oben an der Kaimauer. Mit geschlossenen Stückpforten sah das Schiff von außen eigentlich ganz friedlich aus.

"Liebesbriefe aus London, hmn?", feixte er grinsend in Richtung des Papiers, das er in Kierans Händen ausmachen konnte. "Das wird eine lange Durststrecke fürchte ich, bis du wieder nach London kommst." Er sah nachdenklich in die Ferne, hinter die Stadtgrenzen auf das grüne Land, das sich hinter dem Hafen erhob. "Da du offenbar heute Nacht auch hier bleibst, schlage ich vor, du leistest mir bei Portwein und Brot Gesellschaft." Er klopfte Kieran auf die Schulter und deutete zum Steuerrad hinauf. "Ich würde nämlich wirkklich eine Geschichte gerne von dir hören: Wie kommt jemand wie du - und versteh das bitte nicht falsch - an einen Mann wie Dominico Sforza?" Er hob einen Finger um etwaige Reaktionen gleich im Keim zu ersticken. "Ich meine... vielleicht sollte ich eins klar stellen, bevor du antwortest. Ich habe dich nicht auf sein Geheiß auf mein Schiff geholt und will dich auch nicht in seinem Auftrag ausspionieren. So gute Freunde sind wir nicht... Ich bin lediglich wirklich neugierig." Damit setzte sich Tancred Richtung Aufgang in Bewegung, um seinen Platz für heute Abend einzunehmen.
 

Kieran

Kierans Herz setzte für den Bruchteil einer Sekunde aus, als die Hand an seiner Schulter ihn nach vorne drückte. Doch als er spürte, dass sie ihn vor Schlimmeren zurückhielt, blickte er sich erschrocken um, wer ihm einen solch üblen Streich gespielt hatte. Eigentlich war er ganz zufrieden mit der Art und Weise, wie er sich hier in der Mannschaft integrierte. Wer sollte ihm also so einen... Das grinsende Gesicht von Tancred, in das er sah, verriet ihm die Antwort. "Das war nicht lustig", knurrte er und musste dann doch grinsen. Er blickte genau wie der Kapitän in Richtung Hafen und faltete den Brief zusammen, den er von John erhalten und gerade noch einmal gelesen hatte, als Nadim ihn auch schon darauf ansprach. Liebesbriefe? Nicht wirklich... Seine Laune verschlechterte sich gerade zusehens und der Kapitän setzte noch eines darauf, dass eine Durststrecke auf ihn zukommen würde. Kieran schwieg, wusste nicht so recht, was er sagen sollte. Die Wahrheit? Eine Lüge? Er war hier kein Schauspieler mehr, nicht so wie in London, wo er so sehr auf der Hut sein musste. Eine Lüge würde der andere Mann definitiv ihm an der Nasenspitze ablesen. So war er nun mal.

Noch bevor er überhaupt etwas sagen konnte, lud ihn Tancrèd zu sich hinauf auf die Brücke ein, und sein Blick folgte einen Moment der deutenden Hand. Sollte er? Ihm war gerade durchaus nach Wein zumute. Aber war das klug? Sollte er ausgerechnet mit Nadim reden? 'Mit wem sonst?', erklang eine Stimme in seinem Inneren. John war zu weit weg und sonst gab es keine Menschenseele, der er sich anvertrauen würde. Und irgendwie hatte er das Gefühl, doch etwas reden zu wollen. Es nagte doch sehr an ihm.

Allerdings waren die folgenden Worte wieder eher abschreckend. Kritisch musterte er den Mann, der unbedingt seine und Nicos Geschichte hören wollte. Und noch bevor er dazu etwas sagen konnte, stellte der andere klar, dass er nicht in seinem Namen handelte, sondern nur neugierig sei. Kieran sah dem anderen einen Moment nach. Sollte er? Wollte er? Irgendwie...

Er schwank seine Beine über die Reling und folgte dem Mann nach oben.

"Kein Liebesbrief", sagte er nun und wartete, bis jener ihm deutete, wo er sich hinzusetzen habe. "Und ich erwarte auch keinen. Eher eine Entschuldigung, aber ich glaube, die wird nicht mehr kommen." Er lachte kurz. Es klang so bitter, wenn man es aussprach. "Demnach sollte die Frage, wie jemand wie ich an Dominico kommt, anders lauten: Wie konnte jemand wie ich so naiv sein, sich auf die Geschichte einzulassen." Ja, er war ungerecht und verbittert und genervt. Und das wusste er auch. "Ich..." Er verstummte. Ja, was eigentlich. "Wir sind uns zufällig in Cambridge begegnet, an Ostern. Ich war dort mit meiner Familie. Wir hatten einige Auftritte in der Stadt, da ist er auf mich zugegangen, er wolle mich fördern." Seine Gedanken wanderten zur damaligen Zeit. Viel war seitdem geschehen und irgendwie wirkte alles so unwirklich. "Wir haben letztlich eine Nacht miteinander verbracht, wissend, dass es absurd war, sich mehr zu erhoffen." Er schüttelte den Kopf. "Ich hätte es wirklich dabei belassen sollen. Wobei ich es versucht habe. Aber es ging nicht. Er hat mich... so tief berührt, auch wenn das schnulzig klingt. Aber alles, was folgte, war ein Wechselbad der Gefühle. Wir fühlten uns zueinander hingezogen und konnten letztlich auch nicht ohneeinander, aber die Angst vor den Konsequenzen war präsent. Irgendwann haben wir nach vielem Hin und Her beschlossen, es zu versuchen. Wir waren damals auf Reisen und konnten uns jeden Tag sehen." Ja, das war so einfach gewesen. Aber kaum waren sie in London, zeigte sich, dass es offensichtlich nicht funktionierte. "Ich fürchte, dass es ihm nicht genügt, dass er mich nicht wie eine Mätresse ohne große Probleme jeden Tag zu sich ins Bett laden kann, wie es ihm passt. Wir konnten uns seither nur am Wochenende sehen - Weihnachten war eine große Ausnahme. Und jetzt stellt sich raus, dass andere Dinge wichtiger sind als ich. Ich bin zu weit weg und die Ablenkungen sind zu groß. Mir scheint, dass die Basis, auf der unsere Beziehung steht, von unterschiedlichen Erwartungen und vielleicht auch Gefühlen ist. Und die Erkenntnis ist bitter, irgendwie." Er redete zu viel und das, obwohl er noch nicht einmal von dem Wein probiert hatte, den ihm Nadim eingeschenkt hatte. Er blickte den anderen lächelnd an und hob den Becher. "Keine Liebesbriefe also, sondern die Gewissheit, dass es in seinem Leben einfach wichtigere, existenziellere und bedeutender Dinge gibt, als mich. Und das soll jetzt kein Vorwurf sein. Ich wusste es, seitdem ich micht in seiner Welt bewege. Aber die Hoffnung, dass es anders sein könnte, trübt einem den klaren Blick auf die Dinge."
 

Tancrèd

Anscheinend hatte er da gerade einen Volltreffer auf einen wunden Punkt gelandet. Doch Tancred war niemand, der sich deswegen entschuldigte oder das unangenehme Thema auf sich beruhen ließ. Er war auch nicht uneigennützig. Als er Kieran vor Dominicos Ankunft in der Taverne gesehen hatte und sich ihre Blicke gekreuzt hatten, da hatte Kieran seine Neugierde geweckt und nicht mehr losgelassen - da Kieran und Nico nicht verheiratet waren, warum nicht noch einen Spieler neben John ins Spiel bringen? Mehr Auswahl würzte die Suppe. Tancred war eigentlich niemand, der offensiv in sowas einschritt und er würde auch nicht wirklich versuchen bei Kieran zu landen, doch in Kierans Augen hatte er etwas gesehen, dass ihm gefallen hatte. Sicher, er hatte hier seine Freunde und Vertrauten, doch Kieran wollte er einfach kennenlernen.

Sie gingen die Treppe hinauf und Tancred breitete seine Decke auf den harten Planken aus. Das Schiff schwankte leicht im Hafenbecken, lag aber eigentlich mehrheitlich ruhig. Mit zwei vollgeschenkten Bechern setzte er sich zu Kieran auf die Decke und stieß mit ihm an ehe er sich einfach hinlegte, um ihm zuzuhören. Das Holz in seinem Rücken war hart, doch für Tancred war es die schönste aller Matratzen. Das hier war definitiv sein Leben. Kierans Leben klang dagegen weniger schön, zumindest zur Zeit und in Hinblick auf Dominico. Hörte er da Gram heraus? Ein zufälliges Treffen und das Versprechen künstlerischer Förderung - Tancred kam aus dieser Welt und wusste was das zu heißen hatte. Kieran hatte sich dennoch darauf eingelassen, wider besseren Wissens und jetzt litt er, weil Dominico ihm nicht gerecht werden konnte.. nun, so war die Welt leider.

Von Charles wusste er immerhin, dass Nicos in Italien lebende Frau zur Zeit in England weilte und das war sicher der Hauptgrund für Dominicos Zurückhaltung und doch - für die Liebe sollte man bereit sein, weiter zu gehen, wenn man sie denn so empfand wie Kieran es wohl tat. Tancred haderte mit sich. Er wollte Nico nicht in Schutz nehmen, fühlte sich aber fast dazu verpflichtet. "Dominico Sforza ist in der Tat ein einnehmender Mann, dessen Charme man leicht erliegen kann. Ich möchte ihn nicht in Schutz nehmen oder sein Verhalten relativieren, aber er kennt es einfach nicht anders. Ich bin mir sicher, dass ihm durchaus etwas an dir liegt. Vielleicht hat er nur noch nicht erkannt oder entschieden, was er dafür andernorts aufgeben muss. Es ist immr ein Hin und Her. Männer mit einem Namen und Einfluss haben dieses Problem häufig. Ich hätte auch mal so werden können," - das Grinsen auf seinen Lippen war ehrlich , - "aber ich habe einen anderen Weg gewählt und könnte kaum glücklicher sein. Du solltest es auch sein. Die Welt besteht nicht nur aus Dominico Sforza, auch wenn es dir gerade so vorkommen mag." Er drehte den Kopf, so dass er Kieran ansehen konnte. "Ich bin mir sicher, du wirst schon etwas finden, in dem du ganz aufblühen kannst, auch wenn es nicht Sforza heißt. Manchmal ist es gut, sich von einem Gedanken zu verabschieden, bevor er sich zu sehr festsetzt und man ihn nicht mehr loswerden kann, wenn du verstehst, was ich meine." Er zumindest kannte solche Bindungen, die nur im Kopf bestanden aber real nicht galten. "Naja, ich möchte dich nicht mit diesem leidigen Thema quälen, es sei denn, du hast das Bedürfnis darüber zu reden, weil du es mit sonst keinem kannst. Ich habe dich an Deck beobachtet, es war eine gute Idee sich Jamahl vorzuknöpfen. Der Junge ist ein Heißsporn, weiß zwar was er zu tun hat, aber er schlägt ab und an noch über die Strenge. Das wird sich legen. Ich denke du hast einen guten Zugang gefunden und ich bin zufrieden. Nur jetzt, wo ich zufrieden bin, da frage ich mich doch... was hat dich hierher getrieben? Mit Sicherheit nicht der Aufruf in der Universität. Dein Freund John hat sich mit seiner dämlichen Antwort ja davor gedrückt." Wieder sah er neugieig zu Kieran auf. Er wollte ihn kennen lernen und nach mehr von ihm wissen, um sein Bild zu vervollständigen.
 

Kieran

Kieran hatte sich neben Tancred gesetzt und lehnte mit den Rücken an die hölzerner Reling hinter ihm. Das Schaukeln des Schiffes war sanft im Vergleich zu dem auf hoher See. Kieran hatte sich mittlerweile ganz gut daran gewöhnt, hatte es fast als seltsam empfunden, heute wieder festen Boden unter den Füßen zu spüren. Er trank von dem Wein, der ihm mundete, weil er nicht so herb war. Während er gesprochen hatte, hatte er gemerkt, wie negativ er gerade eingestellt war. Darüber dürfte er aber nicht vergessen, dass er Nico dennoch liebte und sich eigentlich auch dessen Liebe bewusst war. Und die Worte des anderen mahnten ihn, genau daran zu denken, führten bei ihm aber auch wieder zu einer Abwehrreaktion. Mag sein, dass er einnehmend war und es nicht anders kannte. Aber er wollte nunmal nicht wie jede blöde Mätresse behandelt werden. Er war nicht selbstverständlich!!!!

Kieran seufzte. "Ich weiß, dass es bei Nico gerade etwas schwierig ist. Ich weiß, dass er mich schützen will. Ich weiß, dass ich ihm nicht egal bin. Ich weiß aber auch, dass ich auch an mich denken muss. Und ich hasse das Gefühl, als selbstverständlich erachtet zu werden. Und ich hasse es, wenn man über meinen Kopf hinweg, Entscheidungen zu meinem Wohl trifft. Er bevormundet mich, das kann ich nicht leiden. Ich bin mit sicher, dass es zu allem, was geschehen ist eine Erklärung gibt, aber ich bettle nicht darum und werde auch nicht allzu lange darauf warten." Er wusste, dass Nico ihn, wenn er ihm etwas mitteilen wollen würde, definitiv Mittel und Wege dafür finden würde. Und er sah nicht ein, ihm zu schreiben und ihm am Ende noch vorzugaukeln, alles sei in bester Ordnung. Auch wenn er ihm dennoch gerne so viel erzählen würde, was er erlebte...

Als der andere erzählte, dass er dieses Leben, das Dominico führte, auch hätte führen können, sah Kieran ihn neugierig an, kam aber nicht dazu, nachzufragen, weil Nadim ihm gerade erklärte, dass er etwas besseres finden könnte. Kieran schnaubte. "Du hörst dich schon an wie John", knurrte er. "Ich liebe ihn. Er ist seit langem ein Mensch, der mich irgendwie ausfüllt, der mir das Gefühl gibt, mit ihm komplett zu sein. Das hat man nicht so häufig. Und selbst wenn mein Verstand sagt, dass du recht haben magst, mein Herz kann es nicht. Noch nicht. Ich werde warten was passiert. Aber ich gebe dir recht. Wenn mein Herz auch das Zweifeln beginnt, dann lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!" Ja, wenn er merkte, dass Dominico doch nicht ernsthaft an ihm gelegen war, würde er sich selbst zuliebe von ihm trennen! "Und dass es auch andere Männer gibt, weiß ich. Nicht so unerreichbare." Er grinste leicht. "Aber Sex ist eines, ein gewisses Maß an Seelenverwandtschaft etwas ganz anderes, verstehst du?" Er sah den anderen an. "Ich könnte jede Menge Männer haben, aber letztlich interessieren sie mich nicht. Sie haben nichts von der Welt gesehen, begreifen nichts, haben keine Ahnung, dass es viel mehr gibt, als ihre kleine Welt bis zu ihrer Haustür. Sie interessieren mich nicht, weil sie mir nichts erzählen können, was ich nicht schon weiß." War er arrogant? Vielleicht. Aber so empfand er es eben.

"Ja, lassen wir das lieber. Ich muss warten, was geschieht. Aber danke für dein Ohr." Er lächelte den anderen an.

Über die Frage, die nun kam, musste er lächeln. "John hat panische Angst vor Wasser", sagte er grinsend. "Und sein Vater braucht ihn, auch wenn er ihn nicht leiden kann. Er war außerdem erst selten aus London draußen. Und so gerne er gehen würde, so viel Angst hat er auch davor." Er dachte kurz an den großen Kerl, der ihn aufgrund seines scharfen Auges und seiner spitzen Zunge faszinierte. Doch dann sah er wieder zu Nadim. "Ich wollte die Zusatzqualifikation haben. Ich war mein Leben lang auf Achse. London nimmt mir die Luft zu atmen. Ich fühle mich erst langsam wieder, wie ein Mensch. Ich dachte mir, dass es mir nützlich sein kann, wenn ich einfach nur noch weg will. Aber die Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen. Ich habe sehr mit mir gehadert, ob ich gehe. Letztlich finde ich es aber ganz gut, gerade weit weg von London zu sein. Ich habe mich selbst wiedergefunden." Er lächelte. "Darf ich fragen, warum du dich gegen ein Leben bei Hofe entschieden hast?", holte er nun die Frage nach, die ihm seit vorhin auf der Zunge brannte.
 

Tancrèd

Diese ganze Sache nahm Kieran wirklich mit.. und nach dem zu urteilen, was ihm der junge Arzt zu berichten hatte, war er Dominico mit Haut und Haaren verfallen. Gar nicht gut, wenn man bedachte, in welcher Position Dominico war. Und Kieran war nicht dumm, er schien genau zu wissen, um was es hier ging und doch.. Wie stellte er sich das in einigen Jahren vor? Wenn die Familie ihn zurückrief? Tancred wusste es nur zu gut. Während er versuchte, es für Kieran klarer und verständlicher zu machen, war der schon aus dem Thema heraus und fragte nach seiner Geschichte. Er schmunzelte leicht. "Tja, warum habe ich mich gegen ein Leben bei Hofe entschieden..." Nachdenklich schwenkte er en Becher hin und her und sah in den dunkler werdenden Himmel auf. "Vielleicht solltest du ersteinmal wissen, wohin ich gehört hätte, wenn ich denn noch bei meiner Familie wäre. Mein richtiger Name ist natürlich nicht "de Nerac". Die Engländer verstehen das nicht, können zu wenig Französisch oder denken, wir nennen uns immer nach den Orten, von denen wir kommen. Nun, ich BIN aus Nerac, einer schönen Stadt im Süden Frankreichs, nicht weit von der spanischen Grenze entfernt. Meine Familie allerdings kam erst vor einigen Jahrzehnten in die Stadt, mein Familienname lautet "d'Albret". Falls dir das nichts sagen sollte, wundert es mich kaum, aber du hast sicher schon von meinem Cousin gehört. Er hat Katharina von Navarra geheiratet und ist seit dem König von Navarra. Es ist kein besonderer Titel, doch das Gebiet ist es schon. Zu ihrem "Reich" gehört das Grenzgebiet zu Spanien und eigentlich ein weiterer Teil in Spanien, doch der ist bereits verloren gegangen. Sie herrschen nicht über viel Land, aber sie herrschen immerhin und weil unsere Familie nicht groß ist, werden die wenigen Kinder sehr gut in die hohen Positionen am eigenen Hof oder am französischen Hof untergebracht. Ich selbst hatte im Endeffekt die Wahl wie Dominico und Alessandro Sforza. Einen älteren Bruder habe ich nicht, Priester gibt es in der Familie genug - also habe ich mich für den Krieg entschieden und bin mit den letzten Kreuzzüglern losgezogen, um gegen türkische Sultane zu kämpfen und im Heiligen Land zu dienen... Frag nicht ,was das für eine Farce ist.

Im Heiligen Land habe ich mehrheitlich Freunde gefunden, immerhin. Es war wie eine Offenbarung für mich. Ich wurde dorthin geschickt, im Andenken an all die großen Kreuzritter vor mir. Ich gehörte zum Orden der Johanniter, einer der wenigen Kreuzzüglerorden, die noch Waffen tragen. Ich war noch sehr jung damals.. und ich war leicht empfänglich für ihre Lügen. Für das Bild der muselmanischen Monster, die ihre Kinder fressen und Frauen schlagen. Und dann kam ich dort hin und habe das gastfreundlichste Land der Welt erlebt, das mit seinem so anderen Selbstverständnis und Glauben nun mal anders ist als wir - aber sie deswegen verurteilen? Ich bin zum Glück schon immer mit offenen Augen durch die Welt gegangen." Er räusperte sich leicht. "Danach kam Rhodos, keine schöne Geschichte. Zurück aus dem Orient wurden wir nach Rhodos versetzt, von Türken eingekesselt und belagert. Mehrere Versuche, die Belagerung zu sprengen, schlugen fehl und als wir uns ergaben und man uns ziehen ließ, bekamen wir einen neuen Hauptstandort, Malta. Dort bin ich letztlich.. desertiert." Sein Gesicht zierte ein schiefes Grinsen. "Weil die Johanniter keine eigene Flotte und nicht das Geld und die Zeit hatten, um neue Schiffe zu bauen, haben sie einfach Schiffe von einem Markt gekauft, der Prisen anbietet. Spanische ausrangierte Kriegsschiffe, neue spanische Kriegsschiffe, französische, englische, arabische - alles was zur See fährt gibts dort zu kaufen. Ich habe meiner Familie geschrieben, vorgegeben für die Johanniter mein Erbe einsetzen zu wollen. Man hat es mir ausgezahlt und ich bin damit auf und davon." Er leerte den Becher und stellte ihn ab. "Ich habe die Raashno erstanden, ein stark beschädigtes arabisches Kriegsschiff, aber günstig. Ich habe das Nötigste ausbessern lassen und sie aufgerüstet.. dann habe ich eine lebensmüde Mannschaft angeheuert und bin aufs Meer gefahren. Ich dachte mir dabei zwei Dinge. Erstens: Wenn ich untergehe findet niemand meine Leiche und niemand bringt mich schwer verletzt als Krüppel zu meiner Familie zurück, deren einziges Bestreben es war, mich reich zu verheiraten - und zweitens: Auf dem Meer kannst du reich werden. Ich muss leider sagen, das letzteres nur bedingt funktioniert. Man wird leider nicht ganz so reich auf dem Meer, zumindest nicht, wenn man keinen starken Verbündeten hat. England habe ich auch nur deswegen gewählt, weil ich es mir mit Henry noch nicht verscherzt habe... und es hoffentlich auch in Zukunft vermeiden kann. Aber zurück zur Familie..." Er war etwas abgeschweift, das merkte er gerade. "Ich habe mich von ihnen gelöst, weil sie die Araber so verurteilten. Unwürdige Menschen, widerliches Pack, das einen falschen Gott anbetet. Und weil ich hier Spielball war, den sie einsetzen konnten wie sie wollten. Weil sie mir eine Nacht wie die nach unserer Begegnung in der Taverne noch Jahre nachgetragen hätten, wenn sie mich nicht selbst wegen Unzucht an den Galgen geliefert hätten. Ich wollte mein eigener Herr sein und bin einfach gegangen." Es klang wesentlich einacher, als es gewesen war zu dem Zeitpunkt, an dem er es getan hatte. "Es ist das, was keiner der beiden Sforzabrüder zustande gebracht hat, und - wenn ich sie richtig einschätze - auch nie tun werden. Ich möchte nicht schlecht über sie reden, vor allem nicht vor dir, aber ich habe das Gefühl, du übersiehst aus Liebe sehr wesentliche Dinge." Tancred fühlte sich verantwortlich für Kieran, zumindest dafür, ihm die Augen vor dem eigentlich eigenen Stand zu öffnen. "Alles, was du von ihm kennst, und alles, was du von ihm jemals gesehen hast, ist inszeniert. Allein der Abend in der Taverne war es schon und meine Anwesenheit hätte um ein Haar dieses Theaterstück für ihn gekippt. Wäre ich nicht dort gewesen, oder John, der ja ganz offensichtlich auch gefallen an dir hat - mit absoluter Sicherheit kann ich dir sagen, er hätte dich niemals vor allen Leuten geküsst.

Er hat das Gefühl, sich ständig und immerfort beweisen zu müssen, so ist er groß geworden. Nicht nur er, auch Charles Brandon, auch seine Majestät selbst. Es ist ein ständiger Kampf um Anerkennung und Vorherrschaft. Ich spreche ihm sicher nicht ab, dass er Gefühle hegt, oh nein! Doch wenn du von Seelenverwandtschaft sprichst, dann würde er nur sagen, dass er dich so gut einschätzen kann, dass er mit deinen Reaktionen auf seine Taten planen kann. Er weiß, dass du wegen seiner Position am Hof zurückstecken wirst - und das wird er für immer so im Kopf behalten. Ich habe großen Respekt davor, wenn du dieses Leben bis zum bitteren Ende mit ihm leben willst."

Er musterte Kieran eine Weile. "Noch seid ihr beide jung und eure Liebe frisch. Nach allem was ich weiß, besucht Nicos Frau ihn einmal im Jahr, das sagte Charles Brandon. Er wird ihr ein Kind machen und sie nach Italien zurückschicken. Die Familie freut sich über Nachwuchs und Nico hat 9 Monate seine Ruhe. Das wird so lange gehen, bis es hier zu heiß wird, oder die Familie ihn zurück in die eigenen Reihen ruft - und mit welcher Berechtigung willst du dann in seinem Haus in Italien leben? Sicher, als Arzt der Familie hast du ein Daseinsrecht.. aber du wirst jeden Tag seine Frau sehen, jeden Tag all die anderen römischen Mätressen, die ihn umgarnen. Jeden Tag seine Kinder, bis er, Gott sei ihm gnädig, im hohen Alter friedlich sterben wird. Oder hat er dir je etwas anderes versprochen? Ich will deine Traurigkeit und deinen Frust über sein Verhalten nicht mehren, aber ich will dir aufzeigen, was für ein Mann er ist, was für Männer sie alle sind. Was für ein Mann ich gewesen bin, bis ich mich selbst mehr hasste als alles andere. Ich will dich nur warnen.. Glaube seinen Entschuldigungen nicht so bedingungslos."
 

Kieran

Kieran lauschte interessiert den Ausführungen des Mannes, der ihm einen kleinen Teil seiner Lebensgeschichte offenlegte. Und Kieran hing an seinen Lippen. Er war immer wissbegierig, wenn jemand über Dinge zu berichten wusste, die er selbst nicht kannte. Er war erstaunt, welchen Stand Nadim einst hatte, welche Möglichkeiten ihm in die Wiege gelegt worden waren. Aber er wusste auch, dass er darauf nicht neidisch sein musste. Solch ein Stand war eine große Belastung. Er wusste das von Dominico und er wusste es, weil er froh war, selbst in Freiheit geboren worden zu sein. Zumindest aufgewachsen – den Umstand seiner Geburt kannte er ja nicht wirklich. Als der andere dann auf die Kreuzzüge zu sprechen kam, nickte Kieran nachdenklich. Es war genau so, wie er es sich selsbt immer gedacht hatte. Diese ganzen Kreuzzüge waren absoluter Blödsinn gewesen und gäbe es ein Gericht, vor dem sich alle Menschen für ihre Taten verantworten müssten, dann wäre dies eines der Dinge, die besonders hart bestraft gehörten. In seinen Augen durfte man nicht Menschen abschlachten, weil man ‚glaubte‘. Aber ähnliche Gerüchte erreichten aus der neuen Welt auch die Häfen. Der Mensch war schlimmer als die Tiere, so kam es ihm jedenfalls vor.

Was Nadim über die Mauren erzählte, deckte sich mit seinem Bild von ihnen, das er sich in Spanien und aus seinen eigenen Erfahrungen heraus gebildet hatte. „Ich würde nichts lieber tun, als bei ihnen Medizin zu studieren. Sie sind viel fortschrittlicher, als wir. Ich habe gehört, dass die Medici in vielen Dingen viel weiter sind als wir. Ich würde so gerne davon profitieren...“, sagte er halblaut und in Gedanken, bevor Tancred begann Rhodos zu erwähnen. Kieran merkte, dass das eine eher kritische Geschichte für den anderen war. Daher fragte er nicht weiter nach. Dass Tancred desertiert war, ließ ihn überrascht aufsehen. „Heißt das nicht, dass du in manchen Gewässern, vogelfrei bist?“, fragte er prompt nach und sah den anderen erstaunt an. Dann hörte er wieder den Ausführungen zu. Es machte den andren durchaus sympathisch, wie dieser schilderte, dass er eben nicht den Weg des ‚Namens‘ gegangen war, sondern lieber einen Weg eingeschlagen hatte, der ihm vieles sicher komplizierter gemacht hatte. Er war seinem Herzen gefolgt und so etwas mochte Kieran. Er lächelte den anderen an. „Ich kann das gut nachempfinden. Ich weiß manchmal gar nicht, wieso ich mir den Affenzirkus bei Hofe antue, wo ich absolut gar nicht einfach nur ich selbst sein kann“, nickt er langsam auf die Worte des anderen hin, dass er frei sein wollte. Nun, so ganz stimmte es nicht. Er wusste, weshalb er es tat: für Nico. Er tat es für ihn, weil er ihm nahe sein wollte. Dank konnte er dafür allerdings nicht erwarten. Immerhin ließ sich Nico auch oft auf seine Welt ein, wenn er bei seinen Eltern war, indem er mit ihm ausging. Das war das, was jener im Rahmen seiner Möglichkeiten für ihn tat. Und indem er, wenn sie alleine waren, einfach nur er selbst war.

Als Nadim nun weitersprach und Dominico begann zu analysieren, zog sich Kierans Stirn in Falten. Es war ziemlich heftig, was er ihm da letztlich auf den Kopf zu sagte, aber er unterbrach Tancred erstmal nicht. War dem so, dass Nico eine Inszenierung an sich war? Dass er alles nur spielte, was zwischen ihnen bestand, wie es von außen wirkte? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Ja, zu ihrer Beziehung gehörte auch einiges an Schauspielerei, die dann, wenn sie alleine waren, doch eigentlich nicht mehr da war. Und doch waren da ein paar Aussagen, die ihn stutzen ließen. War dem so, dass Dominico wegen seiner Stellung bei Hofe erwartete, dass er sich immer nach ihm richte? Ja, wahrscheinlich. Schließlich sah man das gerade hinsichtlich der Situation ganz deutlich, oder? Meist schrieb Dominico, wenn er überhaupt schrieb, nur Antworten. Er musste sich darum kümmern, dass sie sich sahen. Aber war das nicht auch einfach bedingt durch die Gesellschaft? Und Kieran hatte gewusst, worauf er sich da einließ. Nico hatte ja alles dafür getan, dass Kieran ihn aufgab.

Hätte er sich lieber abwimmeln lassen sollen? Hatte er die falsche Entscheidung getroffen? Er dachte an die Briefe in Spanien, an die Kapelle...

Als er auf die Taverne zu sprechen kam, lächelte Kieran amüsiert. „Wegen John und dir?“, fragte er nach, erstmal nicht auf das eingehend, was der andere ansonsten sagte. „Heißt das, dass du noch immer Interesse hast, und ich deshalb zufälligerweise auf deinem Schiff gelandet bin? Wenn dem so ist, dann inszenierst du dich auch.“ Er blickte den anderen herausfordernd an. „Nein, ich versteh schon, was du meinst. Und ja, du hast recht, dass er der perfekte Schauspieler ist. Aber das ist er nicht immer. Nicht, wenn wir alleine sind, wenn er nackt neben mir im Bett liegt, wenn wir reden und er mir erzählt, ehrlich und aufrichtig. Auch darüber, wie ihn der Affenzirkus nervt. Sicher, die Charade gehört zu seinem Leben und er ist ein Meister darin. Aber nicht alles, was er mir zeigt, ist gespielt. Das weiß ich. Wir, die wir Männer begehren, sind nun mal alle ein Stück weit Schauspieler. Und jemand, der bei Hofe ist, noch mehr. Ich weiß das. Aber wenn ich anfange, jede seiner Handlungen in Frage zu stellen, werde ich wahnsinnig. Ich verlass mich da auf mein Gefühl. Und das hat mir damals, als er mich für eine Nacht in sein Bett ziehen wollte, auch geholfen. Immerhin war ich ihm 20 Pfund wert. Aber er hat sie letztlich seinem Bruder zahlen müssen.“

Als Tancred auf die Frau von Dominico einging, saß der Schlag schon tiefer. War es so? Ließ sie sich ‚ein Kind machen‘? Er wollte das nicht wissen, hatte einmal gesagt, dass er wusste, dass er ihn zu teilen hatte, dass er nicht wissen wollte, was er bei Hofe trieb. Er hatte auch gewusst, dass seine Frau irgendwann kommen würde. Aber sie dann zu treffen, zu sehen, wer seine Konkurrenz war, war heftig gewesen. Und das war auch das, was er Dominico nicht so bald verzeihen würde. Diese Frau war bombastisch. Und Kieran wusste, dass sie Nico einfach so für sich haben durfte. Es war… sehr schmerzhaft, dieser Neid, der in ihm tobte. Und die Aussichten, die Tancred zeichnete, und über die er sich ehrlich gesagt noch keinerlei Gedanken gemacht hatte, waren nicht weniger schön. War dem so? Würde er irgendwann nach Italien gehen? Vielleicht sogar bald, wenn die Krise bei Hofe schlimmer werden würde? Und was gedachte Nico mit ihm zu tun? Dachte er überhaupt an ihn? Ja, das war etwas, worüber sie noch nie gesprochen hatten. Und es verunsicherte ihn erneut. Würde er sich wieder nach Nico richten müssen, ihm folgen, tun, was jener verlangte? Wahrscheinlich. Aber würde er das können?

Als Arzt hatte er jede Möglichkeit, die er wollte, um irgendwo sesshaft zu werden. Das hatte er Nico zu verdanken. Und er kannte sich und sein Gefühl, in der Schuld des anderen zu stehen, auch wenn jener das Gegenteil behauptete. Würde er immer die Mätresse des anderen bleiben, solange er ihm gefiel, solange er ihm gut genug war und das Interesse nicht verblasste. Ob es jetzt schon verblasste? Jetzt, da er nicht mehr zur Verfügung stand? Kieran schluckte den bitteren Geschmack auf seiner Zunge hinunter. „Er hat mir nichts versprochen. Wir haben nicht darüber geredet“, sagte er und merkte selbst, wie tonlos seine Stimme klang. Er hatte den Blick auf seine Hände gesenkt und hatte das Gefühl, dass alle Emotionen, die er doch so gut in den letzten Tagen in Griff bekommen hatte, wieder durchbrachen und das Gefühl in seinem Magen, als würde jemand ihm die Eingeweide zermahlen, war wieder so präsent, wie in der Nacht, nachdem er Nicos Frau getroffen hatte. „Nett, dass du das nicht möchtest. Du tust es aber gerade“, knurrte er etwas schroffer als beabsichtigt. Er schüttelte den Kopf und versuchte die Gedanken loszuwerden. „Ich werde sehen, was die Zeit bringt und daraus dann meine Schlüsse ziehen“, sagte er dann mit möglichst fester Stimme. „Wenn der Versuch scheitert, dann habe ich genug Menschen, um mich, die mich auffangen. Den Rest heilt die Zeit.“ Er musste keine Angst haben, irgendwann alleine zu sein.

Und während er sich fast selbst Mut machte, stand ganz zentral in seinem Kopf eine Frage: Würde Dominico für ihn auch sein Leben aufgeben, so wie er es für ihn letztlich getan hatte, indem er nach London gegangen ist? Gut, es war nicht ganz uneigennützig gewesen. Und doch hatte er es zum Großteil für den Mann gemacht, der so höflich war, als sie das erste Mal miteinander geschlafen hatten.

„Etwas anders, Nadim“, wechselte er erneut das Thema. „Du weißt, dass Redar ziemlich krank ist und auch ich ihm nicht helfen kann?“ Kieran hatte beobachtet, dass der älteste in der Mannschaft, unter massiven Kopfschmerzen litt. Zudem deutete seine Statur an, dass ihn etwas zerfraß, das er von seiner Großmutter her kannte. „Ich kann ihm nur die Schmerzen lindern, wenn er das möchte. Redet er mit dir darüber?“ Er überlegte kurz. „Und Zafir hat Probleme mit dem Rücken. Wenn er so weiter macht, wird er langfristig nicht mehr grade laufen können. Ich könnte ihm die Wirbel wieder einrenken, das hilft zumindest ein wenig. Aber er müsste mehr geschont werden, was kaum möglich ist, weil er Redar unterstützt.“
 

Tancrèd

"Jeder Mensch tut das, wenn er anderen begegnet. Gut, fast jeder. Aber hast du das nicht auch getan, als du hier auf das Schiff gekommen bist? Du hast dir die Mannschaft angesehen, ausgelotet, wo du Anschluss finden kannst, und den ersten Schritt gemacht, in dem du dich inszeniert hast. Ich sage ja nichts dagegen, man sollte es sich nur bewusst machen. Und meine Inszenierung war doch wirklich nicht ganz so dramatisch wie die von seiner Lordschaft, oder? Immerhin laufe ich für gewöhnlich so herum, wie man mich in der Taverne angetroffen hat." Er schmunzelte leicht. "Und ja, ich habe sicher ein Auge für schöne Männer und dass ich dich hier auf dem Schiff habe, liegt vielleicht auch zu einem Teil daran. Ich habe kein Problem damit, das wirklich offen zuzugeben." Er grinste verschmitzt. "Und ich kann schon verstehen, dass er nackt neben dir ein anderer Mensch ist. Ich möchte den Mann sehen, der es nicht wäre und der dir nicht zum richtigen Zeitpunkt die ganze Welt verspricht, um etwas von dir haben zu können. Wie dem auch sei..." Er griff nach der Karaffe Wein und schenkte sich nach. "Betrachte die Sache einfach mal aus einiger Entfernung, das ist mein einziger Rat. Vielleicht ist es auch einfach nur meine zu persönliche Sorge, denn ich habe meine Schwester in genau diese große Falle tappen sehen. Sie hat sehr lange gebraucht, um die Realität zu erkennen und als es soweit war, war es bereits zu spät und sie schwanger mit einem Bastard. Das kann dir immerhin nicht passieren." Sein Humor war wohl manchmal etwas derb, aber in dieser Situation erschien es ihm passend. "Auf jeden Fall wirst du nicht lange allein bleiben, ganz egal was die Zukunft für dich bringen mag. Ich glaube du bist klug genug, um für dich das Richtige zu finden."

Damit war das Thema für Tancred geklärt. Sein inneres Bedürfnis, es Kieran zu sagen, war befriedigt und jetzt konnte er nur noch hoffen, dass der junge Mann nicht endete wie die eigene geliebte Schwester. Er hatte sie nicht so häufig gesehen, seit er selbst 16 Jahre gewesen war - und jedesmal wenn er sie dann noch zu Haus gesehen hatte, hatte sie an einem Mann gehangen, der sie niemals offiziell an seine Seite nehmen würde, und Tancred hatte ihr die Augen nicht öfnnen können. Vielleicht war er erst zu spät eingeschritten, bei Kieran hatte er seiner Meinung nach früh genug reagiert.

Das andere Thema, das Kieran auf den Plan brachte, war ebenso wichtig. Redar war der älteste und schon seit ihrer ersten Fahrt dabei. "Ja, ich weiß.. wir sprechen alle darüber. Aber Redar hat außer dieser Mannschaft nichts! Das hier ist seine Familie. Und er wird so lange hier sein und Kehlen aufschlitzen, wie er seinen Arm noch bwegen kann. Wenn er stirbt, dann tut er es hier auf dem Schiff.. das ist das, was er will und wir alle respektieren das. Was Zafir angeht, nun. Ich kann die Männer zwar neu einteilen, aber Zafir packt gern mit an. Ich werde zusehen, dass er für die nächste Woche an Land bleibt, mehr kann ich nicht tun. Auch wenn es mir ein Anliegen ist, die Männer gesund zu halten, ich kann sie nicht dazu zwingen. Aber danke für deinen Bericht, es ist gut wenn sie dich als Arzt auch anerkennen und sich von dir behandeln lassen. Erzähl mir noch ein wenig von deinen Erfahrungen als Arzt. Ich möchte sehen, wo es noch wichtig wird, dich einzusetzen.."

Und damit verbrachten sie die Nachtwache, bis irgendwann eine Ablöse kam und sie beide zu Bett gingen. Tancred hatte das Gefühl einen ganz guten Draht zu dem jungen Mann zu haben, den er eigentlich kaum kannte, aber den er wirklich kennenlernen wollte. Vor allem auch, weil John von ihm geschwärmt hatte... unweigerlich musste Tancred beim Einschlafen an Johns weiche Lippen denken - und warum nicht? Er war doch genau aus dem Grund mit John gegangen, um sich einige schöne Erinnerungen zu sammeln...
 

Kieran

Kieran nickte. „Ja das machen alle“, stimmte er zu. „Alle, weil jeder Angst davor hat, sich anderen einfach so offen zu zeigen. Es ist menschlich und sicher auch besser. Und in manchen Positionen eben wichtiger, als in anderen.“ Dominico hätte nunmal nicht in der Taverne auftauchen können, wie er normalerweise herumlief. Es wäre zum Eklat gekommen und irgendeiner hätte sicher die Chance gewittert, irgendeinen Profit daraus zu schlagen. Kieran dachte unwillkürlich an Gregor. „Mag sein, dass der Kuss eine Inszenierung war, er hat sein Revier markiert. Mir ist es ja auch seltsam vorgekommen, aber ich fand es in dem Moment in Ordnung.“ Und das war es auch gewesen. Ob Kieran ein Leben lang dieses Spiel der Masken ertragen würde können, wusste er jedoch nicht.

„Danke für die Blumen“, sagte er und grinste leicht, als er andere ihm erklärte, dass er ein schöner Mann sei. Doch was nun folgte, missfiel Kieran erneut. Irgendwie verteidigte er Dominico dauernd. Aber er wollte nun mal nicht, dass er verkannt wird. „Er verspricht mir nichts, hat von Anfang an gesagt, dass er mir keine Versprechen machen kann. Er erzählt mir nicht das Blaue vom Himmel, sondern die Dinge, die ihn beschäftigen. Er kann bei mir entspannen, einfach er selbst sein – mehr ist es nicht.“ Und doch fiel ihm auf, als er das sagte, dass er nicht direkt etwas sagen konnte, was er im Gegenzug erhielt. Ein Stipendium? Das Gefühl, gebraucht zu werden? Irgendwie irritierte ihn der Gedanke. Eine Beziehung war ein Nehmen und ein Geben. Aber was bekam er? Sicher, er bekam das Gefühl, geliebt zu werden. Er fühlte sich in seinen Armen wohl, geborgen und ganz. Das war viel wert. Aber dennoch war das dieses Gefühl von: Ich werde benutzt.

Die Geschichte von Tancreds Schwester ließ ihn aufhorchen. Ja, diese Geschichten gab es zu Hauf. Nicht selten werden diese Kinder auch ermordet und die Mütter dafür hingerichtet. Er nickte verstehend. „Ich danke dir für deinen Rat“, sagte Kieran. „Ich danke dir wirklich, denn es tut gut, einfach darüber zu reden und darauf gestoßen zu werden, immer mal wieder einen anderen Blickwinkel einzunehmen.“ Er grinste leicht. „Und, dass ich keinen Bastard bekommen kann, das ist wirklich einiges wert.“ Er lachte leicht und war etwas verlegen, bei den Worten des anderen, die ihm erklärten, dass er nie alleine sein würde. War dem so? Er war vor Dominico lange allein gewesen. Und was war ‚Das Richtige‘? War Dominico das Richtige für ihn? Der Richtige? Er wusste es nicht. Irgendwie kam er ihm in diesem Moment wieder so unendlich weit entfernt weg. Und die Sehnsucht war da, keine Frage. Aber wie lange noch? Würde er das Warten auf den anderen nicht irgendwann leid sein? Er wusste es nicht.

Kieran hörte den Erklärungen hinsichtlich Redar und Zafir zu. „Ich hoffe, ich bekomme die Gelegenheit, ihnen zu zeigen, dass ich als Arzt nicht ganz unbegabt bin“, sagte er schließlich. Dann begann er zu erzählen, wie er zur Medizin gekommen ist, wie seine Mutter ein Interesse gefördert hat, wie sie mit dem fahrenden Medicus gereist sind, dass er - egal wo er war - versucht hat, den Menschen zu helfen, und wie er schließlich zum Stipendium gekommen war. Er verschwieg, dass Nico derjenige war, der für das Stipendium letztlich der Bürge war, aber Kieran wusste, dass Nadim sich das denken konnte. Als sie schließlich abgelöst wurden, ging auch Kieran ins Bett, las noch einmal Johns Brief. Wenigstens einer, der sich darum zu kümmern schien, wie es ihm ging.

An Deck - Ein unerwarteter Brief

Tancrèd

Der nächste Tag begann in Portsmouth früh, schon mit der ersten Dämmerung. Tancreds Männer waren bereits auf dem Exerzierplatz, um mit der Besatzung der anderen Schiffe zu trainieren, während Tancred mit den anderen Kapitänen und Thomas Howard Flottenmanöver für die nächsten Tage besprach. Dann ging Tancred selbst zum Exerzierplatz, beobachtete die Fortschritte und war zufrieden. Die Moral hatte sich in den letzten Tagen tatsächlich gesteigert, Tancred hatte es eigentlich kaum für möglich gehalten. Anscheinend wirkten die Ärzte wirklich Wunder, die auf anderen Schiffen anders behandelt wurden als Kieran auf ihrem. Sie schienen dort beinahe schon verehrt zu werden und mussten sich nicht sonderlich in den Arbeitsablauf integrieren. Tancred kirtisierte das ein wenig bei den anderen Kapitänen und man einigte sich darauf, auch die Ärzte ein wenig mehr zu drillen, was die Arbeit an Deck anging.

Am Vormittag kam Post aus London und Tancred entließ die Männer, so dass sie ein wenig essen konnten und ausruhten, bevor es wieder an die Pflege der Schiffe ging.

Mit der Post kam diesesmal auch ein Brief für Kieran, unterschrieben von Giulia Sforza.
 

Kieran

Tatsächlich kam mit einer Postkutsche am nächsten Morgen eine Lieferung von John an. Und nicht nur das, auch ein Brief, der in Kieran Gefühle von Besorgnis und Unruhe weckte. Wieso schrieb ihm Lady Sforza? Was wollte sie von ihm? Ihm am Ende mitteilen, dass er die Finger von ihrem Mann zu lassen hatte? Oder womöglich eine Erklärung dafür, dass Dominico sich nicht bei ihm meldete? War ihm etwas zugestoßen? Kieran schob den Gedanken zur Seite. Er würde den Brief später in Ruhe lesen. Und wäre Dominico etwas passiert, hätte er es definitiv bereits erfahren. Da war er sich sicher.

Und so machte er sich erst einmal daran, die Medikamente unter seinen Mitstudenten aufzuteilen, aus deren Erzählungen er schloss, dass die kleinen Götter in Weiß ein nettes Leben genossen und sich damit die Zeit vertrieben, Blasen an den Händen aufzuschneiden und Verbände für kleinere Wehwehchen anzulegen. Kieran wusste nicht, ob er lachen oder heulen wollte. Aber eigentlich war ihm eher nach Lachen zumute. Tancred hatte recht gehabt, wenn er gesagt hat, dass er bei ihm wirklich über sich hinauswachsen würde können. Zumindest war er wieder er selbst und verstand sich mittlerweile ganz gut mit der Besatzung. Auch wenn Iskander ihm scheele Blicke hinterherwarf und hinter seinem Rücken mit Karim lästerte. Irgendwann würde er ihm eine aufs Maul geben müssen, damit er seine Ruhe hätte. Aber noch war die Zeit nicht gekommen. Und die Spanier erwiesen sich als herzensgute Menschen, mit denen er viel lachen konnte...
 

Kieran beteiligte sich an den Übungen, gliederte sich in die Übungen am Exerzierplatz mit ein. Als die anderen zum Mittagessen gingen, setzte sich Kieran in sein Zimmer an Deck und packte Johns ‚Geschenke‘ aus. Anschließend machte er sich daran, ihm zu schreiben. Er erzählte, wie es ihm erging, was er zu tun hatte und dass er sich wohl fühle. Das Thema Dominico vermied er. John würde in seinem nächsten Brief ihm einen Vortrag dazu halten, da war er sich sicher. Erste Andeutungen standen schon im Brief von diesem Morgen. Aber noch hatte er keine Lust dazu.

Schließlich öffnete er den Brief von Giulia.
 

Mein verehrter Herr Carney - begann der Brief in einer schön geschwungenen Handschrift, die sehr an das erinnerte, was Nico in Spanien versucht hatte, zu Papier zu bringen

Ich möchte mich noch einmal für die Umstände unseres Treffens entschuldigen. Ich möchte mit diesem Brief zum Ausdruck bringen, dass ich es euch wirklich nicht nachtrage, hier gewesen zu sein. Ich freue mich viel mehr, dass mein Mann hier jemanden gefunden hat, bei dem er all den Stress des Hofs vergessen kann. Ich kann mir zwar vorstellen, dass ihr mir das kaum glauben werdet, wenn ich sage, dass ich eure Situation verstehe, doch ich tue es. Und es tut mir unendlich leid, dass ich nicht besser vorbereitet war.

Ich weiß nicht, ob mein Mann Euch bereits geschrieben oder Euch besucht hat, da ich zur Zeit sehr häufig mit den Hofdamen zusammen bin. Ich habe versucht, ihm das Versprechen abzunehmen, die Sache mit Euch zu klären, doch ich fürchte, er sieht die Dringlichkeit, die ich sehe, nicht auf die gleiche Weise. Seid Euch versichert, dass ich weder Euch noch meinem Mann im Wege stehen will. Ich würde in Euch wirklich gern für meine eigenen bescheidenen medizinischen Künste einen Mentor finden und würde mich über eine Antwort von Euch sehr freuen.
 

Hochachtungsvoll

Giulia Sforza
 

Er las ihn, las ihn noch einmal und noch einmal. Irgendwie brachte ihn der Brief zum Lächeln, aber er wusste nicht, ob dem so gut war. Wenn der Brief ehrlich war – und warum sonst sollte sie ihm schreiben? – dann beruhigte ihn das zumindest, was ihre Anwesenheit aus ihrer Beziehung machte. Aber anderereseits tat er auch weh.

...doch ich fürchte, er sieht die Dringlichkeit, die ich sehe, nicht auf die gleiche Weise...

War Dominico wirklich nicht klar, was er damit anrichtete, wenn er alles kommentarlos stehen ließ? War ihm nicht bewusst, dass er gekränkt war? Vermisste er ihn überhaupt? Oder dachte er sich: ein Glück, Kieran ist weit weg, brauch ich mich nicht kümmern!? Nun, wenn ihm das nicht bewusst war, dann konnte er ihm auch nicht helfen, oder? Sollte er ihm schreiben? Ihm sagen: Hey du Vollidiot! Ich bin stinksauer, weil du es nicht einmal für nötig hältst, mir zu sagen, dass deine Frau kommt? Sie hatten immerhin das Wochenende miteinander verbracht. Da wäre es doch nicht zu viel verlangt gewesen, das mal nebenbei zu erwähnen, oder? Kieran seufzte. Wenn er ihr gleich antworten wollte, dann müsste er es gleich machen. Wer wusste schon, ob sie nicht heute Nachmittag wieder in See stechen würden und wie lange sie dann keinen Hafen mehr sehen würden.

Und so schrieb er:
 

Mylady Sforza,
 

ich habe mich sehr über Ihren Brief gefreut. Danke für Ihre ehrlichen Worte!

Dominico scheint keine Notwendigkeit darin zu sehen, sich mir auch nur im geringsten Maße zu erklären. Ich fasse das so auf, dass er offensichtlich Wichtigeres zu tun hat. Und da ich im Moment ebenfalls meine ganze Kraft und meine ganzen Gedanken für meine Ausbildung brauche, stelle ich das Gefühl, ihm gleichgültig zu sein, einfach einmal hinten an.

Wenn ich nach London zurückkehre, wird sich zeigen, was dann geschehen wird. Aber ich sehe nicht ein, mich behandeln zu lassen, als sei es die Selbstverständlichkeit der Welt, immer nur auf ihn Rücksicht zu nehmen. Irgendwann wird er sich entscheiden müssen, was er möchte. Und ich mich für mich.

Euch ein Mentor zu sein, würde mich sehr stolz machen. Aber ich fände es schöner, wenn ich einfach nur ein Freund sein dürfte, mit dem Ihr euch hinsichtlich eures medizinischen Wissens austauschen könnt. Ich bin mir sicher, dass Ihr einiges an Wissen habt, was die Heilkunde betrifft. Schließlich habt ihr als Frau und Mutter zweier Kinder jede Menge Situationen, in denen es unerlässlich ist, über derartiges Wissen zu verfügen. Ich freue mich, dass Ihr Euer Wissen mit mir teilen und auch mehren wollt und werde euch darin gerne unterstützen. Wenn es Eure Zeit und Euer Stand erlauben, wäre ich euch dankbar, wenn Ihr Rafael, einem der Diener Eures Hauses, sagen möchtet, dass er seine Augen weiterhin mit einem Sud aus Kamillenblüten behandeln solle, bis die Schwellung zurückgegangen ist. Ich weiß leider nicht, wann ich meine Pflichten als Arzt auf Euren Anwesen wieder erfüllen kann.

Bitte schreibt mir, wenn Ihr mich dringend braucht.

Dann werde ich eine Möglichkeit finden, zu Euch zu kommen.
 

Hochachtungsvoll

Kieran Carney

An Deck - Die Zeit vergeht

Dominico

Dominico dachte tatsächlich nicht daran, zu schreiben. Die Situation im Palast schärfte sich beinahe von Minute zu Minute, so kam es ihm zumindest vor. Beinahe täglich traf er sich mit Charles Brandon in den königlichen Ställen, in denen sie niemand beobachten konnte, und tauschte sich über die Dinge aus, die ihnen beiden gegenseitig zur Last gelegt wurden - es wurde immer schlimmer.

Wenn Nico nach Hause kam, fand er meistens einen unendlich übermüdeten Alessandro vor, der über Korrespondenz brütete und ab und an mit dem Kopf auf die vielen Briefe gebettet einschlief. Wolseys Thron kippte und Cromwell übernahm nur all zu gern die protestantische Führung in Henrys Auftrag. Katherina wurde vom Hof ins Exil verbannt und nur all zu bald darauf heiratete der König im Geheimen Anne Boleyn. Ihr Verbleib in London war nicht mehr sicher und sie beide merkten es nur all zu sehr. Während Alessandro früher die Kardinalsrobe so gern getragen hatte, weil sie alle Blicke auf sich zog, sah man ihn immer häufiger in ziviler Kleidung in den Palast reiten. Cromwell belächelte seinen "Gesinnungswandel" zusehends, doch Alessandro versuchte nach bestem Wissen und Gewissen weiterhin für Henry mit dem Vatikan zu verhandeln und damit sein Überleben am Hof zu sichern, während Cromwells offensichtliche Versuche, ihn los zu werden, immer offenere Züge annahmen, so dass bald auch Henry es nicht mehr ignorieren konnte.

Dominicos Frau erwies sich hingegen als echter Glücksgriff und ihre Anwesenheit als günstige Fügung. Statt für neue Turbulenzen zu sorgen, begab sie sich immer häufiger in die Gesellschaft von ihrer Majestät Anne, die jedes nur erdenkliche Mittel versuchte, um sich fruchtbarer zu machen, als sie es wohl ohnehin schon war. Mit List und Klugheit schaffte es Giulia so, ihr näher zu kommen und so etwas wie eine Freundin für sie zu werden. Sie berichtete ihr von all dieser "nervigen" Pracht des Vatikan und gab sich als große Reformfreundin aus. Das verschaffte ihr bei Anne offene Ohren, auch wenn Giulia zu Hause dann oft nächtelang um Vergebung dafür betete. Doch da Anne begeistert von ihrer neuen italienischen Freundin war, die ihr so viele interessante Tipps zu eigenen Kindern geben konnte, entspannte sich die Lage beinahe etwas, zumindest für Alessandro. Cromwell hatte mehr damit zu tun, Nico und Charles von Henry zu trennen. Alessandro war ja schon ziemlich abgeschrieben, wenn auch noch nicht ganz von der Bildfläche verschwunden. Allerdings war er jetzt so verwundbar, dass Cromwell nur noch auf einen günstigen Zeitpunkt warten musste. Also konzentrierte er sich mehr darauf, Anne und Giulia zu beobachten und darauf Acht zu geben, dass die Königin nicht einer Betrügerin aufsaß - Giulia gab sich jedoch offen weiblich naiv, so dass Cromwell keinen Ansatzpunkt gegen die schöne zierliche Engländerin fand.
 

Dafür spielte ihm Henrys Freude über die neuerlichen Geschehenisse in Punkto Sforzabrüder in die Hände. Der König hatte schon lange von einem Turnier gesprochen, doch jetzt nahm es langsam aber sicher Gestalt an. Ein Termin wurde in drei Monaten festgelegt, an dem sich der König und alle Edelmänner am Hof in den klassischen Disziplinen zu messen hatten, also auch Charles Brandon und Dominico Sofrza. Perfekt für den durchtriebenen Lordkanzler seiner Majestät. Mit dem richtigen Plan würde er am Turnier aller unliebsamen Feinde Herr werden, denn bei solchen Turnieren starben die Menschen doch nur all zu schnell.

Genau dieser Umstand sorgte auch im Hause Sforza kurz darauf für explosive Stimmung und damit dafür, dass Kieran weiter in den Hintergrund rückte. Zu zweit versuchten Giulia und Alessio Nico davon abzubringen, bei diesem Turnier anzutreten, doch der ließ sich das nicht ausreden. Weil es genau das war, was Cromwell sich erhoffte, und weil eine Nichtteilnahme bei Henry den falschen Eindruck hinterlassen würde. Giulia hatte allerdings kein Verständnis für Nicos Einwände, selbst wenn sie stimmig waren. Selbst Anne sprach beinahe von nichts anderen mehr - neben Kinder kriegen natürlich. Sie schwärmte von einem strahlenden Henry als Turniersieger und davon, dass sie hoffte, dass Nico und Charles und alle anderen auch ein gutes Bild abgeben würden. Giulia machte weiterhin gute Miene zu bösem Spiel, doch Annes Ausführungen brachten die Engländerin bald auf eine absurde Idee.

Sie wusste, dass sie damit in die aufgeheizte Beziehung zwischen Nico und Kieran noch weitere Kerben schlagen würde doch... es musste einfach sein!
 

Zwei Wochen nachdem sie den Brief an Kieran geschrieben und auch schon eine Antwort erhalten hatte, gab der König ein angenehmes Bankett. Anne tanzte fröhlich mit Henry und auch alle anderen feierten ausgelassen. Alessandro war nicht eingeladen worden, wartete zu Hause. Giulia saß bei ihrem Mann und sah zu, dass er dem Alkohol mehr als sonst zusprach. Sie musste ihn "locker" kriegen, sonst würde das alles nichts bringen. Als die Kutsche den Hof schließlich verließ, saß eine kichernde Giulia auf dem Schoß ihres Mannes, dessen Finger unter ihrem Rock über ihre nackten Schenkel aufwärts wanderten.

Im ersten Anlauf schafften sie es nichteinmal nach Hause, die dunkle Kutsche bot genügend Komfort, um Nico dazu zu bewegen, seiner Frau einmal wieder "eheliche Freuden" zu schenken. Als sie nach Hause kamen, war Alessandro auch immer noch wach und staunte nicht schlecht und etwas irritiert, als die beiden kichernd wie kleine Kinder und einander küssend Richtung Schlafzimmer verschwanden. Seine Augenbraue rutschte in die Höhe. Ob Kieran davon wusste? Es ging ihn aber nichts an.. also senkte er den Blick wieder auf die Korrespondenz vor sich.
 

Das nächste Erwachen neben seiner nackten und eng an ihn geschmiegten Frau fiel Nico nicht nur wegen des Katers schwer. Er fühlte ein dumpfes Schuldgefühl in sich aufsteigen - da hatte er wohl ein Versprechen gegenüber Kieran gebrochen, das er ihm eigentlich gegeben hatte.. aber er konnte sich kaum noch an etwas erinnern.. und als er kurz darauf von Amadeo geweckt wurde, um die Pferde weiterhin zu trainieren, rutschte auch das wieder in den Hintergrund.
 

John

Die Zeit ohne Kieran in seinem Haus allein mit seinem Vater war zermürbend. Er konnte seinem alten Herren wie schon immer in seinem Leben nichts recht machen, und er war froh darüber, hin und wieder auf das Anwesen der Sforzas reiten zu können, um dort in Ruhe zu arbeiten. Er vermisste Kieran, anders vielleicht als gedacht. Er vermisste ihn als Freund, der ihm ein wenig das Lachen zurückgab, das er im Moment so selten zeigen konnte. Die Uni beanspruchte ihn, besonders die Anatomie. Dafür war der Kurs der „Alchimisten“, wie er oft genannt wurde, fantastisch und machte mehr Spaß, als alles Bisherige. Um sich seine Zeit zu vertreiben, schrieb er regelmäßig an Kieran, der auch ihm berichtete, und schickte ihm dabei auch immer die Unterlagen aus der Uni mit, damit jener den Anschluss nicht versäumte. Wie er Kieran kannte, würde er wahrscheinlich auch die Abschlussprüfungen bestehen, wenn er zuvor nicht eine Vorlesung besucht hatte, aber dennoch. In den Briefen erzählte John von seinem Vater und dessen Patienten, berichtete über das Studentenleben, seine Ausflüge in die nächtliche Szene Londons und versäumte auch nicht zu fragen, ob sich Dominico bereits gemeldet habe. Es war mittlerweile schier ein Running Gag, wenn er ganz am Schluss post scriptum diese Frage noch anfügte und Kieran an der gleichen Stelle ein "Nein, noch immer nicht." setzte. Aber eigentlich war da Thema dafür viel zu traurig. Er spürte regelrecht von der Ferne, wie Kieran litt und sich dennoch nicht unterkriegen ließ. Der kleine Kerl hatte mehr Stärke, als so mach ein Stier. Immerhin hatte er es auch geschafft, dieser Meute von Seefahrern zu vermitteln, dass jemand mit ein wenig medizinischen Kenntnissen auch nicht ganz verkehrt bei ihnen war. Er hatte deutlich aus dem Brief herauslesen können, wie stolz er darauf war. Und John musste da immer schier brüderlich lächeln und freute sich mit dem anderen.
 

An diesem Abend saß er wieder vor einem Stück Pergament und haderte mit sich selbst. Sollte er davon schreiben, was er gesehen hatte, oder nicht? Sollte Kieran erfahren, dass Dominico ganz offensichtlich mit seiner Frau wieder enger zusammen war, als es anfangs den Anschein gemacht hatte? Nun, er wusste nicht genau, ob die beiden wirklich wieder richtig zusammen waren. Aber das Bild der nicht mehr ganz so gut hergerichteten Frau, die aus der Kutsche stieg, gemeinsam mit einem stark angetrunkenen Dominico, der notdürftig seine Hose hochhielt, war eigentlich eindeutig gewesen, oder? John war an diesem Abend noch lange im Labor gewesen. Sollte er es erzählen? Aber was würde es bringen? Würde es ihm die Trennung leichter machen, die doch eh schon längst im Raume stand, oder würde es ihm nur noch mehr Schmerzen bereiten? John wusste es nicht. Er entschied sich dagegen und berichtete ihm nur, dass Dominico in nunmehr zwei Monaten bei einem Turnier würde mitreiten müssen. Bis dahin würde der Kleine wieder zurück in London sein - nur noch 7 Wochen..
 

Kieran

Es vergingen Wochen, ja mittlerweile Monate und nichts kam. Kein Dominico, kein Brief, kein Wort, nichts. Er war vergessen – das wurde Kieran immer bewusster. Vergessen von dem Mann, dem er sein Herz geschenkt hatte, der ihn das seinige versprochen hatte. Und diese Erkenntnis war so bitter, so verdammt bitter, dass Kieran es noch immer nicht wirklich glauben wollte.

Er hatte Dominico vertraut, seinen Worten und Gesten vertraut, die ihm gesagt hatten, dass er ihn lieben würde. Aber wenn man jemanden liebte, dann meldete man sich doch, oder? Egal, wie schwierig die Lage war. Dann frage man, wie es einem ginge, was man täte.

Aber warum meldete er - Kieran - sich dann nicht einfach? Warum ergriff nicht doch er endlich die Initiative? Er hatte es versucht, hatte ihm einen Brief geschrieben. Einen förmlichen, aus Angst, dass er in falsche Hände geraten könnte. Er hatte ihm mitgeteilt, dass er seine Ausbildung gut meistern würde, dass er die Möglichkeit haben würde, die Prüfungen für das Semester mitschreiben zu dürfen, so dass sich das Studium an sich durch seinen Aufenthalt an Board nicht verzögern würde. Tatsächlich nutzte er Johns Aufzeichnungen und seine Bücher, um am Ball zu bleiben, und es funktionierte gut. Er konnte fast besser lernen, als wenn er in die Vorlesungen gegangen war. Dann hatte er noch ein „Ich hoffe Euch und Eurer Familie geht es gut!“ angehängt und so inständig auf eine Antwort gehofft, dass es geschmerzt hatte, als er nach drei Wochen zugeben musste, dass auch diese Brief unbeantwortet geblieben ist.
 

Kieran bekam mit, dass die Zeiten bei Hofe turbulent waren. Katharina im Exil, der König wieder vermählt, Cromwell auf dem Vormarsch und die ausländischen und katholischen Familien mehr oder weniger auf er Flucht. Und eben letzter Punkt war es, der ihm Angst machte. Was wäre, wenn Nico ginge, ohne ihm etwas zu sagen? Der Gedanke fraß ihn auf. Und doch war er entscheidend. Was würde er tun, wenn jener einfach ginge? Und was würde er tun, wenn er es ihm erzählen würde?

Die Worte Nadims kehrten immer wieder in seinen Kopf zurück, das Szenario in Italien, wo er als Hofarzt arbeiten durfte. Nein, das wollte er nicht. Definitiv nicht.

Kieran merkte, dass sein Herz begonnen hatte, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass Dominico ihn nicht mehr begehrte, dass er ihn vergaß, dass er ihm nicht mehr wichtig war.
 

Derweil suchte und fand er Ablenkung in der Mannschaft, in der er mittlerweile fest integriert war. Er hatte noch einige Zeit einfach mitgearbeitet. Irgendwann hatte er Safir überrumpelt, und ihm ohne weiter darüber zu reden, die Wirbel eingerenkt, wobei er ziemlich geschrien hatte, danach aber so dankbar gewesen war, dass alle anderen sich gewundert hatten. Nach und nach gab es kleiner Situationen, in denen er wortlos geholfen hatte, dabei bedacht, die Patienten in einer Situation zu erwischen, in der sie sich nicht gegen seine Behandlung wehren konnten.

Bei einem größeren Manöver hatte es eines der gegnerischen Schiffe doch geschafft, dem ein oder anderen eine Verletzung zuzufügen. Und an diesem Abend wurde Kieran das erste Mal aufgesucht. Es war eine angenehme Arbeit und er merkte, dass er von der Mannschaft gemocht wurde. Und auch mit Tancred verstand er sich gut. Sie hatten nicht viel Zeit miteinander, doch hin und wieder trafen sie sich in der Nachtwache. Und dann waren die Gespräche angenehm und interessant. Kieran mochte den Seemann mit dem Herz aus Gold, der seine Männer liebte und so gut behandelte, wie sich das jeder nur wünschen konnte, ohne dass er deswegen nur einen Millimeter an Autorität einbüßen musste. Vermutlich, weil Tancred ein ganz anderes Gesucht setze, wenn er Spanier am Horizont vermutete. Kieran hoffte inständig, dass er sich niemals den Hass des anderen auf sich ziehen würde...
 

Kieran vermisste John, mit dem er regen Briefkontakt pflegte und der ihm gut tat, mit London und den Ereignissen vor Ort verbunden zu bleiben. Einige Briefe hatten ihn ängstlich gemacht. Dominico würde tatsächlich bei einem Turnier mitmachen. Noch hatte er keine Gelegenheit gehabt, den Kapitän um Erlaubnis zu bitten, dort hin zu dürfen. Aber lange durfte er sich keine Zeit mehr dafür lassen.

Im Moment fuhren sie in Richtung Süden, legten es darauf an, spanischen und auch französischen Schiffen zu begegnen. Kieran, dem man durchaus gezeigt hatte, wie man mit einem Degen umzugehen hatte, hoffte immer, dass er dennoch nie diesen benutzen müsste.

Nur noch wenige Wochen...

An Deck - Blutige Rache

Rodrego

Rodrego musterte den Wandteppich, der den Stammbaum der Familie Stanley aufzeigte. Warum war ihm das nicht viel früher aufgefallen? Wieso hatte er nicht viel früher darüber nachgedacht, wem es wirklich etwas brachte, wenn seine Familie und damit auch er entehrt werden? Damals war es kein Geheimnis, dass William Stanley ebenfalls auf den Posten des Knappen unter Lord Norfolk ein Auge geworfen hatte. Doch Rodrego war der bessere Mann gewesen, kampferfahrener und mit seiner Ausbildung zum Schmied definitiv tauglicher, als jemand, der noch im frühen Mannesalter den Hintern von seiner Mutter abgewischt bekam. Rodrego erinnerte sich gut an diese Frau, mit ihrem rattenähnlichen, spitzen Gesicht, den auftoupierten Haaren und den grotesk wirkenden Spinnenfingern. Es hatte ihn gegruselt und er hatte William ehrlich bedauert, so eine Hexe seine Mutter nennen zu müssen.

Und während er darüber nachdachte, sah er sehr deutlich, wie jene Familie hinter ihm getuschelt hatte. Er konnte sich gut vorstellen, dass sie nicht mit sauberen Mitteln gespielt hatten. Und letztlich war das Protokoll des Prozesses seines Vaters Beweis genug. Denn dort hatte Lady Stanley ausgesagt, genau gehört zu haben, dass sein Vater gegen den König und seine Herkunft gesprochen habe. Rodrego betrachtete das Messer in seiner Hand, das von Blut tropfte. Nun, diese Frau und ihr missratender, hohlköpfiger Sohn würden jetzt nie wieder die Gelegenheit haben, jemanden zu verraten. Sie lagen tot in ihren Betten und Rodrego wusste, dass es wahrscheinlich einige Tage dauern würde, bis man sie fand. In jüngster Zeit waren sie wegen ihrer Verbindung zu Norfolk und auch zu ihren plötzlich treuen katholischen Ansichten beim König in Ungnade gefallen. Auch die Gunst Cromwells war dahin und die Folge war, dass sie nach und nach ins Hintertreffen gerieten. Und offenbar hatten sie auch Schulden, denn wie er in den letzten beiden Wochen, seit er den Brief von diesem ‚Freund‘ erhalten hatte, herausgefunden hatte, haben sie auch die meisten Diener entlassen. Und die letzten beiden lagen nun ebenfalls tot in ihren Betten.

Rodrego verließ das Anwesen etwas außerhalb von London, so wie er es betreten hatte, damit er niemandem begegnete. Niemand würde ihn mit den Morden in Verbindung bringen.

Die folgenden Tage war Rodrego wie apathisch. Jemanden zu ermorden, war zwar einfacher, als er erwartet hatte, aber irgendwie verfolgten ihn die Getöteten bis in den Schlaf. Er hatte das Bedürfnis, zu Alessio zu gehen, sich durch ihn ablenken zu lassen. Aber jener war in den letzten Wochen so abgelenkt gewesen, wirkte selbst nicht wirklich anwesend. Die wenige Zeit, die sie miteinander verbracht hatten, war Alessandro kaum bereit gewesen, sich wirklich fallen zu lassen, sich wirklich auf ihn einzulassen. Und auch, wenn er eigentlich nur mit ihm spielte, hatte es ihn verletzt. Sein Freund hatte ihn gelobt, für das Spiel, das er spielte. Rod glaubte nicht, dass jener wusste, dass sie so etwas wie eine Beziehung hatten. Aber es irritierte ihn doch. Was genau wusste dieser ‚Freund‘? Er wurde misstrauischer, anderen gegenüber, das merkte er deutlich. Das Gefühl, dass man mit ihm ein falsches Spiel spielte, wuchs in seinem Inneren. Und auch wenn er Genugtuung empfand dafür, dass Stanley tot war, so hatte das natürlich auch Auswirkungen. Auch für ihn. Denn wieder war eine Familie, wenngleich nur eine schottische, tot. Und viele andere ausländische verließen nach und nach das Land. Und dass es den Sforzas ebenfalls nicht gut ging, das merkte er deutlich. Es gärte und brodelte. Und wenn es die Sforzas treffen würde, so würde es auch ihn selbst treffen. Das wusste er.

Der König hatte dieses unsägliche Turnier anberaumt. Und irgendwie hatte Rod das dumpfe Gefühl, dass dieses Turnier eines der Orte sein würde, an denen unliebsame Gegener beseitig werden könnten. Ob Nico mitmachte? Er würde es beobachten müssen, um ihn zu warnen.

An Deck - Gefecht

Tancrèd

Die Zeit in Portsmouth verstrich und Henrys Navy nahm Fahrt auf. Nachdem sich nach und nach alle Neuankömmlinge in die Mannschaften fügten und die Arbeit an Deck Hand in Hand lief, verlagerte sich ihr Training wieder mehr auf die See. Es war kein morgendliches Auslaufen und abends zum Hafen Zurückkehren, nein. Tancred jagte die Männer nachts auf die Schiffe, ließ sie tagelang kreuzen - einen guten Grund an Land zu gehen gab es nur bei Verletzungen oder Proviantproblemen, doch dazu kam es sehr selten. Die Männer merkten nach und nach, dass das hier bitterer Ernst und kein einfaches Spiel war. Seine Majestät machte inzwischen auch wesentlich mehr Druck. Er hatte es offenbar geschafft, die unliebsame Gemahlin loszuwerden und durch eine jüngere Frau zu ersetzen, und jetzt waren ihm die Spanier rein gar nichts mehr schuldig - das wollte er sie auch spüren lassen. Nach einer Woche auf See und einem Wochenende in den Tavernen, um die Moral wieder zu stärken, befand Tancred, dass es an der Zeit war den ersten lockeren Feindkontakt zu suchen. Das bedeutete in diesem Fall - einfach mal auf dem Meer herumschippern und beobachten, was das andere Schiff, dem man begegnete, wohl tat.

Als sie früh am Morgen ausliefen, waren die Munitionsdepots gefüllt, ebenso wie die Speisekammer. Und seine Mannschaft war wirklich bester Laune, denn diese Fahrt versprach wieder Beute.

Sie schlugen einen südlichen Kurs ein, allerdings nicht im Flottenverband. Lediglich zwei Schiffe segelten zusammen. Man hatte Tancred vehement widersprochen, doch er hatte sich durchgesetzt. Wenn sie als Flotte segelten, alle zusammen, und es mit der spanischen Armada zu tun bekamen, die aus welchen Gründen auch immer dort kreuzte, dann war Henrys Navy dahin und das konnte wohl kaum der Wunsch des Königs sein. Sie würden die anderen Schiffe in kleinen Gruppen aufreiben, das würden sie tun. Wenn die anderen denn überhaupt angriffen, was noch immer nicht gesagt war.

Sie kamen erstaunlich weit nach Süden hinein und irgendwann änderte Tancred den Kurs. Er hatte keine Lust auf Feinde in ihrem Rücken. Als er leicht abdrehte, dauerte es nicht mehr lange, bis tatsächlich Segel in Sicht kamen und kurze Zeit später stellte sich heraus, dass der Kapitän recht behalten hatte: ein einzelnes spanisches Kriegsschiff hatte versucht, seitlich an ihnen vorbei in ihren Rücken zu kriechen, um sie dann zu überfallen. Der erfahrene Kapitän behielt einfach den Kurs bei, ging nicht direkt auf Konfrontation - doch der Spanier sah die ganze Sache etwas anders. Das zweite englische Schiff ging neben ihnen leicht versetzt in Stellung und gemeinsam trieb der Wind sie auf das spanische Schiff zu. Sie waren zwar so gesehen in der Überzahl mit zwei Schiffen gegen eins, doch das hatte bei einem erfahrenen spanischen Schiff rein gar nichts zu heißen. Der Kapitän würde, wenn er nicht beidrehte, nur neben eines der Schiffe laufen, nicht zwischen sie - und bis das zweite Schiff so beidrehte, bis es auch neben ihn kam, war der Kampf vielleicht schon vorbei. Tancred wollte nur dafür sorgen, dass er der erste war, der im Falle eines Falles zum kämpfen kam. Er lenkte die Raashno deswegen weiter in den WInd und in eine schnellere Strömung, so dass das Schiff ächzend weiter Fahrt aufnahm und das zweite Schiff etwas hinter sich zurück ließ. Der Spanier kam inzwischen ebenfalls näher. Er hatte wohl die englische Flagge ausgemacht und schien nicht sonderlich viel von dem vermeintlichen Handelsschiff zu erwarten, das sich gerade aus der sicheren Position an der Seite des zweiten Schiffres löste. Als sie noch nicht einmal in Reichweite waren, ließ der Spanier bereits die Muskeln spielen. Kanonenkugeln fegten über die Wasseroberfläche.

Tancred konnte bei so viel Hitzköpfigkeit nur den Kopf schütteln. Seine Männer bemannten die Kanonen, sie würden dieses Schiff nur versenken, nicht entern. Der Mann mit den Signalflaggen gab dem zweiten Schiff zeichen vom Heck aus - und ihr Plan stand.

Stückpforten wurden geöffnet, Kanonenhälse schoben sich in die Öffnungen. Sie waren bereit zum Feuern. Es lag eine gespenstische Stille in der Luft, während die beiden Schiffe die letzten Meter zwischen ihnen überwanden und schließlich längsseits aneinander lagen. Noch bevor das ganz geschehen war, riss Tancred das Ruder herum. Stöhnend und knarzend warf sich das Schiff gegen den Wind und bockte auf den Wellen, doch mit einer behäbigen Bewegung drehte es so bei, dass es dem Feind nicht mehr die ganze Breitseite offenbarte, aber durchaus noch aus ihr feuern konnte. Kanonen krachten in das Holz des spanischen Dreimasters und die Stille schwand mit einem Ruck, den Schreien der anderen Mannschaft. Auch sie wurden getroffen, Kanonenkugeln pfiffen unter Deck, Holz barst und Balken brachen. Dann krachte eine zweite Salve, allerdings von der anderen Seite des spanischen Schiffes. Das zweite englische Schiff bestrich die andere Seite des Spaniers auf die gleiche Weise mit einer Salve wie Tancred und drehte schließlich bei - wie auch die Raashno es getan hatte. Durch das Wendemanöver war ihnen der Spanier bereits ein Stück voraus, doch sie holten schnell wieder auf und konnten ihn jetzt in die Zange nehmen. Von diesem gut geführten Überraschungsangriff war der Feind eindeutig überrascht, zumindest sagte das ein Blick auf das Schiff, das zwischen ihnen immer wieder mit Kanonen befeuert wurde und kaum dazu kam, selbst noch zurückzuschießen. Doch vor Tancreds Augen verschwamm diese ganze Sache ohnehin zusehends - wenn man selbst an Deck kämpfte, dann verlor man schnell den Überblick, wusste nur ob man siegte oder verlor.

Sie siegten. Nach gefühlten Stunden brach der Mast des spanischen Schiffes und traf das andere englische Schiff, dessen Mannschaft an Deck sich schnell in Sicherheit brachte. Mit Äxten bewaffnet machten sich die Männer kurz darauf daran, den Mast von ihrem Deck zu entfernen, während der Spanier mit gefährlicher Schlagseite bereits begonnen hatte zu sinken. Die beiden englischen Schiffe drehten bei, nahmen Kurs auf die Heimat - leicht beschädigt aber siegreich. Die Raashno war das schnellere Schiff und segelte so voran, doch die Freudenschreie und Gesänge der englischen Mannschaft waren wirklich weit zu hören.

Die Kanonen unter Deck wurden vertäut, die Stückpforten geschlossen, die zerstörten Balken über Bord geworfen und die kleinen Schäden ausgebessert, ehe sich die Mannschaft müde aber zufrieden wieder an Deck begab. Kadmin stand eine ganze Weile neben Tancred und musterte das andere Schiff. "Der Sieg war geschenkt. Das wird nicht immr so bleiben... Ich hoffe, sie wissen das." Tancred nickte nachdenklich. "Ich denke, sie werden ebsser kämpfen, jetzt da sie einen Sieg errungen haben. Übernimm das Steuer und bring uns in den Hafen.. Ich will nach den Verletzten und nach unserem Arzt sehen."

Kadmin übernahm ohne Murren und Tancred machte sich auf den Weg den Niedergang hinunter. Er hatte keine Hiobsbotschaften gehört und hoffte, nicht mehr als ein paar Schnittwunden und gebrochene Gliedmaßen anzutreffen.
 

Kieran

Als das spanische Schiff auftauchte und ganz offensichtlich auf Konfrontationskurs ging, spürte Kieran mit einem Mal, wie das Adrenalin begann durch seine Venen zu schießen. Und das lag unter anderem auch daran, dass ihm gerade das erste Mal so richtig bewusst wurde, wie aussichtslos so eine Situation an Board ist. Hier ging es um alles oder nichts. Denn wurde man versenkt, war man tot. Selbst wenn man noch leben würde, würde man niemals ans Ufer zurückkommen oder gar von den Feinden an Board genommen werden. Man war seinem Schicksal überlassen. Und das war auf so hoher See der sichere Tod. Wenn einen nicht die Haie oder anderen Tiere fraßen, dann verdurstete man oder ertrank, weil man zu schwach war, sich über Wasser zu halten.

Kieran verdrängte die Gedanken daran, dass er unter Umständen bald tot wäre, so gut es ging. Und die Kommandos, die gebrüllt wurden, waren eine gute Möglichkeit, sich abzulenken. Er arbeitete, ohne viel nachzudenken, tat, wie ihm geheißen. Nichts deutete darauf hin, dass sie das andere Schiff, ein Kriegsschiff, ausbeuten wollten. Wahrscheinlich gab es eh nichts zu holen. Und Waffen und Gefangene belasteten ein im Kampf womöglich beschädigtes Schiff nur unnötig mit Ballast. Also war klar: entweder trieben bald ihre Körper im Meer, oder die der anderen. Und diese Erfahrung war neu für Kieran, komplett neu. Und daher schaltete er lieber seinen Kopf aus. Er vertraute auf die Mannschaft, hatte sie in den letzten Wochen kennen und lieben gelernt. Und er war sich sicher, mit Tancred einen der erfahrensten Kapitäne der Welt zu haben. Also, einfach vertrauen und seinen Teil dazu beitragen, dass sie nicht untergehen würden.

Kieran bekam gar nicht so recht mit, was geschah, folgte nur den Anweisungen. Und doch spürte er die Anspannung nur zu deutlich, als der Gegner mit einem Mal gleichauf war, erste Kanonenkugeln flogen, die jedoch weit ab von ihnen im Meer auftrafen. Mittlerweile war er unter Deck, lud die Kanonen und bald darauf trat mit einem Mal eine gespannte Stille ein, die ihm eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Gleich würde sich zeigen, wer bald bei den Haien schwamm. Irgendwie musste Kieran bei dem Gedanken lächeln – Galgenhumor, irgendwie. Und doch verschwand das Lächeln, bei einem ganz anderen Gedanken: dem, an Dominico. Er schluckte, empfand irgendwie mit einem Mal eine heftiges Gefühl von Schmerz. Er hatte sich nie mit ihm aussöhnen können, hatte sich nie verabschieden können. „Leb wohl“, wisperte er, als könnte jener ihn hören. Im nächsten Moment flog er zur Seite, knallte heftig gegen die Wand. Jamahl fluchte und schrie ihn an, er solle aufstehen und gefälligst aufpassen. Er hörte an der Stimme des jüngeren, dass der mächtig Angst hatte. Kieran, spürte, dass ihm Blut über die Stirn lief, aber der Aufprall war nicht allzu heftig gewesen. Er stand auf und war wieder bereit. Die anderen kannten die Taktik ihres Chefs, er war nicht darauf vorbereitet gewesen, dass das Schiff mit einem Mal gedreht hatte und sie nun wesentlich weniger Angriffsfläche boten. Und nun ging es weiter: Das Donnern der Kanonen, der Rauch, der einem fast den Atem nahm, das Schreien von Mannschaftsmitgliedern und Gegnern, die verletzt waren, eingeklemmt waren oder einfach nur Befehle weitergaben. Als es wieder donnerte und sie bei weitem noch nicht fertig waren, nachzuladen, dachte Kieran einen Moment, die Spanier hätten schneller geladen als sie. Doch sie wurden nicht getroffen. Es klang eher so, als seien die Spanier getroffen worden. Und nur langsam begriff er, dass das andere englische Boot nun offenbar mit eingegriffen hatte. Erste Rufe wurden laut, die bezeugten, dass die Spanier sanken. Man eilte an Deck, um dort zu helfen und zu verhindern, dass deren Untergang auch ihren Untergang bedeutete. Und als sie wieder Fahrt aufnahmen, um dem Sog zu entkommen, den so ein Untergang mit sich brachte, breitete sich relative Erleichterung und ein Gefühl von Glück aus. Man jubelte, bejubelte sich und doch waren alle wieder emsig dabei, alles in Ordnung zu bringen. Und auch Kieran hatte seine Aufgabe: er musste nun als Arzt tätig werden. Und mittlerweile gab es da keine Diskussionen mehr. Er eilte in seine Kajüte und holte seinen Koffer, dann machte er sich daran, die Verletzten zu verarzten, Knochenbrüche zu fixieren und zu arbeiten und zu arbeiten und zu arbeiten. Er schickte Jamahl immer wieder in sein Zimmer, um dies oder das zu holen, blieb selbst bei den Verletzten, deren Zahl zum Glück nicht hoch war. Seine eigene Erschöpfung merkte er kaum, noch puschte ihn das Adrenalin. Es war nur eine Frage der Zeit, bis auch er nicht mehr konnte. Solange funktionierte ein Körper aber meistens.

Als Tancred zu ihnen trat und die Verletzten besuchte, nahm das Kieran nur am Rande wahr. Erst als der letzte versorgt war, blickte er zu seinem Kapitän auf und lächelte müde. Dann stand er wankend auf. „Alle versorgt“, erstattet er Bericht. „Die beiden Armbrüche werden 4-6 Wochen brauchen, dann ist alles wieder in Ordnung. Das Bein sieht schlimmer aus. Ich hoffe, ich habe es so hinbekommen, dass es wieder zusammenwächst. Aber es war schon zu geschwollen, als dass ich viel hätte tasten können.“
 

Tancrèd

Schlachten auf See waren meistens sehr kurz, dafür aber heftig. Oder aber sie dauerten ewig, weil man ein Schiff ersteinmal verfolgen und stellen musste. Außerdem hatte die See einen sehr großen Einfluss auf das, was letztlich passierte. Winde, Strömungen und Wetter konnten sich ändern und manchmal sogar dafür sorgen, dass ein Kampf unentschieden zu Ende ging - Tancred kannte das nur zu gut. Diesesmal jedoch war das Wetter, die See und die Winde mit ihnen und nicht mit den Spaniern. Als das spanische Schiff sank und die Männer von Deck sprangen, wusste Tancred, dass die meisten von ihnen sterben würden. Land war weit weg und auch wenn sie ein Boot hatten und noch navigieren konnten, es war unwahrscheinlich, dass sie das überleben würden. Er wünschte ihnen trotzdem das Beste, denn Männer an die See zu verlieren war immer schmerzlich und der Tod durch Ertrinken fürchterlich. Dennoch gab es in diesem Moment entweder sie oder die Spanier und Tancreds Entscheidung war da recht einfach. Als sie jetzt wieder gen Heimat segelten, die sie noch heute erreichen würden, fühlte er sich besser. Dieser Kampf hatte Spannungen in der Mannschaft gelöst und ihnen gezeigt, dass sie es noch immer beherrschten, einen Feind in die Knie zu zwingen - manchmal brauchte man das einfach.

Während die Männer das Schiff ausbesserten, die Kanonen reinigten und das Deck wieder auf Vordermann brachten, kam langsam aber sicher die englische Küstenlinie in Sicht. Es war schon erschreckend, wie nah die spanischen und französischen Schiffe der Küste kamen. Außerhalb der Sichtweite, ja - aber immer noch viel zu nah, wenn es nach Tancred ging. Es war nichtmal eine Tagesfahrt, die eine Flotte zur englischen Küste brauchen würde. Henry tat wirklich gut daran, die eigenen Gewässer jetzt zu sichern.

Sie trafen sehr bald auf andere Schiffe ihrer Flotte und teilten durch Fahnenzeichen mit, was geschehen war - daher begleitete sie großer Jubel, als sie am Abend wieder in den Hafen einliefen. Tancred bekam das nicht wirklich mit. Er besah sich unter Deck die Verletzungen seiner Männer, die zum Glück nicht all zu schlimm ausgefallen waren. Ein paar Schrammen hier, zwei gebrochene Knochen und ein zertrümmertes Bein - nichts was unheilbar blieb. Zufrieden nickte er und lächelte dann Kieran an, dem die Erschöpfung ins Gesicht geschrieben stand. Er war es eben doch noch nicht ganz so gewohnt wie der Rest der Mannschaft, der sich jetzt bereits darauf freute, Feiern zu gehen. "Gut gemacht", lobte er den Arzt. "Meint ihr nicht alle, dass es an der Zeit ist, sich bei unserem Bordarzt zu bedanken?", fragte er in die Rund der Verletzten und zustimmendes Gebrummel erhob sich, während Tancred sich wieder an Kieran wandte. "Du leistet wirklich sehr gute Arbeit, Kieran. Ich hätte nicht gedacht, dass ein Arzt wirklich viel helfen kann, aber du beweist mir das Gegenteil. Sieht so aus, als könnte selbst ich noch etwas lernen. Und jetzt solltest du dich ausruhen, du siehst wirklich so aus, als könntest du etwas Ruhe vertragen." Tancred hörte wie draußen der Anker ausgeworfen wurde... Anscheinend hatten sie heute keinen Platz am Kai bekommen. Die Verwundeten würden auf dem Schiff bleiben, doch Dank der Medikamente schliefen sie jetzt ohnehin schon halb und würden bald ganz schlafen. Die anderen machten sich in einem Boot auf den Weg an Land, während drei andere noch knobelten, wer die Wache zu übernehmen hatte. Tancred entließ sie alle drei und kündigte an, die Wache selbst zu übernehmen - er hatte keine Lust auf das Geprahle an Land und des anderen Kapitäns, der sich jetzt sicher wie Poseidon persönlich aufführte, weil er die Spanier in Überzahl bezwungen hatte.

Er begnügte sich lieber damit, Kieran in seine Kajüte zu bringen. Seine meinte damit die Kapitänskajüte, in der er Kieran auf das wesentlich größere Bett setzte, ehe er weiteres Verbandsmaterial holte. Er war zwar kein Arzt wie Kieran, aber für dessen Kopfwunde reichte es gerade noch. "Jetzt spiele ich mal den Arzt für dich...", kündigte er an. "Du hast heute schon genug geleistet. Jetzt verdienst du es mal, dass man sich um dich kümmert." Er grinste schief und machte sich daran, die Wunde etwas zu säubern, nachdem er sich selbst die Hände gewaschen hatte. Eine Sache, die er sich ebenfalls von Kieran abgeschaut hatte. Die Wunde sah allerdings schon gut aus und so wusch er hauptsächlich Blut und Pulverrauch aus Kierans Gesicht, bis es wirklich sauber war. Eine Wundcreme vervollständigte die ärztliche Versorgung und Tancred wusch sich abermals die Hände und hielt Kieran die Schüssel hin, so dass er sie auch waschen konnte. "Du bist wirklich gut in dem, was du tust. Und ich gebe nicht sehr häufig Komplimente", meinte der Franzose leise, während Kieran die Hände ins Wasser tauchte.
 

Kieran

Kieran lächelte, als Tancred ihn vor den Verletzten für seine Arbeit lobte, überhaupt das erste Mal für seine Arbeit hier an Deck gelobt wurde. Er machte sie gerne, klar. Er half den andren gerne, in jedem Fall. Aber auf Dauer war es schon zermürbend, wenn kein Bitte und kein Danke kam. Auch wenn er wusste, dass sie ihm letztlich doch dankbar waren. Aber das, was nun folgte, war so gar nicht das, was Kieran mochte. Klar freute er sich über Lob. Aber so in der Mitte zu stehen und von allen Seiten… da wurde er verlegen und fühlte sich nicht wohl. Und so war er froh, als Tancred ihm erklärte, dass er sich auch ausruhen sollte. Er nickte schnell und trat aus dem Kreis, nur um möglichst schnell aus der ihm ungewohnten Situation zu kommen. Natürlich kannte er es, wenn man „gelobt“ wurde, vom Publikum. Aber da war er nie im Mittelpunkt gestanden. Er merkte, dass er ziemlich erschöpft war, zumindest fühlte es sich so an, obwohl er wusste, dass er jetzt nicht würde schlafen können. Während die anderen die Beiboote herunterließen, machte er sich auf den ihm unendlich lang vorkommenden Weg zu seiner Kajüte, wo er allerdings von Tancred eingeholt wurde und mit in dessen Kajüte genommen wurde. Kieran wehrte sich nicht, wollte er sich nur irgendwie setzen. Ihm war irgendwie seltsam zumute. Als ihn der andere auf dessen Bett drückte, blickte er ihn etwas irritiert an. Doch sobald er saß, merkte er, dass der Gang ihm deshalb so schwer gefallen war, weil seine Knie unkontrolliert zitterten. Fasziniert beobachtete er sich eine Weile, hörte gar nicht so recht, was der andere sagte und blickte erst auf, als der andere vor ihn trat. Jemand, der sich um ihn kümmert… langsam sickerten die Worte zu ihm durch. Jemand, der sich kümmert. Er schluckte. Ja, das vermisste er. Er vermisste es sehr. War er verwöhnt, was das betraf? Vielleicht, aber er kannte es einfach nicht anders. Es war seltsam, aber eigentlich hatte er sein Leben lang immer jemanden gehab, der sich um ihn gekümmert hat. Er hatte immer jemanden gehabt, zu dem er gehen konnte, wenn es ihm schlecht ging. Aber seit er hier auf dem Schiff war, hatte er nur noch die Briefe an und von John gehabt.

Kieran hielt still, während Tancred ihm seine Wunden säuberte. Seine Augen blickten in das Gesicht, des Mannes vor sich und wieder fiel ihm sein Auge auf, das so warm war. Hätte er das andere Auge nicht verloren, würde jener sicher noch liebenswürdiger aussehen. Auch wenn die Augenklappe nicht wirklich störte.

Als Tancred ihm die Schüssel hinhielt, wusch er sich ebenfalls ganz automatisch die Hände, als er die Worte hörte und wieder aufblickte. Er schmunzelte, hatte aber noch immer nicht seine Sprache wiedergefunden. Und so wendete sich Tancred leicht ab, um die Schüssel wegzustellen. Kieran erhob sich vom Bett, um wenigstens etwas höher zu sein, und sah Tancred an, der sich ihm wieder zuwendete. „Das ist schon das zweite Kompliment, das du mir machst“, erwiderte er nun ebenso leise. „Ich danke dir, für beide Komplimente. Und kann sie beide eigentlich auch nur zurückgeben.“

Er wusste nicht wirklich, warum er das tat und was er hier tat. Aber er hatte das ganz furchtbar dringende Bedürfnis, den anderen zu küssen. Und daher folgte er diesem Impuls. Er streckte sich, küsste ihn sanft, zärtlich, vorsichtig, abwartend, was geschehen würde. Und als sich Tancred nicht wehrte, vertiefte er den Kuss, legte ihm seine Arme auf die Schultern und schmiegte sich an den Körper. Er wollte einfach nur gehalten werden. Die Finger seiner einen Hand glitten in das Haar des anderen, das sich unerwartet weich anfühlte. Und irgendwie tat es gerade einfach nur gut, das zu tun, was er tat.
 

Tancrèd

Es war für Tancred selbstverständlich, sich um seine Männer zu kümmern, wenn es darauf ankam. Wenn sie in eine Seeschlacht fuhren, überließ er das Steuer nur sehr ungern anderen, nur dann, wenn es wirklich ans Entern ging. Sonst lenkte er das Schiff und hatte deswegen am wenigsten körperliche Arbeit, bis auf das Brüllen von Befehlen und das Halten des Schiffes auf Kurs, wenn der Rückstoß einer Breitseite es zur Seite drückten. Er war der Meinung, dass es für einen Kapitän mehr als nur wichtig war, die ganze Zeit handlungsfähig zu bleiben, und das war er auf dem Posten einfach am besten. Außerdem konnte er sich im Nachhinein ein besseres Bild machen, wenn er die ganze Zeit den Überblick behielt.

Sich jetzt um Kieran zu kümmern, der Unglaubliches in der kurzen Zeit geleistet hatte, war nur gerecht. Er stellte gerade das Wasser bei Seite, zufrieden mit seiner Arbeit, die gar nicht so schlecht gewesen war wie er fand, als er Kierans Bewegung auf dem Bett spürte. Als er sich wieder zu ihm drehte, hatte Kieran sich etwas weiter aufgesetzt und sie waren fast auf Augenhöhe. Die Augen des anderen fingen ihn ein und Tancred dachte an Dominico Sforza und die Tatsache, dass er diesen Mann einfach so... allein gelassen hatte. Mit ihm. In dem Wissen, dass Kieran und Tancred vielleicht zusammen arbeiten würden. Der Kapitän wusste nicht wirklich, wie lange er weiterhin Abstand halten konnte, denn in den letzten Wochen hatte er Kieran wirklich mögen gelernt und ihre Abende an Deck waren von so offenen und anregenden Gesprächen geprägt gewesen, dass Tancred mehr und mehr ins Schwärmen kam. Er hatte sich gut im Griff, vor allem weil er Kieran nicht zu etwas drängen wollte, das der junge Mann nicht bereit war zuzulassen. Aber er mochte ihn und der Gedanke, irgendwann doch mal mehr zu bekommen, war sehr präsent. Und als hätte Kieran seine Gedanken gelesen, streckte er sich... und dann spürte Tancred Kierans Lippen auf seinem Mund. Er war viel zu überrascht, um in die eine oder andere Richtung zu reagieren, hatte den Mund vor Erstaunen leicht geöffnet - und Kieran nutzte das direkt aus, um den Kuss zu vertiefen. Tancreds Auge schloss sich langsam, genoss das Gefühl, das er gerade mehr einem Tagtraum zurechnete als der Realität. Dann fühlte er Kierans Arme auf seinen Schultern, die Hand in seinem Haar und begriff, dass das hier nur all zu wirklich war. War es gut? War es richtig? Tancred war niemand, der darüber lange nachdachte. Er nahm die Situationen wie sie kamen, nachfragen konnte er später immer noch. Weil Kiern so erschöpft war, wollte er ihn nicht all zu sehr in diese unbequeme Position zwingen und drehte sich ihm weiter zu, so dass der junge Mann sich bequem in die Kissen lehnen konnte, ohne den Kuss unterbrechen zu müssen - und Tancred erwiderte ihn sanft. Und dennoch spürte man in seiner Art zu küssen, was für ein Mann er war. Er war nicht besitzergreifend wie Dominico, nein. Er war sanft, neugierig, aber gleichermaßen zärtlich und abwartend. Er wollte Kieran die Chance geben, zu zeigen, was er wollte, ohne ihn direkt damit zu überfallen, was sein Körper schon bei diesem unschuldigen Kuss verlangte.

An Deck - Halt geben

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

London 3 - Offenbarungen

Kieran

Es war ein Samstagmorgen, als er Niamh sattelte und sehr früh schon losritt, um aus dem Anwesen der Bruder Sforza nach dem Rechten zu sehen und seine Pflichten wahrzunehmen. Er drehte seine Runden auf dem Anwesen, ritt die einzelnen Gehöfte an, um nach den Patienten zu sehen, die behandelt werden mussten. Schließlich war er noch für John ein wenig im Labor zugange und hoffte dabei inständig, so unauffällig wie möglich zu sein. Denn eines war gewiss: er hatte im Moment noch keine Zeit gefunden, sich mit dem Thema Dominico irgendwie auseinander zu setzen. Und irgendwie wollte er ihn einfach nicht sehen.
 

Alessandro

Als der Kardinal am frühen Morgen die Augen öffnete und in den halbdunklen Raum blinzelte, war das Haus noch ruhig. Es war beinahe seltsam.. eigentlich war er immer der letzte, der erwachte. Doch in letzter Zeit fand er kaum Schlaf, schlief äußerst schlecht und hatte keine wirkliche Ambition, sein Bett aufzusuchen.. zumindest meistens nicht. Stattdessen hatte er beständig das Gefühl, nicht genug zu tun, nicht genug zu versuchen, um ihre Situation zu verbessern. Er tappte völlig im Dunkeln was ihren Gegenspeieler anging. Cromwell war zwar offensichtlich ihr Gegner, doch wenn er die Fäden bei all den Dingen zog, die ihnen inzwischen Steine in den Weg legten, dann war er besser als Alessandro glaubte. Er vermutete einen anderen Mann, einen der noch nicht auf der Bildfläche erschienen war, doch einen mit viel Macht. Und Alessio hasste es, so im Dunkeln zu tappen.

Neben ihm kam Bewegung in den Körper, der langgestreckt dort lag und an den Alessio sich geschmiegt hatte. Doch Rod drehte sich nur leicht und schien dann weiterzuschlafen. Rod war der einzige, der ihm soetwas wie Schlaf schenken konnte. Wenn sie miteinander schliefen, war Alessio meist so erschöpft, dass er einfach einschlief und nicht mehr nachdachte. Er war Rodrego wirklich dankbar dafür, auch wenn er wusste, dass er meist abwesender wirkte, als er war, und er wusste auch, dass Rod das merkte. Aber all seine Probleme ließen ihn einfach nicht mehr los, und auch wenn er den Kardinal zwischen ihnen herausließ, so standen all die Dinge noch immer zwischen ihnen, die in letzter Zeit im Palast vorfielen.

Doch jetzt gerade, mit all seinen Probleme auf der anderen Seite der Tür seines Schlafzimmers, konnte er sich zumindest noch ein wenig entspannen. Alessandro drehte sich langsam zu Rodrego, der noch tief zu schlafen schien. Er schmiegte sich in Rods Arme und an seine Brust, die Augen geschlossen und konzuentrierte sich auf das zwischen ihnen. Auch das machte ihm zu schaffen, weil er einfach nicht wusste, was es wirklich zu bedeuten hatte. Wenn sie sich sahen, hatten sie meistens Sex. Rod war nicht allein der, der es wollte. Alessio hatte irgendwie ziemlichen Gefallen daran gefunden, von Rod genommen zu werden, und er konnte sich fallen lassen und vergessen. Vielleicht war es deswegen so. Und Alessio glaubte auch, dass Rod da genauso mehr fühlte wie er selbst - aber mit Sicherheit sagen konnte er es nicht. Nur was ihn selbst betraf, da wusste er sehr genau, wie es um die Gefühle bestand.

Und noch schlief Rod.. und Alessio hatte das Gefühl, dass es ihm helfen würde, wenn er jetzt mit der Wahrheit herausrückte. Wenn er es in die Stille hineinsagte. Dann hatte er es gesagt und Rod würde es vermutlich nicht mitbekommen, aber er selbst hätte es endlich wenigstens gesagt. "Ti amo!", flüsterte er leise gegen Rodregos Brust - und es fiel ihm tatsächlich einer der Steine von der Brust.

Er hatte es gesagt. Einfach gesagt - und es zu sagen war schlicht und ergreifend gut gewesen.

Seine Finger strichen über Rods muskulöse Brust, nach hinten auf seinen Rücken und schmiegte sich noch näher an ihn. Vielleicht ließ sich der Tag damit besser durchstehen und vielleicht gelang es ihm, Dominico davon zu überzeugen, doch nicht beim Turnier anzutreten.
 

Rodrego

Rodrego wachte von einem sich bewegenden Körper auf, der sich an ihn schmiegte. Doch irgendwie wollte er den Tag noch nicht anbrechen sehen ,wollte noch nicht, dass sie sich trennen mussten, wollte noch nicht zusehen, wie Alessio wieder zu jenem wurde, der im Moment wohl so viel zu tragen hatte. Letztlich war es seine Scham vor sich selbst, seine Angst davor, genau hinzusehen, die ihn die Zeit kurz anhalten lassen wollte, bevor er die Augen öffnete und in das Gesicht des Mannes blickte, der in den letzten Wochen und Monaten um so vieles gealtert zu sein schien. Und auch wenn jener es nicht wusste, so wusste Rodrego selbst, dass auch er ein Grund dafür war, dass Alessio die Last der Sorgen quälte. Mittlerweile ahnte er es nicht nur, er wusste es sogar. Die Zufälle waren zu deutlich gewesen. Wenn er einen Brief an den Unbekannten geschrieben hatte, und Alessandro daraufhin noch sorgenvoller wirkte, ahnte er, dass die Informationen, so unwichtig sie ihm selbst erschienen, wohl in anderer Hand wesentlich mehr wert waren. Und anfangs hatte er sich noch mit dem Gedanken getröstet, dass es dem Mann, der einen Teil seiner Familie auf dem Gewissen hatte, recht geschah, dass er nun selbst leiden wird. Aber mittlerweile und besonders seit dem Mord an der Familie Stanley, war er sich nicht mehr so sicher.

Wenn er bei Alessandro war, merkte er mehr und mehr, dass er jenen brauchte, dass er ihn begehrte, dass er ihm gut tat – ja, dass er ihn letztlich einfach liebte. Aber dieses Gefühl war so weit weg von der Realität, in der er ihn eigentlich nur hatte ausnutzen wollen, in der er ihn dafür bestrafen wollte, was er getan hatte, in der er ihn leiden sehen wollte.

Aber mittlerweile wollte er das ganz und gar nicht mehr. Mittlerweile wollte er ihn im Arm halten und schützen vor dem, was auf den anderen einzubrechen drohte. Wenn Rodrego in den Spiegel blickte, sah er einen elendigen Feigling und Lügner – er hasste sich für das, was er getan hatte, was er tat. Er sollte ehrlich sein, sollte Alessandro helfen, sollte ihn fragen, was ihn beschäftigte, was ihn quälte, wie er ihm helfen konnte. Aber er traute sich nicht. Er hatte Angst vor dem, was er hören würde, hatte Angst davor, dem anderen zu sagen, dass er Teil seiner Sorgen war. Er hatte Angst davor, das nicht mehr zu haben, was er jetzt hatte. Jetzt, hier in seinen Armen.

“Ti amo!“

Rodrego hatte alle Mühe, nicht die Augen zu öffnen, zwang sich, ruhig zu bleiben, sich nicht anzuspannen und irgendwie anders preis zu geben, dass er gerade etwas gehört hatte, das ihn hart traf. So hart, dass ihm schlecht wurde. Hatte er sich verhört? Nein, bestimmt nicht. Alessandro hatte gerade in dem Glauben, dass er noch schliefe, ihm seine Liebe gestanden. Rodrego spürte, dass ihm schwindelig wurde, begriff mehr und mehr, wer hier das Monster war. Zu gerne würde er die Augen öffnen und dem anderen sagen, dass er ihn auch liebte – und es wäre noch nicht einmal gelogen - , aber wie könnte er das, wo er doch wusste, dass es noch eine andere Wahrheit gab. Eine, in der er Alessio seine Gefühle vorgespielt hatte, in der er den anderen benutzt hatte, um Informationen weiterzugeben, in der er darauf gehofft hatte, dem anderen möglichst große Schmerzen zuzufügen.

In diesem Moment beschloss Rodrego, keinen dieser unsäglichen Briefe mehr zu beantworten, in denen er ein wenig darüber schrieb, was Alessandro Sforza gerade machte und was auf ihn zukam. Er hatte ohnehin nie viel gewusst, aber nun würde er die Briefe nicht mehr beantworten, sie nicht mehr lesen. Wer auch immer hinter den Briefen steckte – er war böse, abgrundtief böse. Und er würde nicht mehr länger seine Schachfigur, sein Bauer sein.

Rodrego wartete noch einen Moment, bis er sich leicht streckte und so tat, als würde er jetzt aufwachen. Seine Arme legten sich fester um den Körper des anderen und zogen diesen zu sich. Fahrig küsste er Alessandro auf die Stirn, bevor er blinzelte und den anderen ansah. Er lächelte und küsste ihn noch einmal auf die Stirn. “Guten Morgen, Alessio mio“, murmelte er und schloss noch einmal die Augen. „Hast du es eilig?“, fragte er dann. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein, dass der andere zu spät zu irgendetwas kam. Seine Finger streichelten dem anderen über den Rücken. „Ansonsten könnten wir noch zusammen frühstücken.“
 

Alessandro

Einen Moment lang glaubte Alessandro fast, dass Rod sich rührte als er diese Worte aussprach, doch das war wohl mehr die Angst irgendwie erwischt oder entdeckt zu werden und nicht die Realität. Es dauerte noch eine Weile, bis Rodrego sich doch rührte, wohl weil Alessio neben ihm aktiver geworden war und ihn kraulte. Er schmunzelte leicht, als Rod ihm einen Kuss auf die Stirn gab und streckte sich ihm entgegen. Sie waren noch immer nackt, so wie sie am Abend zuvor ins Bett gegangen waren, und Alessio genoss es sehr nackt neben Rod zu erwachen. Es war ein gutes Gefühl, eines, das er vermisst hatte, und es war genau das, das ihm Kraft gab, wenn er mal wieder über dem Leben verzweifelte, das er sich selbst zu führen gezwungen hate. Er strich Rod sanft über die Wange und küsste ihn leicht auf die Lippen, als der mehr erwachte. Er wäre gern liegen geblieben, gern noch ein wenig bei Rod, in seinen Armen und einfach weit weg von den Sorgen. Doch leider wurden diese in seiner Abwesenheit beständig größer und so konnte er seine wichtigen Termine nicht mehr einfach so fahren lassen wie er das ab und an früher getan hatte. "Ich würde gern..", flüsterte er leise, ehe er seufzte. "Aber ich kann nicht. Ich habe wirklich einige wichtige Dinge zu erledigen.. vor allem momentan für die Sicherheit meines Bruders zu garantieren, der ja einfach nicht einsehen will, dass dieses Turnier die Gelegenheit für seine Gegner sein wird, ihn schwer zu verletzen. Also muss ich zusehen, dass es sicher ist.. auch wenn ich nicht weiß wie. Ich werde mir darüber Gedanken machen, wenn ich im Palast mit einigen wenigen Freunden spreche." Er zuckte mit den Schultern. "Zumindest findet Lady Anne uns dank Giulias Talent wieder ganz interessant. Sie will Italienisch lernen, weil sie glaubt, dass es eine wichtige Sprache ist und ja so ähnlich sei wie Latein - also ganz leicht zu lernen." Er verdrehte die Augen. "Aber was Mylady will, ist mir gerade Befehl, denn ich will wirklich nicht am Galgen landen..." Und das war in Zeiten wie diesen alles andere als leicht. Mit einem letzten Kuss schob sich Alessio aus dem Bett und fing an sich anzukleiden. "Du weißt, dass in ein paar Tagen die Feier für die heilige Christina sind, oder? Bevor wir feiern, gibt es wie immer einen Gottesdienst in der Kapelle... Ich halte ohenhin schon viel zu wenige Messen für die Angestellten, sie freuen sich darauf. Es wäre schön, wenn du auch kommen würdest.. es wird immerhin ein italienisches Fest." Er lächelte leicht und dachte wehmütig an die Zeit wirklicher italienischer Feste zurück. Eigentlich hätte er es einfach ausfallen lassen - in Anbetracht der Lage, doch Giulia bestand darauf und hatte alles vorbereitet - also spielte Alessio eben mit, so wie sie es wollte.
 

Rodrego

„Soll ich einmal mit ihm sprechen?“, fragte Rodrego, als Alessandro auf das Turnier zu sprechen kam. Für dieses unsägliche Turnier hatte er auch einen größeren Auftrag erhalten. Er hatte sich noch nicht genauer damit befasst. Er würde sich in den kommenden Tagen darum kümmern. Auch Rodrego hatte Angst vor dem Turnier, welche Gräueltaten dort auf alle warten würden. Irgendwie ahnte er Böses, ohne klar sagen zu können, was es war. Er hörte Alessandros Ausführungen hinsichtlich Giulia und lächelte. „Darin, Herzen für sich zu gewinnen, war Giulia schon immer unschlagbar. Ich bin froh, dass sie da ist und euch unterstützt." Als Alessio den Galgen erwähnte, verdunkelte sich Rods Stirn. Das klang nicht gut. Oder war das nur lapidar dahingesagt? Aber angesichts der tiefen Sorgenfalten, die Alessandro in den letzten Wochen getragen hatte, waren die so lapidar klingenden Worte augenscheinlich weniger Spaß als vielmehr Ernst. Rodrego spürte ein ungutes Gefühl in sich. ‚Ich muss endlich ehrlich sein‘, mahnte er sich selbst. Ich muss endlich ehrlich sein… Aber er konnte nicht. Die Vorstellung, Alessandro dadurch für immer zu verlieren war unerträglich. Und das würde er, da war er sich sicher.

Als Alessandro begann, sich anzukleiden, beobachtete Rod den schönen Mann, in dessen Nähe er sich so ruhig fühlte. Als dieser fortfuhr zu sprechen, blickte er ihn wieder an, dann musste er lächeln. „Ich komme auch gerne zum Gottesdienst“, erklärte er leise. „Ich freue mich schon darauf.“ Und so war es wirklich. Er richtete sich auch auf und stieg ebenfalls aus dem Bett, trat auf Alessandro zu und umarmte ihn von hinten, schmiegte sich an ihn. Sanft küsste er ihn in die Halsbeuge. „Ich komme gern, Alessio mio.“ Und er ahnte, dass es nicht mehr oft sein würde, wo er den so schönen und ihm so teuren Mann vor sich einfach so sehen durfte, mit ihm feiern durfte. Danach würde er ihm die Wahrheit sagen – und er würde mit den unweigerlichen Konsequenzen leben müssen.
 

Dominico

Dominico erwachte in diesem Moment an einer anderen Stelle des Hauses. Neben ihm lag seine, diesesmal angezogene, Frau. Zumindest glaubte er das. Als er die Augen öffnete und im Halbdunkel seine Umgebung wahrnahm, da sah er Giulia jedoch neben dem Bett an einer Schüssel stehen, über die sie sich beugte. Und jetzt begriff Nico auch, warum er aufgewacht war - denn Giulia musste sich übergeben und das war leider nicht sehr leise. Ruckartig stand Nico auf, taumelte zu ihr und hielt ihr langes Haar zurück, nahm ein Handtuch, um es ihr zu reichen und schenkte einen Becher mit Wasser voll. Sie nahm es dankbar an - viel hatte sie nicht wirklich erbrochen. Von NIco ließ sie sich langsam zum Bett zurückhelfen und drückte die Hand auf den Bauch. "Hast du Schmerzen? Ich lasse sofort einen Arzt rufen..." Nico war eindeutig besorgt, denn zumindest er sah nicht das Offensichtliche, das wohl jeder Arzt in ihrem Gesicht schon gesehen hätte, in dem soetwas wie ein triumphierendes Grinsen lag. "Nico mein Herz, dafür brauche ich keinen Arzt. Ich weiß selbst sehr gut was das ist... Ich bin schwanger!"
 

Kieran

John war schon recht weit vorangekommen, als Kieran von seinem Rundritt auf dem Anwesen zurückkehrte. Wortlos fügte er sich in den Arbeitsprozess ein. Er war froh, wenn sie hier so bald als möglich wieder verschwinden würden. Er hatte absichtlich Niamh nicht wieder in den Stall gebracht, in dem es ihr so gut gefallen hatte. ZU viele Erinnerungen…

John strich ihm beiläufig über den Rücken. Für die tröstende Geste lächelte Kieran matt. Es war wirklich schwer, hier zu sein. Bei John hatte er sich zumindest endlich einmal richtig ausheulen können, als er zurückgekehrt war. Und jener hatte ihm zugehört und sich die Kommentare verkniffen wie: „Ich habe es dir doch gleich gesagt.“ Oder „Vergiss den Idioten, du hast etwas Besseres verdient!“ – halt diese hohlen Phrasen, die man zu hören bekam, wenn eine Beziehung scheiterte.

Und je mehr Kieran erzählt hatte, desto klarer wurde ihm aber auch, dass er selbst vielleicht einfach nicht so beleidigt hätte sein sollen, dass er offensiver und vielleicht auch letztlich selbstbewusster hätte sein können. Wieso hatte er Nico nicht noch einmal ehrlicher geschrieben und ihm erklärt, was ihn belastete? Vielleicht einfach, weil er Angst gehabt hatte, wieder keine Antwort zu bekommen oder abgewiesen zu werden. Was, wenn Dominico sich über die Offenbarung seiner Gefühle lustig gemacht hätte? Aber hätte er das?

Argh, es war einfach zum Verzweifeln. Das einzige, was er sicher wusste, war, dass er mit Dominico reden musste und ihm sagen musste, was er von ihm und seinem Verhalten hielt. Danach würde es ihm besser gehen. Und entweder würde Dominico sich entschuldigen oder eben nicht.
 

Dass er mit Tancred geschlafen hatte, hatte er John noch nicht erzählt. Es war für ihn selbst noch nicht ganz klar, wie er damit umging. Und solange wollte er es ihm nicht anvertrauen.
 

Dominico

Wie auch Alessandro hinsichtlich des Festes, spielte Dominico ebenfalls so, wie Giulia es wollte. Er konnte kaum glauben, was sie ihm da erzählte und er wollte es auch nicht recht glauben. Ja, natürlich hatte er eine Nacht mit ihr verbracht und Giulia war eine Frau in den besten Jahren... Auch mit ihren anderen beiden Kindern war sie sehr schnell schwanger geworden.. aber nach nur einer Nacht? Sie hatte zwar noch nichts gesagt, doch Nico kannte sie gut genug, um da etwas zu wittern. War sie eifersüchtig auf Kieran und wollte damit ihre Stellung als Ehefrau untermauern? Nein, so war sie nicht. Es musste etwas anderes geben, vielleicht hatte es mit Anne zu tun - oder er hatte einfach mal wieder den goldenen Schuss gesetzt und sie war wirklich schwanger. Und in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich übergab, war es ihm beinahe lieber, dass sie schwanger war und nicht krank. Dennoch wollte er Bestätigung. Ein junges Mädchen seiner Dienerschaft hatte er vorhin davon reden hören, dass sie von dem Arzt am Morgen eine Tinktur für die Wunde an ihrem Knie bekommen hatte, also nahm Nico an, dass John heute hier arbeitete. Davon, dass die Ärzte zurück nach London gekommen waren, hatte er noch nichts gehört, er hörte leider viel zu viel andere Dinge, die wesentlich wichtiger waren als das. Und so begleitete Nico seine Frau wenig später selbst ins Labor. Sie hatte darauf bestanden, kein Korsett anzuziehen, auch wenn von ihrer Schwangerschaft exakt nichts zu sehen war und ein Korsett sie sicher nicht mehr beengt hätte als sonst - doch sie sah im tragen zu eng geschnürter Korsetts, wie es nunmal Mode war, eine Gefahr für das ungeborene Kind und ja immerhin auch einen Stammhalter ihrer Familie. Nico gab klein bei und allein als Giulia in Umstandsmode an seinem Arm auf den Hof trat war das Getuschel groß. Oh manchmal verfluchte er diese schöne Frau die einfach viel zu genau wusste, wie sie die Fäden zu ziehen hatte, um ihn gefügig zu machen. Sie sprach bereits von einem Namen und all den Dingen von denen Frauen redeten, wenn sie schwanger waren, während Nico bereits darüber nachdachte, wie er seine Teilnahme am Turnier mit einer schwangeren Frau rechtfertigen konnte - und witterte gleichzeitig Giulias Intention der Nacht mit ihm. Aber wenn sie wirklich schwanger war - und er liebte ihre Kinder wirklich sehr - konnte er es dann verantworten zu reiten?

In diesen Gedanken versunken betraten sie das Labor - und dort stand nicht nur John sondern auch Kieran. Nico sah ihn gar nicht richtig, merkte nur, dass eine zweite Person da war, weil John in diese Richtung sah - und jetzt bemerkte Nico auch Niamh, die dort angebunden war. Auf dem Absatz machte er kehrt, sein Herz krampfte sich unangenehm zusammen. Diese Begegnung und die Unterhaltung hatte er vor sich hergeschoben und Giulias fester Griff schmerzte als sie versuchte ihn zurückzuhalten, ohne ihre Würde einzubüßen. "Meine Liebe, du weißt, ich habe einen dringenden Termin im Palast. Du wirst mich heute Mittag von dem Ergebnis in Kenntnis setzen können, wenn ich zurück bin.. ja?" Er hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn und entwand sich ihrem Griff, um fluchtartig zum Stall zu eilen, wo bereits ein gesatteltes Pferd wartete.
 

Giulia

Giulia sah ihm schnaubend nach und der Blick der verliebten Ehefrau schwand einem taxierenden kühlen Lächeln. "Na warte, mein Lieber..", zischte sie ihm nach und trat durch die Tür. "Einen wunderschönen guten Morgen, die Herren." Ihr Lächeln kehrte langsam zurück und sie machte einen höflichen Kniks. "Ich bin hier, weil ich selbst untersucht werden soll. Eigentlich wollte mein Mann ja dabei sein, aber offenbar hat er es sich anders überlegt" Sie winkte entschieden ab. "Er würde es sowieso nicht verstehen. Meine Herren..." Sie sah etwas zerknirscht in die Runde "Ich habe Grund zur Annahme, dass ich schwanger bin."

London 3 - Schwanger

Kieran

Als die Tür unvermittelt aufging, blickten John und er auf. Kieran begriff nicht so recht, was er da sah. Verstand die Szene erst gar nicht. Marschierte Nico mit seiner Frau hier herein, oder umgekehrt? Irgendwie hatte er ja damit gerechnet, aber jetzt da Dominico vor ihm stand, war er wie vom Donner gerührt. Er merkte, dass John zu ihm sah. Doch noch bevor er irgendetwas sagen oder tun konnte, drehte sich Dominico von seiner Frau weg, die ihn versuchte zurückzuhalten, und verabschiedete sich von ihr mit den Worten ‚meine Liebe‘ und einem Kuss – vor seinen Augen. Kieran schluckte, blickte wie erstarrt Nico hinterher, der zu den Ställen hinübereilte und wusste nicht, was er denken sollte. Er hatte ihn nicht einmal angesehen, nicht einmal in die Augen geblickt.

Er merkte, wie John neben ihm die Hände zu Fäusten geballt hatte und legte ihm eine Hand auf den Unterarm, um ihn davon abzuhalten, dem Flüchtigen hinterher zu gehen. Kieran sammelte sich und blickte zu Giulia, verneigte sich höflich mit einem „Maylady“ und war erstaunt, wie ruhig er blieb. Dann legte er das, was er eben noch in der Hand gehabt hatte, beiseite und trat auf sie zu. Und in diesem Moment ließ sie die Bombe platzen. Schwanger?

Er wird ihr ein Kind machen und sie nach Italien zurückschicken, die Familie freut sich über Nachwuchs und Nico hat 9 Monate seine Ruhe. Das wird so lange gehen, bis es hier zu heiß wird, oder die Familie ihn zurück in die eigenen Reihen ruft - und mit welcher Berechtigung willst du dann in seinem Haus in Italien leben? Sicher, als Arzt der Familie hast du ein Daseinsrecht.. aber du wirst jeden Tag seine Frau sehen, jeden Tag all die anderen römischen Mätressen, die ihn umgarnen. Jeden Tag seine Kinder, bis er, Gott sei ihm gnädig, im hohen Alter friedlich sterben wird.

Die Worte Tancreds hallten in seinem Kopf wieder und er blickte sie einen Moment sprachlos an.

„Na dann, sollten wir doch mal schauen, ob alles in Ordnung ist“, sagte er dann tonlos und er war noch immer überrascht von sich, wie gefasst er war. Später, das wusste er, später würde er froh sein, dass John bei ihm war. Er deutete ihr, ihm in das Untersuchungszimmer zu folgen. "Wann hatte ihr eure letzte Monatslutung, Mylady und wie lange ist sie bereits ausgesetzt?", fragte er die Standartfragen, die es zu fragen gab. „Ihr ward ja schon mindestens zweimal schwanger. Ihr müsstet doch eigentlich spüren, ob alles in Ordnung ist, oder?“, sagte er dann und blickte sie an. „Viele Möglichkeiten zu untersuchen, habe ich nicht und die Erfahrung einer Hebamme fehlt mir eigentlich auch ziemlich. Auch wenn ich bei meiner Mutter öfters zugesehen habe, die sich um solche Dinge gekümmert hat.“ Redete er zu viel? Ja, wahrscheinlich.

Aber im Moment wusste er anders nicht weiter.
 

Giulia

Sie musste nicht wirklich nachfragen, um zu sehen, dass zwischen diesen beiden Männern seit dem peinlichen Vorfall, bei dem sie selbst Kieran und John "überfallen" hatte, kein Wort gesprochen worden war. Sie verdrehte beinahe genervt die Augen über so viel Starrsinn, den sie in diesem Fall vornehmlich ihrem Mann unterstellte. Kieran sah aus, als hätte er gerade eben einen Geist gesehen, und es war sicher weder dessen Anliegen noch dessen Plan gewesen, Nico so entgegenzutreten. Sie war zum zweiten Mal Schuld daran und fühlte sich auch wirklich schuldig. Zumal Nico nicht einmal die Nacht mit ihr gebeichtet hatte. Sie war wirklich enttäuscht von ihrem Gatten, aber nun.. so waren Männer. Sie sah, wie Kieran mit sich rang und wie John die Fäuste ballte und drauf und dran war Nico hinterherzugehen.. auch das konnte sie verstehen. Denn so eng, wie Kieran und John befreundet schienen, war John sicher unterrichtet - und wer sah schon gern dabei zu, wie der beste Freund litt, weil er schlecht behandelt wurde?

Sie folgte Kieran sehr langsam in das Untersuchungszimmer und setzte sich auf das Canapé, dass dazu diente, die Patienten zu untersuchen. Kieran redete viel. Sehr viel. Er war verunsichert, sauer und traurig und Giulia wollte Kieran nicht auch noch belügen. Das gehörte sich nicht und Kieran hatte das auch nicht verdient. "Offiziell?" fragte sie und dachte kurz nach, dann legte sie die Hände in den Schoß und sah zu Kieran auf. "Ich bin nicht schwanger, doch ich sah keinen anderen Ausweg mehr. Mein Mann hält es für sinnvoll, auf dem Turnier des Königs zu reiten. Er sagt, er habe sich bereits seit Ostern darauf vorbereitet, trainiert zwei Pferde eigens für dieses Turnier und sieht es trotz der gefährlichen Situation, in der er sich befindet, nicht ein, darauf zu verzichten. Alessandro war der Meinung, ihm fehle ein triftiger Grund.. also habe ich ihm einen gegeben." Sie wollte vor Kieran nicht mit ihrer Meinung hinterm Berg halten, das hatte der arme junge Mann nicht verdient.

Behutsam klopfte sie neben sich auf die Liege. "Aber abgesehen von dieser Scheinschwangerschaft - so wie Ihr ihn angesehen habt, hat er Euren Brief nicht beantwortet, oder? Hat er überhaupt geschrieben?" Giulia hatte es ihrem Mann immerhin mehr oder weniger "befohlen", die Sache mit Kieran zu klären, aber anscheinend war Nico dabei auf beiden Ohren taub gewesen. "Oh so ein verdammter sturer.... Bastardo", fluchte sie äußerst undamenhaft. "Es tut mir wiedereinmal sehr leid..", gab sie leiser zu. "Ich wollte euch keinesfalls verletzen, aber ich bin davon ausgegangen, dass er wenigstens irgendwie Korrespondenz mit Euch betreibt. Nach allem, was mir Amadeo erzählt hat, so schien es doch etwas wirklich Ernstes gewesen zu sein, oder nicht? Es machte zumindest den Eindruck.." Sie stützte das Kinn auf die Hand und genoss es, den Rücken ohne Korsett so krümmen zu können. "Vielleicht solltet ihr euren Freund beim nächsten Mal nicht zurückhalten. Wir könnten es dem König als tragischen Reitunfall verkaufen. Er sollte nur zusehen, dass er ihm einen Arm oder ein Bein bricht, so dass dieser verdammte Kerl nicht auf dieses Pferd steigen kann." Denn Giulia hatte wirklich ehrliche Angst um ihren Mann. Er war ihr Freund und Vertrauter, der Vater ihrer Kinder und sie liebten einander, auf eine freundschaftliche aber sehr ehrliche Weise. Sie wollte ihn nicht verlieren und sich damit der Gefahr aussetzen, ein zweites Mal heiraten zu müssen - vielleicht dann einen Mann der ihr nicht so zugetan war, wie Nico.
 

Kieran

Kieran sah die hübsche Frau etwas irritiert an, als sie seine Fragen mit der Gegenfrage ‚Offiziell?‘ beantwortete. Und während der ersten Worte, stellte er fest, dass einige wichtige Fragen sich versuchten in den Vordergrund zu drängen, die beantwortet werden wollten: Konnte sie denn wirklich von Dominico schwanger sein? Hatte er überhaupt mit ihr geschlafen? Und warum war sie dann hier? Wollte sie ihn demütigen? Eigentlich hatte er ihre Worte doch als so ehrlich empfunden, so aufrichtig. Und er wusste ja auch von Dominico, dass er mit seiner Frau nur befreundet war, letztlich. Kieran merkte, dass seine Fassung drohte zu kippen. Doch als die folgenden Worte langsam zu ihm durchdrangen, wurde er wieder ruhiger.

Seine Stirn zog sich in Falten. Und langsam begriff er, was hier gespielt worden war. Kieran wusste nicht, ob er darüber lachen oder doch weinen sollte. Die Erklärung klang plausibel und ehrlich. Und wenn er ehrlich war, so machte er sich auch schon Sorgen um Dominico. Wohl, weil er ahnte, dass irgendwie Gefahr in Verzug war, weil John ihm berichtet hatte, dass die Stimmung bei Hofe sehr angespannt und lauernd war. Nun, da war eine Schwangerschaft vielleicht wirklich ein Grund, ihn nicht antreten zu lassen. Andererseits… Er erinnerte sich noch so gut an das Leuchten in Nicos Augen, als er ihm damals die Tiere gezeigt hatte, wie stolz er auf sie gewesen war, wie begeistert. Er hatte ihn damals mit diesem Funkeln in den Augen als so unfassbar schön angesehen… Kierans Blick driftete vom eigentlichen Punkt ab und er rief sich zurück und sah Giulia wieder an, die bereits ein anderes Thema, ein unangenehmes Thema angeschnitten hatte. Ohne darüber nachzudenken folgte er der Einladung, sich neben sie zu setzen.

Kieran schüttelte den Kopf auf die Frage, ob Nico geschrieben habe. „Keine Silbe“, sagte er leise und beherrscht. Und ihre so liebenswürdige Reaktion ließ ihn lächeln. Ja, er hatte ihn auch innerlich verflucht – ihn und sich selbst. Und die Worte, die nun folgten, schmerzten bitterlich und Kieran merkte, dass seine Fassung wieder kippte. „Das dachte ich eigentlich auch“, murmelte er und räusperte sich, um den seltsamen Belag in seiner Stimme zu beseitigen. „Aber da habe ich mich ganz offensichtlich getäuscht. Er…“ Er wusste nicht was er sagen sollte, doch Giulia übernahm zum Glück noch einmal das Reden. Und er musste grinsen, bei dem Gedanken, dass John Nico etwas brechen könnte. „Ich fürchte, dazu wäre John gar nicht fähig. Nico ist dem Lulatsch weit überlegen.“ Aus dem angrenzenden Raum kam ein amüsiertes. „Das habe ich gehört!“ herüber. „Und ich kann dem nicht recht geben. Wenn er noch so eine Aktion in meinem Beisein liefert, ist er fällig!“

Kieran grinste, glücklich darüber, so einen Freund zu haben, erwiderte aber nichts, sondern sah Giulia wieder an.

„Ich glaube nicht, dass bei Nico eine Schwangerschaft wirken wird. Er hat wirklich ziemliches Herzblut in die beiden Hengste gesteckt. Er freut sich darauf, sich mit dem König zu messen. Ich denke, die einzige Möglichkeit, ihn da unversehrt aus dem Turnier zu bekommen, wäre, alles zu kontrollieren, was ihm zum Verhängnis werden kann. Lanzen, Speere, Schilde, Panzer, rossige Stuten etc.“ Er klang nicht sehr vertrauenserweckend. „Aber vielleicht überlegt er es sich, dass er daran doch nicht teilnimmt. Dann wird er wohl zurück nach Italien gehen. Henry ist da denke ich sehr eigen, was so etwas betrifft. Dominico wird wohl keinen Fuß auf den Boden bekommen, wenn er kneift.“ Er seufzte. „Ich habe keine Ahnung, wo momentan Dominicos Probleme liegen. Aber sie müssen gravierend sein, wenn er mich einfach so abserviert, um sich zu schützen. Wenn er einen starken Gegner hat, versucht der in jedem Fall Nico zu erwischen, solange bis er ihn hat – egal ob Turnier oder nicht. Die einzig sichere Variante ist eine Rückkehr nach Italien, eine Flucht aus dem Land.“ Er lächelte matt. „Alles andere ist vergebene Liebesmühe.“ Er stand wieder auf. „Die Schwangerschaft bestätig ich natürlich gerne“, kam er nun aber zum Ausgangspunkt zurück. „Aber…“, er sah Nicos Frau einen Moment an. „Könntet ihr denn überhaupt wirklich von ihm schwanger sein?“, fragte er dann eine Frage, die für ihn persönlich wichtig war. Denn das würde ihm doch zeigen, wie Dominico wirklich über ihre Beziehung dachte, oder?
 

Giulia

Es fiel Kieran offensichtlich nicht leicht, über das zu sprechen, was hier im Raum stand. Und einmal mehr bewies Giulias politisches Geschick, dass sie auch diese Situation meistern konnte und Kieran vorerst von der ganz offensichtlichen Frage ablenkte - nämlich der, ob sie mit Nico geschlafen hatte, um schwanger werden zu können. Sie wusste, dass er wieder fragen würde und dass sie aus dieser Nummer nicht herauskommen würde, ohne die Wahrheit zu sagen, doch das störte sie eigentlich auch nicht. Nico hatte allem Anschein nach genügend Mist gebaut. Dass er mit ihr geschlafen hätte, war nur die Spitze des Eisberges und Kieran hatte zumindest früher so geklungen, als würde er ihm einen Seitensprung dieser Art nicht verzeihen. Sie schüttelte missbilligend den Kopf, als sie von Kieran selbst hörte, dass Nico sich wirklich nicht bei Kieran gemeldet hatte - und irgendwie konnte sie es nicht verstehen. Ja, ihre Post wurde überwacht, das wusste auch sie... aber es gab immer Mittel und Wege zu einer Nachricht, vor allem wenn man jemanden liebte. Die kurze Intervention mit John im Labor brachte auch Giulia erneut zum lächeln, danach wurde sie jedoch wieder nachdenklich. "Dass Nico selbst darauf nicht verzichten will, das glaube ich allerdings auch. Aber ich kann dafür Sorgen, dass Anne ihn dazu zwingt - oder sogar Henry. Aber vielleicht habt ihr auch recht, und er wird sich nicht davon abbringen lassen. Aber dann habe ich wenigstens alles versucht, versteht Ihr? Ich muss das für meine Kinder tun. Vielleicht kommt er zur Vernunft, vielleicht nicht. In jedem Fall hat er ein schlechtes Gewissen verdient und wenn ich bei seiner Reiterei auf dem Turnier eine Fehlgeburt erleide, dann wird es so sein. Ich sehe nicht ein, dass er mit dieser sturköpfigen Art auch das Leben anderer zur Hölle macht, und ich bin sicher, Ihr pflichtet mir da bei. Also wäre ich Euch wirklich äußerst dankbar, wenn Ihr diese Schwangerschaft bestätigt... und im Zweifel auch meine Fehlgeburt beim Turnier." Das Funkeln in ihren Augen zeigte deutlich, dass sie dazu bereit war, Nico auf diese Art und Weise ein wirklich schlechtes Gewissen zu machen. Sie würde es irgendwann auflösen, und er würde es ihr ohnehin verzeihen - wenn ihm die Fehlgeburt nicht sogar recht kam. Aber er sollte wenigstens ein paar Tage mit der Gewissheit leben, seiner Frau wirklich weh getan zu haben, ganz zu schweigen davon, was er Kieran antat.

Dann jedoch kam die Frage, um die sie sich unmöglich hatte drücken können und sie räusperte sich leise. "Auf einem Bankett vor beinahe 8 Wochen herrschte eine sehr ausgelassene Stimmung und ihre Majestät Anne und ich haben den ganzen Tag davon geredet, wie schön es ist schwanger zu sein, wie toll es ist, einen Mann zu haben, der einem alle Gelüste befriedigt. Es ist ja nicht so, als wüsste ich nicht, wohin ich mich zu wenden habe, wenn ich wirklich einsam bin. Nur sie hat mich beinahe dazu herausgefordert. Ich habe also zugesehen, dass Dominico ausreichend Wein trinkt, um auf das kleinste Bisschen nackte Haut reagiert, das er sieht. Die Stimmung war ohnehin ziemlich angeheizt und naja.. Er hatte zumindest die Ambition es zu versuchen, aber mit dem Wein habe ich es wohl zu gut gemeint. Er war nicht wirklich zu etwas in der Lage, wenn du verstehst was ich meine..." Sie sah zerknirscht zu Kieran, der wieder vor ihr stand. "Ich hatte eigentlich gedacht, er habe es euch gebeichtet, zumal er mich danach wirklich mehr als nur geschnitten hat. Ich glaube, er hat mir das sehr übel genommen. Ich habe ihn allerdings auch in dem Glauben gelassen, er habe noch Standkraft besessen. Verzeiht..." Sie fuhr sich über den langen Zopf, der über ihrer Schulter lag. "Es muss Euch wirklich so vorkommen, als würde auch ich Euch hintergehen, aber das war nicht meine Intention. Es ist nur manchmal wirklich nicht einfach. Ich denke, mein Mann hat Euch berichtet, wie wir uns kennen gelernt haben und unter welchen Umständen wir geheiratet haben. Ich gönne Anne ihren Henry, ganz sicher. Ich selbst hätte vielleicht nicht unbedingt Königin werden wollen aber.. manchmal vermisse ich hier schon das Gefühl, eine Nacht in den Armen eines Mannes zu liegen, der mich wirklich liebt. Vielleicht habe ich mich zu sehr gehen lassen..." Sie klang nachdenklich, ehe sie abwinkte. "Es tut mir leid, aber ich musste das tun aus Gründen, die ich Euch genannt habe.. und ich hoffe, dass Ihr es mir nicht all zu übel nehmt."
 

Kieran

Kieran nickte auf ihre Ausführungen, weshalb sie diese Geschichte mit der Schwangerschaft herangezogen hatte. Ja, das wäre eine Möglichkeit, ihm einmal zu zeigen, dass es mehr gibt, als seine ritterlichen Pflichten. Er wünschte, er hätte auch die Macht, ihm irgendwie zu zeigen, dass er gelitten hatte und litt. Aber was sollte er tun? Nico würde ihn auslachen, oder? Aber er würde ihm die Meinung sagen, dieser Entschluss war gefasst. Wie und wann, würde sich noch zeigen.

„Da habt ihr vollkommen recht“, bestätigte er Giulia. Er lächelte über ihre hitzköpfige Art und Weise. Sie waren sich eigentlich irgendwie ähnlich. Und doch vermisste er genau das gerade bei sich selbst. Wo war sein Hitzkopf? Er fühlte sich so müde und ausgelaugt und er erkannte sich manchmal kaum wieder, wenn er morgens in den Spiegel blickte und dieses fahle Gesicht sah. Wenn ihn seine Mutter so sähe, würde sie ihm wahrscheinlich den Hintern versohlen. „Ich werde euch selbstverständlich die Schwangerschaft bestätigen und euch auch in allem anderen unterstützen.“
 

Kieran war dankbar für die Ehrlichkeit. Und sie aus ihrem Mund zu hören, war wahrscheinlich einfacher, als wenn Nico ihm einmal gebeichtet hätte, mit ihr geschlafen zu haben, womöglich noch mit den Worten ‚Ich war betrunken‘. Irgendwie war der Gedanke daran so leichter zu ertragen. Und er hatte letztlich auch keinen Grund mehr, das verletzend zu finden. Dominico hatte ihn fallen gelassen. Da hatte der doch auch alle Rechte der Welt mit seiner angetrauten Ehefrau Sex zu haben - oder es zumindest zu versuchen. Kieran setze sich wieder neben sie und blickte sie an. „Es gibt nichts zu verzeihen. Es ist schon in Ordnung“, sagte er schließlich und seufzte. Er war ja auch nicht treu gewesen.

Als sie fortfuhr, schüttelt er den Gedanken wieder ab. Er nickte, als sie indirekt fragte, ob er über Giulias Geschichte Bescheid wüsste. „Ich kenne dieses Gefühl nur zu gut. Das Gefühl, einfach mal wieder jemanden zu haben, der einen in den Arm nimmt und einem das Gefühl gibt, etwas wert zu sein.“ Er lächelte matt. „Ich kenne es momentan nur zu gut…Daher nehme ich es euch nicht übel. Ich kenne die Zusammenhänge und es ist mir ehrlich gesagt lieber, dass ihr es mir gesagt habt, als dass er es mir gesagt hätte.“ Kieran strich sich die zu lange gewordenen Haare nach hinten. Er hatte sie nicht mehr geschnitten, seit er auf das Schiff gegangen war. Mittlerweile band er sie manchmal hinten mit einem Lederband zusammen. Hatte es ihm auf dem Schiff noch gefallen, so nervte es ihn jetzt immer wieder. Wahrscheinlich würde er sie sich bald wieder schneiden lassen. „Außerdem glaube ich nicht, dass Dominico jemals wieder für mich ein Mann sein möchte, der mir das gibt. Ihr braucht mir gegenüber daher kein schlechtes Gewissen zu haben. Ich bin euch vielmehr dankbar, dass ihr auf ihn aufpasst. Und ich hoffe, dass diese politischen Wirren, was auch immer da gerade abgeht, glimpflich an euch vorbeiziehen mögen. Passt bitte auf ihn auf.“ ‚Ich kann es nicht mehr tun‘, fügte er in Gedanken hinzu.

John war in die Tür getreten und blickte ihn an. „Ich bräuchte dich“, sagte er zu Kieran und sah dann Giulia an. „Und bitte, Mylady. Lasst ihn ordentlich leiden, ok? Mir zur Liebe!“ John grinste leicht. "Und steht die Einladung, noch zu dem Gottesdienst für die Angestellten? Dann kann ich im Falle des Falles gerne demonstrieren, dass ich ihm doch etwas entgegenzusetzen habe..."
 

._._._._._._._.
 

Natürlich stand Giulias Einladung zum Gottesdienst noch und sie ermutigte beide Männer, dazu auch wirklich zu kommen. Selbst wenn das für Kieran bedeuten würde, wieder Nico zu begegnen, so empfand Giulia dennoch die Notwendigkeit, auch ihre beiden Ärzte dabei zu haben. Und sie versprach John, zu tun, was sie konnte, und Nico nach Möglichkeit eine theatralische Szene nach der nächsten zu bieten, um ihn emotional wirklich runter zu ziehen... Doch das, was sie alle an diesem eigentlichen Festtag erwarten sollte, konnte noch keiner von ihnen ahnen.

London 3 - Das Attentat

Kieran und John

„Ich habe absolut keine Lust“, raunte Kieran John zu, der neben ihm von seinem Pferd gestiegen war. Dieser grinste ihn nur an. „Na und?“, fragte er gegen. „Er soll sehen, was für einen tollen Mann er da verarscht. Und du kannst ihm zeigen, dass du da drüber stehst, dass du ihn nicht brauchst.“ John zuckte mit den Schultern. "Außerdem wird es leckeres Essen geben. Und das könnte dir sicher nichts schaden. Seit du wieder da bist, scheinst du kaum etwas zu essen. Wenn du so weiter machst, schick ich dich wieder zurück auf das Boot.“ Kieran knuffte ihn in die Seite. „Bei Prüfungen kann ich nichts essen. So ist das eben.“ John schnaubte. „Wow, als bester bestanden, aber leider verhungert. Super Leistung!“, knurrte er. „Na, dann sind wir ja froh, dass die Prüfungen vorbei sind.“

Kieran wollte sich keine weiteren Vorwürfe mehr anhören und ging in Richtung Stall, wo er Niamh absattelte und auf das Paddock ließ, auf dem sie vorher immer gestanden hatte. Sollte wenigstens sie etwas von dem Tag haben… John war ins Labor gegangen und sie würden sich später in der Kirche treffen. Einen Moment atmete er tief durch. Es war viel zu schön hier für das, was er innerlich spürte...
 

Kieran ging über das Anwesen hinüber zur Kapelle, wo schon einige versammelt waren. Er setzte sich in die letzte Reihe. Wenn er nicht mehr wollte, würde er so wenigstens einfach gehen können. Doch lange blieb er nicht sitzen, denn eine der Hausmädchen, um deren Tochter er sich kümmerte, erklärte ihm lächelnd, dass jemand, der so wichtig für alle Anwesenden sei, nicht hier hinten zu sitzen hatte. Und so zog sie ihn bei der Hand nehmend in die zweite Reihe, wo sich Kieran schon deutlich weniger wohl fühlte. Aber vermutlich hatte sie recht. John, der gerade kam, setzte sich schließlich neben ihn und knuffte ihn. „Mach nicht so ein Gesicht. Er soll nicht sehen, dass du leidest.“
 

Alessandro und Dominico

Es war nicht einfach gewesen, diesen Tag zu planen. Alessio hatte Wert darauf gelegt, es zumindest nah an den Todestag der Bolsena-Märtyrerin zu legen, auch wenn es wohl kaum gelingen würde, den exakten Tag zu nehmen. Meistens kam immer etwas dazwischen. Diesesmal klappte es jedoch und Alessio freute sich beinahe darauf, wieder einmal in diese rote Robe zu schlüpfen. In Anbetracht der vielen protestantischen Gemeinden, die wie Pilze aus dem Boden sprossen, und angesichts der Verfolgung von Katholiken, war das, was sie hier tun würden, wirklich nicht ungefährlich. Doch gerade weil es eine katholische Messe war, drängten sich am frühen Morgen in der kleinen Hauskapelle der Sforzas bereits die meisten ihrer Mitarbeiter. Alessio war noch in der kleinen Sakristei und legte das Messgewand an, ein junger Mann ging ihm dabei zur Hand. Halten würde er die Messe allein, er brauchte keinen Messdiener dafür. Singen taten die Gäste - und das auf Italienisch - also brauchte er auch keinen Chor oder einen einzelnen Chorknaben, der diese Aufgabe übernahm. Es hatte etwas Andächtiges und Alessio liebte dieses Fest, gerade weil es im Kreise ihrer Familie stattfand.

Hausherr und Hausherrin kamen kurz vor dem offiziellen Beginn des Gottesdienstes. Das ganze Haus war prächtig geschmückt, in der Küche kochten bereits die verschiedensten Speisen und der Garten des Anwesens war mit Tischen und Stühlen ausgestattet worden, um ihnen allen Platz zu bieten. Heute gab es keine Standesgrenzen.. und vielleicht tat ihnen allen dieser Tag gut.
 

Als Nico mit seiner Frau am Arm eintrat, sah er tatsächlich Kieran und John in der zweiten Reihe sitzen. Er hatte erstens gar nicht in Betracht gezogen, dass Giulia sie eingeladen hatte.. und zweitens auch nicht daran geglaubt, dass sie auftauchen würden. Doch offenbar waren sie hier und Nico etwas überfordert. Doch heute konnte er nicht flüchten und machte so gute Miene zu bösem Spiel.

Er trug klassisch italienische Tracht in den Farben der Familie und Giulias Kleid war einfach nur ein Traum. Nachdem ihre Schwangerschaft offiziell von Kieran bestätigt worden war - und Nico sah keinen Grund dafür, dass gerade Kieran diesbezüglich lügen sollte - trug sie nur noch Umstandsmode, so auch heute. Und sie strahlte so glücklich und gesund in die Welt, dass auch Nico langsam wirklich glaubte, den goldenen Schuss gelandet zu haben... oder ein anderer Mann, mit dem sie ihn betrogen hatte. Allerdings hätte sie ihm das wohl gesagt. Sie war keine der Frauen, die unvorsichtig mit anderen Männern ins Bett sprang und sich Kinder machen ließ, so war sie nicht. Sie war klug.. und wenn sie ein Kind unter dem Herzen trug, dann war Dominico der Vater. Sie schritten den kurzen Mittelgang entlang und begrüßten die Angestellten, ehe sie in der ersten Reihe Platz nahmen. So zusammen und getragen von guter Stimmung, rückten die Ärgernisse der letzten Wochen in den Hintergrund. Giulia hörte nicht auf, ihm Vorwürfe zu machen, dass er trotz ihrer Schwangerschaft antreten wollte. Andere Familien am Palast schnitten sie noch immer. Lediglich um Cromwell war es ruhiger geworden, doch offiziell waren Charles und Nico so verfeindet, dass sie dem Turnier entgegenfieberten, um sich gegenseitig mit der Lanze aus dem Sattel zu heben. Damit hatte Cromwell wohl sein Ziel erreicht und zog sich etwas zurück, zumindest hatte es den Anschein.

Dennoch war der Spießrutenlauf im Palast alles andere als schön und man sah auch in Alessios Gesicht die tiefen Sorgenfalten, die auch jetzt nicht schwanden. Er hatte Angst, dass Soldaten seiner Majestät hier einmarschierten und sie alle festnahmen wegen des Gottesdienstes, den sie feierten. Darauf verzichten wollte aber auch keiner der Anwesenden.

Also begann dieser Tag mit einem lang ersehnten katholischen Gottesdienst unter der Leitung von Alessandro Sforza.
 

Rodrego

Die letzten Tagen waren heftig gewesen. Immer mehr und mehr merkte Rodrego, in was er da hineingezogen worden war. Immer mehr wurde ihm bewusst, wie man ihn manipuliert und benutzt hatte. Immer mehr wurde ihm klar, in welchen Sumpf man ihn hineingezogen hatte.

Und mit jedem Tag wurde ihm klarer, welche Konsequenz das haben würde: Er musste sich von Alessandro trennen, damit jener geschützter war, damit er keine Gefahr für ihn darstellen würde.

Er würde sich trennen. Aber erst nach dem Gottesdienst, der für Alessio so wichtig war, auf den der Kardinal sich so sehr gefreut hatte. Nein, er konnte ihm nicht vorher erklären, dass seine Gefühle für ihn nicht aufrichtig gewesen waren. Nein, er konnte ihm nicht sagen, dass er ihn benutzt hatte, um an Informationen heranzukommen. Konnte er ihm das überhaupt so sagen? Würde Alessio nicht merken, dass er log? Nein. Er hatte ja auch nicht gemerkt, dass er ihm anfangs etwas vorgespielt hatte. Dass er seinen Groll gegen Alessandro heruntergeschluckt hatte, um ihm etwas wie Liebe vorzuspielen. Aber hatte er das wirklich? Rodrego war sich nicht sicher. Er… Nein, er war sich sicher, dass dem nicht so gewesen war. Die Liebeserklärung des anderen hatte ihn zu hart getroffen, als dass seine Gefühle wirklich nur gespielt gewesen waren. Er liebte Alessio auch, hatte ihn immer geliebt, schon als junger Mann. Und jetzt? Jetzt würde er sich trennen, ihm ein letztes Schauspiel liefern, um ihn zu beschützen. Aber erst nach dem Gottesdienst, nach den Feierlichkeiten.

Er saß vorne in der ersten Bank. Am Morgen hatte er sich über die freudige Nervosität des anderen noch ein wenig lustig gemacht. Aber so, wie Alessio nun da stand, wirkte er auch in der Robe des Kardinals unfassbar schön. Wenn er seine Gedanken frei ließe, würde er sich vorstellen, wie er Alessio genau hier mit dieser Robe… Aber das war angesichts dessen, was auf ihn zukam, völlig absurd. Also ließ er seinen Gedanken keinen freien Lauf, sondern hörte dem anderen zu, während er predigte, ohne zu hören, was jener sagte.
 

Alessandro

Die Lesungen, die er gewählt hatte, entstammten dem ersten Testament. Auch wenn das zu dieser Zeit kaum gepredigt wurde. Die Evangelien kannten seine Angestellten ohnehin. Andere Gleichnisse und Geschichten waren viel spannender und so zog Alessio diese heran. Und es tat gut, einmal wieder über Gott zu sprechen und in dem Beruf aufzugehen, den man eigentlich zu seinem Lebensinhalt gemacht hatte. Alessio hatte geglaubt, der Kardinal sei nur ein notwendiges Übel, doch wenn er jetzt sah, wie die Augen an seinen Lippen hingen, um zu hören, was Gott ihnen sagte, dann wusste er, dass es eben nicht nur eine Robe, sondern auch eine Aufgabe war. Und diesen Teil der Kardinalswürde, den führte er gern aus. Er merkte auch, dass es ihm gefehlt hatte.. wirklich gefehlt hatte.

Nach einer langen Predigt über Sinn und Wirken von Märtyrern, vor allem von Christina de Bolsena, folgte die Wandlung. Alessio kam dieses Thema der Märtyrerin, die vor ihrem eigenen Vater und ihrer Familie das Wort Gottes verteidigt hatte, unter allen Qualen, die ein Mensch sich nur erdenken konnte, als äußerst passend vor. Er fühlte sich auch gerade wie ein Märtyrer für die Kirche, mit dem einzigen Unterschied, dass er nicht zu 100 Prozent hinter dem stand, was er da verteidigte... das hatte Christina ihm voraus gehabt.

Und er hatte wirklich schrecklichen Durst. Nach der Wandlungsformel griff er nach dem Kelch, der bereits hergerichtet gewesen war, als er zum Umkleiden in die Sakristei verschwunden war. Die Flüssigkeit darin lockte dunkel und Alessio wusste, dass ihn herrlicher Messwein erwarten würde. Einen kurzen Moment schloss er genießend die Augen, als er in der Totenstille den Kelch an die Lippen hob und einen großen Schluck Wein in seinen Mund laufen ließ. Da er einatmete, um das Aroma des herrlichen Weines mit dem Geschmack zu vereinen, konnte er noch nicht schlucken - und vermutlich rettete ihm genau das auch das Leben.

Was er roch war kein guter Messwein. Was er roch war stechend.. und er konnte es nicht zuordnen. Und in dem Moment, in dem er es ROCH, fühlte er, wie sein Mund anfing zu brennen. Unauffällig spuckte er den Wein beim Absetzen zurück in den Kelch... Wer hatte sich denn da bitte einen üblen Scherz erlaubt und ihm sonstwas in diesen Kelch gekippt? Er wollte gerade fortfahren, als er merkte, dass er sich kaum noch bewegen konnte. Seine Gliedmaßen erschienen so unendlich schwer... und sein Brustkorb schmerzte. Und dann, während er auf den Altar starrte, merkte er, dass er nicht atmete. Hielt er die Luft an? Er versuchte einzuatmen, doch es ging nicht. Er bekam einfach keine Luft! Seine Kehle war wie zugeschnürt... und dann wurde seine Welt einfach schwarz.

Als Alessio zu Boden stürzte, riss er den Kelch mit um. Schwere schwarze Flüssigkeit ergoss sich auf das weiße Tuch, das den Altar bedeckte und einmal mehr davon zeugte, dass Alessio gerade alles, nur keinen Wein in den Mund genommen hatte. Als er auf dem Boden aufkam, blutete seine Nase bereits und auch aus seinem Mundwinkel floss Blut.
 

Noch als Alessio zu Boden ging war Nico aufgesprungen. Als sein Bruder den Kelch abgesetzt hatte, waren seine Augen weit aufgerissen gewesen und seine Hautfarbe wechselte von dem kräftigen Braun zu einem schalen weiß - da stimmte etwas nicht. Und als er neben ihm in die Hocke ging, war sein Bruder schon nicht mehr bei Bewusstsein. Sein Kopf ruckte hoch, ohne nachzudenken, zu Kieran und John. In seinem Blick lag eine stumme Bitte noch ehe er den Mund aufmachte und nach einem Arzt rief. Alles was jetzt zwischen ihnen stand, durfte nicht das Leben seines Bruders bedeuten... Und er hoffte inständig, dass Kieran es auch so sah. Und während immer mehr Menschen nach vorn drängten, brach beinahe so etwas wie Panik bei den Angestellten aus. Wenn das kein schlechtes Omen war, was dann?
 

Kieran

Kieran wünschte sich gedanklich weit weg. Der Gedanke, England zu verlassen, wenn das Studium abgeschlossen war, schien ihm momentan oft wie ein Lichtblick. John stieß ihn leicht an und Raute: "Es geht los, Träumer." Kieran blickte aus seinen Gedanken auf. Mittlerweile war die Kapelle voll. In diesem Moment traten Dominico und Giulia ein und es wurde still in der Kirche. Er nickte Giulia zu, ignorierte Dominico und bemühte sich dann, die beiden nicht mehr anzusehen. Dann begann Alessandro auch schon mit seiner Predigt.

Kieran konnte nicht sagen, wann er zuletzt in einer Kirche bei einem Gottesdienst gewesen war. Er hatte keine Ahnung, ob er überhaupt mal einem beigewohnt hatte, und wenn, war es schon sehr sehr lange her. Er hörte dennoch den Worten des Kardinals zu, um abgelenkt zu sein. Für einen Gott zu sterben oder gar zu töten war wahrscheinlich das letzte, was Kieran persönlich tun würde. Für seine Überzeugung zu sterben, hingegen war etwas, was eingängig war. Es berührte ihn, irgendwie. Welcher Mensch war heute noch so stark, wirklich bis zur letzten Konsequenz zu dem zu stehen, woran man glaubte? Heutzutage versuchte doch jeder den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen und sich dabei möglichst am meisten zu bereichern. Kieran war in Gedanken versunken, als Alessandro den Becher ansetzte.

Er blickte auf, als Gemurmel in der Kapelle laut wurde. Warum sprach der Kardinal nicht weiter? Kierans Blick wurde zweifelnd. Irgendetwas kam ihm merkwürdig vor, als er das Gesicht Alessandro Sforzas sah. Die Pupillen wirkten seltsam geweitet, das Gesicht lief rötlich an. Als Alessandro Sforza zu Boden ging, sprangen er und John auf. Dadurch, dass sie in der zweiten Reihe saßen, kamen sie nicht gleich durch. Doch als Kieran den Blick des neben seinem Bruder knienden Dominico sah, sprang er kurzerhand über die erste Stuhlreihe, stürzte zu Alessandro hin. Der Geruch sagte alles. Er kontrollierte den Puls, der noch schwach zu spüren war, kontrollierte die Atmung, die wenn nur noch flach war. Mittlerweile war auch John da. „Tollkirsche“, sagten sie fast synchron und John wusste, was zu tun war. Er rannte aus der Kapelle ins Labor. Kieran blickte zu Amadeo. „Einen sauberen Becher mit Saft!“, wies er ihn an. „süßer Saft! Und Wasser!“ Gleichzeitig begann Kieran damit, die Atmung des Kardinals aufrechtzuerhalten, in dem er immer wieder ihm Luft einflößte, in der Hoffnung, dass die Ohnmacht nicht das gesamte Atem- und Kreislaufsystem brechen würde. Dann könnte er nichts mehr tun. Der Mund, die Schleimhäute des Kardinals waren ausgetrocknet. Der Körper fühlte sich heiß an. Die Gesichtsfarbe des Kardinals wechselte langsam in blau und Kieran blickte zur Tür. Wo blieb John, verdammt noch mal!
 

Atemlos hetzt dieser soeben rein. Amadeo hatte bereits den Becher mit dem Saft bereitgestellt und John schüttete ein weißes Pulver hinein, anschließend ein schwarzes. Kieran richtete Alessandro ein wenig auf, setzte sich so hinter ihn, dass er den Kopf nach hinten halten konnte, dass sich der Mund öffnete und John ihm die Flüssigkeit geben konnte. Und es zeigte Wirkung. Nach der Hälfte des Bechers erbebte der Körper in seinen Armen, und schließlich erbrach Alessandro. Erneut zwangen sie ihn, auch den Rest zu trinken und erneut musste jener sich übergeben. Dann gaben sie ihm Wasser und fast schon selig trank dieser das in vollen Zügen. Kieran entspannte sich langsam wieder. Nachdem der Kardinal getrunken hatte, schien die Atmung wieder normalisiert zu sein und die bläuliche Gesichtsfarbe verblasste wieder.

„Eine sehr sehr hohe Konzentration. Da wollte jemand, dass nichts schief läuft“, sagte John trocken und Kieran sah ihn an, während er den Puls maß. „Dann hätte er etwas gegen den Geruch noch tun sollen“, entgegnete er stirnrunzelnd. John zuckte mit den Schultern. „Dann doch ein Stümper, der selbst keine Ahnung davon hatte.“ „Und das hat ihm das Leben gerettet.“

Kieran blickte in die Gesichter der Umstehenden: Giulia, Rodrego, Amadeo und Dominico. Alle wirkten wie erstarrt, leichenblass. Ein Großteil der Gefolgschaft war nach draußen gegangen. Dann sah er Amadeo an. „Er ist stabil. Lasst ihn uns in sein Zimmer bringen.“ Er entließ den Körper Alessandros aus seinen Armen und stand auf, streckte sich. „Er wird jetzt noch einige Zeit Ruhe brauchen, wird Halluzinationen haben, stark ‚erregt‘ sein. Man verwendet Tollkirsche in kleinen Dosen als Potenzmittel“, erklärte er Amadeo. „Gebt ihm so viel zu trinken, wie er mag und noch mehr. Wenn er sich übergibt, ist das gut.“ Kieran strich sich die Haare aus der Stirn. Er war noch immer nicht dazu gekommen, sich die verdammten Haare zu schneiden.
 

Dominico

Alles ging so furchtbar schnell.. Kaum hatte Dominico "Einen Arzt!" herausgebrüllt, standen Kieran und John schon vor ihm und beugten sich zu seinem Bruder hinunter, der in seinen Armen immer schwerer wurde. Nico hatte keine Ahnung, was zu tun war, und dieses Gefühl - Kieran und John und der Tod, der lachend über Alessio schwebte und nur darauf wartete, ihn den Armen seines Bruders zu entreißen - war schrecklich. Während John kurz darauf davonstob, beugte sich Kieran über Alessio. Diese Situation war grotesk - küsste Kieran da gerade vor seinen Augen seinen Bruder? Alessios Brustkorb hob sich, als würde er einatmen - Nico starrte auf die beiden und begriff nicht, was hier gerade geschah. Die Erkenntnis sickerte nur langsam in sein Hirn: Er hilft ihm zu atmen! Amadeo war ebenfalls losgerannt, um den Saft zu holen und beinahe gleichzeitig kamen er und John zurück. Nico half, seinen Bruder soweit aufzustützen, dass man ihm den Saft einflößen konnte.

Erst passierte gar nichts, dann bäumte sich Alessios Körper krampfartig auf. Er riss die Augen auf und würgte und der Saft kam wieder zum Vorschein, gemischt mit Schlieren von Blut und dem kargen Frühstück, das der Kardinal zu sich genommen hatte. Und erneut zwang ihn Kieran zu trinken und erneut musste Alessio sich übergeben und nur Amadeos Hand auf Nicos Schulter hielt den Mann zurück, die beiden nicht von ihm weg zu reißen. Alessios gequältes Gesicht, als er gezwungen wurde nur noch mehr zu trinken, zeriss ihm fast das Herz.

Und dann schien es vorbei zu sein. Sein Bruder sog Luft in seine Lungen, sein Körper wurde ruhiger und schien sich fast zu entspannen, gierig trank er das Wasser. Er zitterte noch immer am ganzen Körper und kurz darauf hörte man das Schluchzen einer Frau. Giulia war neben dem Kardinal auf die Knie gesunken und führte seine Hand an die Lippen, küsste sie vorsichtig. Um ein Haar...
 

Rodrego

Als Alessandro den Messwein ansetze, merkte er das kurze Zögern, so war er auf den anderen Mann konzentriert. Und was dann passierte, wirkte auf Rodrego mit einem Mal wie ein Schauspiel, so als sei es nicht real, so als könnte es gar nicht real sein. Er erstarrte, als Alessandro zusammenbrach und der Wein über den Boden rollte. Rodregos Augen weiteten sich vor Schreck. Er war unfähig zu handeln, aber er begriff, was hier gerade geschah: Er hatte Alessandro getötet.

Und während um ihn herum Hektik ausbrach, war er unfähig, sich in irgendeiner Weise zu bewegen. Erst als die Ärzte bei Alessandro waren, schaffte er es endlich, aufzustehen und blieb fassungslos stehen, dem Geschehen folgend, während sein Innerstes schmerzte, als habe er selbst den Wein vergiftet. Sollte er nicht jetzt dem anderen helfen? Alles in ihm schrie danach, hinzustürzen, zu helfen, ihm beizustehen. Aber er konnte nicht. Er durfte nicht. Er musste sich trennen, auch wenn es ihm schier das Herz zerriss.
 

Alessandro

Um ein Haar wäre er tot gewesen. Diese Gewissheit schoss Alessio ins Bewusstsein, als er wieder Herr seines Körpers wurde. Alles war schrecklich rasant von statten gegangen. Er erinnerte sich noch, keine Luft bekommen zu haben, und das nächste, das er wusste, war, dass er sich übergeben hatte, weil alles in seinem Körper danach schrie. Er hatte das nicht trinken wollen, was man ihm an die Lippen gesetzt hatte, und doch hatte er es schließlich getan, weil seine schwachen Abwehrversuche nichts gebracht hatten. Wer verdammt, wollte ihn hier auf diese unwürdige Weise ermorden? Doch nachdem er sich das zweite Mal übergeben hatte, ließ man ihn in Ruhe. Und er holte Luft, das erste Mal wieder aus gefühlt eigener Kraft und es war, als würden die Engel persönlich ihm die Luft in die Brust blasen. Es war wundervoll und euphorisierend und Alessio öffnete die Augen und nahm langsam die Personen wahr, die um ihn herum gruppiert standen, saßen und knieten. Giulia hielt seine Hand, über ihr schönes Gesicht rannen Tränen. Neben ihm hockte sein Bruder, leichenblass und in Schockstarre, hinter ihm kniete Kieran, auf der anderen Seite John mit einem Becher in der Hand. Hinter Nico stand Amadeo und auch Rodrego war da. Er sah ihn an, sah in Rodregos Gesicht. Starb er? Es fühlte sich gerade nicht so an. Sein Zustand schwankte gefühlt zwischen hundeelend und hocheuphorisch und obwohl er sich bewegen wollte, zuckte sein Körper nur leicht. Er schien unendlich erschöpft zu sein, konnte kaum einen klaren Gedanken fassen. Nur eine einzige Sache, eine einzige Frage war da in seinem Kopf und seine krächzende Stimme war kaum zu hören. "Wer...?" und er wiederholte und widerholte es immer und immer wieder.
 

Dominico

Nicos Schockstarre löste sich langsam, als Alessios Gesichtsfarbe langsam aber sicher zurückkehrte. Er nahm Kieran seinen Bruder ab und stützte ihn, während der Arzt sich erhob und Amadeo erklärte, was zu tun war. Wieso sagte er es nicht ihm? Es fiel ihm unangenehm auf, aber vielleicht lag es einfach daran, dass Nico gerade so abwesend wirkte. Er sah seinem Bruder ins Gesicht, dessen Lippen immer und immmer wieder das ein und Selbe Wort formten: "Wer..?" Und Nico legte ihm sachte eine Hand auf die Brust. "Ich werde das herausfinden, das schwöre ich dir. Aber du brauchst jetzt Ruhe... viel Ruhe. Morgen wird es dir schon viel besser gehen..." Er blinzelte die Träne weg, die sich in sein Auge verirrt hatte und sah dann zu Rodrego auf, der hinter Giulia stand und scheinbar auch nicht zu wissen schien, was geschah. "Hilf mir, ihn in sein Zimer zu tragen!"

Und das ließ Rodrego sich zum Glück nicht zweimal sagen. Gemeinsam hievten sie den Kardinal hoch, was keine leichte Aufgabe war. Alessio konnte nicht wirklich helfen und hing wie ein nasser Sack zwischen ihnen - leider auch sehr wörtlich. Die schwere Robe mit dem Messgewandt waren durchweicht von Urin, den Alessio in seiner Panik wohl gelassen hatte.. und er roch generell nicht gerade appetitlich. Giulia erhob sich ebenfalls und rannte den beiden voraus, scheuchte die Dienerschaft umher, um frisches Wasser und frische Kleidung zu bringen. Als Nico und Rod mit ihrer Last das Zimmer erreichten, waren bereits Alessios Leibdiener da und halfen, den Kardinal zu entkleiden und zu waschen und ihn in frische Sachen zu stecken - und schon jetzt machte sich deutlich, was Kieran eben schon zu Amadeo gesagt hatte. Alessio war erregt, sein Körer warm, ohne zu fiebern. Seine Wangen waren gerötet, sein Blick schwankte zwischen wirklich anwesend und weit entfernt. Nico hatte seinen Bruder so noch nie gesehen. Natürlich hatte er ihn manchmal gesehen, mit Frauen... nicht jedes Etablissement ermöglichte getrennte Räumlichkeiten. Doch so nackt und erregt? Es war ein seltsamer Anblick für ihn und er merkte, dass Rod selbst den Blick abwandte. Wieso?

Doch jetzt gerade waren andere Dinge wesentlich wichtiger. Während die beiden Männer bei Alessio blieben und es ihm auf dem Bett so bequem wie möglich einrichteten, trat Nico auf den Gang hinaus. Kieran und John standen dort, mit Giulia und Amadeo, die beide andächtig lauschten, was mit Alessio zu tun sei. Amadeo würde die Sache in die Hand nehmen, da war Nico sich sicher.. und dennoch blieb der schale Nachgeschmack der Frage, wer seinen Bruder hatte vergiften wollen. Auf IHREM Anwesen! Eine Frage, die sofort geklärt werden musste. Und doch hatte Nico sich zu aller erst bei den beiden Ärzten zu bedanken, und er wusste das auch. Alle Ungereimtheiten und Streitigkeiten zwischen ihnen mussten jetzt hintenan stehen... Das hier, war etwas ganz anderes. "Danke...", sagte er also, als die beiden mit ihren Erklärungen geendet hatten. "Ohne euch wäre mein Bruder jetzt tot. Ich verdanke euch sein Leben und das soll nicht unbelohnt bleiben. Bitte seid unsere Gäste... Denn es ist ein gutes Zeichen, dass mein Bruder diesen Anschlag auf sein Leben dank euch überstanden hat und so soll gefeiert werden, weil Gott über unser Haus wacht." Und Nico meinte das so. "Ich stehe tief in eurer Schuld." Und obwohl er die Worte sagte, weil sie sich so gehörten, klingelte in seinem Hinterkopf etwas ganz Anderes. Etwas, das diesen Satz gewählt hatte, weil es Kieran war, der ihn auch schon einmal gesagt hatte. Er verneigte sich knapp. "Bitte entschuldigt mich, es gibt wichtige Dinge zu erledigen." Und damit eilte er den Gang hinunter, um mit den Angestellten zu reden, die für die Kirche zuständig gewesen waren.
 

Rodrego

Auf Dominicos Befehl hin half Rod ihm den noch immer schier leblosen Körper Alessios in dessen Zimmer zu tragen. Wenn man diesen Körper kannte, wie viel Kraft und Ausdruck dieser haben konnte, wir sexy und wie zart er sein konnte, war dieser Anblick wirklich heftig. Rodrego war vollkommen durch den Wind und begriff die Szene kaum. Es war auch einfach unfassbar…

Im Zimmer setzte er sich neben das Bett, stand dann aber doch recht bald auf, und blickte Alessandro an, der mit geröteten Wangen und heißem Atem wirklich erregt zu sein schien. Zu gerne würde er sich jetzt einfach zu ihm lagen, um ihm vielleicht so ein wenig Erleichterung zu verschaffen. Aber: Er sollte nicht.. er konnte nicht… Er war das Arschloch, das dessen Leben aufs Spiel gesetzt hatte. Stand es ihm wirklich zu, hier einfach bei ihm zu sein? Eher nicht…

Und so ging er wie ein geprügelter Hund.
 

Giulia und Amadeo

Giulia war noch immer ganz durch den Wind. Ihre Hände zitterten und sie wirkte ziemlich derangiert, musste sich erst noch fassen. Doch langsam gelang es ihr wieder und auch sie war den beiden Ärzten unendlich dankbar. "Ja, bitte... Es wäre uns wirklich ein Anliegen, wenn ihr bleiben könntet. Zumindest einer von euch beiden, um seinen Zustand zu überwachen... nicht, dass es einen Rückfall gibt." Auch wenn das wahrscheinlich Unsinn war, so wollte Giulia, dass zumindest immer einer von beiden hier war. "Ich muss jetzt mit meinen Angestellten sprechen, es ist wirklich wichtig... Die Leute sollen wissen, dass ihr Herr sich wieder auf dem Weg der Besserung befindet. Amadeo, bleibst du vorerst bei ihm?" Amadeo nickte knapp und bot auch Kieran und John an, sich zunächst zu Alessio ins Zimmer zu begeben, auch wenn es ihnen freistand dorthin zu gehen, wohin sie gehen wollten. "Ihr könnt natürlich auch erst auf diesen Schrecken etwas essen oder trinken gehen, wenn ihr möchtet", bot er den beiden an, ehe er die Türe zu Alessandros Zimmer wieder öffnete. Ihm bot sich ein wirklich seltsames Bild. Der Kardinal wälzte sich auf dem Bett, aber offenbar nicht, weil er keine Luft bekam. Zwei hochrote Männer standen unsicher daneben, einen hatte Alessio am Arm gepackt und versuchte ihn auf das Bett zu ziehen. Amadeo half dem Mann, sich zu befreien und schickte sie hinaus, woraufhin Amadeo das neue "Opfer" des Kardinals wurde. Und die Dinge, die er sagte... Wäre die Situation nicht so ernst gewesen, hätte Amadeo vermutlich gelacht.
 

Kieran

Gott, wie erleichtert war Kieran, als Alessandro sich aufbäumte, sich erbrach und endlich selbst wieder das Atmen übernahm. Aber das merkte er erst, als die erste Anspannung von ihm fiel und er zu zittern begann. Er hatte definitiv panische Angst um das Leben dieses Mannes gehabt. Aber wie in Situationen, in denen es um alles oder nichts ging, handelte man einfach, tat, was zu tun war. Der Körper funktionierte, das Hirn funktionierte. Erst hinterher brach man zusammen und begriff eigentlich, was soeben passiert war. Kieran wich Dominico, als dieser Alessandro stützen wollte und wandte sich an Amadeo, weil jener ihm am rationalsten vorkam. Dominico stand Alessandro zu nahe, als dass er wirklich ansprechbar war. Und Amadeo würde derjenige sein, der für Alessandro nun da war. Dominico würde andere Pflichten haben. Und eine davon murmelte Alessio immer wieder „Wer?“.

Mechanisch folgte er den Männern, die die Kapelle mit Alessio in ihrer Mitte verließen. Und doch merkte er, dass er mehr und mehr zu zittern begann. Doch weit kam er nicht, denn John hielt ihn auf, ergriff sein Handgelenk und zog ihn in eine tröstende Umarmung, die Kieran gerade mehr als gut tat und die er gerne erwiderte. Als er sich etwas beruhigt hatte, löste er sich von John und beide gingen in das Haus. Sie würden hier Wache schieben müssen und sich wohl einfach abwechseln. Er würde das für Alessandro tun, auch wenn dieser ihn einmal ziemlich mies behandelt hatte. Aber er hatte ja auch einen Einblick hinter die Kulisse des Kardinals erhalten. Und er hatte ehrliche Worte von ihm bekommen.

Vor Alessandros Zimmer angelangt, standen Giulia und Amadeo vor der Tür. Offenbar war die Dienerschaft damit beschäftigt, den Kardinal herzurichten. Kieran würde gleich noch einmal reingehen und sich vergewissern, dass alles in Ordnung war. Aber zunächst wollte er Nico und Rodtego nicht stören.

Als Nico aus dem Zimmer kam, schaffte er es kaum, ihn anzusehen. Er war noch immer so wütend und enttäuscht von diesem Mann. Als der andere auf sie zutrat, war er ein wenig überrascht und sah auf, als jener begann sich zu bedanken. Nun, das gehörte sich wohl so. Aber irgendwie hoffte er noch immer zu sehr auf ein persönliches Wort, dass ihn diese Worte nur noch mehr verletzten. Und doch nickte er förmlich auf die Bitte, Gäste zu bleiben. John neben ihm schien sich wieder anzuspannen, doch er blieb ruhig. Auch ihm war bewusst, dass es jetzt ein ungünstiger Zeitpunkt war, Dominico seine Meinung zu sagen. Doch dieser Gedanke rächte sich sogleich. Denn die folgenden Worte setzten noch eines drauf. Er stehe tief in ihrer Schuld? War das nicht genau das, was er mal gesagt hatte? Hieß das jetzt, dass ihre Schuld beglichen war? Dass er nun wirklich frei war und tun konnte, was er wollte, ohne Verpflichtungen dem anderen gegenüber. Oder interpretierte er da schon wieder viel zu viel mit hinein? Doch groß zum Nachdenken kam er nicht, denn Nico verabschiedete sich schon wieder und eilte davon. Kieran sah ihm kurz mit einer Mischung aus Wut und Unverständnis nach. Was sollte das?!

Nun schaltete sich Giulia wieder ein, die vorhin in der Kirche so bestürzt gewesen war. Offenbar war ihr Alessandro auch sehr wichtig, das hatte man gemerkt. Und Kieran bildete sich ein, erfahren zu haben, dass die gute Frau auch gerne mal mit Nicos Bruder schlief. Der Bitte an sie, weiter hier zu bleiben, gab Kieran zunächst mit einem Nicken nach. „Wir werden uns abwechseln und da sein, so gut, wie es geht“, gestand er ihr ein. Aber etwas zu essen oder zu trinken kam Kieran aber gerade nicht in den Sinn, auch wenn John merklich lächelte, als er das Angebot bekam. Bei dem ging Liebe wirklich durch den Magen… Er selbst betrat nach Amadeo noch einmal das Zimmer und war bedingt zufrieden mit dem, was er sah. Alessandro zeigte die Anzeichen, wie man auf eine Überdosis Tollkirschen normal reagierte. Da würde es wichtig werden, ihm möglichst Linderung zu verschaffen

Kieran überprüfte so gut es ging die Vitalfunktionen, dann ging er hinaus zu John, der vermutlich bereits dabei war, sich den Magen vollzustopfen. Wie der Kerl so schlank und fast schon hager sein konnte, war ihm ein Rätsel. „Ich werde dann zu deinem Vater reiten“, meinte er und John nickte. „Erklär ihm, was los ist. Dir wird er glauben.“ Kieran nickte. Es war wirklich eine seltsame Situation mit John und seinem Vater. Kieran ging in den Stall und ließ sich einen Wallach geben. Niamh hatte es verdient, hier ein wenig zu verweilen. Und am Abend würde er ohnehin zurückkehren, um die Nachtwache anzutreten…
 

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Es hielt nicht lange an, dann wurde Alessios erschöpfter Körper wieder ruhiger, auch wenn er immer wieder nach Rodrego rief - oder eher stöhnte. Amadeo hatte wirklich echtes Mitleid mit seinem guten Freund, der hier Qualen litt, die er wohl nur selbst im ganzen Ausmaß begriff.

Wenn Alessio klare Momente hatte, trank er wirklich viel und Amadeo gab ihm immer wieder Wasser, das der Kardinal auch mehr als einmal wieder erbrach - aber als es Nachmittag wurde, befand sich Alessio wirklich auf dem Weg der Besserung und die Episoden, in denen er ruhig schlief, wurden länger.

London 3 - Sich stellen

Giulia und Dominico

Während Giulia sich mit einer flammenden Rede an die Belegschaft wandte, die zur Folge hatte, dass das Fest nicht verschoben wurde, sondern stattfand, weil man sich von Gott gesegnet fühlte, war Nico mit drei Männern zurück zur Kapelle gegangen. Keiner konnte ihm sagen, wer den Messwein eingefüllt hatte, sie alle gaben an, dass der Becher schon gestanden hatte, als sie hereingekommen waren. Sie hatten angenommen, dass Alessio selbst den Becher gerichtet hatte, weil der Wein doch am Morgen extra aus London von einem Boten gebracht worden war.

HA!

Nico fuhr herum. "Ein Bote? Was für ein Bote? Warum sollte mein Bruder Messwein aus London wollen? Unsere Keller sind voll davon. Er braucht keinen Wein aus London! Wann war der Bote hier, wie war sein Name, auf welchem Pferd ist er geritten?" Die Spur war noch heiß, Nico fühlte es. Und nachdem er alle Männer "verhört" hatte, die den Boten gesehen hatten, wurde das Bild sehr klar. Die Rede war von einem jungen Mann auf einem braunen Pferd gewesen - soweit absolut unaufällig. Doch eine Sache war an diesem jungen Mann auffällig gewesen: sein rechtes Ohrläppchen hatte gefehlt und eine Narbe an seinem Hals ließ darauf schließen, dass man es ihm abgeschnitten hatte. Und Nico kannte nur einen jungen Mann, auf den diese Beschreibung zutraf, und das war Cromwells Leibdiener.

Wie hatten sie nur so unvorsichtig sein können? Das war eben der Nachteil, wenn die eigene Belegschaft keinen Kontakt zur Dienerschaft am Hofe hatte.. Cromwell war nie hier gewesen und so hatte niemand den jungen Mann erkannt, der Wein in die Kapelle gebracht hatte. Und doch wunderte sich Nico. Dass Cromwell so unvorsichtig vorging, war sehr sehr seltsam... und er musste diese Sache dringend mit Charles bereden!
 

Rodrego

Mit jeder Minute wurde ihm klarer, dass es dringlich war, zu erklären, was es zu erklären gab. Und so ging er zu seinem kleinen Haus und holte die Briefe heraus, die er gesammelt hatte. Er würde sie später Dominico zeigen. Und dann, wenn er Alessandro wirklich verlassen hatte, würden er sie verbrennen und sich als Mörder der Familie Kinley stellen. Aber erst einmal musste er versuchen, wenigstens ein wenig gut zu machen, worin seine Schuld lag. Und das bedeutete, zu helfen.

Als er zurückkehrte, stand er einen Moment unschlüssig vor dem Zimmer. Er hatte kein Recht hinein zu gehen, oder? Er hatte Alessandro etwas vorgespielt und damit provoziert, dass jener Opfer eines Mordanschlages werden konnte. So ganz fasste er das noch immer nicht: aber letztlich, war ihm doch sehr klar, was er zu tun hatte. Er musste Wiedergutmachung leisten. Aber dazu bräuchte er Nico.

Er hatte nicht das Gefühl, jetzt feiern gegen zu wollen. Daher mied er die Feier der Belegschaft, die umsorgt von Giulia den Schrecken überwunden hatte. Und so holte er über Mittag die Arbeit nach, die er gestern nicht mehr geschafft hatte, war froh, ein wenig raus aus dem Haus zu können, wo ihn alles erdrückte und erschlug und ihn sein schlechtes Gewissen umzubringen drohte.

Als er am späten Nachmittag zurückkehrte, war Dominico offenbar gerade bei Alessio drinnen. Einen Moment zögerte er. Er musste es endlich hinter sich bringen – warum nicht jetzt? Und vielleicht war Alessio ohnehin nicht wirklich ansprechbar, so dass er sich ersparte, ihm wirklich zu sagen, dass er ihn verarscht hatte. Er würde sich einfach Nico erklären und dann gehen – feige wie er war.

Und so klopfte er an und betrat das Zimmer.
 

Alessandro und Dominico

So schnell wie dieser schockierende Moment auf sie getroffen war, so schnell schien er wieder zu verfliegen. Draußen im Garten wurde das Essen aufgetragen, die Menschen feierten diesen Tag und dank Giulias flammender Rede für Alessio und die Familie war die Stimmung wirklich ausgelassen. Die Dame des Hauses zog sich etwas Bequemeres und nicht mehr ganz so Förmliches an und schloss sich dann nach einer letzten Visite bei Alessio den Feiernden an, weil es nichts brachte, wenn auch sie stumm neben seinem Bett saß. Dort saß schon Nico, der herausgefunden hatte, wer Alessio das angetan hatte. John sah immer wieder nach ihm und war gerade gegangen, um noch eine Tinktur für Alessio zu machen... Giulia ließ die Brüder allein, so dass sie sich ungestört unterhalten konnten.

Und Unterhalten war bitter nötig, auch wenn Alessio erst am Nachmittag wieder mehr und mehr aufnahmefähig wurde. Er war durchgeschwitzt, seine Hose klebte an seinem Körper und er wollte nicht so genau wissen wovon.. doch noch einmal aufstehen und sich waschen, nur damit es, sobald er schlief, wieder passierte? Nein.

Nico kam wieder, hatte sich etwas Essen geholt und setzte sich auf die Bettkante, lehnte sich an einen der hohen Pfosten des schönen Himmelbettes. "Es war Cromwell", beantwortete er seinem Bruder die Frage nach dem "Wer?". "Sein Handlanger hat heute Morgen Wein aus London gebracht. Weil unsere Angestellten immer hier unter sich bleiben, kannte den Mann keiner und er hatte wohl ein offizielles englisches Dokument. Keiner konnte es Lesen und der Mann machte einen sehr zuverlässigen Eindruck." Alessio schüttelte schwach den Kopf. "Cromwell, dieser Bastard... Und du bist immer noch der Meinung, auf dieses unsägliche Turnier zu müssen? Wenn er es beinahe schafft, mich in meinem eigenen Hause zu vergiften, welche Möglichkeiten wird er dann auf dem Turnier haben? Es ist dein Todesurteil, wenn du reitest.."

Und Nico schien das langsam aber sicher einzusehen. "Da Giulia wirklich schwanger ist, sollte ich diesen Grund vielleicht wirklich vorziehen. Aber es gefällt mir nicht und es wird meinen ohnehin schon mikrigen Einfluss auf Henry ganz verschwinden lassen. Können wir uns das wirklich leisten?" Der Kardinal setzte den Becher mit Wasser ab, den er eben noch an den Lippen gehabt hatte. "Nein, können wir nicht. Nicht wenn wir bleiben wollen.."

Nico hörte es und sah es in Alessios Blick. "Wollen wir bleiben..?", fragte er langsam nach. Wieder zuckte der Kardinal nur mit den Schultern. "Ich für meinen Teil kann auch gut auf England verzichten. Ja, ich liebe dieses Haus, aber unser Haus in Italien ist auch schön. Da ist unsere Familie... und alle anderen nehmen wir einfach mit." Nico versuchte sich an einem Lächeln. "Ob das so einfach wird?" Ja, Nico dachte in diesem Moment an Kieran. Wenn er am Turnier nicht antrat, musste er unweigerlich das Land verlassen. Wenn er das Land verließ... Würde Kieran ihm folgen? Nach den letzten Wochen wohl kaum. Alessio indess achtete darauf gar nicht, was seinen Bruder wohl umtrieb. "Ich denke, es wird gehen. Wir müssen nur sehen, dass wir Rodrego irgendwie sicher nach Italien zurückbringen. Ich will ihn nicht hier zurücklassen..." In Alessios Stimme schwang Sehnsucht mit. Er hatte Nico gegenüber nicht erwähnt was zwischen ihnen stattfand, zumindest nicht, dass es mit Gefühlen zu tun hatte.. und er wollte es auch nicht tun, weil er sich nicht sicher war, wie Rod dazu dachte.

Und wie als ob man vom Teufel sprach klopfte es an der Türe und Rod trat ein. Nico hob die Hand und winkte ihn näher auf einen Sessel beim Bett, während er sich das nächste Stück Brot in den Mund schob. Alessio lächelte den Schmied sanft an. Kam Rod um nach ihm zu sehen? Er hatte ihm schon geholfen, sich umzuziehen, doch Alessio erinnerte sich nicht mehr genau daran. Er wusste nur, dass er sich freute, dass Rod hier war. Und dass er hoffte, dass Rod sich zu ihm setzen und vielleicht seine Hand halten würde.. oder einfach da war. Rod gab ihm Kraft und Alessio stützte sich etwas mehr auf das Kissen. "Was gibt es, du machst so ein ernstes Gesicht", fragte Nico ihrer beider engen Freund. "Alessio geht es gut... oder ist draußen etwas nicht in Ordnung?"
 

Rodrego

Als Rodrego das Zimmer betrat, spürte er, wie ihm lau im Magen wurde. Er wollte das nicht, aber er musste. Er wollte Alessio nicht verlieren, aber er musste sich ihm zu Liebe von ihm trennen. Er hatte Mist gebaut, den er nie wieder gut machen würde können. Aber er musste dennoch dafür geradestehen.

Dominico saß auf dem Bett, an einen Pfosten gelehnt und blickte ihn an, als er eintrat. Alessio sah abgekämpft aus, aber wesentlich besser noch als heute Mittag, als jener so erschreckend ausgesehen hatte. Allein bei dem Gedanken an die Vorkommnisse spürte Rod ein Zittern durch seinen Körper gehen. Alessio wäre beinahe gestorben… Er konnte es immer noch nicht fassen. Und allein der Gedanke daran, dass sein Jugendfreund jetzt tot sein könnte, ließ ihn kaum noch atmen. Der Kloß in seinem Hals schwoll an, bei diesem Gedanken. Daher versuchte er an etwas Schöneres zu denken, um sich von seiner Angst um den anderen abzulenken. Und die Szene kam ihm so bekannt vor: früher, als sie noch jung gewesen waren, hatten sie sich oft zusammen in das Bett von einem gesetzt und herumgealbert. Dieser Gedanke half ihm, die Fassung zu erhalten.

Er trat näher, setzte sich aber nicht, so wie er es früher getan hätte. Er hatte nicht mehr das Recht dazu, denn das, was er getan hat, nahm ihm das Recht, sich als Teil der Familie zu sehen. Und dennoch hätte er sich gerne zu Alessio gesetzt, ihn in den Arm genommen, ihn an sich gedrückt und geküsst und ihm zu verstehen gegeben, wie glücklich er war, dass ihm nichts passiert ist. Aber er tat es nicht.

„Draußen ist alles in Ordnung“, sagte er ruhiger als er erwartet hätte. „Bei mir hingegen nicht.“

Er blickte die beiden Männer an, die ihn nun ihrerseits etwas verwirrt ansahen. Einen Moment hatte er Angst, aber er war es Alessio schuldig, oder?

„Es tut mir leid, Alessio, aber ich fürchte, dass ich eine Teilschuld an dem trage, was dir heute passiert ist.“ Er schwieg kurz, wusste nicht so recht, wie er weiterreden sollte, was er sagen sollte, wie er es sagen sollte – obwohl er es schon so oft in Gedanken in letzter Zeit getan hatte.

„Ich habe Informationen über dich und das, was deine aktuelle Situation ist, weitergegeben. Um an diese Informationen zu kommen, habe ich dir vorgespielt, dir nahe sein zu wollen. Dem ist aber nicht so, es war alles nur gespielt.“ Er schluckte. Es war der Horror. „Ich dachte aber nicht, dass die Konsequenzen so weit gehen würden. Ich…“ Er schwieg einen Moment. „Ich wollte das nicht. Mir war nicht bewusst, wie weit das gehen würde. Ich habe Briefe erhalten, die mich manipulierten. Aber dennoch trage ich die Schuld. Ich hätte mich nicht manipulieren lassen dürfen. Ich werde mich in Zukunft vom Anwesen fern halten und warte das Urteil ab, das über mich gefällt wird. Ich habe mir noch einiges andere zu Schulden kommen lassen, wofür ich gerade stehen muss.“ Er blickte Dominico an. „Entschuldigt, dass ich euer Vertrauen missbraucht habe.“ Rodrego hatte das dringende Bedürfnis, einfach zu gehen. Aber er wusste, dass er nicht so feige sein durfte, sondern sich auch den anderen stellen musste. Sollten sie ihr Urteil fällen. Die Briefe würde er Dominico doch nicht geben. Denn es sollte nicht so aussehen, als wollte er jemandem anderen für seine Taten die Schuld geben. Und er würde auch nicht offenbaren, dass er wusste, dass Alessio für den Tod seiner Mutter verantwortlich war. Denn ihm war mittlerweile bewusst, dass er zum einen daran zweifelte, dass Alessio das wirklich getan hatte, zum anderen, dass es ihm egal war: er liebte ihn.

London 3 - das WIE und WARUM

Dominico

Nico kaute gerade noch genüsslich an seinem Brot, während Rodrego näher kam, sich aber nicht setzte. Nanu? Irgendetwas stimmte nicht und Rodregos ernster Gesichtsausdruck wischte langsam auch Alessandro das leichte Grinsen vom Gesicht. Als Rod dann ansetzte, runzelte Alessio die Stirn und hob schwach einen Arm, um abzuwinken, während Nico den Kopf energischer schüttelte. "So ein Blödsinn, wieso solltest du denn Schuld sein? Konnte ja niemand ahnen, dass sie den Wein vergiften", setzte der jüngere Sforza dagegen, doch Rod ließ sich nicht beirren und sprach weiter. Und das, was er sagte, verstand Nico nicht, sein Blick wanderte jedoch zu Alessandro. Dessen Gesichtsfarbe war noch immer nicht wirklich gesund. Entweder zu gerötet oder zu weiß, nicht so wie sie sein sollte in jedem Fall. Rods Worte machten das nicht besser.

Nico konnte sehen, wie es in Alessios Gesicht arbeitete... soweit war er also schon wieder hergestellt.
 

Alessandro

Und ja, Alessio dachte nach. Als Rod hereingekommen war, hatte er noch geglaubt, er käme seinetwegen. Die Worte aus seinem Mund sagten anderes.

Alessio wollte es nicht glauben. Er wollte es wegwischen, sagen, dass das alles kein besonders komischer Scherz sei, den Rod sich da erlaubte, doch Rod sah nicht aus als würde er scherzen. Während Alessios Herz gerade noch versuchte zu realisieren, was Rod ihm da erklärte, arbeitete sein Hirn bereits auf Höchstleistung. Der Kardinal in ihm erwachte zum Leben, der Spieler, der jeden seiner Züge gewissenhaft plante - und der in Rodregos Gegenwart oft genug verbannt worden war. Dieser Teil in Alessio prüfte Rods Aussage auf ihren Wahrheitsgehalt. Konnte stimmen was dieser Mann ihnen gerade beichtete? Vor Alessios Augen flatterten Bilder... Rodrego, der im Stall überrascht aufsah, weil er ihn und nicht seinen Bruder gesehen hatte. Rodrego im Zuber, seinen Fuß in der Hand mit diesem herausfordernden Blick. Rodrego am nächsten Morgen in seinem Bett und seine Worte. Hast du noch etwas vor, oder können wir noch ein wenig liegenbleiben? Ich möchte nicht ungemütlich sein, es ist grad so schön, aber ich möchte auch nicht, dass du Ärger bekommst wegen mir - Und er WAR zu spät gekommen.

An diesem verhängnisvollen Tag hatte alles seinen Anfang genommen, hatte Cromwells massive Intrige begonnen, zumindest hatte Alessio das geglaubt. Dass Cromwell zum Anlass genommen hatte, dass sowohl Nico als auch Alessandro nicht in London gewesen waren. Doch der Kardinal in ihm begriff die Tragweite des Geständnisses auf rationale Weise, ohne dass sein Herz auch nur annähernd begriff.

All die Begebenheiten ergaben Sinn. Die seltsamen Fragen die Rod gestellt hatte, zu Themen von denen Alessio überrascht gewesen war, dass sie den Schmied interessierten. Dann, kurze Zeit später, wieder ein Schlag Cromwells, der irgendwie zu diesem Thema passte. Puzzleteile fügten sich in ein erschreckendes Gesamtbild. Der Kardinal in ihm frohlockte ob des Rätsels Lösung. Vielleicht hatte er es gewusst. Hatte er es gewusst? Geahnt? Nein. Gewusst hatte er es niemals. Aber er hatte geahnt, dass Cromwell Informationen aus seinem nahen Umfeld sammelte. Dass es Rodrego sein würde, das hatte er nie geglaubt. Rodrego - der Mann, den er immer gewollt hatte. Rodrego, dem er blind vertraute. Beinahe am Schlimmsten und etwas, das Alessio nie geglaubt hatte einmal zu denken: Der Mann, der ihm seine Unschuld geraubt hatte. Der Mann, den er liebte. Der Mann, von dem Alessio geglaubt hatte, er würde ihn auch lieben. Er fühlte wie sich in seinem Brustkorb ein Loch auftat, dass sein Herz verschlang, auf seine Lunge drückte und drohte ihn ersticken zu lassen. Er bekam keine Luft. Seine Hände gruben sich so fest in die Laken, dass seine Knöchel weiß hervortraten und seine Arme zitterten.

Das Gefühl, vergiftet zu werden, war leichter zu ertragen als das hier. Es war ein langsamer wirkendes Gift, aber ein tödliches. Eines, das Kieran nicht würde heilen können. Eines, das Alessio fressen würde im Laufe der Zeit. Ein langsamer Tod, ein grausames Sterben. Er konnte nichts dagegen tun. Sein Blick war zu Nico geglitten, starrte ihn an. Er konnte Rod nicht mehr ansehen, weil sein Herz noch immer lieber daran dachte, dass Rod nicht da war und das alles nur eine der Halluzinationen war, in denen Rod präsenter war denn je.
 

Dominico

Nico begriff noch immer nicht oder nur sehr sehr langsam. Sein Blick glitt von Rodrego zu seinem Bruder und zurück. Alessios Gedanken schienen strukturierter zu werden und Nico wartete nur darauf, dass Alessio erklärte, was Rod fälschlicherweise interpretierte. Doch statt sich zu entspannen wurde Alessios Blick von Sekunde zu Sekunde leerer. Weinte sein Bruder? Nico stellte den Teller ab, schluckte das Stück Brot hinunter und räusperte sich in die Stille, doch Alessio reagierte nicht mehr. War Alessio überhaupt noch anwesend? Da war nur noch diese Maske.. der Kardinal, den Nico selbst nur all zu gut von seinem Bruder kannte. Der Kardinal, den er mehr gewohnt war als Rodrego.

Sein Gehirn war da definitiv eine Spur langsamer. Dennoch fing auch Nico an langsam zu begreifen. Dachte an die Tage, an denen Rodrego ihm zu früh morgens im Haus begegnet war, um am morgen hergekommen zu sein. Dachte an Probleme, die bald darauf Wellen geschlagen hatten. An was Alessandro vielleicht nicht dachte, Nico aber sehr wohl, das war Familie Kinley. Denn das war eine Sache, die Rodrego nicht Alessio, sondern Nico eines Tages gefragt hatte. Ob er wisse, wo die Familie genau wohne... weil er ihre Kutschpferde beschlagen sollte. Eine Woche später war herausgekommen, dass die Familie ermordet worden war. Doch wie Alessio hatte Nico dem in Bezug auf Rod keinerlei Bedeutung zugemessen - bis jetzt. Auch Nico fühlte die maßlose Enttäuschung darüber, verstand nicht WIESO Rod das getan hatte, konnte sich keinen Grund vorstellen warum. Es gab keinen Grund. Es konnte keinen Grund geben. Gab es einen Grund?

Die Stille in dem Raum lastete schwer auf ihnen allen und nachdem Rod geendet hatte, schien er auch nichts mehr sagen zu wollen. "Ist das wahr?" Nicos Stimme klang schrecklich fremd in seinen eigenen Ohren. Doch weder Rod antwortete, noch sagte sein Bruder ein Wort... aber es war der Blick auf Alessio, der bei Nico schließlich eine Sicherung durchbrennen ließ. Sein Bruder, sein großer Bruder, der ihn immer beschützt hatte. Sein Bruder, den er über alles liebte und der ihm heute morgen beinahe entrissen worden wäre. Sein Bruder, der Rodrego schon seit Ewigkeiten verehrte, mochte, liebte.. und dieser Mann hatte wirklich getan, was er da behauptete? Und kam jetzt, JETZT damit zu ihnen, NACHDEM Alessio am Morgen fast gestorben war? Nicos Teller flog gegen die nächstliegende Wand. "ICH HABE DICH ETWAS GEFRAGT!", brüllte er Rodrego an. "IST DAS WAHR?" Alessio auf dem Bett zuckte nicht einmal. Er starrte zum Baldachin hinauf, mit einem Blick eiskalter Berechnung, schien nicht zu atmen. Nur Tränen flossen wie ein Sturzbach seine Wangen hinab, was beinahe grotesk wirkte, weil es nicht zu seinem Gesichtsausdruck passte.

Es zeriss Nico das Herz seinen Bruder so zu sehen und es zeriss ihn noch mehr zu wissen, dass sein anderer Bruder dafür verantwortlich war. Vermutlich war es genau das, gepaart mit seiner Unfähigkeit zu Kieran zu stehen und seiner Unzufriedenheit, die ihn auf Rodrego losgehen ließ. Er stürmte auf ihn los, versetzte ihm einen tiefen Schlag in die Magengegend und flog wegen seines Schwungs kurz darauf mit Rodrego rückwärts die Türe hinaus auf den Gang, während er weiter auf ihn einbrüllte. "WENN ER HEUTE MORGEN GESTORBEN WÄRE, WAS HÄTTEST DU DANN GETAN? MICH AUCH NOCH ANS MESSER GELIEFERT? IST ES DIR JETZT NUR ZU HEISS GEWORDEN?"

Sie bekamen keine Zaungäste, weil alle draußen feierten. So hatte Nico Gelegenheit, Rod all das an den Kopf zu werfen, während sich hinter ihnen die Türe wieder schloss. Bei allem, was Nico sagte, stand eine Frage im Vordergrund, als er schon nicht mehr schreien konnte. "Warum hast du das getan?"
 

Rodrego

Dass es weder Nico noch Alessio zunächst glauben wollten, bestätigte ihm nur das Vertrauen, das er einmal bei seinen besten Freunden, bei seiner Familie gehabt hatte. Es zerriss ihm innerlich das Herz. Was Hass zerstörte, begriff er mehr und mehr. Er verfluchte sich dafür, dass er jemandem erlaubt hatte, seinen Hass anzustacheln, um ihm letztlich alles zu zerstören, was er gehabt hatte. Rodrego musste sich zusammenreißen. Er musste Haltung bewahren. Er würde jetzt nicht anfangen zu flehen oder irgendwie hoffen, dass man ihm verzieh. Das war nicht möglich.

Das, was er sah, war bereits eine Strafe, der er sich stellen musste. Denn er sah wie Alessio langsam begriff, was er da sagte. Jener würde jetzt erkennen, dass es wahr war. Mit jeder Sekunde verschloss sich das Gesicht seines Freundes, seiner Liebe mehr und mehr und die perfektionierte Maske erschien. Alessandro entschwand ihm. Rod erinnerte sich noch so gut an ihre erste Nacht, in der nichts gespielt gewesen war, in der er ehrlich gewesen war. Er erinnerte sich, wie schwer es gewesen war, seinen Alessandro zum Vorschein zu bringen. Ihn liebte er aus vollstem Herzen. Und jetzt? Jetzt entschwand dieser. Und Rod hatte das Gefühl, dass Alessandro nun für immer gegangen war - zumindest für ihn. Nur die Tränen zeugten davon, dass es den anderen wirklich berührte. Rod atmete flach, denn es drückte alles in ihm auf sein Herz, auf seine Lunge. Der Klos in seinem Hals schmerzte, während er versuchte nicht zu weinen. Er konnte Alessio jetzt nicht sagen, dass er ihn wirklich liebte. Er hatte ihn hintergangen und verraten. Wenn er seine Liebe nun gestehen würde, wäre das weder glaubhaft, noch würde es Alessandro irgendetwas erleichtern.

Rod senkte den Blick zu Boden, kämpfte mit sich und als Dominico ihn fragte, ob das wahr sei, konnte er nicht antworten. Er konnte nicht mehr sprechen, ohne dass man merken würde, dass er mit den Tränen kämpfte. Denn würde er sprechen, würde er nicht mehr anders können, als zu weinen. Und das wollte er den beiden anderen ersparen. Er konnte Dominico nicht einmal mehr ansehen.

Daher zuckte er merklich zusammen, als der Teller gegen die Wand flog und Dominico ihn anbrüllte. Er blickte auf, wissend, dass Dominico seine Wut nun an ihm herauslassen würde. Aber das war ihm egal. Er hatte es nicht anders verdient. So wehrte er sich nicht, schützte sich nicht vor dem Schlag, der ihn heftig traf, so dass ihm einen Moment die Luft wegblieb und er nach hinten stürzte, gegen die Tür prallte und vor der Tür liegenblieb, Dominico auf sich, und darauf wartete, dass jener nun auf ihn einschlug. Stattdessen brüllte Nico auf ihn ein. Rodrego merkte, dass er die Tränen nun doch nicht mehr zurückhalten konnte, die an seinen Wangen hinabliefen, während er Dominico anblickte. Er schluckte, als er die letzte Frage hörte und zögerte zu antworten. Aber etwas in ihm sagte, dass er Nico die Wahrheit sagen musste. „Weil er meine Mutter töten hat lassen…“, hauchte er leise, bevor seine Stimme versagte. Er wand sich unter Dominico, entzog sich ihm und stand auf. „Er hat meine Mutter getötet“, wiederholte er verzweifelt und es klang eher so, als wollte er sich davor schützen, weiter angebrüllt zu werden. „Er hat sie einfach ermorden lassen, einfach ihr Todesurteil unterzeichnet.“ Er schluckte. „Er sollte sehen, wie es ist, einen Menschen, den man liebt, zu verlieren. Aber…“ Er wischte sich die Tränen weg. „Aber ich dachte nicht, dass sein Leben dabei in Gefahr war. Ich… Ich habe mich missbrauchen lassen. Und ich… ich hatte nicht gedacht, dass meine Gefühle für ihn stärker sind, als mein Hass.“
 

Dominico

Nicos Zorn schien ihn diesem Moment keine Grenzen zu kennen. Es lag vielleicht nicht mal nur an Rodregos Beichte jetzt, sondern auch sehr daran, dass Nico einen Teil von sich selbst hineininterpretierte. Gut, er spielte Kieran nichts vor, um an Informationen zu gelangen, aber auch er spielte etwas. Aus Angst und Vorsicht vor Verrätern wie jenen, die seinen Bruder heute beinahe ermordet hatten, spielte auch er Kieran etwas vor und er wusste, wie furchtbar es war, das zu tun. Wie gern er ihn einfach in den Arm genommen hätte, ohne Erklärungen, doch das ging nicht mehr. Kieran würde Erklärungen verlangen und so verlangte sie jetzt auch Nico von Rodrego. Er hatte ihn draußen zu Boden gerungen, hielt ihn dort unten ohne weiter auf ihn einzuschlagen, weil seine Arme die Kraft verließ. Seine Stimme versagte zum Glück noch nicht und Rod schien auf noch mehr Schläge zu warten, die dann aber doch nicht kamen. Als Nico endlich nicht mehr schrie, bequemte sich Rod auch dazu zu antworten. Erst als sich Rod unter ihm herauswand und Nico ein sehr wackeliges "Warum?" erklärte, merkte Nico, dass Rodrego weinte.

Es war nicht so, dass sein Zorn schwand, nur weil er bei Rodrego jetzt Tränen fließen sah, doch es brachte ihn zumindest dazu, zu realisieren, dass Rodrego keinesfalls der kalte Spieler war, den er eben noch im Zimmer vermutet hatte. Aber Rod, der sein Herz eigentlich auf der Zunge trug, musste es unendlich schwer gewesen sein, vor Alessandro nicht schon in Tränen auszubrechen. Zumindest wenn das hier jetzt echt war und der Schmerz in Rodregos Augen echt war. Nico sah zumindest gerade keinen Grund, warum der Mann lügen sollte, aber ganz überzeugt war er noch nicht. Er ließ Rod los, als der sich entwand, und richtete sich ebenfalls wieder auf, richtete seine etwas verrutschte Jacke und strich sich das Haar zurück, um seine Hände zu beschäftigen und nicht wieder auf Rod einzuschlagen, denn die Kraft kam langsam zurück. Das, was er zu hören bekam, war beinahe noch unglaublicher als das, was Rod eben drinnen gesagt hatte. "Alessandro hat deine Mutter getötet, hörst du dich eigentlich selbst reden?" Doch Rod ließ sich wieder nicht beirren und sprach weiter, und endete mit hohlen Phrasen, die Nico mit einer Handbewegung wegwischte. "Deine Gefühle für ihn, das sehe ich. Wie sehr du für ihn fühlst." Er war zynisch und er wusste, dass es vielleicht unfair war, aber er konnte nicht anders. "Heute morgen dachte ich noch, ich habe meinen Bruder gerettet, aber DU, DU hast ihn gerade umgebracht da drinnen!" Er konnte nicht anders, als es ihm vorzuwerfen. "Wie genau soll er das denn gemacht haben?" Nico fuhr sich durch das Gesicht, atmete tief durch und versuchte sich in Erinnerung zu rufen, was damals geschehen war. Er selbst war nicht in London gewesen und Alessio war in Italien gewesen, das wusste er noch.. und war es nicht sehr schnell gegangen? "Dein Vater wurde verhaftet, verurteilt, hingerichtet - soweit ich weiß, ging das alles sehr schnell, oder? Und deine Mutter kurz darauf. Alessandro war nicht da. Und jetzt sagst du mir, wie genau ein Bote, ganz gleich wie schnell an dem Tag an dem deine Mutter angeblich diesen Frevel begangen hat, nach ITALIEN reist, meinen BRUDER FINDET! Das Urteil unterzeichnen lässt und nach London zurückkehrt und das in WENIGER ALS EINER WOCHE!" Wenn man es so betrachtete, KONNTE Alessio es nicht gewesen sein. "Oder willst du behaupten, er habe es von langer Hand geplant, das Urteil unterschrieben, bevor er abgereist ist? Wer hat dir so einen Mist überhaupt erzählt, hast du das Dokument gesehen? Hast du ihn denn mal danach gefragt?"

So viele unsinnige Fragen. "Und warum zur Hölle hast du jemandem wie Cromwell vertraut?"

Denn es bestand nicht mehr der geringste Zweifel daran, dass Cromwell es gewesen war, der Rodrego manipuliert hatte. Das machte die ganze Sache noch schlimmer, noch weiter - denn dann war Cromwell wirklich schon sehr lange dabei diese Intrige aufzuziehen.
 

Rodrego

Die zynische Anklage des anderen traf ihn, traf ihn heftig. Rod sank in sich zusammen, denn die Worte waren schmerzhafter, als es Schläge hätten sein können. Er konnte nichts erwidern. Rodregos Kopf war wie leergefegt. Er wusste nicht mehr was er denken oder fühlen sollte. Er war vollkommen durcheinander und seine Gedanken formten keine klare Linie mehr.

Er hatte Alessandro getötet?

Das Bild von Alessandro in seinem Bett kam in ihm hoch und Rod merkte, dass Nico damit nicht ganz unrecht hatte. Er hatte den Alessio getötet, den er so liebte. Aber doch nur für ihn! Und nur, um ihn zu beschützen! Oder?

Als Dominico begann, ihm zu erklären, dass Alessandro gar nicht das Todesurteil hätte unterschreiben können. Irritiert sah er den anderen an. „Er muss da gewesen sein!“, antwortete er. „Er… Ich… Sieh selbst!“ Er zog aus seinem Hemd eine dünne lederne Tasche, in der er die Briefe und auch das Todesurteil und die anderen ‚Beweise‘ versteckt hatte. Mit zitternden Fingern suchte er das Todesurteil heraus. „Er hat es selbst unterschrieben.“, sagte er nun und hielt Dominico das Papier hin. „Genauso wie die Stanleys einen Meineid geleistet hatten, um meinen Vater an den Galgen zu bringen und selbst aufzusteigen.“ Er hatte eigentlich nicht darüber reden wollen, aber es quälte ihn seit Wochen, ja Monaten. „Ich habe keine Ahnung, wie er es angestellt hat, aber das ist doch ganz offensichtlich!“ Er schluckte. „Und ich hatte keine Ahnung, dass Cromwell dahinter steckt. Das habe ich erst in den letzten Tagen gemerkt.“ Er zog den ersten Brief heraus, den er erhalten hatte. „Den habe ich am Todestag meiner Schwester bekommen. Anschließend folgten einige Briefe.“ Er sah den anderen verzweifelt an.

„Dominico!“, seine Stimme klang flehend. „Ich wusste nicht, dass er dahinter steckt. Mir ist das erst viel zu spät bewusst geworden! An dem Tag, an dem der Brief kam, wollte ich mit dir reden, aber du warst in Spanien. Bei deiner Heimkehr warst du schon wieder weg, als ich Alessio traf. Ich habe ihn seit langem mal wieder gesehen, so wie er war, bevor er die Robe angelegt hatte. Ich wollte das nicht, wollte nicht auf diesen Brief reagieren. Es war ein Versehen. Alessandro hatte gesagt, dass er keine wichtigen Termine habe. Ich wollte doch gar nicht wissen, was passiert ist... Ich wollte doch einfach nur… Aber als ich dann von dem Todesurteil erfahren hatte… Ich habe schwarz gesehen, ich wusste nicht mehr, was ich denken sollte. Für mich war klar, dass Alessio der Mörder meiner Mutter ist.“ Er schluckte. „Und diese Briefe – er hielt Dominico die ganze Tasche hin - haben mir das bestätigt, haben mich eingelullt und mir meinen Verstand geraubt. Ich wollte nicht, dass es dazu kommt. Ich wollte das nicht… Ich wollte das doch alles nicht.“

Ihm rannen die Tränen hinunter, ohne dass er es recht merkte. Er wollte nur, dass Dominico ihn nicht für so kalt hielt, nicht für so berechnend. Er wollte sich erklären, obwohl er sich doch eigentlich vorgenommen hatte, sich nicht zu erklären. Er hatte einfach ins Gefängnis gehen wollen, um seine gerechte Strafe zu erhalten. Wenn er Glück hatte, würde der Tod schnell vollzogen werden. Aber jetzt. Jetzt wollte er nicht, dass Dominico von ihm so schlecht dachte, dass er so berechnend war. „Ich... es tut mir alles so leid. Ich wollte das nicht, schon lange nicht mehr. Ich wollte ihm nicht weh tun. Aber ich konnte auch nicht mehr lügen. Ich muss ihn beschützen vor mir und dem Ungeheuer in mir, das durch ein paar Worte so leicht Nahrung findet..."
 

Dominico

Die Logik seiner Aussage überraschte Nico selbst. Es überraschte ihn, dass er so logisch denken konnte in diesem Moment, denn eigentlich war es immer Alessandro, der die Nerven behielt. Nico selbst hatte in den letzten Tagen und Wochen einfach zu viel mitgemacht. Die Beziehung mit Kieran, Giulias Schwangerschaft, der Druck am Hof und jetzt auch noch der Anschlag auf seinen Bruder zerrten an seinen Nerven und machten ihn zu einem Schatten seiner selbst. Aber anscheinend war da in ihm noch immer ein Kämpfer, der sich etwas von Alessio abgeschaut hatte. Jemand, der Zusammenhänge kombinieren konnte und daran rüttelte auch Rods Gestotter nichts. Der Mann, von dem er geglaubt hatte, er sei sein bester Freund und beinahe mehr als das, zog Dokumente unter seinem Hemd hervor und drückte Nico einen Bogen teuren Pergaments in die Hand. Sein prüfender Blick fuhr über die Seite, seine Finger fühlten über das Papier. Definitiv kein Papier aus Italien, denn in Italien wurden die Blätter bereits geschöpft. In England war Pergament noch wesentlich verbreiteter.

Außerdem kein Zeichen des Vatikan auf der Anklage, aber das spielte keine vordergründige Rolle, es bewies Nico nur, dass dieses Dokument nicht in Rom verfasst worden war. Er überflog die Worte und klappte die Rolle dann um, um die Unterschrift zu sehen.. und da stand wirklich Alessandro Sforza. Und noch während er das las und darauf starrte, packte er Rodrego am Arm und zerrte ihn mit sich. Weit mussten sie nicht gehen, ein Zimmer reichte bereits. Alessandros Arbeitszimmer, zu dem Nico die Türe aufstieß und Rod mit hinein schubste, ehe er zum Schreibtisch eilte. Vergleichbare Korrespondenz gab es wirklich genug... und auf den ersten Blick erschien es auch Alessandros Unterschrift zu sein, doch auf einen zweiten genaueren Blick sah man deutliche Unterschiede. Hier und da war ein Buchstabe anders geschwungen. Vor allem Alessandros Vorname wich vom Original ab.. anscheinend hatte der Fälscher nur ein Dokument mit Alessios Nachnamen in den Händen gehabt und das war wesentlich leichter zu bekommen. Dann war da noch der Abdruck des Siegelrings. Nico griff nach dem Ring, der in einer Schatulle auf dem Schreibpult lag und drehte ihn so, dass er das Negativ sehen konnte, das in den Ring graviert war. Die Umsetzung dauerte ihm jedoch zu lange, also entzündete er eine Kerze, schmolz etwas Siegelwachs und machte den Abdruck - und der Abdruck zeigte mehr als deutlich die Fälschung, die man Rod als ein von Alessandro unterschriebenes Todesurteil untergejubelt hatte. Nico ließ langsam die Hände sinken und starrte Rod noch immer wütend an. Andererseits begriff auch er jetzt die Tragweite dieser Intrige. Wenn Cromwell wirklich in den Tod von Rodregos Familie verwickelt war, dann hatte er damals bereits einen ersten Anlauf genommen Nico und Alessio loszuwerden. Doch sein Einfluss war nicht groß gewesen und damit war dieses Vorhaben gescheitert.. und jetzt hatte er es noch einmal versucht. Konnte ein Mensch wirklich so grausam sein? So viele ungeschriebene Gesetze der Ehre verletzen?

Konnte Rodrego wirklich so blind vor Hass gewesen sein, dass er die Fälschung nicht hatte enttarnen können? Die Geschichte, die er ihm erzählte, klang so unglaubwürdig und doch irgendwie wahr. Langsam verließ Nico die Kraft, vor allem weil er jetzt auch wirklich wusste, dass Alessio keine Schuld an all dem hatte. Wie schrecklich hilflos musste sich sein Bruder fühlen? Er sank gegen den Schreibtisch und verschränkte die Hände vor der Brust. "Du wolltest das alles nicht.. aber du hast meinen Bruder, der immer mein Bruder gewesen ist und nie ein anderer - denn diesen anderen hast nur DU in ihm gesehen - ins Bett gezerrt. In dem Wissen, dass du der gewesen bist, den er immer gewollt hat aber nie bekommen konnte. Du hast das in Kauf genommen, dass das passiert Rodrego. Du hast gewusst, wie sehr es ihn treffen würde, und sag nicht, du wusstest es nicht. Du hast ihn jetzt zu dem Kardinal gemacht, den du so sehr hasst, weil er jetzt erst recht das Gefühl haben muss, dass jeder Mensch, dem er vertraut, nur seinen Schaden im Kopf hat. Und wofür? Für nichts! Was hast du jetzt davon Rodrego, was? Und wenn ich richtig verstehe, was du mir zwischen den Zeilen sagst, dann ist die Familie Stanley deinetwegen tot! Ist es so?" Er fuhr sich durch das Gesicht, ihm war auch zum heulen zu Mute.

Er wollte Rod verzeihen, weil er wie ein Bruder war, sein bester Freund. Er konnte ihn auch ein Stück weit verstehen, hätte vielleicht selbst so gehandelt - aber doch nicht gegenüber der Familie! "Du konntest also nicht mehr lügen ja? Du hast ihn wirklich nur benutzt, die ganze Zeit?" Er hieb gegen den Tisch und fluchte, weil es schmerzte. "Verdammter Bastard, Cromwell! Ob Giulia schwanger ist oder nicht, ich werde auf diesem gottverdammten Turnier reiten und dafür sorgen, dass es ihn dabei von seinem verdammten Thron hebt."
 

Rodrego

Rodrego hatte schon gedacht, Dominico ginge erneut auf ihn los, doch stattdessen packte er ihn nur am Handgelenk und zog ihn mit sich. Rodrego war verwirrt, ließ sich jedoch bereitwillig mitziehen. Er würde keinen Widerstand leisten, egal was Nico mit ihm anstellen würde. Er hatte jede Art der Strafe verdient und das wusste er. Dennoch wunderte es ihn, dass er nichts zu Alessandros Verteidigung sagte. Er hatte doch auch das Todesurteil gesehen, oder? Er war überraschter, als Rodrego ihn mit zu Alessandros Arbeitszimmer nahm, zu seinem Schreibtisch, wo er nach einem Brief griff und ihn neben das Todesurteil legte. Rodrego blickte darauf, verglich und merkte, wie ihm übel wurde. Dann das Siegel - ihn schwindelte und er musste sich am Tisch abstützen, als er begriff, was hier passiert war. Er war nicht nur manipuliert worden, er war auch betrogen worden. Und Cromwell - denn offenbar stand der hinter all dem hier - hatte ihm alles genommen: Seine Familie, seine Freunde, seinen Lebensinhalt und seine Liebe. Rodrego merkte, wie ihm schier die Füße unter dem Boden weggerissen wurden.

Doch auch wenn gerade sein ganzes Leben den Bach runterging, so hatte er nur einen Gedanken im Kopf: er hatte seinen Alessio getötet – ohne realen Grund.

Die Worte, die Dominico zu ihm sagte, klangen wahnsinnig weit weg und er begriff sie nicht. Er starrte auf Papier und Siegel und versuchte sich zu ordnen. Alles kam ihm mit einem Mal so sinnlos vor, so krank. Die Menschen waren krank – und er war Teil von ihnen. Hatte sich Dinge ins Ohr, in den Kopf legen lassen, die vollkommen bescheuert waren. Warum hatte er nicht genauer hingesehen? Warum hatte er nicht gefragt? Aber es war zu spät für ein Warum. Es war zu spät… Er hatte alles verspielt. Alles war zerstört. Cromwell hatte gesiegt, hatte seine Familie nun beseitigt und würde ihn sicher auch bald hängen lassen. Er hatte Alessandro ‚ermordet‘ und als nächstes würde er Nico töten. Cromwell hatte gesiegt.

Hatte er das? Langsam drangen auch die Worte des anderen wieder zu ihm durch. „Ja“, gab er tonlos den Mord an den Stanleys preis. Daran wollte er jetzt gar nicht denken. An die Toten, die ihn Nacht für Nacht verfolgt hatten… Rod schluckte und hielt sich noch immer am Schreibtisch fest, damit er nicht am ganzen Körper zitterte. Als Nico ihn fragte, blickte er langsam auf, sah den anderen an. „Ich habe anfangs nichts gespielt. Ich habe ihn anfangs nicht benutzt. Ich hatte dich gesucht und ihn gefunden. Wenn du da gewesen wärst… Ich hätte dir den Brief von Cromwell gezeigt und alles wäre gleich aufgeflogen gewesen…“ Er schüttelt den Kopf. Es war nicht die Zeit für ein „Wenn“ und den Konjunktiv. Es war zu spät.. Cromwell hatte gewonnen. „An jenem Abend hatte ich mich so gefreut, einen Alessio zu treffen, den ich schon immer geliebt habe. Wir haben beschlossen zu versuchen, einfach nur wir selbst zu sein und uns damit Halt zu geben. Ich habe ihm da nichts vorgespielt. Eigentlich hatte ich nie vor, mehr über den Tod meiner Familie zu erfahren. Ich hatte nicht gewollt, dass Alessandro an dem Tag zu spät kommt. Aber er ist zu spät gekommen und ich erhielt den Zugang zu diesem Urteil. Ich hätte mit ihm reden sollen, ihn fragen.." Rod begriff mehr und mehr, was alles passiert war, was alles hätte verhindert werden können. Es machte ihn vollkommen fertig. Den Gedanke, der ihm am meisten zu schaffen machen würde, den ließ er in diesem Moment lieber gar nicht zu. Denn sonst würde er hier genauso zusammenbrechen, wie Alessio gerade.

Der letzte Satz Nicos ließ ihn wieder aus seinen Gedanken zurückkommen, ließ ihn den anderen ansehen. „Cromwell lässt die Waffen manipulieren. Ich habe einen seltsamen Auftrag bekommen, habe ihn aber abgelehnt. Jetzt darf ich momentan nur noch die Pferde der Angestellten beschlagen, weil ich angeblich gepfuscht hätte.“ Rod war klar, dass er ab sofort auch um sein eigenes Leben fürchten musste. Aber irgendwie störte ihn der Gedanke nicht. Seit dem Tod seiner Eltern hatte er sich oft ausgemalt, wie es wäre, einfach zu sterben. Er hatte diese depressiven Momente immer gehabt. Nur in letzter Zeit nicht mehr so stark, seit er mit Alessandro zusammen gewesen war. Aber jetzt, nach dem heutigen Tag. Er freute sich darauf, wenn er einfach bald erlöst war.

Er sah Nico ernst an. „Ich wusste, dass ich ihn treffen würde, ja“, sagte er dann. „Und das hatte ich einmal auch wirklich gewollt. Aber schon sehr lange nicht mehr. Ich habe mir eingeredet, meine Gefühle für ihn seien vorgespielt. Aber das war es nicht. Aber gleichzeitig habe ich heute auch begriffen, dass ich ihn umgebracht habe, weil er schwach war. Ich habe ihn schwach gemacht. Und ich habe keine andere Möglichkeit gesehen, als ihm seine Stärke zurückzugeben, die er jetzt braucht. Ich bin sein Schwachpunkt geworden.“ Er schluckte. „Dominico, bitte. Töte Cromwell für mich. Er hat mir alles genommen, was mir wirklich von Bedeutung war.“
 

Dominico

Nico hatte viel geglaubt, aber nicht, dass ein einzelner Mann, den Rodrego nicht einmal kannte, genug Druck ausüben konnte, um Rodrego dazu zu bringen sogar einen Mord zu begehen - denn nichts anderes hatte Rod ja getan. Er hatte eine ganze Familie ermordet, einfach so. Ja, das man es konnte, wenn man glaubte im Recht zu sein, das musste Nico niemand verraten. Dennoch schockierte es ihn, Rod in diese Rolle zu pressen. Und es schockierte ihn auch, seinen so guten Freund in dieser Position zu sehen. Er glaubte Rodrego, auch wenn sein Kopf sagte, dass er es besser nicht tun sollte. Rodrego hatte gelogen, hatte Alessio belogen und wer konnte jetzt sagen, dass er ihn nicht auch belog?

Doch Rodrego machte einen so niedergeschlagenen Eindruck, dass Nicos Beschützerinstinkt größer wurde als sein aufkochender Hass, der sich jetzt auf Cromwell richtete, mehr denn je. Cromwell, der seinen Rodrego zu diesem Monster gemacht hatte, in dem er ihn so sehr reizte. Es war wirklich ungeheuerlich, was dieser Mann über einen so langen Zeitraum unbemerkt hatte tun können. Nico konnte es noch immer nicht glauben, doch er begriff, dass es jetzt an ihm war, diese Sache durchzustehen. Er begriff im gleichen Moment, dass er dafür Giulia brauchte.. und Kieran. Er brauchte Kieran. Auch wenn Giulia ihm die Unterstützung gab, die er brauchte, er wollte auch Kierans Unterstützung, wollte seine Hilfe und brauchte seinen Rückhalt. Denn an seinen Gefühlen hatte sich nichts geändert, er war lediglich einen anderen Weg gegangen als Rod und hatte versucht sich doch etwas mehr von Kieran zu lösen, um Cromwell nicht noch eine Angriffsfläche zu bieten, vor allem nicht nach seinem so unbesonnenen Auftritt in der Schenke.

Rodregos Hinweis auf die Waffen ließ ihn jedoch wieder ins Hier und Jetzt zurückkehren. "Die Waffen manipulieren? Die Lanzenspitzen?" Das waren die einzigen Waffen, die beim Turnier gestellt wurden. Alle anderen Waffen, also die Schwerter für den Schwertkampf - wenn man ihn den ausfocht - waren die persönlichen Waffen der Kämpfer. Wenn Cromwell die Lanzen manipulierte, so dass die Spitzen nicht brachen oder die Lanzen nicht splitterten... oder die Schilde zu leicht brachen, nicht auszudenken was für einen Schaden er damit anrichten würde. Wenn Nico und Charles gegeneinander reiten würden und sich beide tödlich verletzten, dann konnte Cromwell es unbeschadet auf sie beide schieben, die sich ohnehin schon so sehr hassten, dass man ihnen die Manipulation zutrauen würde. Ohhh nein, nicht mit Nico! Er musste mit Giulia reden und er musste mit Alessio reden. Und er musste noch viel wichtiger mit John und Kieran sprechen, denn sein Bruder brauchte jetzt definitiv etwas, das ihn schlafen ließ, ohne Gedanken an das, was Rod eben gesagt hatte! Und zum Glück hörte Alessandro gerade nicht, was Rodrego noch nachsetzte, auch wenn es im Endeffekt hieß, dass er Alessio liebte.. sein Bruder hatte dafür sicher gerade kein wirkliches Ohr.

"Ich werde niemanden für dich töten, Rodrego. Wenn du willst, dass er stirbt, dann werde ich dir dabei nur zu gerne helfen. Aber ich werde diese Arbeit nicht für dich übernehmen. Du wirst dir dabei die Finger schmutzig machen, um sie von all der anderen Schuld reinzuwaschen. Wage es ja nicht, jetzt abzutreten!" Denn er meinte genau das aus Rods Worten herauszuhören. Er deutete mit dem Finger auf die Papiere. "Diese Dokumente werden ihn entlarven und wenn Alessio ein paar Tage hat, dann kann er mit Sicherheit etwas damit anfangen. Auch wenn er dich sicher nicht sehen will, du wirst hier sein, hier bleiben, hast du das verstanden?" Er wollte ihm keine Befehle geben, aber er glaubte, dass Rod jetzt klare Worte brauchte. "Geh raus, iss, betrink dich. Betrink dich richtig. Dann schlaf irgendwo hier ein und morgen werden wir uns gemeinsam darum kümmern, eine Lösung für dieses Cromwell - Problem zu finden. Eine Lösung, die verdammt entgültig sein wird. Du wirst dir alles überlegen, was du über diese Waffenmanipulation weißt. Ich organisiere mir Charles hier her." Nico war voller Tatendrang. War schon im Begriff wieder aus dem Zimmer zu stürmen, um alles in die Wege zu leiten, ehe er sich noch einmal zu ihm umdrehte. "Er wird dich leiden lassen, jedesmal wenn er dir begegnet und du hast es mit jeder Sekunde verdient. Aber sein Schwachpunkt warst du nie. Ich habe ihn noch nie so hart für etwas arbeiten sehen, wie für unsere Sicherheit und unseren Weg zurück nach Italien. Das Wichtigste für ihn war es, dich dabei zu haben. Mach seine Arbeit ja nicht damit zu Nichte, dass du jetzt davonläufst. Das wäre nicht der Rodrego, den ICH kenne." Er ließ die Briefe auf Alessios Schreibtisch liegen, in dem Wissen, dass sein Buder sie dort finden würde und verschwand aus dem Raum.
 

Rodrego

Rodrego nickte. „Die Lanzenspitze sind zwar tönern, damit sie zerbersten, darunter soll aber ein spitzer Eisendorn verborgen sein, der leicht an den Schwachstellen der Rüstung hindurchdringen kann“, erklärte er, um Dominico wissen zu lassen, worauf er achten musste. Wenigstens bei seinem ehemals besten Freund wollte er etwas richtig machen. Auch wenn er deswegen nicht erwartete, dass man ihm verzieh.

Als Nico ihn ansah und ihm erklärte, dass er niemanden für ihn töten würde, dass er ihm aber helfen werde, sah er ihn verdutzt an. Und der klare Befehl, am Leben zu bleiben, wunderte ihn schon fast. Aber er begriff, was Nico von ihm verlangte: er musste helfen, zumindest eine Teilschuld zu begleichen. Und das würde er, ja das würde er. „Ja, ich habe verstanden“, sagte er daher und setzte sich, als Dominico im Begriff war, das Zimmer zu verlassen. Er musste nachdenken, sich sammeln und seine Gedanken sortieren. Als Nico noch einmal stehen blieb, sah er hoch. Und die Worte, die nun kamen, stimmten ihn erneut traurig, ließen ihn aber zuletzt lächeln. Alessio hatte geplant, ihn nach Italien zu bringen? Er konnte sich noch so gut an ihr Gespräch am See erinnern... Rodrego schlug sich die Hände vor's Gesicht und begann hemmungslos zu weinen. Er war wirklich der größte Idiot auf Gottes Erdboden, aber Nico hatte recht. Er würde hier bleiben und helfen. Und er würde jede Erniedrigung, jede Strafe, jedes Leid ertragen – denn er hatte es verdient, definitiv.

London 3 - Verantwortung

Kieran und John

Als Kieran zurückkehrte, war es schon später Nachmittag. Er hatte Mr. Forbes geholfen, die Patienten zu versorgen, die auch am Sonntag Hilfe bedurften. Er war froh, ein wenig Abstand zum Anwesen zu bekommen. Er konnte die Zeit nutzen, zu begreifen, was heute geschehen war und er begriff, in welcher Situation sich die Familie Sforza momentan befand. Langsam glaubte er zu verstehen, was Dominico dazu bewogen hatte, ihn zu vergessen. Irgendwie konnte er ihm dafür kaum böse sein, wobei er es doch war. Nein, vielleicht nicht böse. Er war einfach nur abgrundtief traurig. Traurig darüber, dass es nicht geklappt hatte. Dominico lebte in einer Welt, in der es eben nicht um Standesunterschiede ging – die hatten sie größtenteils überwunden – sondern es ging um Leben und Tod. Es ehrte Dominico in gewisser Weise, dass er ihn davor schützte, indem er ihn fallen ließ, bevor er zur Zielscheibe werden konnte. Er hätte es einfach gerne von ihm gehört… Persönlich.
 

Er traf John später bei den feiernden Angestellten, wo jener sich mit einem der Bauernsöhne offensichtlich ganz gut unterhielt. Kieran setze sich zu ihm und fragte ihm, wie es Alessandro ginge. „Zuletzt war er stabil. Dominico ist gerade bei ihm gewesen. Daher war ich schon länger nicht mehr dort. Er hätte sich sicher gerührt, wenn sich sein Zustand verschlechtert hätte." Kieran nickte und ging nicht weiter darauf ein, erzählte stattdessen, dass sein Vater ihn gerne heute Nacht daheim hätte, damit John morgen mit ihm den Laden eröffnen konnte. John nickte. „Dann sollte ich vielleicht doch nicht mit dem jungen Mann dort was anfangen“, überlegte er betont nachdenklich. Kieran grinste. „Tu dir keinen Zwang an. Dein Vater schweigt ja konsequent, auch wenn er merken müsste, dass du nicht im eigenen Bett geschlafen hast. Solange du nur pünktlich bist...“ Kieran grinste. "Jaaaa... naja", entgegnete John. "Die Blicke und das Schweigen sagen mehr, als Worte könnten. Aber zumindest töten sie nicht real..." Gemeinsam gingen sie nun doch noch ein wenig zu den Feiernden, auch wenn Kieran bald ins Haus gehen wollte, um nach Alessandro zu sehen.
 

Dominico

Amadeo begegnete Dominico auf dem Gang, sah verwirrt aus. "Alessio redet nicht mit mir und es sieht so aus, als habe er geweint. Was ist passiert?" Nico legte ihm eine Hand auf die Schulter. "Später. Rodrego ist im Arbeitszimmer, hab ein Auge auf ihn." Damit sprintete er weiter, zuerst zu einem der wenigen Männer, die arbeiteten. Er schickte ihn mit einer Nachricht an Charles los und versprach ihm extra Vergütung, um den Mann vom Fest wegzulocken, doch die war nichteinmal nötig. Kurz darauf war er hinaus und im Garten, in dem ausgelassene Menschen auf Tischen tanzten. Essen duftete, doch Nico hatte keinen Hunger. Giulia stand lachend neben einem Lagerfeuer und klatschte im Takt der Musik und sah den Tanzenden zu. Nico fixierte sie und bahnte sich einen Weg zu ihr, stieß dabei aus Versehen ein paar der Feiernden zur Seite, doch es war zu dunkel, um sie einzeln zu erkennen. Er musste mit ihr sprechen, um sie auf den neusten Stand der Dinge zu bringen. Sie würde ihm die Organisation des Haushaltes abnehmen, würde die Angestellten einweihen und er konnte sich dann endlich Kieran zuwenden. Erneut stieß er gegen ein paar feiernde Männer. Einer davon war Kieran, doch Nico hatte dafür gerade keinen Fokus. Stattdessen schob er sich weiter auf Giulia zu, war aber noch ein ganzes Stück von ihr entfernt.
 

Kieran

Während Kieran zwischen den feiernden Angestellten stand und sich unterhielt, sah er, dass Dominico aus dem Haus trat und zu ihnen hinüberlief. Er sah angespannt aus. Wahrscheinlich war es Kierans Schuld, der Wunsch Vater des Gedankens, dass er wirklich geglaubt hatte, jener hielte vielleicht nach ihm Ausschau, unter Umständen auch nur wegen seines Bruders. Aber wie hatte er nur so naiv sein können? Nein – Dominico sah ihn nicht einmal an, er lief genau auf Giulia zu - und nicht nur das. Nico stieß ihn zur Seite, so dass er strauchelte und fast fiel. Das fühlte sich absolut nicht gut an…

"Crap! Attentione, bastardo!", rutschte ihm im ersten Moment der Enttäuschung und angestauten Wut heraus. Dann ging alles viel zu schnell...

Er drehte sich, taumelnd, sah, wie Dominico herumfuhr, um demjenigen, der ihn so halbstark angesprochen hatte, an den Kragen zu gehen. Doch anstatt dass er Kieran erwischte, war John dazwischengetreten, um ihn davor zu schützen, von Dominico angegangen zu werden. War es Selbstverteidigung? War es Absicht? Er wusste es nicht einzuschätzen. Er sah nur, dass Johns Faust vorschnellte, um Dominicos Reaktion abzuwehren, und das unschöne Geräusch einer brechenden Nase war zu hören war. Er selbst war zu Boden gegangen, sprang jetzt auf. "John! Nico! Nein!", schrie er völlig verwirrt, während nun Dominico viel zu schnell reagierte und John seinerseits im Gesicht traf, so dass dieser zur Seite taumelte. Kieran sprang dazwischen, blickte Nico panisch an, dann drehte er sich zu John.

Der sah ihn wütend an. "Ich musste dazwischen gehen, sonst hätte er dich erwischt...", knurrte dieser und hielt sich die Hand an sein linkes Auge, wo die Augenbraue aufgeplatzt war. Sicher gab das ein schönes Veilchen. Kieran war sprachlos, völlig perplex. Er sah, wie John bebte, wie er zitterte, wie er wirklich wütend war. Johns Sicht auf die Dinge war zu verstehen, aber Kieran verstand auch Dominico. „Nicht jetzt“, wisperte er zu John, der mittlerweile von zwei der Angestellten festgehalten wurde. „Und nicht du. Das ist meine Sache.“ John sah ihn prüfend an. Er biss sich auf die Unterlippe, sicher hatte er noch Etliches, was ihm auf der Zunge lag. Aber auch er wusste, dass das nicht der richtige Augenblick war. John entspannte sich langsam, blickte nun zu Nico.

Kieran bemerkte er, dass es totenstill um sie herum geworden war. Er schloss einen Moment die Augen. Eigentlich hatte er sich eine andere Situation ausgemalt, in der er Dominico wieder unter die Augen treten würde, definitiv. Eigentlich hatte er vorgehabt, bald einfach als Arzt nach ihm zu sehen - aber das war vor diesem Moment gewesen. Jetzt drehte er sich um und blickte zu Nico.
 

Dominico

Kieran stand sogar tatsächlich noch auf Nicos Agenda, allerdings nicht gerade jetzt. Jetzt brauchte er Giulia, seine Frau, die die richtigen Worte finden würde. Die Nico helfen würde die richtigen Worte zu wählen. Und Nico wusste, dass er alle Menschen hier einschwören musste, auf diese Familie. Es gab auf dem Hof nicht einen einzigen Engländer, alle kamen aus Italien, es wurde nur Italienisch gesprochen und die Familien fuhren regelmäßig nach Hause. Immer wieder kamen neue junge Männer und Frauen, und ältere gingen, um in Italien in den Diensten der Familie zu arbeiten oder ihren Lebensabend in der Heimat zu verbringen. Keiner hier war besonders verliebt in dieses Land, denn man ließ sie oft genug spüren, dass sie Ausländer waren. Jetzt kam noch dazu, dass sie katholische Ausländer waren und Nico wusste, dass er die Karten offen legen musste. Während er sich seinen Weg zu Giulia bahnte, überlegte er sich schon, wie er ihr am besten und schnellsten die neuesten Erkenntnisse mitteilen konnte. Er hatte wohl bemerkt, das er eben jemanden gestoßen hatte, doch das war ja wohl nicht schlimm gewesen, oder? Anscheinend war es für den Gestoßenen schlimm genug, denn kaum hatte Nico den nächsten Schritt gesetzt, hörte er die wüste Beschimpfung im Rücken. Das war gerade wirklich zu viel. Nicos Nerven waren zum Zerreißen gespannt, er hatte verdammt nochmal genug durchgemacht heute und er sehnte sich danach, irgendwo Dampf abzulassen - da kam ihm dieser verbale Ausfall ganz gelegen. Wütend wirbelte er herum, bereit sich auf denjenigen zu stürzen, der ihn vor versammelter Belegschaft gerade als Bastard bezeichnet hatte.

Er drehte sich mit Schwung, weit konnte der Kerl ja nicht gestolpert sein. Im Dunkeln und zwischen den vielen Menschen erkannte er Kieran nicht sofort und hatte schon ausgeholt, als plötzlich John auftauchte, den Schlag abfing und seinerseits ausholte. Nico, der jetzt Begriff, dass er aus Versehen Kieran zu Boden gestoßen hatte, reagierte zu langsam und bekam Johns Faust ungebremst ins Gesicht. Sein Körper reagierte schneller als sein Hirn sich einschalten konnte, er spürte brüllenden Schmerz durch sein Gesicht rasen, bekam John aber am Kragen zu fassen und stieß einfach den Kopf vor, so dass er John eine beachtliche Kopfnuss verpasste, die den Engländer zurücktaumeln ließ, ehe sich Kieran aufgerappelt hatte und dazwischen sprang. Nico musste an sich halten, Kieran jetzt nicht bei Seite zu stoßen, wo sich ein kampfbereiter Gegner in greifbarer Nähe befand, an dem Nico seine aufgestauten Emotionen auslassen konnte, doch inzwischen war auch Giulia zu ihm durchgekommen und packte ihn am Arm, während sich drei andere Männer so um John gruppierten, dass auch der nicht mehr auf Nico losgehen konnte.

Johns Erklärung machte Nico klar, was sein Unterbewusstsein bereits vermutet hatte: Er hatte Kieran zu Boden gestoßen und es war Kieran gewesen, der ihn beleidigt hatte. Das machte die Sache zwar nicht besser, aber er konnte Johns Reaktion verstehen, der hatte verhindern wollen, dass Nico auf Kieran einschlug. Insofern war er dem anderen Arzt also fast dankbar. Dennoch blutete seine Nase und schmerzte und allein die Tatsache, dass man diesen Schlag in den nächsten Tagen noch würde bewundern können, ärgerte ihn. Dennoch stand jetzt Kieran im Fokus, der sich zwischen sie beide gestellt hatte und auf John einredete, ehe er sich umdrehte, um Nico anzusehen.

"Ein Bastard ja? Wie nett", kam es zynisch über seine Lippen. Kurz war er davor seine Wut Oberhand gewinnen zu lassen und einen Kommentar in Richtung Kierans Familie und Bastard vom Stapel zu lassen, doch er wusste selbst, dass er das sehr bereut hätte. Dennoch kam er nicht umhin, ein paar Takte loszuwerden, da jetzt ohnehin alle Augen auf ihn gerichtet waren. Kieran hatte seine nette Verwünschung auf Italienisch ausgesprochen, also erwarteten die Leute eine Antwort.

"Vielleicht wäre es einfacher, wenn ich das wäre", fuhr er schließlich fort, bemüht sich zu mäßigen. "Denn dann hätte ich nicht die Verantwortung für all diese Menschen hier! Dann wäre ich nicht verantwortlich dafür, dass mein Bruder heute beinahe gestorben wäre. Dann wäre ich nicht verantwortlich dafür, dass man versucht, meine ganze Familie auszulöschen und jeden, der mir lieb und teuer ist, zu töten! Aber dummerweise, Kieran, dummerweise BIN ich kein Bastard, sondern Dominico Sforza und das hast du gewusst, als du mir in Cambridge das erste Mal begegnet bist. Hätte ich nach meinem Herzen gehandelt, dann wärest du jetzt tot, verdammt! Tot wie mein Bruder es beinahe gewesen wäre und der eben noch einen Schritt weiter auf diese Schwelle zugestoßen wurde!"

Ihm war bewusst, dass ihm jetzt alle zuhörten und auch wenn er es so nicht geplant hatte, jetzt würde es eben so gehen müssen. Er wischte sich das Blut weg, das über seine Lippen lief, verschmierte es dadurch aber nur noch mehr in seinem Gesicht. "Sieh dir Mikele hier an!" Er deutete auf einen Mann in erster Reihe hinter John. Er war bereits etwas älter, man sah ihm die Arbeit an, die er tagtäglich verrichtete. Er war hinzugesprungen, um John aufzuhalten, weiter auf Nico einzuschlagen. "Sein ältester Sohn Lorenzo" - Er deutete auf einen anderen wesentlich jüngeren Mann rechts von sich. - "arbeitet hier seit er 12 ist. Er hat noch weitere 6 Geschwister, alle leben hier. Und das ist nur eine Familie von vielen - was glaubst du, wer kümmert sich um diese Menschen? Wer glaubst du, ist für sie verantwortlich?" Die Stille breitete sich unangenehm aus, auch wenn die meisten nichts verstanden, weil Nico Englisch sprach. "Ich bin verantwortlich, ICH! Es GAB bis zum heutigen Tag keinen besseren Schutz, als mich von dir abzuwenden." Seine Stimme verlor langsam an Gehalt, er hatte schon Rod zu sehr angeschrien und merkte, dass er heiser wurde. "Was willst du also von mir hören, Kieran?", blaffte er ihn an. "Dass ich dich liebe? Denkst du ich kann das vor meiner Frau nicht sagen? Ja, ich liebe dich, ich liebe dich über alles und ja ich habe es dir nicht gezeigt, aus Angst, Cromwell eine Angriffsfläche zu geben und dich zu verlieren. Und wenn ich einfach könnte, wie ich wollte, dann würde ich dich auch bei mir haben. Aber hier gehen tagtäglich Leute aus London ein und aus, die reden, Kieran. Und ich werde dich niemals diesem Gespött aussetzen, NIEMALS!"

Seine abwehrende Handbewegung hätte fast Giulia umgerissen und er schaffte es gerade noch sie aufzufangen und stützte sie, während er sich leise murmelnd entschuldigte, doch sie winkte nur ab. Sie konnte ihn verstehen, in dieser Situation. Es war grausam und vertrackt, und noch verstanden sie alle noch nicht ganz, was los war, doch Nico schwenkte ins Italienische, um sie alle aufzuklären. "Heute hat sich mir und uns offenbart, wer hinter all den Anfeindungen gegen unsere Familie steckt. Ich weiß jetzt, wer versuchte meinen Bruder heute Morgen, an diesem heiligen Fest, zu vergiften. Sein Name ist Thomas Cromwell und er wird alles dafür tun, jeden einzelnen von uns aus London zu vertreiben. Und wir MÜSSEN das verhindern!!! Wenn wir gehen, dann gehen wir, weil WIR das wollen, und nicht, weil ein idiotischer Politiker es uns vorschreibt. Wir sind eine Familie und wir bleiben eine Familie und als Familie bleiben wir hier und werden Cromwell schlagen. Dafür brauchen wir, ich, Alessandro und meine wunderbare Frau einen jeden von euch. Ihr alle müsst unsere Familie unterstützen. Ich verspreche euch, dass wir einen sicheren Weg finden werden, der uns nach Hause zurückbringt." Da er damit den Nerv der Menschen um sie herum deutlich traf, bekam er Applaus, während er sein eigenes Blut schmeckte, weil es noch immer aus seiner Nase quoll.
 

Kieran

Kieran konnte von Glück sagen, dass Giulia noch zu Nico gesprungen war, um ihn aufzuhalten, auf John loszugehen. Denn wahrscheinlich hätte John die ganze Wut und Anspannung, die Kieran nun verbal abbekam in Schlägen abbekommen... Und das hätte er nicht verdient gehabt. Er sollte nicht als Sündenbock für seine und Nicos Probleme herhalten müssen.

So holte Nico zum Glück 'nur' zum verbalen Rückschlag aus, den er gut abfangen konnte, auch wenn dieser hart traf. Nico hatte sich vor ihm aufgebaut und in rasender Wut begann er ihn anzuschreien. Während er sich bemühte, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr ihn die Worte trafen, blickte er Nico ins Gesicht und was er sah, erschreckte ihn. Er hatte ihn sehr lange nicht mehr so nah gesehen. Auch wenn er sich die lodernden, vor Zorn glühenden Augen wegdachte, auch wenn er sich das Blut und die gebrochene Nase wegdachte, blieb da immer noch ein Nico übrig, der ihn erschreckte. Ein abgekämpfter, müder und frustrierter Dominico. Kieran spürte in diesem Moment eine ungeheure Wut in sich. Wut nicht gegen Nico, sondern gegen sich selbst. Er war viel zu egoistisch gewesen, zu engstirnig. Es grämte ihn, dass ER nicht von seinen Befindlichkeiten hatte Abstand nehmen können, um das Große und Ganze besser sehen zu können. Er hatte gewusst, dass die Zeiten schlecht waren, als er aufs Schiff gegangen war. Was Nico ihm jetzt andeutete, war, dass es schlimmer war, als er hatte ahnen können. Es waren zumindest für ihn unglückliche Umstände, dass das auch noch mit Giulias Ankunft zusammengefallen war. Die folgenden Worte bestätigten ihm das, was er sich heute selbst zusammengereimt hatte. Kieran schluckte, als ihm bewusst wurde, was in den letzten drei Monaten während seiner Abwesenheit alles geschehen sein musste und was für ein verdammter Idiot er gewesen war, dass er sich so hatte hinreißen lassen, in Selbstmitleid zu baden. Er hatte versucht, Nico zu einer Erklärung zu bewegen. Aber zu wenig und er hatte kein Vertrauen gehabt. Er hatte ihn vermutlich ziemlich enttäuscht.. Andererseits wäre es doch nicht schwer gewesen, ihm irgendeinen noch so kleinen Hinweis zu geben... Selbst wenn es nur etwas Symbolisches gewesen wäre. Sonst war Nico doch auch sehr erfinderisch gewesen...

John hinter ihm rührte sich nicht. Dass der nicht wissen konnte, was Nico ihm vorwarf, wunderte Kieran nicht. Wie hätte er es denn auch wissen sollen? Er hatte nicht die Einblicke wie Kieran - wobei er selbst ja zuletzt auch zu wenig mitbekommen hatte.

Während John versuchte, die Griffe der Angestellten loszuwerden, weil er offenbar schon aus dem Fokus war, füllten sich Kierans Augen mit Tränen, die er versuchte so schnell wie möglich runterzuschlucken und seine Emotionen zu verbergen. Es half ihm, sich abzuwenden und Mikele anzusehen, auf den Nico nun deutete. Dann jedoch senkte er den Kopf, als Nico ihm eine Anklage vortrug, die sich gewaschen hatte. Kieran streckte sich etwas, um sich zu schützen, hörte, wie John sagte, dass er ein Recht gehabt hätte, davon zu erfahren.

Was nun kam, überraschte Kieran nun doch. Als Nicos Stimme brach, blickte er erschrocken auf. In diesem Moment sagte Nico etwas, das ihn unfassbar freute, und ihn gleichzeitig unendlich traurig machte. Denn da war noch immer der Schmerz der letzten drei Monate. Kieran schluckte und wusste gar nicht mehr, was er denken und fühlen sollte. Es tat gut, die Wahrheit zu hören, zu hören, dass er ihn liebte, dass er ihn nur hatte schützen wollen. Es blieb dennoch ein "Aber" stehen. Allerdings war dieses nur ihm vorbehalten und nicht John und auch nicht all den anderen hier. Sie würden noch einiges klären müssen. Aber nicht hier. So war er froh, dass Nico sich kurz um Giulia kümmern musste, so dass er sich zu John umdrehen konnte, um ihn anzusehen. Jenem lief von der Platzwunde an der Augenbraue das Blut die Wange hinab und er würde morgen ein ordentliches blaues Auge haben. Sein Vater würde ihm dafür vermutlich ordentlich die Hölle heiß machen... Gleichzeitig hatte John seine Schutzmauern hochgezogen. Er kannte diesen Gesichtsausdruck bei ihm. Er hatte ihn, wenn sein Vater seine Wutanfälle an ihm ausließ. Es war absolute Gleichgültigkeit, die seine Emotionen verbarg und seinen Vater noch wütender werden ließ, wenn er ihn ansah. Kieran schluckte. Er hatte nicht gewollt, dass John zwischen die Fronten geriet. Der aber erwiderte seinen Blick und lächelte kurz, zwinkerte ihm zu. "Ist schon gut", sagte er leise. "Mach dir keinen Kopf! Wenigstens hat er endlich mal geredet... Und er soll wissen, dass er nicht mit dir umspringen kann, wie er will!" Kieran sah seinen Freund etwas sprachlos an. Hatte John es auch deswegen getan? In dem Moment sprach Nico weiter, auf Italienisch. Und das, was verstand, war dazu gedacht, Nicos Angestellte hinter sich zu sammeln, den Zusammenhalt zu stärken.

Er blickte wieder zu John. "Geh heim!", sagte er zu ihm und John nickte, drehte sich mit einem "Lasst mich los!" um und lief zu den Stallungen, um sich sein Pferd zu holen. Kieran blickte ihm kurz nach, innerlich den Kopf schüttelnd. John war wirklich ein guter Freund. Wer sonst würde sich so für ihn einsetzen, dass er einem ausgebildeten Soldaten vor die Faust sprang?

Dann sah er zu Nico, der alle Anwesenden mit seiner Rede in seinen Bann gezogen hatte und die ihm nun Applaus und bestärkende Zurufe schenkten. Kierans Blick wanderte zu Giulia, die den Blick bittend und verstehend erwiderte. Sie trat vor und griff Nicos Faden auf, zog die Aufmerksamkeit auf sich und bekräftigte, womit Nico begonnen hatte. Nico blieb zurück, während sich der Fokus auf Giulia richtete und der Italiener hatte Zeit, die eigene gebrochene Nase zu betasten, was zu einem schmerzerfüllten Zischen und wüsten Flüchen führte.

Es war dringend an der Zeit, diese Nase zu verarzten und die Blutung zu stillen. Vor allem war es an der Zeit, endlich miteinander zu reden, miteinander zu streiten und ihre Sicht der Dinge loszuwerden, damit am Ende dieses Tages wenigstens eines der Probleme - hoffentlich - aus der Welt geschafft war und sie beide ineinander wieder den Rückhalt fanden, den sowohl Nico als auch Kieran dringen brauchte.

London 3 - Dinge gerade rücken

9Dinge gerade rücken
 

Kieran

Kieran ergriff Dominicos Handgelenk und zog ihn wortlos und mit festem Griff mit sich zur Praxis. Dort angekommen drückte er ihn auf die Liege, die er für Untersuchungszwecke hatte. Dann suchte er alles heraus, was er brauchte, füllte eine Schüssel mit kaltem Wasser und kehrte zu Nico zurück. Er sprach kein Wort, wusste ohnehin nicht, was er sagen sollte. Er brauchte einfach ein bisschen Zeit. Seine Hand hob Nicos Kinn so an, dass er die Nase in der richtigen Position hatte. Sein Blick war bewusst nur darauf gerichtet. Er konnte dem anderen gerade nicht in die Augen blicken. Seine Finger tasteten über die Nase. John hatte ganze Arbeit geleistet. Er legte beide Hände an und mit einer überraschenden, schnellen Bewegung richtete er sie wieder gerade. Ein Knacks, ein neuer Blutschwall und Nicos Aufstöhnen bestärkten ihn in dem Wissen, dass es wieder passte. Kieran nahm einen der Lappen, die er ins kalte Wasser gelegt hatte und hielt sie Nico unter die Nase, wartet, bis das Blut aufhörte zu fließen. Es war an ihm zu reden, das wusste er. Aber Nico würde sich gedulden müssen, bis das hier fertig war. So wusch er dem anderen schließlich das Gesicht, schmierte etwas abschwellendes auf die Nase und wusch sich die Hände.

Schließlich blickte er endlich Nico in die Augen und wie er geahnt hatte, spürte er wieder, wie ihm die Tränen kamen. Seit wann war er eigentlich so nah am Wasser gebaut? Vermutlich seit er seit Monaten versuchte, sich seinen Kummer nicht anmerken zu lassen...

"Es tut mir leid", begann er leise und seine Stimme zitterte. "Es tut mir leid, dass ich mich nicht gemeldet habe, dass ich nur an mich gedacht habe, dass ich dich nicht irgendwie unterstützt habe, dass ich gezweifelt habe und dich gedanklich verflucht habe, während ich im Selbstmitleid gebadet habe. Entschuldige bitte!" Er schluckte, versuchte die Tränen zurückzuhalten. "Aber...", fing er an und musste sich noch einmal kurz sammeln. "Aber dein Verhalten hat mich sehr verletzt. Ich habe zu lange gebraucht, um es zu begreifen. Ich war zu weit weg und wusste nur, dass Giulia da war und du mich seitdem ignorierst. Ich dachte, ich hätte etwas falsch gemacht, dachte viele viele Dinge, falsche Dinge womöglich, aber auch naheliegende. Ich wollte doch nur einen Brief, einen einzigen Hinweis, eine Erklärung, irgendwas, Dominico. Irgendeine Kleinigkeit, etwas, was nur ich verstanden hätte." Ihm liefen die Tränen die Wangen hinab. "Irgendetwas, das dieses schreckliche Gefühl in meinem Inneren beseitigt hätte. Ich hätte es doch verstanden, verdammt noch mal!"
 

Dominico

Die Nase schmerzte, aber es war ätzender keine Luft durch die Nase zu bekommen, die John ihm gebrochen hatte. Naja, es war nicht das erste Mal. Er war noch immer so wütend, so unsagbar wütend. Wütend auf John, wütend auf Rodrego, auf Cromwell, auf sich selbst... schrecklich. Vielleicht hatte Kieran gerade deswegen Glück ihn mit sich ziehen zu können, auch wenn Nico eigentlich gerade nicht von Giulias Seite weichen wollte.

Dennoch folgte er Kieran, ließ sich durch die Menge ins Labor ziehen und sank schließlich auf die Liege. Ein Mann hatte ihm auf dem Weg einen Weinkrug in die Hand gedrückt und während Kieran seine Utensilien zusammensuchte spülte Nico den Becher in einem Zug hinunter. Das hatte er wirklich gebraucht und er lehnte sich stöhnend zurück. Er wusste, dass Kieran die Nase richten würde und er ließ es geschehen, auch wenn es weh tat. Er hörte das Knacken und fühlte es, als der Knochen wieder in Position rückte und erneut quoll Blut aus seiner Nase. Das schmerzerfüllte Aufstöhnen konnte er nicht verhindern, ganz gleich wie fest er die Zähne zusammenbiss.

Kieran sagte nichts, arbeitete schweigend und Nico sagte nichts, weil er nicht wirklich etwas sagen konnte mit dem Tuch, dass ihm auch seinen Mund verdeckte. Die Blutung stillte sich nur allmählich und Kieran säuberte sein Gesicht, während Nico langsam nach hinten auf die Liege sank, weil es langsam aber sicher doch zu viel wurde. Er war müde und erschöpft und die Blutung forderte langsam wirklich ihren Tribut. Er hatte den ganzen Tag kaum etwas gegessen und das, was er gegessen hatte, wollte er am liebsten wieder loswerden, so elend fühlte er sich wegen seinem Bruder und dieser ganzen beschissenen Situation. Dennoch sagte er nichts, auch nicht als Kieran die Nase mit einer Salbe bestrich, die dafür sorgen würde, dass sie nicht anschwoll. Dann schien Kieran reden zu wollen, doch als er ihn ansah konnte Nico sehen, wie Kieran mit den Tränen kämpfte. Der Italiener wollte nicht wissen, wie er aussah. Abgekämpft, müde, die Wangen eingefallen und das Gesicht von Sorgen gezeichnet. Auch wenn er sich nicht sicher war, ob es die richtige Geste war, hob er eine Hand und berührte Kierans Oberschenkel, weil der sich neben ihm auf die Liege gesetzt hatte. "Du stellst dir das so leicht vor.. alle Welt stellt es sich so leicht vor."

Nicos Stimme war leise geworden, er hatte nicht mehr die Kraft laut zu sein. "Einen Brief hätte Cromwell in die Hände bekommen. Einen Boten hätte er gekauft. Wäre ich selbst gegangen, hätte er mit dem Finger auf mich gezeigt. Er beobachtet uns, dieses Anwesen, jeden Schritt im Palast. Schlimmer noch, sogar Rodrego hat er manipulieren können, der Informationen über Alessandro und mich an ihn verkauft hat.. ich konnte einfach nicht. Jede Verbindung zu brechen war die einzige Chance ihn zumindest darin in dem Glauben zu lassen, dass ich überglücklich darüber bin, meine eigene Frau wieder in London zu wissen. Er hatte bereits versucht, Gerüchte in deine Richtung zu streuen, weil er mir wohl schon nachgelaufen ist, als ich dich in der Schenke getroffen habe. Giulias Schwangerschaft hat diesen Gerüchten zum Glück ein Ende gesetzt, aber ich wollte ihm nicht noch mehr Zunder geben. Ich war vielleicht auch dumm zu glauben, dass du es selbst siehst, wenn neben dir nur einer darauf wartet, dass ich Fehler mache, um dir ins Ohr zu setzen, das ich nicht der Mann bist, den du verdienst." Er konnte ja nicht wissen, dass John nicht wirklich schlecht über ihn redete, doch dessen Auftritt eben ließ tief blicken - auch wenn er Johns Reaktion nach wie vor verstehen konnte. "Du warst in Portsmouth sicher und ich hatte wirklich alle Hände voll zu tun, Cromwell eine heile Welt zu präsentieren. Ich habe dir gesagt, dass es nicht leicht sein wird... Es tut mir leid, aber anders konnte ich es nicht machen. Ich wollte es klären, als du wieder da warst, aber nicht vor John, denn ihn geht es nichts an und er muss nicht auch in diese Schusslinie geraten. Dann dieses unsägliche Turnier und alles was daran hängt und jetzt die Sache mit meinem Bruder... Du musst dringend nach ihm sehen, er leidet. Nicht wegen dieser Vergiftung, aber.. ich erkläre es dir später, bitte. Ich weiß, du willst über das hier reden und ich weiß, dass wir das müssen, aber ich habe Angst, dass er etwas wirklich Unüberlegtes tut, also bitte lass uns nach ihm sehen." Sein Bruder stand gerade an erster Stelle - und es war nicht so, dass Nico Kieran hintenanstellte, sondern in diesem Moment auch sich selbst.
 

Kieran

Kieran merkte deutlich, dass es Nico nicht wirklich gut ging, dass er erschöpft war, deprimiert und wohl auch zornig. Wieder fühlte er sich schuldig, dass er ihn auch noch mit seinen Vorwürfen belastete. Kieran atmete langsam ein und wieder aus. Er musste von dem Emo-Tripp runterkommen. Seine Tränen brachten hier nichts, auch wenn der Schmerz der letzten Monate gerade so heftig auf ihn hereinbrach. Aber Nico schien ohnehin nicht wirklich darauf eingehen zu wollen, was er hier vorbrachte, schien gefasster und irgendwie ziemlich emotionslos. Lag es daran, dass er so müde war? Wahrscheinlich. Und doch irritierte es Kieran.

Die Hand auf seinem Bein fühlte sich irgendwie seltsam an und war definitiv nicht das, was er sich erhofft hatte. Sie wirkte eher wie eine tröstende Geste eines guten Freundes. Nicht das, was den hochtrabenden Worten entsprach, die er vorhin vor allen hatte hören dürfen. Er erinnerte sich unwillkürlich an Tancreds Worte, dass Nicos Verhalten nur Show war. Wie damals im Connor's als er ihn vor allen geküsst hatte. Kieran sah die Hand an, während er zuhörte und sich sammelte. Was er hörte war nur nochmal eine Erklärung dafür, warum Nico ihn nicht kontaktiert hatte. Er glaubte ihm, dass es nicht einfach war, aber er war dennoch enttäuscht. Das alles fühlte sich gerade ein wenig wie im Zuber an, als er sich nach einer Umarmung gesehnt hatte, aber vertrieben worden war. Würde er weiterhin auf Nico verzichten müssen? War das jetzt schon alles? Leere Worte vor großem Publikum? Kein Wort, dass er ansatzweise so gefühlt hatte wie er?

Kieran strengte sich an, zuzuhören und blickte erschrocken auf, als er hörte, dass sich Rodrego hatte kaufen lassen. War das der Grund dafür, dass es Alessio noch schlechter ging, was Nico vorhin angedeutet hatte? Verwirrt war er auch von dem was folgte. "John redet nichts dergleichen", protestierte er. "Er hört mir zu und tröstet, er urteilt nicht." Irgendwie ärgerten ihn diese Worte. Irgendwie bekam er gerade das Gefühl, als sei alles seine Schuld gewesen. Als habe nur er Fehler gemacht. Die hatte er, er hatte sie zugegeben und sich dafür entschuldigt. Und Nico? War es so selbstverständlich, dass die Welt gleich wieder in Ordnung war, weil er herumposaunte, ihn zu lieben, und ihm erklärte, warum er ihn drei Monate verleugnet hatte?

Klar, er wollte es erklären... Wenn, wenn, wenn... Die Situation war wirklich schwierig für Nico. Er verstand das, wirklich. Und doch hatte das Ganze einen herben Beigeschmack. Kieran stand auf und räumte die Sachen auf, als Nico ihn bat, nach seinem Bruder zu sehen. Dann nahm er seinen Koffer und nickte Nico zu, um ihm verstehen zu geben, dass sie loskonnten. Die Arbeit würde ihn von dem Gefühlschaos in seinem Inneren ablenken. Er wusste gerade gar nichts mehr, was ihn und Nico betraf. Er kam sich so blöd vor. Da war es nur gut, jetzt weg zu kommen. Irgendwann würden sie dann reden. Wenn, wenn, wenn...
 

Als Kieran Alessios Schlafzimmer betrat, merkte er, dass irgendwas gar nicht passte. Alessandro lag wie apathisch da und starrte an die Decke. Kieran trat ans Bett und sprach ihn an, doch nichteinmal ein Augenlid zuckte. Kieran begann ihn zu untersuchen. Als er sah, wie verschwitzt er war, begann er auch, ihn zu waschen und sich um ihn zu kümmern. Kieran war klug genug, zu wissen, was geschehen sein mochte. Er konnte eins und eins zusammenzählen, hatte er doch gesehen und gehört, wie nah sich der Kardinal und Rodrego noch an Weihnachten gestanden hatten. Der Verrat aus heiterem Himmel musste für Alessandro ein echter Schock gewesen sein - das konnte er sich denken. Daher fragte er Nico nicht und sprach auch sonst nicht mit ihm. Er konnte so gut nachempfinden, wie Alessandro sich wohl gerade fühlte. Zusammen mit dem Rest konnte er verstehen, dass jener keine Lust mehr auf irgendetwas hatte. Ob er sich dazulegen durfte?

Schließlich wendete er sich doch noch an Nico. "Ich lass ihn traumlos schlafen, ok?" Als er das Einverständnis hatte, gab er dem Kardinal entsprechenden Trunk.

"Er hat sich von heute früh gut erholt", sagte er schließlich. "Vom Rest weiß ich nicht, ob und wann er sich erholt. Aber ich kann sehr gut nachvollziehen, wie er sich fühlt."
 

Dominico

"Dafür dass er nicht urteilt, hat er aber einen ziemlich heftigen rechten Haken", erwiderte Nico, noch immer nicht wirklich ruhig. Er wusste, dass sich das ändern musste. Dass er ruhiger werden musste, seine Mitte wiederfinden. Ein so reizbarer Mann, wie er zur Zeit war, würde niemals gegen Cromwell bestehen. Er musste Abstand gewinnen, aber das war gerade alles andere als leicht, vor allem wenn er noch nicht einmal sagen konnte, ob er bei dem folgenden Kampf auf seinen Bruder würde zählen können oder nicht. Es raubte ihm den letzten Nerv, wenn er an den Blick dachte, den Alessio ihm zugeworfen hatte, bevor aller Wille aus seinem Blick gewichen war und er zur Decke gestarrt hatte. War es ein stummer Hilfeschrei gewesen? Nico wusste, dass er seinen Bruder mit seinem Leben verteidigen würde, dass er alles, was in seiner Macht stand, geben würde, um Alessio nach Hause zu bringen oder ihm zu helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Aber aus dem Loch, in das er gerade gesunken war, musste Alessio leider ganz alleine herauskommen. Dennoch zerbrach diese Hilflosigkeit Nico und raubte ihm einen Großteil jeder anderen Emotion. Er sah, wie Kieran sich erneut von ihm distanzierte, vermutete, dass er es tat, weil Nico ihm nicht näher kam. Nico wollte zwar, aber er brachte es nicht über sich. Nicht jetzt gerade.

Der Weg durch das Haus war still, die Leute waren noch immer draußen und nur wenige Angestellte "arbeiteten" in diesem Sinne. Nico öffnete Kieran die Tür und trat hinter ihm ein, Amadeo hatte ihm ein Zeichen draußen gegeben, dass Rod noch immer in Alessios Arbeitszimmer auf einem der Canapés lag und sich dort nicht wegbewegt hatte. In Alessios Schlafzimmer war es dunkel und stickig. Um zumindest etwas gegen die schlechte Luft zu tun, öffnete Nico die Fenster und half Kieran dann stumm dabei, Alessio zu waschen. Der hing zwar nicht wie ein nasser Sack zwischen ihnen, doch er sah keinen von ihnen beiden an. Sein Gesicht war völlig verschlossen, so als sei Alessio gar nicht hier. Er war vermutlich auch nicht hier, sondern irgendwo anders. Zumindest sah Nico nicht den üblichen Funken in seinen Augen und als sie ihn wieder in das Bett legten, lag er da wie zu dem Moment, zu dem sie ihn aus dem Bett geholt hatten. Jetzt war Nico wirklich zum Heulen zu Mute und auch wenn er sich dafür schämte, sank er neben seines Bruders Bett auf die Knie, griff seine Hand und drückte sie an seine Lippen und vergoss stumme Tränen. Stumm und ohne viel Aufhebens, vergrub er das Gesicht in seinen beiden Händen und Alessios einer Hand und blieb so eine Weile sitzen, während er zum ersten Mal seit langer Zeit ein echtes Gebet aus voller Inbrunst an einen Gott sprach, der mit der Kirche sehr wenig zu tun hatte. Er betete dafür, dass wer auch immer dort sein mochte, seinen Bruder den Kampfgeist zurückgab und ihm endlich eine Chance gab, das Glück zu finden, das Alessio sich so verdient hatte.

Als er sich wieder aufrichtete, wirkte er gelöster. Vielleicht weil er etwas des Drucks hatte ablassen können. Er nickte auf Kierans Frage hin und Alessio ließ sich den Trank einflößen. Danach drauerte es nicht wirklich lange, bis ihm die Augen zufielen und der Kardinal sich gar nicht mehr rührte. Lediglich seine noch immer gesunde Hautfarbe verriet, dass er nicht tot war, sondern nur schlief. Sie machten sich daran, den Raum zu verlassen, während Kieran ihm die Diagnose mitteilte. Nico stieß die Türe auf und trat hinaus, während er zuhörte. Immerhin hatte das Gift keinen weiteren Schaden angerichtet, was schon mal eine sehr gute Nachricht war. Das andere jedoch.. nun, er konnte sich selbst denken, dass Alessios Herz, das Rod zerbrochen hatte, nicht so schnell heilen würde. Er wusste auch, dass es dafür kein Mittel gab. Aber Kieran konnte sehr gut nachvollziehen, wie er sich fühlte? Das Tier in Nico, vor dem der Sforza Kieran schon in der ersten Nacht gewarnt hatte, sprang auf diesen Leckerbissen wie eine wildgewordene Bestie. Noch immer war er viel zu reizbar, das spürte er selbst. "Kannst du das, ja?", fragte er und merkte schon jetzt wie in seiner Stimme erneut Zynismus mitschwang. "Habe ich also auch Informationen über dich an andere verkauft und dir im Gegenzug dafür meine Gefühle und meine ehrlichen Absichten nur vorgespielt, um dich in mein Bett zu locken? Ja, das sieht mir mal wieder ähnlich. Ich schrecklich egoistischer Mensch, nicht wahr? Alles dreht sich nur um mich." Der Frust, den er empfand, war immens und er konnte es nichtmal abschalten. Nicht einfach darüber hinwegsehen... aber es war gerade auch wirklich alles zu viel.

Er wusste, er ging zu weit und hob abwehrend die Hände, fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht und durch sein Haar. "Entschuldige... So war es nicht gemeint... Aber wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass du an meinen Absichten und meinen Worten zweifelst?" Er sah Kieran an, das Gesicht ein Spiegel der Emotionen, die in ihm um Oberhand rangen. Er sah ihn eine Weile nur an, ehe er tief durchatmete und sich beinahe so umsah, als würde er erst jetzt begreifen, wo sie standen. "Also.. da mein Bruder jetzt schläft, werde ich etwas zu essen holen, auch wenn ich keinen Hunger habe, und etwas Wein, auch wenn mir nicht danach ist, und mich dann zurückziehen. Begleitest du mich?" Es war seine Art, die Türe zu einem Gespräch unter vier Augen zu öffnen. Hier auf dem Gang wollte er beim besten Willen nicht streiten.
 

Kieran

"John hat mich nur verteidigt. Er wollte nicht, dass du auf mich losgehst.", erwiderte Kieran schlicht. "Er hasst es, mich leiden zu sehen."

Kieran merkte, wie unruhig Nico teilweise war. Er kam ihm ein wenig so vor, wie ein Raubtier im Zwinger, ruhelos und aggressiv. Der kleinste Reiz und es rastete aus... Nur wie konnte man ihm dabei helfen? Wenn Dominico so verblendet ins Turnier gehen würde, wäre das sein sicherer Tod.

Während sie Alessandro pflegten, genoss Kieran die Ruhe. Dass Dominico so distanziert war, so emotionslos schmerzte ihn. War es wirklich so schwer, ihm wenigstens ein wenig zu zeigen, dass er ihn vermisst hatte? Andererseits hatte jener seinen Bruder und wohl auch seinen besten Freund verloren. Gleichzeitig intrigierte man gegen ihn und trachtete nicht nur ihm, sondern seiner ganzen erweiterten Familie nach dem Leben. War es da verwunderlich? Dachte er wieder zu sehr an sich? Doch irgendwann musste er auch mal an sich denken... Wenn er nur gab und alles tat, damit es Nico besser ging, wo blieb dann er? Er hatte kaum noch Kraft, er war doch selbst auch so schrecklich erschöpft.

Dann kam mit einem Mal eine Szene, die Kieran traurig machte und ihn gleichzeitig sehr berührte. Nico weinte und betete.

Traurig war er, weil Dominico offenbar gerade nur bei seinem Bruder zu solchen Emotionen fähig war, berührt, weil er sah, wie fertig ihn sein apathischer Bruder machte. Kieran wusste immer noch nicht, wie er sich verhalten sollte. Vielleicht war nicht er derjenige, der sich am meisten nach einer Umarmung sehnte? Der sture Teil in ihm schrie, dass Nico dran war, ihm zu zeigen, dass er ihn wirklich liebte, der liebende Teil in ihm wollte ihn einfach nur in den Arm nehmen.

Er schwieg und ging seiner Arbeit nach. Als sie das Zimmer verließen und er seine Meinung zur Situation sagte, merkte er, dass er mit seinem Kommentar einen wunden Punkt getroffen hatte. Was er hörte, klärte das Bild von dem, was zwischen Rod und Alessandro geschehen sein musste und was er sich eben ohnehin schon gedacht hatte. Die Anklage an ihn, der Zynismus war heftig. "Lass deinen Frust nicht an mir aus", sagte er knapp. "Ich kann nun mal nachempfinden, wie es sich anfühlt, jemanden zu verlieren. Wie es sich anfühlt, betrogen zu werden. Wie es sich anfühlt, plötzlich wieder allein zurecht zu kommen. Wie es ist, wenn man alles in Frage stellt. Ich habe dir da deswegen keinen Vorwurf machen wollen. Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich durchaus empathiefähig bin." Er ließ sich nicht das schlecht machen, was er empfunden hatte. Nico konnte nicht leugnen, dass er auch dafür verantwortlich war. Kieran atmete tief ein, als Nico sich entschuldigte. Er nickte leicht. "Ich weiß manchmal nicht, was Theater ist und was nicht. Dafür, dass du groß getönt hast, mich zu lieben, spüre ich nichts. Aber das schiebe ich jetzt erstmal darauf, dass du aussiehst, als seist du 20 Jahre älter als du bist." Kieran erwiderte den Blick und sah die Bestätigung für seine Worte und Gedanken. Er musste fast lächeln, als Dominico ihm seinen Vorschlag unterbreitete. Noch bevor er antwortete, zog er ihn in eine Umarmung, schmiegte sich an ihn und schloss die Augen. "Da ich nicht bekomme, wonach es mir verlangt, muss ich es mir eben nehmen", murmelte er leise, sog den vermissten Geruch ein, spürte, dass der andere trainierter war denn je. Reden mussten sie, definitiv. Aber jetzt war vielleicht einfach nicht die Zeit dafür. "Ich begleite dich gerne."
 

Dominico

Nico war einfach nur mit den Nerven am Ende. Er kannte sich selbst nicht, so reizbar wie er gerade war... und wenn er so war, wie er gerade war, dann brauchte er Menschen um sich, die funktionierten. Giulia funktionierte wunderbar. Sie wusste, wann sie ihm ihre zarte Hand auf die Schulter legen musste und wann nicht. Rod hatte auch immer ein Gespür dafür gehabt, aber der hatte jetzt andere Sorgen und sein Bruder? Der war nicht mal mehr ansprechbar. Das alles war schockierend und Nico fühlte sich sehr einsam, doch an Kieran zu denken, war kaum in den straffen Zeitplan gefallen, den er sich selbst gegeben hatte, um mit der Situation fertig zu werden. Vielleicht, oder ziemlich sicher deswegen reagierte er so unglaublich gereizt auf Kieran, selbst jetzt noch nach seiner Entschuldigung. Er hörte aus jedem der Worte nur Anschuldigungen zu seiner Unfähigkeit heraus, Gefühle zu zeigen, während er sie ihm draußen noch entgegen gebrüllt hatte. Aber das war eine andere Situation gewesen, eine in der Nico etwas hatte sagen müssen. Er wusste, dass er es hier auch sagen musste, dass er einen Schritt auf Kieran zugehen musste, aber er war gefangen in sich selbst und fand den Weg hinaus nicht wirklich. Sein klarer Verstand sagte ihm, dass Kieran das Recht hatte als das zu sagen, was er sagte und dass es auch gerechtfertigt war, doch sein Herz war so belastet mit anderen Dingen, dass es ihn nicht wirklich erreichen konnte. Ihm lag ein sehr bissiges "Wenn du nichts spürst, ist das ja wohl nicht mein Problem!" auf der Zunge, aber er schaffte es, das hinunterzuschlucken und vorerst hinten anzustellen.

Dann umarmte ihn Kieran und Nico war im ersten Moment sogar das zu viel. Er stand da wie zur Salzsäule erstarrt. Dann stieg ihm langsam Kierans Duft in die Nase und mit ihm auch die Erinnerung an eine Zeit, in der es nicht so beschissen gewesen war wie jetzt gerade. Er ignorierte Kierans Worte ein weiteres Mal, die ihn verletzten und legte stattdessen vorsichtig die Arme um den jungen Mann, dem er sein Kinn schon beinahe aufs Haupt betten konnte. In diesem Moment merkte auch er, wie sehr er Kieran vermisst hatte. Beinahe so, als habe jemand eine Schleuse in seinem Kopf geöffnet, strömten die Erinnerungen an die viel zu kurze gemeinsame Zeit auf ihn ein und er vergrub das Gesicht in Kierans Haar ehe er ihn fester an sich zog. So, ohne ihn ansehen zu müssen und die Traurigkeit und den Vorwurf in Kierans Augen zu sehen, war es schon viel leichter ihm leise ein "Ich habe dich vermisst.." ins Ohr zu flüstern. Auch ganz ohne großes Publikum.

London 3 - Gemeinsam ist man weniger allein

Dominico

Er konnte nicht sagen, wie lange sie dort standen, doch als sie sich lösten, fühlte Nico sich wirklich besser. Als sie sich in Bewegung setzten, schaffte er es sogar, Kieran einen kleinen Klaps auf den Po zu geben und es fühlte sich gut an, dessen Körper wieder unter den Fingern zu haben, ohne gleich in sexuellem Sinne zu denken. Er wollte nicht mehr hinaus auf das Fest, also räuberte er Essen und Wein in der Küche, genug für sie beide. Denn Kieran hatte seiner Meinung nach viel zu wenig auf den Rippen und dem musste entgegen gewirkt werden. Vielleicht bekam er ihn ja auch noch zum essen. Beladen mit einer Platte voller Leckereien und Wein machte sich Nico dann auf den Weg zu seinen Gemächern. Amadeo hockte vor Alessios Zimmer auf dem Boden, an die Wand gelehnt und döste. Er versprach alle Stunde zu Alessio ins Zimmer zu gehen und nach ihm zu sehen. Rod schien ebenfalls zu schlafen - oder zumindest nicht mehr aus dem Zimmer zu kommen - also hatten sie ihre Ruhe. So öffnete Nico Kieran die Tür zu seinem Schlafzimmer, das bereits leicht beleuchtet worden war. Er stellte das Essen auf den Nachttisch neben das Bett und schälte sich schon kurz darauf aus seiner Kleidung, bis er nur noch das leinene Beinkleid trug und befreiter durchatmen konnte. "Fühl dich wie zu Hause...", murmelte er leise in Richtung Kieran, ehe er Wein in zwei Becher füllte und ersteinmal wieder einen Schluck trank. Er hatte unsäglichen Durst und langsam kam auch der Hunger zurück.
 

Kieran

Dass Nico mit allem nur nicht mit einer Umarmung gerechnet hatte, bemerkte er. Er bemerkte auch, dass es Nico schwer fiel, damit umzugehen. Für ihn selbst war es das einzig Mögliche, die verfahrene Situation zwischen ihnen irgendwie zu retten. Nach und nach schien sich Dominico auch endlich zu entspannen. Kieran strich ihm sanft über den Rücken, spielte kurz mit seinem Haar. Alles war in etwa so, wie er es 'verlassen' hatte. Als Dominico ihn nun selbst umarmte, lächelte Kieran gegen die Schulter des anderen. Diese Umarmung wurde fester und fester. Mit jeder Sekunde, die verstrich, ob der sie einfach nur so dastanden, bestätigte sich Kieran, dass Nico einfach zu fertig gemacht worden war, als dass er ihn gegenüber eben recht emotional sein konnte. Die Worte, die er dann vernahm, ließen ihn erleichtert ausatmen. Mehr verlangte er ja gar nicht. Mehr wollte er doch gar nicht.

Als sie sich lösten, ging es auch Kieran endlich besser. Was so ein wenig Körperkontakt alles bewirken konnte... Aber es war ok so. Kieran nahm sich vor, jetzt einfach noch ein wenig mehr zu geben, um letztlich etwas zu bekommen. Nico brauchte gerade jetzt vielleicht einfach etwas Stütze. Deswegen war nicht vergessen, was ihn so verletzt hatte. Der kleine Klaps riss ihn aus den Gedanken. "He!", protestierte er, musste aber grinsen. "Und schon ist er wieder frech, der junge Mann."

Sie gingen durchs Haus, holten zu essen und zu trinken. Nico klärte für sich, ob er sich zurückziehen konnte und schließlich betraten sie das Schlafzimmer, an dessen Erinnerung sich Kieran so oft geklammert hatte. Kieran beobachtete, wie Nico das Essen am Bett abstellte, wie sich Nico seiner Kleidung entledigte und konnte nicht umhin, seinen Blick über den gut trainierten Körper gleiten zu lassen. Wie sehr er diesen Körper vermisste! Allerdings würde er ihn heute nicht verlangen ...

Kieran zog seine Schuhe und seine Weste aus und trat zum Bett, nahm den zweiten Becher, den Nico eingeschenkt hatte. Er solle sich wie zu Hause fühlen... Es klang irgendwie seltsam. Aber die Umarmung hatte ihm gezeigt, dass er wohl erstmal alle Gedanken an sich beiseite schieben musste. Er würde Nico einfach beistehen und ihm ein wenig Kraft spenden. Erst wenn sich dessen Leben wieder normalisiert hatte, würde er sehen, ob er etwas dafür zurückbekam. Auch wenn er selbst so müde war.

Kieran setzte sich aufs Bett und wartete bis Nico es ihm gleichgetan hatte. "So ungefährlich war es in Portsmouth übrigens gar nicht", sagte er dann und erzählte Nico von den Manövern und auch von ihrer Begegnung mit den Spaniern, während sie aßen. Kieran dachte, es würde ihm vielleicht einfach gut tun, wenn er über letztlich Belangloses sprach und erzählte, wie es ihm ergangen war. "Du siehst also, dass ich zwar vor Cromwell sicher war, aber bei der Schlacht hatte ich gedanklich schon mit meinem Leben abgeschlossen." Er lächelte den anderen an. Mittlerweile hatten sie gegessen. Kieran sah Nico einen Moment an, dann schob er das Tablett weg und rutschte näher zu ihm. Sacht strich er Nico übers Haar, die Wange. "Ich hab mir hin und wieder gewünscht, einfach nur mit dir zu fahren. Irgendwohin. Wo niemand ist, der einen zu irgendwas verpflichtet, der einen anfeindet oder für den man verantwortlich ist. Eine italienische Insel vielleicht. Wo würdest du hinwollen, wenn du die Möglichkeit hättest, dich einfach einmal von allen Verpflichtungen zu lösen?"
 

Dominico

Sich in sein Zimmer zurück zu ziehen, war definitiv die richtige Entscheidung gewesen. Hier war er sicher und das Zimmer gab ihm auch ein gutes Stück weit das Gefühl von Sicherheit zurück, das er draußen nicht mehr so sehr empfand. Im bequemen Beinkleid auf seinem Bett mit Wein und Essen fühlte sich Nico langsam aber sicher besser und schob Kieran den Teller hin, so dass der auch ein wenig naschen konnte. Es erinnerte ihn an die Szene in Cambridge, in der Kieran nachts noch essen verlangt hatte... Er hatte damals Gaz gehabt, diese leckere klebrige Zuckermasse. Hier gab es das leider nicht, dafür süßes Obst. Er hatte Kierans Blick bemerkt, fühlte sich aber schon lange nicht mehr in der Form, in der er gewesen war, als sie sich kennen gerlernt hatten, auch wenn seine Form heute beinahe besser war als damals. Er hatte für dieses Turnier viel trainiert, aber ihm fehlte inzwischen der Kampfgeist. Hoffentlich kam der wieder, sonst brauchte Nico wirklich nicht antreten. Nur von Hass geleitet, brachte das Ganze ja nichts.

Während sie aßen ging Kieran nicht weiter auf das Thema ein, das eben noch zwischen ihnen gestanden hatte und Nico war wirklich dankbar darum. Er fühlte sich elendig genug, als das er das jetzt noch ertragen hätte. Er brauchte Kieran an seinr Seite, der jetzt nicht alles was zwischen ihnen war, in Frage stellte, sondern da war bis diese Sache erleidgt war. Dann konnten sie diesen Konflikt aufarbeiten, wenn sie es denn noch wollten. Er hörte ihm zu, wie er von der Mannschaft sprach und den Abenteuern auf See und es gefiel ihm. Es war nicht das, was er für immer tun wollte, doch ein Leben auf See war spannend. Ihm gefiel der Gedanke, jeden Tag zu nehmen, wie er kam, und einfach zu LEBEN, weil das Leben jeden Moment vorbei sein konnte und die See ihr eigenes Leben führte. Vielleicht konnte er das irgendwann einmal verwirklichen. Irgendwann in sehr ferner Zukunft.

Als Kieran das Tablett wegschob, griff Nico es und stellte es zur Seite. Als er sich wieder ausstreckte rutschte Kieran an ihn heran und legte sich in seinen Arm. Es war angenehm und lockte andere Gedanken und Gefühle in Nico hervor. Sex hatte er, bis auf das eine betrunkene Mal mit seiner Frau keinen gehabt. Sie waren lange getrennt gewesen, was seinem Körper die Erinnerung nur versüßte. Nico schämte sich, daran zu denken, weil es nicht richtig war. Kieran würde sich ohnehin nicht darauf einlassen, er fühlte es. Die Angst des anderen, genau deswegen hier zu sein, wollte er nicht damit schüren, ihn erneut zu verführen oder es zu versuchen. Also versuchte er sich zu entspannen, schob die Gedanken bei Seite und konzentrierte sich auf ihr Gespräch. Den Kopf auf ein aufgestelltes Kissen gestützt musste er schmunzeln, als Kieran über seine Wange strich. "Dein Haar ist lang geworden...", murmelte er, ohne direkt auf Kierans Frage einzugehen. Er strich durch die schwarze Mähne und griff probeweise hinein. Oh ja, das fühlte sich gut an. "Es gefällt mir. Es steht dir gut... du solltest es so lassen." Auch wenn es natürlich nicht nur nach ihm ging, was Kierans Haarlänge betraf. Dann schien er kurz nachzudenken. Eigentlich hätte er sagen wollen, dass er nicht gehen konnte. Das ER nicht eifnach gehen konnte. Dass er sich den Verpflichtungen nicht entziehen konnte, seiner Frau nicht und seinen Kindern nicht. Aber das würde Öl ins Feuer gießen und so ließ er sich auf dieses theoretische Denken ein. "Ich weiß es nicht genau. Ich glaube, ich würde nach Giannutri segeln. Es ist eine sehr kleine Insel vor der Küste, in Form eines Halbmondes. Sie ist zu klein, um bewohnt zu werden, aber ihre milden Winter und das gute Klima sorgen dafür, dass ausreichend Nahrung angebaut werden kann. Und es gibt Süßwasser... wohl der wichtigste Aspekt. Die Insel ist unbewohnt und wird vom Festland ignoriert. Schiffe legen kaum an, viele Felsen im Wasser und damit für große Schiffe kaum anzufahren... Ich glaube, wenn ich wollen würde, dass mich niemand findet, dann würde ich dorthin gehen." Lediglich das Bauen eines Hauses war wohl etwas schwerer dort.. aber nichts, was sich nicht auch bewerkstelligen ließe.

Er hatte einen Arm um Kieran geschlungen und zog ihn noch etwas näher, genoss das Gefühl des Körpers an seinem, auch wenn der noch immer zu viel Kleidung trug. Ob ein Kuss zu viel war? Nico hob die zweite Hand und hob sanft Kierans Kinn an, so dass der ihn ansehen musste. Und als er ihn ansah küsste Nico ihn sanft, aber dennoch bestimmt. Es sollte ja kein Kuss mit Fragezeichen sein.
 

Kieran

Kieran merkte, dass er die richtige Entscheidung getroffen und ihre Differenzen erst einmal beiseite geschoben hatte. Nico hörte ihm interessiert zu und offensichtlich hatte er es geschafft, ihn für die Zeit einfach vergessen zu lassen, was heute, was in letzter Zeit alles geschehen war.

Als er zu ihm rutschte und sich an ihn schmuste fühlte sich Kieran doch irgendwie wieder wie zu Hause. Nico war so etwas wie sein zu Hause gewesen und so wie es sich anfühlte, als dieser ihn in seine Arme schloss, war es wie ein nach Hause kommen. Kieran genoss es und fast schien alles vergessen, was ihn vorhin noch so gekränkt hatte, was ihn die letzten Monate geschmerzt hatte. Sicher, er hatte Lust, diesen Körper wieder sein nennen zu dürfen, mit diesem Körper wieder zu verschmelzen, aber das Thema hatte er für heute ausgeklammert. Er wollte keinen Versöhnungssex, weil er für seinen Teil noch nicht versöhnt war. Außerdem wollte er nicht das Gefühl haben, nur deswegen hier sein zu dürfen.

Die Worte des anderen zu seinem Haar, die Hand des anderen darin ließen ihn schmunzeln. "Findest du?", fragte er erstaunt. "Mich nerven sie ein wenig. Ich hatte noch keine Zeit, sie schneiden zu lassen. Aber vielleicht lass ich es ein wenig so..."

Dann hörte er den Worten zu und wiederholte den Namen der Insel "Giannutri". Er lächelte. "Klingt paradiesisch." Mehr sagte er dazu lieber nicht. Er wollte nicht fragen, ob er dort Gast sein dürfte. Aber er hoffte es irgendwie. Aber da das alles ohnehin nur ein Gedankenspiel war, spielte es eh keine Rolle. Er dachte an das Zukunftsszenario, das ihm Tancred gezeichnet hatte. Dominico würde irgendwann - wenn es so weiter ging sicher bald - zurück nach Italien gehen. Er hatte es seinen Angestellten letztlich vorhin auch versprochen. Und da war für ihn definitiv kein Platz mehr. Das war ihm klar. Kieran schob den Gedanken wieder beiseite. Es war zu frustrierend. Aber das war ein Punkt, den er auch klären musste, bevor sie diese Beziehung richtig wieder aufnahmen.

Als er die Hand an seinem Kinn spürte, hob er den Kopf. Der Kuss kam überraschend und doch irgendwie erhofft. Er war so anders als Tancreds. Nicht so höflich sondern bestimmt. Es war vielleicht nicht recht, dass er in diesem Moment an den Kapitän dachte, aber es fiel ihm eben auf. Da war etwas bei Nicos Kuss, das ihm die Gewissheit gab, dass die Nacht mit Tancred keinerlei Bedeutung hatte: die Schmetterlinge, die er jetzt gerade in seinem Bauch verspürte, als er den Kuss erwiderte und vertiefte. Sein Körper reagierte vollkommen anders auf Nico, als er es bei Tancred getan hatte. Es war intensiver, tiefer, ein Gefühl von... Es war schwierig, das genau zu greifen. Es war ein Gefühl, als sei das hier das Richtige, so als gehörte es so - und nicht anders. Kieran konnte es nicht beschreiben.

Denken wollte er eigentlich gerade auch nicht so richtig. Viel lieber glitt seine Hand in das Haar des anderen und sein Körper schmiegte sich an. Es tat gut, so unendlich gut.

Als er den Kuss lieber löste, bevor er sich nicht mehr bremsen konnte, spürte er, dass ihm nach definitiv mehr verlangte. Er blickte Dominico an, strich sanft über die Wange. Die Nase hatte bereits eine interessante Blaufärbung, war aber zum Glück nicht angeschwollen. Sanft küsste er ihn noch einmal, kurz. Sie sollten lieber nur reden... Und er wollte nochmal nach Alessandro sehen... Er gab Nico erneut einen sanften Kuss. "Wir sollten das verschieben", sagte er und seine Stimme klang so rau. "Auch wenn es mir verdammt schwer fällt, die Finger von dir zu lassen", knurrte er seufzend. "Ich frage mich, wie du das immer schaffst, mich so inkonsequent werden zu lassen und dir alles zu vergeben, egal wie sehr ich gelitten habe..." Er meinte das nicht anklagend oder böse und das hörte man auch. Es war eher eine Feststellung. Und warum dem so war, wusste er nur zu gut: er liebte Nico aus vollstem Herzen. Und es war interessant zu begreifen, dass sich daran nichts geändert hatte, obwohl er versucht hatte, sich etwas anderes einzureden, um nicht noch mehr zu leiden.

Er liebte ihn. Und wenn Nico irgendwann nach Italien zurückkehren würde, wusste Kieran, dass er danach nicht mehr der selbe sein würde. Wahrscheinlich würde er funktionieren, aber leben? Das würde er nicht mehr können.
 

Dominico

Der Kuss belebte Nico auf eine Art und Weise, die es weder Wein noch irgend ein Medikament der Welt hätten tun können. Ihm ging es da wohl ähnlich wie Kieran, es war wie ein nach Hause Kommen. So als habe jemand die Türe aufgestoßen und ihn wieder in sein Heim gelassen, aus dem er vorher vertrieben worden war. Es fühlte sich gut an, frei und schwerelos und ohne jeden Gedanken an das, was eben noch seinen Kopf dominiert hatte. Wie sollte er jetzt noch aufhören, Kieran zu küssen? Er spürte bereits, wie der sich enger an ihn schmiegte, wie seine schlanken Finger in Nicos Haar wanderten und er schluckte unwillkürlich, weil er selbst merkte, dass er viel zu sehr bereit war, jetzt einfach alle Vernunft fahren zu lassen. Aber das konnten sie nicht und Kieran würde ihn nicht lassen und die Zurückweisung zu ertragen war nichts, das Nico jetzt auch noch konnte. Ohne dass Kieran es vielleicht ahnte, wusste Nico, dass er ihn nie wieder allein lassen konnte, wenn er denn noch er selbst bleiben wollte. Er würde ihn nicht mehr wegstoßen, nicht jetzt wo er doch wusste, von wo der Wind wehte, der ihnen das Leben zur Hölle machte. Er würde für diese Liebe mehr kämpfen müssen und weniger erwarten, dass Kieran seine Position verstand. Es war Giulia, die ihn auch darauf aufmerksam gemacht hatte, wie Kieran sich wohl fühlen musste... Und wie seine Frau gefühlt und gelitten hatte, stumm um ihn nicht damit zu quälen - das wusste Nico nur all zu gut.

Als Kieran sich von ihm löste sah Nico ihn an, seine Augen genau so verschleiert wie Kierans für den ersten Moment. Er griff Kierans Hand, um zu verhindern, dass er sich ihm ganz entzog und aufstand. Kierans Stimme löste einen eiskalten Schauer bei ihm aus, und es war ein Gefühl, das er vermisst hatte, wie er feststellte. "Ist keine Absicht..", murmelte er, leicht beschämt. Er wollte nicht, dass Kieran dachte, er täte das, nur um ihn wieder und wieder ins Bett zu kriegen, denn das wollte er wirklich nicht. Es war einfach so, dass Kieran ihn magisch anzog und dass Nico dann nicht von ihm lassen konnte. Und das war nicht nur für Kieran wirklich wirklich schwer.
 

Kieran

Der Blick, den er sehen durfte, als er den Kuss löste, ging ihm durch und durch. Kieran war sich sicher, dass sich niemand so sehr verstellen konnte, ihm einen solchen Blick zuzuwerfen, der nicht aufrichtig war. Aber er wusste auch so, dass Nico ehrlich zu ihm war, es immer gewesen ist. Die Show, auf die Tancred ihn aufmerksam gemacht hatte, war einfach Teil der Lebenswirklichkeit, in der Nico agieren musste. Sanft strich er mit seiner festgehaltenen Hand über Nicos Wange. Dass es keine Absicht war, ließ ihn leicht lachen. Und das Lachen war befreiend. Die Schwere der letzten Monate verschwand mehr und mehr von seinem Herzen. "Du bist wahrscheinlich ein heimlicher Zauberer, der mir meine Vernunft raubt, überlegte er und küsste den anderen erneut. "Und bevor du mich noch mehr verzauberst, gehe ich lieber mal nach deinem Bruder sehen, ob alles in Ordnung ist..."
 

Dominico

Als er ihn schließlich doch entlassen musste, weil es ihm immerhin auch um seinen Bruder ging, vermisste er ihn schon, kaum dass Kieran zur Tür hinaus war. Es dauerte jedoch keine zwei Minuten, da öffnete sich die Türe erneut, und eine Giulia im Schlafgewand kam herein. Sie winkte ab, als Nico schon verwirrt die Augenbrauen hochzog. "Ich werde in meinen Gemächern schlafen, ich stehe dir nicht im Weg, das weißt du doch..." Nico lächelte entschuldigend und griff ihre Hand, um sie zu den Lippen zu führen und sie zu küssen. "Ich habe dich als Ehefrau nicht verdient.. und du hast wirklich einen besseren Mann verdient als ich es bin." Giulia zuckte mit den Schultern, setzte sich neben Nico auf das Bett und besah seine Nase. "Ich habe wenigstens einen Mann, mit einem sehr gutaussehenden Bruder und noch besseren Cousins in Italien. Ich bin nicht unglücklich, das weißt du doch, oder?" Nico strich ihr über die Wange. Er wusste, dass sie ihn anlog, um ihm kein schlechtes Gefühl zu geben. Giulia WAR unglücklich, denn hier in England hatte sie stets vor der Nase, was sie geliebt und verloren hatte: Henry. Sie machte gute Miene zu bösem Spiel und Nico tat so, als würde er es nicht sehen, wenn der König sich seiner Frau in unsittlicher Weise näherte. Wenn er sie wollte und sie es zuließ, dann konnte er ohnehin nichts dagegen tun, doch er war sich ziemlich sicher, dass bei ihrem jetzigen Besuch nichts dergleichen vorgefallen war. Er hätte sie gern glücklicher gemacht, doch es war nicht an ihm, über ihr Glück zu entscheiden. Also nickte er. "Ja, aber manchmal macht es mich traurig, dich nicht so glücklich machen zu können, wie ein anderer es getan hätte." Das konnte er sich nun doch nicht verkneifen. Giulia lächelte und strich über Nicos Finger. "Das kannst du aber auch nicht.. also sollten wir uns deswegen nicht grämen.." Sie beugte sich vor und gab Nico einen Kuss auf die Stirn und der Italiener schloss die Augen. Sie war seine beste Freundin und er liebte sie, aber nicht so wie er Kieran liebte. Es war gut, dass sie beide diese Gefahr namens Cromwell bekämpfen würden und er war froh, sich ihrer Unterstützung sicher zu sein. "Ich wünsche dir eine gute Nacht, Lady Sforza." Sein schiefes Grinsen sorgte bei ihr für ein Kichern und einen Stoß gegen seine Schulter. "Ich werde schlafen wie ein Stein, denn ich habe gegessen für zwei, vergiss das nicht. Aber jetzt, da wir den Feind kennen, möchte ich dich sehr gern auf diesem Turnier reiten sehen. Aber lass uns morgen darüber sprechen." Sie wollte sich gerade erheben, als Kieran wieder hereinkam und mit einem ziemlich undefinierbaren Blick. Nico konnte sich denken, wie das schon wieder aussah, und Giulia löste sich bereits von ihm, während Nico die Hand Richtung Kieran ausstreckte.
 

Kieran

Alessandro lag ruhig schlafend da. Offenbar hatte die Mixtur geholfen, die er ihm gegeben hatte. Er würde John dafür danken, wenn er ihn wiedersah. John... Kieran machte sich ein wenig Sorgen um ihn. Er war für ihn in die Bresche gesprungen und dass er Nico eine verpasst hatte, nahm ihm ehrlich gesagt nicht übel. Letztlich hatte es geholfen, die Beziehung zu Nico wieder auf die richtige Spur zu bringen. Aber John wirkte in letzter Zeit so fertig, irgendwie. Wenn er ihn darauf ansprach, sagte der nur, dass Kieran selbst genug Probleme hätte und sich nicht auch noch mit seinen unwichtigen Wehwehchen herumschlagen müsste. Kieran kehrte nachdenklich zu Nicos Zimmer zurück und öffnete die Tür, trat ein und als er aufblickte, erschrak er fast, weil er nicht mit Giulia gerechnet hatte. "Entschuldigt", sagte er und wollte schon wieder gehen, als er Nicos Hand sah, die ihm sagen wollte, dass er bleiben solle. Er zögerte. "Ich will nicht stören. Soll ich wieder gehen?" Er wusste, dass Giulia und Nico sich wichtig waren. Sicher hatte die hübsche Frau nur nach ihrem Mann sehen wollen, oder? "Alessandro schläft zu Glück traumlos und ruhig. Ich denke, die Nacht wird so bleiben." Er wusste, dass sie nur Freunde waren, und doch kam in ihm wieder der Gedanke auf, dass sie sich die letzten Wochen das Bett geteilt hatten, dass Giulia Nico sogar verführt hatte. Er kannte die Zusammenhänge und verstand sie, aber dennoch wäre es ihm lieber gewesen, er wüsste nichts davon. Genauso wie er Nico nie von Tancred erzählen würde, weil es nicht zwischen ihnen stand und keine Bedeutung hatte, sondern den anderen nur unnötig verletzen würde. Mit seinem schlechten Gewissen musste er selbst klarkommen. Das konnte er nicht auf Nico laden.
 

Dominico

Nico setzte sich etwas auf, als Kieran zögerte näher zu treten, und Giulia wich noch ein wenig weiter von Nico zurück, rutschte auf dem Bett gegen Fußende und erhob sich schließlich. Nico schüttelte derweil entschieden den Kopf. "Erstens störst du nicht und zweitens lasse ich dich nicht wieder einfach so gehen." Stellte er klar und war froh, dass Kieran sich näherte und nicht gleich wieder die Flucht antrat.

Giulia indess hatte sich erhoben und den dünnen Morgenmantel enger um die Schultern gezogen. "Ich werde noch einmal nach ihm sehen, ich kann ohnehin noch nicht schlafen." Sie legte sich eine Hand auf den Bauch, noch würde sie dieses Spiel nicht aufgeben, auch wenn sie durchaus sah, dass es jetzt weniger Sinn machte. "Ich wünsche euch eine gute Nacht und noch einmal Danke für alles, Kieran." Sie sah nicht mehr ein, warum sie ihn zu förmlich behandeln sollte.. Kieran war Familie und damit entfiel diese Umgangsform bei ihr. Sie verabschiedete sich mit einem Kopfnicken und kurz darauf waren die beiden wieder allein.
 

Giulia

Giulia lag ein Lächeln auf den Lippen, als sie Nicos Zimmer verließ. Sie wusste, wie sehr Kieran an Nico hing, hatte aber auch gesehen, wie Nico gelitten hatte, als Kieran nicht da gewesen war.. und es war umso schöner zu sehen, dass die beiden trotz aller Widrigkeiten immer wieder einen gemeinsamen Nenner fanden. Sie wusste, dass sie dieses Glück nicht stören wollte und nicht stören konnte.. zumal sie und Nico niemals diese tiefe Liebe füreinander empfinden würden, die die beiden Männer empfanden. Sie strich über das dunkle Holz der Tür an Alessios Schlafzimmer ehe sie sie öffnete und eintrat. Der Raum war nur sehr schwach erhellt und der Kardinal lag schlafend im Bett. Er bewegte sich nicht, lag da wie ein aufgebahrter Toter und als sie sich auf die Bettkante setzte kam auch keine wirkliche Regung. Sanft strich sie Alessio eine Strähne des dunklen Haares aus dem Gesicht und fühlte seine Körpertemperatur an der Stirn, doch die wirkte normal.

"Ich denke, vor morgen Mittag wird er nicht aufwachen." Unwillkürlich zuckte Giulia zusammen als Amadeo hinter ihr aus dem Schatten eines Wandvorhanges trat. Sie musterte den Mann, der langsam auf das Bett zukam, und nickte kaum merklich.

Amadeo war eine Faszination an sich, wie sie immer fand. Unglaulich höflich und diskret, unglaublich loyal und doch mit einem eigenen Kopf und einem Sinn für Recht und Gerechtigkeit. Aber eben auch mit dem gewissen Maß an Skrupellosigkeit, das erforderlich war, wenn man für eine Familie wie die ihre arbeitete. Allerdings war Giulia sich nie wirklich sicher gewesen, ob Amadeo für sie arbeitete. Da er so alt war wie Nico und Alessandro, oder aber zumindest nicht wesentlich älter, mussten sie sich schon als Kinder gekannt haben - denn als Giulia Nico geheiratet hatte, war Amadeo schon lange ein Teil dieser Familie gewesen. Immer ruhig im Hintergrund und nicht von adeliger Herkunft verstand der Assassine es blendend, sich neugierigen Augen zu entziehen. Er beherrschte perfekte Umgangsformen und wusste in jeder Situation erstens die Ruhe zu bewahren und zweitens die richtigen Schritte einzuleiten. Seine Hand legte sich auf Giulias Schulter und hob ihr schweres Haar nach hinten, die Berührung ließ sie leicht zittern. Sie wusste, dass die Finger, die gerade die Kontur ihres Halses nachfuhren Menschenleben auf dem Gewissen hatten, aber sie wich nicht zurück. Sie war vor diesem Mann noch nie zurückgewichen, auch nicht als er ihr ganz zu Beginn deutlichst auf den Zahn gefühlt hatte, bis er überzeugt davon war, dass von ihrer Seite kein Unheil für Nico oder Alessandro zu erwarten war.

Ihre Hand, die eben noch Alessandros Hand gehalten hatte, fuhr zu eben dieser Schulter an der Amadeos Finger ruhten und Amadeo legte seine Hand darauf, während sie beide für eine Weile schweigend den Mann auf dem Bett musterten. "Ich bin sicher er wird wieder der Alte. Es wird nur... ein wenig länger dauern."

"Hmn. Ich weiß nicht.. ich glaube es wird ihn verändern. Ich glaube unsere Tage in England sind gezählt..." Sie hörte, wie er hinter ihr leise lachte. "Das waren sie vom ersten Tag an. London ist kein Ort für Italiener. Aber immerhin hat uns London dich gebracht." Giulia drehte sich um und in ihren Augen funkelte es amüsiert, während sogar Amadeo soetwas wie ein Lächeln erahnen ließ. "Euch hat es mich gebracht? Oh wenn ich nur die Zeit zurückdrehen könnte.. dann hätte ich sicher nicht versucht jeden mit dem Nachnamen Sforza in mein Bett zu bekommen."

Jetzt lachte Amadeo wirklich und das auch laut, aber Alessandro rührte sich weiterhin nicht und damit war es wohl nicht schlimm, während Giulia die Hand wegnahm und Amadeo boxte. Die andere Hand lag noch immer auf ihrem Bauch, eine Geste, die sie sich angewöhnt hatte, auch ohne schwanger zu sein. Doch die brachte Amadeo dazu, deutlicher hinzusehen und wieder ernster zu werden. "Ist denn wirklich etwas dran an dieser Sache?" fragte er, seine Stimme ruhig und einfach nur fragend ohne die reinste Anklage. Giulias Handbewegung, gepaart mit ihrem Schulterzucken sagte eigentlich bereits alles. "Ich bin nicht schwanger. Die eine Nacht, die ich mit ihm verbracht habe, hätte dazu auch wirklich nicht gereicht. Er ist eingeschlafen bevor er wirklich fertig war. Ich habs mit dem Alkohol wohl zu gut gemeint. Ich sah nur keinen anderen Weg, diesem verdammten Turnier zu begegnen." Amadeo nickte zum Zeichen, dass er verstand. "Wirst du es ihm sagen?"

Wieder ein Schulterzucken. "Ich weiß es nicht. Ich wünsche mir eigentlich noch mehr Kinder, aber wie soll ich die bitte erklären, wenn mein Mann nicht mehr mein Bett teilt? Irgendwann werde ich es ihm sagen müssen, aber ein wenig will ich wenigstens den Gedanken genießen, dass es sein könnte. Begleitest du mich zu meinen Räumen?"

Eigentlich war Amadeo niemand, der seinen Posten verließ. Aber Alessio schlief wie ein Stein.. und für die kurze Zeit würde er auch einen anderen an diesen Posten setzen können, oder? Er nickte und betätigte eine Klingel neben dem Bett. Kurz darauf erschien einer von Alessios Kammerdienern, der nicht zu sehr gefeiert hatte, und Amadeo wies ihn an, auf den Kardinal ein Auge zu haben, bis er wieder zurückkam.

Mit Giulia am Arm verließ er Alessios Schlafzimmer und ging mit ihr die leeren langen Gänge des Anwesens hinunter bis in den Flügel, in dem ihre Räume lagen. Alles duftete nach Blumen, die Giulia frisch jeden Tag pflückte und in die großen Vasen stellte. Sie liebte Blumen und so wunderte es auch kaum, dass der Raum an den Wänden über und über mit floralen Mustern verziert war. Sie löste sich vor der Türe von ihm und öffnete sie, ehe sie sich noch einmal umdrehte, um nach Amadeo zu sehen. Die Traurigkeit in ihrem Blick berührte ihn in diesem Moment sehr. Er hatte hunderte junger Frauen in Trauer um Männer gesehen, die seinen Händen zum Opfer gefallen waren. Er hatte auch Hinterbliebene der Menschen gesehen, die aus wesentlich geringeren Verbrechen seinen Händen zum Opfer gefallen waren. Aber Giulias Trauer war anders und traf ihn. Sie lebte den Traum einer jeden jungen adeligen Frau und war doch unglücklich, weil da einfach niemand war, der sie hielt und der bei ihr blieb. Es geschah nicht oft, dass Amadeo seinen eigenen Weg ging und dabei Alessios oder Nicos Weisungen ignorierte, aber jetzt tat er es. Er ergriff ihren Arm und zog sie an sich, ehe er sie in den Raum schob und die Türe hinter sich zuzog. Seine Hand legte sich an ihre Wange und ihre schlanken Hände ruhten auf seiner Brust und ohne Worte verstand Giulia, was er ihr sagen wollte und sie schloss die Augen, als er sie küsste und die Welt in der Wärme und Geborgenheit seiner Arme versank.

London 3 - Versöhnungssex?

Dominico

Nico griff Kierans Hand, die in Reichweite war, und zog ihn zurück aufs Bett.

"So gefällt mir das schon besser. Oder willst du nicht hier schlafen?" Er zumindest war davon ausgegangen, doch Kieran war in diesen Dingen manchmal einfach anders und wenn er nicht hier schlafen wollte, dann würde Nico auch das akzeptieren. "Hast du auf dem Schiff viele Inseln gesehen?"

Er wollte diesen Faden wieder aufnehmen, denn Giannutri hatte ihm einige Erinnerungen gebracht, vor allem als Giulia hier gewesen war. Als sie geheiratet hatten, hatte Giulia ihn in ein Boot und auf diese Insel gezwungen, auf der man noch die Geschichte atmen konnte. Sie hatte wunderschön ausgesehen zwischen den wilden Orchideen und diesen vielen exotischen Blumen auf der Insel. Kieran würde noch viel wunderbarer in dieses wilde Leben passen.. Ja, wenn er irgendwann floh, dann dorthin. Er atmete tief durch und verschränkte seine Hand in Kierans, ehe er ihn wieder direkt ansah. "Und überhaupt.. ich dachte, es sei nicht dein Stil, einfach davon zu laufen.."
 

Kieran

Nicos Worte hatten ihn gefreut und zum Lächeln gebracht. Dennoch hatte er die beiden wirklich nicht stören wollen. Dass Giulia ihn geduzt hatte, überraschte ihn erst, ließ ihn dann aber erneut lächeln. Er blickte ihr kurz nach, bevor er sich am Handgelenk ergriffen fühlte und kurz darauf bei Nico wieder auf dem Bett lag. Er grinste und positionierte sich bequemer, von der folgenden Frage überrascht. "Ich habe ehrlich gesagt noch nicht darüber nachgedacht", antwortete er. "Aber ich denke, da muss ich nicht sehr lange darüber nachdenken." Auch wenn Kieran nicht sicher war, wirklich zum Schlafen zu kommen, wenn Nico neben ihm lag. Er begehrte diesen Körper, diesen Mann. Er hatte definitiv zu lange auf ihn verzichten müssen. Aber vielleicht hatte er Glück und Nico würde bald einschlafen. Dann könnte er aufstehen und rüber ins Labor gehen, wenn er selbst nicht zum Schlafen käme. Die Frage des anderen hinsichtlich der Inseln, holte ihn aus seinen Gedanken. Doch noch bevor er antworten konnte, kam die Stichelei von Nico. "Nein, ist es auch nicht wirklich", erwiderte er promt. "Aber auch ich werde älter und etwas weiser." Er lachte leicht. "Nein!" Er schwieg einen Moment. "Ich habe in letzter Zeit viel zu viel Zeit gehabt, um nachzudenken und zu träumen. Jetzt, da ich die Zusammenhänge erahne, die dich dazu getrieben haben, mich zu verleugnen und zu ignorieren, da kommt mir schon der Traum wider hoch, den ich hin und wieder träume. Die Frage, ob es nicht einfacher wäre, irgendwohin zu gehen." Er überlegte kurz, dann sah er Nico an. "Aber ich weiß auch, dass das ein Traum ist, und nicht das, was jemals möglich wäre. Ich weiß, dass du zu viel Verpflichtungen hast, die du nicht aufgeben kannst und wirst. Du wirst über kurz oder lang nach Italien zurückkehren. Dann wird in deinem Leben endgültig kein Platz mehr für mich sein. Du wirst dich nicht für mich und gegen deine Familie entscheiden. Und das weiß ich auch." Vermutlich wollte er das aussprechen, weil es das war, was ihn am meisten ängstigte. Vermutlich waren diese Worte Tancreds diejenigen, die am meisten zwischen ihnen standen.

"Und was die Inseln betrifft", griff er das andere Thema wieder auf. "Ein paar. Nadim kennt die ruhigen Inseln zwischen Irland und England, auf denen die Mannschaft dennoch genug Frauen und Bier findet. Aber wir waren auch viel in Portsmouth, weil mit den anderen Schiffen trainiert werden musste." Er lächelte in der Erinnerung daran. "Ich mochte die Einsamkeit auf den Inseln. Auch wenn ich die nie lange hatte. Irgendwer hat immer erzählt, dass ich Arzt bin und plötzlich kamen alle daher und wollten behandelt werden." Tatsächlich waren diese Besuche dann oft ziemlich anstrengend. Allerdings konnte er dann wenigstens ein wenig arbeiten, während er am Schiff zwar körperlich arbeiten musste, aber nicht oft als Arzt gebraucht wurde. "So ein Leben auf einer Insel kann sehr einsam sein. Ich glaube ich könnte nur auf einer Leben, wenn eine relativ kurze Verbindung zum Festland besteht. Ansosnten würde ich mir irgendwann eingesperrt vorkommen", überlegte er weiter. Er konnte verstehen, dass Nico sicher froh wäre, einen überschaubaren Ort für sich zu haben, der einfach paradiesisch war. Aber er für sich war noch nie irgendwo wirklich verwurzelt gewesen und mochte es, herumzukommen. Auf einer Insel würde er definitiv irgendwann durchdrehen, oder? Wobei... Wenn er dafür mit Dominico zusammen sein konnte? Einfach ohne Probleme, ohne, dass jemand mit dem Finger auf einen zeigte oder Gefahr bestand? Dann wäre das natürlich anders. "Allerdings kommt es auch darauf an, mit wem man auf der Insel wohnt", fügte er daher noch hinzu.
 

Dominico

"Älter und Weise?" Nico musste lachen. Es passte nicht zu Kieran soetwas zu sagen, zumal er noch nicht wirklich viel älter geworden war, seit Camebridge gerade mal ein Jahr und seit dem Tag in Spanien, an dem sie dieses Thema schon eimmal angeschnitten hatten, nur ein halbes... Da Kieran zugesagt hatte - mehr oder weniger zugesagt hatte - hier zu schlafen, löste Nico die Knöpfe der Jacke, die Kieran trug und schob sie ihm über die Schultern. "Dass du so angezogen bist, irritiert mich. Das kann doch nicht bequem sein...", erklärte er seinen "Angriff" und gab sich erst zufrieden, als Kieran zumindest die Jacke ausgezogen hatte. Während er das Kleidungsstück über die Bettkante schob, lauschte er Kierans Erklärungen zu seinen Gedanken und auch dazu, was Kieran von Nico glaubte. Und dann wird in deinem Leben endgültig kein Platz mehr für mich sein. Du wirst dich nicht für mich und gegen deine Familie entscheiden.

Das traf ihn. War er so berechenbar? Überhaupt, entsprach es der Wahrheit? So wie sich die Situation darstellte, würde tatsächlich ein großer Teil ihres Haushalts nach Italien gehen müssen. Giulias Familie war englisch, lebte aber nicht mehr in London, sondern hatte sich zurückgezogen, weil Giulias Eltern schon älter waren und Giulia ihr einziges Kind. Es gab also niemanden, der hier in London bleiben würde und Nico würde mit Giulia eindeutig einen Teil seiner Besitztümer nach Italien zurückschaffen, um es aus der Reichweite der Protestanten zu bekommen. Diese Revolution, da war Nico sich sicher, würde nicht rückgängig zu machen sein, und damit würde Alessio sehr bald gehen müssen. Er selbst zwar nicht - aber allein in London bleiben? Wegen Kieran vielleicht, aber seine Familie würde ihn zurückbeordern, wenn London sich als Fehlgriff für diplomatische Beziehungen erwies, und das hatte es bereits. Also würde auch er gehen.. und Kieran zurücklassen? Nein. Aber was konnte er tun? Er konnte nichts vorweisen, das ihn berechtigte, sein eigenes Land zu bestellen, und er konnte sonst nichts zu tun. Keine Kriegsverletzung oder ähnliches. Und selbst dann wäre noch immer sein diplomatisches Geschick in der Familie von großem Wert. Nein, wenn er nach Italien zurückkehrte, dann würde er Kieran nicht mitnehmen können... Denn das Leben bei seiner Familie würde Kieran zerstören und das wollte Nico nicht. Aber ihn zurücklassen, ihn verlassen? Das kam auch nicht in Frage. Nico hatte über dieses Problem noch gar nicht wirklich nachgedacht, doch ihm wurde bewusst, dass er das schleunigst zu tun hatte, wenn er einen Weg finden wollte, bei Kieran zu bleiben. Das wollte er, da war er sich sicher. Untertauchen? Er war niemand, der sich der Verantwortung entzog. Es entsprach nicht seiner Erziehung und erschien ihm falsch, doch er war andererseits inzwischen Mitte 30 und nur von seiner Familie gelenkt worden. Untertauchen, mit dem Geld das Alessio bereits außer Landes geschafft hatte ein schönes Leben leben... warum nicht? Was ihn bisher noch nicht gelockt hatte, fing an interessanter zu werden. Während Kieran noch von den Inseln schwärmte und davon, wie ruhig es dort gewesen war, dachte Nico wieder an Giannutri, an die atemberaubende Natur auf dieser so flachen Insel vor der italienischen Küste. Sie war groß und sie war unbewohnt.. und niemand fuhr hinüber wegen eines alten Aberglaubens über tote römische Familien.. eigentlich der perfekte Ort. Vielleicht auch, weil Alessio so oft davon schwärmte. Eingesperrt würde Nico sich wohl nur deshalb fühlen, weil man die Insel zu Pferd recht schnell bereiten konnte. Er hatte ausgedehntere Ritte immer genossen, aber Abstriche musste man machen, so einfach war das. Wie Kieran sagte - es kam darauf an, mit wem man dort lebte. Nico hatte auf ihre verschränkten Hände gesehen und sah jetzt wieder auf, in Kierans Gesicht. "Es..", setzte er an und brach ab um neu zu beginnen. "Dass du dir so sicher bist, dass ich ohne dich gehen werde, tut weh." Kieran war schließlich auch immer offen mit seinen Gefühlen, da konnte Nico auch offen sein. "Ich habe dir nie Anlass zu einem anderen Denken gegeben, aber.. so schnell lasse ich dich nicht gehen. Ich war mein Leben lang der Spielball meiner Familie und irgendwann ist es damit genug. Bitte denke nicht, ich könnte mich nicht auch anders entscheiden." Es war ihm wichtig, dass Kieran das wusste. Er konnte auch anders entscheiden, und er wollte es auch. Er musste, wenn er glücklich werden wollte.. und er würde eine Lösung finden, wenn die nächstliegenden Probleme ersteinmal beseitigt waren.
 

Kieran

Als Nico begann ihm die Jacke zu öffnen, blickte er kurz an sich herab, ließ es dann aber geschehen und half schließlich sich dieser zu entledigen. Die Erklärung dafür ließ ihn kurz grinsen. „So ein fürsorglicher Mann bist du…“, frotzelte er, bevor er weitersprach und seine Gedanken zur Flucht auf eine einsame Insel preisgab, seine Ängste aussprach. Während er sprach, merkte er schon, dass seine Gedanken dazu Dominico nachdenklich stimmten, vielleicht sogar etwas trafen. Aber so war es doch, oder? So würde es sein. Er hatte doch in den letzten Monaten gesehen, dass er alles tat, um seine Familie und seine Angestellten zu schützen. Sicher, er war auch geschützt worden. Aber würde er das andere für ihn aufgeben? Er würde es nicht von ihm verlangen. Er wusste, wie es war, seine Familie zu verlieren, denn im Moment hatte er genau das gleiche Gefühl. Er hatte seine Eltern im letzten Vierteljahr nur per Brief gesprochen und auch sonst war er kaum bei ihnen, sondern vor allem in London unterwegs. Er war kein Teil des fahrenden Volkes mehr. Aber was er nun war, wusste er auch nicht. Er war ein wenig heimatlos. Wenn Nico nach Italien zurückkehrte, würde er jeglichen Boden unter den Füßen verlieren. Als Dominico zu sprechen begann, blickte er ihn ruhig an. Dass Nico ehrlich sagte, dass er ihn verletzte, wenn er so von ihm dachte, empfand er als gut. Er wollte dem anderen nicht weh tun, sicher nicht. Aber es war auch irgendwie angenehm zu wissen, dass er ihn damit berührt hatte, dass es ihn schmerzte, wenn er so von ihm dachte. Schließlich hatte er ihn die letzten Monate ignorieren können, ohne ein einziges Anzeichen davon, dass er ihn wirklich liebte. Was nun kam, berührte Kierans Herz sehr heftig. Er würde ihn nicht gehen lassen? Er könnte sich auch anders entscheiden? Einen Moment sah er den anderen an. Dann beugte er sich zu ihm und küsste ihn sanft. „Das ist ein schöner Gedanke und glaube ich dir“, sagte er und lächelte. „Aber bevor du mir das zeigen kannst, müssen wir hier erst einmal einen Kampf hinter uns bringen. Anschließend wir weiter...“ Er drehte sich etwas mehr zu Dominico und setzte sich in einer leichten Drehung auf dessen Schoß. „Die Zeit wird zeigen, was geschehen wird.“ Er strich Nico sanft über die Wange und küsste ihn erneut. „Und ich werde geduldig warten, was geschieht.“ Wieder küsste er Dominico, diesmal etwas intensiver und inniger. Er hatte es zu sehr vermisst, er hatte Dominico zu sehr vermisst. So sehr, dass es noch immer schier schmerzte, es nun endlich wieder zu können. Seine Arme legten sich dem anderen auf die Schultern und eine Hand begann im Haar des anderen zu spielen.

Sacht löste er den Kuss wieder und sah Dominico an, biss sich leicht auf die Unterlippe, nicht wissend, ob er die nächste Frage stellen sollte oder nicht. Eigentlich wäre jetzt die beste Gelegenheit, von dem Turnier zu sprechen. Aber irgendwie war er die ernsten Themen leid… Interessanter war eine andere Frage. „Bist du schon sehr müde?“, fragte er schließlich und strich mit einem Finger spielerisch und neckend über die Brust, seine Augen den Fingern folgen lassend. „Ich… Ich fürchte, wenn du jetzt schlafen willst – was ich verstehen könnte – dann würde ich lieber in der Praxis schlafen.“ Er sah den anderen wieder an. „Ich fürchte, es wäre für mich pure Folter, einfach nur so neben dir heute Nacht zu liegen.“ Er hatte eigentlich so gute Vorsätze gehabt. Aber die waren gerade alle über Bord gegangen… „Dein Zauber wirkt leider immer mehr.“
 

Dominico

Auch wenn Kieran so eng an ihn gekuschelt dalag und sie sich körperlich nah waren, galten Nicos Gedanken gerade nicht trauter Zweisamkeit sondern wesentlich ernsteren Themen. Kieran schon sie weit von sich mit seinen nächsten Worten, bei Nico waren sie dennoch sehr präsent. Wie konnte er es anstellen, Kieran einfach mit sich zu nehmen? Er würde einen Weg finden, da war er sich sicher. Giulia würde es verstehen. Er würde sie absichern.. und als Witwe konnte sie ein herrliches Leben führen. Sie würde reicher sein als vor der Hochzeit, sie war in Nicos Familie anerkannt und vielleicht würde sie einen Verwandten heiraten. Oder aber, so wie er sie kannte, würde sie einfach gar nicht mehr heiraten, sondern einfach nur ihr Leben genießen und sich vielleicht einen Mann nehmen, der gar nicht adelig war, sie dafür aber glücklicher machen konnte als jeder andere aufgesetzte Gockel. Kierans Worte zu ihrem Kampf hier ließen ihn leise murren. Oh ja, er hatte hier noch einen Kampf zu kämpfen, und zwar einen der ihm nicht gefiel. Allerdings machte das Gesicht, das sie seit heute zu diesem Spuk hatten, einige der Defizite wieder wett, mit denen sie die letzten Wochen gekämpft hatten. Ein Name war gut. Die Briefe von Rodrego noch besser und das gefälschte Todesurteil das wichtigste. Denn wenn Cromwell die Dokumente wirklich fälschte, dann würde man bei ihm die entsprechenden Utensilien finden... und dann würde Cromwell schneller auf dem Schafott landen, als ihm lieb war. Doch zuvor musste Nico das Turnier überstehen und sich etwas ausdenken, was ihre Sicherheit betraf. Vielleicht kam ihm Giulias Schwangerschaft doch nicht so ungelegen... In seinem Kopf reifte bereits eine Idee, ein Zeichen von Kierans gutem Einfluss.

Während er sonst immer sehr lange für gute Einfälle gebraucht hatte, fiel es ihm in Kierans Anwesenheit leicht, solche Pläne zu schmieden.. vielleicht, weil Kieran einfach dafür sorgte, dass er er selbst war?

"Glaub mir, jetzt wo wir wissen, woher dieser Wind weht, wird es schneller vorbei sein, als Cromwell es sich wünschen kann..." Er ließ die Bewegung von Kieran zu, mit der er sich auf den Rücken drehte und Kieran auf seinem Schoß landete. Die Küsse des Schwarzhaarigen sorgten dafür, dass Nico die Gedanken an Cromwell langsam entschwanden - ein kleiner Nachteil, wenn man mit Kieran zusammen war. Die nächste Frage überraschte Nico und er verzog den Mund etwas. "Nein, eigentlich nicht besonders. Der Tag hat mich ziemlich aufgewühlt...", erwiderte er kurz, ehe Kierans Finger schon auf Wanderschaft gingen. Wie Kieran selbst folgte auch Nicos Blick Kierans Fingern und die Gänsehaut, die sich auf seinem Körper abzeichnete, zeigte, was er davon hielt. Sein Hirn brauchte einen Moment, um die folgenden Worte zu verarbeiten. Wenn er jetzt schon schlafen wollte, wollte Kieran woanders schlafen? Das ergab gerade wenig Sinn. Doch Kieran ließ mit der Erklärung nicht lange warten und Nicos fragender Gesichtsausdruck wurde langsam aber sicher zu einem wissenden Grinsen. Hatte er vorhin nicht noch das Gefühl gehabt, Kieran wollte das nicht? Hatte er es nicht sogar selbst gesagt? Das er litt und nicht wollte, dass "ES" wieder passierte und Nicos Charme gewann? Nico hatte sich wirklich Mühe gegeben, Kieran nicht durch sein Streicheln und Kraulen zu reizen, und er war sich auch sicher, das nicht getan zu haben, aber offenbar war der Geist bei Kieran in Puncto Zurückhaltung williger als das Fleisch. Noch immer grinsend griff Nico Kierans Hand auf seiner Brust und zog sie hinauf zu seinen Lippen und küsste sie. "Ich wirke keinen Zauber, den bildest du dir nur ein, mein Hübscher." Es war ja auch wirklich so. Er tat nichts, außer dort zu liegen, während Kieran ihn "bestieg". Weil ihnen beiden wirklich ein wenig Spaß fehlte, erlaubte sich Nico etwas frecher zu werden. "Ich werde nicht zulassen, dass du heute Nacht noch einmal dieses Schlafzimmer verlässt, es sei denn, es ist ein Notfall mit meinem Bruder. Also werde ich wohl dafür sorgen, dass du nicht nur 'einfach so neben mir' liegen musst, auch wenn ich kaum noch den kleinen Finger heben kann." In diesen Dingen übertrieb Nico wirklich gern. Er griff mit der zweiten Hand hinter Kieran, knapp über sein Steißbein und drückte ihn tiefer auf sich während er ihm die Hüfte entgegen schob. Zu spüren war, dass Nico es natürlich nicht kalt ließ, dass Kieran auf seinem Schoß saß und auch die Küsse ihr übriges dazu getan hatten. Er ließ Kierans Hand ganz los, um ihn im Nacken zu greifen und tiefer zu ziehen, so dass sie sich wieder küssen konnten. Doch bevor sich ihre Lippen berührten, hielt Nico inne. "Wie kannst du nur glauben, ich könnte einfach so neben dir einschlafen, ohne zu hören, wie sinnlich du meinen Namen stöhnst?" Ja, sicher hatte er Kierans unterstützende und beruhigende Nähe vermisst, den Kieran, mit dem er über alles reden konnte. Aber seinen Kieran, der ihn im Bett an seine Grenzen brachte, den hatte er definitiv auch vermisst.
 

Kieran

Das Versprechen, das Nico da fast schon gab, dass der Kampf nämlich sehr schnell zum Ende kommen würde, beruhigte Kieran ein wenig. Er meinte aus den Worten den Siegeswillen und den Kampfgeist herauszuhören, den Dominico brauchte, wenn er gewinnen wollte. Er würde Dominico in allem unterstützen, was notwendig war. Aber auch seine Gedanken daran wichen, während er Dominico küsste, den Körper des anderen unter sich spürte.

Als Dominico ihm erklärte, dass er eher aufgewühlt, als müde war, lächelte Kieran beruhigt. Auch die Nase schien Dominico nicht mehr so sehr zu schmerzen, als dass Kieran ein schlechtes Gewissen haben müsste, den anderen hier zu verführen. Das Grinsen, das Dominico ihm zeigte, als er begriff, worauf Kieran hinauswollte, zusammen mit dem Funkeln in den Augen des anderen, ließen ihn ebenfalls grinsen. Dominico hatte sich ja wirklich zurückgehalten. Zuletzt, vor ihrer Zwangspause, hatte jener ihn des Öfteren getriezt, indem er ihn ‚rein zufällig‘ am Rücken berührt hatte, oder ähnliche Berührungen provoziert hatte. Da hatte sich jener heute ja wirklich fast keusch gezeigt. Dennoch verursachte die Anwesenheit des anderen in ihm den unbändigen Wunsch nach Sex.

Dass das kein Zauber war, wusste Kieran auch. Er wusste, woran es lag, dass es seine Liebe zum anderen ihn auch diese Gier nach Sex empfinden ließ. Und vielleicht sollte er es nicht als ‚Versöhnungssex‘ ansehen. Vielleicht war es vielmehr sein persönlicher Wunsch zu sehen, dass Dominico ihn wirklich noch attraktiv fand, dass er ihn wirklich noch begehrte, dass er Dominico auch in diesem Punkt noch immer reizte. Er hatte eigentlich nicht wirklich Zweifel daran, aber die letzten Wochen und Monate hatten ihn eben doch verunsichert. Jegliche Unsicherheit darüber wich, als Dominico ihn tiefer in seinen Schoß drückte und er nur zu deutlich die wachsende Erregung des anderen spürte, die seine Berührungen, seine Position bei Nico auslösten. Und die Worte dazu, dass er ihn heute Nacht nicht einfach so neben sich schlafen lassen würde, selbst wenn es ihm die letzte Kraft rauben würde, ließ Kieran zufrieden lächeln. „Du armer, erschöpfter Mann“, griff er den Spaß auf. „Dann ist es ja von Vorteil, dass sich hier gerade gar nicht unbedingt dein Finger ‚heben’ muss“, raunte er und bewegte seine Hüften provozierend gegen die des anderen. Bereitwillig ließ er sich nach vorne zu Dominico ziehen, rieb erneut seine Lenden gegen die des anderen uns spürte durchaus bei sich selbst, dass er erregt war. Die Worte, die Dominico nun gegen seine Lippen raunte, ließen ihn erschaudern und ihn in den folgenden Kuss keuchen. Dieser Kuss hatte nichts mehr Zaghaftes oder Verspieltes. Dieser Kuss war die reine Gier nach Sex und Befriedigung. Kieran stieg nur zu gerne darin ein. Seine eine Hand krallte sich in die Haare des anderen, glitt dann hinunter über die Seite des anderen, streichelnd und gleichzeitig diesen schönen Körper genießend.

Seine Beine streckten sich etwas aus, so dass er sich zwar noch abstützen konnte, gleichzeitig aber seine Lenden weiter an denen des anderen reiben konnte. So ließ er sich schließlich ein wenig zur Seite rutschen, um seine Hand zum Hosenbund wandern lassen zu können. Er öffnete sie und ließ sie hineinrutschen, ergriff ohne Hemmungen das erigierte Glied des anderen, um es sanft zu massieren, während er den anderen noch immer küsste, darauf bedacht, die Nase möglichst nicht zu berühren.
 

Auch wenn sie anfangs ihrer Gier nachgaben, so war der Sex, der darauf folgte, unheimlich sinnlich, langsam und verschmust. Ihre Augen hingen ineinander und Dominicos Bewegungen in ihm waren langsam, zärtlich und voll Liebe. Sie küssten sich zärtlich. Jedes Eindringen in ihn, jeder Stoß schien wiedergutzumachen, was ihn in den letzten Monaten gequält hatte. Engumschlungen, als hätte man Angst, der andere könnte gleich wieder verschwinden, kamen sie zu ihrem Höhepunkt und auch danach hielten sie sich fest in den Armen, auch als sie schließlich einschliefen.
 

Dominico

Für Nico zumindest würde es kein Versöhnungssex sein. Nun, aus seiner Sicht sah die Sache ohnehin etwas anders aus und er konnte nicht wirklich sagen, ob man das zwischen ihm und Kierans als "Versöhnung" ansprechen sollte. Der Sex war etwas, das sie beide ganz offensichtlich wollten und wohl auch beide brauchten, um körperlich zu spüren, wie sehr ihnen der jeweils andere gefehlt hatte. Genau deswegen war Nico noch nicht ZU müde, um sich dazu hinreißen zu lassen. Kierans Kuss, erst noch beinahe scheu und vorsichtig wurde wesentlich offensiver und Nico stöhnte leise hinein, hatte er das doch wirklich sehr vermisst. Seine Hände gingen jetzt ungeniert auf Kierans Körper auf Wanderschaft und tasteten über die Haut, dabei spürend, wie sehr Kieran abgenommen hatte. Nichts desto weniger hatte ihm die Arbeit auf dem Schiff deutlich mehr Muskeln gebracht, auch wenn Kieran noch immer schlank war. Nico mochte es und er mochte vor allem Kierans längeres Haar, das sein Gesicht kitzelte. Die Salbe, die seine Nase vor dem Anschwellen schützen sollte, kühlte sie auch etwas und Nico konnte den leichten Schmerz gut ignoriere,n wenn Kieran doch mal daran kam.

Ohne wirklich darüber nachzudenken, schafften sie es einander auszuziehen und auch wenn sie beide gierig waren, so gingen sie doch vorsichtig miteinander um. Und das Gefühl Kieran wieder zu besitzen, zumindest körperlich, sich in ihm zu bewegen und ihn bei jeder kleinen Berührung beben zu fühlen, war einfach nur wunderschön. So war es, trotz ihrer Lust aufeinander, kein unbändiges und sinnloses Herumvögeln, sondern wirklich ein liebevolles einander Festhalten. Wie Nico es versprochen hatte, ließ er Kieran auch nicht los. Nicht als Kieran bebend auf ihm kam, nicht als er tief in Kieran kam und auch nicht als sie danach erschöpft im Bett lagen und einschliefen. Er würde ihn nicht mehr loslassen...

London 3 - Morgentliches Erwachen

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

London 3 - Langeweile

Tancrèd

An Loslassen dachte momentan auch Tancred, allerdings wohl in einer anderen Form als Dominico Sforza. Der Franzose war wegen des Turniers ebenfalls nach London gereist. Es war ein großes Ereignis und Thomas Howard hatte die Offiziere der Marine alle nach London eingeladen, weil man auch erwartete vom König Befehle zu bekommen. Man hatte sogar darüber nachgedacht, an der Küste entlang und die Themse hinauf zu segeln, um dem Volk die Flotte zu präsentieren, aber Tancred hatte diese Idee schnell abgeschmettert. Wenn das die Franzosen oder Spanier mitbekamen und vor der Themsemündung auf sie warteten, was dann? Es würde peinlich werden, direkt vor der Küste abgestraft und versenkt zu werden.

Also hatten die Mannschaften größtenteils frei und konnten zu ihren Familien, während Tancred keinen wirklichen Anlaufpunkt in London hatte. Er hatte sich wieder in das gleiche Gasthaus wie bei seinem letzten Besuch eingemietet und war seit einigen Tagen einfach nur lustlos durch die Stadt gepilgert, hatte sich am Abend betrunken und war ins Bett gefallen. Er hätte sich Frauen mitnehmen können, aber seine Lust auf Frauen hielt sich in Grenzen. Die Gedanken an die Nacht mit Kieran waren zu nah und zu frisch, auch wenn er wie Kieran wusste, dass es keine Bedeutung gehabt hatte. Trotzdem hatte er es genossen und konnte nicht verhindern, dem etwas nachzutrauern.

Am Hofe waren die Gespräche wirklich müßig und es drehte sich immer nur um die gleichen alten Dinge... Nichts für Tancred, der stets nach neuen Ufern strebte. Hoffentlich bot das Turnier wenigstens etwas Abwechslung. Als er am frühen Morgen wieder durch die momentan recht warmen Gassen Londons pilgerte, nur halb in offiziellem Ornat, weil es zu warm war, kam er durch eine Gasse, die er vorher noch nicht besucht hatte. Alles wirkte ordentlich und sauber, aber nicht so, als würden hier hohe Herrschaften wohnen. Es war ein wirklich bürgerliches Viertel und zeigte einmal mehr, dass Standesgrenzen in Zukunft wohl etwas verschoben werden mussten. Er betrachtete einige Schilder der noch geschlossenen Geschäfte, auf denen mit Waren geworben wurde und ging langsam weiter, ehe ihm von weitem ein Mann auffiel, der die Straße hinauf und hinab sah und wieder im Haus verschwand. Keine zwei Minuten später war er wieder draußen und sah sich um.. und dieses Spiel wiederholte und wiederholte sich. In der morgendlichen Dämmerung war die Gasse nur spärlich beleuchtet, aber Tancred konnte ihn gut erkennen und auch den Laden, vor dem er stand. Es handelte sich um eine Apotheke und darunter stand in geschwungenen Lettern "Forbes". Forbes.. der Name brachte etwas in ihm zum Klingeln und er brauchte nicht lange, um zu kombinieren. Das war die Apotheke, die Johns Vater gehörte - oder eine Apotheke, deren Besitzer auch Forbes hieß, aber das war unwahrscheinlich. Er hatte den Laden noch nie gesehen, wusste aber, dass es sich hier um die richtige Apotheke handeln musste. Der Mann, der ein- und ausging, war mit Sicherheit Johns Vater. Auch wenn der kleine untersetzte Mann ihm nicht wirklich ähnelte, was das äußere betraf, so gab es doch ein bisschen Ähnlichkeit, die Tancred empfand, auch wenn er sie nicht festmachen konnte. Vielleicht hinsichtlich der Bewegung? Er näherte sich langsam und kam zu dem Mann herüber, der immer noch mit wütendem Gesichtsausdruck die Straße hinauf und hinab sah. "Einen guten Morgen, Mr. Forbes!", begrüßte Tancred den Mann, der gerade in die andere Richtung sah. Der Herr wirbelte herum und sah zu dem großen Kapitän auf, den er irgendwie übersehen hatte. "Guten Morgen, mein Herr!", erwiderte der Apotheker etwas irritiert über Tancreds plötzliches Auftreten, doch dessen entwaffnendes Lächeln sorgte dafür, dass die Irritation recht bald schwand. "Mein Name ist Tancred de Nerac. Sie haben mir und den anderen Schiffen der Flotte seiner Majestät Medikamente zukommen lassen. Ihr Sohn.. das ist doch John Forbes, oder? Er hat ganz hervorragende Arbeit geleistet was das Mischen dieser Mittel angeht. Er hat uns einen wirklich großen Dienst erwiesen und ich wollte mich gern persönlich bei ihm bedanken. Ist er hier?" Eigentlich war das letztere gelogen. Tancred hatte das gerade nur aus dem Ärmel geschüttelt, weil er wissen wollte, was den Mann so wütend machte. Irgendwie brachte Langweile doch wirklich alles zu Stande.

"Nein, eben nicht!", fluchte der Mann vor Tancred lauter als erwartet los. Er wollte gerade zu einer Schimpftirade ansetzen, besann sich aber eines Besseren vor dem hochrangigen Ausländer vor sich. "Eigentlich sollte er bereits hier sein und mir dabei helfen, diese schweren Körbe hinein zu tragen! Meine alten Knochen machen das nicht mehr mit. Aber wo er sich wieder herumtreibt, weiß Gott allein." Tancred lachte leise und folgte dem Blick des Apothekers erneut die Gasse hinab. "Die Jugend kennt eben keine Sperrstunde", winkte er ab und deutete auf einen der Körbe. "Diese dort? Ich trage sie Ihnen hinein, so dass Sie nicht länger warten müssen." Der Mann wollte schob abwinken, doch Tancred war schneller und hatte den Korb bereits angehoben und so beeilte sich Mr. Forbes, um ihm zu zeigen, wo er ihn abzustellen hatte.
 

John

Das unangenehme Surren einer Fliege, die wieder und wieder gegen eine Scheibe flog, dran langsam aber stetig durch die bleierne Schwere, die seinen Kopf erfüllte. John hatte gute Lust, sich einfach umzudrehen und weiterzuschlafen, aber erstens würde er es jetzt ohnehin nicht mehr können, und zweitens sagte irgendwas in ihm, dass er aufstehen musste.

Er öffnete die Augen und blickte an die hölzerne Decke des Zimmers, das nach Schweiß und Eintopf roch. John hob etwas den Blick, um zu sehen, was ihn daran hinderte, sich umzudrehen. Es war ein Bein, das irgendwie seltsam über ihn drübergehakt war und zu einem jungen Mann gehörte, der neben ihm lag. John ließ sich wieder nach hinten sinken und schloss noch einmal kurz die Augen, seine Existenz verleugnend, als er draußen Glocken hörte. Unbewusst zählte er mit und als die Zahl schon bei acht war, richtete er sich mit einem "Scheiße!" auf und registrierte noch den neunten Schlag, als er auch schon aus dem Bett sprang, um sich anzuziehen. Doch das hätte er lieber nicht tun sollen. Mit einem Stöhnen setzte er sich wieder auf die Bettkante und versuchte dem Schmerz, der durch seinen Schädel hämmerte, Herr zu werden. Noch immer schmerzte die Augenbraue, wo sie geplatzt war, und das Auge war sicher immer noch tiefblau. Durch zu viel Alkohol schien der Schmerz größer zu werden - wie er gerade feststellte. Zumindest machte es ihn offenbar interessanter, denn er war gestern von vielen angesprochen worden.

Etwas langsamer machte er sich nach einer Weile daran, sich anzuziehen, als sich auch der andere regte und ihn anblinzelte. "Gehssu schon..", nuschelte dieser und schloss wieder die Augen. "Sehen wir uns wieder?" John hob zweifelnd die Augenbrauen. "Bestimmt nicht", sagte er schlicht und ging, das nachgerufene 'Arschloch' noch vernehmend, aus dem Zimmer heraus, die Treppe hinunter und verließ schließlich das windschiefe Haus in einem der ärmeren Viertel Londons. Innerlich fluchte er noch immer. Wie hatte er sich nur dazu breitschlagen lassen, dem Kerl - mochte er auch gutaussehend gewesen sein - bis hierher zu folgen. Der Weg nach Hause war viel zu weit und er würde hoffnungslos zu spät zur Lieferung kommen, die gerade wahrscheinlich schon abgesetzt worden war.

John beeilte sich trotzdem, er kannte sich in der Stadt ja sehr gut aus und wusste, wie man abkürzen konnte. Er hatte London noch nie verlassen, war hier aufgewachsen. Das war seine Stadt und kaum jemand kannte sie wohl so wie er.

Unterwegs kaufte er noch ein wenig Gemüse und ließ sich etwas Wasser geben, um diesen elendigen Geschmack aus seinem Mund zu bekommen und seinen Durst zu löschen.

Als er in die Gasse einbog, an dessen Ende er schon einen Teil der Körbe stehen sah, seufzte er innerlich. Hatte der Alte also die Arbeit selbst begonnen? Er hatte die Predigt schon im Ohr, wusste, wie oft das Wort "Taugenichts", "Rumtreiber" oder "Tunichtgut" fallen würde, als er bei den Körben ankam und einen hochnahm, sich umdrehte, um ihn hineinzutragen. Doch ersteinmal verharrte er und sah sichtlich überrascht aus, wer da an der Seite seines Vaters aus dem Haus trat. „Dass du dich hier noch blicken lässt, du Tagedieb! Wird ja auch höchste Zeit“, brach auch schon das Gewitter seines Vaters über ihn herein, das er mit Langmut und ohne Regung ertrug, hatte er es doch ein ums andere Mal bereits gehört. „Wo hast du dich nur wieder rumgetrieben? Du wusstest doch, von der Lieferung und jetzt sah sich der arme Herr hier auch noch genötigt, mir zu helfen. Auf nichts kann man sich verlassen bei dir.“ John sah indes Tancred mit einem fragenden Blick an. Offenbar brachte das seinen Vater auch zum Schweigen – zumindest für einen Atemzug. „Nun sei nicht auch noch so unhöflich und begrüße den wehrten Herrn hier! Schließlich kommt er nur deinetwegen. Wenn du dieses Talent nicht hättest, dann wüsste ich gar nicht, was ich mit dir anstellen sollte. Jetzt schau nicht so, sondern beweg dich.“ John hob überrascht eine Augenbraue, als er hörte, dass Tancred nur wegen ihm hier sei. Er nickte Tancred zu. Sie hatten eine Nacht im gleichen Bett geschlafen, er wusste nicht so genau, warum er da noch den Standesunterschied wahren sollte. „Was gibt es denn?“, fragte er, während er die drei Stufen in den Laden hinaufstieg und sich so zwischen seinen Vater, der sich sogleich für die Unverschämtheit seines Sohnes entschuldigte, und Tancred hindurchschob. „Die nächste Lieferung dauert. Ich habe wahrscheinlich nicht mehr die Möglichkeiten, die ich bis vor Kurzem hatte.“ Tatsache war, dass die gebrochene Nase die Wahrscheinlichkeit, das Labor weiter nutzen zu dürfen, rapide hatte sinken lassen. Wobei er auf Kieran hoffte und dessen gute Verbindung zu Nico.

Er hatte es genossen, das Labor genossen. Sein eigenes Reich, statt das Labor seines Vaters, der ihn nur mit Missmut und Argwohn bedachte. Zudem war es ganz schön mal ein Stück raus aus London zu kommen, weg von hier, auch wenn es ihn beruhigt hatte, wenn er wieder da war. John stellte den Korb an die passende Stelle und trat wieder nach draußen, um den letzten auch noch zu holen. Offenbar war Kieran nicht da, was ihn nicht weiter wunderte. Der wachte sicher gerade in einem weichen warmen Bett neben Dominico Sforza auf und freute sich seines Lebens – und John gönnte es dem anderen aus vollstem Herzen. Seit dem Abend vor zwei Tagen, schien Kieran wie ausgewechselt und war oft dort, um nach Alessio zu sehen - unter anderem.

Aber das erklärte die Wut seines Vaters, der nicht aufhörte, vor sich hin zu schimpfen, während er eigentlich schon wieder mit etwas anderem zu tun hatte. Wenn Kieran nicht da war, war sein Vater momentan unausstehlich. Er selbst konnte ihm ohnehin nichts recht machen. Für die niederen Dienste war er gut - und die Arzneien, bei denen ihm so schnell keiner das Wasser reichen konnte. Den letzten Korb abgestellt, wendete er sich nun wirklich Tancred zu und sah ihn fragend an, als sie noch einmal unterbrochen wurden. „Ich drehe jetzt meine Runde. Du weißt was du zu tun hast. Die andere Lieferung fehlt noch“, wurde er von seinem Vater angewiesen, der sich seinen Hut aufgesetzt hatte und mit einem Koffer sich auf den Weg zu seinen Patienten machte. „Geht in Ordnung“, sagte John und endlich hatten sie ihre Ruhe.
 

Tancrèd

Es war beinahe amüsant, wie Johns Vater sich einerseits überschwänglich für die Hilfe bedankte und Tancred andererseits versuchte, von weiterer Hilfe abzuhalten. Als der aber gnadenlos einfach weiter einen Korb nach dem anderen hereintrug, gab der Mann sich geschlagen und sah nur zu, Tancred ständig alle Türen offen zu halten, so dass der sich nicht herumzwängen musste. Er hatte schon gut die Hälfte der Ladung hereingeräumt und bekam von Johns Vater gerade erklärt, woher er die Sachen bestellte und geliefert bekam, als John auftauchte. Er hatte bereits auch schon einen Korb hochgenommen und wollte ihn hereintragen, als Tancred und sein Vater ihm entgegen kamen. Tancred schmunzelte als er in Johns verkatertes Gesicht blickte und konnte sich nur all zu lebhaft vorstellen, wie dessen Nacht ausgesehen hatte. Als John ihn dann auch noch so "unhöflich" ansprach, hatte der Franzose fast das Gefühl, den alten Forbes raffe gleich ein Herzinfarkt dahin. Als sie schließlich alles hereingeräumt hatten und die Schimpftirade auf John endete, die nicht einmal in Anwesenheit eines Fremden ausgelassen wurde, verabschiedete sich Mr. Forbes und verschwand mit seinem Koffer, während John schon kurz darauf auf einen Hocker sank. Tancred lehnte sich gegen ein Regal und sah dem Mann nach, ehe er erst leise, dann immer lauter lachte. "Wenn ich gewusst hätte, was mich hier erwartet, dann wäre ich sicher nicht hergekommen. War ne lange Nacht, hm?" Er hatte vorhin einen Krug mit Wasser gesehen und nahm ihn, brachte John einen Becher und das Wasser, von dem Johns Vater auch ihm angeboten hatte. Und so wie John aussah konnte er Wasser vertragen.

"Wieso hast du die Möglichkeiten nicht mehr, die du hattest?" Das klang schon ein wenig seltsam, und Tancred hakte nach. Er wusste von Kieran, dass sie dank Nicos Labor so hervorragend hatten arbeiten können, und so glaubte er zu wissen, wo das Problem bestand. Vielleicht hatte auch das stattliche Feilchen etwas damit zu tun, das unübersehbar in Johns Gesicht prangte und ihn - wie Tancred zugeben musste - nur attraktiver machte. "Naja, und was ich hier tue? Ich warte auf das Turnier und um ehrlich zu sein, war mir wirklich langweilig. Ich wollte nach dir und Kieran sehen, euch einen Besuch abstatten. Hab ihn ja schon ne Weile nicht mehr gesehen und dachte, er freut sich vielleicht, wenn ich ihm erzähle, dass es seinen Patienten in meiner Mannschaft besser geht." Auch das war nur ein vorgeschobener Grund, aber eigentlich hatte Tancred das sogar wirklich vorgehabt. "Du siehst verdammt ausgekotzt aus", stellte er unumwunden fest und sah sich um. "Wenn die nächste Lieferung noch dauert, und sie am Hafen eintrifft - das zumindest sagte dein Vater - dann lass uns doch hinunter gehen. Die Luft ist besser am Wasser, ich fühle mich fast wie zu Hause und in der Schenke unten gibt es das beste Frühstück, das ich kenne." Ohne wirklich darauf zu warten, ob John wollte oder nicht schubste er ihn beinahe vom Hocker und stieß dann die Türe auf.
 

John

John setze sich auf den Hocker hinter der Theke und atmete kurz aus. Sein Kreislauf war letztlich noch immer nicht ganz fit und der Alkoholkonsum des gestrigen Abends würde ihm heute den ganzen Tag versauen. Als er Tancred lachen hörte, musste er leicht grinsen. Normalerweise lachten die Leute eher nicht so über Szenen wie diese. Aber es gefiel ihm, dass Tancred so reagierte. Es war ihm nicht unangenehm vor dem anderen Mann von seinem Vater so behandelt zu werden. Er hatte sich daran gewöhnt und jeder wusste, wie sein Vater mit ihm umging. Mittlerweile hatten die Leute aufgehört, hinter seinem Rücken zu lästern. Was wohl vor allem daran lag, dass er ganz offensichtlich trotz der Behandlung durch seinen Vater und die Umstände seiner Existenz etwas zu werden gedachte. Offenbar waren die meisten Menschen davon überzeugt, dass aus Leuten wie ihm nur Mörder oder Kriminelle werden konnten. Er hatte da schon einiges mitbekommen. „Ach, das war noch gar nichts“, winkte John ab und strich sich die Haare aus der Stirn. „Er kann einfach nicht anders.“ Er sah Tancred an. Noch immer war ihm nicht klar, was jener hier bei ihnen wollte. „Eine ziemlich lange, ja. Oder zu kurze... je nach dem, wie man es sieht“, beantwortete er dann erstmal die Frage. Er nahm dankbar das Wasser und trank. Dass Tancred nachfragte, wieso er das Labor nicht mehr hatte, war ihm klar gewesen. Er ließ sich einen Moment Zeit mit der Antwort. „Sagen wir, ich habe meine Faust nicht ganz unter Kontrolle gehabt“, begann er ausweichend und dachte an die Situation vor zwei Tagen. „Aber eigentlich habe ich nur verhindert, dass nicht versehentlich Kieran eine verpasst bekommt und damit etwas zerstört worden wäre, was den Kleinen fertig gemacht hätte. Dafür herrscht jetzt zumindest in punkto Kieran und dem, dessen Name ich nicht nenne, wieder einigermaßen Frieden im Hause der uns wohlbekannten Familie." Fragend sah er Tancred an, ob er verstand, was er versuchte zu sagen. Er musste vorsichtig sein, was er sagte. Er wusste, dass Kieran Tancred vertraute und er tat es letztlich auch. Aber generell waren die Zeiten schwierig, das hatte er gestern mehr denn je gemerkt. Er wollte weder die Lage für irgendwen verschlechtern, noch selbst ins Schussfeld geraten. „Es bleibt abzuwarten, wie nachtragend er ist.“

Die Erklärung, die der andere hinsichtlich seines Auftauchens hier abgab, klang teilweise recht plausibel. „Kieran wird sich freuen, wenn ich ihm erzähle, dass es der Crew gut geht. Der Aufprall hier nach seinem Abenteuer bei euch, war ziemlich heftig. Das, was er sich bei euch angefuttert hat, ist leider wieder unten. Der Kerl hat da definitiv Probleme, was das betrifft.“ Als er den Kommentar des anderen hörte, musste nun John lachen. Es kam selten vor, dass man ihn zum Lachen brachte, definitiv. Er blickte Tancred an. „Dabei habe ich mich - soweit ich mich erinnere - gar nicht übergeben müssen…“, grinste er. „Aber ich fühl mich tatsächlich so.“ Über das Angebot des anderen, dachte er kurz nach. Nun, warum eigentlich nicht? Sie würden heute ohnehin erst später aufmachen, wenn sein Vater zurück war. Er würde zwar nicht begeistert sein, wenn er sich gleich wieder vom Acker machte, aber zum einen würde er ja etwas für ihn erledigen, zum anderen war es John ziemlich egal. Doch noch bevor er etwas sagen konnte, schubste ihn der andere auch schon vom Hocker in Richtung Tür. „Ja, ja, ich komm ja mit“, beschwichtigte John den Tatendrang des Franzosen. „Aber lass mich mich noch umziehen. Ich stinke.“ Er trank das Wasser aus und griff zu einem Stück Papier, auf dem er seinem Vater eine kurze Nachricht hinterließ. Dann brachte er das gekaufte Gemüse in die Küche und machte sich frisch, zog etwas anderes an. Der Blick in den Spiegel zeigte ihm, dass das Auge wirklich verboten aussah. Wenig später schloss er gewissenhaft die Ladentür hinter sich.

London 3 - Am Hafen

Tancrèd

Nur wenig später schlenderten sie durch die Gassen der Stadt hinunter zum Fluss, auf dem bereits die ersten Boote schipperten. Tancred genoss es das Wasser zu hören, auch wenn ein Fluss kein Meer war. Aber es war immer noch besser als kein Wasser. Der Weg zum Hafen hinunter in dieser doch noch recht frühen Stunde war wirklich angenehm. Die Luft in den breiter werdenden Gassen wurde frischer und Tancred hatte das Gefühl wirklich durchatmen zu können als sie den Hafen erreichten.

Im Hafenviertel herrschte rege Betriebsamkeit und Tancred fühlte sich wirklich ein Stück mehr zu Hause, als sie in das bunte Treiben eintauchten und einen Platz in der Schenke ergatterten, der erstens im Freien lag und zweitens einen guten Ausblick bot. Sein fachmännischer Blick wanderte über die Schiffe und der breite Hut den er trug, eine seiner Eigenarten, zog einige Blicke auf sich. Er hatte auf Rangabzeichen verzichtet, was dafür sorgte das sie unbehelligt blieben und so bequem ohne Zwischenstopp in die Schenke kamen. "Also, was gibt es Neues hier in London?", fragte er, als sie endlich saßen und bereits frisch gebackenes Brot hatten.
 

John

Eigentlich hatte er ja gehofft gehabt, den Tag einfach faul sein zu können, aber die frische Luft tat ihm wirklich gut und der Spaziergang hinunter zum Hafen erfrischte ihn etwas. Er mochte den Hafen und irgendwie merkte er, dass er sich ein wenig darauf freute, dort zu sein - solange er dem Wasser nicht zu nahe kam. Er hatte die Hände tief in den Hosentaschen vergraben und entspannte sich etwas. Er wusste eigentlich noch immer nicht so genau, warum Tancred nun mit ihm frühstücken ging, wo er doch eigentlich hatte Kieran sehen wollen. John vermutete ja insgeheim, dass bei Tancrèd in den Monaten, in denen er Kieran für sich gehabt hatte, sein Interesse an dem jungen Schwarzhaarigen gewachsen war, auch wenn Kieran da nie näher etwas erzählt hatte. Oder vielleicht gerade WEIL er nie etwas gesagt hatte..? Aber es ging ihn letztlich nichts an und er würde nicht fragen.

Kieran war Dominico verfallen, sonst wäre er jetzt nicht bei ihm. Soll er glücklich werden, sofern es ging. Wenn Nico ihn noch einmal fallen lassen würde, dann würde er Kieran halt wieder einmal auffangen. Die beiden waren hoffnungslos, süß irgendwie, aber eben hoffnungslos.

Der Geruch von Fisch, von abgestandenem Wasser und von Meer mischte sich langsam in die übrige Luft und als sie hinaus auf den Hafenplatz traten, wusste John wieder, weshalb er es hier so gern gemocht hatte, als er klein war: Es hatte etwas von Freiheit, ohne dass er London verlassen musste. Er folgte Tancrèd zu einer Schenke und setzte sich mit ihm hin. Sie bestellten bei der kräftigen Frau etwas zu trinken und zu essen und erhielten schon bald einen kleinen Korb mit Brot. „Neues in London?“, fragte John gegen. „In welchen Bereichen? Bei Hofe kennst du dich besser aus und momentan möchte ich mich da ehrlich gesagt gar nicht auskennen. Was Kieran betrifft, musst du ihn schon selbst fragen. Und was mich betrifft, so hat sich nicht viel geändert. Ich arbeite und schuffte und produziere Arzneien und wenn ich mal ein wenig Zeit für mich haben möchte, suche ich mir jemanden für die Nacht.“ Er zuckte mit den Schultern. „Das Semester lief gut, aber wahrscheinlich interessiert dich das gar nicht. Kieran war der Abräumer der Abschlussprüfungen. Ansonsten… Was genau möchtest du wissen?“ John kaute auf einem Stück Brot rum. Eigentlich hatte er keinen wirklichen Hunger. „Und bei dir? Wie geht es dir?“
 

Tancrèd

Da die Schiffer und Bootsmänner zu jeder Zeit hier essen haben wollten und man ja auch an der Quelle saß, bekamen sie wirklich hervorragendes Essen. Es würde zunächst eine sehr gute Hühnersuppe geben, die stark war und durch und durch ging, danach ein wenig Fleisch zum frischen Brot und eine Art Gebäck als süße Beilage. Tancred langte kräftig zu, er hatte Hunger. Das hier war gutes Essen, auch wenn sein Gasthaus ebenso nicht zu verachten war. Aber hier war es einfach offener und ehrlicher und eine bessere Atmosphäre, um mit John zu sprechen, auch wenn er selbst nichteinmal wusste, warum er es genau tat. Vielleicht einfach, weil er außer John und Kieran hier in London niemanden kannte? Zumindest niemanden, bei dem er sich nicht verstellen musste und bei dem er darauf zu achten hatte, was er sagte. Als sie ihre Getränke bekommen hatten und John lustlos auf dem Stück Brot herumkaute, musterte Tancred den Mann ihm gegenüber. "Hm, Neuigkeiten einfach. Man bekommt ja nichts mit auf See.. und die Neuigkeiten am Hof kenne ich auswendig, es ist ja immer das Gleiche. Spannender finde ich deine Auseinandersetzung mit dem Herzog von Segni und Onano. Du hast ihm wirklich ins Gesicht geschlagen?" Er pfiff anerkennend durch die Zähne. "Dass du noch lebst, wundert mich. Dominico Sforza macht - nach allem was ich von ihm gehört habe -keine halben Sachen." Tancred kannte Nico nicht gut, doch das was er wusste war, dass Nico sicher nicht noch "die andere Wange" hingehalten hätte. "Aber wenn es dem kleinen Glück bringt, soll es mir recht sein. Ich hatte das Gefühl, er war bei uns glücklich, aber auch die See und die Arbeit" - er sah kurz so aus als wolle er noch etwas hinzufügen, tat es aber nicht - "scheinen gegen Dominco Sforza nicht wirklich anzukommen." Sein schiefes Grinsen schien kurz einen etwas wehmütigen Ausdruck anzunehmen, der aber schnell wieder verschwand, als sich das Gespräch mehr auf John konzentrierte. "Klingt nach einem bequemen Leben, das du da führst." Er lehnte sich zurück, als sie zwei dampfende Schalen Suppe bekamen. Als sie wieder allein waren und Tancred nach dem Löffel griff, musterte er den jungen Mann vor sich genauer. John war gutaussehend, keine Frage. Seine ganze Größe schien manchmal unpassend zu ihm, weil er einfach sehr schlank war, aber in Tancreds Augen war er attraktiv. Er hatte dieses "etwas", das nur wenige Männer hatten und ausstrahlten. "Was mich interessiert, ist vor allem eines..." Er schob den Suppenlöfel in den Mund und verzog anerkennend das Gesicht - die war wirklich gut. "Wieso wolltest du nicht mit an Deck? Daran, dass du zu Hause so unglaublich glücklich bist mit deiner Familie, kann es ja kaum gelegen haben." Er nahm einen zweiten Löffel. "Du hattest wirkloch Glück, dass Charles und Howard dir diese dämliche Antwort abgekauft haben... Ich gebe zu, auch ich war verwundert. Oder gehört das nicht zu den Dingen, die du gern erzählst?" Er hatte irgendwie das Bedürfnis dieses Gespräch in Gang zu halten, weil John ihm gerade ein Stück Normalität gab, das er sonst nur in seiner Mannschaft hatte, die unerreichbar in Portsmouth weilte.
 

John

John zuckte mit den Schultern. Eigentlich fand er es nicht gut, dass Tancred hier Namen nannte, die in falschen Ohren sicher lieber nicht landen sollten. „Nun ja, das Veilchen reicht mir. Schließlich hatte er nicht geschaut und hätte ansonsten einen großen Fehler gemacht“, sagte er daher nur. „Aber es hat sich auch irgendwie gut angefühlt, nach allem, was er mit ihm abgezogen hat. Auch wenn ich seine Gründe verstehe, irgendwann ist dann auch mal Schluss.“ Das war zumindest seine Meinung. Letztlich hatte er auch nur auf die kleinste Möglichkeit gewartet und er hatte sie genutzt. Auch wenn er Glück hatte, dass dominico nicht weiter auf ihn los ist, so hatte das alles koch eine weitere glückliche Folge gehabt: Er hatte Nico zwingen können, sich mit Kieran auseinander zu setzen. Und das war gut. Und so schlimm war drei Kopfnuss nicht gewesen. Er war es ja gewohnt, als Sündenbock herzuhalten. Und in diesem Fall tat er es sogar gerne.

Die folgenden Worte des anderen ließen ihn seine Gedanken vertreiben. Johns kühle blaue Augen musterten den Mann ihm gegenüber abschätzend. Das war doch mehr als eindeutig. Er hatte gar nicht so weit denken wollen. Langsam breitete sich ein Grinsen aus. „Du hast mit ihm geschlafen“, stellte er fest. „Da musst du ihn aber in einem sehr schwachen Moment erwischt haben.“ Es störte ihn nicht. Zeigte ihm das doch, dass Kieran zumindest nicht völlig aufgehört hatte, auch eigene Bedürfnisse mal voranzustellen. Kieran neigte in seinen Augen zu sehr dazu, nach Harmonie zu streben und dafür alles, was ihn selbst betraf hinten anzustellen. Vor allem was Dominico betraf. Dass Kieran heute nicht heimgekommen war, wie eigentlich besprochen, zeigte ihm nur zu deutlich, dass er wahrscheinlich auf Grund des Zustands des Lords jeglichen Zorn, jeglichen Gram verdrängt oder womöglich noch seine eigene Wut vergessen hatte, um Nico die Situation zu erleichtern. Und das fand er selbst nicht gerecht. Kieran hatte alles Recht der Welt, einfach auch einmal glücklich gemacht zu werden, ohne dass er dafür sich erniedrigen musste. Konnte dieser Kerl ihm nicht einfach mal zeigen, wie sehr er ihn liebte, ohne dass es Schläge, Publikum oder Selbstaufgabe bedurfte?! „Und nein“, seufzte John. „Der Kerl ist der einzige Mensch, der ihn vollkommen glücklich macht. Auch wenn er dafür viel ertragen muss.“ Er sah Tancred an. „Aber ich wäre dir dankbar, wenn du nicht so viele Namen nennen würdest. Momentan ist mir das hier in London zu heiß.“

Der Kommentar hinsichtlich seines Lebens, ließ ihn die Augenbrauen heben, auch wenn er das doleich bereute, denn diese schmerzte. Meinte Tancrèd das ernst?

„Wenn du es für bequem hältst, ist es wohl so“, erwiderte John und begutachtete die Suppe. Er wusste nicht so genau, ob er etwas essen sollte. Aber eine Suppe wäre wahrscheinlich kein Fehler. Und so rührte er ein wenig darin rum, um sie abzukühlen. Er mochte zu warmes Essen nicht sonderlich gerne. „Es ist sicher bequemer, als auf einem Schiff an irgendwelchen Tauen zu ziehen und Kanonen abzufeuern, um Spanier zu versenken. Aber ich für mich würde es auch nicht wirklich als bequem betiteln. Ich arbeite auch, viel, jeden Tag. Nur bekommt man davon nicht die Muskeln, die du hast.“ John hob den Blick, als er merkte, dass Tancred ihn musterte. Fragend blickte er den anderen an, nach dem Motto: Was möchtest du loswerden?

Er grinste leicht, als er nun hörte, was der andere von ihm wissen wollte. Dass jener seine Frage, wie es ihm ging, einfach überging, störte ihn erstmal nicht. „Gibt es Dinge, die ich nicht gerne erzähle?“, fragte er. „Wenn ich etwas gefragt werde, gebe ich normalerweise Antwort. Man muss sie nur vertragen können.“ Er überlegte kurz. „Es gibt einige Gründe, weshalb ich nicht aufs Schiff wollte. Zum einen mein Vater, den ich nicht einfach hängen lassen kann. Dann noch mein Studium, das ich mir hart erkämpfe und das mir in diesem Semester eine einmalige Chance geboten hatte, die ich sonst nie wieder hätte wahrnehmen können. Dann die Tatsache, dass ich überhaupt keine Lust darauf habe, Wehwehchen zu verarzten, und zuletzt die Tatsache, dass ich kein Wasser mag, zumindest keines das tief, unberechenbar und unendlich weit ist.“ Er probierte von der Hühnersuppe und befand sie noch immer für zu heiß, weshalb er fortfuhr, sie umzurühren. „Ja, ich hatte Glück. Ich hatte darauf spekuliert, dass die mich einfach für idiotisch halten und mich dann in Ruhe lassen. Es hat geklappt. Da du nicht ganz so beschränkt zu sein scheinst, sondern ein genaueres Auge und Ohr hast, sprang zumindest noch ein lukratives Geschäft für mich dabei heraus. Etwas, was mir anfangs das Leben zu Hause zumindest etwas angenehmer gestaltet hatte.“ Tatsache war, dass sein Vater zumindest eine Zeit zufrieden damit war, dass sein Sohn da Geld nach Hause brachte, das sie dringend brauchen konnten.
 

Tancrèd

"Dass es sich gut angefühlt hat, glaube ich dir. Ich weiß nicht, ob ich es getan hätte, aber ich glaube, wenn ich zugeschlagen hätte, dann würde er jetzt nicht mehr stehen..." Denn da wo Tancred hinlangte wuchs in der Regel kein Gras mehr. Andererseits war Dominico genau so im Kampf ausgebildet wie er selbst und vermutlich hätte sich zwischen ihnen eine wirklich heftige Schlägerei entsponnen, bei der niemand eingesprungen wäre. Aber er mischte sich in diese Angelegenheiten eigentlich nicht ein. Er hatte Kieran gesagt, was er von Nico hielt und was Kieran zu erwarten hatte, und wenn Kieran zurück zu ihm ging und Nico glaubte, dann konnte Tancred nur davon ausgehen, dass Kieran entweder ziemlich naiv war, oder Nico ein anderer als der, den Tancred kannte. Letzteres war nicht sehr unwahrscheinlich.

Während John in seiner Suppe rührte, um sie abzukühlen, futterte Tancred bereits. Er mochte zu warmes Essen zwar auch nicht, aber er bekam zu selten wirklich heißes Essen, als dass er das nicht genießen wollte. Johns schnelle Auffassungsgabe ließ ihn breiter grinsen und er hob abwehrend die Hände. "Langsam langsam. ICH habe ihn gar nicht erwischt, sondern eher er mich. Ich habe da gar nichts versucht, aber wenn er anfängt, sage ich sicher nicht nein. Es gibt zu selten die Gelegenheit dafür." Er zuckte die Schultern, ehe er John einen verschmitzten Blick zuwarf. "Aber ich muss sagen, er war nicht so geschickt mit der Zunge wie du..."

Das meinte er sogar ehrlich, es war keine Floskelei. Vielleicht hatte Kieran sich auch nicht die Mühe gegeben oder war mit den Gedanken woanders gewesen, aber Johns Hingabe war eindeutig die bessere gewesen und warum das unkommentiert lassen?

Johns Erklärung im Anschluss klang logisch und Tancred nickte, während sich seine Schale leerte und die Suppe ihn eindeutig nicht nur wärmte, sondern auch wacher machte. Hach, eine gute Suppe... zu schade, dass Suppen an Deck, zumindest klare Suppen, kaum praktikabel waren. Sie schwappten leicht schon beim Kochen über den Rand und ihr Smutje machte sich nicht immer die Mühe, sie zu kochen. Dabei liebte Tancred es.

"Die Sache mit deinem Vater kann ich verstehen. Ohne Hilfe ist er in der Apotheke sicher aufgeschmissen. Aber irgendwann wird es vielleicht so oder so passieren. Wieso holt er sich keine zusätzliche Kraft? Es gibt sicher genügend junge Männer und Frauen, die sich dafür interessieren und Geld hat er wegen des lukrativen Dauerauftrags für die Marine und sicher bald auch das restliche Heer genug." Gut, vielleicht wusste Mr. Forbes das noch nicht. Tancred zumindest wusste es, weil es bereits mit Howard und dem König besprochen und gebilligt worden war. Naja, dann war es jetzt eben eine Überraschung, Tancred beschloss so zu tun, als sei er davon ausgegangen, dass John bescheid wusste. "Und Wasser ist wundervoll.. ich vermisse es. Aber es ist wohl nicht jeder so eine Wasserratte. Aber lass dir gesagt sein, dass das auch hätte nach hinten losgehen können. Howard ist nicht so der Mensch, der besonders nachtragend ist, aber Lord Brandon? Ich glaube, wenn du den auf dem falschen Fuß erwischst, dann hätte er das als massive Beleidigung aufgefasst. Bevor du mir jetzt wieder mit den Namen kommst - erstens reden die Leute an jeder Straßenecke, zweitens sind es nur Namen und drittens na und? Was soll man mir denn schon groß antun? Ohne mich hat seine Majestät auf dem Wasser ein massives Problem. Aber gut, ich bin schon ruhig." Er wollte ja nicht, dass John hier auf glühenden Kohlen saß. "Was mich betrifft, naja. Es ist langweilig, mir ist langweilig. Wir haben keine Aufgabe und eigentlich will ich wieder hinaus aufs Meer und Spanier jagen, Geld verdienen. Ich verdiene hier auch, ich weiß - aber.. der König lässt sich etwas zu viel Zeit mit seinen Entscheidungen. Wir könnten längst mit der Flotte draußen sein. Oder eher, die Flotte könnte bereits segeln, denn ich werde mich definitiv wieder absetzen, sobald ich meinen Freibrief in den Händen halte. Dann kann die Flotte brav ihre Manöver fahren und ich jage spanische Kriegsschiffe, die vom Verbund abgeschnitten wurden, und suche mir eine schöne Insel als Heimathafen. Das Meer bietet zum Glück noch solche Orte.. und ansonsten? Naja, ich warte auf das Turnier, streune durch London, betrinke mich und falle nachts in mein großes einsames Bett." Oh ja. Wie furchtbar arm dran er doch war. Er musste fast lachen über so viel geschauspielertes Selbstmitleid.
 

John

Tancreds Kommentar dazu, dass jener mit einem Schlag Dominico zu Fall gebracht hätte, ließer einfach so stehen. Seine Intention war es ja nicht gewesen, Dominico kO zu schlagen, sondern letztlich nur Kieran zu schützen und den beiden die Möglichkeit, endlich wieder aufeinander zu zu gehen. Aber das ging Tancred nichts an. Die Moralpredigt, der er hatte beiwohnen dürfen, war ja letztlich genauso dämlich gewesen. Er hatte schon begriffen, was Nico die letzten Monate abgezogen hatte. Und die Vergiftung von Alessanro Sforza war nur das i-Tüpfelchen gewesen. Er war ein guter Beobachter.

Dass Kieran offenbar Tancred auf den Schoß geklettert war, ließ John lächeln. „Das beruhigt mich“, sagte er laut denkend und blickte dann auf, als Tancreds Kommentar zu Kierans Fähigkeiten kam. Eine Augenbraue wanderte nach oben. „Na das möchte ich auch hoffen, dass die jahrelange Übung sich irgendwie bemerkbar macht“, erwiderte er trocken. Mit Kieran verglichen zu werden, war irgendwie komisch. „Und ich denke nicht, dass ein Vergleich hier wirklich sinnvoll ist“, fügte er hinzu. „Der Kleine ist ein ganz anderer Typ als ich.“ Er zwinkerte Tancred zu, damit dieser nicht am Ende meinte, John habe ihn kritisieren wollen. „Er ist kuschliger, wie eine kleine Katze, die ihre Streicheleinheiten braucht und sich holt.“

Nach seinen Ausführungen zu seinen Gründen, nicht an Board gewollt zu haben, aß John endlich seine Suppe, die nun die für ihn passende Temperatur erreicht hat. Sie schmeckte wirklich gut, nicht so abgestanden oder fettig, wie manch andere Suppe, die aus minderwertigeren Zutaten gekocht worden war. Er sollte sich die Schenke merken. Aber in letzter Zeit war er nicht sehr häufig zum Hafen gekommen. Die Lieferung, die sie heute erhalten sollten, war nur aufgrund ihrer momentan guten finanziellen Situation möglich gewesen. Es waren speziellere Gewürze und Kräuter aus dem Süden Europas und den östlichen Regionen, dem Morgenland. Als Tancred begann, seine Ausführungen zu kommentieren, musste er leicht lachen und sah Tancred zweifelnd und fragend an. Dass sie neue Aufträge bekommen haben oder würden, wusste er noch gar nicht. Aber es freute ihn und wenn Tancred es so sagte, würde es wohl auch so stimmen, oder? „Wem tut man meinen Vater gerne an?“, fragte er gegen. „Wenn Kieran nicht wäre, wie er ist – ein selbstaufopferndes Arbeitstier mit einer unglaublichen Fähigkeit zu heilen – dann hätte er bei meinem Vater bestimmt nach einer Woche das Weite gesucht. Mein Vater ist chronisch unzufrieden mit allem, nur nicht mit sich. Seit meine Mutter ihn augenscheinlich hintergangen hat, lässt er seine Frust an Gott und der Welt heraus. Er liebt diese Rolle, in die er geschlüpft ist, und er hat sie perfektioniert. Niemand, der nicht ansatzweise das zu bieten hätte wie Kieran, könnte es bei ihm aushalten. Und wieso sollte es irgendwann sowieso passieren? Ich bin in London beheimatet, ich würde gerne die Apotheke übernehmen. Darin bin ich gut, darin liegt meine Stärke.“ Er hörte den Gefühlen des anderen hinsichtlich des Elements Wasser zu und musste lächeln. „Wenn ich an Wasser denke, bekomme ich das beklemmende Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen“, erklärte er im Gegenzug und nickte zu den Informationen hinsichtlich Lord Brandon. „Ich weiß, aber das Risiko war es mir wert. Und was die Namen betrifft. Es geht hier nicht um mein armseliges Leben oder deines, sondern um das Leben andrer. Informationen und Namen sind ein strategischer Rohstoff, das sollte dir ja auch bewusst sein, oder?“ Hier ging es um die Familie Sforza, die so massive Gegner hat, dass es um Leben und Tod ging. Auch wen er Nico nicht besonders schätzte, weil er seine Methoden fragwürdig fand, so wollte er ihm und seiner Familie sicher nichts Böses.

Wie Tancred über seine Sehnsucht nach Freiheit sprach, ließ John lächeln. „Ich kann das nur bedingt nachvollziehen“, erklärte er dann. „Ich habe London nie verlassen und sehne mich auch nicht sonderlich danach. Aber wenn man das Leben auf See gewohnt ist, dann verstehe ich, dass man so fühlt wie du.“ Fakt war, dass er Angst hatte, dass er, wenn er London verließe, nichts mehr haben würde, wohin er zurückkehren konnte. Sein Vater duldete ihn, weil er ihm half und weil er zumindest was die Pharmazie betraf ihm gute Dienste leistete. Würde er gehen, wusste er, dass sein Vater ihn nie wieder bei sich aufnehmen würde. Die Angst davor, heimatlos zu sein, war fest in ihm verankert, genauso wie sie Angst vor Wasser.

Er musste leicht lachen, als er die letzten Worte hörte. „Du armer, einsamer Mann“, sagte er und blickte ihn mitleidig an. „Ich kann dir gerne beim Betrinken heute Abend Gesellschaft leisten, wenn du das möchtest, dann bist du nicht so einsam.“ Er lachte erneut kopfschüttelnd und aß seine Suppe leer, als auch schon das Fleisch aufgetischt wurde.
 

Tancrèd

Dass ein Vergleich unangebracht war, merkte Tancred schon allein an Johns seltsamer Haltung. Sie hatten eine Nacht miteinander verbracht, rein aus dem Zweck heraus, nicht allein zu sein. Es bedeutete nichts und Tancred wusste das nur zu gut. Abgesehen von der Grenze, die schon allein sein Leben und sein Stand ihnen auferlegte... Doch Kieran war offen und herzlich gewesen und hatte sich ihm gerne anvertraut oder einfach offen mit ihm gesprochen. John hingegen war verschlossen, gab nicht viel von sich Preis und auch wenn er gern redete, so erfuhr Tancred nur wenig darüber, wie John empfand. Es faszinierte ihn, weil er zu spüren glaubte, dass da mehr unter der Oberfläche brodelte, und es war ein Anreiz, ein wenig weiter zu bohren wenn sich die Gelegenheit ergab. "Übung macht den Meister, hm? Du bist also keine Katze, die Streicheleinheiten braucht? Vielleicht verpasst du da ja was." Er schob den Teller von sich, als das Fleisch kam, das herrlich duftete. Es war kein altes Fleisch sondern frisches Fleisch von frisch geschlachteten Hühnern und gut abgehangenen Rind. Tancred nahm sich wieder Brot und ein wenig Fleisch und aß weiter, während er Johns Erklärung über seinen Vater lauschte. Es klang traurig... und es kam dem Franzosen vor, als würde er das erste mal mehr über John erfahren, auch wenn der sich selbst scheinbar außen vor ließ und nur darüber sprach, was Kieran und seinen Vater betraf. Doch so wie es klang, klang es verbittert und Tancred meinte etwas wie Gram heraus zu hören. Ein Vater der mit allem unzufrieden war? Ja, das kannte auch Tancred. Und weil John es so schwer fiel, darüber zu sprechen, sprach Tancred einfach darüber, vielleicht half es John etwas klarer zu sehen, dass er nicht der einzige mit diesem Problem war.

"Das klingt beinahe so, als hättest du keine andere Perspektive", erwiderte er ruhig. Das Thema war zu ernst um zu Spaßen. "Ich glaube aber, das siehst du falsch. Ja, einen Familienbetrieb zu übernehmen ist wundervoll, das kann ich mir vorstellen. Aber es ist sicher nicht deine einzige Option. Jemand wie du, mit deinen Fähigkeiten... Du könntest einen äußerst lukrativen Handel betreiben, viel Reisen. Jemanden wie dich oder auch jemanden wie Kieran braucht nicht nur London sondern die ganze Welt." Er lächelte leicht. "Ich wünschte, ich hätte sojemand sein können." Beinahe gedankenverloren musterte er sein Essen. "Ich habe immer das getan, was meine Familie wollte. Ich bin nicht als der Freibeuter geboren worden, der ich jetzt bin.. Du merkst sicher, dass ich Franzose bin und meine Familie hat in Frankreich... sagen wir einfach mal Einfluss. Aber ich bin eben nur eines von vielen Kindern und so sind gewisse Karrieren vorgelegt. Um meine Eltern zufrieden zu stellen, bin ich zum Militär gegangen, um für den Glauben, die gerechte Sache zu kämpfen - aber gut genug war ich ihnen nie. Ja, sie hatten einen Platz für mich und eine Frau und all das, was man eben bekommt, wenn man den richtigen Namen hat, aber das was ich wollte, Anerkennung und ehrliche familiäre Zuneigung? Nicht in dieser Familie." Er warf einen Rinderknochen einem streunenden Hund auf der Straße zu. "Das war zwar mein zu Hause, aber gefühlt habe ich es nicht mehr. Und so bin ich gegangen. Ich hatte keine Ahnung von der Seefahrt, keine Ahnung vom Krieg und von Schiffen. Aber ich hatte mich und ein meiner Meinung nach recht gutes Gespür für den richtigen Zeitpunkt. Und jetzt bin ich hier..." Es war nur gerecht, auch etwas von sich zu berichten und es tat gut darüber zu reden. "Ich vermisse Frankreich...", gab er leise zu. "Ich vermisse die steilen Klippen meiner Heimatstadt, den weißen Fels, den Fluss, den Wein. Dort bin ich geboren und groß geworden, die Sprache ist die Sprache meines Herzens. Heute spreche ich sie nicht mehr, weil kaum einer aus meiner Mannschaft sie spricht. Sie sprechen arabisch oder spanisch.. naja, er ein oder andere kann ein wenig französisch, aber es ist nicht das Gleiche. Die Sehnsucht dorthin zurückzukehren ist immer da, aber ich werde es nie wieder tun. Manchmal ist die Sehnsucht ein Anker. Weil man noch etwas hat, nach dem man sich sehnen kann." Er grinste, so als habe er gerade nicht seine inneren Gefühle offenbart. "Wie dem auch sei, ich bin sicher, du wirst deinen Weg gehen. Und der führt auf jeden Fall heute Abend in eine Kneipe mit mir. Ich bin es wirklich leid, allein zu trinken. Hast du mitbekommen, dass vor der Stadt wegen des Turniers ein etwas größerer Jahrmarkt eröffnet hat? Dort gibt es zwar sicher nur billigen Wein und Ale, aber die beste Vergnügung, was hälst du davon?"
 

John

„Nein, ich bin definitiv kein Kuschelkater, zumindest nicht beim Sex“, bestätigte John. Mit Kieran kuschelte er, weil jener es brauchte, und dieser ihm wichtig war. Aber das hatte ja nichts mit Sex zu tun. „Je weniger Getue, desto lieber ist mir das. Ich hatte bisher erst kaum Typen, bei denen ich den Wunsch verspürt habe, noch einmal mit ihnen in die Kisten zu steigen. Ich denke, das Kuschelsyndrom kommt erst auf, wenn man jemanden auf einer ganz anderen Eben begehrt. Und das ergibt sich selten beim ersten Mal. Ob ich nun etwas verpasse, weiß ich schlichtweg nicht. Was man nicht kennt, vermisst man auch nicht. Und eigentlich ist mir die Unverbindlichkeit ganz recht. Es belastet nicht, es engt nicht ein, man hat keine Verpflichtungen, enttäuscht niemanden und wird nicht enttäuscht.“ Er zuckte mit den Schultern. Er hatte sein Leben lang gesehen, was passierte, wenn man vermisste, wenn man enttäuscht wurde, wenn man betrogen wurde. So wie Kieran gelitten hatte, darauf konnte er auch gut und gerne verzichten. Er hatte schließlich genug andere Probleme. John nahm ein wenig von dem Fleisch. Er hatte schon lange keines mehr gegessen. Sein Vater vertrat die Theorie, dass der Genuss von Fleisch dem menschlichen Körper nicht sonderlich gut zusagt, außer in Form von Brühe und Fisch. John hatte nie begriffen, wie er darauf kam, aber dann kochte er halt eher Gemüse und dergleichen Dinge, wenn sein Vater das wünschte. Wenn er dann Fleisch bekam, dann war ihm der Geschmack ein wenig fremd, aber Huhn zum Beispiel mochte er sehr gerne.

Keine andere Perspektive… John dachte einen Moment über diese Worte nach. „Perspektive“ – er hatte noch nie eine andere eingenommen, als die, die gegeben war. Daher konnte man wohl wirklich sagen, dass dem so war. Was nun folgte, ein Einblick in Tancreds Werdegang, ließ ihn ruhig zuhören, während er aß und den anderen immer wieder prüfend ansah. Tancred bemerkte seine Fähigkeiten - die weltweit gefragt wären? Er könnte reisen? John stellte das erst einmal hinten an und hörte lieber dem Rest zu. Es beeindruckte ihn ein wenig, dass der andere so mutig gewesen war, einfach zu gehen. Die Parallele, die er zu seinem eigenen Leben gab, sah er natürlich. Er ahnte, warum Tancred ihm das erzählte. Er wollte nicht widerspenstig sein, wollte nicht bockig sein wie ein Kind, das schlecht machen, was ihm erzählt worden war, oder leugnen, dass es auf ihn ebenso zutreffen könnte. Daher schwieg er erst einmal, als der andere endete. Er wusste jetzt, was Tancred gemeint hatte, dass er sich gewünscht hätte, ein Talent zu haben, wie er oder wie Kieran, eines bei dem die Zukunft klar ist. Aber ganz offensichtlich hatte Tancred auch Begabungen, denn sonst wäre er definitiv nicht hier. Ein gutes Gespür für Situationen war etwas sehr wertvolles.

Als Tancred fortfuhr und offenbarte, dass er Heimweh, Sehnsucht hatte, nickte John leicht. Er konnte das nachempfinden. Der Gedanke, London zu verlassen – eine Stadt, die ihm so viel gegeben hatte – bereitete auch ihm fast schon Schmerzen. John seufzte innerlich. Nun, er bezweifelte, dass er so mutig sein würde, London jemals zu verlassen, oder seinen Vater, der ihm zumindest ein zu Hause gibt und ihm sein Studium ermöglicht hat. Aber vielleicht sollte er hinsichtlich der Perspektiven einmal sehen, welche es da überhaupt gab. Denn das Reisen und in der Welt sein Glück zu versuchen, bedeutete doch auch immer, auf ein Schiff zu steigen und sich dem Wasser auszusetzen. Ob er das jemals könnte, war wohl ungewiss.

Als Tancred mit diesem verlegenen Grinsen endete, lächelte John, als wollte er Tancred sagen, dass es ihn nicht störte, wenn jener ihm solche Dinge erzählte. Er würde darüber nachdenken. Aber nicht jetzt und nicht hier und nicht in Anwesenheit von Tancred.

„Tut er das“, grinste John, als Tancred auf das Thema der Abendbeschäftigung zurückkehrte. „Das klingt ja so, als hätten wir ein Date. Und ja, habe ich. Kierans Familie ist dort und tritt auf. Aber ich habe es noch nicht hingeschafft.“ Er überlegte kurz, dachte darüber nach. Aber warum eigentlich nicht. Er mochte die Anwesenheit des anderen. Auch wenn ihn dieser Abschiedskuss damals ziemlich irritiert hatte. Ein paar Bierchen zu trinken und sich ein wenig bespaßen zu lassen. Why not? „Ist gut, ich komm mit“, stimmte er schließlich zu. „Dann kann ich Nana auch berichten, wie es ihrem Sohn geht.“
 

Tancrèd

Tancred sah in Johns Blick den Widerwillen, den er wohl zunächst empfand, als er ihm zuhörte und Tancred kannte genau diesen Blick von sich selbst. Man sah so ungern über den Tellerand hinaus, wenn da jemand anders war, der Dinge einfach anders gemacht hatte. Anders, ja. Anders und vielleicht besser. Vielleicht ein Beispiel daran zu nehmen fiel nicht immer leicht und Tancred wusste das nur zu gut. Dennoch sprach er zu Ende und als er geendet hatte und John erneut ansah merkte er, dass das, was er hatte sagen wollen, zumindest bei John angekommen war. Das reichte ihm. Auch wenn er es vielleicht für sich selbst getan hatte, zumindest zu einem Teil, so hatte es gut getan und vielleicht würde es John auch einen Schubser in die richtige Richtung geben, was auch immer das sein mochte.

Als ihre Teller leer waren, bezahlte Tancred die Bedienung. Er hatte ja gesagt er wolle John einladen und teuer war es nicht. Gemeinsam verließen sie die Schenke und schlenderten an der Hafenmauer zu dem Kai hinunter, an dem das Handelsschiff lag, das Johns Ware bringen würde. "Ein Date..", wiederholte Tancred gerade. "Wenn du es so nennen willst. Ich weiß nicht, ob man sinnloses Betrinken als ein Date bezeichnen kann, aber es klingt definitiv besser als "sich volllaufen lassen." Denn nicht weniger hatte Tancrèd vor. Er wusste nicht, ob John sich noch einmal auf ihn einlassen würde, und er wusste auch nicht, ob er das selbst wollte. Ja, Unverbindlichkeit und Sex passten immer hervorragend zusammen, aber ihm war zumindest heute nicht sehr danach. Vielleicht lag es auch an diesem Gespräch, das ihn wehmütig gemacht hatte, er wusste es nicht genau.
 

John

Dass Tancred zahlte, störte ihn nicht sonderlich. Schließlich hatte ihn jener hierher gebracht und angekündigt dass er zahlen würde, und John hatte zudem die Bier des anderen damals im Connor’s gezahlt. Gemeinsam machten sie sich auf zu dem Handelsschiff, das die beauftragten Waren für ihn bereithalten würde. Er mochte es nicht so gerne, den Schiffen wirklich nahe zu kommen. Wenn er doch einmal musste, spürte er immer diese immanente Angst in sich. Manchmal ärgerte er sich dabei über sich selbst. Wieso konnte er da nicht gelassener sein? Tancred holte ihn aus seinen Gedanken. Er grinste. „Ja, ein besserer Name für den Zweck unseres Treffens, aber so nennen würde ich es wohl ehrlich gesagt nicht. Schließlich hat ein Date immer zum Ziel, einen Partner zu finden oder gemeinsam im Bett zu landen. Und das ist nicht meine Absicht.“ Er schlief nie mit dem gleichen Mann zweimal, zumindest schon lange nicht mehr. Denn wenn man sich auf eine Affäre einließ – und zu mehr war er nicht bereit – so endete das meistens in Stress, wie er festgestellt hatte, weil der andere sich dann oftmals Hoffnungen auf etwas machte, was John einfach nicht bereit war zu geben.
 

Tancrèd

Das Handelsschiff war schon von weitem auszumachen und sie hielten gemeinsam darauf zu. Vorn am Kai hatten sie einen Wagen organisiert, der bereits neben dem Schiff wartete, um beladen zu werden, und Tancred ging ganz selbstverständlich die Planke hinauf, bis er merkte, dass John nicht folgte. Behände drehte er sich auf dem dünnen Steg um, der dazu da war die Mannschaft hinunter zu bringen - denn der Laderaum wurde aus einer größeren Luke befüllt und geleert, doch diese Rampe war voller Männer, die Güter heraustrugen. Der Kapitän oben an der Reeling beobachtete den großen Mann mit Augenklappe misstrauisch, der so selbstverständlich über die Planke tanzte, als sei er selbst Seemann... Das bedeutete meistens nichts Gutes. Tancred sah, wie John das Wasser beäugte, und zuckte dann mit den Schultern, ehe er das letzte Stück überwand und sich an den Kapitän wendete. Als der erfuhr, dass er nur die Bestellung von Mr. Forbes abholen wollte, entspannte sich sein Gesicht merklich und er winkte ihm zu folgen. Kurz darauf erschienen beide in der Luke des Laderaumes und der Kapitän gestikulierte in Richtung einiger Körbe und tippte einige Matrosen an, die nach der Arbeit, die sie gerade verichteten, genau diese Körbe zu dem Wagen bringen sollten. Ein großer Mann zwängte sich an Tancred vorbei durch die Luke, schwer beladen mit einem großen Sack Salz. Ein kostbares Gut, das sicher für die Küche des Königs gedacht war. Er schwankte die Laderampe hinunter und wankte dann in Richtung eines bereits ähnlich voll beladenen Karrens hinter John. Tancred folgte ihm kurz mit dem Blick, ehe er sich wieder dem Kapitän zuwandte. Der sah dem beladenen Matrosen noch immer nach und riss im nächsten Moment die Hand hoch und brüllte eine Warnung, aber zu spät.

Als Tancred herumfuhr, sah er nur noch, wie der schwer beladene Mann, der wegen seiner Ladung John absolut übersah gegen den jungen Arzt rempelte, der gerade fasziniert das Wasser beobachtet hatte. Oder eher ängstlich? Auf jeden Fall gab er ihm einen ordentlichen Stoß und John konnte nicht anders, als vornüber den Kai hinab und in das knapp zwei Meter tiefer liegende Hafenbecken zu fallen. Zum Glück fiel er weit genug "vorn" hinein, so dass er nicht zwischen Schiff und Kai eintraf. Naja, das hier war ja kein offenes Gewässer und es war auch nicht endlos. Trotzdem lief Tancred die Rampe hinunter und zu der Stelle an der John wieder auftauchte. Wenn John ruhig schwamm und sich streckte, würde er ihn aus dem Wasser ziehen können.
 

John

Am Schiff angekommen, bremste John ab, während Tancred einfach weiterlief und hinaufsteigen wollte. John blieb in einigen Metern Entfernung stehen. Näher wollte er nicht, fühlte sich jetzt schon wieder unwohl und hatte das beklemmende Gefühl von Atemnot, obwohl er normal atmete. Ein wenig ärgerte es ihn, sich so vor Tancrèd zu verhalten, auch wenn er nicht wusste, warum. Vorsichtig ging er ein Stück auf das Wasser zu, das sich in unregelmäßigen kleinen Wellen am Kai brach. Seine Augen ruhten eine Weile auf der Wasseroberfläche, während er versuchte, sich zu entspannen. Manche behaupteten, dass das Geräusch von Wellen einen beruhigte und einschläfernd wirkte. Er konnte das kaum bestätigen, denn er merkte, dass das Adrenalin durch seine Adern schoss, sein Puls erhöht war. Er versuchte ruhiger zu atmen, sich an seine Position zu gewöhnen, und das war wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass er den Mann nicht sah, der genau in dem Moment, als sich John umdrehen wollte, an ihm vorbei lief, so dass John direkt gegen ihn rannte und dabei das Gefühl hatte, gegen eine Wand zu laufen. John fiel nach hinten, stolperte und im nächsten Moment fiel er rücklings ins Wasser.

London 3 - Atemlos

John

Einen Moment schien die Welt um ihn herum still zu stehen. Er fiel rückwärts in das kühle Nass, das ihn umschloss und ihn durch seine Kälte kurzzeitig in all seinen Bewegungen lähmte. Er sah, wie sich der Wasserspiegel über sich wieder schloss und er gänzlich von Wasser umhüllt war. Das grün-bräunliche Licht um ihn herum, wirkte seltsam und das, was er hörte, mindestens genauso. Aus einem Reflex heraus hatte er den Atem angehalten und fast hatte John das Gefühl in einer Zwischenwelt zu schweben, unabhängig von Zeit und Raum zu sein. Es schien ihm fast, als sehe er sich außerhalb seines Körpers, habe einen fremden Blick auf sich. Er sah Arme, die Arme seines Vaters, die ihn hielten, nach unten hielten, während er versuchte nach oben zu kommen… John riss die Augen auf. Mit einem Mal kehrte in sein Bewusstsein zurück, was gerade geschehen war: er war ins Wasser gefallen. Und mit genau diesem Gedanken schüttete sein Körper so eine heftige Ladung an Adrenalin aus, dass er fast das Gefühl hatte, als würde sein Herz stehen bleiben, wenn es nicht so heftig schlagen müsste. Und der kurze Moment, der absoluten Ruhe und Stille, wurde beendet durch ein heftiges Armeschlagen, dem unbändigen Drang, Luft holen zu müssen, so dass versuchte, sich irgendwie wieder nach oben zu bringen. An irgendetwas stieß er sich ab und als er an die Oberfläche kam, holte er laut Luft, während er mit den Armen schlug und versuchte, irgendwie oben zu bleiben. Aber so einfach war das nicht. Immer wieder strauchelte er nach unten, während seine Arme unkoordiniert ihn versuchten oben zu halten.
 

Tancrèd

Tancred war am Kai in die Hocke gegangen und musterte die Wasseroberfläche unter der er John mit dem weißen Hemd deutlich sehen konnte. Der bewegte sich nicht, zumindest einige Sekunden lang. Dann tauchte John auf und Tancred wollte schon einen amüsierten Spruch ablassen, ehe er merkte, dass John nicht nur nach oben strampelte und Luft holte, sondern in Panik versuchte aus dem Wasser zu kommen. In Panik - und ohne nur den Hauch einer Ahnung davon, wie er Arme und Beine zum ruhigen Schwimmen koordinierte. Menschen starrten ins Wasser, die meisten lachten und deuteten auf den jungen Mann, der immer wieder unterging. Tancred überlegte kein zweites mal, als Johns Kopf abermals unter der Wasseroberfläche verschwand. Er nahm den Hut ab und riss sich die Stiefel von den Füßen, warf die schwere Jacke dazu. Drei Dinge die nicht unbedingt nass werden mussten, ehe er im nächsten Augenblick schon neben John ins Wasser sprang und ihn nach kurzem Auftauchen und Orientieren schon in den Fingern hatte und über Wasser zog. Mit kräftigen Schwimmbewegungen hielt er ohne Probleme sie beide über Wasser, ehe er so laut er konnte gegen Johns ins Wasser platschende Arme anbrüllte. "Ich hab dich ja! BERUHIGE DICH!" Manchmal half bei Panik nur noch ein harscher Befehl, das wusste Tancred nur zu gut. Aber weil John so strampelte und sich leider nicht so leicht beruhigen ließ, konnte er sie beide nicht weit genug über Wasser halten, um John zu den helfenden Händen nach oben zu strecken, die inzwischen dort herabgereicht wurden. Als John sich etwas beruhigte, klammerte er kurz darauf an ihm und Tancred hatte das unbestimmte Gefühl, dass John nicht loslassen würde, um die Hand eines anderen zu ergreifen. "Atmen, verstanden?Atmen!", keuchte er, inzwischen auch angestrengt von dem kurzen strampelnden Schwimmeinsatz. Er hatte ein Ziel vor Augen, mit dem er aus dem Wasser kam. Zwei Matrosen an Deck des Handelsschiffes hatten eine Strickleiter an der Seite des Schiffes unweit von ihnen herabgelassen, die Tancred nach zwei Schwimmzügen greifen konnte und sich so ersteinmal selbst wieder besser zu Atem kommen ließ. John in seinem Arm zitterte wie Espenlaub und machte keine Anstalten sich irgendwie von selbst zu bewegen... und mit jeder Sekunde, die sie mehr im kalten Wasser waren, merkte Tancrèd, wie die Nasse Kleidung schwerer und schwerer an ihnen zog.

Er klemmte John zwischen sich und dem Schiffsrumpf ein, ehe er die Füße in eine der unteren Sprossen der Leiter stellte und sich und Johns Gewicht dann mit den Armen aus dem Wasser hob. Schwerer als gedacht - merkte der Kapitän kurz darauf. John war zwar bestimmt nicht zu schwer für ihn, aber nass, mit schwerer Kleidung und steif wie ein Brett war er nicht die angenehmste Last für eine Kletterpartie. Doch weil Tancred wusste, dass John im Wasser den Heldentod sterben würde und er selbst sicher nicht dabei zusehen wollte, nahm er die Kraft zusammen die er aufbringen konnte und zog sie beide, keuchend und Sprosse für Sprosse am Schiff hinauf, bis zwei starke Armpaare John packten und ihn über die Reeling auf das trockene Deck zogen. Ein anderer Matrose hatte eine Decke geholt und legte sie John über, während Tancred selbst über die Reeling stieg und sein nasses Hemd vom Körper zog, um sich mit einem zweiten Tuch ebenfalls abzureiben. Die schaulustige Menge unten am Kai verzog sich wieder und Tancred ging sofort neben John in die Hocke, rubbelte ihn trocken so gut das mit der nassen Kleidung denn ging. Einer der drei Matrosen brachte einen Becher mit Rum und Tancred hielt John den Becher hin. "Ist es okay?", fragte er leise, wollte jetzt nicht laut darüber sprechen, was er in Johns Augen gesehen hatte, als der im Wasser das erste mal wieder aufgetaucht war. Männer, die ertranken, waren auch panisch.. aber John hatte keinen Grund gehabt, bei so vielen Männern und Menschen um ihn herum in Panik auszubrechen. Er hatte doch selbst gesagt, dass Wasser nicht schlimm war, wenn es nicht endlos war. Und vermutlich auch nur dann, wenn er darin stehen konnte. Es musste etwas vorgefallen sein, irgendwann einmal. Doch Tancred ging es nichts an, also fragte er nicht, sondern bemühte sich nur, John warm zu halten.
 

John

John spürte, wie er immer wieder heruntergezogen wurde. Seine Schuhe, seine Kleidung, alles fühlte sich so schwer an. Während er krampfhaft versuchte, nach oben zu kommen, an die Luft zu kommen, wurden seine Glieder immer schwerer. Hörte er ein Lachen? Wieder erschienen Bilder vor seinem inneren Auge, so als habe er diese Situation schon einmal erlebt. In diesem Moment packte ihn jemand, eine Hand zog und zerrte an ihm. Er tauchte auf und schrie aus einem ersten Impuls heraus. „Bring mich nicht um!“ Doch nun wurde er angebrüllt. Das war nicht die Stimme, die er erwartet hatte. Nicht die Stimme seines Vaters, sondern die von Nadim, einem Freund. Der sagte etwas ganz anderes, als er erwartet hatte.

John wollte ja ruhig sein, wollte sich beruhigen. Aber sein ganzer Körper schlotterte, seine Arme und Beine wollten ihm nicht gehorchen, sondern hatten ihre eigenen Pläne, wie er sich retten sollte. Erst nach und nach wurde er wieder Herr über seine Sinne, zwang seine Hände sich am Hemd des anderen festzuhalten – oder eher festzukrallen, denn dies schien ihm irgendwie die einzige Möglichkeit der Rettung zu sein. Der Befehl, zu atmen, ließ ihn tatsächlich endlich wieder mit einem Zischen Luft holen und es fühlte sich so an, als ob jemand ihm Lebenselixier verabreichen würde. Seine Lungen füllten sich mit Sauerstoff und sein Körper begann noch heftiger zu zittern. Er krallte sich noch immer an Tancred fest, klammerte sich an diesen, wissend, dass nur er ihn hier lebend wieder herausbringen konnte. Als er merkte, wie Tancred die Leiter hinaufstieg, wollte er eigentlich helfen, aber er schaffte es nicht, sich von dem anderen zu lösen, schaffte es nicht, loszulassen und selbst zu klettern. Er hing an Tancred wie eine deutsche Dogge, die sich versuchte sich jemandem auf den Schoß zu setzen.

Je höher Tancred stieg, desto bewusster wurde sich John, was gerade geschehen war. Er zitterte noch immer am ganzen Leib, als er wieder gepackt wurde und an Deck gezogen wurde. Er wollte sich wehren, zwang sich aber loszulassen. Das waren auch helfende Arme, bestimmt oder? Tancred würde nicht zulassen, dass ihn jemand unter Wasser drückte, oder? Johns Verstand schwankte zwischen nüchterner Klarheit und irrationalem Verhalten und es verwirrte ihn. Er war ein Kopfmensch und wenn dieser nicht funktionierte – oder eher: wenn sein Körper sich seinem Kopf widersetzte, dann war das ein sehr unangenehmes Gefühl. John spürte die Decke um sich, setzte sich noch immer zitternd hin, starrte vor sich auf die Holzplanken und versuchte sich zu beruhigen, was aber kaum Erfolg hatte. Gedanklich schalt er sich einen Esel, einen Narr, wenn er hier so saß und sich nicht regte, aber er konnte sich beim besten Willen nicht rühren. Er merkte, dass Tancred vor ihm saß, dass dieser ihn abtrocknete und das tat gut.

Als ihm der Becher mit dem brennenden Geruch gereicht wurde, sah er den Becher einen Moment an, dann blickte er endlich auf und sah Tancred an. Zitternd nahm er den Becher und setzte an, trank einen Schluck. Vielleicht würde das ihn ja wieder zurück in die Realität holen… Der Rum brannte sich seine Kehle hinunter und John gab den Becher weg, ohne noch einen weiteren Schluck nehmen zu wollen. Die Frage des anderen sickerte langsam zu ihm durch. Ob es okay war? John war sich nicht sicher, was er damit anfangen sollte.

Im Moment schien ihm gar nichts okay zu sein. Viel mehr schien alles aus den Fugen geraten zu sein. Aber das konnte Tancred ja nicht wissen. Tancred konnte nicht wissen, dass er soeben ein Puzzleteilchen gefunden hatte, das erklärte, weshalb er schon sein Leben lang Alpträume vom Ertrinken hatte.

Er kuschelte sich tiefer in die Decke, umfasste mit seinen Armen seine Knie und rollte sich so quasi ein, empfand die Decke über sich als Wohltat. Nach und nach ließ er eben diese Bilder, die er da unter Wasser gesehen hatte, Revue passieren. Die Erkenntnis, dass sein Vater ihn hatte im Wasser ertränken wollen, erschreckte ihn noch mehr, als es gerade seine Hoffnungslosigkeit im Wasser getan hatte.
 

Tancrèd

Es war unglaublich, wie John sich von dem eben noch so offensiven frechen jungen Mann zu einem zitternden Bündel gewandelt hatte. Er war nicht mal mehr wirklich ansprechbar, nicht einmal der Rum half, um John klarer sehen zu lassen und ihn zu wärmen. Tancred blieb bei ihm knien, während ein anderer Mann ihm bereits seine Jacke, seine Stiefel und seinen Hut brachte. Doch John kam auch nach einigen Minuten nicht wieder zu sich und weil er sich so einrollte, kam er nichteinmal aus den nasse Sachen heraus. Tancred wusste, dass er handeln musste, weil John sonst krank werden würde. Er griff ihn erneut, diesesmal aber so, dass er ihn bequemer tragen konnte und ging zur Rampe hinüber. "Wehe du zappelst jetzt... dann gehen wir gleich noch mal baden", warnte er John vor, ehe er mit seiner Last die Gangway, die unter ihm stark federte, hinablief. Doch er kam heil unten an, bewegte sich auf der Planke mit traumwandlerischer Sicherheit. Hier war nun wieder fester Boden unter ihren Füßen und Tancreds Blick sorgte dafür, dass sich auch die restlichen Schaulustigen zerstreuten. Noch immer waren ihre Waren nicht ausgeladen, da zuerst der Palast versorgt wurde. Der Kapitän und der Matrose, der John gestoßen hatte, entschuldigten sich fortwährend, doch Tancrèd winkte ab. "Ladet die Waren auf und bringt sie zur Apotheke, ich werde euch dafür bezahlen." Der Kapitän nickte überschwenglich und Tancred wandte sich mit seiner Last ab, ging zurück zur breiteren Hafenmauer, John weiter fest an seine Brust gedrückt. Der Weg zurück zu seinem Gasthof war weit, und so schlug Tancred den Weg zur Apotheke ein. Die lag näher und dort würde John eher passende Kleidung finden. Auch wenn John, immer noch nass und mit der schweren Decke kein Leichtgewicht war, so trug Tancred ihn den ganzen Weg, auch wenn seine Arme schmerzten.

Als sie in die Gasse zurückkamen und schließlich vor der noch immer veschlossenen Türe standen, ließ Tancred den jungen Mann vorsichtig ab. "Kannst du aufschließen?"

Doch Johns Finger waren noch immer zu zittrig und so schloss Tancred schließlich auf und half John hineinzugehen, in den hinteren Bereich und schließlich die Treppe hinauf in Johns Zimmer. Er löste die Decke, die er kaum loslassen wollte, aus Johns klammen Fingern und knöpfte dann dessen Hemd auf, löste seine Hose. Die eiskalte Kleidung musste von John herunter, dringend. Er war das nicht gewohnt. Das Tancred selbst auch noch nass war und die Kleidung unangenehm kalt auf seiner Haut klebte, war dem Kapitän fürs erste egal. Für ihn zählte gerade nur, John nackt zu bekommen und ihn mit einem warmen trockenen Tuch abzureiben, das er von einem Beistelltisch genommen hatte. Er wusste nicht, ob es dafür geeignet war, aber es sah zumindest mal aus wie ein Tuch, das man dafür benutzen konnte, zumal es groß genug war, den anderen damit einzuwickeln. Und weil John nicht redete, tat er was er für richtig hielt. Als die nasse Kleidung endlich von John unten war, wickelte Tancred ihn in das warme weiche Tuch und rubbelte ihn ab, ehe er sich selbst endlich daran machte, sich aus seinem Hemd zu schälen.
 

John

John starrte vor sich hin, merkte kaum, was um ihn herum geschah. Erst als Tancred ihn auf den Arm nahm, ihn trug, kam er wieder mehr in die Realität zurück, er sah den anderen mit einem teils abwesenden, teils fragenden Blick an, wollte etwas sagen, ließ es aber. Stattdessen legte er seine Arme um die Schultern des anderen, bettete seinen Kopf auf dessen Schultern und ließ sich einfach tragen. Später würde ihm das furchtbar peinlich sein. Aber im Moment fühlte es sich gut an, so beschützt zu werden.

Er merkte, dass Tancred die Planke hinunterlief und er wollte lieber nicht darüber nachdenken, dass sie so wieder ins Wasser segeln konnten. Die Worte des anderen ließen ihn leicht lächeln und er nickte kaum merklich. John hielt still und schmiegte sich an den anderen Mann. Er schloss die Augen, hörte nur in sich hinein und versuchte für sich die Bilder zu verarbeiten, die er gesehen hatte. Und je mehr er darüber nachdachte, desto klarer wurden diese Bilder. In John wich jeder Zweifel, dass das keine Einbildung gewesen ist, erwachsen aus seinen Alpträumen. Es war bittere Realität gewesen.

Als Tancred ihn vor seiner Haustür absetzte, griff er zitternd in seine Hosentasche, aus der der Schlüssel zum Glück nicht geglitten war, als er im Wasser versunken war. Er schaffte es nicht, obwohl er langsam wieder mehr zu sich kam. Doch seine Hände zitterten so stark, dass er den Schlüssel fast fallen ließ, anstatt ihn in das Schloss zu stecken und die Türe zu öffnen. Mechanisch schloss er hinter ihnen die Türe wieder, ließ sich von Tancred hinaufbegleiten und führte den anderen Mann in sein Zimmer, das recht unpersönlich eingerichtet war. Er besaß nur das Nötigste, mehr bekam er nicht, hatte er nie bekommen. Das war wahrscheinlich auch einer der Gründe, weshalb er und Kieran gemeinsame Zeit immer bei Kieran oben verbrachten. Unschlüssig stand John im Zimmer, als Tancred ihm die Decke wegnahm und schließlich begann ihn zu entkleiden. Er wehrte sich nicht. Ihm war kalt, sehr kalt seit die Decke weg war. Daher half er ihm, so gut er konnte. Als er schließlich in das Tuch gewickelt wurde, das eigentlich eine Tagesdecke für sein Bett war und von seiner Mutter bestickt worden war, fühlte er sich schon besser. Erschöpft von den Anstrengungen, setzte er sich auf das Bett, sah zu, wie auch Tancred sich entkleidete. „Ich lasse mich eigentlich nie vom selben Mann zweimal ausziehen“, sagte er mit einem Mal unvermittelt und musste über sich selbst grinsen. Ja, langsam beruhigte er sich wieder. Langsam kam er wieder zu sich, wurde er wieder er selbst. Gleichzeitig wurde ihm gerade bewusst, welchen Einblick er Tancred gewährt hatte, in jenen Teil von sich, den er sonst so gut wegsperrte.

Das Grinsen wich bei diesem Gedanken von seinen Lippen und er senkte den Blick. Tancred hatte ihn vollkommen hilflos erlebt, verängstigt. Trotzdem hatte er ihm geholfen, ihn sogar bis hierher getragen. John fühlte sich mit einem Mal wieder sehr unwohl. „Danke für deine Hilfe“, sagte er leise.
 

Tancrèd

Tancred "arbeitete" schnell und ruhig. John aus den nassen Sachen zu bekommen, war die oberste Priorität und als er ihn endlich in die Tagesdecke wickelte ließ Johns Zittern nach. Er setzte sich auf das Bett und das war sicher auch gut, denn das Bett, so glaubte Tancred, war ein Ort, der für John Sicherheit bedeutete. Sicherheit wieder zu gewinnen, nach dem Kampf mit dem Wasser, war auch wichtig. Anscheinend klappte es, denn während Tancred sich umgedreht hatte, um seine nasse Hose, die er inzwischen auch abgelegt hatte, aus dem kleinen Fenster zu hängen, gefolgt von seinem Hemd, konnte John schon wieder freche Sprüche klopfen. Er grinste und drehte sich zu dem Spiegel, von dem aus er John im Bett sehen konnte. Er löste die lederne Augenklappe, die wegen der Feuchtigkeit einen dunklen Abdruck über dem Auge hinterlassen hatte, und wischte den mit dem Finger weg. "Ich ziehe normalerweise auch keine Giftmischer aus dem Wasser", erwiderte er kühl und scheinbar gelassen, ehe er sich grinsend wieder umdrehte und zum Bett kam, um sich ebenfalls zu setzen. Er wollte wenigstens kurz trocknen, solange Johns Vater noch nicht wieder da war.. dDer würde diese Situation wohl falsch auffassen und so wie Tancred ihn kennen gelernt hatte, wäre es besser, wenn er das nicht täte.

"Eigentlich jammerschade diese Einstellung. Du solltest sie vielleicht revidieren. Aber nein, Spaß bei Seite. Ich hätte dich sicher nicht ertrinken lassen, was denkst du denn? Was für ein Kapitän wäre ich wohl und noch viel schlimmer, was für ein Mensch? Das Leben ist unantastbar.. naja, zumindest wenn man kein Spanier ist." Sein verschmitztes Funkeln in den Augen zeigte, dass er es so ernst dennoch nicht meinte. "Es war selbstverständlich, dir zu helfen." Er griff in Johns dunkles Haar und zog eine Alge heraus, die wohl noch am Schiffsrumpf gehangen hatte.

"Werde ich erfahren, warum du nicht schwimmen kannst und in einem so sicheren Hafenbecken in Panik verfallen bist?" Seine Stimme war ganz ruhig, nicht wertend, nicht anklagend, nur ehrlich interessiert. Es war ohnehin eine seltsame Situation. Er hätte besser gehen sollen, nachdem er John hier abgesetzt hatte, aber er war immer noch hier. Irgendwie passte das so gar nicht zu ihm, der normalerweise ganz und gar nicht so anhänglich war. Aber im einsamen London genoss er die Gesellschaft eines "Bekannten", wenn man John so nennen konnte. Mehr als ein paar Bier und eine befriedigende Nacht teilten sie ja immerhin nicht.. und doch war Tancred neugierig auf diesen Mann, dessen schöne Augen und sein wirklich ansehnlicher Körper ihn irgendwie fesselten. Es war dieses etwas, das Tancred in John wahrnahm, das andere vielleicht nicht sahen. Er sah in Johns manchmal schlacksigen Bewegungen eine besondere Eleganz und dessen langgestreckten schlanken Körper nahm er keinesfalls als zu schmächtig wahr, sondern eher wie die Sehne eines Bogens gespannt und doch geschmeidig. Er hatte diesen Blick auf die Menschen um sich herum und wusste, das er damit meist allein war. Vielleicht hatte er ihn auch, weil sein eigenes körperliches Defizit ihm zu schaffen machte, in dem er nur ein Auge hatte - er wusste es nicht genau. Aber an allem, was in seinen Augen schön war oder seine Neugierde weckte, hatte er interesse, und das war nunmal gerade John.
 

John

Die Antwort des anderen ließ John wieder ein wenig schmunzeln. Giftmischer… Nun, das war er wohl teilweise. Aber hauptsächlich beschäftigte er sich eigentlich mit ganz harmlosen Dingen. Aber darum ging es jetzt gerade nicht. Irgendwie gefiel es ihm, von Tancred so genannt zu werden, wissend, dass es im Scherz gemeint war.

Als sich Tancred fast ganz nackt neben ihn auf das Bett setzte, zögerte John einen Moment. Er hatte den Reflex gehabt, seinen Arm auszustrecken und damit seine Decke, die um ihn geschlungen war, zu öffnen, um Tancred darin aufzunehmen. Aber wie würde der andere diese Geste verstehen? Warum hatte er überhaupt diesen Reflex gehabt? Und so blieb es bei einem kurzen Zucken der Hand, einem Kopfnicken in Richtung einer Tür und den Worten. „Durch die Tür ist das Bad... wenn du ein Handtuch möchtest…“

Tancreds Ausführungen darüber, dass er ihn nicht hätte ertrinken lassen, brachten John zum lächeln. „Hm, dann ziehe ich meine Entschuldigung zurück“, sagte er trocken. „Wenn es eh zum Service gehörte…“ Warum konnten die Menschen Dank nicht einfach für sich stehen lassen? Er grinste leicht. „Ich meine es ernst. Ich danke dir! Ohne großen Anspruch auf Menschlichkeit und andere hochtragende Worte wie ‚unantastbar‘“ Die Anspielung darauf, dass Tancred es schade fand, dass John sich nie auf einen Kerl zweimal einließ, ließ er einfach stehen. Auch der Kommentar, dass er seine Einstellung revidieren sollte. Es ging Tancred letztlich nichts an, fand er. Auch wenn dieser gerade wohl einer der wenigen Menschen neben Kieran war, der mehr von ihm wusste. Oder gerade vielleicht deshalb. Letztlich war John klug genug, um sich selbst zu reflektieren. Seine Einstellung schützte ihn und er sah keine Notwendigkeit, diesen Schutz momentan aufzuheben. Gerade jetzt nicht, nicht vor Tancred, der gesehen hat, wie schwach er sein konnte.

Die folgende Frage ließ ihn aus genau diesem Grunde unsicher werden. Eigentlich hätte er damit rechnen müssen, aber erst allmählich gewann sein Verstand wieder die Oberhand in seinem Kopf. Wollte er darauf antworten? Wollte er ihm erklären, weshalb er so panische Angst vor Wasser hatte?

„Ich habe schon immer Angst vor Wasser gehabt, seit ich denken kann. Meine Mutter hat mir einmal erzählt, dass ich fast ertrunken wäre und seitdem diese Angst habe. Sie sitzt tief in mir und ich glaube nicht, dass sie so bald wieder gehen wird, vermutlich.“ John gab eine Antwort, aber nur die, die er früher auch schon erzählt hatte. Mit dem, was er nun wusste, musste er ersteinmal selbst klarkommen, bevor er das Bedürfnis verspürte, es jemandem zu erzählen. „Bei Wasser setzt leider mein sonst recht klarer Verstand komplett aus.“ Er zuckte mit den Schultern und stand auf. Irgendwie wollte er Tancred gerade nicht so nahe bei sich haben. Irgendwie hatte er Angst, er könnte sich an ihn lehnen. Irgendwie war um ihn herum auch deutlich zu viel nackte Haut, die ihn irritierte. Sein Blick war unverhohlen über den so männlichen Körper des anderen geglitten, als dieser eben seine Kleidungsstücke aufgehängt hatte. Tancred war so anders, als die Männer, mit denen er sonst in die Kiste stieg.

John ging zu seinem Schrank, ließ die Tagesdecke fallen und öffnete die Tür. Dann griff er sich Klamotten, die Tancred passen könnten und suchte sich auch gleich selbst welche heraus. Lieber nicht riskieren, das Bedürfnis nach Sex anzustacheln. In schwachen Momenten musste man aufpassen, dass man keine Dummheiten machte. „Möchtest du dich auch waschen? Ich könnte das Wasser warm machen…“, fragte er. „Mein Vater wird noch bis nach Mittag unterwegs sein. Wir haben also noch einige Zeit, aber vorher solltest du wieder mehr angezogen haben, sonst hab ich ein großes Problem.“ Er grinste leicht, als er sich umdrehte. „Ich hab ein paar Klamotten, die dir passen könnten.“
 

Tancrèd

Tancred genoss es, die nasse Kleidung endlich los zu werden. Er mochte es auch auf dem Schiff diese einfach abzulegen und nackt zu trocknen. Das Gefühl von Salz, das langsam auf seiner Haut trocknete und beinahe soetwas wie einen feinen weißen Film hinterließ, das liebte er. So blieb er sitzen als John ihm das Handtuch im Bad anbot und winkte ab. Ihm war viel eher das leichte Zucken des Mannes aufgefallen, das in seine Richtung gegangen war. Es hatte beinahe den Anschein gehabt, als habe John ihn mit unter die Decke schlüpfen lassen wollen, doch er tat es letztendlich nicht. Er lächelte als John seinen Dank ansprach und nickte dann einfach nur.. vielleicht war in diesem Punkt wirklich jede Rechtfertigung umsonst. Er sah sich nebenher etwas in dem Zimmer um und wunderte sich abermals. Irgendwie.. war das alles recht karg und trostlos. John schien nicht viel zu besitzen oder viel zu bekommen.. dabei war Mr. Forbes doch sein Vater, oder? Tancred war in seiner Jugend mit Geschenken überhäuft worden, was sicher auch keine angemessene Behandlung war, doch dieses Zimmer wirkte irgendwie erschreckend unpersönlich. Er erkannte auf den ersten Blick nichts, das wirklich John gehörte oder mit dem er ihn identifizieren konnte. John setzte kurz darauf an, ihm zu erklären, warum er solche Angst vor dem Wasser hatte, und im Grunde war es auch die Erklärung, die Tancred sich zurechtgelegt hatte. Irgendwann musste einmal irgendetwas passiert sein, das dafür gesorgt hatte, dass John einfach Angst hatte. Ob das nun die ganze Geschichte war oder nicht - es machte keinen Unterschied. Was John nicht preisgeben wollte, würde er nicht preisgeben und Tancred drängte ihn nicht. Stattdessen bemerkte er Johns Blick, der über seinen nackten Körper strich. Nicht besonders scheu und unauffällig und so bemerkte Tancred es und er glaubte auch zu erkennen, dass es John gefiel, was er zu bieten hatte. John stand schließlich vom Bett auf, und es glich fast einer Flucht vor ihm, der er John doch gar nicht angefasst hatte. Prinzipien, hmn?

Es war ja nichteinmal der Sex, der lockte. Tancred verspürte nur das dringende Bedürfnis John in den Arm zu nehmen, ihm über den Rücken zu streichen und ihm zu sagen, dass es wieder gut werden würde. Dass der Schreck und die Panik gehen würde und dass er irgendwann die Angst vor dem Wasser ablegen konnte, wenn er denn wollte. Wenn er nicht wollte, dann würde es auch in Ordnung sein. Tancred hatte das unterschwellige Gefühl, dass John genau das brauchte und deswegen wollte er es ihm auch geben. Er betrachtete Johns schöne Kehrseite, seine Schulterblätter, die sich unter der Haut abzeichneten, seine Wirbelsäule, sein Steißbein und die schönen Pobacken, die letztlich in Johns lange Beine übergingen. Er erhob sich ebenfalls, behände und lautlos. Wie schon beim letzten mal war er schneller hinter John, als der das realisieren konnte. Gerade als sich seine Arme um John schließen wollten, drehte John sich um und so zog Tancred John frontal in seine Arme, lehnte sein Kinn auf Johns Schulter. "Mach dir nicht die Mühe.. ich habe ein Bad im Gasthaus und ich mag Salz auf meiner Haut. Wenn die Zeit es erlaubt, dann komm mit ins Bett... und decke dich zu. Du musst dich wieder aufwärmen, dein Körper ist eiskalt." Er spürte Johns Körper an seinem - dessen Körper im Gegensatz zu seiner eigenen schmalere Brust hatte. Und während Tancreds Körper schnell wieder aufwärmte, war John immer noch ein wirklicher Eisklotz. So sah Tancred nicht ein loszulassen, sondern hielt ihn ersteinmal in den Armen.
 

John

Dass Tancred seine Geschichte so hinnahm und nicht weiter nachfragte, war John nur recht. Er hatte Angst, dass Tancred sein Flehen, ihn nicht umzubringen, auf die Geschichte ummünzte und dadurch das herausfand, was er selbst nun definitiv wusste. Er schob den Gedanken wieder zur Seite. Er wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Er konnte Tancred auch nicht so vor die Tür setzen. So bald würde er ihn, wie er ihn einschätzte, wohl nicht wieder loswerden. Und damit sollte er wohl recht behalten...

Als er sich umdrehte, konnte er fast gar nicht anders, als gegen den anderen zu laufen. Die ihn umfassenden Arme zogen ihn an den bemuskelten Körper und John spürte nur zu deutlich, nackte Haut auf nackter Haut. Er fühlte zudem, wie warmer Atem über kalte Haut, seine kalte Haut, strich, wie Hände an seinem Rücken lagen und ruhten. Er nahm wahr, wie das Kinn des anderen auf seiner Schulter abgelegt wurde. Er spürte das leichte Vibrieren des Brustkorbs, als jener begann zu sprechen, und hörte die Worte über seine Haut wanderten. Während er all das bemerkte, regte er sich nicht, schaffte es nicht, aus der Starre zu erwachen. Er brachte es nicht fertig, sich zu wehren, genauso wenig aber auch, zu erwidern. In ihm tobte ein Kampf: sollte er diese Nähe zulassen? Sollte er Tancred in seine Schranken verweisen? Sollte er ihn gar bitten, zu gehen? Er wusste nicht, was er machen sollte, daher lauschte er in sich hinein. Seinen Unterleib sollte er dazu lieber nicht befragen, denn der war durchaus angetan von dem Körper, den er schon einmal hatte schmecken dürfen, dessen Zärtlichkeit er schon einmal genossen hatte. Und er selbst? Wollte er das? Wenn sie jetzt gemeinsam zum Aufwärmen ins Bett gingen, war ja wohl klar, worin das endete, oder? War das Tancreds Intention? Oder war jener wirklich nur darauf bedacht, ihn zu wärmen? Normalerweise wusste er doch auch immer, was er zu tun hatte, in solchen Situationen, oder?

Seine Lippen legten sich küssend auf die Schulter des anderen, sacht leckte er über die Haut. "Schmeckt tatsächlich ziemlich salzig...", murmelte er leise. Vielleicht sollte er einfach darauf eingehen. "Wenn ich mich zudecken lassen soll", fuhr er leise fort und drehte den Kopf etwas, um Tancred leicht von der Seite anzusehen. Doch sein Blick glitt zur Halsbeuge des anderen, in die er sacht hineinbiss und erneut drüberleckte, "dann nur, wenn du mit hinunterschlüpfst und mich wärmst..." Wenn sie jetzt miteinander schliefen, würde das zwar gegen seine Prinzipien verstoßen, aber dann könnte er das entschuldigen, weil jener ihm ja gerade das Leben gerettet hatte, oder? "Mir ist wirklich ziemlich kalt", fuhr er mit einem naiven Touch in der Stimme fort. Er würde einfach aus Dankbarkeit mit ihm schlafen. Das war doch die rettende Idee. Wenn Tancred ihn später danach fragen würde, würde er es ihm genau so erklären, genau. "Aber ich denke, da gibt es das ein oder andere Mittel", wisperte er gegen den Hals und biss noch einmal sacht hinein, "dass mir wirklich sehr, sehr bald viel wärmer ist." Er hatte damals doch auch schon mit ihm geschlafen, um einfach nur ein Bett für eine Nacht zu haben. Dann könnte er ja jetzt mit ihm schlafen, um sich für sein Leben zu bedanken. Da war nichts dabei. Das bedeutete nicht, dass man sich nun öfters sah oder irgendwelche Verbindlichkeiten herrschten, right? "Wie sieht's aus?", er distanzierte sich leicht von Tancred und sah ihn so nun an. "Bringst du mich ins Bett?"
 

Tancrèd

Man hätte ihm statt John auch gerade ein langes Holzbrett in den Arm geben können, es hätte keinen großen Unterschied gemacht. Der Mann in seinen Armen rührte sich einfach kein Zentimeter und stand einfach nur stocksteif da. Tancred, der die Augen geöffnet hatte, sah, wie Gänsehaut Johns Rücken hinab kroch als er sprach und er spürte soetwas wie sachte Erregung in Johns Lenden. Oh.. nun, so hatte er sich das eigentlich nicht vorgestellt. Ja, John war begehrenswert, und Tancred sah das auch, war auch geneigt sofort wieder mit ihm zu schlafen - aber nicht jetzt. Als sich John rührte tat er das nicht, in dem er seinerseits die Arme um Tancred schlang, sondern indem er seine Schulter küsste, und über die salzige Haut leckte. Die warme Zunge jagte ihm einen eisigen Schauer durch den Körper, doch er beherrschte sich, auch wenn es nicht einfach war. Der Biss in seine Halsbeugte sorgte dafür, dass Tancreds Schulter und Nackenpartie versteifte weil er die Muskeln anspannte und er zwang sich, sich doch von John zu lösen, sah ihm in die hübschen blauen Augen. "Ich werde dich wärmen..", erwiederte er ruhig und ging dann ein Stück zurück, so dass der Weg zum Bett frei war und er John anheben und hinein"werfen" konnte, ehe er die Decke zurückzog und sich neben ihm in das Bett gleiten ließ. Weil es nicht so breit war, waren sie ohnehin gezwungen dicht beieinander zu liegen und Tancred zog John wieder in seine Arme und die Decke über sie beide. Zwischen zwei nackten Körpern war der Wärmeaustausch tatsächlich am besten, und nur deswegen war er jetzt auch noch nackt. Seine warmen Hände rieben über Johns kalten Rücken, um die Durchblutung wieder anzuregen, doch als John den ersten Versuch machte, seine Hände in Richtung seiner Leiste zu schieben, drückte Tancred sie entschieden weg und sah ihm direkt in die Augen. "Dieses Mittel solltest du nicht zum Aufwärmen in Erwägung ziehen." Er legte Johns Hände auf seiner Hüfte ab. "Ich glaube dir, wenn du sagst, dass du nicht mit dem gleichen Mann zweimal schläfst. Ich glaube, dass du deine Prinzipien hast und ich werde nicht aus dieser Situation, in der du dich befindest, versuchen, meinen Nutzen zuziehen. Ich will dich wärmen und nicht ausnutzen, auch wenn dir das nicht logisch erscheinen mag. Bitte denke nicht, es sei, weil ich dich nicht attraktriv finde, denn in meinen Augen bist du wunderschön. Aber jetzt lass mich dich nur wärmen, schließe die Augen und versuch bitte einfach nur ein wenig Ruhe zu finden." War er streng? Nein, aber seine Stimmlage war deutlich. Wohl auch, weil es nicht wirklich einfach war, John zurückzuhalten. Einfach nachzugeben hätte nämlich durchaus auch seinen Reiz gehabt. Doch was dann? Er wollte nicht, dass es aussah als würde er es fordern dafür, dass er Johns Leben gerettet hatte. Und da waren immer noch die Worte, die John gesagt hatte, als Tancred ihn das erste mal wieder über Wasser gezogen hatte. Bring mich nicht um! - mit diesem Flehen in der Stimme. Nein, mit was auch immer John zu kämpfen hatte, Tancred wollte nicht, dass er versuchte, es mit dem Sex zu verdrängen.
 

John

Etwas an den Worten „Ich werde dich wärmen.“ klang seltsam, aber John kam nicht gleich darauf. Als Tancred ihn mal wieder einfach hochhob und ins Bett buxierte, war dieser Gedanke aber gleich wieder verfolgen. Nun, dann würde er sich so revanchieren, für sein Leben, das ihm der andere erhalten hatte. Er konnte sich Schlimmeres vorstellen, als mit Tancred ins Bett zu gehen. Ganz im Gegenteil, es war durchaus eine angenehme Vorstellung. Vielleicht würde er auch den Arsch hinhalten, wenn Tancred das so wollte. Das war er ihm schuldig, oder?

Irgendwie fühlte sich John gerade nicht so wohl in seiner Haut, aber er wusste nicht weshalb. Er legte auch seine Arme um den viel männlicheren Körper des anderen und genoss es, wie dessen Hände über seinen Rücken rieben. Er spürte, dass ihm tatsächlich nach und nach wärmer wurde. Sacht begannen seine Finger schließlich über den Körper des anderen zu wandern. Wenn er ihn schon zu sich ins Bett zog, sollte er ihm auch etwas bieten, nicht wahr? Neckisch strichen seine Finger über die Hüftknochen, wollten die Leiste hinunterwandern, als sich eine Hand mauf die seine legte und seine Hand wieder zurück auf die Hüfte gelegt wurde. Irritiert blickte er Tancred an. Jetzt wurde ihm klar, was ihn vorhin gestört hatte: Die Worte waren ohne jeden Touch von Lust oder Erotik gesprochen worden, so nüchtern und sachlich, nicht verrucht oder neckend. Auch die Berührungen an seinem Rücken schienen jetzt wirklich nur darauf aus zu sein, ihn zu wärmen. John war sichtlich irritiert. Was sollte das denn jetzt? Wurde er gerade abserviert?

Tancreds Worte schienen das zu bestätigen. Es verwirrte John zutiefst. Wurde er da gerade wirklich abserviert? Sonst hatte doch auch niemand ein Problem damit, ihn zu nehmen und zu benutzen, wie er es brauchte. Was sollte das? Aber Tancred schien sich absolut sicher zu sein, nicht mit ihm schlafen zu wollen, ihn wirklich nur wärmen zu wollen. In ihm regte sich erschrockener Unmut. War er nicht schön genug? Sein Körper nicht ansprechend? Seine Augen blickten Tancred kritisch musternd an. Es war dem anderen wirklich ernst. Er wollte die Situation nicht ausnutzen, sein Angebot nicht annehmen, tatsächlich hier nicht mit ihm schlafen. Trotzig zuckte er mit den Schultern, distanzierte sich etwas vom anderen und schloss die Augen, wie befohlen. Wollte der Kerl doch wirklich nicht mit ihm schlafen! Tze

John merkte, dass es ihn wurmte, dass er das Gefühl hatte, nicht gut genug zu sein oder nicht begehrenswert. Oder war der andere wirklich ehrlich? Kaum vorstellbar. Noch während er dalag und die Augen geschlossen hielt, um dem anderen nicht in die Augen sehen zu müssen, merkte er gar nicht, wie die Müdigkeit von der kurzen Nacht und dem aufregenden Morgen ihn übermannte und einschlafen ließ.
 

Tancrèd

Anscheinend hatte John aus seinen Worten tatsächlich noch nicht ableiten können, dass Tancred nicht gewillt war, jetzt mit ihm zu schlafen. Es kam ihm einfach falsch vor und er wollte nicht den Eindruck erwecken, John nur gerettet zu haben, um in den Vorzug zu kommen noch einmal mit ihm in der Kiste zu landen. So war es nicht. Tancred Interesse an dem jungen Mann ging über das körperliche hinaus. Eigentlich war es nichteinmal Teil seines Interesses, denn er nahm an, dass er selbst nicht in Johns Beuteschema fiel. Für ihn selbst gab es soetwas wie "Beuteschema" nicht. Er nahm natürlich nicht "alles" und "jeden", auch er hatte seine Vorlieben. Doch wenn ein Mensch ihn beeindruckte und faszinierte, dann war ihm das ziemlich egal, wie er aussah, ob er größer und kräftiger war oder eben kleiner und oder schlanker. Es kam darauf an, ob die Chemie stimmte. Da er Johns Worten glaubte, dass der es lieber unkompliziert hielt und sich auf niemanden ein zweites Mal einließ, hatte sein unmoralisches Angebot jetzt noch mehr den Beigeschmack einer Widergutmachung und das wollte Tancred nicht. Wenn John ihn noch mal wollte, dann, weil er im wahrsten Sinne des Wortes heiß auf IHN und seinen Körper war. Weil er ihn wollte, nicht weil er das Gefühl hatte zu müssen.

Als John das realisierte, distanzierte er sich von Tancred und der nahm an, mit dieser Einschätzung richtig zu liegen. Doch John warf ihn nicht hinaus, sondern ließ sich wärmen und schlief schon bald darauf ein. Tancred bemerkte es an der ruhiger werdenden Atmung und der Tatsache, dass John sich in seinen Armen langsam entspannte. Schlaf tat ihm vielleicht wirklich gut. Er würde sich erholen können und auch Johns Körper wurde wieder wärmer. Als er ihn warm genug empfand, löste sich Tancred langsam von ihm, vor allem weil er auch das Gefühl hatte, dass die Zeit schon weit genug fortgeschritten war und er auf gar keinen Fall mit Mr. Forbes zusammenstoßen wollte. Also erhob er sich lautlos, nahm seine Kleidung, die in der Mittagswärme halb getrocknet war, zog sie über und verließ die Apotheke, ohne John zu wecken. Als er die Türe hinter sich schloss und leise pfeifend die Straße zu seiner Gaststätte hinunter ging, beschloss er für sich, John auf jeden Fall heute Abend abzuholen. Vielleicht glaubte John nicht mehr daran und vielleicht wollte er das auch gar nicht, doch Tancred würde es tun, weil es ausgemacht gewesen war. Wenn John dann, im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und wieder eins mit sich selbst immer noch auf eine zweite Runde pochte, dann würde er wohl nicht mehr Nein sagen.

London 3 - Jahrmarkt

John

„Steh auf, John! Sofort!“ Die Stimme seines Vaters war durchdringend wie eh und je. John richtete sich leicht auf und sah ihn in der Tür stehen. „Es ist helligster Tag, unten steht die Lieferung und keiner kümmert sich. Das ist ja mal wieder typisch für dich. Nachts unterwegs sein, sich prügeln und sich betrinken und tagsüber nicht arbeiten können. Nutzlos bist du, absolut nutzlos. Du wirst dir noch das letzte bisschen Verstand wegsaufen,eine Schande bist du. Steh gefälligst auf, Taugenichts!“ John schwang die Beine aus dem Bett und merkte erst jetzt, dass er nackt war. Langsam kehrten die Erinnerungen daran zurück, weshalb er überhaupt eingeschlafen war. John sah sich um, aber nichts deutete darauf hin, dass Tancred noch hier war. Der kurze Schreckmoment hatte sein Herz wieder zum Laufen gebracht. „Zieh dir gefälligst was an, du Nichtsnutz! Liegt der einfach nackt ins seinem Bett! Und warum riecht es hier eigentlich so nach Fisch?“ John kehrte mehr und mehr ins Hier und Jetzt zurück und mehr und mehr kehrten die Erinnerungen an den Vormittag zurück. Er stand auf, ging ins Bad, um sich zu waschen und kurz mit kaltem Wasser abzuduschen, bevor er endlich wieder angezogen unten im Laden auftauchte und wortlos an die Arbeit ging. Beim Arbeiten konnte er wenigstens nachdenken. Es gab vieles, worüber er nachdenken musste. Zum einen, was dieser Sturz ins Wasser ausgelöst hatte in ihm, zum anderen, warum Tancred die Situation nicht ausgenutzt hatte, warum er ihn verschmäht und zurückgewiesen hatte, warum er seine Schuld nicht einfach so begleichen hatte können. Der Mann machte ihn fertig. Legte sich nackt zu ihm ins Bett, um ihn zu wärmen, und ging nicht auf das Angebot ein, mit ihm zu ficken. Irgendwie begriff er nicht, was in Tancred vor sich ging. Vielleicht hatte jener ähnliche Prinzipien wie er selbst. Vielleicht hatte es daran gelegen. Er wusste es nicht… Aber ein wenig ärgerte es ihn schon, ein wenig war er eingeschnappt, ein wenig war er beleidigt. Ihn von der Bettkante zu verweisen.. das war ihm auch noch nie passiert. Dennoch berührte ihn dieses Verhalten auch ein wenig. Welcher Mann hätte das nicht ausgenutzt, oder? Welcher Mann hätte einer schönen willigen Beute widerstehen können?

Aber andererseits: Was wäre anschließend gewesen? John wusste, dass er Tancred anschließend vor die Tür gesetzt hätte, mit irgendeinem Satz, der den anderen möglichst für immer aus seinem Leben verscheucht hätte.

Und jetzt? Jetzt würde er ihn wohl zwar nicht mehr so schnell wiedersehen, aber wenn sie sich begegnen würden, dann würden sie ganz normal miteinander umgehen können. Diese Tatsache freute ihn irgendwie.

Die andere Sache beschäftigte ihn aber genauso sehr, während er den gesamten Nachmittag dabei war, sich von seinem Vater herumkommandieren und herumscheuchen zu lassen. Er widersprach nicht, murrte nicht, tat einfach, was ihm aufgetragen wurde, während der Alte sich irgendwann beruhigte und sie ihre gewohnte Arbeitsatmosphäre wieder hatten - Schweigen. Das stille Abkommen, sich einfach in Ruhe zu lassen, bestand wieder. Trotzdem konnte sein Vater es nie lassen, Fragen zu stellen, die ihn schmerzten. „Wann sagtest du, käme Kieran endlich wieder?“, fragte sein Vater, nachdem er eine Tinktur abgefüllt hatte, die John gerade produziert hatte. „Er wird wohl morgen kommen, davon gehe ich aus“, sagte John und ließ sich nicht provozieren. „Ansonsten reite ich zum Anwesen der Sforzas und werde ihn bitten, dir zu helfen.“ „Ja, mach das“, sagte sein Vater erleichtert. „Das wäre wenigstens eine gute Tat von dir.“

John nahm sich das eigentlich schon lange nicht mehr zu Herzen. Aber heute und nach dem, was er heute erlebt hatte, schmerzte es doch. Do ging er einen Moment hinaus, atmete tief durch, setzte sich auf die Treppe und genoss die kühle Abendluft, die durch die Gassen hinaufzog. Dass sein Vater als Kind versucht hatte, ihn umzubringen, das wunderte ihn nicht. Und doch war diese Information sehr heftig. Kein Wunder, dass er sie verdrängt hatte bis zum Vergessen. Was sollte er damit tun? Wie sollte er damit umgehen?

Tancreds Lebensgeschichte kam ihm wieder in den Sinn. Sollte er vielleicht doch einmal überlegen, weg zu gehen? Dieses Leben einfach hinter sich zu lassen? Aber ohne Abschluss und ohne bedeutenden Namen, würde er nie das machen dürfen, was er wirklich konnte. So einfach war das nicht, wie man das so sagte.
 

Tancrèd

Tancred war zurück zu dem Gasthaus gegangen, in dem er wohnte, hatte sich ausgiebig gewaschen und rasiert - oder eher: Kadmin hatte ihn rasiert. Der Araber hatte offenbar eine lange Nacht hinter sich und hatte noch geschlafen, doch ein nackter Tancred im Bad hatte ihn offensichtlich aus dem Bett getrieben. Nach all dem was Tancred am Morgen gesehen hatte, nach all dem was er zurück gehalten hatte, nahm er das unterschwellige Angebot seines ersten Maats nach ein wenig Zweisamkeit an. Dennoch fühlte es sich schal und seltsam an... Kadmin war schon lange nicht mehr das, was er wollte, und als er die Lippen des Arabers überdeutlich an seinem Körper gespürt hatte, war ihm das noch klarer geworden. Kadmin schien sein Desinteresse bemerkt zu haben und hatte es nach dem recht kurzen Intermezzo eilig gehabt, das Gasthaus wieder zu verlassen. Tancred hatte sich mehr Zeit gelassen.

Nach dem Bad hatte er sich saubere Kleidung angezogen und war durch die Straßen geschlendert. Er hatte zwei Pferde für den Abend bestellt und schon bezahlt, damit er und John zumindest den Weg hinaus nicht laufen mussten, da dieser doch recht weit war. Danach hatte er sich umgesehen und in der Stadt bereits einige der Gaukler angetroffen, die kunstvolle Masken für den Abend verkauften. Anscheinend war das etwas besonderes, Tancred fand die Masken amüsant. Er probierte die ein oder andere an und entschied sich bequemerweise für eine Maske in schwarz und Rot mit kunstvollen Federn, die nur eine Öffnung für sein gesundes Auge hatte. Und er kaufte auch eine für John, auch wenn er nichteinmal wusste, ob der mitkommen würde. Er wählte eine in hell- und dunkelblau, die Johns Augenfarbe unterstreichen würde. Beide Masken verdeckten nur das halbe Gesicht, doch das reichte und Tancred packte sie vorsichtig in ein Tuch. Nachdem er noch etwas gegessen hatte, kehrte er zurück in das Gasthaus und gönnte sich auch noch zwei Stunden Schlaf, ehe er aufstand, sich anzog und sich auf den Weg machte. Es versprach eine angenehmere Nacht zu werden, die Luft wurde kühler und es ging ein angenehmes Lüftchen in den Gassen. Er schlenderte zu dem Stall, hatte sich einfache aber bequeme und ordentliche Kleidung angezogen, die die Maske unterstreichen würde. Am Stall angekommen ließ er sich die beiden Pferde geben, schwang sich auf das eine und nahm das andere am Zügel. Es strömten bereits einige Menschen in Richtung Stadttore, so dass er nur langsam vorankam, doch Tancred hatte es nicht eilig. Entweder John würde noch da sein oder eben nicht. Wenn er nicht da war, dann würde Tancred alleine gehen. Als er in die Gasse bog, die wie erwartet ziemlich leer war, sah er von weitem bereits eine Gestalt auf den Stufen vor dem Laden sitzen.. John? Er ließ die Pferde in ruhigem Schritt die Straße hinauf trotten und zügelte sie beide neben dem jungen Mann, der ihn gar nicht wirklich wahrgenommen hatte. Zwar hatte John irgendwie geradeaus gestarrt, doch er schien in Gedankn versunken zu sein. "Und so willst du wirklich ausgehen? Also ich dachte, du machst dich hübscher für mich." Er grinste schief. "Wobei du mir vorhin eigentlich am besten gefallen hast. Aber ich glaube, das wäre unangemessen." Er grinste noch immer und warf John die Zügel des Beipferdes zu. "Na los, es wird bereits dunkel. Oder hast du noch zu arbeiten? Dann werde ich warten.. oder deinem Vater verdeutlichen, dass ich dich unbedingt brauche für einen sehr wichtigen Termin." Er zwinkerte ihm zu, war bester Laune. Vor allem weil John so gar nicht bester Laune schien.. er wollte ihn aufmuntern.
 

John

John fröstelte leicht, aber er registrierte es kaum. An den Geräuschen im Laden wusste er, dass sein Vater sich zurückzog und er nun endlich wieder seine Ruhe hatte. John seufzte und ließ einen Moment den Kopf hängen. Vielleicht sollte er aufgeben, diesen stummen und sinnlosen Kampf zu kämpfen. Sein Vater würde ihn nie akzeptieren, würde ihn nie anerkennen. Er war viel zu verbittert, als dass er das könnte. Und er würde sich nie ändern. Aber könnte er ihn allein lassen? Allein mit der ganzen Arbeit, die das Geschäft und die Patienten bedeutete? Zumindest sollte er das Studium abschließen, dieses eine Jahr noch... So lange würde er es doch aushalten, oder? Er hatte es bisher doch auch geschafft! Und dann? Was würde er dann machen? Reisen? Bei seinen Ängsten? Nun vielleicht sollte er die einfach abbauen... Sicher, das war leichter gesagt als getan. Aber wenn diese Angst wirklich sein Vater zu verantworten hatte, dann - so kam es John vor - war der einzige Weg, sich von seinem Vater zu lösen, eben diese Angst zu bekämpfen.

Er bemerkte den Reiter und die beiden Pferde wirklich erst, als sie vor ihnen zum Stehen kamen. Er blickte auf. Sicher wollte jemand nur nach dem Weg fragen...

Die Stimme, die Worte - Tancred.

Irgendwie musste John unwillkürlich schmunzeln. "Ich bin immer hübsch", konterte er prompt und fing die Zügel auf. "Und zugegebenermaßen bin ich nackt wirklich am schönsten. Auch wenn das nicht jeder zu schätzen weiß." Er sah den anderen einen Moment von unten her an. "Aber wie mir scheint, hast du dich für mich hübsch gemacht. Und solche Mühe sollte ich wohl anerkennen." Er stand auf und reichte Tancred die Zügel. "Gib mir fünf Minuten."

Er ging ins Haus, schloss den Laden ab und ging in sein Zimmer, um sich schnell umzuziehen. Er zog eine enganliegende, dunkle Lederhose und ein ebenfalls relativ enges Hemd an. Dann fuhr er sich mit angefeuchteten Händen durch die Haare. Er nahm etwas Geld, dann verließ er das Haus aus dem Nebeneingang.

Irgendwie freute es ihn, dass Tancred ihre Verabredung nicht platzen hatte lassen, auch wenn er so gar nicht mit ihm gerechnet hatte. Außerdem hatten die Worte des anderen ein wenig versöhnlich geklungen. Die Chance, die er Tancred geboten hatte, ihn noch einmal haben zu dürfen, würde er sicher nicht so bald wieder wiederholen. Aber er würde auch keine Chance auslassen, ihm klar zu machen, was er verpasst hatte. Mal sehen. Ein wenig war er ja auch dankbar für die Ehrlichkeit und vor allem die Uneigennützigkeit des anderen. Er freute sich nach diesem durch und durch beschissenen Tag, rauszukommen und sich ablenken lassen zu können.
 

"So", sagte er und sah Tancred an. "Ich hoffe, du nimmst mich so mit." Er trat an sein Pferd heran, nahm Tancred die Zügel ab. Er war kein besonders guter Reiter, aber das Pferd wirkte gelassen und ruhig auf ihn. Daher richtete er die Steigbügel, gurtete nach und saß schließlich auf. Zumindest hatte er in letzter Zeit die Möglichkeit gehabt, mehr Erfahrung zu sammeln.

John übernahm die Führung und lenkte sie ein wenig abseits, wo wenigstens nicht so viele auf den Straßen unterwegs waren. Als sie schließlich ankamen, blickte sich John vom Pferd aus kurz um. "Lass sie uns bei Kierans Familie unterbringen", schlug er vor und stieg ab, als er sie erspäht hatte, um die Tiere dorthin zu führen. Er kannte die Familie von den Besuchen, die sie Kieran abgestattet hatten. Als er erkannt wurde, wurden sie herzlich begrüßt von Kierans Mutter, Fatih und seinem Vater. "Das ist Tancred de Nerac, der Kapitän auf dessen Schiff Kieran mitgesegelt ist", stellte John seine Begleitung vor. Nachdem sie schließlich über Kieran genug erzählt hatten, schafften sie es endlich wieder loszukommen, um sich auch den Rest des Jahrmarkts anzusehen. "Entschuldige", sagte John, "dass ich dir damit Zwit gestohlen habe, aber das war wichtig. Kieran hat sie nicht mehr gesehen, seit er mit dir losgezogen ist. Er hat ein schlechtes Gewissen, vielleicht beruhigt es ihn ein wenig, dass ich erzählt habe, wie es ihm geht."
 

Tancrèd

Tancred wusste nicht genau, welche Ängste und Wünsche und Befürchtungen John plagten, er wusste nur, dass John ein nicht gerade kleines Paket zu Schultern hatte, und das tat ihm wirklich leid. Er mochte den jungen Mann sehr, das hatte er gemerkt. John war ihm einfach sympathisch und das war eine schöne Grundlage für diese Bekanntschaft und er konnte sagen, dass er John einfach um seiner selbst willen mochte, vielleicht auch, weil der ihn so an sich selbst erinnerte. Als er jetzt auf dem Pferd saß und auf John herabsah konnte er erkennen, das der gar nicht mit ihm gerechnet hatte. Doch das Lächeln, das langsam die dunklen Schatten aus Johns Gesicht vertrieb, war es mehr als wert. Er nahm die Züge wieder entgegen und wartete auf John, der wirklich nicht lange auf sich warten ließ. Als er wiederkam konnte sich Tancred einen anerkennenden Pfiff durch die Zähne nicht verkneifen. Es gab wenige eng geschnittene Hemden, doch John trug eines und es kleidete ihn ungemein. "Ich denke es wird dem Zweck genüge tun" erwiderte er auf Johns Frage und gemeinsam verließen sie langsam die Stadt.

Tancred hatte es nicht eilig und hatte erhlich gesagt auch noch keine Idee, wo sie die Pferde unterbringen konnten. John hatte allerdings eine Idee und so lernte Tancred kurz darauf die Familie des Mannes kennen, den er eine Nacht in seiner Kajüte durch die Laken geschubst hatte. Vermutlich war sein Lächeln deswegen so breit, aber er ließ sich nichts anmerken. Sie gaben die Pferde bei der Familie ab und Tancred nahm die Masken, noch immer im Tuch verborgen, mit, als sie den Lagerplatz der Familie Carney verließen.

Johns Entschuldigung winkte er ab. "Es ist schon in Ordnung. Er wird wenig Zeit haben, sie zu besuchen, und sie freuen sich sicher über jede Nachricht von ihm. Hier, ich habe etwas für dich." Er zog die eigene Maske aus dem Tuch und reichte John die schön verzierte zweite, ehe er seine sogleich anlegte. Die meisten Besucher liefen hier mit diesen Masken herum, die dazu dienen sollte die Standesunterschiede zu verschleiern... und wohl noch mehr zu verschleiern, welche Personen aus Glaubensüberzeugungen oder weil sie Ehefrauen hatten, hier besser nicht zugegen sein sollten. Es war einfach ein Schutz und Tancred mochte die Anonymität der Masken, auch wenn er sie fast nicht brauchte. Er pochte nicht auf seine adelige Herkunft, auch wenn sie ihm ab und an anzumerken war, wenn er es darauf anlegte. So schlenderten sie bald darauf gemeinsam über den Jahrmarkt, erstanden etwas zu Essen, sahen einigen Schaustellern und deren Spektakeln zu und hatten alsbald jeder einen gefüllten Becher Würzwein in der Hand. Die Gewürze tünchten sehr sicher übder den schlechten Wein hinweg, der morgen für Kopfschmerzen sorgen würde, doch das war Tancred egal. Er wollte feiern und der Wein war stark, also würde er auch gut für den nötien Trunkenheitsgrad sorgen. "Ich hoffe, ich verliere dich nicht im Getümmel.. am Ende werde ich noch von wilden Weibern angegriffen..." Denn die Chance, dass das passierte, war für einzelne Männer wesentlich größer als für zwei. "Das Hemd gefällt mir übrigens." Er deutete auf Johns Oberteil. "Es kleidet dich gut." Der Blick aus Tancreds einem einzeilnen Auge reichte bereits, um John zu verraten, dass seine Kleidung mehr verriet als verbarg.. und dass es Tancred gefiel.

Sie standen noch in der Nähe des Zeltes, in dem Wein und Bier ausgeschenkt wurden, und waren nur ein Stück zur Seite gegangen. Tancred sah den jungen Mann, der sicher auf sie beide zusteuerte erst, als der schon direkt vor ihnen stand. Und offenbar war es kein Interesse, das er an ihnen beiden hatte, sondern eher das Wissen, dass er John kannte. Und John schien ihn auch zu erkennen. Im ersten Moment und ohne genaures Hinsehen hatte Tancred den Mann von Statur und Größe für Kieran gehalten, doch beim zweiten Blick im Dämerlicht sah er, dass es ein Mann mit hellbraunem Haar war, der noch ein wenig zierlicher Gebaut war als Kieran. Er schob sich direkt an John heran, ließ irgendeine Bemerkung fallen die wohl "Da bist du ja endlich!" hätte heißen sollen, und .. Tancreds Augenbraue wanderte in die Höhe .. hatte wohl den Plan direkt beherzt zuzugreifen. John war schon dabei zurückzuweichen und Tancred grinste. Da John sich leicht von ihm weggedreht hatte, griff der Franzose von hinten um John herum, zog ihn mit einem Ruck an seine Brust und legte seine Hand über Johns Schoß, so dass der Vormarsch ihres "Gastes" gestoppft wurde und er zum ersten mal, sichtlich irritiert, den dunklen Mann hinter John wahrnahm. Der sah über Johns Schulter nach vorn und legte den Kopf zur Seite. "Das da unten mein Lieber ist französisches Hoheitsgebiet. Dahin fasst niemand außer mir - und darauf setzt sich niemand außer mir. Verstanden?"
 

John

Eines, was ihm Tancred sehr sympathisch machte, war, dass dieser seinen Humor zu nehmen wusste. Er verstand seine Ironie, die immer leicht mitschwang, und mit der einige wirklich große Probleme hatten. Ironie war das, was ihn in diesem Leben irgendwie oben hielt, Ironie und Sarkasmus. Er war zum Glück noch nicht so zerfressen, dass er nicht auch ernst sein konnte, oder nur noch sarkastisch daherredete, und wenn er einmal merken sollte, dass dem doch so wäre, würde er sich freiwillig noch einmal ins Hafenbecken begeben… Der Pfiff des anderen kam ihm schon entgegen, und als jener ihm eben seine Ironie aufgreifend bestätigte, dass er sich so sehen lassen konnte, merkte John, dass die eben noch so düsteren und beklemmenden Gedanken mehr und mehr schwanden und seine eigentliche Unbefangenheit zurückkehrte.
 

Als Tancred ihm vor dem Lager der Carneys etwas, eine Maske überreichte, war John etwas überrumpelt. Er wusste ehrlich gesagt nicht, wann er einmal etwas Derartiges geschenkt bekommen hatte. Aber er wäre nicht John, wenn er sich seine Überraschung sehr lange ansehen ließe. „Du hast ein gutes Auge für Schönheit, wie mir scheint“, sagte er lächelnd und betrachtete Tancred kurz, der die seine angelegt hatte. Er hob die Hand und richtete eine der Federn, die etwas unpassend abstand. Dann legte er die seine an. Ihm war nicht entgangen, dass die Farben passend zu seinen Augen ausgesucht worden war. Es erstaunte ihn, dass Tancred über solche Dinge nachzudenken schien – denn für Zufall hielt er es nicht. Es hatte auch schon Leute gegeben, die geglaubt hatten, dass er dunkle Augen hätte. Aber Tancred schien genau hingesehen zu haben, sich darüber sogar Gedanken gemacht zu haben. Das verwirrte John, was er allerdings versuchte zu überspielen. „Und?“, fragte er. „Ich würde sagen, sie passt perfekt“, gab er auch schon die Antwort und musste lächeln, blickte Tancred einen Moment länger an, als es vielleicht nötig gewesen wäre und drehte sich dann weg. Irgendwie wusste er gerade gar nicht, wie er diesen Mann behandeln sollte, wie er ihn einschätzen sollte, was jener wohl vorhatte. Er hatte keinen Sex gewollt, und jetzt das? Irgendwie passte das alles nicht zusammen.

John genoss den Jahrmarkt, auch wenn man es ihm wenig ansah. Die Schausteller waren etwas, was er bewunderte, wofür er Kieran vielleicht auch ein wenig beneidete. Auch die Marktstände waren voller kleiner Kostarkeiten und wunderbaren Dingen. Es gab viel zu sehen und an einer unfassbar teuren Waage, von deren Art er definitiv eine gut gerbauchen könnte, hatte sein Interesse etwas länger als sonst gepackt. Dennoch war er keiner, der mit Kulleraugen umherlief und alles bestaunte. Er war jemand, der sich für sich freute, im Inneren. Vielleicht, weil er nie jemanden gehabt hatte, mit dem er sich zusammen hatte freuen können. John aß sich satt, hatte er doch seit heute Morgen nichts mehr bekommen. Schließlich besorgten sie sich noch etwas zu trinken und Johns Augen strichen über die Menge, das bunte Treiben. Ein wenig hatte er gerade das Gefühl, frei zu sein. Es war ein gutes Gefühl. „Wilde Weiber?“ John fragte zweifelnd. „Ich weiß nicht, ob ich dich vor solchen beschützen könnte“, grinste er leicht. „Und ich weiß auch gar nicht genau, ob du vor ihnen wirklich beschützt werden möchtest. Vielleicht machen sie dich ja mehr an, als ich, wer weiß?“ Irgendwie konnte er den Vormittag nicht so ganz vergessen. „Aber ich bemühe mich, dir nicht verloren zu gehen.“ Tatsache war, dass er auch kein Interesse daran hatte, hier allein irgendwann dazustehen und nicht zu wissen, wann und wo Tancred wieder auftauchen würde.

Als Tancred auf sein Hemd deutete und ihm das Kompliment aussprach, sah er an sich hinab. „Der Schneider, den ich das und noch ein anderes habe machen lassen, wies mich ständig darauf hin, dass es kaum eine Mode gäbe, bei der das üblich sei, und dass es nicht gut aussehen könnte, eher sogar für Aufsehen sorgen würde“, erzählte er und blickte Tancred wieder an. „Danke also dafür, dass du mir den Schneider als Idioten entlarvst, der aber wenigstens etwas von seinem Handwerk versteht.“ Er hatte wirklich ziemlich diskutieren müssen, als er ihm erklärt hatte, was er wollte. Aber das war es ihm wert gewesen. Er hatte in diesem Sommer viel Geld verdient und sich schon lange etwas in der Art gönnen wollen. Und dass es gut ankam, umso besser. Johns Blick glitt wieder über die Menge vor dem Ausschank. Einige hatten begonnen zu der Musik zu tanzen, die gespielt wurde, und bald schlossen sich einige an. Er bemerkte Will erst viel zu spät, wie ihm schien, denn er hatte keine Möglichkeit ihm noch mit dem entsprechenden Ausdruck im Gesicht in seine Schranken zu weisen. Will war definitiv jemand, den man sich vom Leibe halten musste, wie er schon einmal schmerzhaft erfahren hatte. Er hatte sich einmal von dem zierlichen Mann nach hinten abschleppen lassen, als er im Conner‘s gewesen war. Dass das ein großer Fehler gewesen war, hatte er schon gemerkt, als jener ihm im Anschluss offenbart hatte, mit ihm den passenden Deckel gefunden zu haben und an ihm hing wie eine Klette. Er hatte nicht viel drauf gegeben, hatte einen bissigen Kommentar abgelassen, aber offenbar nicht bemerkt, dass der Kerl das zum einen wirklich so meinte, zum anderen nicht begriffen hatte, dass John nur einen Fick gewollt hatte. Es war vor ein paar Tagen schon einmal zu einer nervigen Situation gekommen, in der Will ihn mitten in der Stadt dazu bewegen hatte wollen, mit ihm auf einen Quickie irgendwohin zu kommen. Er hatte wirklich Mühe gehabt, ihm klar zu machen, dass er erstens kein zweites Mal mit ihm schlafen würde, zum anderen an diesem Ort und sicher nicht bei der Arbeit einen Quickie schieben würde.

Diesmal sah John ihn definitiv zu spät, denn jener stand schon vor ihm. John wich unwillkürlich zurück, was jedoch kaum etwas brachte, denn Will rückte ihm direkt auf die Pelle und schien schon in seinen Schritt greifen zu wollen. Doch ganz so weit kam es nicht, denn zu seiner Überraschung fühlte sich John mit einem Mal an der Hüfte gepackt und zu Tancred gezogen, der die Hand des anderen abblockte, woraufhin Will verdutzt aufsah. John sammelte sich wieder, blickte Will genervt und schier feindselig an, doch bevor er jenem etwas vor den Latz knallen konnte, hörte er Tancreds Worte neben seinem Ohr, die zu Will mit einem französischen Unterton sprachen, dass John einen Moment fast aus den Latschen gekippt wäre - und nicht nur wegen des Untertons. Auch die Worte waren erstaunlich und jagten ihm einen Schauer über den Rücken. Aber John ließ sich nichts anmerken, blickte Will nun an. „Da hörst du es“, griff er Tancreds Worte auf. „Verzieh dich und streich mich von deiner Liste!“ Wills Blick glitt zwischen ihm und Tancred einen Moment schier prüfend hin und her. „Arschloch“, hörte er nun schon zum zweiten Mal heute.

Tancred schien den jungen Mann tatsächlich beeindruckt zu haben, denn er ging. John sah Will einen Moment nach, bis dieser wirklich wieder in der Menge untergegangen war, dann merkte er, dass Tancred ihn noch nicht losgelassen hatte. Irgendwie fühlte er sich ziemlich überrannt. Langsam drehte sich John in Tancred leichter Umarmung und er sah den anderen herausfordernd an. „So so, Herr Kapitän“, begann er nur so laut, dass es nur Tancred hören konnte, andere aber nicht. „Ich kann mich gar nicht entsinnen, dass mein Körper an die Franzosen gefallen ist.“ Er strich mit seinen Fingern über die Brust des anderen und folgte diesen mit seinen Augen. „Ganz im Gegenteil.“ Sein Blick ging wieder nach oben und er sah Tancred fragend an, hielt in seinen Bewegungen inne und schien kurz zu überlegen. „Und mir war es auch neu, dass du dich mir gerne auf den Schoß setzt.“ Eine Augenbraue wanderte nach oben. „Heute Morgen wolltest du weder sitzen noch setzen lassen.“ Er beugte sich nach vorne und seine Lippen näherten sich Tancreds Ohr. „Aber lass dir gesagt sein, dass mein Körper niemandem gehört, ich niemandem gehöre und ich mir immer noch selbst aussuche, wer auf mir zum Sitzen kommt. Deine Hilfe war überflüssig. Vielleicht hätte ich ihn ja gerne hinter der Bude gefickt…“ Etwas in John wehrte sich gegen diese Worte, aber das, was ihm befahl, sich von diesem Mann loszumachen, der ihn da auf so ungewohnte Weise beschützte und umsorgte und beobachtete und berührte und … argh! John wandte sich ab und distanzierte sich so von Tancred. Eigentlich wollte er Tancred nicht vergraulen, wollte ihn nicht von sich stoßen. Aber irgendwie wurde ihm die Situation zu eng. Er musste sich wieder Platz machen.
 

Tancrèd

Hinter der Maske verborgen über diesen Jahrmarkt zu schlendern war genau das, was Tancred gewollt hatte. Auch wenn er eigentlich keine Standesgrenzen kannte, so war dieses Losgelöst-Sein von allem genau das, was er sich gewünscht hatte. Er mochte es zu scherzen, mochte die lockere Atmosphäre. Und er mochte es nicht allein hier zu sein. Natürlich hätte er Kadmin mitnehmen können, der ihn nach London begleitet hatte.. aber Tancred hatte den großen Araber schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen und nahm an, dass Kadmin einfach nicht aus den Betten kam. Er machte sich keine all zu großen Sorgen um den Mann, der bestens auf sich selbst aufpassen konnte. Nein, es gefiel ihm mit John hier zu sein. John war einfach mal Abwechslung. Er war beinahe so etwas wie sein Freund, nicht im Sinne eines Partners, sondern eines Freundes. Ein "Nadim", auch wenn das eigentlich sein Name war. Das war nicht nur für ihn etwas Neues, sondern auch für John, das merkte Tancred je länger sie gemeinsam über den Jahrmarkt schlenderten. Tancred war oft mit Frauen ausgegangen, die keine Scham hatten, sich hier und da etwas kaufen zu lassen, das ihnen gefiel. Auch John sah sicher das ein oder andere, aber entweder er kaufte es selbst, oder er ließ es, wenn er sah, dass er es nicht bezahlen konnte. Und auch wenn Tancred den Wunsch hegte, es ihm zu kaufen, so merkte er, dass John schon mit dem Geschenk der Maske überfordert war... und deswegen bezahlte er nur Getränke und Essen, weil er ja versprochen hatte, ihn einzuladen.

Er sah so viele Gesichter von John... und das beeindruckte Tancred. Er selbst trug keine Maske, war offen und ehrlich in allen seinen Gefühlen. Und auch John war ehrlich - aber vor allem was andere betraf. Was sich selbst betraf, trug er eine Maske, so vielschichtig, dass man kaum hindruch sehen konnte. Wenn er den John, der sich jetzt in seinem Arm herumdrehte und von dem er so kühl abgefertigt wurde mit dem John verglich, den er vor 10 Minuten gesehen hatte... dann überlegte er beinahe, ob es die gleiche Person war.

Sie waren vor 10 Minuten am Stand eines Arabers vorbeigekommen, eine Art Medicus. John hatte sich für seine Kräuter interessiert, vor allem aber für eine faszinierende Waage. Sie war so fein, wie weder John noch Tancred je etwas Vergleichbares gesehen hatten, und mit so unglaublich vielen Gewichten ausgestattet, dass man die feinsten Mengen messen konnte.. und sie war unverschämt teuer. John fing nichteinmal an zu feilschen, weil er wusste, dass er es auch heruntergehandelt nicht würde bezahlen können. Doch dieses Glänzen in seinen Augen hatte Tancred nicht vergessen. Als John kurze Zeit später ausgetreten war und sich durch die Zeltreihen geschlängelt hatte, um Wasser zu lassen, war Tancred zu diesem Mann zurückgegangen, hatte knapp und deutlich gehandelt, bezahlt und ihm angedroht das Paket besser sicher in sein Gasthaus zu bringen, weil er ihn sonst finden würde - doch der Araber hatte seine Ehre und versprach das Gerät zuzustellen.. und wenn Tancred wieder zur Raashno zurückkehrte, dann würde er John dieses Paket zustellen.

Er verschenkte Dinge sehr gern, weil es ihn gkücklich machte andere glücklich zu sehen. Und John sah er ganz und gar nicht glücklich, so auch jetzt in diesem Moment. Johns Finger auf seiner Brust lösten einen wohligen Schauer in seinem Körper aus und er hätte gern die Hand über Johns Hintern gleiten lassen, der sich gerade mit Johns Drehung in seine Reichweite schob. Doch was tat er? Er löste die Hand langsam von John, gab ihm den Raum, den John offenbar brauchte, als er "floh". Hörte er da einen Vorwurf heraus? Sah er da Unsicherheit in Johns Augen? Es war zu dunkel, um es wirklich auszumachen, doch er glaubte genau das zu erkennen. Unsicherheit und einen stummen Vorwurf darüber, dass er heute Mittag nicht auf Johns Angebot eingegangen war. Und direkt darauf folgend, so nah an ihm, dass er den Duft von Johns Haut inhalieren konnte, erteilte John ihm eine Abfuhr, die sich gewaschen hatte. Tancred konnte nicht umhin zu spüren, wie es ihn verletzte. Deine Hilfe war überflüssig. Ja, das schmerzte. Dennoch schob er es bei Seite, weil er einfach wusste, dass John es nicht so meinte. Er wusste auch, dass er diesen jungen penetranten Mann wohl niemals mit hinter die Bude genommen hätte, doch die Vorstellung schmerzte und Tancred biss sich unbemerkt auf die Zunge, um nicht unbeabsichtigt zynisch zu kontern. Das war es, was John erwartete und Tancred hatte sich vorgenommen, nicht so zu sein, wie John es erwartete. Als der sich abwandte und einige Schritte von ihm wegging blieb der Franzose einfach stehen, trank einige Schlucke aus seinem Becher und ging John dann so gemächlich nach, als habe John gerade nur etwas genauer ansehen wollen und Tancred sei noch nicht bereit gewesen ihm zu folgen. Er wusste, dass er seine Antwort wohl überlegen musste, doch er fand die ihm angemessen erscheinenden Worte recht zügig.

"Dir sind viele Dinge neu, die meine Person betreffen. Und dass dir nicht alle davon gefallen, ist mir bewusst." Er sprach leise und sah über Johns Schulter zu den Tanzenden hinüber, so als plaudere er mit John nur über das, was sie vor sich sahen. "Wenn du den Wunsch hast, diesem jungen Mann die Hose über den wirklich wohlgeformten Arsch nach unten zu ziehen, und deinen Schwanz zwischen seinen wirklich fest aussehenden Backen zu versenken, dann werde ich ihm gerne nachgehen und ihm sagen, dass ich mich bezüglich meines Gebietsanspruches geirrt habe. Nur lass dir eines gesagt sein." Nicht nur John konnte dererlei Ansagen machen. "Ich bin nicht hier, um jemanden zu besitzen. Ich bin nicht hier, um meinen Schwanz in deinen Arsch zu rammen. Oder um es mit deinen Worten vielleicht etwas verständlicher zu machen: Ich bin nicht hier, um so zu handeln, wie es für dich am bequemsten ist."

Er richtete sich wieder auf und stellte sich neben John, der die Leute am Lagerfeuer beobachtete, die zur Musik tanzten. Ja, auch er hätte "Arschloch" sagen können und gehen, aber so war er nicht. Er blieb und entließ John nicht aus der Verantwortung, sich mit ihm auseinander zu setzen. "Also - bevor ich ihn ganz aus den Augen verliere, hast du Interesse an dem kleinen Luder? Ich halte dir auch gern die Plane und steh schmiere während du es ihm besorgst."
 

John

Wenigstens hatte Tancred nicht versucht, ihn festzuhalten. John merkte, dass er in sich brodelte. Er wusste nur nicht so genau, warum. War es die Tatsache, dass er gerne selbst entschied, welche Typen er an sich ranließ und welche nicht. Oder die Tatsache, dass er sich gern selbst die Typen vom Hals hielt. Oder das seltsame Gefühl in sich, das diese Worte ausgelöst haben. Oder diese seltsame Nähe, die Tancred unerwartet geschaffen hatte. Oder dieses Gefühl, gerade mal wieder zu schroff, zu verletzend gewesen zu sein. Aber Tancred hatte sich da nicht einzumischen! Sie waren zwar gemeinsam hier, aber als Freunde, nicht als Paar! Und überhaupt... Wieso regte ihn das so auf?

John war verwirrt und umso kühler wurde sein Gesichtsausdruck.

John war etwas von Tancred weggegangen, blickte scheinbar ungerührt über die Tanzenden. Und irgendwie fehlte ihm gerade das dritte "Arschloch" des Tages, das eben diesen so perfekt abschließen würde. Umso überraschter war er über das, was Tancred nun zu ihm sagte. Dieser war ihm nun doch noch gefolgt und blieb hinter ihm stehen. John rührte sich nicht, wusste nicht, wie er sich verhalten sollte.

Ihm seien viele Dinge neu, die Tancreds Person betrafen? John verstand nicht ganz, wie jener das meinte. Was war ihm neu an Tancred? Dass er ihm so penetrant auf die Pelle rückte? Dass er ihn so beobachtete? Dass er irgendwie sich für ihn interessierte? War das nicht eher etwas, das generell neu für ihn war? Irgendwie hatte John das unspezifische Gefühl, Tancred so schnell nicht wieder los zu werden.

Johns Augenbrauen zogen sich etwas zusammen, als Tancred weitersprach. Und war er eben noch überrascht, so würde er jetzt ernsthaft überrumpelt. Die Wortwahl war das eine, der Inhalt nochmal was ganz anderes, was ihn erstaunte. Hatte er ihn nicht genug vergrault? Wieso bot er ihm an, sich für ihn zu erniedrigen, indem er sich vor Will bloßstellte? Johns Gesichtsausdruck verdunkelte sich etwas. Er wollte das doch gar nicht...

Dann erklärte sich Tancred, irgendwie. Das, was er sagte, wirkte. John wurde bewusst, dass Tancred ihn mehr beobachtete, als ihm lieb war, dass er ihn durchschaute und ihn nicht einfach in Ruhe ließ, dass er sich nicht einfach vergraulen ließ. Er würde ihm unbequem werden, er würde sich mit ihm auseinandersetzen müssen. John seufzte innerlich tief, schloss kurz die Augen, während der andere neben ihn trat. Er schwieg, rührte sich nicht. Wollte er das? Wollte er den anderen wirklich an sich teilhaben lassen? An seinem Leben? Was versprach er sich davon? Oder war er wirklich so uneigennützig, wie er vorgab zu sein?

Das Angebot, dass Tancred ihm nun unterbreitete, ließ ihn schnaubend lächelnd den Kopf schütteln. Er sah Tancred eine Weile schweigend an. Wollte er das? Wollte er, dass dieser Mann Teil seines Lebens wurde? Wollte er sehen, wohin der Weg führte, wenn er ihn ein Stück gemeinsam mit Tancred ging? Wollte er sich mit ihm auseinandersetzen? Die Oberflächlichkeit ausschalten? Mit dem ganzen komplizierten Scheiß, der womöglich damit verbunden wäre? Er würde sich jetzt entscheiden müssen, hier.

"Ich werd dich nicht so einfach wieder los, Nadim, hab ich recht?", sagte er. "Du hast recht, dass mir da vieles neu ist. Und ich habe dir schonmal gesagt, dass ich es nicht gern kompliziert mag. Wenn du den Stress mit mir also wirklich dir antun willst, dann werd ich mich bemühen, dich nicht mehr zu beißen, wenn es mir zu viel wird. Aber ich kann nichts versprechen."
 

Tancrèd

"Nein, wirst du nicht." Tancreds Antwort war genau so simpel und beinahe leicht daher gesagt, wie Johns Frage. Nein, er würde ihn nicht so schnell loswerden. Zumindest nicht, solange das Turnier nicht vorbei war und er seinen Freibrief in den Händen hielt. Er wollte etwas in der Hand haben, bevor er nach Portsmputh zurückkehrte und auslief und so konnte diese Sache wohl noch eine Weile dauern. Er sah zu den tanzenden hinüber, in die sich kurze Zeit später auch Will eingereiht hatte und immer wieder zu John hinübergiftete, während er sich einem anderen Kerl an den Hals geworfen hatte. Tancred konnte über so viel Naivität nur den Kopf schütteln. Kleiner Idiot.

Er leerte seinen Becher mit dem letzten Zug und vermied es, John weiterhin zu sehr anzustarren. Nicht weil er ihn nicht gerne ansah, wohl aber, weil John diesen Moment sicher brauchte, um mit sich ins Reine zu kommen. Als John sich erklärte, musste Tancred seine ganze Willenskraft aufbieten, um nicht zu grinsen. So umspielte seine Lippen nur ein mildes Lächeln. "Es wird nicht kompliziert sein, John. Das ist es nie..." Er streckte die Hand nach Johns beinahe geleertem Becher aus und nahm ihn an sich, um Nachschub holen zu gehen. "Und es wäre wirklich jammerschade, wenn du aufhören würdest, zu beißen. Gerade das hat mir so gut an dir gefallen." Er zwinkerte ihm zu und wollte sich schon umwenden und zu dem Schankzelt zu gehen, als er innehielt und noch einmal näher zu John kam, so nah, dass er mit ihm sprechen konnte, ohne andere neugierige Ohren mit Informationen zu füttern. "Ich habe keinen Bedarf daran zu verbiegen, was nicht zu verbiegen ist. Mein einziger Wunsch wäre es wohl, dass du meine Gesellschaft so losgelöst genießt und ohne jeden Vorbehalt, wie ich die deine. Und da ich mich des Gefühls nicht erwehren kann, du seist eingeschnappt wegen heute Vormittag, so lass mich dir eines vielleicht noch erklären." Er hielt kurz inne und räusperte sich leicht. "Du wärest jetzt noch nicht wieder aus diesem Bett aufgestanden, wenn ich getan hätte, wonach mir der Sinn stand. Oder vielleicht besser: Du würdest jetzt entweder kaum noch laufen, geschweige denn sitzen können - und es auch nicht im mindesten wollen." War der französische Akzent wieder Absicht? Er wusste es nicht, aber in diesen Momenten brach er wohl ganz gern durch. Mit einem Grinsen und einem weiteren Augenzwinkern ging er zurück in das Schankzelt und ließ sich zwei neue Becher vollfüllen. Entweder John war jetzt noch da, wenn er wiederkam, oder er hatte doch die Flucht ergriffen - aber dann hätte Tancreds Menschenkenntnis wohl das erste mal wirklich versagt. Er glaubte nicht, dass John weglaufen wollte. Er glaubte auch nicht, dass John der Typ dafür war, immer allein zu bleiben und niemanden zu haben, der sich einfach kümmerte. Doch bei John führte dieser Weg nicht über Gespräche, sondern im wahrsten Sinne des Wortes über Zuckerbrot und Peitsche. Die richtige Dosis Zwang, beziehungsweise Konfrontation mit sich selbst und ehrliche Zuneigung würden über kurz oder lang hoffentlich dafür sorgen, dass Tancred Johns Lächeln etwas öfter genießen durfte. Auch wenn er selbst nicht so genau wusste, welchen Narren er an John gefressen hatte, irgendwie war es so. Solange er in London war, wollte er die Zeit mit dem jungen Mann einfach nur unbeschwert genießen ohne die Verantwortung danach noch irgendetwas tun zu müssen. Er wollte bei ihm sein, ihn stützen und ihm ein Halt sein und ihm gleichermaßen dadurch nur mehr Freiheit ohne Einschränkungen zu geben. Denn auch wenn Tancred ein Adeliger war, so wie Dominico oder Alessandro Sforza - er würde niemals von John fordern dieses Leben im Geheimen für ihn zu leben. Nicht von John und nicht von sonstwem.
 

John

Die Antwort war klar und deutlich, aber nicht unerwartet. Allerdings war unerwartet, dass der Widerwille, mit dem John insgeheim gerechnet hatte, ausblieb. Irgendwie war es halt so... Der böse Kommentar, die Beleidigung, die Verletzung, die er erwartet hätte, blieben aus. John rührte sich nicht, wartete auf den Widerwillen, während er Will ignorierte und den Rest letztlich auch kaum wahrnahm.

Dennooch musste er den Kopf drehen, als Tancred weitersprach. Sein Blick war fragend, zweifelnd. Es wäre nie kompliziert? Er empfand das als kompliziert, wenn man da jemanden hatte, der irgendwie Ansprüche stellte. Und sei es nur, Zeit mit ihm zu verbringen. Oder meinte Tancred das anders? Wollte er ihm damit sagen, dass er es nicht kompliziert machen würde? Die Hand, die zu seinem Becher greifen wollte, ließ ihn diesen leeren. Als nun der Nachsatz kam, konnte er sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. Er drehte sich den Tanzenden wieder zu, fast ein wenig froh, dass Tancred noch etwas zu trinken holte, als jener noch einmal näher kam und in sein Ohr sprach. Was jener zunächst sagte, ließ John leicht nicken. John war ein Meister darin, sich der Situation anzupassen, gerade in diesen gehobenen Kreisen oder an der Uni. Er fiel nicht auf, weder negativ noch besonders positiv. Aber in seiner Freizeit war er einfach er - mit einer bösen Zunge, Scharfsinn und Ironie. Bei Kieran konnte er einfach so sein. Er stellte keine Ansprüche, ließ ihn so wie er war, auch wenn er kritisierte oder sich ärgerte. Ob Tancred auch so sein konnte? Seine Gesellschaft genießen? Warum nicht... John hatte den Morgen am Hafen eigentlich ganz schön gefunden. Das konnte man zumindest bis zum Sturz ins Wasser gerne wiederholen. Als Tancred auf die Zurückweisung zu sprechen kam, blickte er ihn einen kurzen Moment überrascht von der Seite an. Dann blickte er wieder in die Menge, gespannt, was kommen würde. Und das was kam, ließ ihn seinen Blick senken, auf seine Hände schauen. Wow.

Als Tancred schon zur Schenke gegangen war, blickte John wieder auf und sein Gesicht zierte ein Grinsen, ein breites Grinsen. Dann war das wirklich nur der Wunsch des anderen gewesen, seine Situation nicht auszunutzen? Konnte das wirklich sein? War Tancred wirklich so uneigennützig?

John merkte, dass diese Worte seine Enttäuschung - oder Verunsicherung? -weggewischt hatten und sich dafür die Freude und Dankbarkeit ausbreitete. Er merkte, dass ihn diese Worte auch durchaus noch anderweitig berührt hatten: sie waren erregend gewesen. Sich das einzugestehen, ließ John wissen, dass er Tancred durchaus nochmal ranlassen würde. Prinzipien hin oder her...

Als Tancred zurückkehrte, nahm er dankend den neuen Becher. "Wollen wir uns die Show bei den Carneys ansehen?", fragte er und so gingen sie los. "Erzähl mir, was die Spanier dir getan haben!", begann er neugierig.
 

Tancrèd

John war nicht weggelaufen, als Tancred mit zwei vollen Tonbechern wieder kam und dem jungen Mann einen hinhielt. Er sah das Grinsen in Johns Gesicht und fragte sich, ob das seinetwegen war - oder ob John wegen einer anderen Sache so grinste. Er nahm zu seinen eigenen Gunsten einfach mal an, dass er der Auslöser dieses Phänomens auf Johns Gesicht war, das man wirklich selten zu Gesicht bekam. Dessen Angebot, zu den Carneys hinüber zu gehen, nahm Tancred gerne an. Erstens standen dort ihre Pferde und sie würden ohnehin dort hin zurückmüssen, aber Kierans Familie interessierte ihn ebenso und er hatte beim König bereits einen Vorgeschmack auf das bekommen, was diese Akrobaten leisteten. Ihre Feuershow war einmalig und Tancred würde sie sich gern mit John ansehen.

Während sie sich in Bewegung setzten, stellte John das erste Mal eine wirklich persönliche Frage an ihn - und Tancred vermerkte das als einen riesigen Fortschritt. Anscheinend waren Johns Worte eben wirklich keine hohlen Phrasen gewesen, um ihn loszuwerden, nein, er versuchte wirklich dieses "sich gegenseitig genießen" anzugehen. Warum auch nicht?

Tancred trank einen Schluck und wich einer leicht bekleideten Dame geschickt aus, die direkt auf ihn zugesteuert war. "Was mir die Spanier getan haben...", wiederholte er kurz Johns Frage, weil er selbst einige Sekunden brauchte, um den Anfang der Geschichte in seinem Hirn zu lokalisieren. "Sie haben uns recht viel getan. Meiner Familie zum Beispiel, also dem Königshause Navarra, haben sie die Hälfte ihres Landes genommen. Ein Teil von Navarra liegt nämlich im heutigen Spanien. Aber das geht mich eigentlich nur wenig an.. naja. Damit direkt zusammen hängt jedoch das, was sie wirklich getan haben." Er hielt einen Moment inne, weil die Erinnerung an diese Zeit schwer war... Aber er wollte John nicht mit Oberflächlichkeiten Abspeisen. "Als ich sehr jung war und die Beziehung mit Spanien noch nicht derart zerrüttet war, wie sie es heute an der Grenze ist, hatte ich eine spanische Freundin. Naja, fast mehr als das. Ich war 16, also im heiratsfähigen Alter. Sie war gebildet, wunderschön und keine hochnäsige Schnepfe, so wie die meisten Frauen, die man mir zuvor als Frau angeboten hatte. Doch sie war Spanierin und ihre Familie spanischer Landadel.. ohne größere Verbindungen zum Königshaus. Natürlich waren unsere Familien gegen die Verbindung, doch man hatte zumindest nichts dagegen, dass wir uns sahen. Zumindest nicht bis zu dem Zeitpunkt, da der spanische Monarch entschied, den Teil von Narvarra an Spanien anzugliedern, der jetzt auch Spanien gehört. Als der König mit seinem Gefolge an die Pyrenäen ritt, entschied er, dass meine Anna irgendeinen entfernten Verwandten von ihm zu heiraten hatte... Was von ihrer Familie selbstverständlich unterstützt wurde - immerhin bedeutete es Einfluss. Aber Anna wollte diesen spanischen Aristokraten nicht heiraten und lief fort. Ihre Familie machte mich dafür verantwortlich und, um den wackeligen Frieden zu wahren, steckte man mich in den Kerker, bis man sie gefunden hatte. Die spanische Inquisition hat sie gefoltert und verbrannt - in meinem Beisein." Seine düstere Stimmung passte so gar nicht zu dem bunten Jahrmarkttreiben um sie herum. "Meine Familie hat mich nur zu gern gezwungen, zuzusehen, und ich kann es auch heute nicht vergessen." Nein, er würde das nie vergessen können. "An diesem Tag hab ich mir geschworen, dass niemals wieder ein Spanier Hand an etwas legt, das mir gehört oder dem ich in Freundschaft verbunden bin... Und doch hat ein spanischer Botschafter am Hofe von Navarra meine Schwester geschwängert und sie mit dem Bastard sitzengelassen. Noch bevor du fragst, auch sie ist tot, aber sie hat dieses Schicksal aus Scham und Schande selbst gewählt." Seine Stimme war immer härter geworden. "Und um dem ganzen die Krone aufzusetzen, haben sie mich bis ins Morgenland verfolgt. Spanische Conquistadores.. Männer, die mit ihrem eigenen Geld und Reichtum versuchen, an Ruhm und Ehre zu gelangen, indem sie freie Menschen unterjochen und auf widerlichste Weise davon zu überzeugen suchen, dass nur das Christentum die wahre Religion ist. Ich bin Kreuzritter geworden, weil ich meiner Familie und den Spaniern entkommen wollte. Ich wollte weg von ihnen, einfach nur weg und sie nie wieder sehen. Aber ich musste erkennen, dass man vor den Spaniern und all den Problemen mit der Familie nicht einfach so davonlaufen kann. Und seit ich mich von ihnen abgewendet habe und ein spanisches Schiff nach dem anderen auf den Grund des Meeres schicke, geht es mir besser. Auch wenn der Tod von Anna oder der Tod meiner Schwester niemals mit spanischem Blut aufgewogen werden kann, so habe ich dennoch in den letzten Jahren soetwas wie meinen Frieden gefunden... Denke ich." Das Lächeln kehrte langsam zurück, wenn er an die spanischen Bastarde dachte, die er versenkt hatte. "Raashno, der Name meines Schiffes, ist der arabische Name des Engels der Gerechtigkeit. Und in meinen Augen ist das auch genau das, was sie tut."

Sie erreichten die Bühne, auf der die Familie Carney ihre Kunststücke vollführte, und während sie klatschten und den Männern und Frauen zujubelten, verflog langsam aber sicher die dunkle Erinnerung an diese Zeit, in der er noch so jung gewesen war. Jünger als John es jetzt war... es war schon so unglaublich lange her.
 

John

Die Geschichte, die Tancred ihm über seine Beziehung zu Spanien erzählte, gab einige Einblicke in das Leben, das der Mann neben ihm geführt hatte, bevor er sich entschlossen hatte, frei und unabhängig zu werden. Zusammen mit dem, was er bereits wusste, setzte sich ein rudimentäres Puzzle aus Einzelheiten zusammen, das noch viele Lücken aufwies, aber doch schon ein tieferes Bild von Tancred zuließ. Das Bild, das vor Johns innerem Auge wuchs, ließ ihn und seine dämlichen Probleme mit seinem Vater schon ziemlich klein aussehen. Tancred war ein Mann, der schon etwas erlebt hatte, grausame Dinge, schlimme Dinge, sicher aber auch viele schöne Dinge. Er hatte etwas gesehen von der Welt und die Welt von ihm. Und was hatte er erlebt? Im Vergleich? Er kannte London, hatte schon die ein oder andere Prügelei erlebt und überlebt. Er hielt seinen Vater aus. Und sonst? Sein Leben kam ihm im Vergleich so unbedeutend vor. Nicht, dass ihn das wirklich herunterzog. Dafür war er nicht der Typ. Er hatte nicht das Gefühl dringend etwas nachholen zu müssen, weil er ständig etwas verpassen würde. Dann wäre er schon viel früher aus London weggegangen. Aber dennoch hatte er das Gefühl, dass er sich doch einmal mit dem Gedanken auseinandersetzen sollte, ob das hier wirklich schon alles war, was er erreichen konnte. War das wirklich schon alles? Dieser Laden? Gab es da wirklich nur diese eine Richtung? Nur diesen einen Weg? Aber darüber wollte er nicht jetzt und hier nachdenken.

Er ließ die Geschichte für sich stehen, ließ sie auf sich wirken und kommentierte sie nicht. Das war auch nicht notwendig. Er blickte in Tancreds Leben, da gab es nichts zu kommentieren. Er verstand den Hass, den jener auslebte, auch wenn er nicht verstand, weshalb dafür so viele Männer sterben mussten, die die Befehle anderer ausführten. Aber es lag nicht an ihm, darüber zu urteilen. Dennoch hoffte er, dass Tancrèd irgendwann diese Wut, diese Enttäuschung und diesem Hass entkommen konnte. Denn nur dem Hass nachzujagen war nicht gut. Es würde nie befriedigen - unabhängig davon, dass er sein eigenes Leben damit gefährdete. Und doch hatte die heftige Geschichte auch einen süßen Beigeschmack: Tancrèd zeigte ihm, dass er ein Herzensmensch war, der wirklich lieben konnte und wollte. Ähnlich wie Kieran - anders als er.
 

Tancred

Nach der Vorführung und einigen weiteren Bechern mit Wein, verabschiedeten sich John und Tancred, um die Heimreise anzutreten. Ihre Pferde hatten sie stehen gelassen - betrunken zu reiten war noch nie wirklich gut gewesen und keiner von ihnen beiden verspürte den Drang dazu. Durch die Stadttore hindurch drängten auch viele andere Menschen, um wieder nach Hause zu kommen, und so dauerte es eine ganze Weile, bis sie in die Gasse erreichten, in der die Apotheke lag. Als sie in die Gasse einbogen, wurde es endlich ruhiger und sie konnten sich freier Bewegen. Tancred trauerte dem Gedränge beinahe ein wenig nach, denn er war gezwungen gewesen, John beinahe ständig zu berühren, so sehr wie sie durch die Straßen geschoben worden waren. Jetzt, auf so "weiter Flur" wie in dieser leeren Gasse, blieb die Zweisamkeit etwas auf der Strecke.

Nur der Mond beleuchtete die fahlen Pflastersteine und die Tür zum Laden lag unter dem Schatten des Vordaches wirklich in absoluter Dunkelheit. Tancred grinste, als John in den Schatten trat, um aufzuschließen. Sie beide trugen noch immer die Masken, die sie schon auf dem Jahrmarkt getragen hatten und auf dem Weg hier hinauf hatte Tancred sein Hemd geöffnet, weil es in London noch immer sehr warm war und der Wein ihn von Innen heraus wärmte. Mondlicht fiel auf seine sonnengebräunte Haut und warf Schatten über den Linien seiner Muskeln. Mit der Maske sah er beinahe aus wie ein Wesen aus einer anderen Welt, doch nicht anders stand es um John, der mit seinen durchdringenden Augen und seinem schlanken Körper ebenfalls Eindruck machte. Tancred trat langsam zu ihm in den Schatten und seine Hand legte sich auf Johns, so dass er die Türe nicht mehr öffnen konnte, ehe er mit der zweiten Hand an sein Kinn griff um es zu sich zu drehen und in der Dunkelheit in Johns Augen zu sehen, die man kaum erkennen konnte. "Als ich klein war, erzählte mir meine Mutter von Dämonen, die der Teufel nachts in mein Zimmer schickt, wenn ich nicht auf sie höre..." Er grinste und ließ die verwirrenden Worte kurz im Raum stehen, während er John einen so sanften verspielten Kuss auf die Lippen drückte, dass man es auch für Einbildung halten konnte. "... ich glaube sie hatte recht," fuhr er fort, "aber der Teufel hat keinen schöneren Incubus für mich wählen können." Und dann küsste er John noch einmal, und dieses mal richtig. So voll unbändigem Verlangen, dass die Erregung durch seinen Körper pulsierte und seine Hand anfing zu zittern in der verzweifelten Selbstbeherrschung, John nicht einfach zu packen.

Dann löste er sich, ließ ihn los, wandte sich um und rannte beinahe die Straße hinunter, bis er im Dunkeln verschwand.
 

John

Sie sahen der Show von Kierans Familie zu und John war wiedereinmal wirklich beeindruckt, was die Truppe da auf die Beine stellte. Anschließend beschlossen sie, zu Fuß nach Hause zu gehen. Eigentlich fühlte sich John bei weitem nicht zu angetrunken, nicht mehr reiten zu können, aber er stimmte doch zu, dass es besser war, zu laufen. Vielleicht, weil er es einfach schön fand, so neben Tancred zu schlendern, sich durch die Menschenmenge zu bewegen, wobei sie sich immer mal wieder berührten. Es war irgendwie fast eine vertraute Situation und diese seltsame Nähe, die entstanden war, war weder aufdringlich noch besitzergreifend. Das war das Maß an Nähe, an Vertrautheit, das John bereit war zu geben. Er war nicht der Typ, der mit jemandem Händchen hielt, auch wenn er fast das Gefühl hatte, als würden sie das tun – irgendwie.

John stieg die Stufen hinauf, ohne wirklich nachzudenken, OB sie sich jetzt verabschieden sollten, WIE sie sich verabschiedeten, WAS er noch sagen sollte. Er war irgendwie in Gedanken an das, was heute alles passiert war. Im Dunkel war es schwierig, die Tür zu öffnen, weil man wirklich nichts sah, aber John hatte über die Jahre die gewohnte Handbewegung raus, die die Tür öffnen würde. Aber er schaffte es gar nicht mehr m, denn Tancreds Hand hinderte ihn daran. Dann spürte er, wie der andere sein Kinn zu diesem drehte und er war ein wenig überrumpelt. Erst jetzt wurde ihm bewusst, dass er durchaus damit gerechnet hatte, den anderen noch mit hinein zu nehmen – irgendwie. Aber dem war nicht so. Er blickte in die Augen des anderen, spürte den Körper so nah bei sich. Die Irritation stand ihm ins Gesicht geschrieben, als er die ersten Worte vernahm und so wehrte er sich nicht gegen den ohnehin zu kurzen Kuss, war aber auch zu verwirrt, um ihn zu erwidern. Trotzdem spürte er, wie sein Herz auf unbekannte Art und Weise gegen seine Brust schlug, während er versuchte zu begreifen, was Tancred ihm sagen wollte. Als dieser weitersprach, dämmerte ihm langsam, was dieser zu ihm sagte, welche Botschaft er ihm damit mitgeben wollte. Doch so richtig kam er ohnehin nicht zum Denken, denn der nun folgende Kuss war so einnehmend und verlangend, dass John gar nicht anders konnte, als sich darauf einzulassen. Er spürte, wie ihm dieser Kuss durch und durch ging und ihm jeglichen Verstand raubte. Doch noch bevor er den Gedanken zu Ende denken konnte, wohin er mit dem anderen gehen sollte, um dem nachzugeben, wonach dieser Kuss schrie, wurde er auch schon wieder gelöst und Tancred entschwand, noch ehe John wieder richtig bei Sinnen war.

Was war das? – war die einzige Frage, die sich ihm im ersten Moment stellte und wie in Trance und vollkommen mechanisch öffnete er die Tür und betrat das Haus, schloss wieder ab und ging in sein Zimmer. Erst als er im Bett lag, erlaubte er sich, weiter nachzudenken. Und es war wie eine riesige Welle an Emotionen und Gedanken, die ihn da überflutete, als er endlich seinem Verstand erlaubte, loszulassen.

Er lag lange wach. Dachte über diesen Abend, den ganzen Tag nach, über die ‚Vereinbarung', die sie hatten, Zeit miteinander genießen zu wollen, über die letzten Worte des anderen... John musste sich eingestehen, dass Tancred ihn mehr beschäftigte, als jeder andere Mensch zuvor in seinem Leben. Außer vielleicht Kieran, als dieser wimmernd und fiebernd neben ihm im Bett lag und von einem Gregor erzählte. Aber das war eine andere, eine gänzlich andere Geschichte gewesen. Er jedenfalls war an einem Punkt, an dem er noch nie war. „Und ich wollte es doch nicht kompliziert“, sagte er halblaut in den Raum hinein. Und Tancreds Antwort „Es ist nie kompliziert“, schien ihm zurückzuhallen. Stimmte das? Nun, man konnte alles kompliziert machen, wenn man nicht ehrlich mit sich war. Und wenn er gerade ehrlich zu sich sein sollte, dann musste er drei Dinge akzeptieren:

1. Das war definitiv doch ein Date gewesen.

2. Tancred küsste gerne zum Abschied, aber dieser Kuss heute raubte ihm den Schlaf.

3. Er hatte keine Ahnung, wie es weiterging. Aber er wollte, dass es weiterging. Er wollte mehr davon haben.
 

„Da fragt sich wirklich, wer wessen Dämon ist! Wer wem schlaflose Nächte beschert!“, fluchte er vor sich hin.
 

Tancred

Er hatte wirklich das Gefühl auf der Flucht zu sein, als er die Gasse hinuntereilte. Blut rauschte in seinen Ohren, doch die Stiefel auf dem Pflaster klangen noch immer unnatürlich laut. Während er einerseits hoffte, dass John ihn zurückrief, wusste er, dass er gehen musste, wenn er John haben wollte. Und er wollte John haben. Doch nachzugeben, gerade jetzt, wo in ihnen beiden die Lust hochgekocht war, wäre ein Fehler gewesen und hätte zerstört, was Tancred langsam und mühsam zwischen ihnen aufbaute: ehrliche Freundschaft, ehrliches Interesse.

Als er den Gasthof erreichte, traf er wundersamerweise einen nüchternen und noch wachen Kadmin an. Sein erster Maat hatte Nachrichten für Tancred, die ihn für einen Moment von Johns Augen, seiner Stimme und seinem Körper ablenkten. Es ging um Nachschub für das Schiff. Essen, Trinken, Seil, Material zum Stopfen von Löchern - alles was dazu gehörte. Er sollte Howard eine Liste zusammenstellen mit den Dingen, die er auf jedem Schiff unbedingt brauchen würde und Tancred gab Kadmin Anweisung, dem Herrn ihre eigene Bestandsliste, etwas nach oben geschönt, mitzuteilen. Bei diesen unerfahrenen Männern war zu viel sicher besser als zu wenig. Auch die Ladung der Munition gehörte dazu und Kadmin wusste, dass mehr Kugeln zwar auch für das eigene Schiff tödlich sein konnten, doch bei unerfahrenen Kanonieren machte die schiere Masse Treffunsicherheiten wett.

Kadmin ließ den Kapitän schließlich allein, ohne ein einziges Wort zu dessen nicht mehr richtig angezogenem Erscheinungsbild zu verlieren oder zu der deutlichen Beule in Tancreds Hose, die nicht wirklich abflauen wollte. Er war zu seinem professionellen Verhalten zurückgekehrt und Tancred hatte das unbestimmte Gefühl, dass dieser Rückzug Kadmins etwas sehr sehr Endgültiges hatte - nicht nur von der Seite seines ersten Maats auch, sondern auch von seiner eigenen. Dieses Kapitel war lang vorbei und jeder Versuch sich daran zu erinnern, schmeckte wie mehrfach aufgewärmte Suppe: Versalzen. Mit London und John war etwas in sein Leben getreten, das ihn veränderte und er wollte sehen, wohin diese Veränderung führte.

Er schälte sich aus der Oberkleidung und legte sich mit der Maske und seiner leinenen Wäsche in das Bett. Das Bett, in dem er bereits einmal mit John genächtigt hatte... als er die Augen schloss, meinte er fast ihn riechen zu können. Als seine eigene Hand in den dünnen Stoff fuhr und über sein hart erregtes Glied rieb, war es beinahe wie Johns Hand, die ihm die ersehnte Erlösung brachte.

London 3 - Erwachen

John

Der Zettel, den er am Morgen auf dem Küchentisch fand, musste wohl schon sehr früh dorthin gelegt worden sein. Was typisch wäre für Kieran, der sicher ein furchtbar schlechtes Gewissen hatte, sich gleich drei Nächte bei Dominico gegönnt zu haben. Da sein Vater offensichtlich auch bereits unterwegs war, ging er davon aus, dass die beiden Männer gemeinsam bei Patienten waren. Der Zettel enthielt die Bitte, nach dem Kardinal zu sehen, um eine zweite Meinung einzuholen. Offensichtlich machte der kaum Anstalten, sich normal wieder ins Leben zurückzubegeben und fiel allen zur Last, weil er ein gekränktes Herzchen hatte. Ja, John war zynisch, aber er mochte diese Leute nicht, die wegen Herzschmerz aufhörten zu leben. Zumindest in diesem Maße. Kieran hatte gelitten, aber sich nichts anmerken lassen, hatte weitergelebt und seine Sachen gemacht. Aber jemand, der rumliegt und Löcher in die Luft starrte, dem fehlte seiner Meinung nach nur der gehörige Tritt in den Allerwertesten.

So machte er sich etwas missmutig auf den Weg aufs Anwesen und beschloss zumindest die Zeit zu nutzen, um auch ins Labor zu gehen und dort zu arbeiten. Eigentlich war er vor allem missmutig, weil er nicht genau wusste, ob das wirklich so klug war, dorthin zu gehen, wissend, dass Dominico sicher noch ein Huhn mit ihm zu rupfen hatte. Nun, er würde es auf sich zukommen lassen. Er würde ihn schon nicht töten, oder?

Als er auf das Anwesen gelangte, spürte er die Blicke auf sich ruhen, aber ließ sich nichts anmerken. Wieso auch. Er hatte Dominico nur aus einem Grund angegriffen: um Kieran zu schützen. Es hatte dazu geführt, dass die beiden Idioten klären konnten, was es zu klären gab. Das hatte doch offensichtlich gut funktioniert, oder?

Nachdem er sich kurz im Labor umgesehen und schließlich ein paar Dinge vorbereitet hatte, ging er hinüber zum Haupthaus und ließ sich in das Schlafzimmer des Kardinals bringen. Als er eintrat, erblickte er Dominico, der am Bett seines Bruders stand, über eben diesen gebeugt und so absolut gar nicht glücklich wirkte. John hatte nicht das Gefühl, dass es nur an seinem Auftauchen lag, dass dem so war. Nun, so recht hatte er in diesem Moment keine Lust, eine Diskussion zu führen, aber vielleicht war es auch gut, wenn sie das schnell hinter sich brachten. Dominico kam ihm entgegen und John war fast schon davon überzeugt, dass er auf ihn losgehen würde, doch er ging mit den Worten einer baldigen Unterredung auf den Lippen an ihm vorbei. John blickte ihm kurz hinterher. Dann drehte er sich wieder ins Zimmer. Das Zimmer hatte etwas so Morbides, dass es ihn fast ein wenig anekelte. Er ging zum Fenster, öffnete die Vorhänge und die Fenster, dann trat er ans Bett.

„Mylord Sforza“, sagte er höflich. „Ich denke, es ist Zeit, dass Ihr aufsteht, denn wenn Ihr weiter hier so herumliegt, gibt das hässliche Flecken auf Eurem Körper und irgendwann denken die Muskeln, dass ihnen ihre Arbeit Leid ist und dann verkümmern sie und außerdem meint Ihr Kopf dann, dass er nicht mehr arbeiten muss, und wie wollt Ihr dann denjenigen, der euch das angetan hat, dafür bestrafen, nicht wahr? Also Mylord, ich werde Euch jetzt helfen, Euch anzuziehen und dann werden wir ein paar Schritte laufen. Und falls ihr nicht mitmacht, dann werde ich Euch irgendwie anders dazu bringen. Ich kann nicht nur Gifte mischen, ich kann auch sehr aktivierende Dinge verabreichen…“

Warum er so viel redete, während er den Mann untersuchte, wusste er nicht genau. Aber irgendwie hatte er das Gefühl, dass es vielleicht helfen würde.
 

Tancred

Der nächste Morgen kam wie immer in London zu früh. Er verstand es nicht was die Stadt mit ihm anstellte, doch in London war er einfach kein Morgenmensch. Kadmin hatte bereits Essen hereingebracht und Tancred setzte sich gähnend auf. Die Sonne war bereits über den Horizont gekrochen und es versprach ein weiterer heißer Tag zu werden. Weil das Turnier etwas entfernt war und Tancred keine wirkliche Arbeit hier hatte, überlegte er an diesem Tag, nach Portsmouth zu reiten, einfach um nach seiner Mannschaft zu sehen. Als er endlich aufstand und sich ankleidete, sah er mit Freude, dass seine erstandene Waage angekommen war und sich besten Zustands erfreute. Frisch gestärkt mit einem leckeren Frühstück und wieder ausgehfertig rasiert und behütet, lieh Tancred sich erneut ein Pferd. Ein Mitglied der Familie Carney hatte ihre beiden Pferde schon am frühen Morgen in die Stadt zurückgebracht - das Problem war er also los.

So verließ Tancred ähnlich wie John London, und schlug den Weg nach Portsmouth ein, der am Anwesen Sforza vorbeiführte. Er war schon einige Zeit unterwegs, ritt nur im Schritt und kam daher nur langsam voran, als ein Reiter im Trab an ihm vorbei kam und sein Pferd zügelte. "Monsieur de Nerac! Habe ich Euch doch richtig erkannt!" Es war kein anderer, als Charles Brandon in Person. "Wundervoll, dass ich Euch hier treffe, reitet Ihr ein Stück mit mir?" Tancred hatte nichts dagegen. Er war mit dem jungen Mann an Henrys Seite bereits öfter ins Gespräch gekommen und sie verstanden sich gut. Dennoch konnte sich Tancred gerade nicht des Gefühls erwehren, dass Charles etwas anderes von ihm wollte. "Monsieur, ich will Euch nicht in Eurem Tagewerk stören, doch hättet ihr vielleicht Zeit, mich zu begleiten? Ich bin auf dem Weg zum Anwesen Sforza." Er deutete auf den großen Komplex, der sich in der Ferne abzeichnete und dessen Einfahrt noch knappe 200m von ihnen entfernt lag. "Ich treffe mich mit Dominico Sforza und Eure Person könnte uns dabei große Dienste leisten." Tancred lachte leise und hob abwehrend eine Hand. "Mylord, ich möchte Euch nicht enttäuschen, doch ich fürchte, in höfischen Ränkespielen kenne ich mich nicht aus. Wenn Ihr jedoch meinen militärischen Rat sucht, so werde ich euch gern begleiten." Charles grinste. "Selbstverständlich ist es ein militärisches Problem, Monsieur. Wenn Sie mir bitte folgen würden." Damit wendeten sie ab und galoppierten ruhig auf das Anwesen zu, das im Licht der Morgensonne so friedlich wirkte.
 

Dominico

Dominico war etwas frustriert. Oder eher - er war nervlich am Ende, ein Wrack und dazu noch genervt von allem und jedem. Kieran war früh am Morgen gegangen und das machte ihm zu schaffen, weil er ihn bei sich haben wollte... Giulia war immer noch schwanger und sein Bruder spielte tote Puppe im Bett. Vielleicht war er auch so nervös, weil kein Arzt da war der einspringen konnte, falls es ihm schlechter ging? Er ging nun schon zum 5. Mal die obere Treppe mit dem Eingang zum Anwesen hin und her und hielt Ausschau nach Charles Brandon, der etwas Verspätung hatte. Als er ihn sah, verzog er sich von dem EIngang, ließ seine Diener sich der Sache annehmen, den Gast zu begrüßen. Er hatte zwar gemerkt, dass zwei Reiter kamen, ging aber davon aus, dass Charles nur einen Diener mitgebracht hatte.

Er eilte den Gang hinunter, die Treppe hinauf und zu Alessandros Gemächern, in die er ohne zu klopfen eintrat. Sein Bruder lag noch so da, wie er ihn am Morgen mit Kieran verlassen hatte, und Nico verdrehte die Augen. Seine Sorge war in Wut übergegangen, weil sein Bruder sich so hängen ließ und Kieran Nico versichert hatte, dass es nicht an der Vergiftung lag. Warum ließ er sich nur so gehen? Das war doch sonst nicht Alessios Art! "Gott verdammt, wie lange willst du noch so herumliegen? Mensch, ich brauche dich! Ich brauche deinen Verstand, um diese Intrige irgendwie zu hintergehen und das Turnier zu überleben!" Er war neben das Bett getreten und hatte sich über seinen Bruder gebeugt. "Alessio BITTE!" Doch als er den Vornamen, beziehungsweise Spitznamen seines Bruders aussprach, drehte sich dessen Kopf zur Seite und jener starrte zum Fenster. Hinter Nico öffnete sich die Türe und der Sforza fuhr herum, nur um in seiner beinahe grenzenlosen Wut dort John stehen zu sehen. Sein Blick wurde noch dunkler als er es eben schon gewesen war. Er richtete sich wieder ganz auf und stürmte beinahe an John aus dem Raum, jedoch nicht ohne dem vorher noch ein "Wir haben uns noch zu unterhalten, Mr. Forbes!" zuzuzischen.
 

Alessandro

Auf dem Bett indess, hatte Alessio ganz andere Probleme. Er hatte sich eigentlich gerade sammeln wollen, um etwas zu sagen, doch genau in dem Moment in dem er den Mund hatte öffnen wollen, hatte sein Bruder diesen unsäglichen Namen wieder ausgesprochen und in seinem Kopf explodierten die Erinnerungen. Erinnerungen an einen Zuber, ein Bett, eine Insel, eine Wiese und ein "Alessio mio", das in höchster Extase und in tiefster Verbundenheit immer wieder in seinen Ohren nachklang und ihn verhöhnte. Während sein Kopf sich von seinem Bruder wegdrehte, verkrampfte sich sein ganzer restlicher Körper unter der Decke und seine Hände und Beine zitterten im verzweifelten Versuch, die Traurigkeit und das Gefühl des bodenlosen Falls nicht wieder in sein Herz zu lassen. So ignorierte er John, hörte aber das, was sein Bruder im Abgang noch zu ihm sagte. Der Arzt trat an sein Bett und sah ihn kurz an, ehe er Fenster und Vorhänge öffnete und Alessio gegen das helle Sonnenlicht blinzeln musste. Dann war er wieder am Bett, fing an ihn zu untersuchen und redete auf ihn ein, als gäbe es kein Morgen mehr. So viel war schon lange nicht mehr mit ihm gesprochen worden, und überhaupt.. was erzählte der denn da? Flecken? Muskelschwund? Ja, sein ganzer Körper schmerzte inzwischen schon vom sinnlosen Herumliegen, das merkte auch er.. aber nunja, so war es eben. Und bestrafen? Wen? Cromwell? Rod... allein der Gedanke an den Schmied sorgte dafür, das die Übelkeit wieder in ihm hinauf kroch, also lenkte er seine Gedanken schnell wieder in eine andere Richtung. Und um zu verhindern, das John tatsächlich wieder anfing von "dem" zu reden, der ihm das angetan hatte, sprach er wirklich - das erste mal seit drei Tagen. Und genau so fühlte es sich auch an. Seine Kehle war rau, trocken und sie schmerzte. Seine Stimme kaum mehr als ein Krächzen. "Mein Bruder hat ein Blaues Auge.. ihr auch. Warum?"
 

John

John hatte das Gefühl, dass sich irgendetwas bei Alessandro tat, während er redete. Nun, vielleicht brauchte der Mann einfach ein wenig, um aus seiner elendigen Lethargie zu erwachen und wieder zu sich zu finden. Aber dazu musste man ihn wohl animieren. Und mit zornigen Worten, wie es Nico vielleicht probiert hatte, schien das nicht zu funktionieren. Also redete John halt alles mögliche andere Zeug. Alessandro, der eben noch ziemlich angespannt gewirkt hatte, entspannte sich zusehends und es schien fast, als würde er versuchen seinen Körper etwas zu bewegen, als John von den Folgen des zu langen Liegens sprach. Als John etwas von der Strafe redete, schien der Körper des anderen sehr heftig zu reagieren. Der Magen schien sich zu verkrampfen. John hatte derlei Gefühle noch nie wissentlich gehabt. Wobei? – Er hatte tiefe Traurigkeit empfunden, als seine Mutter gestorben war. Konnte man das vergleichen? Die Art der Liebe war natürlich etwas andere gewesen, aber dennoch war es Liebe gewesen. Nicht umsonst hatte er sich damals geschworen, nie wieder jemanden so nah an sich heran zu lassen, um nicht wieder dieses Gefühl ertragen zu müssen. Unwillkürlich glitten seine Gedanken zu Tancred, was ihn erstaunte. Er würde aufpassen müssen, dass die Grenze, bis zu der er jenen vorkommen ließ, nicht zu nah sein würde. Spätestens wenn der Mann seinen Freibrief hatte, wäre er ohnehin weg und John vergessen, da gab er sich keiner Illusion hin. Die mögliche Zeit genießen – mehr nicht. Dennoch würde er sich wieder mal ein wenig ablenken müssen. Er wusste schon, wie er das tat. Der Gedanken an seine Mutter hatte einen Gedanken an etwas in ihm hochkommen lassen, was er schon lange nicht mehr getan hatte: Backgammon spielen zu gehen. Seine Mutter hatte es ihm beigebracht und er war sehr gut darin. Er hatte sich früher damit oft etwas dazuverdient. Gerade hatte er mal wieder richtig Lust, seinen Verstand wieder etwas mehr zu fordern und alte Bekannte zu treffen. Es gab in der Nähe des Marktplatzes eine illegale Spielhölle, in der Glücksspiel in jeglicher Art und Weise angeboten wurde. Dort hinein kamen nur solche, die sich bewährt hatten. John war bekannt.

Als er mit einem mal die krächzigen Worte des anderen hörte, blickte John verwundert aus seinen Gedanken auf, nutzte Alessandros Zeichen von gutem Willen jedoch sogleich für sich und ergriff die Hand, um jenen hochzuziehen. Er stützte ihn und polsterte seinen Rücken mit Kissen, dann setzte er sich wieder hin, so dass sie in etwa auf Augenhöhe waren. Er schwieg einen Moment, nicht wissend, was er nun sagen sollte. Aber er musste ihm die Wahrheit sagen, bevor Dominico ihm Schmarrn erzählte.

„Ich habe ihm die Nase gebrochen“, sagte er deshalb schulterzuckend. „Er wäre sonst in seiner kopflosen Raserei auf Kieran losgegangen. Ich denke, dass dadurch die beiden wieder miteinander reden und sich wieder annähern konnten. Kieran ist nämlich so ein treudoofer Trottel, dass er ewig gewartet hätte, bis sich der Herr bequemt hätte, ihm einen Wink zu geben. Und Lord Sforza ist so verbohrt in seine „Ich muss alle retten“- Gedanken, dass er übersieht, auch sich selbst retten zu müssen.“ Er seufzte leicht und hob die Beine des anderen so an, dass er ihn drehen konnte und jener nun die Füße aus dem Bett baumeln lassen konnte. „Tut mir leid, aber ich habe keine andere Möglichkeit gesehen, die beiden wieder zusammen zu bringen. Offenbar hat es gewirkt. Und ganz kostenlos war es auch nicht." Sein Auge hatte auch noch immer eine blau-lila Färbung. "Auch wenn ich mir ziemlich sicher bin, dass die Rechnung noch nicht gänzlich gezahlt ist.“ Er grinste den Kardinal an. „Wie sieht es aus, Mylord?“, fragte er und stand auf, stellte sich seitlich und griff dem anderen unter die Arme, wie man es mit Bettlägerigen eben machte. „Wollen wir ein Stück laufen?“ Und ohne die Antwort abzuwarten, hob er ihn hoch, so dass dieser wankend stand. „Das sieht ziemlich gut aus, Eure Eminenz.“
 

Alessandro

Der Kardinal hatte wirklich nicht geglaubt, dass sein Körper so dermaßen schnell abbaute. Ja, er hatte sich nach der Vergiftung übergeben und seitdem nichts mehr zu sich genommen - außer dem, was man ihm eingeflößt hatte. Und das war offenbar nicht wirklich genug gewesen. Als John ihn in eine sitzende Position aufrichtete, merkte er, wie seine Muskeln anfingen zu schmerzen. Als seine Beine aus dem Bett hingen wusste er, dass er nicht genug Kraft haben würde, sich darauf zu halten. Und als er sich das erste mal im Spiegel sah, der unweit des Bettes stand, erschrak er vor sich selbst. Seine Wangen waren eingefallen sein Blick hohl und leer und seine Augen lagen in tiefen Höhlen. Ja, er sah wirklich aus wie ein Geist. Im Spiegel sah er zu John, der gerade mit der Wahrheit herausrückte... und die amüsierte den Kardinal. Er fing plötzlich einfach an zu lachen. Es war erst ein krächzendes Glucksen in seiner Kehle, dann brach es sich Bahn und auf einmal lachte Alessandro wirklich laut und sein ganzer Körper schüttelte sich, weil er ihn nicht wirklich unter Kontrolle hatte. Es dauerte eine ganze Weile, bis er sich wieder abgeregt hatte und John ihn auf die Beine zog, während er noch immer gluckste. Seine Beine zitterten merklich, aber er lachte auch immer noch. "Und deswegen brichst du ihm einfach die Nase...? Ein Retter in der Not, das bist du also.." Er war einfach so zum Du geschwenkt. Wer seinem Bruder die Nase brach, hatte das definitiv verdient, vor allem aus so noblen Gründen. Inzwischen liefen Tränen über Alessios Wangen, so sehr lachte er, und hing damit auch recht schwer an John, bis er endlich anfing, sich wieder selbst zu tragen. Das Gefühl in seinen Beinen kehrte langsam zurück, aber es war beinahe so, als wäre er seit Wochen nicht gelaufen und seine Knie waren weich, doch er stand aus eigener Kraft und langsam nahm das Lachen ab. "Du musst ihn in einer Situation erwischt haben, in der er dich nicht gleich in Stücke reißen konnte. Großes Glück, John Forbes." Er ging ein paar wackelige Schritte, gestützt von John, ehe er langsam aber sicher wieder selbst ein Gefühl dafür bekam, auch wenn er jetzt bereits schwitzte. Konzentriert ging er mit John ein wenig im Raum herum, ehe der es ihm wieder gestattete, sich zu setzen. Er räusperte sich, nachdem John ihm Wasser gegeben hatte, und sah zu dem Arzt auf, der vor ihm stand. "Giftmischer, ja?" Ohne es wirklich zu wollen, hatte mit dem Moment in dem er aufgestanden war, sein Verstand wieder angefangen zu arbeiten. Er wusste, dass Charles Brandon hier war, oder kommen würde. Er hatte die Dienerschaft darüber sprechen hören. Er wusste auch, dass sein Bruder hier war.. und dass er mit ihm reden musste. Und er wusste wohl auch, dass.. nein, besser nicht daran denken.

"Ich will, dass du mir einen Gefallen tust, nein, zwei." Seine Stimme kam langsam zu ihrer gewohnten Form zurück, doch sein Hals war rau. "Erstens - weil du meinem Bruder die Nase gebrochen hast, will ich, dass du auf die förmliche Anrede verzichtest. Daher gleich die zweite bitte: Wage es nicht, mich mit einem Namen anzusprechen, der mit A beginnt. Wenn du mich ansprichst, dann mit Sandro.. bitte. Den anderen Namen ertrage ich nicht mehr." Er wusste nicht mal, warum er das zu John sagte, doch so war es nunmal. "Und ich muss dringend mit meinem Bruder reden.. wenn du jemanden finden könntest, der mir hilft, die Robe anzulegen..." Denn er würde sie brauchen. Sie war wie ein Schutzschild vor den Gefühlen, die ihn am Boden hielten.
 

John

Dass der Kardinal ein Schatten seiner selbst war, dass schien er selbst auch so zu sehen. Zumindest verriet das dessen Blick, als er in den Spiegel sah. John kommentierte das nicht. Wenn man nach einer Vergiftung mit 'ausgepumptem' Magen nichts essen wollte, war man selbst Schuld, wenn man wie eine lebende Leiche aussah. Liebeskummer hin oder her.
 

Als John geendet hatte und der Kardinal zu lachen begann, war er kurz irritiert, musste dann aber grinsen. Das war ein ehrliches, amüsiertes Lachen, kein hinterhältiges. Es schien dem anderen gut zu tun, denn langsam kehrte Farbe in sein Gesicht zurück. Lachen war ja auch bekanntlich die beste Medizin. Eenn Alessandro nach der ganzen Geschichte wieder lachen konnte, definitiv ein gutes Zeichen. Unbeirrt stellte John den Kardinal wieder auf die Füße. "Es war nicht so geplant, hatte sich aber so ergeben. Sagen wir, er ist mir unglücklich gegen die Faust gelaufen." Er stützte den anderen. Nicht nur, bis dieser sich beruhigt hatte, sondern auch, bis er wieder sicher stand. Als er sich langsam löste, blieb er bei ihm stehen, wissend, dass der Kreislauf da oft schlapp machte, wenn man so lange gelegen hatte. "Kieran und Giulia sprangen dazwischen, sonst hätte er mich wohl zu Kleinholz verarbeitet", gab er zu und hielt den anderen am Arm, als er erste Laufversuche startete. "Klapp doch ganz gut, Mylord", sagte er lächelnd, als der andere die indirekte Frage stellte. "So hat mich zumindest neulich jemand bezeichnet. Wobei Gifte nicht das Hauptthema sind, womit ich mich beschäftige. Ich forsche gerade an einem sehr tiefgehenden Schlafmittel und, mit Verlaub, ihr ward eine sehr gute Testperson, als mich euer Bruder bat, Euch einen ruhigen Schlaf zu verabreichen."

Sie gingen durch den Raum und blieben schließlich wieder stehen. Als der Kardinal ihn um zwei Gefallen bat, nickte er und hörte diese an. Das Du würde er nicht abschlagen können und wollte auch gar nicht recht. Das andere war genauso ok. "Nur wenn Ihr .. Du mir einen gefallen tust: ISS bitte etwas, Sandro!" Er lächelte und zwinkerte dem anderen zu, dann ging er, um jemanden zum Ankleiden zu finden. Als er mit Bediensteten zurückkehrte, blieb er in der Tür stehen. "Brauchst du mich noch? Ansonsten würde ich noch ein wenig im Labor arbeiten."
 

Alessandro

"Sandro" ließ Johns Bemerkung zu den Giften einfach im Raum stehen und atmete tief durch als er endlich wieder saß, auch wenn seine Muskeln selbst beim Sitzen protestierten. Er trank noch mehr Wasser, weil es einfach gut tat, und sah dann zu John auf. "Später.. ich werde später etwas essen, aber zuerst.. sind wichtigere Dinge zu klären. Gut, ob es etwas wirklich Wichtigeres zu tun gab, als essen in seinen Magen zu schaffen, wusste er nicht. Aber gerade hatte er keinen Appetit. John verschwand um einen Ankleidediener zu organisieren und Alessandro schälte sich aus dem Nachgewand, das er trug. Nackt fühlte er sich schon besser und die frische Luft strich angenehm über seine so bleiche Haut. Alles an ihm schien an Farbe verloren zu haben, auch seine eigentlich so schönen Augen. Nun, dafür war später Zeit, nicht jetzt.

Als er Ankleidediener mit John zurückkam, hatte sich Sandro bereits die Unterwäsche angezogen und wartete auf den Mann. Der holte die schwere rote Robe aus einem Schrank und begann, die einzelnen Lagen von Stoff auseinander zu sortieren. Alessio gab knappe Anweisung, nicht das gesamte Ornat anzulegen, sondern nur den einfachen roten Mantel samt Untergewand. Das würde reichen, so hoffte er. In der Hand hielt er bereits ein Kreuz, ein goldenes, besetzt mit roten Rubinen. Er legte es jedoch nicht an, sondern winkte John zu sich, der im Türrahmen stehen geblieben war. "Ich brauche dich sehr wohl noch. Abgesehen davon, dass ja auch mein Bruder ein Huhn mit dir zu rupfen hat, aber das soll mich vorerst nichts angehen. Deine "Gifte" interessieren mich weit mehr, denn ohne es vielleicht zu wollen, hast du mich auf eine faszinierende Idee gebracht." Sein schiefes Grinsen bedeutete schon jetzt nichts Gutes. "Natürlich nur, wenn es dir nichts ausmacht, einem sehr mächtigen Mann einen ordentlichen Tritt in den Hintern zu verpassen, der dafür sorgen wird, dass er von seinem so hohen Podest purzelt. Dein Name wird selbstverständlich niemals Erwähnung finden." Doch während der letzten zwei Tage waren Sandros Gedanken darum gekreist, wie er Cromwell niederstrecken konnte... und ihm fiel nur eine einzige Gelegenheit ein, die er nutzen konnte: Das Turnier.

"Du wirst mich zu einem Gespräch begleiten.. also, wenn du es einrichten kannst. Ich kann dich schließlich nicht zwingen und will es auch nicht. Aber es ist dir vielleicht eine Befriedigung, dir Dominicos Nase einmal aus der Nähe anzusehen und die Tatsache, dass es schon sein Auge einfärbt."

London 3 - Rachepläne

Dominico

Der Mann mit dem blauen Auge und dem leicht geschwollenen und ebenso blau eingefärbtem Nasenrücken war nach seinem bei Alessandro die Treppe wieder nach unten gelaufen, gerade rechtzeitig, um Charles und seinen Begleiter zu begrüßen, der sich als Tancred de Nerac herausstellte. Nico war überrascht, diesen Mann hier zu sehen, den er in letzter Zeit immer mal wieder gesehen hatte und den er wegen seines Umgangstones und seiner Erfahrung schätzte.

Er bemerkte, wie Tancreds Blick über seine Nase huschte, doch der Franzose hatte sich perfekt unter kontrolle und falls er sich wunderte oder darüber amüsiert war, zeigte er es nicht. Charles war da anders. "Vom Pferd gefallen, Dominico? Das ist kein guter Start für ein Turnier", zog er den Italiener auf, der nur lässig grinste und mit den Schultern zuckte. "Wilde Hengste mit viel Temperament lassen sich eben nicht so leicht zähmen."
 

Tancrèd

"GOTT VERDAMMMT, hatte dieser Mann recht!", schoss es Tancred durch den Kopf. Der hatte bei "wilder Hengst mit viel Temperament" ganz sicher nicht an ein Pferd gedacht, sondern viel mehr an den Mann, der Nico dieses blaue Auge beigebracht hatte.

Nico führte sie in den Wintergarten, in dem eine Erfrischung und Häppchen vorbereitet worden waren, und Tancred bediente sich, ehe er etwas durch den Raum schlenderte, weil er der Meinung war, die beiden besser vorerst allein zu lassen.

Sie blieben jedoch nicht lange zu dritt: Ein anderer Mann kam herein, den Tancred nicht kannte. Er hatte kurzes braunes Haar, trug einfache Kleidung und einen ledernen Schurz und er roch etwas streng nach verbranntem Horn. Ein Hufschmied? Tancred beobachtete, wie Nico den Mann näher winkte, nachdem der unschlüssig stehengeblieben war. Er setzte sich an das äußerste Ende des Tisches, lehnte Essen und Trinken ab und besah sich offenbar das Muster der Tischplatte. Sie warteten noch eine Weile, während Nico und Charles sich leise unterhielten, ehe Nico an den Tisch trat und sich räusperte. "Ich denke, wir wissen alle worum es geht..." Nun, nein, Tancred wusste es nicht und drehte sich um. "Nein, ich fürchte, ich weiß es nicht genau. Lord Brandon sagte, Ihr bräuchtet meinen militärischen Rat?" Nico sah stirnrunzelnd zu Charles, der die Schultern zuckte. "Ist das denn nicht militärisch?" Nico winkte ab. "Nun, wie Ihr wisst, gibt es am Hofe Komplikationen mit einem Herrn namens Cromwell. Er intrigiert gegen diese Familie und auch gegen die Familie Brandon und sein Ziel ist es, Ausländer außer Landes zu schaffen."

"Und ihr denkt, er könnte das auch bei mir versuchen?" Der Franzose trat wieder an den Tisch und legte den Hut darauf ab. Seine Jacke hing lässtig über seine Schulter, weil es einfach zu warm war, sie zu tragen. "Ich muss die Herren vermutlich enttäuschen, aber ich habe nicht den Wunsch, mich in politische Angelegenheiten einzumischen und ergreife für keine Seite Partei."

"Dann werdet Ihr aber auch euren Freibrief nie erhalten."

Drei Männer drehten den Kopf zur Tür. Darin stand kein anderer als Kardinal Alessandro Sforza höchst persönlich und neben ihm, zu Tancreds Überraschung, kein anderer als John Forbes. Der Kardinal sah furchtbar aus, doch sein fester Blick und seine frische rote Robe erweckten den Eindruck, als wüsste er, wovon er sprach. Den am Tisch sitzenden Schmied ignorierte er vollkommen, während er, gefolgt von John, in den Raum trat. "Cromwell ist Diplomat und will den diplomatischen Weg gehen. Die Gelder, die der König für seine Flotte in die Hand nimmt, sind ihm ein Dorn im Auge und er will diese Aufrüstung stoppen, die seiner Meinung nach keinen wirklichen Sinn hat. Ihr werdet keinen Freibrief erhalten, der dem König Probleme mit weiteren Nationen beschehren kann, solange Cromwell in dieser Sache noch Entscheidungsgewalt hat."

Diese Worte klangen so unglaublich nüchtern.. sogar Tancred, der den Mann nicht kannte, war erschreckt von so viel kühler mechanischer Denkarbeit. In der Stimme des Kardinals lag kein bisschen Wärme, sein Ton war ruhig, sachlich und kalt. Tancred griff nach einem Glas Wein, nippte daran und verzog anerkennend den Mundwinkel. "Ich kann auch ohne Freibrief den Hafen verlassen. Die Meere der Welt sind groß. Warum sollte ich auf England angewiesen sein?" Er konnte ja mal ausloten, wie gut der Kardinal informiert war.

"Weil der König auch das Material Eures Schiffes bezahlt und Ihr lange fahren müsst, bis Ihr einen Hafen findet, der bereit ist, Euch Proviant, Kanonenkugeln und anderes benötigtes Material zu beschaffen."

Tancred prostete dem Kardinal zu. "Ich sehe, selbst in einem halbtoten Zustand habt Ihr Eure Hausaufgaben glänzend erledigt."

Inzwischen hatte auch Nico seine Starre überwunden, maß John mit einem tödlich beleidigten Blick und starrte dann seinen Bruder an. "Was hat er getan, dass du aufgestanden bist?" Alessandro grinste bösartig. "Er hatte die richtigen Argumente und eine nahezu perfekte Idee..". Charles, der nicht ganz verstand, von was die beiden redeten, räusperte sich. "Wie dem auch sei, wir müssen darüber beratschlagen, wie wir gegen Cromwell vorgehen und ich denke, es ist auch in Ihrem Interesse, Monsieur de Nerac, wenn Sie uns eventuell unterstützen." Und ja, das sah auch Tancred so, also hörte er aufmerksam zu.

"Doch zunächst einmal... wer ist der Mann, der Cromwell all diese Dinge verraten hat?"
 

John

Als sie in den Wintergarten kamen, war das eine sehr amüsante Situation für John. Er musste unwillkürlich schmunzeln, als er sah, wie die Männer auf Sandro und ihn reagierten:

Tancred blickte ihn an, als habe er einen Geist gesehen. Brandon war verwirrt und würdigte ihn kaum eines Blickes, während er den Kardinal kurz musterte, aber offenbar erleichtert war, dass er wieder da war. Dominico schien wie versteinert und konnte offenbar nicht fassen, dass da wirklich sein Bruder vor ihm stand. Der Mann, der am Tisch saß, schaffte es nicht einmal, den Blick zu heben, sondern starrte auf seine auf dem Tisch gefalteten Hände. Offenbar war der die Wurzel allen Übels, denn auch der Kardinal würdigte ihn keines Blickes. Der kurze Schlagabtausch mit Nadim machte nur zu deutlich, dass Sandro wieder vollkommen klar denken und handeln konnte. Dass sein Körper das nicht lange mitmachen würde, war John klar und das machte ihm fast schon Sorgen, obwohl er eigentlich dafür gar nicht der Typ war. Schließlich war Sandro ein erwachsener Mann, und ihm konnte es scheißegal sein, ob er aus den Latschen kippte - eigentlich.

Schließlich schien Nico wieder Herr der Lage zu werden und warf ihm den bereits erwarteten Blick zu. Und noch mehr musste John über die Antwort des Kardinals schmunzeln. Nun, da es um die Idee ging, wurde es auch wirklich interessant für John. Tancred beachtete er weiter eigentlich nicht weiter. Er stand leicht hinter dem Kardinal und wartete ab, was geschehen würde. Hier waren mächtige Männer anwesend und ein Hufschmied – er hielt sich raus aus dem Gespräch und beobachtete. Es war erstaunlich zu beobachten, wie der Schmied nach der Frage, die Brandon gestellt hatte, sich erhob, als habe er auf sein Stichwort gewartet, und nun mit deutlich festem Blick eben diesen ansah. „Das war ich“, erklärte er und auch seine Stimme gewann mit jedem Wort an Festigkeit. „Ich habe Informationen weitergegeben, die es ermöglicht hatten, dieses Attentat auf den Kardinal auszuführen.“ Der Schmied schien wesentlich mehr dazu sagen zu können, aber aus welchen Gründen auch immer, tat er es nicht.
 

Rodrego

Rod hatte jene Nacht in dem Arbeitszimmer verbracht. Am nächsten Morgen wusste er, dass er diese ganze Geschichte für sich nur dann zum Guten klären könnte, wenn er der Familie Sforza als Hilfe erhalten blieb. Wenn diese ihn nicht mehr bräuchte, dann würde er sehen, was er machen würde. Vielleicht, so kam ihm der Gedanke, würde er in Übersee, in Amerika, sein Glück versuchen. Er hatte von Gerüchten gehört, dass es dort drüben Land zu verschenken gab. Er war ein guter Handwerker, er würde dort eine neue Existenz aufbauen können. Aber erst einmal musste er hier helfen, zumindest einen Teil der Schuld zu tilgen. Er ging seiner Arbeit auf dem Anwesen nach. Denn in London würde er sich nicht mehr so schnell blicken lassen. Er wollte Cromwell keine Möglichkeit geben, ihn noch einmal zu kontaktieren. Er wollte auch sonst nicht irgendwie sichtbar sein. Er hatte gerade genug andere Probleme und ob er jemals wieder für den König arbeiten würde, war fraglich. Es würde etwas dauern, bis man bemerkte, dass er gar nicht mehr erschien. Erst dann würde er gesucht werden, schließlich stand er in der Schuld des Königs.

Dominico informierte ihn irgendwann, dass es am nächsten Morgen eine wichtige Besprechung gäbe, bei der er anwesend sein solle. Rod erklärte sich dazu bereit, und vernahm mit Schrecken, dass Alessandros Zustand noch immer unverändert war. Er hatte ihn tief verletzt und es tat ihm unendlich leid. Aber er hatte keine andere Möglichkeit gesehen, ihn letztlich zu schützen. Er… Rod schob den Gedanken beiseite, während er in den Wintergarten trat und sich zu Dominico, Charles und einem Mann gesellte, der ein wenig wie ein Pirat aussah. Er setzte sich an den Tisch und wartete, was geschehen würde, beobachtete wie die drei Männer miteinander redeten. Stellten diese drei die Gegner Cromwells dar? Rod war gespannt, wie sie es schaffen würden, diesen widerlichen Intrigant zu stürzen. Es musste schon ein guter Plan her… Als er eine ihm so vertraute Stimme hörte, zuckte er merklich zusammen. Rod traute sich kaum, den Kopf zu heben, er schaffte es nicht einmal, Alessandro in die Augen zu sehen. Er war wirklich ein elendiger Feigling, ein erbärmlicher. Er konnte nicht so passiv sein, musste Willen zeigen, für das gerade zu stehen, was er angerichtet hatte, was er seiner Familie angetan hatte.

Charles gab ihm die Vorlage dafür. Rod stand ohne zu zögern auf und blickte in die Runde, wobei er Alessandros Blick dennoch mied. Es war leichter als geahnt, diese Worte auszusprechen, dass er derjenige war, der für das Attentat verantwortlich war. „Aber ich werde alles in meiner Macht stehende…“, weiter kam er nicht, denn Brandon schien ihm gar nicht zuhören zu wollen, sondern fragte Dominico, weshalb er dann überhaupt noch lebe. Rods Augen verdunkelten sich, und Dominico erklärte, dass die italienische Ehre es ihm nicht gestatte, Landsmänner zu töten. Humbuck, irgendwie. Aber Rod war Nico dankbar, diese Frage erst einmal so geklärt zu haben. „Wie ich schon sagte“, fuhr er nun fort. „Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um meine Schuld wenigstens ein Stück weit zu tilgen. Koste es, was es wolle.“ Ja, dem war wirklich so. Denn noch stand ja auch gar nicht fest, was mit ihm hinsichtlich der Familie Stanley geschehen sollte. Rod setzte sich wieder und wartete. Wenn Alessandro einen Plan hatte, so würde von diesem abhängen, was geschehen sollte. Und Alessandro breitete nun seinen Plan für je aus. Und so gewagt, wie sie klangen, so genial waren sie auch. Die Männer um ihn redeten lange und intensiv.
 

Alessandro

Ihre Unterredung dauerte wirklich lange, doch alle Details ihres weiteren Vorgehens mussten besprochen werden. Dazu gehörte zunächst einmal, weiterhin gute Miene zu bösem Spiel zu machen. Sowohl Nico als auch Charles sollten bei diesem Turnier starten, so viel war sicher. Sie durften Cromwell diesen Sieg nicht überlassen. Da sie dank Rodrego wussten, was dabei auf sie zukommen würde, konnten sie dem wirksam entgegen treten und dafür hatte Alessandro bereits einen Plan.

Dann ging es darum, Cromwell etwas entgegen zu setzen. Etwas, das der nicht ahnen konnte, und etwas, das er nicht erwidern konnte. Ein Angriff, mit dem er nicht rechnete. So war es für Rodrego zunächst vorgesehen, wieder nach London zu reiten, sich seinem "Wohltäter" zu präsentieren und so zu tun, als sei nichts gewesen oder sogar noch etwas intensiver darauf herumreiten, dass Alessandro ja noch lebte. Währenddessen plante Alessio mit Johns Hilfe einige kleine Schläge gegen Cromwells Verantwortlichkeitsbereich. Er riss immer mehr Ämter an sich, die er allein gar nicht stemmen konnte, weswegen er andere Menschen verpflichetet und die konnte man kaufen. Oder vergiften.

Alessio hatte nicht vor, über Leichen zu gehen, doch ein tiefer Schlaf oder Unwohlsein zur falschen Zeit konnte Cromwell in Erklärungsnöte bringen und den Liebling an des Königs Seite in peinliche Situationen und genau das brauchten sie. Sie mussten Cromwell verunsichern, von vielen Seiten angreifen und dabei nicht übersehen, einander gegenseitig die Augen auszukratzen, um den Schein zu wahren. Tancred fand ebenfalls einen Platz in diesem perfiden Spiel, in dem er selbst immer wieder Berichte von nah vor der Küste kreuzenden Spaniern fälschen sollte... Denn was Cromwell konnte, das konnten sie auch. Tancred, der selbst Franzose war und die Spanier sehr gut kannte, würde ein Dokument über ein Bündnis zur See sicher sehr gut fälschen können. Wenn das dem König in die Hände fiel und Cromwell ahnungslos war? Nun, dann würde Henry merken, dass dieser Mann und seine diplomatische Isolation Englands rein gar nichts bringen würde.

Als sie endlich fertig waren, war Sandro so klapprig auf den Beinen, dass er froh war von John gestützt zurück in sein Zimmer zu gelangen. Er fühlte die Blicke eines ganz bestimmten Mannes im Rücken, die ihn beinahe wie Dolche zu Boden zu ringen drohten, doch er hielt durch, bis er endlich weider in seinem Bett saß. Auch wenn die Aussicht auf das neuerliche Liegen unangenehm war, er musste sich ausruhen. Immerhin hatte man ihm einen guten Hühnereintopf gekocht, der hervorragend dufte. Dankbar verabschiedete er sich von John, der noch im Labor arbeiten wollte, und blieb allein mit seinen Gedanken zurück.
 

Dominico

Nico in der Zwischenzeit, verabschiedete sich von Charles Brandon und Tancred de Nerac. Der Franzose hatte sich knapp verneigt und war bereits vorgegangen, während Nico mit Charles zurückblieb. Rodrego war in den Stall zurückgekehrt, zumindest nahm Nico das an. "Du wirst ihn doch wohl nicht wirklich am Leben lassen..." Charles war immer noch entrüstet. "Er ist mein Freund. Unser Freund. Das, was Cromwell getan hat, um ihn so weit zu treiben, ist schändlich. Aber ich bin Katholik und es verstößt gegen meine Prinzipien jemanden zu töten, nur weil er auf den falschen Pfad gelenkt wurde. Er wird uns die größte Hilfe sein, die wir bekommen können, glaube mir." Charles sah wenig überzeugt aus, doch im Grunde war Rodrego Fernale nicht sein Problem, sondern das der beiden Brüder. Er verabschiedete sich und verließ das Anwesen.

Auch Nico hatte vor zu gehen. Ja, eigentlich hätte er besser für das Turnier trainieren sollen, doch er hatte in London einige Besorgungen zu erledigen und musste vor allem wieder am Hof erscheinen, nach dem er schon zwei Tage nicht mehr dort gewesen war. Im Maßstab des Hofes eine Ewigkeit! Er besprach es kurz mit Alessio, den er allein aber essend vorfand, und warnte ihn schon vor, dass er die Nacht wohl in London verbringen würde.

Johns Vater war nämlich außer Haus und Kieran allein. Er hatte es ihm bereits gesagt, weil Nico ihn gebeten hatte zu kommen, aber Kieran das abgelehnt hatte.. nun, dann würde er Kieran eben überraschen, indem er abends zu ihm kam.
 

John

Rodrego, der Schmied, tat ihm fast ein wenig Leid, wie er da stand und man gleich indirekt seinen Tod forderte. Denn irgendwie wirkte jener so gar nicht schuldig auf ihn. Er war sich seiner Schuld bewusst, das sah man. John glaubte ihm, dass er helfen wollte, so gut es ging. Und dadurch, dass er mit den Informationen herausrückte, was das Turnier betraf, half er schon einmal enorm, und gleich noch mehr, als man ihn darauf ansetzte, vor Cromwell den Verärgerten zu spielen. Rod hatte diese Aufgabe ohne mit der Wimper zu zucken angenommen, auch wenn er erst überrascht schien. Aber es machte schon Sinn Cromwell mit den gleichen Waffen der Intrige zu begegnen. John würde die entsprechenden Medikamente liefern. Er wollte nur in keinen Mord an sich verwickelt werden. Er tötete nicht, wollte das nicht, auch wenn er es könnte. Besser, als Cromwell, dessen Vergiftungsversuch von Sandro definitiv stümperhaft gewesen war.

Er begleitete diesen in seine Gemächer, ann verabschiedete er sich mit den Worten "Wenn was ist, bin ich Labor!" von diesem und ging in Gedanken versunken genau dorthin.

London 3 - Intensive Gespräche

Tancrèd

Tancred war indes in den Hof hinaus getreten. Die Sforzas, da konnte man sagen was man wollte, hatten einen verdammt guten Geschmack, was ihre Einrichtung anging... und auch der Hof und die Blumen waren wunderschön arrangiert. Was nun tun mit diesem angefangenen Tag? Um nach Portsmouth zu reiten war es jetzt bereits zu spät, aber in London würde er auch nur wieder herumlungern... Verdammtes, langweiliges Leben ohne Schiff! Gerade als er sich zum Stall wenden wollte, sah er John von weitem aus einem der Seiteneingänge kommen und auf ein Nebengebäude zugehen. Tancred sah sich um, doch niemand schien ihn zu beobachten und darauf wert zu legen, dass er verschwand... nun, dann konnte er ja mal sehen, was John hier so machte.

Langsam und gemächlich folgte er dem jungen Arzt und erreichte einen wunderschön angelegten und riesigen Kräutergarten. Ein Paradies mochte man meinen, doch Tancred war vorsichtig. Er kannte sich zu wenig aus, um zu wissen, was giftig war und was einfach nur Würze versprach.

Die Türen und Fenster waren offen, als er näher trat und John drinnen werkeln sah. Leise klopfte er an den Türrahmen als er eintrat. "Ich sagte doch, jemand mit deinem Talent kann die Welt erobern... Als essentieller Teil einer Verschwörung dazustehen, ist sicher kein schelchter Anfang." Doch, es war der denkbar schlechteste Anfang, aber Johns Können wurde gesehen und anerkannt und das war gut. "Es ist ein schönes Labor... Dürft ihr beiden hier immer arbeiten?" Er hatte so etwas bei Kieran und John herausgehört, aber dieses voll ausgestattete Labor war wirklich schön und sicher sehr sehr nützlich. "Hut ab.. ich denke, da mache ich mir weiterhin keine Sorgen um die perfekte Versorgung an Deck."
 

John

Er brachte den Kardinal zurück in sein Zimmer, nahm ihm noch einmal das Versprechen ab, die dort bereitstehende Suppe wirklich zu essen, und ging dann ins Labor, um zu arbeiten. Sein Vater würde nach Portsmouth aufbrechen und die Medikamente ausliefern, während Kieran das Haus hütete. Dann konnte er mit nur mäßig schlechtem Gewissen Kieran gegenüber, ein wenig hier bleiben und arbeiten und später in London ein wenig zocken gehen. Ja, darauf freute er sich. Und so machte er sich gut gelaunt daran, im Labor zu arbeiten. Er mochte diesen Ort sehr - weg von seinem zu Hause, wo er in der Regel ungestört arbeiten konnte. Er musste an Tancreds Worte denken, die nichts anderes beinhaltet hatten, als dass er sich irgendwann einmal vielleicht doch lösen musste, dass er wirklich auch woanders auf der Welt mit seinem Beruf erfolgreich sein könnte. Und genau in diesem Moment klopfte es an den Türrahmen und John drehte sich um. Würde jetzt Dominico doch noch seine Unterredung einfordern? Doch wer da stand, war niemand geringeres als der Mann, der ihn gestern Abend mit einem Kuss überrumpelt hatte, der ihm jeglichen Atem genommen hatte. John hob die Augenbraue. „Wenn man an den Teufel denkt,…“, sagte er und schmunzelte leicht. Schließlich war er letztlich gestern als etwas Vergleichbares betitelt worden. „Und ja, das sagtest du“, bestätigte er die Worte des anderen, während er sich wieder umdrehte, um unter dem gläsernen Behälter ein kleines Feuer zu entfachen. „Aber ich weiß nicht, ob das wirklich ein so gelungener Anfang ist. Ich verstehe, dass das notwendig ist, aber eigentlich ist meine Intention bei dem, was ich mache, den Menschen zu helfen. Das Schlafmittel habe ich entwickelt, um Menschen bei Operationen so ruhig zu halten, dass man ihnen wirklich helfen kann.“ Er überprüfte, was sich im Glas tat und als er merkte, dass die Flüssigkeit zu köcheln begann, drehte er sich Nadim wieder zu. „Ja, das ist einer meiner wenigen Lieblingsplätze“, gab er dann zu. „Und noch bin ich nicht rausgeschmissen worden.“ Er grinste leicht. Sicher hatte Tancred das blaue Auge und die Nase gesehen und kannte ja die Zusammenhänge. „Mein Vater ist im Übrigen gerade auf dem Weg zu euch nach Portsmouth mit der nächsten Lieferung. Du musst dir also wirklich keine Sorgen machen.“ Er war auf Tancred zugetreten. „Aber die Produktion ist sehr mühsam. Es gibt so viele Dinge, die man brauchen könnte, einfach nicht. Ich kann zum Beispiel jetzt nichts anderes tun, als darauf zu warten und zu beobachten, wie die Flüssigkeit dort drüben nach und nach einkocht, bis ich sie trocknen lassen kann und dann als Pulver verwenden kann. Wenn ich mich mit etwas anderem, oder jemand anderem beschäftige, könnte es passieren, dass ich den richtigen Zeitpunkt verpasse…“ Er lächelte leicht. „Du hast gestern gar nicht gesagt, dass du heute hier sein würdest.“
 

Tancrèd

Es wirkte schon so ein wenig wie das Labor eines verrückten Alchimisten. In Johns Augen gab es hier sicher eine Ordnung, Tancred sah sie jedoch nicht. Überall standen aufgereiht verschiedene Phiolen mit faszinierenden Flüssigkeiten von einer Farbe und einem Geruch, dass Tancred froh über die geöffneten Fenster war.

Er wusste aber gleichzeitig auch, dass sein aufgeräumtes Deck bei den meisten nur Stolperfallen und unnützes Gerät darstellte - jeder machte sich eben seinen eigenen Arbeitsplatz, wie er ihm gefiel.

Es juckte ihn in den Fingern hier und da genauer zu beobachten, was sich in den Gläsern abspielte, doch die Angst danach nicht mehr aufzustehen, hielt ihn davon ab. Johns Begrüßung ließ ihn nicht nur breit, sondern sehr sehr breit grinsen. Es war ein kleiner Hinweis darauf, dass John gestern zumindest verstanden hatte was mit Incubus gemeint gewesen war. Johns kurze Erklärung zu seinen Worten brachte ihn in eine ernstere Stimmung. "Den Menschen helfen wollen wir alle, auf die eine oder andere Weise. Ich bin mir fast sicher, dass auch jemand wie Thomas Cromwell ehrenhafte Absichten hat, zumindest in seiner Sicht der Dinge. Wer kann schon sagen, dass Spanier versenken besonders.. hilfreich ist, außer für meinen eigenen Geldbeutel und meine perfide Befriedigung?" Jetzt grinste er wieder. "Auch wenn das sicher nicht so befriedigend ist, wie manch andere Dinge."

Er beobachtete, wie John Feuer unter dem Behälter entfachte und sich zufrieden davon entfernte, als es zu köcheln begann. Es brauchte sicher eine exakte Temperatur und die richtige Zusammensetzung - Tancred bewunderte das wirklich. "Oh, der alte Herr gar nicht im Haus? Wunderbar. Kadmin ist zwar auch nicht in Portsmouth, um unseren Anteil am Nachschub abzugreifen, aber ich glaube Kieran hat meine Mannschaft doch ganz gut darauf gedrillt, auf ihre Versorgungslisten zu achten. Er wird wohl einige Tage dort bleiben, bis er alles erledigt hat." Tancred behielt diese Information als Wichtig im Hinterkopf. Das bedeutete nämlich, dass John zumindest heute und morgen etwas freier in den Dingen war, die er zu tun hatte. Er lehnte sich gerade gegen eine der Arbeitsplatten, die sauber war, so dass er keine Angst haben musste, etwas umzuwerfen oder etwas anzuzfassen, das besser nicht angefasst wurde. "So also sieht dein Lieblingsplatz aus.." Während John langsam zu ihm herum kam, ließ Tancrèd abermals seinen Blick durch den Raum schweifen. "Ich habe schon mit Kieran überlegt, wie man einige der Dinge auf einem Schiff herstellen könnte, aber all das hier bei Wellengang? Ich glaube das wäre nicht sehr gesund." Er grinste schief. "Und ich glaube über einen Rauswurf musst du dir keine Gedanken machen... immerhin hast du den Kardinal aus dem Bett befördert und der hat nicht so ausgesehen, als sei er undankbar. Als ich eben hierher gekommen bin, habe ich gesehen, dass Mylord Sforza Richtung London aufgebrochen ist.. Heute wirst du also kaum noch gehen müssen." Wenn es jemanden gab, der Verständnis für Lieblingsplätze hatte, dann Tancred. An dem zog die Sehnsucht nach dem Bug seines Schiffes, der rauhen See und den sich blähenden Segeln.

John hatte ihn inzwischen erreicht und stand recht nah vor ihm. Tancred konnte riechen, dass der junge Mann sich gewaschen hatte, sein Haar duftete nach.. Lavendel? Vielleicht. Vielleicht weil es im Hause Sforza einen gewissen Standart erforderte, hatte er sich rasiert und seine Haut wirkte sauber und weich. Tancreds Blick glitt ungeniert über Johns Gesicht und in den Ausschnitt des teils geöffneten Hemdes, ehe er sich kurz über die Lippen leckte, weil sein Mund sich mit einem Mal etwas trocken anfühlte. Soso.. da war jemand also auf dieses Spiel eingegangen, das er gestern angefangen hatte. In seinem Bauch machte sich ein leises Gefühl angenehmer Aufregung breit. Gab es etwas Schöneres als solche Andeutungen? Wohl kaum. Sein Blik suchte wieder Johns Augen, ehe er er auf den Behälter sah, dem John den Rücken zuwandte. "Oh ja.. Ablenkung kann wirklich zu schlimmen Fehlern führen", erwiderte er leise und wieder zierte seine Lippen ein Grinsen. "Aber niemand sagt, dass du den Blick von der Flüssigkeit nehmen musst, während du dich mit etwas anderem oder jemand anderem beschäftigst." Seine Stimme hatte den ungefähr gleichen frivolen Ton angenommen, den eben schon Johns Worte geziert hatten. Er hatte die Jacke von der Schulter genommen und krempelte sich gerade etwas das weite Hemd hoch, ehe er ebenso die oberen Knöpfe öffnete wie John, weil es hier drinnen warm war. Es sah wie eine nebensächliche Bewegung aus, war aber im Grunde viel mehr. "Es wäre wirklich schlecht, wenn du den richtigen Zeitpunkt verpassen würdest. Nicht dass am Ende der Patient wirklich nicht mehr aufwacht." Wieder lehnte er sich an die Arbeitsplatte. Vielleicht unabsichtlich so, dass man sah, was sein Körper zu bieten hatte. Zufällig natürlich. "Ich hatte auch gar nicht den Plan hier her zu kommen", fuhr er dann fort. "Charles Brandon hat mich auf dem Weg nach Portsmouth abgefangen, er sagte, er brauchte mich. Nun, ich bin mir nicht so sicher, ob sie mich brauchen oder einfach auf ihrer Seite haben wollen, aber da sie recht haben, was den Freibrief betrifft, bin ich wohl an Bord."
 

John

„Aber das ist das Problem. Es gibt keine neutrale Sicht der Dinge, jeder ist sich selbst der nächste und das wird sich auch nicht so schnell ändern. Bei den meisten Ärzten ist das nicht anderes. Viele helfen nur denen, die das nötige Geld haben. Alles andere ist ihnen egal. Mein Ziel ist es, den Menschen, die Hilfe bedürfen, zu helfen. Das ist für mich Befriedigung“, schloss er. „Eine andere Art von Befriedigung als guter Sex, aber auch ‚zufriedenstellend‘“, fügte er dann mit fast tadelndem Ton hinzu. „Aber solche Dinge lassen sich doch nicht vergleichen, Monsieur de Nerac.“ Er grinste leicht. Dass sein Vater einige Tage in Portsmouth bleiben würde, wie Tancred mutmaßte, bestätigte John mit einem Nicken und den Worten. „Er kann sich ruhig Zeit lassen.“ Nach dem gestrigen Tag hatte er erst einmal wieder genug von Vorwürfen. Dann hob John skeptisch die Augenbraue, als er von Tancreds und Kierans Überlegungen von einem Labor an Deck eines Kriegsschiffes hörte. „Ich glaube kaum, dass das möglich und sinnvoll ist. Es gibt Prozesse, die so komplex sind, dass sich da nichts bewegen darf. Wenn, dann müsste man Equipment mitnehmen und wenn man vor Anker liegt an Land dann kurzfristig etwas machen. Aber an Board würden nur einfache Dinge gehen.“

Dass Dominico Richtung London unterwegs war, beruhigte ihn ein wenig, zumindest heute nicht noch über die gebrochene Nase reden zu müssen. Was Tancred hinsichtlich Sandro sagte, so hoffte das John auch. Vielleicht hatte er ein wenig gut machen können.

John genoss diese leichte knisternde Stimmung zwischen ihnen, diese Andeutungen und Anspielungen. Er sah, dass Tancred ihn musterte, das geöffnete Hemd bemerkte, das eigentlich nur Mittel zum Zweck war, aber bei dem anderen ganz andere Gedanken offenbar aufkommen ließ. Tancred ging auf seine Andeutungen ein und John verstand es, in seinem Gesichtsausdruck nicht zu viel Amüsement zu verraten. „Da magst du Recht haben, aber bin ich eine Frau? Die können sich scheinbar auf viele Dinge gleichzeitig konzentrieren“, er sah den anderen fast schon verzweifelt an. "Aber wenn ich nur ein wenig abgelenkt werde, nur einmal kurz die Augen schließe oder mit meinem Gegenüber verschmelze – im Gespräch – dann kann das schon fatale Folgen haben…“ Er nickte, als müsste er sich selbst in seinen Worten bekräftigen, während seine Augen den Fingern des anderen folgten, die wie beiläufig das Hemd öffneten, die Ärmel hochkrempelten. Hatte er schon mal erwähnt, dass Tancred einen schönen männlichen Körper hatte?

Was man mit ihm alles anstellen könnte... Irritiert war John, als er hörte, dass Tancred offenbar auf dem Weg nach Portsmouth gewesen war. Hatte er nicht bis zum Turnier hier bleiben wollen? John merkte, dass er offensichtlich häufiger darüber nachdachte, was der andere so tat, als er gewohnt war, über andere nachzudenken. „Und wenn du ihn hast, dann bist du auf und davon, nicht wahr?“, fragte er. „Was bedeutet er für dich?“ Er zwang sich seinen Blick von der Brust des anderen nach oben in seine Augen zu sehen. „Dann verfolgst du die Spanier bis ins heilige Land, oder? Dich hält hier ja nichts. Auf Regen und Grau in Grau kannst du sicher gut verzichten.“ Er lächelte leicht, als ob er das irgendwie nachvollziehen könnte. „Aber vielleicht solltest du dann zusehen, ein paar schöne Erinnerungen mitzunehmen, nicht wahr?“ John wusste nicht so recht, wieso er darauf zu sprechen kam. Aber irgendwie waren diese Gedanken da und dass Tancred für ihn jemand sein würde, der nur eine kurze Zeitspanne in seinem Leben einnehmen würde, machte dieses Spiel zwar auch irgendwie reizvoll, gab ihm aber auch zugleich einen etwas herben Beigeschmack, ohne dass er wusste - oder sich eingestehen wollte - , wieso.
 

Tancrèd

Ja, Tancred hatte sich viele Gedanken gemacht. Und er wusste insgeheim auch, warum er sich diese Gedanken gemacht hatte: weil er durchgespielt hatte, wie es wohl sein würde, Kieran auf dem Schiff zu haben. Weil er durchgespielt hatte, wie es sein würde, John auf dem Schiff zu haben. Es waren Gedankenspiele und Tancred hatte derer viele, seit er allein und gelangweilt in London war. Er wusste, dass es zumindest in manchen Dingen möglich war. Sicher nicht bei den komplizierten Verfahren, die John manchmal aufstellte, aber es war möglich. Seine Gedanken wurden abgelenkt, als John ihn einmal mehr mit seinem Namen reizte. Monsieur de Nerac.. pah. Er empfand den Namen als eine seltsame Beleidigung, weil es so wenig nach dem Mann klang, der selbst das Deck schrubbte und an den Tauen zog. Vielleicht war das aber nur in seinem Kopf so. Und in seinem Kopf waren gerade noch ganz andere Dinge... verschmelzen? Das klang genau nach dem, was er gern mit Johns Körper, der vor ihm stand, getan hätte.

Innerlich explodierten Phantasien hinter seine Stirn und einmal mehr war er dankbar dafür, eine Ausbildung genossen zu haben, die ihm half sein Gesicht zu wahren. Mit John zu verschmelzen war etwas, das er in der letzten Nacht zumindest im Traum gehabt hatte. Ob er es jemals real genießen würde, wusste er noch nicht. Vielleicht, vielleicht auch nicht. Er konnte kaum mehr tun, als es zu versuchen. "Nun.. da hast du recht." Wieder beobachtete er die kochende Flüssigkeit hinter John. "Nur sollte man überlegen, wie man seine Prioritäten setzt, nicht wahr? Ein so gutes Gespäch, eine so innige Unterhaltung, die einen alle Sorgen und alles andere Vergessen lässt, die einen erfüllt, fordert und einem lange im Gedächtnis bleibt - nur zugunsten von etwas aufzugeben, dass ohnehin wiederholt werden kann? Die Gelegenheit zu einem solchen Gespräch gibt sich vielleicht niemals wieder." Er wirkte beinahe unbeteiligt, doch seine Augen sagten deutlich, dass in seinem Kopf schon längst keine Kleidung mehr im Spiel war. "Wenn ich etwas in meinem bisherigen Leben gelernt habe, dann dass man solche Chancen besser am Schopfe packt, bevor sie wieder davonreiten." Oder so ähnlich.

"Auf und davon klingt so ewig.." Hörte er da Interesse heraus? Enttäuschung? Vielleicht.. hm, Tancred konnte es nicht benennen. Es klang so, als wolle John sich versichern, dass Tancred verschwand, und so, als könne er selbst nicht entscheiden, ob er froh darüber war, oder eher traurig. "Ein Freibrief ist ein zweischneidiges Schwert", setzte er mit einer Stimme an, die jedoch eher klang, als würde er davon sprechen, was er mit einem nackten John auf dieser Arbeitsplatte anstellen wollte. "Er bindet mich an London.. immerhin segle ich unter britischer Flagge, wenn ich die Spanier versenke. Und es bringt mich sogar beinahe in die Pflicht, die Prisen, wenn sie den Kampf überleben, nach London zu schleppen..." Ein Freibrief klang zwar nach Freiheit, war aber in Wirklichkeit eine Einschränkung. Doch Tancred wusste, dass es so besser war. Wenn er nicht in fremde Gewässer, also in die neue Welt, segeln wollte, dann brauchte er zumindet einen sicheren Hafen. "Ich werde also nicht ganz verschwinden... immerhin brauche ich Munition und Proviant." Allerdings konnten sich diese Pausen über Monate hinziehen. Er hatte keine vorgegebene Meldefrist, daher konnte er auch anderswo Proviant aufnehmen - wenn ihn tatsächlich nichts nach England lockte, würde er auch nicht kommen. John allerdings war gerade mehr als nur eine Verlockung. "Und dennoch.. die Nächte auf See sind einsam und langweiliger, als man denken mag. Es ist nicht so, dass man jeden Tag einen Spanier versenkt." Eigentlich tat man oft gar nichts, außer über das endlose Meer zu kreuzen. "Die Erinnerung an so intensive Gespräche, die man im Geiste immer wieder durchgehen kann, sind also.. mehr wert als Gold." John konnte ruhig wissen, dass Tancred sich diese Erinnerungen mit an Deck nahm und in einigen Nächten nicht ganz so einsam zu sein. "Also kann ich nur sagen, dass es wirklich schade ist.. dass deine Aufmerksamkeit so ganz und gar von diesem Gefäß eingenommen ist."
 

John

John spürte, dass er mit der Nennung des Nachnamens einen eher wunden Punkt getroffen hatte. Erleichtert stellte er aber fest, dass das dennoch nichts an der Stimmung änderte. Dieser Mann war wirklich sehr gutmütig und er wollte es nicht ausnutzen, gerade weil er die Geduld des anderen gestern sicher schon recht gereizt hatte. Es war interessant zu sehen, dass der andere offenbar von ihm nicht so genannt werden wollte. Die überredenden Worte ließen ihn schmunzeln. Er beobachtete diese dämlich Flüssigkeit schon lange nicht mehr und es interessierte ihn kaum noch. "Das stimmt, da muss man Prioritäten setzen", stimmte er nachdenklich zu. "Und wenn das Gespräch wirklich so vieles verspricht, dann muss ein Medikament wirklich einfach mal warten." Er nickte nachdenklich und drehte sich zum Feuer um, um es zur Seite zu schieben und das Kochen zu unterbinden, dann löschte er das Feuer. Er hatte sich etwas nach vorne gelehnt, sein Gesäß etwas nach hinten. "Aber...!", er drehte sich wieder um. "Man weiß VOR einem Gespräch oft nicht, wie es sich entwickelt und ob es hält, was es verspricht..." Er grinste leicht. "Was gibt mir Gewissheit, dass es mich befriedigt, wenn ich", er hob die Hand und griff dem Kapitän sanft ins Haar, "die Gelegenheit beim Schopfe ergreife?" Fast schon unschuldig blickte er den anderen fragend an.

Er lauschte den Erklärungen zum Freibrief und eigentlich gefiel ihm, was er hörte. Letztlich bedeutete es doch, dass der andere immer mal wieder käme. "So einsam? Ein Haufen Männer und der Kapitän ist einsam? Kaum vorstellbar", sagte er nachdenklich. "Ihr habt doch sicher die ein oder andere Ablenkung an Deck, um euch die Zeit miteinander zu vertreiben, nicht wahr? Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Erinnerungen so lange halten." Er kraulte dem anderen sanft den Nacken mit der Hand, die dort noch ruhte. Dann beugte er sich leicht vor. "Aber wenn es dir hilft, dir auch auf See ein wenig deine Einsamkeit zu vertreiben, helfe ich dir gerne", raunte er leise. Seine Lippen berührten fast die des anderen. "Lass uns ein wenig sprechen..." Sanft küsste er die Lippen. Was war gegen ein wenig knutschen schon zu sagen? Aus reiner Nächstenliebe... Und es tat gerade unheimlich gut, endlich diese Lippen wieder zu spüren. John wusste, dass es letztlich an ihm lag, dass er zögerte, wirklich sich auf den anderen einzulassen, dass er Angst hatte, noch einmal mit dem anderen zu schlafen. Denn dann wäre es eben nicht mehr nur ein One Night Stand, sondern eine Affäre. Und Affären waren irgendwie problembehaftet. Es ist nie kompliziert... - hallte es in ihm wieder.
 

Tancrèd

Die Distanz zwischen ihnen war noch immer ziemlich "groß", wenn man den schmalen Durchgang zwischen den Arbeitsplatten denn so bezeichnen wollte. Zumindest berührten sich ihre Körper noch nicht und Tancred fühlte dieses Fehlen körperlich. So als fehlte zu diesen Worten einfach die Berührung und anders war es ja auch nicht. John schien seinen Einwand plausibel zu finden und drehte sich zu dem Feuer um, was Tancred einen herrlichen Blick auf Johns Kehrseite bereitete. Sein beherrschter Gesichtsausdruck entgleiste etwas und glitt ungeniert über Johns schlanke Hüfte und seinen Arsch, der sich unter der Hose abzeichnete. Es juckte den Franzosen in den Fingern genau dorthin zu fassen, ihn zu packen, an sich zu ziehen und.. aber nein. Wenn er das tat, war all die Spannung innerhalb der nächsten halben Stunde weg und sie würden getrennte Wege gehen. Zu verzichten, um nicht verzichten zu müssen, war eine unausstehliche Qual für Tancred, der eigentlich nach einfacheren Prinzipien lebte. Als John sich flink mit einem 'Aber' wieder herumdrehte, war es wirklich besser, dass seine Hose noch geschlossen und seine Haltung scheinbar lässig wirkte. John kam noch näher und Tancred spürte wie sich ihre Oberschenkel berührten als John die Hand hob, um in sein schwarzes Haar zu fassen. Er schmunzelte über den Einwand.. gar nicht so verkehrt. "Wieso sollte sich ein Gespräch, das mit so viel Leidenschaft geführt wird, in eine gänzlich andere Richtung entwickeln? Ich sehe keine wirkliche Begründung dafür...", erwiderte er und sein Gesicht meinte das vollkommen naiv ernst. Auch wenn es naheliegend war, Johns Hüfte zu greifen, noch tat er gar nichts, sondern wartete ab. Auch wenn sein ganzer Körper danach schrie, es war an John, den ersten Schritt zu machen, nachdem Tancred es bereits zweimal einfach getan hatte. Oder eigentlich noch öfter, wenn man das "auf den anderen Zugehen" nicht nur durch Küssen definierte. "Nicht lange halten?" echote er kurz darauf und konnte ein leichtes Lachen nicht unterdrücken. Jetzt musste er doch die Hand heben, um Erinnerung zu demonstrieren. Es hatte, als sie die erste Nacht miteiannder verbracht hatten, eine Stelle seitlich, knapp unter Johns Rippenbogen gegeben, an der John empfindsam gewesen war. Es war eigentlich eine völlig unauffällige Stelle, doch Tancred hatte damals eine feine Narbe dort gesehen. Und an dieser Narbe war John empfindlich gewesen, hatte die Berührung genossen - und das wusste Tancred noch sehr sehr genau. Und so konnte er seine Hand sehr zielgerichtet auf Johns Seite legen und strich mit seinem Daumen genau über die Stelle, von der John vielleicht annahm er habe sie vergessen. "Ich bin niemand, der sich von einfachen Matrosen die Zeit vertreiben lässt. Ich suche stets das Besondere.. und Erinnerungen an besondere Menschen oder Dinge halten für die Ewigkeit." Er sprach leiser weil John schon so nah war, dass seine Lippen beim Sprechen fast Johns berührten. Er musste auch nichts mehr erwidern, als John ihn endlich.. endlich! küsste. Tancred hatte mit allem gerechnet, auch damit, dass John sich einfach von ihm löste und wieder ging. Er traute ihm alles zu, denn John war vorsichtig und nahm körperliche Nähe nicht so einfach und freudig hin, wie es zum Beispiel Kieran getan hatte. Auch wenn John extrovertiert wirkte, er küsste nicht einfach so, er umarmte nicht einfach so und er stieg auch nicht "einfach so" mit dem gleichen Mann zweimal ins Bett. Also wusste Tancred, dass er hiermit einen kleinen Sieg für sich und seine Taktik errungen hatte.. auch wenn es ihm nicht ums Gewinnen ging. Es ging ihm darum, John zu spüren, als er den zweiten Arm um Johns Hüfte schlang und seine Lippen zu schmecken, an die er sich ebenso erinnerte wie an die Narbe. John küsste wundervoll. Wie ein Mann eben, nicht vorsichtig, nicht verhalten. Während Tancred bei Kieran vorsichtig gewesen war und höfliche Zurückhaltung hatte walten lassen, so war er bei John durchaus fordernder. Immerhin wussten sie beide, was sie wollten. Doch auch wenn sein Kuss mehr sagte, er machte keine Anstalten John auszuziehen. Ein Kuss war mehr, als er erwartet hatte, und er wollte zeigen, dass er mehr auch nicht forderte.
 

John

John grinste innerlich, wie sehr sich Tancred auf das Spiel zwischen ihnen einließ. Er wusste spätestens seit den Worten gestern Abend und allerspätestens seit diesem Abschiedskuss, dass Tancred durchaus bereit war, noch einmal mit ihm zu schlafen. Da war es schon anerkennenswert, dass jener es schaffte, sich so zurückzuhalten, wo John ihn doch wirklich in einiger Hinsicht ‚reizte‘. Aber es machte John Spaß, es gefiel ihm, diese Zweideutigkeit, dieses Gefühl, des umeinander herum Tänzelns, dieses Reizen und Spielen. John konnte sich jederzeit zurückziehen, und er würde es auch müssen. War es unfair? War er gerecht zu Tancred? Tancred, der geduldige, der willensstarke. Kein anderer würde sich seine Spielchen wirklich gefallen lassen, oder? Sollte er da nicht ein wenig entgegenkommend sein? Ein wenig freundlicher?

Als die Hand des anderen sich so unvermittelt an seine Seite legte, zuckte er leicht zusammen, musste dann aber grinsen. Das hatte der andere bemerkt? Und vor allem: das hatte er sich GEmerkt? Und die Worte waren pure Schmeichelei, das war John klar. „Hm, Honig“, schnurrte er leise gegen die Lippen des anderen. Indem er ihn küsste, machte er doch all die Folter wieder wett, die er ihm zuvor bereitet hatte, oder?

Aber auch er genoss den Kuss. Bei all dieser Spielerei und Selbstbeherrschung wurde man nun mal hungrig, nicht wahr? Den Hunger, den er im anderen entfacht hatte, den schmeckte er auch deutlich. Er ließ sich gierig küssen, stieg darauf ein. Sie waren beide nicht unschuldig, also wieso zurückhaltend sein? Die Arme des anderen, die sich um seinen Körper legten, die Hände, die sich auf seinen Körper gelegt hatten, zogen ihn automatisch an diesen wunderbaren Körper. Dennoch ließen sie in John ein wenig den Gedanken hochkommen, das Spiel hier nicht zu weit zu treiben. Nicht hier, wo es ohnehin langfristig unsicher war, ob er weiter arbeiten dürfte. Hier sollten sie lieber keinen Sex haben. Er würde sich also bald diesen Armen entwinden müssen, die zumindest nicht begannen, unter sein Hemd zu gleiten, oder ihn zu überreden, Sex haben zu wollen. Nur ein wenig, ein kleines Bisschen würde er diesen gierigen, leidenschaftlichen und willkommenen Kuss genießen, nur noch ein kleines bisschen… Gleich, gleich würde er sich lösen… ganz bestimmt… nur noch „Wie hast du das nur geschafft?“ – mit diesen Worten flog die Tür auf und Giulia Sforza stand im Türrahmen, sie erstaunt und irgendwie amüsiert ansehend, mit gehobenen Augenbrauen, während sie selbst auseinanderflogen, als habe man sie bei etwas Verbotenem erwischt. - Nun das hatte man wohl auch.

Aber nachdem John davon ausging, dass Giulia mit gleichgeschlechtlicher Liebe und allem was dazu gehörte, kein Problem hatte (sonst würde sie ja Kieran nicht tolerieren) , war es wohl weniger verboten, als wenn Cromwell selbst hier stehen würde, der gegen Homosexuelle wetterte und gerade dabei war, ein Gesetz zur Todesstrafe zu erlassen, das noch Jahrhunderte später gelten würde – der Grund, weshalb John überhaupt zugestimmt hatte, bei dem Komplott mitzumachen. John wischte sich über den Mund, blickte kurz nach unten, stützte sich mit der anderen Hand am Tisch ab, weil er sich irgendwie so wackelig fühlte, und versuchte sich zu sammeln, was ihm relativ gut glückte. Noch ehe er sich versah, war Tancred auf Giulia zugetreten und hatte ihre Hand ergriffen, um sich bei ihr zu verabschieden. Und wieder war der andere weg… John blickte ihm irritiert hinterher, dann schüttelte er kurz den Kopf, um wieder klar zu denken und sah die Dame des Hauses an. „Ich habe ihn einfach nicht mit seinem Vornamen und ehemaligen Spitznamen angesprochen. Er möchte nicht erinnert werden und offenbar ist der Name ‚Alessio‘ Teil einer wichtigen Erinnerung…“ Hui… er hatte gerade das erste Mal seit langem das Gefühl, dringend kalt duschen zu wollen.
 

Tancred

Tancred plagten derweil ähnliche Gedanken wie John. Nur noch ein wenig genießen, nur noch ein paar Sekunden die Lippen schmecken, nur noch einmal Johns Rücken entlangstreicheln, seinen Körper nah bei sich spüren und dann einfach gehen und dann... fuhr die Tür mit einem Knall auf und John prallte zurück. Tancred sah nicht minder ertappt aus, und starrte für einige Sekundenbruchteile so verwirrt wie John zur Tür, in der eine Frau von solcher Schönheit stand, dass es den Franzosen ausnahmsweise auch mal aus den Stiefeln schlug. Er hatte Giulia Sforza schon einmal gesehen, aber da war sie behängt mit Schmuck und einer Frisur aufgetürmt höher als der Kirchturm an der Seite der Königin durch den Garten gelustwandelt. Hier trug sie ein einfaches Umstandskleid.. UMSTANDSKLEID! und einen dünnen Morgenmantel darüber. Ihr schwarzes langes Haar hing in langen Wellen über ihren zierlichen Schultern und ihr kluger weicher Blick war nachsichtig auf sie beide gerichtet. Tancred wusste, dass es besser war, den Rückzug anzutreten, um nichts erklären zu müssen und damit John in Verlegenheit zu bringen. Also packte er Hut und Jacke, verneigte sich mit Handkuss vor Lady Sforza und schob sich dann an ihr vorbei hinaus, lief so schnell er konnte Richtung Ställe und betete, nicht aufgehalten zu werden - doch niemand rief ihm etwas nach.
 

Giulia

Giulia hatte es selbst kaum glauben können. Doch als Amadeo zu ihr gekommen war, als sie an ihrem Schminktisch gesessen hatte, und er ihr verkündet hatte, dass Alessio aufgestanden war und jetzt sogar aß, hatte sie nicht anders gekonnt, als an seine Seite zu stürmen. Ja, er wirkte schwach und blass, aber er redete mit ihr! Und was er redete, nahm ihr einen Teil der Last von den Schultern, die sie empfunden hatte, als der Kardinal entschieden hatte einfach nicht mehr leben zu wollen. Es hatte sie auch von einem wichtigen Gespräch abgelenkt, das sie mit Amadeo hatte führen wollen.. und als Alessandro ihr von seinem Namenswunsch berichtete und davon, dass John einfach der richtige gewesen war, ihn aus seiner Lethargie zu reißen, da war sie mehr oder weniger direkt losgegangen, um sich bei ihm zu bedanken. Sie hatte ja nicht ahnen können...
 

Als sie die Türe zum Labor aufstieß, stand da schon John. Eng umschlungen von einem anderen Mann, den Giulia nur einmal gesehen hatte. Tancred de Nerac, der französische Kapitän... ihre Augenbraue schnellte in die Höhe als sie merkte, in welche Situation sie da platzte. Mit dem Knall der Türe waren auch die beiden Männer auseinander gefahren, aber eben nicht schnell genug, um Giulia nicht sehen zu lassen, was sie getan hatten. John wirkte etwas derangiert, Tancred selbst kämpfte um die Beherrschung, fand sie aber schneller als John. Der formvollendete Gentleman in Tancred ließ ihn seinen Hut und seine Jacke schnappen, sich vor ihr verbeugen und sich mit einem Handkuss von ihr verabschieden, ehe er auch schon zur Tür hinaus war. Etwas perplex sah sie ihm nach, ehe sie kicherte. "Ohje, ich sehe, ich habe ein Talent für den falschen Augenblick." Sie trat ganz in das Labor und sah John an, der aussah, als habe er gerade sämtliche Höhen und Tiefen auf einmal erlebt. Dessen Erklärung kam zwar prompt, aber er wirkte noch etwas abwesend. Sie grinste wie ein Honigkuchenpferd. "Sandro, ja, das hat er mir auch gesagt.. ich wusste ihr beiden seid Wunderknaben, du und Kieran. Iihr habt ganz offensichtlich das richtige Händchen für Männer." Sie gestattete es sich, Tancred auch kurz nachzuschmachten. "Ich wohl nicht, und das ist auch ein Grund, aus dem ich hier bin." Sie räusperte sich und sah John an, als der sich wieder gefasst hatte. "Wir wissen ja, dass meine Schwangerschaft eine Farce sein sollte für meinen Mann, aber.." Sie strich sich in einer abwesenden Geste wieder über den Bauch "verdammt noch mal, ich habe auch meine Bedürfnisse", platzte es aus ihr heraus. "Ich habe es satt immer hintenan zu stehen, während mein Ehemann keine Gelegenheit auslässt.." Sie verzog das Gesicht leicht, ehe sie etwas beschwichtigend nachlegte: "Naja, zumindest früher nicht ausgelassen hat. Ich möchte mich auch wieder fallen lassen können in die Arme eines Mannes, der MICH vergöttert und für den ich alles und nicht nur eine nette Nebenbeschäftigung bin. Tja.. was soll ich sagen. Offenbar hat irgendjemand meine Gebete erhört. Ich fürchte, jetzt ist die Schwangerschaft keine Farce mehr. Und wenn dem so ist, dann ist das Kind nicht von meinem Mann."

London 3 - Blut von meinem Blute

Dominico

Seine Intention nach London zu reiten bestand vornehmlich darin, später Kieran in der Apotheke zu besuchen. Allerdings waren da eben auch höfische Pflichten, die er einzuhalten hatte. So führte sein Weg nicht direkt in die Apotheke, sondern zuerst zum Palast. Wie immer war der Audienzsaal bereits gefüllt mit Menschen. Menschen, die einerseits etwas von Henry wollten, andererseits Menschen, die vorhatten am Hofe Karriere zu machen und Dank befreundeten Familien hier hereingekommen waren. Das Leben am Hofe war nun mal so - man kannte Menschen und man wurde gekannt. Bei Nico und Alessandro war es nicht anders und so war es auch kaum verwunderlich, dass Nico schon sehr bald darauf eine Gruppe seiner Befürworter um sich herum vorfand. Nach fast drei Tagen seiner Abwesenheit brachte man Nico auf den neuesten Stand im Palast, doch besonders viel geändert hatte sich nicht. Außer Cromwells Bemühungen, diplomatisch statt militärisch vorzugehen, war nichts weiter vorgefallen und so war die Zeit, die Nico im Palast verbrachte, vor allem dazu gut einfach wieder ein bisschen Präsenz zu zeigen. Denn weder Cromwell noch der König ließen sich blicken. Der König trainierte für das Turnier oder war dabei einen Nachfolger zu zeugen, während Cromwell was auch immer tat. Charles erschien etwas später und gemeinsam, wenn auch scheinbar weiterhin verfeindet, machten sie sich daran, Cromwells Turnierpläne zu durchkreuzen.

Als es schließlich später Nachmittag wurde, verabschiedete sich Nico vom Hof und machte sich auf den Weg zu Kieran, also zur Apotheke.

Er musste den Markt überqueren und erstand einiges an Essen für sich und Kieran - unter anderem auch mal wieder Süßigkeiten, die ihn an Cambridge erinnerten. Vielleicht würde das heute ja ein wenig wie Cambridge sein. Wer wusste das schon? John würde sicher irgendwann auch nach Hause kommen, aber Nico war das egal. Kieran würde sich freuen, ihn zu sehen, da war er sicher.

Sein Pferd wollte er jedoch nicht in der Stadt unterbringen und so bezahlte er einen Boten, es zum Anwesen zurück zu bringen. Das war zwar teurer als eine Nacht im Stall, doch da in London die Luft in den Gassen stand und die relative Hitze die Stadt ziemlich unerträglich machte, wollte er seinem Pferd die Qual ersparen. Auf dem Anwesen wurde es gewaschen und durfte wieder auf die Weide zum Grasen, etwas Besseres konnte ihm ja kaum passieren.

Also legte er die letzten Meter zu Fuß zurück. Er hatte einen Korb, in dem er das Essen transportierte, und hatte seine Jacke ausgezogen und darüber gelegt. Einerseits, um das Essen vor Fliegen und der Sonne zu schützen, und andererseits, um sich selbst damit den Gefallen zu tun, nicht all zu sehr zu schwitzen. Auch wenn er sich schon jetzt denken konnte, dass es bei Kieran unterm Dach noch heißer sein würde. Wenigstens war die Sonne schon auf dem wirklich absteigenden Ast und die Nacht würde Linderung bringen, da war sich Nico sicher.

Als er zur Vordertür der Apotheke trat, fand er sie verschlossen vor und sah auch keinen Kieran durch das Fenster neben dem Eingang. Also ging er ein wenig am Haus entlang bis zu einem kleinen Tor, das in den Hinterhof führte. Dieses stand offen. Der Hof war nicht sehr groß. Mr. Forbes hatte kaum den Platz dafür, viele Kräuter selbst anzubauen, aber Dank Johns und Kierans Fingerfetigkeit hatten sie ein paar Beete auf Holzregalen erstellt, in denen Pflanzen wuchsen. Kieran war gerade dabei, ein frisch gesähtes Beet zu pikieren, und nahm um sich herum rein gar nichts wahr. Nico grinste und schlich sich an den jungen Mann heran, ehe sein Schatten über Kieran auf das Beet fiel. "Guten Abend, schöner Mann", raunte er ihm von hinten zu und schmunzelte, den Korb in sicherer Entfernung deponiert habend, um nichts zu Bruch gehen zu lassen, wenn Kieran sich nun doch erschreckte.
 

Kieran

Er hatte gerade so viel Lust hier in der Apotheke den „Notdienst“ zu schieben, wie er einen Hinkelstein weit werfen konnte. Er wollte lieber auf dem Anwesen sein, wollte bei Dominico sein. Seinem Dominico, den er so vermisst und nun endlich wieder gefunden hatte. Allein bei dem Gedanken an die vergangenen Tage, den Morgen, den gestrigen Abend, ... Es ließ seinen Körper reagieren, erschaudern, beben. Dieser Mann raubte ihm jeglichen Verstand. Das war auch genau das Problem, das er hatte: er sollte eigentlich noch immer verletzt sein von einem Verhalten, das nicht richtig gewesen war. Er hatte gelitten und sich geärgert, hatte geglaubt, verloren zu haben… Und jetzt? Jetzt schien das alles so nebensächlich, weil er ja wieder hatte, was er so sehr begehrte. Aber wann würde es sich wieder ändern? Wann würde er wieder die kalte Schulter gezeigt bekommen? Wann würde er wieder wie „Nicht existent“ behandelt werden?

Kieran stürzte sich in Arbeit, die es wirklich genug gab, indem er morgens mit Mr Forbes die Patienten besuchte und ihm dann half, nach Portsmouth aufzubrechen. Dann kümmerte er sich um den Laden, in dem dringend mal wieder aufgeräumt werden musste – alles besser, als zu viel Zeit zum Nachdenken zu haben. Denn wenn Kieran ehrlich zu sich war, hatte er unfassbare Angst, dass die nächste Begegnung mit Dominico wieder ganz anders ablaufen könnte, als ihre letzte. Während er arbeitete hatte er immer wieder Momente, wo er einfach innehalten musste, um sich einzureden, dass alles gut war, dass er sich keine Sorgen machen sollte, dass Nico so liebevoll zu ihm gewesen war, dass er ihn nicht anlog, wenn er ihm sagte, dass er ihn liebte, dass nach der Geschichte mit Cromwell und nach dem Turnier alles wieder gut sein würde…

Als er den Laden zuschloss graute ihm vor dem Abend, den er allein in dem Haus verbringen würde. Wer wusste, wann John heimkäme - wenn überhaupt. Er hoffte es inständig, aber er kannte ihn zu gut, als dass das wirklich realistisch wäre. Wenn sein Vater weg war, war John froh um jede Sekunde, die er einfach für sich unterwegs sein konnte, ohne sich danach Moralpredigten anhören und vielsagende Blicke hinnehmen zu müssen. Sicher würde er ihn morgen im Laden ablösen, aber nichtsdestotrotz würde er heute ausgehen. Kieran konnte nur hoffen, dass er keinen Lover mit nach Hause nahm - wobei ihm gerade bewusst wurde, dass John das noch nie getan hatte... Der Abend war warm und nur in den Nächten merkte man, dass der Hochsommer noch auf sich warten ließ. Die Kräuter in ihrem provisorischen Garten gediehen gut. Kieran beschloss dort ein wenig zu arbeiten, weil das Mr. Forbes am meisten anstrengte. So saß er da, versunken in seinen teils trüben, teils euphorischen Gedanken, die ihn wohl die ganze Nacht beschäftigen würden. Er merkte nicht, wer hinter ihm in den Garten gekommen war. Erst als der Schatten sich über ihn legte und er die Worte hörte, wurde er aus seinen Gedanken gerissen und er erschrak sich mächtig. Denn sein erster Gedanke, als er den Schatten gesehen hatte, war, dass Cromwell jemanden geschickt hätte, um Nico weh zu tun. Viel zu laut hatte der nämlich vor zwei Tagen gesagt, dass er ihn liebte. Wer wusste schon, ob das nicht schon längst auch bei Cromwell angekommen war?!

So schlug sein Herz heftig gegen seine Brust, als er sich umgedreht hatte und ihn erschrocken ansah. Er wusste gar nicht in diesem Moment, was er fühlen sollte. Er war erschrocken darüber, dass er eine Angst in sich hatte, die er noch nie gedanklich begriffen hatte. Eine Angst, die damit zusammenhing, dass er mit Dominico zusammen war, und die daher wohl wirklich auch einfach gesund war, die er aber noch nie wirklich zugelassen hatte. Diese Angst war es, die gerade gänzlich aus ihm rausgebrochen war. „Wie kannst du mich so erschrecken!“, fluchte er vielleicht etwas lauter, las nötig. „Ich dachte schon…“ Nein er würde lieber nicht sagen, was er dachte. „Gott, Dominico! Tu das nie wieder!“ Er schluckte und blieb auf Abstand zum anderen. Er musste sich erstmal beruhigen. „Was machst du überhaupt hier?“ Diese Frage war schneller draußen, als er es beabsichtigt hatte und so folgte ein „Entschuldige, ich habe mich wirklich erschreckt…“
 

Dominico

Dass er ihn wohl erschrecken würde, war Nico ja fast klar gewesen. Er hatte es nicht darauf anlegen wollen, doch wer konnte schon ahnen, dass Kieran so sehr in seine Arbeit vertieft war, dass er wirklich gar nichts bemerkte? So in Gedanken versunken kannte er Kieran nicht, zumindest hatte er es noch nicht sehr oft erlebt. Als der so erschrocken zusammenfuhr und herumruckte, zuckte auch Nico zurück. Vor allem, weil Kieran so laut protestierte, dass Nico unweigerlich nach oben sah - doch außer den Fenstern des Forbes Hauses führten keine Fenster in den kleinen Hof hinaus. Links von ihnen lag eine Scheuer, rechts ein größeres Wohnhaus ohne Fenster und dahinter ein weiterer Speicherbau, der zu einem Pergamenthersteller gehörte. Er trocknete in der luftigen Halle abgezogenen Tierhäute, ehe er sie verkaufte. Also sah sie niemand, der nicht unmittelbar nach ihnen suchte.. hoffte Nico. Er nahm Haltung an und räusperte sich, sein Gesicht etwas zerknirscht, weil er Kieran nicht hatte erschrecken wollen. "Was dachtest du schon..?", hakte er nach, nachdem Kieran es so im Raum stehen ließ. Dessen Frage ließ nun Nico misstrauisch die Stirn runzeln.

Er wusste, dass Eifersucht ein Problem bei ihm war. Er war auf alles und jeden Eifersüchtig, der sich Kieran näherte oder mit ihm zusammen war, wenn Nico es nicht sein konnte. Er war auch auf Tancred eifersüchtig, aber weil er diesem Mann vor Augen geführt hatte, dass er mit Kieran zusammen war, und Tancred ein Mann von Ehre war, hatte er weniger Ängste gehabt.

Doch so wie es gerade klang, schien Kieran nicht zu wollen, dass Nico hier aufgetaucht war. Da stellte sich doch die Frage: warum..? Oder nicht? Nico merkte, dass sein Blick im Hof umherglitt, doch er sah niemanden und hatte auch draußen keine Anzeichen davon entdeckt, dass noch jemand hier war. John war auf seinem eigenen Anwesen, also konnte auch der hier nicht rumspuken. //Entspann dich endlich, Nico..//, schalt er sich selbst und lockerte seine angespannte Haltung etwas, während Kieran versuchte sich zu fangen. "Was ich hier mache? Ich dachte mir, du freust dich über Besuch." Er schien etwas enttäuscht darüber, dass Kieran sich ihm nicht um den Hals warf, sah aber auch ein, dass es wohl seine eigene Schuld war. "Ich wollte dich nicht erschrecken, nur überraschen. Du hast gesagt, du kannst nicht kommen, weil du die Apotheke hüten musst.. und da ich bei dir sein will, bin ich eben hergekommen.. daran ist doch nichts verwerfliches, oder?" Vielleicht hatte Nico Kieran da einfach etwas voraus. Denn die Ängste, die Kieran jetzt erst plagten, die plagten Nico schon seit er Kieran das erste Mal mit in sein Bett geholt hatte. An Ostern in Cambridge und das war ja nun schon eine ganze Weile her. "Falls es dich interessiert, John hat es geschafft, meinen Bruder aus dem Bett zu bewegen..", erzählte er, um die unangenehme Stille zu überbrücken. "Frag mich aber bitte nicht wie. Ich habe es nicht verstanden.. hatte wohl etwas damit zu tun, dass ich ihn Alessio genannt habe und er diesen Namen nicht mehr hören will oder kann." Nico zuckte mit den Schultern und hoffte inständig, dass Kieran ihm die Schrecksekunde nicht mehr übel nahm.
 

Kieran

Fast musste er schmunzeln, als ihm klar war, dass er mit seiner Reaktion den anderen erschreckt hatte. Aber er war wirklich so in Gedanken gewesen.... Er merkte, dass Dominico schaute, ob Kieran aufgrund seiner Reaktion neugierige Augen auf sie gezogen hatte. Innerlich musste Kieran seufzen. Ob sich das jemals ändern würde? Dieses Versteckspiel? Eher nicht... Das war letztlich klar. Dennoch hatte er das Gefühl, dass es in ihrem Fall noch schlimmer war, als bei anderen. Dass der andere nachfragte, was er dachte, war kein Wunder, aber er schüttelte nur leicht den Kopf. Es war Humbug und er wollte da jetzt nicht drüber reden. Wobei ihm Nicos Gesichtsausdruck dazu auch nicht gefiel. Bekam Nico das jetzt in den falschen Hals? "Ich dachte, ich werde angegriffen", erklärte er dadurch nun doch, damit es zu keinen Missverständnissen welcher Art auch immer kommt. "Mir geht Cromwell und das Attentat auf Alessandro nicht aus dem Kopf." Was war so schlimm daran, das zuzugeben?! Solange Nico ihn jetzt nicht versuchen würde, ihn zu überreden, auf dem Anwesen zu bleiben, war das egal. "Und dass du mich besuchen kommst, freut mich ungemein", gab er dann noch zu und lächelte, sich endlich wieder einigermaßen beruhigt habend. "Ich hätte nur im Traum nicht damit gerechnet...", gab er dann noch ehrlich zu. "Die Überraschung ist dir also durchaus gelungen. Und es ist definitiv nichts Verwerfliches daran." Er hatte kurz den Impuls, Dominico zu umarmen, um zu zeigen, dass er ihm nicht böse war. Aber auch wenn kaum jemand hier einsehen konnte, gab es dennoch die Möglichkeit. Daher unterließ er es.

Erstaunt hörte er den Neuigkeiten zu dessen Bruder zu und ein zufriedenes Lächeln legte sich auf sein Gesicht. "Das klingt super, ich freue mich! Lass uns reingehen und dort weiterreden...", lotste er Dominico.

Innen schloss Kieran die Tür hinter ihnen. Als er sich umdrehte ging er direkt auf Nico zu, umarmte und küsste ihn, ohne eine weitere Sekunde verschwenden zu wollen. "Danke, dass du gekommen bist. Ich freue mich sehr!" Er lächelte den anderen an und küsste ihn noch einmal. Dann blickte er zum Korb, ohne den anderen loszulassen oder sich zu lösen. "Hast du was mitgebracht?", fragte er mit Blick auf den Korb, den Nico mit hineingenommen hatte.
 

Dominico

Auch wenn es absurd war, so entspannte sich Nico als er hörte, was Kierans Befürchtung gewesen war. Angegriffen werden? Das war zwar unwahrscheinlich, aber trotzdem.. Ja, Cromwell war ein Idiot und ja, er war gefährlich - aber Kieran in seinem zu Hause verletzen? Zu welchem Zweck? Nein, Nico war sich ziemlich sicher, dass Cromwell den jungen Arzt in dieser Hinsicht gar nicht bedachte. Kieran war zu unbedeutend, um sich an ihm die Finger schmutzig zu machen. Ihm lag wahrscheinlich nichteinmal etwas an Nicos privatem Unglück, nein, es ging ihm nur um sein politisches k.o. Wenn, dann würde er Dominico öffentlich mit Kieran konfrontieren, um Publikum zu haben. Andererseits.. es hätte schon sein können, dass Cromwell den Arzt festsetzen ließ, um ihn auch sicher an der Hand zu haben, wenn er Dominico mit seinen perversen Neigungen konfrontieren wollte. Er wollte Kieran allerdings nicht verunsichern, spielte es daher etwas herunter. "Darüber solltest du dir keine Sorgen machen. Ich werde nicht zulassen, dass so etwas passiert.." Er hatte sich zu dem Korb umgedreht und hatte ihn wieder hochgehoben, ehe er Kieran ins Haus folgte. Als die Tür hinter ihnen ins Schloss fiel dauerte es keine zwei Sekunden, bis Kieran an Nico hing und er ihn endlich küsste. Nico erwiderte den Kuss verlangend und sanft, er hatte ihn immerhin genau so vermisst. "Ja, ich habe dir etwas mitgebracht. Also genauer gesagt uns." Er stellte den Korb auf einem Tisch ab und hob Kieran an, um ihn daneben zu setzen, ehe er ihn wieder küsste. "Aber gerade will ich nicht dran denken, was drin ist..", schnurrte er leise und küsste Kieran wieder. Einfach nur ein wenig spüren, dass er ihn wieder hatte, wie ihre Zungen zärtlich miteinander spielten und sie sich mit leichten Bissen gegenseitig neckten. Als er merkte, dass die ganze Sache langsam Auswirkungen auf seine Lenden hatte, löste sich Nico schweren Herzens von ihm. "Ich habe etwas zu essen dabei, weil ich finde, dass es sich beim Essen besser redet.. denn wir müssen wirklich über einige Dinge reden, die in Zukunft auf uns zukommen werden." Er lächelte und schlug das Tuch zurück, das frische Trauben, Käse, Schinken und vor allem die süßen Leckereien verborgen hatte. Das frische Brot duftete herrlich, er hatte es wirklich direkt aus dem Ofen bekommen. "Was hälst du davon, auf dem Dach zu essen? Wir können uns den Sonnenuntergang ansehen.. und sind wirklich ungestört."
 

So war es beschlossene Sache. Kieran organisierte ihnen einen Krug mit frischem Wasser, ehe sie hinauf gingen und es sich auf dem Dach bequem machten. Es war wirklich ein herrlicher Tag und bisher versprach das Wetter noch so zu bleiben. Henry behauptete, Gott wolle dass es an seinem Turnier das beste Wetter überhaupt gäbe, doch Nico hoffte einfach mal, dass es doch nochmal kühler wurde.. denn in der Sonne in der Rüstung auf dem Pferd zu sitzen, war nicht sehr angenehm. Jetzt allerdings, nur in Hemd und Hose, war es sehr bequem und Nico konnte es richtig genießen. Vor allem, weil Kieran bei ihm war. Sie hatten sich nicht nebeneinander, sondern hintereinander gesetzt, Kieran zwischen Nicos Beinen und an ihn gelehnt. Das Dach war an dieser Stelle breit und flach genug dafür und so hatten sie es sich richtig bequem gemacht. Der Horizont wurde immer röter, während die Sonne langsam tiefer sank und sie hatten einen einmaligen Blick auf das wundervolle Farbenspiel.

Nico hatte beschlossen, Kieran in ihre Pläne mit Cromwell einzuweihen, weil es nichts brachte, ihn davon auszuschließen und ihm damit wieder etwas zu verheimlichen. Als er geendet hatte, schwiegen sie eine Weile, ehe Nico dieses eine unvermeidliche Thema ansprach. "Über kurz oder lang wird mein Bruder England verlassen müssen.. er hat bereits alles für seine Abreise vorbereitet und wartet nur auf die richtige Gelegenheit. Und was mich betrifft.." Er strich über Kierans Schulter und beugte sich dann vor, um genau diese Stelle zu küssen. "Ich werde auch für eine Weile verschwinden müssen, wenn die Sache mit Cromwell vorbei ist. Vielleicht werde ich auch... nicht wieder kommen." Es fiel ihm nicht leicht, das zu sagen. Nicht etwa wegen Kieran, sondern wegen der Situation an sich. Er war in London zu Hause und jetzt den Rückzug anzutreten, war nicht ganz so leicht wie es immer klang. "Deswegen muss ich wissen.." Er räusperte sich, weil es so unfair erschien, Kieran das zu fragen.. und weil er wusste, wie ungerecht es war. "Wie ernst es dir damit war, als du sagtest, du würdest.. mit mir weglaufen."
 

Kieran

Kieran nickte auf die beruhigenden Worte des anderen hin und war irgendwie auch froh, dass Nico wegen dieser Gedanken sich nicht über ihn lustig machte. Er nahm sich selbst nicht besonders wichtig, aber er wollte eben auch nicht zu einem Problem werden, auf welche Art auch immer. Zumal Nicos völliges Abschotten während er auf dem Schiff war ja genau aus dem Grund gewesen war. Hatte er ihm nicht vor ein paar Tagen noch erklärt, das er vermeiden wollte, dass er auch zu einem potentiellen Ziel werden könnte? Das schien Nico jetzt auch einzusehen und seine Worte beruhigten Kieran nur bedingt.

Als sie sich endlich wieder küssten, war das sehr wohltuend für Kierans von Zweifeln und Sorgen zerfressene Seele

Irgendwie wusste er nicht, ob das Vertrauensverhältnis zumindest seinerseits so bald wieder aufgebaut war. Er versuchte sich da nichts anmerken zu lassen, denn Nico schien alles so vollkommen normal zu nehmen. So, als seien sie nie getrennt gewesen, so als sei alles beim alten. In Kieran sah es da noch immer anders aus. War das falsch von ihm? Sollte er nicht genießen, dass alles wieder in Ordnung war? Er kam sich ein wenig kindisch vor, noch immer so zweifelnd zu sein, noch immer so nachtragend zu sein. Aber er konnte nunmal auch nicht aus seiner Haut. Doch das war jetzt erstmal nicht Thema. Im Moment freute er sich einfach, dass Dominico wieder da war und dass seine Sorgen unbegründet waren. Er hatte bei ihm sein wollen… Und das Wissen darum fühlte sich gut an. Bereitwillig ließ er sich auf den Tisch heben und ließ sich von den Küssen des anderen einnehmen. Ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen, bevor Dominicos Küsse fordernder wurden. Kieran hatte seine Arme um die Schultern des anderen gelegt und er kraulte ihm leicht durchs Haar. Der Kuss weckte Erinnerungen an die vergangenen Nächte und Kieran merkte, dass jegliche anderen Gedanken wichen. Dominico machte ihn einfach furchtbar willenlos, grauenhaft, wenn er so darüber nachdachte. Aber es störte ihn irgendwie auch nicht.

„Essen..“, murmelte Kieran atemlos von dem Kuss. „Reden… Irgendwie kamen mir gerade ganz andere Gedanken.“ Er grinste leicht. „Aber wir sollten wirklich reden.“ Er folgte dem Blick des anderen auf den Korb, als dieser das Tuch zurückschlug, und was er sah war mehr als nur lecker. „Dach hört sich super an und Sonnenuntergang auch, mein kleiner Romantiker“, neckte er und grinste.
 

Kieran lehnte sich leicht an Dominico und genoss die Atmosphäre, die ihre Zweisamkeit und die Abendstimmung bereitete. Er erinnerte sich noch gut daran, wie es gewesen war, als er mit Nico das erste Mal hier oben gesessen hatte. Er musste schmunzeln bei dem Gedanken daran. Wenn man bedachte, durch welche Höhen und Tiefen sie anschließend gegangen waren?! Die Stille, die anfangs herrschte, musste jedoch unterbrochen werden. Es gab wirklich einige wichtige Dinge zu besprechen und wie könnte er von Nico verlangen, ihn in Zukunft teilhaben zu lassen, wenn er jetzt nicht zuhören wollte? So hörte er ihren Plänen hinsichtlich Cromwell zu und Kieran nickte hin und wieder, fragte manchmal nach und als Dominico geendet hatte, schwieg er einen Moment, bevor er sagte: „Ihr habt euch viel Gedanken gemacht und alles bedacht, wie mir scheint. Es ist nicht ganz ungefährlich, aber ich denke, ihr seid gut vorbereitet. Mit meiner Hilfe könnt ihr in jedem Fall rechnen.“

Als Dominico ansetzte, weiterzureden, merkte Kieran schon am Tonfall, dass es nun ernst wurde. Dominico erklärte, dass Alessandro vorhatte, England zu verlassen, was aufgrund der politischen Lage und dem Umbruch, der sich gerade vollzog, klar war. Ein Kardinal wäre hier nicht mehr sicher. Dass das auch Auswirkungen auf Dominico hatte, war Kieran klar, aber er hatte sich bisher noch nicht getraut, darüber nachzudenken. Denn Dominico und sein Bruder waren sich mehr als wichtig. Das hatte er deutlich zu spüren bekommen. Alessandro war Dominico wichtiger, als er selbst. Blut war dicker als Wasser. Daher wusste Kieran schon, was folgen würde, bevor Dominico es aussprach. Dass Dominico ihm so nahe war, ihn so zärtlich berührte und liebkoste, nahm er nur am Rande wahr. Irgendwie spannte sich in ihm gerade alles an. Wollte Dominico ihm gerade klar machen, dass er bald weg sein würde? Wieso war er dann überhaupt wieder mit ihm hier? Wieso tat der andere das? Denn eines war Kieran klar: Er würde Dominico nicht als Arzt zu dessen Familie begleiten. Niemals würde er sich in eine solche Abhängigkeit begeben. Er würde sich nicht einengen lassen und schon gar nicht als ‚Mätresse‘ sein Leben fristen wollen in einer Gesellschaft, die ihn nicht akzeptieren würde. Kieran blickte auf seine Hände und ihm verging der Appetit. Er würde nicht wieder zurückkehren nach England… Dominico würde nach Italien zurückkehren, mit seinem Bruder, seiner Frau, seinen Kindern, zu seiner Familie, in der es für ihn keinen Platz gab. Warum sagte er ihm das, kurz nachdem sie wieder zueinandergefunden hatten? Wollte er ihn quälen?

Kieran biss sich auf die Unterlippe, versuchte sich zu sammeln und dieses grässliche Gefühl in sich herunterzuschlucken, das sich so penetrant in seinem Hals festgesetzt hatte. Doch als Dominico weiterredete, stutzte er und drehte sich fragend um. Man sah ihm an, dass er kämpfte, er konnte sich und wollte sich da auch nicht verstellen. „Weglaufen?“, fragte er etwas erstickt. „Hast du mir nicht gerade sagen wollen, dass du zu deiner Familie nach Italien zurückkehren möchtest?“ Er war irritiert. „Denn dahin würde ich nicht mitkommen, das kann ich nicht. Aber weglaufen? Wie meinst du das?“ Er hatte das Gefühl, nicht genau zu verstehen, was Dominico ihm da mitteilen wollte. „Ich möchte an deiner Seite sein, dein Lebensgefährte sein, keine Mätresse. Da ist es mir letztlich egal, wohin ich mit dir gehe, solange das so ist.“
 

Dominico

Es war ein verdammt ernstes Thema und es war Nico, der sich die letzten Nächte damit um die Ohren geschlagen hatte, während Kieran ruhig neben ihm geschlafen hatte. Ihm war klar geworden, wo er seine Prioritäten im Leben legen musste, denn er hatte erkannt, dass er Kieran mit seinem Verhalten um ein Haar ganz verloren hatte. Der Gedanke schmerzte so sehr, dass er ihn nicht ertrug. Dann war da Alessio gewesen, der seine ganze Kraft dafür aufgebracht hatte, ihnen einen Start in Italien zu ermöglichen, der nicht von ihrer Familie abhängig war. Denn als Kardinal in den Vatikan zurück zu kehren, war kaum möglich. Man würde ihn zurück nach England schicken und fordern, dass Alessio sein Leben für den Glauben einsetzte und Alessio würde das nicht mehr tun. Das Gleiche galt wohl für Dominico, dem man nicht verzeihen würde, diesen Stand aufgegeben zu haben. Nein, die Familie war keine Option mehr für sie beide und das wussten sie auch. Nur wohin?

Als Kieran ihn damals nach der Insel gefragt hatte, war das zwar überraschend für Nico gewesen, doch er und sein Bruder hatten bereits Tage zuvor über diese eine spezielle Insel gesprochen. Giannutri... ein kleines Paradies im Mittelmeer, nah genug am Festland, um sich versorgen zu lassen, aber weit genug davon entfernt, um unbehelligt zu bleiben. Dennoch hatte Nico mit sich gehadert: denn ein Leben auf dieser Insel, was hätte es schon? Kaum eine Herausforderung, keine Arbeit, die er kannte. Alessio hatte davon geschwärmt, sein eigener Herr zu sein. Doch wenn Nico ehrlich war, dann konnten sie beide nichts. Sie konnten keine Tiere schlachten, sie konnten nicht schmieden, sie hatten kein Handwerk gelernt. Wie sollten sie überleben? Den wenigen Boden bestellen, den Giannuti hergab? Sie würden auf Nahrung vom Festland angewiesen sein, auch wenn das sicher kein Ding der Unmöglichkeit war. Und sie würden definitiv Langeweile haben. Davor fürchtete sich Nico am meisten. Es würde keine Ablenkung, keine Abwechslung mehr geben. Auch wenn für Alessandro festgestanden hatte, dass er die Pferde mit auf die Insel nehmen wollte, zumindest einen Teil von ihnen, so war das nur ein Aspekt und eine Aufgabe, die sie dort hatten. Würde ihm nicht irgendwann langweilig werden?

Aber Kieran hatte recht gehabt, als er sagte, es käme darauf an, mit wem man auf der Insel lebte.. und der Gedanke daran, Alessandro und Kieran dort zu wissen, tat gut. Denn Giulia hatte sich von dieser Idee einfach nicht überzeugen lassen wollen. Sie wollte das Leben am Hof nicht aufgeben und die Sicherheit der Familie für ihre Kinder. Dennoch hatte sie Alessio und Nico verstanden und hatte Alessios "Fluchtvorhaben" sogar unterstützt. Sie hatte sich bereiterklärt, alles notwendige Material und Arbeitskräfte nach Giannutri zu schaffen.. und ohne einen Hinweis auf seinen Verbleib aus London zu verschwinden, würde machbar sein. Einfach untertauchen, einfach nicht mehr da sein - es würde schwer werden, aber es würde möglich sein. Nico wusste, dass er nicht ohne Kieran gehen würde, wenn es denn wirklich so weit kam.

Wenn sein Bruder von dieser Flucht sprach, die er antreten wollte, dann klang es für Nico so weit entfernt. Doch ihm wurde immer bewusster, dass er sich mit diesem Thema dringend auseiandersetzen musste. Deswegen tat er es jetzt mit Kieran. Der versteifte sich beinahe sofort in seinen Armen, als Nico darauf zu sprechen kam, nach Italien zurückzukehren. Erst das Wort "Weglaufen" brachte Kieran von dem wohl vorgefertigten Denkmuster in seinem Kopf ab, das ihm klar machte, dass Nico gerade dabei war ihn zu verlassen.

Nico starrte erst in den Himmel, dann sah er Kieran an, der sich ihm zuwandte. Er machte ein Gesicht, als habe er gerade schon mit ihrer Beziehung abgeschlossen. "Habe ich das Wort Familie erwähnt?", konterte er leise und zuckte dann mit den Schultern. "Ich kann nicht zurück zu meiner Familie und ich will es auch nicht. Alessio kann es sowieso nicht und er will es noch viel weniger als ich. Giulia wird zurückkehren, aber wir beide nicht." Er sprach es aus, als sei es beschlossene Sache. "Bisher steht nur fest, dass mein Bruder nach dieser Cromwellgeschichte verschwinden wird. Für ihn ist die Luft dann eindeutig zu dünn, für mich nicht. Ich kann nicht einfach.. abhauen. Ich habe eine Verpflichtung gegenüber seine Majestät und ich bin sicher, er wird sich auf diese Beziehung rückbesinnen, wenn Cromwell nicht mehr da ist. Er wird einen guten Feldherren brauchen und er hat nur mich und Charles. Aber danach, wenn diese Schlacht geschlagen ist, dann.. dann werde ich nicht zu meiner Familie zurückkehren. Dann will ich mit dir zusammen sein, nur mit dir, an einem Ort an dem uns niemand finden kann und an dem wir uns nicht verstecken müssen. Ich habe dir in der Vergangenheit so viel Unrecht zugefügt.. ich habe so viel falsch gemacht. Ich weiß das und es tut mir aufrichtig leid. Ich will es in Zukunft besser machen und deswegen will ich mit dir an einen Ort gehen, an dem ich dir gerecht werden kann."
 

Kieran

Kieran war sichtlich überrascht, als Dominico ihm erklärte, dass nicht die Familie Teil des Plans war, dass er dorthin auch gar nicht zurückkehren könnte. Dann erklärte er, dass er und Alessio vor hatten, nach Italien zurückzukehren, aber eben unabhängig von ihrer Familie. Wie sollte denn das gehen? Kieran hörte zu und das Gefühl der Ohnmacht wich einem Gefühl von Überraschung. Aber Dominico erklärte, weshalb das so wäre und die Worte, die er hörte, waren stimmig, zumindest was Alessandro betraf. Als Kardinal, der aus einem im Umbruch befindlichen Land floh, war sicher in Rom kein Platz mehr. Aber hier zu riskieren, sein Leben zu verlieren, war genauso unmöglich. Hieße das, Alessandro würde untertauchen? Als Dominico erklärte, dass das jedoch bei ihm nicht so einfach wäre, nickte Kieran verstehend. Aber wieso musste er dann in den Krieg ziehen? Gegen Frankreich? Oder wen? Kieran hatte momentan keinen rechten Einblick in die politische Lage. Aber wer sagte, dass Dominico aus der Schlacht zurückkehren würde? Doch dieser Gedanke wurde erst einmal verdrängt, als Dominico weitersprach und Kieran überrascht aufblickte, so als könnte er gar nicht glauben, was er da hörte. Dominico wollte mit ihm zusammen sein? Irgendwo, wo sie einfach miteinander leben könnten? Entschuldigte sich Dominico da gerade? Kierans Gedanken überschlugen sich und er wusste gerade so gar nicht mehr, was er denken und fühlen sollte…. – Wobei, was er fühlte, war eigentlich nicht so schwer: es machte ihn glücklich. Dieser Gedanke, dass Dominico mit ihm zusammen sein wollte, machte ihn glücklich. So einfach war das….

Kieran schwieg eine Weile, blickte wieder in den Sonnenuntergang. Er war innerlich aufgewühlt und doch wusste er die Antwort. Als er sich wieder etwas ruhiger fühlte, sagte er mit recht trockenem Ton. „Ja, du hast da einige Dinge falsch gemacht…“ Er nickte, so als müsste er seinen eigenen Worten noch mal Nachdruck verleihen. „Ziemlichen Mist hast du mit mir gebaut, das muss ich schon sagen.“ Er drehte sich wieder und sah den anderen an. „Aber wenn du wirklich vor hast, in Zukunft das besser zu machen…“ Er blickte den anderen prüfend an. „Dann bist du so genau auf dem richtigen Weg.“ Er konnte nicht mehr anders, als zu grinsen. „Vorausgesetzt…“ Er hob den Zeigefinger. „Vorausgesetzt, du versprichst mir, von dem Zeitpunkt an, an dem wir an diesem Ort sind, mir jeden Abend, und zwar wirklich JEDEN, einen Kuss zu geben. Mindestens versteht sich.“ Er grinste leicht. „Nein, Spaß beiseite“, sagte er nun und sah Dominico ernst an. „Ich würde dir überallhin folgen, das weißt du doch. Ich bin dir verfallen mit Haut und Haar und ein Leben ohne dich kann und möchte ich mir nicht vorstellen. Du hast mir mein Herz gestohlen und auch wenn ich in den letzten Monaten ziemlich enttäuscht war, so möchte ich es nicht wiederhaben. Aber eines musst du mir wirklich versprechen.“ Er sah Dominico noch immer ernst an. „Wenn du wirklich noch in einen Krieg ziehen musst, dann verlange ich von dir, dass du unversehrt zurückkehrst. Hast du mich verstanden, Dominico Sforza?“ Kieran überlegte einen Moment, zögerte. Er wusste nicht so genau, ob er das tun sollte… „Warte mal“, sagte er und rutschte zur Fensterluke, um sich in sein Zimmer hinunterzulassen. Dort suchte er kurz etwas, und kletterte wieder hinauf. Diesmal setzte er sich Dominico gegenüber, so dass er ihn ansehen konnte. „Du wirst mich gleich für furchtbar albern halten, aber… Egal. Ich habe sie in Portsmouth gekauft, noch bevor ich wusste, dass du dich nicht mehr bei mir melden würdest… und später habe ich sie aufgehoben, weil ich irgendwie immer gehofft hatte, dass wir wieder zueinander finden… Womit ich ja recht hatte“, sagte er etwas verlegen, als er Dominico ein kleines Kästchen in die Hand drückte. Die Ringe, die sich darin befanden, waren typische Ringe, die in ihrer Zeit Männer trugen. Er hatte extra darauf geachtet, dass sie nicht sehr auffällig wären, aber er hatte gedacht, dass, wenn sie sie trugen, wenigstens immer etwas vom andren bei ihnen wäre, irgendwie. „Wenn du ihn nicht tragen magst, dann versteh ich das…“ Schließlich würde man ihn vielleicht darauf ansprechen, oder er gefiel dem anderen nicht. „Aber vielleicht magst du ihn ja trotzdem haben - als Symbol unserer gemeinsamen Zukunft.“
 

Dominico

Nico wusste, dass das Worte waren, die zwischen ihnen einfach gesagt werden mussten. Kieran brauchte das und Nico musste es sagen, um die Welt zwischen ihnen wieder ein wenig mehr gerade zu rücken nach all dem, was sie aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Und Kieran bestätigte ihn nur darin, dass er wirklich viel Mist gebaut hatte. Aber Nico wusste das ja auch und deswegen hatte er diesen Ort und diesen Zeitpunkt gewählt, um mit dieser Sache ins Reine zu kommen. "Ich habe dir unrecht getan, ich weiß. Und es war falsch von mir. Falsch von mir, dir das zuzumuten. Du hast das nicht verdient. Und du wirst natürlich jeden Abend einen Kuss bekommen, aber nicht nur jeden Abend sondern auch jeden Morgen, wenn du neben mir aufwachen wirst. Ich weiß, wie schrecklich ungerecht es erscheinen muss in dieser Welt zu leben. Ich wollte das alles nicht so für uns beide, aber so ist es nunmal gekommen und ich bereue keinen Tag, keine Sekunde, die ich mit dir verbracht habe. Ich liebe dich.. und ich verspreche hoch und heilig unversehrt aus dem Krieg zurück zu kommen und dann meine Siegprämie an einen Ort zu verschleppen, an der ich sie genießen kann." Er grinste noch immer, konnte einfach nicht anders, weil auch Kieran lächelte. Doch dann war Kieran auf einmal nach unten verschwunden und Nico lehnte sich zurück, trank seinen Becher mit Wasser leer und sah in den Sternenhimmel, der über ihnen aufzog. Es war wunderschön hier oben.. eigentlich beinahe auch ein perfekter Ort. Doch der Sternenhimmel über Giannutri war einfach noch schöner. Und den würde er mit Kieran am Strand genießen können, am Strand liegend und Kieran in seinen Armen.. oh ja.

Dann war Kieran auf einmal wieder da und Nico sah im schwächer werdenden Licht auf das, was Kieran mitgebracht hatte. Albern? Was war wohl in der kleinen Schachtel? Nico sah Kieran an und nahm dann die Schachtel entgegen, während er seiner Erklärung lauschte. Da hatte Kieran wohl den richtigen Riecher gehabt.. naja, vielleicht kannte er ihn einfach doch besser, als Nico es sich eingestehen wollte. wenn du ihn nicht tragen magst.. Nico öffnete das kleine Kästchen.

Auf dunklem Brokat lagen darin zwei wunderschöne schlichte Ringe aus Silber. Sie waren wunderschön, nicht protzig, sondern schlicht, aber dennoch von einer ganz gewissen Eleganz. Nico trug normalerweise einen Siegelring, zumindest dann wenn er am Hofe tätig war. Einen Ehering trug nur Giulia, er nicht und sie beide taten das aus verschiedenen Gründen. Der Ring, den Kieran ihm schenkte war wunderschön.. und natürlich würde er ihn tragen. Vorsichtig nahm er beide Ringe heraus. Welcher wem gehören würde, war am Durchmesser der Ringe leicht zu erahnen und so ließ er seinen eigenen Ring vorerst über den Zeigefinger gleiten. Dann ergriff er Kierans Hand, die er in den eigenen Schoß gelegt hatte, um seinen Händen etwas zu tun zu geben, während er auf Nicos Reaktion wartete. Er nahm den Ring und ließ ihn langsam über Kierans Ringfinger gleiten. „Du bist Blut von meinem Blute und Fleisch von meinem Fleische. Ich schenke dir meinen Leib, auf das wir eins sein mögen. Ich schenke dir meine Seele, bis wir unser Leben aushauchen." Es war ein altes schottisches Eheversprechen, dass er auf seiner Reise aufgeschnappt hatte - und es passte an keinen Ort und keine Zeit besser als hier und jetzt.
 

Kieran

Kieran war froh, dass Dominico offen zugab, einen Fehler begangen zu haben und dass er sich dafür entschuldigte. Was konnte Kieran für einen größeren Liebesbeweis erwarten, als Dominicos Versprechen, für ihn seine Familie zu verlassen? Daher war Kieran davon überzeugt, dass alles andere die Zeit vergessen lassen würde. Letztlich war doch nur wichtig, dass sie nun wieder zusammen waren. Das Gefühl, dass ihm das jederzeit wieder passieren könnte, würde ebenfalls weichen, ganz bestimmt. Die Worte, die der Entschuldigung folgten, taten Kieran in der Seele gut und ja, das würde die Wunden heilen lassen, definitiv. Kieran kuschelte sich enger an den anderen an. „Es ist nicht ungerecht, es ist halt so. Aber solange wir immer wieder zueinander finden, ist das alles in Ordnung“, warf er zwischendrin ein und lächelte, als Dominico fortfuhr. Dominicos Liebeserklärung weckte in ihm dieses sanfte Kribbeln, das er so mochte. Er erwiderte jedoch nichts, ließ es einfach für sich stehen. Das gehörte ihm, nur ihm und das hatte er sich auch verdient. Das Versprechen, unversehrt zurückzukehren, war zwar letztlich albern - und das wussten sie beide - aber es tat gut. Dominico würde alles in seiner Macht stehende tun, um wieder zurückzukehren. Und mehr wollte er nicht wissen. Kieran küsste den anderen sanft, so als wolle er damit das Versprechen besiegeln.
 

Kieran beobachtete fast schon ein wenig nervös, wie Dominico die Schachtel öffnete. Er konnte den Blick es anderen nicht so ganz deuten, etwas wie Erstaunen, Überraschung, ein wenig bewundernd? Definitiv nicht verärgert oder gar amüsiert – also kein Grund zur Sorge. Als Dominico die Ringe herausnahm und seien auf den Zeigefinger steckte, begriff Kieran zunächst nicht, wieso jener das tat. Doch als Dominico seine Hand ergriff, wurde ihm bewusst, was jener vorhatte. Kieran merkte, dass ihn das berührte, dass er fast ein wenig verlegen wurde, und dass er sein Herz heftig klopfen spürte. Diese ganzen Gefühle kochten noch mehr hoch, als Dominico anfing zu sprechen. War das hier gerade nicht eigentlich wie eine Hochzeit? Wie eine Trauung? Ein Eheversprechen? Kieran war perplex und überrascht. Er hatte die Ringe gekauft, damit sie etwas verband, nicht um den anderen zu ehelichen. Dennoch war es gerade deshalb so unfassbar berührend. Die Worte, die Nico gewählt hatte, ging ihm unter die Haut und er spürte Gänsehaut am ganzen Körper. Als Dominico geendet hatte, ergriff Kieran die Hand des anderen und zog ihm den Ring von seiner provisorischen Stellung, um ihn am passenden Finger wieder überzuzuziehen. Dann blickte er Dominico an und sagte langsam und eindringlich: „Du bist Blut von meinem Blute und Fleisch von meinem Fleische. Ich schenke dir meinen Leib, auf dass wir eins sein mögen. Ich schenke dir meine Seele, bis wir unser Leben aushauchen.“ Er sah Dominico an und lächelte, dann beugte er sich vor und küsste ihn zärtlich.

Sie waren gerade einen Bund fürs Leben eingegangen. Das fühlte sich fantastisch an.
 

Dominico

Er hatte eine Traumhochzeit in London gefeiert, mit Giulia. Henry hatte sich nicht lumpen lassen, war bei ihrer Trauung dabei gewesen, hatte ihm und seiner Frau teure Geschenke gemacht und die Feier ausgerichtet. Als sie nach Italien gekommen waren, hatten sie abermals geheiratet, im Vatikan, und Alessandro hatte die Messe gehalten. Die Familie hatte sie auch reich beschenkt und eine rauschende Feier abgehalten und für Giulia war es ein wundervoller Traum gewesen, wie sie selbst gerne betonte. Doch das hier, was Nico jetzt fühlte, als er Kieran ein Eheversprechen gab, auch wenn sie natürlich vor keinem Gericht und keinem Gott verheirtatet waren, das fühlte sich echter an. Echt, wirklich und vor allem sehr gewollt. Er lächelte als Kieran den Ring an seinem Finger abnahm um ihm den ebenfalls wieder an den Ringfinger zu stecken.. und Nico fühlte die gleichen Schmetterlinge in seinem Bauch aufsteigen und kam Kieran entgegen als der sich vorbeugte. Es war ein so unschuldiger Kuss und dennoch besiegelte er ihr Versprechen, mit dem Nico sich selbst willentlich genauso an die Leine gelegt hatte. Früher hatte er das nie gewollt, doch jetzt erschien es ihm, als gäbe es keine andere Möglichkeit.

Er griff Kierans Hand und hielt sie fest, als sie den Kuss lösten. "Also sehe ich das richtig, das hier ist unsere... Hochzeitsnacht?" In der Dunkelheit, die sie inzwischen umgab, konnte man Nicos Gesicht nicht sehen, sein Grinsen war aber zu hören. "Also.. dann sollte ich dich über die Schwelle tragen, aber ich bin mir nicht sicher, ob wir dann nicht abstürzen." Er strich über Kierans Wange und dann tiefer, ließ den Finger über Kierans Schlüsselbein gleiten. Und dennoch, auch wenn Nico Kieran jetzt nicht auf ein riesiges Bett voller Rosenblüten werfen konnte - hier war es perfekt und es war perfekt, dass sie genau hier waren. Denn es war genau der Ort, der zu ihrer Liebe passte, geheim, versteckt, und doch wunderschön.

Als sie schließlich hineingingen und durch das Dachfenster nach unten glitten, griff Nico beinahe scheu nach Kierans Hüfte, um ihn zu sich zu drehen und ihn zu küssen. "Ich liebe dich..", flüsterte er leise gegen Kierans Lippen. "Und ich habe wirklich zu selten Danke dafür gesagt, dass du nie den Glauben an mich und an uns verloren hast. Also.. danke. Und jetzt.." Er grinste wieder etwas mehr. "..muss ich dir leider sagen, dass ich diese 'Ehe' erst anerkenne, wenn ich sie mindestens einmal mit dir vollzogen habe." Dennoch dachte er nicht daran, Kieran schamlos und von Lust getrieben, die Kleider vom Leib zu reißen. Das hier war ihre "Hochzeitsnacht" und sie verlangte mehr. Zärtlichkeit und Achtung voreinander und so waren Nicos Hände sehr sanft, als er anfing Kieran zu entkleiden und er berührte ihn so zärtlich, als täte er es das erste Mal, entdeckte Kierans Körper für sich ganz neu.
 

Kieran

Kieran musste unwillkürlich grinsen, als Dominico ihn fragte, ob das ihre Hochzeitsnacht sei. „Kann man wohl so sagen“, sagte Kieran gespielt nachdenklich und lauschte den Worten, die folgten. Fast hätte er lachen müssen, während er versuchte die Augen des anderen in der Dunkelheit einzufangen. „Das wäre nicht zu verantworten, wenn ich solch ein Wagnis von dir verlangte“, lächelte er und lehnte sich gegen die streichelnde Hand des anderen, die über sein Gesicht strich. „Lass uns herunterklettern“, sagte er leise und genoss das Gefühl, das er gerade hatte. „Wenn wir auf unserer Insel, unserem Paradies eintreffen, dann darfst du mich gerne noch einmal über eine Schwelle tragen. Oder sagen wir lieber: dann bestehe ich darauf, dass du das tust.“ Er lächelte bei diesem Gedanken.

Unten angekommen, ließ er sich nur zu gerne zu Dominico ziehen. Er merkte, dass Dominico fast schon vorsichtig war, wie er ihn berührte. So als hätte er Scheu davor. Einen Moment sah er den anderen fragend an, bis dieser ihn küsste und Kieran sich mit einem Mal wieder diesem faszinierenden Kribbeln im Bauch ausgesetzt fühlte, als Dominico ihm seine Liebe gestand. Ihm wurde klar, dass der andere vielleicht so vorsichtig war, um ihm nicht das Gefühl zu geben, das alles nur für Sex gemacht zu haben. So ein Gedanke wäre Kieran nie gekommen. Das, was zwischen ihnen war, war mehr als Sex, wesentlich mehr – es war unbeschreiblich.

Der Dank, der folgte, wischte nun jegliche düsteren Gedanken beiseite, die noch irgendwie in ihm hätten zurückbleiben können. Nun war alles wieder zwischen ihnen normalisiert und nichts stand mehr zwischen ihnen. Dominico hatte sich entschuldigt und ihm gedankt und ihm versprochen, dass so etwas nie wieder vorkommen würde. Mehr konnte er nicht verlangen. In Zukunft, jetzt wo sie "verheiratet" waren – würde er dieses Versprechen auch gnadenlos einfordern.

Kieran hatte seine Arme um den Hals, die Schultern des anderen gelegt und sah ihn lächelnd an, als er das Grinsen sah, das die Lippen des anderen zierte. Was womöglich bei der Feststellung der gemeinsamen „Hochzeitsnacht“ im Raum gestanden hatte, forderte Dominico nun – und zwar mindestens einmal. Kieran lachte leicht. „Tze“, sagte er gespielt beleidigt. „Also denkst du doch nur daran..“ Dass er das mit keinem Wort ernst meinte, sollte der Tonfall deutlich machen. Sie küssten sich sanft und Kieran merkte, dass die Art und Weise, wie ihn Dominico gerade behandelte, genauso vorsichtig und ja.. irgendwie höflich und schier ehrfurchtsvoll blieb. „Doch…“ Seine Augen fingen an, den Händen des anderen zu folgen, die langsam begannen, ihn zu entkleiden. „…wenn ich es mir recht überlege…“, sie küssten sich, und in Kieran spielte sich ein Feuerwerk an Glückseligkeit ab, das seinesgleichen suchte. „…dann möchte ich auf das ‚mindestens‘ beste…ngh…hen…“

Was folgte war Sex, den er in dieser Form noch nie gehabt hatte. Wenn Kieran in den nächsten Tagen daran denken würde, so war er sisch sicher zu dem Schluss zu kommen, dass ihr Bund für’s Leben niemals schöner, niemals inniger, niemals tiefer hätte vollzogen werden können.

London 3 - Backgammon

John

Auch wenn er es kaum noch für möglich gehalten hätte, so hatte John es letztlich doch noch geschafft, sich wieder auf das zu konzentrieren, weswegen er eigentlich auf das Anwesen der Sforzas gekommen war. Anfangs hatte er sich öfters bei den Gedanken an Tancred erwischt und an das, was er empfunden hatte, als sie sich so nahe gekommen waren, als sie sich geküsst hatten. Schließlich hatte er es jedoch geschafft, das zurückzustellen und zu verdrängen. Letztlich war das doch vollkommen unwichtig, oder? Ein Flirt, bei dem eben Giulia reingeplatzt war. Na und? Nichts von Bedeutung. Dass er dabei war, seine Prinzipien zu brechen und zu versuchen, Tancred noch einmal in sein Bett zu bekommen – nun, dann war es halt so. Das hatte er gestern schon akzeptiert. Es würde ihn schon nicht umbringen. Oder?

Die kleine Glocke der Kapelle auf dem Anwesen der Sforzas verkündete die 8 Stunde nach Mittag, als John registrierte, wie spät es bereits geworden war. Er blickte sich um und entschied, dass er sich fast schon beeilen müsste, wenn er nicht gestresst in London ankommen wollte. Er räumte in Ruhe auf, verzeichnete Ergebnisse und kontrollierte noch einmal wichtige Präparate und Versuche. Schließlich ließ er sich sein Pferd wieder geben und ritt in Richtung London. Er hatte verdammt großen Hunger und keine rechte Lust noch mehr Zeit zu verlieren. Also beschloss er, in der Innenstadt in einer Taverne noch etwas zu essen, bevor er dann auch direkt zu eben jener Spielstätte gehen würde, wo er den Rest des Abends verbringen würde. Er gab sein Pferd ab, erklärte dem Schmied, der ihm das Tier immer wieder zur Verfügung stellte, dass er es wohl auch am nächsten Tag bräuchte, und ging dann etwas essen.

Als er gegen 23 Uhr das Hinterzimmer betrat, waren schon viele Männer anwesend. Diese Spielhölle existierte nicht jeden Tag, nur an bestimmten Wochenenden. Nur, wenn man eingeladen oder mitgebracht wurde, von jemanden, der schon Mitglied war, bekam man überhaupt Eintritt. John war schon lange nicht mehr hier gewesen und doch wurde er durchgewunken. Er war gespannt, ob man ihn heute spielen lassen würde, denn das vergangenen Mal hatten sie ihn darauf hingewiesen, dass er hier nicht willkommen sei, wenn er tatsächlich Karten zählen könne. Nun, er hatte da für solche Dinge nun mal ein Talent. Wieso also nicht ausnutzen, oder? Aber heute war ihm eh nicht nach Karten spielen – er wollte lieber Backgammon spielen, wie es auch sein erster Wunsch gewesen war. So visierte er zielstrebig eine Ecke des Raumes an, wo er sich alsbald setzte, um herauszufordern. Er liebte diese Mischung aus Können und Glücksspiel. Letztlich gewann der, der die beste Übersicht hatte und gleichzeitig das beste Würfeltalent. Schnell fand err sich in seinem Element, einen Krug Bier in der Hand und eine Zigarette im Mundwinkel.
 

Tancrèd

Der Ritt zurück nach London half, Tancred wieder auf den Boden der Tatsachen zu bringen. John machte ihn wirklich zum wilden Tier, weil er einerseits nichts sehnlicher wollte, als John wieder in sein Bett zu holen und andererseits eben genau das zu verhindern versuchte - denn er wollte John nicht verlieren. Als er durch die Stadttore ritt, war er sich zumindest sicher, dass es John genau so gegangen war wie ihm. Dieser Kuss hätte nicht so lange gehen sollen, doch er war nunmal so lange gegangen und sie hatten aneinander gehangen.. und es war herrlich gewesen. Mit einem Grinsen auf den Lippen kam Tancrèd am Gasthaus an, gab das Pferd ab und eilte dann hinauf in seine Räumlichkeiten.

Zu seiner großen Verwunderung war Kadmin ausnahmsweise da und sah genau so überrascht auf, als er Tancred durch die Türe kommen sah. "Das ging aber schnell... sind sie alle in Portsmouth ausgeflogen?" Tancred winkte ab. "Ich bin nicht mal dorthin gekommen. Brandon hat mich abgefangen. Es gab einiges zu besprechen." Das reichte, um Kadmin in Kenntnis zu setzen, und der wusste ganz genau, dass er nicht weiter zu fragen hatte. Der Kapitän ließ sich an den Tisch fallen, auf dem einiges an Essen stand, und er bediente sich ungefragt, was Kadmin zwar registrierte aber nicht kommentierte. Es war in Ordnung, immerhin kümmerte sich Tancred sonst auf dem Schiff auch um sein Wohlbefinden.

Doch dass etwas mit seinem Kapitän nicht stimmte, das merkte auch Kadmin. Denn Tancred versank gerade wieder in Gedanken an das, was er gerade getan hatte.. und nahm den Mann, der ihm gegenüber saß, nicht mehr wahr. Kadmin musste dreimal nachfragen, um Tancred zu einer Reaktion zu bringen. "Hey! In welchen Höhen fliegst du denn gerade herum?" Tancred blickte auf. "Hmn. Ich frage mich nur, was ich mit diesem langweiligen Abend anfangen soll. Ich habe keinen Bedarf, noch einmal in den Palast zu gehen und mir dieses Geschwafel anzutun..." Kadmin wusste, dass Tancred log. Zumindest wusste er, dass das hier nicht die Hauptsache dessen war, warum Tancred gerade so abwesend wirkte, doch der erste Maat fragte nicht nach - er wusste, dass diese Verschwiegenheit genau der Punkt war, der ihn in seine Position gebracht hatte. "Dann gehen wir spielen."

"Hm.." Keine wirkliche Antwort, doch die hatte Kadmin auch nicht erwartet. Er stand auf, schlug mit der Hand auf den Tisch und Tancred zuckte merklich zusammen, war aber wieder im Hier und Jetzt angekommen. "Was?"

Kadmin verdrehte die Augen. "Ich dachte, Huren in edlen Stoffen seien meine Leidenschaft? Na los! Du siehst aus, als könntest du schlechtes Ale und Spiele gebrauchen. Los!" Ohne weiter zu warten ging Kadmin Richtung Tür. Tancred runzelte die Stirn, doch ohne darüber nachzudenken, folgte er seinem ersten Maat.
 

Sie gingen zu Fuß in die die Innenstadt hinein, in der es viele kleinere Tavernen und Kneipen gab, die schnelles Vergessen für wenig Geld anboten. Doch während sie gingen, merkte Tancred bereits, dass Kadmin heute anderes im Schilde führte... Vermutlich der Grund dafür, dass er so "klar" und nüchtern eben noch im Zimmer gesessen hatte - denn auf das Spiel, das er vorhatte zu spielen, musste er sich vorbereiten. Und tatsächlich! Als sie die Taverne betraten, steuerte Kadmin ziemlich zielsicher eine unscheinbare Hintertür an. Tancred folgte ihm langsam und war einmal mehr dankbar, auf die teure Jacke verzichtet zu haben. Der Mann, der nahe der Tür stand, fing schon breit an zu grinsen, als er den Araber sah. Als Kadmin vor ihm stand, klopfte er ihm freundschaftlich auf die Schulter. "Wieder bereit zu verlieren, mein Lieber?" Kadmin grinste verschmitzt und behauptete, heute sicher eine Glückssträhne zu haben. Falls nicht, so habe er Nadim mitgebracht, der noch schlechter sei als er. Wenn es etwas gab, das diese Glücksspieler schätzten, dann Männer mit Geld, die nicht spielen konnten. Wie sehr sie sich doch täuschten...

Während Tancreds Gesicht naiv und dümmlich in den Raum starrte, musste er innerlich lachen und gleichzeitig den Hut vor Kadmin ziehen. Sie wurden in den Hinterraum gelassen, der schlecht beleuchtet und verqualmt genau die Welt wiederspiegelte, in der Kadmin sich gerne aufhielt. In der er sich oft aufhielt.. und das nicht nur in London.

Wenn es auf dem Schiff eine Flaute zu verzeichnen gab, dann vertrieben sich die Männer Zeit mit Karten oder Brettspielen. Sie waren regelrecht süchtig danach, auch nach den einfachsten Würfelspielen. Sie waren alle Meister ihres Faches.. von wegen verlieren! Doch um überhaupt noch in diese Räume eingelassen zu werden, hatte Kadmin sich einer einfachen Technik bedient. Er konnte unglaublich glaubhaft einen naiven Ausländer mimen, der keine Ahnung von den Spielen hatte, die gespielt wurden. Während er sie "lernte", verlor er immer wieder.. nur um sich alles Geld anschließend, durch List und Tücke, getarnt als plötzliche Glückssträhne zurückzuholen. Er war so glaubhaft, dass niemand ihm unterstellte, diese Züge von Beginn an zu planen.. und Tancred musste jedesmal darüber lachen.

Während Kadmin sich direkt an einen der Tische setzte und loslegte, ging Tancred ein wenig beobachtend durch den Raum. Es gab Karten, es gab Würfel und es gab... Er blieb beinahe wie vom Donner gerührt stehen, als er John in einer Ecke des Raumes entdeckte. Er sah ihn nur von hinten, doch das war John, daran gab es keinen Zweifel. Der Zufall wollte wohl, dass sie immer wieder aufeinander prallten.. Tancred schlenderte weiter bis an eine Wand, von der aus er John von hinten beobachten konnte, genau so wie das Spiel, das er spielte. Backgammon.. es war Tancred auch nicht unbekannt. Andere Männer hatten sich ebenfalls versammelt, um zuzusehen, da John gerade dabei war sein Gegenüber auszunehmen, was er ganz offensichtlich genoss. Wie er dasaß, den Krug Bier in der Hand und den Tabak im Mundwinkel... Tancred musste beinahe lachen über so viel "Verwegenheit". Johns Geschick und Würfelglück beendete die Partie kurz darauf und der Mann erhob sich vom Tisch, wirkte leicht angefressen. Doch er vermied es, John wegen irgendetwas zu beschuldigen. Anscheinend war er sich bewusst, dass John einfach besser gewesen war. Der Platz gegenüber John blieb leer, keiner der umstehenden traute sich in diesem Moment John heraus zu fordern, man schien erst warten zu wollen, was der Kumpane zu berichten hatte.. Doch Tancred scheute sich nicht. Er ging einmal um den Tisch herum und ließ sich auf den Stuhl gegenüber von John fallen. Auf dem Weg hatte er der Bedienung einen Krug Ale abgenommen und machte ein Gesicht, als sei es nicht das Erste. "Na guten Abend, der Herr!"
 

John

Das Schöne an diesem Ort war, dass er einfach spielen konnte und dabei Geld verdiente. Das Blöde war, dass viele ihn schon kannten und mieden. Er hatte einfach bei Backgammon einen guten Überblick und auch die Würfel waren ihm meist gewogen. Sein Pokerface bei diesem Spiel war vor allem von Gleichgültigkeit geprägt. Selbst wenn es einfach nur gut für ihn lief, verriet seine Miene nichts von seinen Emotionen, sofern er die überhaupt hatte. Klar freute es ihn, wenn er sich ein Taschengeld verdiente. Und ja, er fand es auch ein wenig amüsant, wenn jemand wieder und wieder versuchte, ihm das Wasser zu reichen. Aber letztlich war er nur hier, um zu spielen, um einmal an etwas anderes zu denken als an Medizin, Arzneimittel und seinen Vater – und momentan wohl auch an Tancred, der ihn seiner Meinung nach am heutigen Tage ohnehin schon zu oft im Kopf herumgespukt hatte. Daher wirkte er sehr unbeteiligt, was wohl den ein oder anderen sicher auch störte, als er das Spiel zu Ende brachte und kurz lächeln musste, als er sah, wie hoffnungslos der andre noch dastand. Er blickte kurz auf, als der andere sich erhob und ihn mit einem giftigen Blick versah. John wäre nicht John, wenn ihm das nicht völlig egal wäre. Er trank sein Bier aus und nahm einen Zug von der Zigarette, die er anschließend am Boden ausdrückte.

Offenbar wollte niemand mehr mit ihm spielen und so ging es ihm oft, wenn er hier war. Nun ja, dann würde er sich wohl ein wenig umsehen und später schauen, ob er noch jemanden auftun konnte, der mit ihm spielte. Er machte sich daran, die Münzen in einen Beutel zu klauben, als sich doch jemand zu ihm setzte. John blickte zunächst nicht auf, mit sich hadernd, ob er wirklich gleich noch einmal spielen wollte. Schließlich hatte er sich eben noch mit dem Gedanken angefreundet, sich ein wenig umzusehen. Außerdem brauchte er neues Bier. Doch als der andere ihn ansprach und begrüßte, schnellte sein Kopf nach oben und er hatte Mühe, nicht sehr erstaunt zu schauen. Was machte den Nadim hier? Verfolgte er ihn? Oder war es reiner Zufalle, dass er hier war? Er hatte ihn hier noch nie gesehen… Wie war er reingelassen worden? Einen Moment überschlugen sich die Gedanken, während John den anderen nur anstarrte. Dann senkte er den Blick wortlos und zählte die Münzen weiter in seinen Beutel. Schließlich, als er geendet hatte, sah er wieder auf. „Ebenfalls einen schönen guten Abend, der Herr“, sagte er dann langsam, abschätzend. Denn er wusste nicht so recht, was er jetzt wirklich tun sollte. Zum einen hatte er schon irgendwie Lust, mit dem anderen zu spielen, zum anderen, wollte er es aber auch lieber nicht. „Ihr wollt spielen? Habt Ihr schon einmal Backgammon gespielt?“ Letztlich hätte er sich diese Frage sparen können, denn in den Kneipen am Hafen spielten die Seemänner alle möglichen Spiele. Es wäre also ein Wunder, wenn Tancred keine Ahnung hätte. Wenn er klug war, dann würde er jetzt behaupten, dass er es nur hin und wieder gespielt hätte, oder so…

„Ich weiß noch nicht so recht. Eigentlich wollte ich mir gerade etwas zu trinken holen und mich umsehen. Was wäre der Einsatz, damit ich hier sitzen bleibe und mit Euch spiele?“, fügte er letztlich provokant hinzu. Irgendwas in ihm warnte ihn davor, sich auf ein Spiel mit Nadim wirklich einzulassen. John kannte seinen Ehrgeiz und mit einem Bekannten zu spielen, konnte ziemlich übel ausgehen…
 

Tancrèd

Wenn John überrascht war, dann hatte er ein Talent dafür, es nicht zu offen zu zeigen. Tancred sah zu Kadmin hinüber, der bereits an einem der Kartentische saß und sich ein Ale nach dem anderen einflößen ließ, was er lautstark kommentierte und dabei tunlichst darauf achtete, einen arabischen Akzent an den Tag zu legen. Manchmal war Tancred der Meinung, der Mann hätte wesentlich besser Schauspieler werden können als Pirat.. aber gut, jeder wählte Hobbies und Beruf ganz für sich allein. Er gab John die notwendige Zeit, die der brauchte, um seine Münzen zu sortieren, und sich zu fangen, bis er bereit war ihm zu antworten. Tancred zuckte mit den Schultern. "Ich denke, wenn man hier ist, will man spielen." Tancred löste seine Börse von seinem Gürtel und legte sie auf den Tisch neben das Spielbrett, danach nahm er einen Würfel und drehte ihn nachdenklich in der Hand, ließ ihn probeweise über das Feld rollen. Er würfelte wie ein normaler Mensch würfelte, ohne besonderen Stil.. eben einfach würfeln. Sein Blick glitt über das Spielbrett und die Steine.. John hatte mit Backgammon gewonnen, es lagen noch immer Steine im Startfeld des Gegners.. eine herbe Niederlage. Natürlich kannte Tancred die Regeln.. und er kannte vor allem die Regeln, den anderen zu blockieren, indem man seine Steine aus dem Spiel warf und ihn so zwang, sie erst wieder ins Spiel zu bringen, ehe man auswürfeln konnte. Er zuckte trotzdem mit den Schultern. "Ihr wisst, dass ich Seemann bin und meine Mannschaft spielt alle möglichen Spiele. Ich denke, ich habe auch schon Backgammon gespielt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich die Regeln genau kenne, aber Ihr werdet mich sicher erleuchten." Er öffnete seine Börse und holte die einzigen beiden Münzen heraus, die sie enthielt. "Außerdem habe ich nicht besonders viel. Und um euch die Qual zu erleichtern gegen mich zu spielen, spendiere ich euch ein Ale..." Er winkte die Bedienung heran, die John einen neuen Krug brachte. Am anderen Tisch fluchte Kadmin gerade äußerst faszinierend und glaubhaft los, während die anderen Spieler jubelten, weil Kadmin offenbar viel gesetzt hatte. Tancred musste sich das Lachen verkneifen. Er bezahlte das Ale und nahm das wenige Wechselgeld entgegen, das von seinem ohnehin schon mikrigen Vermögen übrig geblieben war. Er musterte die Münzen in seiner Hand und legte sie dann neben das Spielbrett. "Ich denke für eine oder zwei Partien wird es reichen, oder nicht?" John hatte gerade um weniger als das was jetzt auf dem Tisch lag gespielt, aber es war längst nicht alles was Tancred bei sich trug. In solchen Etablissements war es aber als Europäer nicht klug, zu viel Geld zu zeigen. Kadmin hatte es da besser.. er war einfach der idiotische reiche ausländische Matrose, der nur mit viel Glück große Summen gewann. "Also, wie sieht es aus? Spielt Ihr mit mir? Ich könnte auch mein Hemd setzen, es ist aus bestem Leinen.. falls Euch der Einsatz nicht genügt. Ihr könnt es sicher teuer weiterverkaufen."
 

John

John folgte einen kurzen Moment dem Blick des anderen. Ein Araber, den er schon ein paar Mal hier gesehen hatte, saß am Kartentisch und blendete alle mit der Masche des naiven Ausländers. Nun, John hätte ihn nicht beachtet und wenn, dann wäre es ihm egal gewesen, ob jener spielte oder wirklich naiv war, aber dadurch, dass er wohl zu Tancred gehörte, wirkte dieses Bild, das der imposante junge Mann dort drüben abgab, irgendwie nicht richtig. Wenn dieser Mann dort drüben ein guter Schauspieler war, dann der Mann vor ihm auch. Er würde ihn nicht unterschätzen dürfen und das machte die ganze Geschichte hier wieder so unwägbar. Sollte er sich darauf einlassen?

Aber Tancred schien das wirklich zu wollen, zumindest legte jener sein Geld heraus, das verhältnismäßig wenig für jemanden war, der für den König ein Kriegsschiff steuerte. Aber das Augenscheinliche war in dieser Welt hier ohnehin nie die Wahrheit. Das begriff er auch sogleich, als Tancred fortfuhr und ihm weiszumachen versuchte, dass er wohl schon mal gespielt habe, aber die Regeln nicht so kenne. Johns Augenbraue huschte einen Moment zweifelnd nach oben. Tancred schien zu versuchen, ihn in ein Spiel zu drängen, was er wohl selbst auch angefangen hatte. Aber sollte er sich darauf einlassen? Er nahm das Bier mit einem dankenden Nicken entgegen und trank nachdenklich einen Schluck, als der andere ihm erklärte, dass sein Geld wohl schon für zwei Runden reichen könnte, und ihn nun bat, ihm zu sagen, ob er mit ihm spielen würde. John sah ihn an, als der andere sagte, er könne auch sein Hemd setzen. Meinte der andere das ernst? Offensichtlich… „Hm, sogar ausziehen würdet Ihr Euch für eine Partie mit mir, obwohl Ihr mir gerade auch schon das Bier bezahlt habt. Nun, dann möchte ich mal nicht so sein“, sagte er daher und zuckte scheinbar unbeteiligt mit den Schultern. Aber eigentlich fand er das hier gerade sehr amüsant. „Ich werde allerdings keine Regeln erklären, das ist nicht meine Aufgabe und ich bin mir sicher, dass Ihr die wenigen Regeln ganz gut beherrscht.“ Nein, Regeln zu erklären bedeutete immer, dass man Taktiken preisgab und mehr über sich und seine Spielweise erzählte, als einem von Vorteil sein konnte. Wenn der andere spielen wollte, müsste er selbst sehen, wo er blieb. Wenn er falsch spielen würde, würde er es ihm zeigen, so oder so. „Ich weiß nur nicht, ob ich etwas Vergleichbares habe. Mein Hemd ist wesentlich weniger wertig als das Eure.“ John kannte sich. Er durfte das nicht zu ernst nehmen hier. Sonst wurde er verbissen und das war nicht das, was hier angebracht war. Vielleicht, so dachte er, sollte er es als eine weitere Runde ihres scheinbar andauernden und immer wieder unterbrochenen Flirts sehen… Eine Fortsetzung von heute Mittag, nun irgendwie doch ganz anders… Er durfte nicht anfangen, ehrgeizig zu werden – das sagte er sich immer wieder, während er die Steine sortierte und dem anderen das Spielfeld so frei räumte, dass man anfangen konnte. Dann nahm er einen Würfel und würfelte eine Vier. Herausfordernd blickte er den anderen an, damit jener seinen entscheidenden Wurf machte, der zeigen würde, wer die Partie beginnen durfte.
 

Tancrèd

Für John schien Kadmin ein offenes Buch zu sein, doch dessen Show war für jemanden der wusste, dass er sie spielte, wirklich leicht zu durchschauen. Aber die, die mit Kadmin spielten, sahen nur das schnelle Geld, das der Araber versprach, denn er setzte gerne hoch und trieb damit auch die anderen Spieler zu unvorsichtigen Einsätzen. So gewann Kadmin und vervielfachte sein verdientes Geld und Tancred ließ ihn. Innerhalb der Mannschaft nahmen sich die Männer auch immer wieder Geld ab, aber auf einem Schiff blieb der Wert meistens gleich.

Seine Konzentration richtete sich wieder auf John, der scheinbar einverstanden war mit ihm zu spielen und er nickte. "Naja, wenn man nicht bereit ist, das letzte Hemd für die Ehre zu geben, sollte man nicht anfangen zu spielen - das ist meine Meinung." Er trank noch einen Schluck Ale und fing dann an, spiegelverkehrt zu John, seine Steine auf das Feld zu bringen. Da John ihm einfach eine Farbe zuteilte nahm Tancred sie, auch wenn er darauf hätte bestehen können, die Farben und das Startfeld auszuwürfeln - aber wozu? Das Feld war gleich, es gab keinen Vorteil. "So wie ich das sehe habt ihr mehr gewonnen als ich heute Abend noch setzen könnte, also sehe ich kein großes Problem."

Dass John die Regeln nicht erklären wollte, hatte Tancred sich fast gedacht. Genauso wie er sich dachte, dass John dem Braten nicht traute, dass Tancred keinen blassen Schimmer von diesem Spiel hatte. Nun, es würde sich zeigen, wie gut Tancred darin war, John das zu beweisen.

Die Steine lagen bereit und John machte den ersten Wurf. Eine vier war eine recht gute Zahl, immerhin lag sie in der oberen Hälfte der Würfelanzeige. Tancred nahm den Würfel entgegen und wog ihn in der Hand. Jemand wie er, der auf dem Schiff beinahe täglich mit Würfelspielen zu tun hatte, konnte mit relativer Zuverlässigkeit Zahlen würfeln, wenn er Gewicht und Bewegung des Würfels kannte. Hier war das nicht so, doch er versuchte es trotzdem. Mit der nötigen Portion Glück gelang es ihm unterhalb der Vier zu liegen - und tatsächlich, der Würfel kippte auf die zwei. Damit war John am Zug und für Tancred war es nicht das Schlechteste, zuerst einmal zu sehen, wie John spielte. Er hob die Schultern und setzte ein leichtes Grinsen auf. "Tja, Euer Anfang. Aber vielleicht lerne ich dann etwas mehr darüber, wie man am besten rückt." Er trank noch einen Schluck Bier und öffnete einen Teil seines Hemdes. Scheinbar nur weil er schwitzte, denn in dem stickigen Raum stand ihm wirklich bereits der Schweiß auf der Stirn. Aber vielleicht konnte ein wenig Ablenkung auch nicht schaden. Immerhin ging es bei diesem Spiel um Taktik und Voraussicht.. und die hatte Tancred und hoffte, sich darin mit John messen zu können.
 

John

Ehre - wer besaß denn wirklich noch 'Ehre'? John hob einen Moment die Augenbraue, erwiderte darauf aber lieber mal nichts. Wobei er sich bei Tancred schon vorstellen konte, dass jener wirklich so etwas wie Ehre besaß, auch wenn jener sicher genauso log und betrog wie jeder andere, wenn es darum ging, einen Vorteil aus einer Situation zu ziehen. Ehre hin oder her - jeder Mensch war sich selbst der nächste und wirklich ehrenhafte Menschen gab es in Johns Augen sehr sehr selten. Wenn Tancred wirklich eine solche besaß, dann sollte es auch sein gutes Recht sein, diese bis auf das letzte Hemd zu verteidigen.

John nickte kurz, als Tancred ihm erklärte, dass er ja an diesem Abend bereits mehr gewonnen hätte. Wenn er verlieren würde, würde er zumindest darauf achten, dass er ein wenig Gewinn behielt. Er war jemand, der gut aufstehen konnte, wenn er denn wollte. Er war niemand, der sich blind ein ums andere Spiel lieferte. Interessant fand John bei diesen Gedanken jedoch, dass er einräumte, gegen den anderen verlieren zu können. Tancred tat so, als habe er noch nie wirklich gespielt. Aber igendwie kaufte er das dem anderen so gar nicht ab. Als er sah, wie jener die Würfel in der Hand rollte, bevor er warf, war ihm zumindest klar, dass jenem das Würfeln bestimmt nicht neu war. Wie bei jedem Spiel wurden auch hier neue Würfel verwendet. Alle Würfel hatten nun einmal andere Schwerpunkte, andere Eigenarten. Es dauerte ein paar Würfe, ehe man den Würfel kannte und zumindest ansatzweise bestimmen konnte, was geworfen wurde.

Tancred würfelte eine niedrigere Zahl als er, so dass er beginnen durfte. Er startete das Spiel und merkte, dass Tancred zunächst recht passiv war. John lehnte sich etwas zurück, trank in Ruhe sein Bier und atmete durch. Er merkte, dass ihn das Spiel mit dem anderen irgendwie ein wenig stresste. Besonders in jenen Momenten, in denen er den anderen kurz ansah, während dieser überlegte, und sein Blick mal hierhin, mal dorthin wanderte - zu dem geöffneten Knopf, den Oberarm, dessen Muskeln sich daunter abzeichneten, wenn Tancred sich leicht streckte. Den Gedanken an den Morgen, an dem sie so abrupt unterbrochen worden waren, vermied er, so gut es ging. Doch dieser elendige geöffnete Knopf dort vor ihm, versuchte genau das zu verhindern.

So spielten sie eine Weile. John merkte, dass der andere offensichtlich wirklich nicht so oft spielte, weil jener hin und wieder die Übersicht verlor, so dass ein Stein liegenblieb, den John dann aufsammel und Tancred damit blockierte. Letztlich war es ein Herantasten. John versuchte gelassen zu bleiben und einfach sein Spiel zu machen.
 

Tancrèd

Das ganze war eine Kunst, die Tancred in seiner Zeit als Kapitän gemeistert hatte. Früher einmal, als er noch wirklich jung gewesen war, da hatte sein Mentor, der ihn im Schwertkampf betreute, stets gesagt, Tancreds Gesicht sei ein offenes Buch, wenn er angestrengt war. Und seitdem war jede Bemühung dieses Mannes dahin gegangen, ihm das Pokerface zu verleihen, dass in Tancreds Kreisen so unglaublich notwendig war. Er war daher schon immer gut darin gewesen, Desinteresse vorzugaukeln, doch seit er an Bord dieses Schiffes gekommen war, mit dieser Mannschaft - da hatte er schnell gelernt, das Desinteresse nicht reichte. Im Grunde war er ja auch wirklich naiv gewesen. Er hatte dieses Schiff und die Mannschaft aus dem Boden gestampft, nur mit Geld und ohen Erfahrung. Er hatte keinem dieser Männer trauen können und genau das hatte sich kurz darauf auch auf See bemerkbar gemacht. Sie hatten nichteinmal eine Meuterei anzuzetteln brauchen, er wusste einfach viel zu wenig von der Schifffahrt, als das er ein geeigneter Befehlshaber auf dem Meer gewesen wäre. Doch Tancred hatte es geschafft durch Geschick, List und Tücke seine Mannschaft so gegeneinander aufzuwiegeln, dass letztlich keiner den anderen unterstützen wollte und allein gegen den Franzosen hatten sie alle kläglich versagt. Selbst eine echte Meuterei unter Anführung von Kadmin, war an seiner Weitsicht und seiner Einsatzbereitschaft gescheitert. Als ihnen bewusst geworden war, dass der Mann sie ausgetrickst hatte, hatten sie begriffen, dass er vielleicht unerfahren, ganz sicher aber nicht dumm war. Nach diesen ersten Zusammenstößen, die ihn im Endeffekt näher an seine Mannschaft gebracht hatten, hatte Tancred gelernt, jede Emotion vorzutäuschen, auch wenn er eine ganz andere empfand - und das half ihm gerade sehr in diesem Spiel.

Er rief sich zur Ruhe das Spiel nicht all zu ernst zu nehmen. Was er hier verlieren konnte war kaum von Wert für ihn und damit egal. Es ging darum, Zeit mit John zu verbringen und mehr über ihn herauszufinden, auch wenn sie nicht sprachen. Sobald John am Zug war beobachtete Tancred den jungen Mann aufmerksam. Sein Blick glitt über Johns Hände, die den Bierkrug hielten, die legere Kleidung, die lockere Haltung. Eine Spur zu locker, um bequem zu sein, Tancred sah es an Johns Schüsselbein das deutlicher hervortrat, als es im Normalzustand gewesen wäre. Er merkte, dass John ihn seinerseits beobachtete, sein Blick über Tancreds Unterarme strich und die breiten Schultern bis hin zu dem schmalen V in dem geöffneten Hemd. Beinahe beiläufig öffnete er einen weiteren Knopf und wischte sich unsichtbaren Schweiß mit dem Hemdsärmel von der Stirn als John am Zug war. Das Spiel seines Gegenübers wurde selbstsicherer, er schien zu erkennen, was Tancreds Intention von Beginn an gewesen war: einen Gelegenheitsspieler zu mimen, der Fehler machte. Durch die Fehler, die er machte, brachte er John dazu, auf genau diese Fehler zu warten, um ihn festzusetzen.

John war bereits dabei, seine Steine auszuwürfeln, als Tancred nach wie vor alle Steine auf dem Feld, zum leichten Angriff überging. Zunächst würfelte er und wollte schon rücken, als es ihm scheinbar auffiel, einen von Johns Steinen auswerfen und damit blockieren zu können. Mit dem Gesichtsausdruck "auch ein blindes Huhn findet mal ein Korn" warf er Johns Stein zu Gunsten des eignen heraus und schien sich darüber ehrlich zu freuen, während er darauf wartete, dass John wieder zog. Auch wenn der Raum um sie beide von Geräuschen gefüllt war, so nahm Tancred die Stille zwischen ihnen wohl wahr - doch sie war nicht unangenehm und Tancred fing an, sich daran zu gewöhnen.
 

John

Als Tancred seinen Stein auf den mittleren Steg des zusammenklappbaren Brettes legte, verzog John keine Mine. Er lag weit vorne und in dieser Phase des Spieles war es ganz normal, dass man Steine ungeschützt liegen ließ. Es war kaum anders möglich. John ergriff die Würfel, warf... warf noch einmal... und ein drittes Mal, als auch schon die nötige 6 geworfen wurde und er mit einem weiteren Wurf die neue Position dieses Steines bestimmte. Dann war Tancred wieder am Zug. John war sich sicher, dass er diese Partie bereits gewonnen hatte, denn Tancred lag weit zurück und es müsste schon seltsam zugehen, wenn er noch verlieren würde. Aber man konnte ja nie wissen, wie sehr Tancred noch immer den ahnungslosen Spieler mimte und er am Ende doch noch ein Finale hinlegte, das John zeigen würde, dass ER der blutiger Anfänger wäre. Nicht, dass er wirklich damit rechnete, aber er sagte sich das zu sich, um nicht unvorsichtig und überheblich zu werden. Das war es nämlich, wozu der Mensch neigte, wenn er sich seiner Sache allzu sicher war. Das Schimpfen, Anklagen und Weinen hinterher war etwas, was John ziemlich nervte.

Sie beendeten bald darauf die Partie und John nahm den Gewinn an sich. "An sich, gut gespielt", sagte er ruhig und blickte den anderen an. "Aber definitiv zu defensiv. Ich hatte mit mehr Aggressivität gerechnet." Er zuckte mit den Schultern, blickte sich kurz um und sah, wie Kadmin offenbar mittlerweile die perfekte Glückssträhne eines blutigen Anfängers mimte. Er schmunzelte leicht. "Lust auf noch eine Partie?", fragte er den anderen und blickte ihn wieder an. "Deine Begleitung scheint noch auf dich verzichten zu können und sonst scheint niemand mit mir spielen zu wollen..."

Erstaunt beobachtete John, wie Tancred den Rest seines 'Vermögens' nach vorne schob, so als wolle er wirklich alles setzen. "Wirklich?", fragte er irritiert nach. Schließlich hatte er auf noch eine weitere Partie gehofft. Und ob er wirklich um das Hemd des anderen spielen wollte, wusste er nicht so recht. "Ich weiß wirklich nicht, ob ich dir nachher wirklich das Hemd noch nehmen kann...", er grinste leicht und sah den anderen fragend an.
 

Tancrèd

Er hatte nicht vor schon dieses erste Spiel zu gewinnen. John erkannte das und nannte seine Spielweise zurecht defensiv, doch Tancred winkte ab. "Aggressivität hat noch keinem Mann auf dem Meer das Leben gerettet", erwiderte er, so als sei das Erklärung genug. Um auch etwas anderes in den Fingern zu haben, als Würfel, Spielsteine und den Bierkrug von Zeit zu Zeit, zückte Tancred eine Zigarre, die er entzündete und sich wie John auch in den Mundwinkel hängte. Er lehnte sich im Stuhl zurück, während John den Tisch und das Brett wieder in Ausgangszustand brachte, und sah ebenfalls zu Kadmin, dessen Glückssträhne sogar ihn zum Schmunzeln brachte. Aber Kadmin hatte diese Geschihte einfach zu gut aufgebaut und keiner zweifelte jetzt noch an ihm, so dass er es etwas bunter treiben konnte. Als John auf eine nächste Partie zu sprechen kam, richtete sich Tancred wieder im Stuhl auf und nickte, richtete seinen Fokus wieder auf das Spielbrett vor sich. Er schob seinen restlichen Einsatz vor, denn mehr hatte er ja nicht und um zu wenig Geld zu spielen hatte in seinen Augen auch wirklich wenig Sinn. Er war gerade wieder dabei, die Steine auf sein Feld zu setzen, als er merkte, dass John seinen Einsatz so komisch beäugte und darauf zu sprechen kam, dass er Tancred nicht wirklich das letzte Hemd abnehmen wollte. Seine Mundwinkel zuckten nach oben. John ging also wirklich davon aus auch erneut zu gewinnen. Das war ein guter Ausgangspunkt. "Nachher? Also noch eine Partie nach dieser meinst du?" Denn immerhin hatte es so geklungen... Er zog an der Zigarre und paffte eine Rauchwolke in die ohnehin schon rauchige Luft des Hinterraumes, ehe er sie ablegte und die Ärmel abrollte. Danach öffnete er nach und nach die Knöpfe, ohne John aus den Augen zu lassen, und zog das Hemd aus, faltete es sorgfältig zusammen und legte es zu seinem Einsatz auf den Tisch. "Da ich mir nicht ganz sicher bin, wie lange mein guter Freund dort vorne noch Glück haben wird, und du so großen Wert auf dieses Hemd zu legen scheinst, setze ich es gleich. Es macht den Einsatz zu einem Wert, um den es sich zu spielen lohnt und wer weiß - vielleicht gewinne ich halb nackt besser als angezogen." Sein Wurf zum Start des Spieles brachte ihn selbst in die Situation anzufangen und so begann die zweite Runde, mit einem ähnlich passiven Tancred, dessen Züge jedoch ein bestimmtes Ziel zu verfolgen schienen.
 

John

John versuchte keine Miene zu verziehen. Schließlich gehörte das zu ihrem Spiel hier, oder? Den Harten zu markieren und seine wahren Gedanken nicht Preis zu geben... Aber in dem Moment, als Tancred begann, sein Hemd aufzuknöpfen und es sich auszuziehen, wurde Johns Miene doch einen Moment unsicher. Was bezweckte der andere damit? Er hatte ja nicht gesagt, dass er das Hemd unbedingt haben wolle...

Unwillkürlich glitten seine Augen über den wohlproportionierten, breiten Oberkörper des anderen, seine Macken, seine Haut, seine Brust, seinen Bauch und weiter hinab. John schluckte und zwang sich seine Steine wieder auf das Spielfeld zu legen. Was auch immer der andere damit bezweckte, er würde sich nicht davon aus seinem Konzept bringen lassen! Definitiv nicht! "So viel Wert lege ich auf dein Hemd nun eigentlich nicht", entgenete er, während er die Steine setzte. "Zumal es mir nur als Nachthemd dienen könnte, so groß, wie es ist. Aber wenn du meinst, dass dir das Glück bringt, dann will ich dich nicht davon abhalten." In diesem Moment dämmerte es ihm auch endlich, was der andere hier bezweckte. John blickte wieder ein wenig irritiert auf und musterte das Gesicht des anderen kurz. Meinte der andere wirklich, ihn mit seinem Strip aus dem Konzept bringen zu können? Ernsthaft?

Nun, der Körper des anderen war schön, er war männlich, er war begehrenswert und er hatte ihn schon einmal kosten dürfen... Dabei sollten sie es belassen. John legte die letzten Steine und seine Gedanken glitten unwillkürlich zu diesem Morgen, an dem sie sich geküsst hatten, voll Gier, voll Verlangen, hungrig, wie zwei Wölfe nach einer langen Jagd.

John merkte, dass diese Partie wirklich zur Herausforderung werden könnte. Denn seine Gedanken, zusammen mit dem Anblick - der sich ihm unwillkürlich bot, ob er wollte oder nicht - ließen seinen Körper reagieren, minimal, aber er merkte, dass sein Körper mit einem Mal etwas ganz anderes wollte, als nur ein wenig Spaß beim Backgammon zu haben...

John war froh, dass Tancred begann und bestellte bei einer vorbeilaufenden Bedienung noch ein Bier. John war zufrieden mit seiner Eröffnung, mit Tancreds offenbar nicht geänderten Taktik. Doch gleichzeitig merkte er, dass er bei weitem nicht mehr so konzentriert war, wie bei der anderen Partie. Immer wieder zog er seinen Blick von diesem schön geschwungenen Schlüsselbein, der leichten Vertiefung, die die rechte von der linken Brust trennte... Und so merkte er gar nicht, wie seine Steine teilweise recht schutzlos auf dem Feld zum liegen kamen, merkte geschicktere Züge erst, nachdem er schon gezogen hatte, und er begann sich darüber zu ärgern, dass Tancred ihn tatsächlich so irritieren konnte.
 

Tancrèd

Tancred schenkte Johns Reaktion absichtlich keine Beachtung, so gut sie sich eben ignorieren ließ. Aber sein kleiner Strip zeigte schon nach kurzer Zeit Wirkung, auch wenn John sich zunächst abfällig darüber äußerte, dass er sich bereits entkleidet hatte. Er hatte den ersten Zug gemacht und sah wieder auf, scheinbar teilnahmslos darüber, dass er halb nackt in dem schwülen Raum saß. Er fror auch nicht, dafür war es zu warm. Stattdessen empfand seine Haut es als angenehm, endlich nicht mehr unter dem Hemd eingesperrt zu sein. Langsam lehnte er sich im Stuhl zurück um darauf zu warten, dass John zog und hob den Bierkrug. Er hatte den Blick wieder dem Spielbrett zugewandt, doch seine Muskeln unter der Haut arbeiteten mehr als notwendig gewesen wäre, um den Krug anzuheben und zum Mund zu führen. Er merkte wie Johns Blick immer wieder über seine Brust strich und unstet hier und da hängen blieb, ehe er sich wieder dem Spiel zuwandte. Tatsächlich veränderte Tancrèd an dem Spiel nur sehr wenig, er musste es auch gar nicht. John war unkonzentriert genug, dass Tancred selbst mit seiner so devensiven Spielweise gleichauf lag und kein Problem damit hatte, Johns Spiel immer wieder auszubremsen. Er war so unkonzentriert, dass Tancreds innerliches Grinsen immer breiter wurde und es wirklich anstrengend war, nichts davon nach draußen dringen zu lassen. Er setzte mehrere Steine von John fest, so dass der wirklich lange würfen musste, bis er sie wieder frei brachte, während er defensiv wie zuvor seine Steine möglichst sicher in das letzte Feld brachte, um sie auszuwürfeln. Dabei bediente er sich jedoch eines Tricks und sorgte dafür, immer einige wenige Steine so positioniert zu lassen, dass er John regelmäßig wieder festsetzen konnte. Das so zu gestalten, dass der Gegner es nicht merkte, war wirklich schwer, aber John war auch wirklich abgelenkt und nach dem 3. Bier inzwischen auch nicht mehr ganz nüchtern. Tancred gab sich alle Mühe, John zu gefallen, und setzte seinen Körper zu seinem Vorteil ein. Sicher, er hätte einfach auch besser spielen können und offen zeigen können, dass er selbstverständlich ein guter Backgammonspieler war - so wie beinahe jeder Seemann - doch er wollte es auf diese Weise tun, um John zu reizen. Seine Hand strich über seine Schulter als John wieder am Zug war und rollte sie etwas nach hinten, um sie zu lockern. Durch die Streckbewegung wurde sein trainierter Bauch sichtbar, weil er sich gerade auf den Stuhl setzte und diesesmal beobachtete Tancred aufmerksam Johns Gesicht.
 

John

Gott, dieser fiese Hund! John wusste nicht, worüber er sich mehr ärgerte: darüber, dass Tancred ihn auf so eine Art und Weise aus dem Konzept bringen wollte, oder darüber, dass er sich auch wirklich aus dem Konzept bringen ließ!

Die Gesten des anderen, die Bewegungen, die ein Spiel der Muskeln unter der Haut provozierten, ließen John immer wieder sein Bemühen, konzentriert zu spielen, scheitern. War er echt so ausgehungert, dass er sich hier so leicht ablenken ließ? Er musste dringend später sich noch irgendwo abreagieren - so schien es ihm. Offenbar war der Vormittag doch nicht ganz spurlos an ihm vorüber gegangen. Und der Kuss nach dem Besuch auf dem Jahrmarkt ja auch nicht unbedingt und überhaupt... Grrrrr

John ärgerte sich sichtlich über sich selbst und die Tatsache, dass einige seiner Steine sein Spiel blockierten, verbesserte seine Stimmung nicht. Im Gegenteil, denn der Ärger auch darüber, ließ ihn noch unkonzentrierter werden. Und mehr und mehr dämmerte ihm, dass Tancred ihn hier vorführte, wie einen kleinen Schuljungen.

Aber das war er doch eigentlich gar nicht!

John seufzte, schloss einen Moment die Augen. Es war noch nichts verloren. Aber wenn er weiter patzte, dann würde er das Spiel gleich aufgeben können. Er musste sich jetzt konzentrieren, ansonsten würde das hier sehr blamabel werden. Da immer mehr sich neben sie gesellten, die das Spiel interessiert und erstaunt beobachteten, ging es hier auch darum, nicht seinen Ruf zu verlieren.

Als er sie wieder öffnete, sah er den gut bemuskelten Bauch des anderen, als der sich streckte, um seine Schulter etwas zu lockern.

Warum verdammt noch mal, ließ er sich dadurch nur so sehr ablenken! John knirschte mit den Zähnen, als ihm ein Gedanke kam. Einen Moment blickte er Tancred an, dann erschien ein Lächeln auf seinen Lippen.

"Es ist wirklich ziemlich heiß und stickig hier drinnen", seufzte er und streckte sich, in der selben Bewegung sein eigenes Hemd sich über den Kopf ziehend. Langsam und bedächtig legte er es neben dem des anderen ab. "Ich hätte mir auch schon viel früher Luft verschaffen können", stellte er dann fast ein wenig naiv fest und streckte sich noch einmal, so als würde er sich jetzt schon viel besser fühlen. Dann blickte er auf das Spielfeld, wog die Würfel ab und warf einen 6er Pasch. Nun, das war natürlich auch Glück und Zufall, aber es half ihm in dieser Situation natürlich sehr, denn es befreite nicht nur seine gesamten Steine, sondern er konnte auch ein paar Fehler glattbügeln, die er zuvor gemacht hatte. Das Spiel war noch nicht entschieden und in John war der Kampfeswille erweckt, sich nicht einfach so unterbuttern zu lassen. Dass der andere weit besser spielen konnte, als er augenscheinlich erraten hatte, war ihm eh klar gewesen. Aber er war auch nicht schlecht. Von ein wenig Muskeln, einem schönen Körper und dem Gefühl, dringend Sex zu brauchen, sollte er sich nicht so ablenken lassen. Er schluckte dennoch, als er wieder zu Tancred sah, rief sich jedoch sogleich wieder zur Raison und begann nun seinerseits den anderen mit dem gleichen Spiel abzulenken.
 

Tancrèd

Er konnte die widerstreitenden Gefühle in John wirklich sehen. Einerseits die Gedanken an das, was sie beide schon miteinander getan hatten und vielleicht noch tun würden - andererseits die Wut über sich selbst, dass er eben diese Gedanken hatte und den Blick nicht von Tancreds Oberkörper abwenden konnte. Vielleicht, so überlegte der Kapitän, hatte John bisher auch noch niemand auf diese Weise herausgefordert. Oder nein, nicht vielleicht - sehr sicher sogar. John mit seiner Ruhe, Gelassenheit und seiner so unterschwelligen herausfordernden Art aus dem Konzept zu bringen war etwas, das John noch nicht erlebt hatte und genau deswegen wusste er auch nicht sofort, wie er reagieren sollte. Als John endlich mehr tat als nur Zuschauer seiner eignenen Unsicherheit zu sein, war das Spiel schon weit zu Gunsten Tancreds fortgeschritten.

Sie bekamen Zuschauer, vielleicht gerade WEIL auffiel, dass der sonst so sichere John Fehler machte und Tancred wusste, dass dies ein kritischer Moment war. Sie durften keinen Verdacht in irgendeine Richtung erwecken, deswegen hörte Tancred auch auf sich all zu offensichtlich zur Schau zu stellen.

Dann legte auch John sein Hemd ab. Erst zuckten Tancreds Mundwinkel nur, dann begann er zu grinsen und schließlich zu lachen. Sein Lachen wurde immer lauter und es war echt. So also hatte John vor, dem zu begegnen - keine schlechte Idee nachzuziehen, dass musste Tancred ihm lassen. "Ja, das hättet ihr.. so ist es sicher viel angenehmer.." gluckste er, noch immer belustigt, auch wenn die anderen um ihn herum es sicher nicht verstanden. Tancreds Blick glitt über Johns gepflegten Oberkörper, der für seine Größe sicher schmal war, aber dennoch schön definiert. Tancred fand, dass John manchmal wirklich aussah, als hätte man ihn gemalt, feine Linien ohne Narben und ohne zu viel Haar wie Tancred es nunmal hatte. Dennoch ließ er sich davon nicht vom Spiel ablenken und bot John jetzt schließlich doch den Gegner, den John sicher schon zu Beginn erwartet hatte. Aggressiver und mit gutem Überblick über Steine und Züge.

Sie waren bereits dabei die Steine auszuwürfeln. Um sie herum hatte sich die Menge vergrößert und kommentierte ihre Züge mit einigem Gemurmel, als plötzlich die Tür zum Hinterraum aufflog. Ein junger Mann, der Schmiere gestanden hatte, stolperte herein. "Die Stadtwache steht vor der Tür! Sie kommen gleich herein!!" Offenbar sammelten sie sich noch und waren bereits dabei, das Haus zu umstellen. Als hätte man Giftschlangen inmitten eines Hasenrudels geschmissen, stob die Menge um ihren Tisch in heilloser Flucht auseinander. Tancred stand auf, so heftig, dass es seinen Stuhl nach hinten kippte. In Manier eines erfahrenen Kämpfers durchsuchte er den Raum und erkannte den "offiziellen" Fluchtweg für diese Anlässe sehr schnell: Eine verborgene Luke hinter einem Vorhang. Die Männer drängten sich darum und behinderten sich gegenseitig, während schwere Stiefel bereits durch den Gastraum polterten. "NADIM!" Kadmins Stimme erklang von der anderen Seite des Raumes, an der Tür zum Gastraum. Tancreds Blick flog zurück zu John - beziehungsweise der leeren Stelle an der er gesessen hatte. John war weg, genauso das Geld, das sie gesetzt hatten und auch sein Hemd.

Tancred wusste, dass er keine Zeit hatte, ihn zu suchen und so stolperte er los - nicht zur Fluchttür, sondern zu Kadmin, der bereits durch die offene Tür hechtete. Zwischen Schankraum und Spielraum lag ein Gang, in dem die Treppe nach oben zu den Zimmern führte und genau die hechtete Kadmin hinauf. Als Tancred den ersten Absatz direkt hinter ihm erreichte, kamen die Wachen durch die Tür und zwei setzten ihnen direkt nach. Schwere Stiefel und klappernde Rüstung verriet, dass die Männer nicht so schnell sein würden wie Kadmin und Tancred. Der Araber hatte bereits Teile seiner Kleidung abgeworfen, die ihn behinderten, und stopfte im Rennen Geld in einen Beutel, den er um seinen Gürtel verknotete. Sie rannten den Gang entlang und Tancred, angeheitert vom Bier, stolperte über den oberen Treppenabsatz, schaffte es gerade noch sich abzurollen und kam strauchelnd wieder auf die Füße. Hinter ihm erreichte der erste Wachmann den Absatz und versuchte Tancred zu packen, doch er verfehlte ihn knapp und Tancred rannte weiter. Kadmin hatte eine Zimmertür aufgestoßen und schlug sie hinter Tancred zu, doch lange würde das ihre Verfolger nicht aufhalten. Aus dem Zimmer gab es kein entkommen, mit ausnahme eines Fensters - doch das führte in einen tiefen Innenhof und ein Sprung war absolut unmöglich. Dennoch schob Kadmin es auf und statt zu springen zog er sich hinauf.. aufs Dach! Tancred entwich ein unschöner französischer Fluch, als er sich beeilte seinem ersten Maat zu folgen.

Wie erwartet war das Dach in sehr schlechter Kondition und die Ziegel rutschten am steilen Dach hinab, als Kadmin sich aufrichtete um darüber zu balancieren. Tancred strauchelte und stolperte schließlich hinter ihm her, während Kadmin sich mit traumwandlerischer Sicherheit über den Dachfirst bewegte. Die Wache erreichte das Zimmer und erkannte den Fluchtweg ihrer beiden Verdächtigen, doch als der erste das Dach erreichte gaben die schon doppelt beanspruchten Ziegeln nach und der Mann rauschte mit einem erstickten Aufschrei in die Tiefe.

Dennoch blieb Tancred keine Zeit ihm nachzusehen. Sie erreichten das andere Ende des Daches und Kadmin ließ sich an der steilen Seite hinabgleiten, an der ein vorstehendes Fenster ihren Rutsch bremste. Dort verband ein schmaler Holzbalken das Wirtshaus mit dem Nachbarhaus, der dazu diente ein Schild zu halten, auf dem die Geschäfte der Gasse namentlich genannt waren. Kadmin rannte einfach so über den Balken in luftiger Höhe zum Dach auf der anderen Seite.. und Tancred, immer noch fluchend und Verwünschungen gegen den Araber aussprechend hinterher. Beinahe wäre er gestürzt, schaffte es aber dank der ausgestreckten Hand des Arabers gerade noch so sicher auf die andere Seite. Warum hatte er nur so viel Bier getrunken? Ihre Flucht über die Dächer setzte sich fort, bis sie schließlich einen alten Teil der Stadtmauer erreichten. Er war inzwischen voll vom Häusern eingeschlossen und wurde nicht mehr benutzt, zumindest nicht mehr von der Wache. Auf dem Umgang lagerten Leute ihr Hab und Gut und trockneten Wäsche. Geduckt im Schutz der Zinnen eilten die beiden Flüchtigen die Mauer entlang Richtung Palast - denn ihr eigenes Gasthaus lag genau an dieser Mauer.

Sie erreichten es nach weiteren schier endlosen Minuten und stiegen durch ein Dachfenster ein. Ihre Verfolger hatten offenbar aufgegeben und Tancred war sich ziemlich sicher, dass ihre Flucht niemand verfolgt hatte.. und doch schlug sein Herz bis zum Hals. In ihrem Zimmer angekommen trank er gierig Wasser aus einem Krug und trat ans Fenster, um hinab zu sehen, doch weit und breit zeigte sich keine Wache. "Das war knapp..", keuchte er, als er wieder zu Atem kam, während Kadmin das wohl alles etwas lockerer sah. "Achwas.. das war noch lange nicht knapp. Aber du bist etwas aus der Übung Kapitän...", tadelte er ihn und Tancred schnaubte verächtlich. Dennoch.. Kadmin hatte Recht. Im Grunde hatte diese Flucht das Adrenalin durch Tancreds Adern gepumpt, das er so vermisst hatte. Seine Gedanken kreisten jedoch nicht darum, sondern um John. Ob er auch heil davon gekommen war? Ein Klimpern schreckte ihn auf. Kadmin entleerte seine Schätze auf dem Tisch und Tancred blieb der Mund offen stehen. "Das hast du alles gewonnen?" Kadmin lachte und schüttelte den Kopf. "Nein, nicht alles. Einiges haben sie bei der Flucht liegen lassen.." Tancred verdrehte die Augen. Sogar dazu hatte der Araber noch Zeit gehabt.. manchmal fragte er sich wirklich, wer dieser Mann war, der sich aus jeder brenzligen Situation mit dieser Leichtigkeit zu winden verstand.
 

John

Endlich war er wieder im Spiel, war dem anderen ebenbürtig - bzw. dieser ihm. Er hatte den anderen mit seinen eigenen Waffen geschlagen udn nun entpuppte sich das Spiel als interessanter, als es angefangen hatte. Es freute ihn ein wenig, festzustellen, dass Tancred ein ähnlich guter Spieler war, wie er selbst. Das Ergebnis war noch nicht absehbar, im Moment stand es ziemlich ähnlich. John war mittlerweile mehr als klar, dass Tancred die ersten Spiele verloren hatte, weil er hatte verlieren wollen. Der Kapitän hatte ihn austesten wollen, sehen wollen, wie John spielte und er hatte ihn wohl auch in gewisser Weise in Sicherheit wiegen wollen. John wurde einmal mehr bewusst, dass Tancred ihn erforschte und klug genug war, ihn tatsächlich zu durchschauen. Warum er sich diese Mühe gab, war ihm immer noch nicht ganz klar. Aber er tat es, durchschaute ihn und brachte John aus dem Konzept. Sollte er nicht genervt sein? Irgendwie war er es nicht. Im Moment war er eigentlich einfach nur ehrlich gespannt, wie das Spiel enden würde.

Gerade hatte er die Hände ausgestreckt, um die Würfel zu ergreifen, als der Tumult um sie herum ausbrach. John handelte prompt, ohne weiter darüber nachdenken zu müssen. Er hatte diese SItuation schon recht oft miterlebt, kannte das Etablisment und reagierte daher, ohne weiter nachzudenken. Er klappt das Spielbrett zu, in dessen Hohlraum er zuvor das Geld geschmissen hatte, griff zu den beiden Hemden, die einen Haufen bildeten, und rannte los zu jenem Weg, den nicht alle kannten. Schnell war er im Keller und verschwand mit einer Hand voll anderer in einem Gang, der hinter einem Vorratsschrank begann und ihn ein gutes Stück weg vom Ort des Geschehens brachte. Dort angekommen, lief er, so schnell ihn seine Füße trugen durch die Gassen möglichst weit weg. Während er lief, zog er sich sein Hemd wieder an. Dass es ihm plötzlich viel zu groß war, merkte er gar nicht, als er weiterlief.

Hätte er Tancred mitnehmen sollen? Er hatte in dem Moment kein bisschen daran gedacht. Etwas in ihm wurde unruhig und er ärgerte sich ein wenig über sich selbst. Aber warum? Tancred würde sicher aus der Situation rauskommen. Das war ein schlauer Fuchs, der mit seinem Freund sicher geflohen sein würde. Was machte er sich eigentlich für Gedanken? Was wenn er erwischt worden war? Was wenn die Stadtwache ihn dort erwischte und erkannte? Was hätte das vor Henry für Auswirkungen? Ob jener hinsichtlich seines Namens Vorteile haben würde oder Nachteile? Aber es war Blödsinn darüber nachzudenken! War es seine Schuld, dass Tancred da aufgetaucht war? Er hatte ihn ja da nicht mit hingenommen, sondern war ihm zufällig dort begegnet. Was war das überhaupt für ein seltsamer Zufall gewesen? Nach ihrem 'Gespräch' im Labor war es ihm fast schon unheilich erschienen, dass er Tancred gleich noch einmal begegnete. Er hatte doch eigentlich gehofft, auf andere Gedanken zu kommen. Und dann dieser Strip! Was bezweckte Tancred eigentlich damit, ihm immer wieder kleine Happen zuzuwerfen, ihn dann aber mit ungestilltem Hunger stehen zu lassen? Wollte er ihn so dazu bringen, sich doch noch einmal auf ihn einzulassen? John wurde erst in diesem Moment richtig bewusst, dass er im Labor mehr als bereit dazu gewesen war. Dieser elendige Hund hatte es geschafft, seinen Körper in Besitz zu nehmen: Er hatte Sex haben wollen dort im Labor - sein Geist war willig gewesen, sich zu lösen, aber sein Körper in keinster Weise. Das hatte er auch eben deutlich bei diesem elendigen Spiel gemerkt. Sein Körper und sein Verstand waren meilenweit voneinander entfernt.

Aber hatten sie nicht gesagt, sie wollten einfach ein wenig Zeit miteinander verbringen und sich besser kennenlernen? Und jetzt?

Auch gerade beim Backgamon hatte Tancred alles dafür getan, dass John fast seinen Kopf verloren hätte. Er hatte ihm ja gedroht, ihn nicht mehr los zu werden, aber John hätte nie vermutet, dass sich dieser elende Franzose in seinen Kopf hineinbrannte, wie ein Lord, der seinen Viehbestand markierte, ohne aber je wirklich Besitzansprüche gestellt zu haben. Nun hatte er nur noch Gedanken an diesen Mann und auf etwas anderes konnte er sich kaum noch konzentrieren! Ob jener heil aus dem Laden gekommen war?

John merkte, dass er noch immer rannte und wurde nun langsamer. Wo war er eigentlich hingerannt? Er hob den Blick und seine Augenbrauen zogen sich zweifelnd zusammen, als er merkte, wohin ihn seine Beine getragen hatten. Wie er es festgestellt hatte - Tancred hatte seinen Körper in Bestz genommen, ohne dass er es wirklich gemerkt hatte: Er stand an der Mauer zum Palast, hinter jenem Gasthaus, in dem er einmal eine Nacht in einem warmen, weichen Bett verbracht hatte, mit einem Mann, der ihn mehr und mehr beschäftigte - mehr, als ihm lieb war. John blickte hinauf zu jenem Zimmer, das wohl das zu Tancreds Zimmer sein musste. Wenn er schon mal hier war, könnte er auch sehen, ob jener unversehrt hatte fliehen können.

Es brannte Licht und in diesem Moment trat Tancred tatsächlich ans Fenster und schien sehen zu wollen, ob etwas Ungewöhnliches draußen vor sich ging. Etwas anderes im Raum schien die Aufmerksamkeit wieder von der Straße weg zu ziehen. John atmete erleichtert aus. Die beiden Männer schienen es geschafft zu haben. Dann konnte er ja jetzt auch in Ruhe nach Hause gehen. Das Hemd und das Geld des anderen würde er ihm ein anderes Mal geben. Jetzt sagte ihm sein Kopf mehr als deutlich, dass es besser war, ihm erstmal nicht zu nah zu kommen. Und so machte er sich auf den Weg nach Hause.
 

Tancrèd

Je mehr der Seemann sich beruhigte, desto mehr fröstelte er. Als er in einer so typischen Bewegung die Ärmel seines Hemdes nach unten streifen wollte, berührten seine Finger nur nackte Haut. Sein Blick rutschte an sich hinab und er starrte auf seine noch immer nackte Brust. Das heftige Lachen, das kurz darauf aus seiner Kehle brach, ließ Kadmin zusammenzucken, der noch dabei war, sein Geld zu zählen. "Verdammt, dieser Kerl hat mein Hemd mitgehen lassen!", brachte er zwischen seinen Lachanfällen hervor und deutete auf seine nackte Brust.

Von einer Truhe im Eck griff er sich ein anderes Hemd, das er am Tag getragen hatte, und zog es über, um nicht mehr so zu frieren. Sein Blick glitt hinaus aus dem kleinen Fenster über der Truhe, das auf die ruhige Straße hinaus führte. Unten in der Dunkelheit bewegte sich etwas oder jemand.. oder?

"Hey Nadim, schau dir das mal an!" Der Kapitän drehte den Kopf zu Kadmin, der stolz eine mit dunklen Rubinen besetzte Halskette hochhielt. Entweder war das gute Stück eine hervorragende Fälschung, oder sein erster Maat hatte einen Edelmann bestohlen. "Das hat doch sicher niemand beim Spielen gesetzt... du Halunke.." Kadmins breites Grinsen wirkte schon beinahe entschuldigend. "Ich bestehle immerhin nur die Ungläubigen, Kapitän."

"Ja, genauso wie du dich von den christlichen Huren bekehren lassen willst, ist es nicht so? Lass das bloß verschwinden. Eine so wertvolle Kette kommt nicht ungesehen an der Stadtwache vorbei. Man wird dir diesen DIebstahl schon an der Nasenspitze ansehen und ich werde Beifall klatschen, wenn sie dich aufknöpfen. Habe ich euch nichts als Stehlen beigebracht?" Sein Blick wanderte wieder aus dem Fenster, doch was auch immer er sich eingebildet hatte zu sehen, es war nicht mehr da. Langsam schlenderte er zu dem Araber an den Tisch und griff sich die Goldkette selbst. "Hmhmhm... beinahe so, als hätte man sie der Königin selbst von der Brust gerissen.."

"Nun, ich bin sicher nach den Steinchen wird niemand suchen.." erklärte der Arabr, der in seinem Gepäck bereits eine kleine feine Zange hervorgezaubert hatte. "Eine Schande ist das, so ein schönes Stück auseinander zu nehmen..", kommentierte Tancred, doch Kadmin ließ sich nicht beirren. "Das ist deine Ration guten abgehangenen Specks und feinsten französischen Weines. Wenn du darauf verzichten willst..." Tancred gab ein Grunzen von sich und wandte sich ab, als Kadmin die Zange sorgfältig an der Fassung der Steine ansetzte, ging stattdessen zum Bett hinüber und ließ sich hineinfallen. Beinahe bildete er sich ein, John in den Laken noch riechen zu können - doch das war natürlich absurd! Immerhin war das Bett inzwischen wer wusste schon wie oft frisch bezogen worden. Aber irgendwie hatte er seit dem Morgen ständig das Gefühl, seinen Geruch in der Nase zu haben und seine Haut unter den Fingern zu spüren. Als er die Augen schloss fühlte er beinahe das leichte Beben, das durch Johns Körper gegangen war, als er ihn sachte an der Narbe berührt hatte. Diesen kleinen kurzen Moment offener Hingabe, den er gefühlt hatte, weil John sehr plötzlich realisiert hatte, dass Tancred sich an diese so empfindlichen Stellen seines Körpers erinnerte. Es war wie dieser Moment gewesen, den sie auf dem Jahrmarkt geteilt hatten, als John hatte einsehen müssen, dass Tancred nichts war, das sich mit Worten vertreiben ließ. Oder der Kuss, als er ihn zu Hause abgesetzt hatte.. Es waren diese Momente, diese kleinen Momente, für die er im Grunde lebte. Er wusste, dass er mehr nicht erwarten konnte. Andere Seeleute behalfen sich damit, Nacht für Nacht in die Arme einer Hure zu flüchten, die für Geld so tat als sei sie die Frau die noch in 20 Jahren auf ihren Seemann warten würde - doch für ihn war das Gefühl des Begehrens, das John in ihm ganz ohne Bezahlung auslöste, viel mehr wert und die Erinnerung daran etwas, das ihn länger wärmen würde, als der bedeutungslose Sex gegen Bezahlung. Tancred entledigte sich seiner Hose und zog die Decke ein wenig weiter hinauf. Der Araber war zwar in seine Arbeit am Tisch vertieft, doch Tancred wollte nicht, dass Kadmin seine leichte Beule in der Hose sah.

Oh John...! Ohne dich wäre London dieser Tage schrecklich langweilig für mich...

London 3 - Die Briefe

Dominico

Durch Kierans Fenster zog kühle Nachtluft herein in das dunkle, etwas stickige Zimmer, in dem es immer nach Kräutern roch. Der Luftzug strich über Kierans schweißnassen Körper und Nico sah im Mondlicht wie sich eine leichte Gänsehaut über Kierans Flanke ausbreitete. Der Jüngere rückte näher an ihn heran und Nico zog die Decke höher, so dass Kieran nicht mehr frieren musste. Er selbst genoss die frische Brise und dachte irgendwie gar nicht daran zu schlafen, auch wenn er unendlich erschöpft war, geistig wie körperlich.

Trotzdem war er so voller Tatendrang, dass sein Körper trotz einiger Verausgabung nicht einsah, ihm den ersehnten Schlaf zu bringen. Ob es daran lag, dass sich sein Weg jetzt so deutlich vor ihm abzeichnete? Er musste ihn einfach nur gehen und mit Kieran und seiner Familie an seiner Seite würde er jedes Hindernis aus dem Weg räumen, das sich ihm noch entgegenstellen mochte. Sie hatten sich zusammengerauft, sie alle. Rodrego und letztlich auch sein Bruder, Charles Brandon und sogar der französische Pirat. Sie alle zogen jetzt an einem Strang und vereinten damit einfach viel mehr Macht und Einfluss auf sich als Cromwell das je gekonnt hätte. Und viel wichtiger als das: er hatte sich endlich ganz zu Kieran bekannt.

Den endgültigen Entschluss zu fassen, seiner Familie den Rücken zu kehren, war nicht leicht gewesen und Nico hatte im Vorfeld sehr viel darüber nachgedacht. Als er da oben mit Kieran auf dem Dach gesessen und gefühlt und gesehen hatte, wie Kierans Angst ihn zu verlieren erneut zwischen ihnen hochgekocht war, da hatte es gar keinen anderen Weg gegeben. Jetzt war er einfach nur Feuer und Flamme dafür, diesen Plan umzusetzen.

Der Gedanke an ein Leben mit Kieran, dessen Geruch so wie jetzt in der Nase und das Gefühl seines schlanken Körpers, der sich an ihn schmiegte, nachdem sie ihrer Lust freien Lauf gelassen hatten... das immer zu haben, jeden Tag - ja, das wollte er. Er wusste, wie privilegiert er war, dass seine eigene Frau ihm dabei helfen würde, genau dieses Leben führen zu können. Er wusste, wie unglaublich glücklich er sich schätzen konnte, einen Bruder zu haben, der alles daran setzen würde, dieses Ziel mit ihm zu erreichen. Nach all den Rückschlägen und Missverständnissen, die er sich selbst und andere ihm in den Weg geworfen hatten, erschien es ihm beinahe gerecht, dass sich nun diese Chance und dieser Weg vor ihm auftat. Hatten Kieran und er dieses Glück nicht einfach tatsächlich verdient? Vielleicht - so glaubte er - war es der Wille Gottes. Nico war katholisch erzogen worden und er hatte Respekt vor der Macht, die man Gott zusprach. Doch wenn er sich ansah, was ihm in den letzten Wochen widerfahren war, dann musste man jetzt doch wirklich von göttlicher Fügung sprechen. Göttliche Fügung, die seinen Bruder nicht getötet hatte und ihm Kieran wieder gegeben hatte, trotz seines so schrecklichen Fehlverhaltens.

Sanft drückte er seine Lippen auf Kierans Haupt und entwand sich seiner Umarmung. "Lass mich kurz aufstehen...", flüsterte er ihm zu, "Ich habe einem dringenden Bedürfnis nachzugeben..."

Eigentlich hatte er sich wirklich nicht erheben wollen, doch seine Blase meldete sich schon eine Weile hartnäckig. Da Mr. Forbes in gewisser Weise ein Mediziner war und trotz seiner chaotisch eingerichteten Apotheke und des Labors noch immer ein hoher Hygienestandart in diesem Haus vorherrschte, musste Nico für dieses Bedürfnis das Zimmer verlassen. Es gab eine Latrine auf diesem Stockwerk, die dem Genüge tun würde, auch wenn er letztlich hätte vom Dach pinkeln können. Aber Nico war noch immer irgendwie gut erzogen und so schlich er sich leise aus dem Zimmer um die Latrine aufzusuchen, nur um im Halbdunkel mit einer anderen Gestalt zusammenzustoßen.

Im Gegensatz zu ihm beherrschte John es, in diesem Haus die knarzenden Holztreppen lautlos zu erklimmen und so hatte Nico ihn nicht kommen hören. Anscheinend war der Aufstieg anstrengend gewesen, denn John keuchte irgendwie so, als habe er gerade Sport getrieben. Er war dabei gewesen, seine Zimmertüre zu öffnen, als Nico mit ihm zusammengeprallt war und stieß sie nun auf. Das sorgte für etwas mehr Licht im Gang und Nico erkannte, wie auch sein Gegenüber, in wen er da gerade gerannt war. War John überrascht ihn hier zu sehen? Noch dazu... nackt. Denn Nico hatte im Glauben, mit Kieran hier allein zu sein, auf seine Unterkleider verzichtet. Mit einer Hand bedeckte er seine Blöße. Im ersten Moment war ihm diese Sache gerade sehr peinlich gewesen, doch mit etwas mehr Licht… John sah irgendwie etwas… nun, durch den Wind aus. Noch bevor John zu einem gehässigen Kommentar ansetzen konnte, zuckte Nicos Mundwinkel nach oben. "Gibt es das Hemd auch in deiner Größe? Oder ist das jetzt die neue Mode in London?" Damit schlüpfte er an John vorbei und schaffte es vor einer Antwort in die Latrine, deren Tür er hinter sich schloss, um sich mit einem zufriedenen Seufzen endlich erleichtern zu können.
 

Alessandro

Eigentlich hatte Alessio alles andere als wieder ins Bett gewollt, nachdem er sich mit Charles, Nico und Tancrèd besprochen hatte. Als John ihm allerdings in sein Zimmer zurückgeholfen hatte, war seine frische Robe bereits durchgeschwitzt und sein ganzer Körper schmerzte, als sei er wochenlang nur im Sattel gesessen. Er war so unendlich erschöpft und kaum dass er das Essen heruntergeschlungen hatte, war er beinahe sofort in einen tiefen Schlaf gefallen. Da es erst Nachmittag gewesen war und Alessio nicht ganz so viel Schlaf nachholen konnte, war er mitten in der Nacht wieder aufgewacht. Ein Diener, den er offenbar geweckt hatte, als er die Klingel betätigte, half ihm verschlafen aus dem Bett und Alessio entließ ihn schnell wieder. Er wollte niemandem zur Last fallen, weil er das die letzten Tage schon zur Genüge getan hatte. Die Loyalität ihrer Angestellten war aber immer noch so groß oder gerade jetzt umso größer, dass man dem erschöpften Kardinal nur kurze Zeit später noch einen sehr kräftigenden Eintopf brachte, der Alessandros Lebensgeister endgültig erwachen ließ. Weil er nachts schlecht etwas anderes tun konnte und er erfuhr, dass Nico offenbar außer Haus war, machte er sich auf den Weg in sein Arbeitszimmer. Das Canapé sah aus, als habe jemand darauf geschlafen. Eine Decke lag dort, und offenbar war noch niemand hier gewesen, um wieder aufzuräumen. Zu einem anderen Zeitpunkt hätte sich Alessandro über diese offensichtliche Unordnung geärgert, doch jetzt wirkte dieses Arbeitszimmer wenigstens nicht ganz so kalt und steril.

Langsam ging er hinüber zu seinem Schreibtischstuhl, eingehüllt in eine warme dicke Wollrobe. Sein Kammerdiener hatte das Feuer im Kamin noch entzündet und der Raum wurde angenehm warm, als der Kardinal sich langsam auf den Stuhl sinken ließ. Im flackernden Licht des Feuers und der kleinen Öllampe, die auf dem Schreibtisch stand, bemerkte er einige Briefe, die scheinbar achtlos auf seinen Schreibtisch geworfen worden, und seinen Siegelring, der neben der Schatulle lag. Stirnrunzelnd zog er das Pergament näher und drehte es so, dass er es lesen konnte.

Es war ein Erlass, das sah er sofort. Das offizielle Dokument war aufwendig angefertigt worden. Es war eine Anklageschrift wegen Hexerei, wie Alessio in seinem Leben bereits einige in der Hand gehalten hatte. Vor allem als er noch in Rom gewesen war, waren solche Vorwürfe an irgendwelche verfeindeten Familien beinahe noch an der Tagesordnung gewesen. Doch in England? Es hatte sehr, sehr wenige dieser Anklagen gegeben, die durch seine Finger gewandert waren und in der letzten Zeit absolut gar keine. Er las weiter, irritiert woher das Dokument wohl kam und fühlte wie eisige Klauen erneut nach seinem Herzen griffen als er sah, dass dieses Dokument auf Rodregos Mutter ausgestellt worden war. Und darunter... seine Unterschrift? Alessio riss das Dokument näher an die Lampe und erkannte die Fälschung schon in dem Moment, als er seinen Vornamen las. Das war niemals seine Unterschrift und auch nicht sein Siegel. Alessio presste sich eine Hand auf den Mund, weil er das Gefühl hatte, der Eintopf wolle sich wieder melden, und zog die anderen Dokumente näher. Es waren Briefe. Briefe in einer Handschrift, die er nicht kannte, auf billigem Papier und ohne jeden Hinweis auf den Verfasser, doch diese Briefe waren allesamt an Rodrego adressiert. Alessio brauchte nicht lange, um sie dem Datum nach zu sortieren und was sich da vor seinen Augen ausbreitete war ein Betrug, der ihn so erschütterte, dass er eine Weile nichts anderes tat, als einfach nur dazusitzen und auf die Holzplatte des Tisches zu starren. Erst das Knacken eines Holzscheites aus dem Kamin brachte ihn wieder in Bewegung. Er hatte sich langsam erhoben und legte gerade Holz nach, ehe er zu dem Canapé ging und sich darauf sinken ließ. Mit seinem jetzigen Wissensstand war es nicht schwer zu rekonstruieren, wie all das hatte kommen können. Rodrego zu wählen und ihn zu manipulieren - denn Alessandro nahm an, dass Rod manipuliert worden war - das war ein ziemlich kluger Schachzug gewesen. Rod war im Gefüge der Macht nicht mal ein kleines Rädchen. Niemals hätte Alessandro gedacht, dass man IHN aushorchen würde. Er hatte sich die Frage der Loyalität bei bei einigen Leuten, die ihm oder Nico nahestanden gestellt: bei Kieran, dem er noch nicht vollends vertraut hatte, Verbündeten am Hof oder gar Amadeo selbst, auch wenn er sich für diesen Verdacht beinahe schämte. Aber Rodrego? Sie waren Freunde, aber eigentlich hatte Rodrego mit ihren Angelegenheiten am wenigsten von allen anderen zu tun. Gerade deswegen war er wohl auch die perfekte Wahl gewesen... Wie hatte er sich nur von Liebe und Verlangen so blenden lassen können, dass ihm das entgangen war?

Wieso hatte er es sich überhaupt erlaubt? Er hätte doch schon von Anfang an riechen müssen, dass mit Rodrego etwas ganz und gar nicht stimmte, als der sich so plötzlich auf ihn eingelassen hatte, nachdem er ihn sonst so ignoriert hatte... nachdem er sonst keine Notiz von ihm genommen hatte. Wieso hatte er überhaupt mehr erwartet? Er war einfach nur dumm und naiv gewesen... und das würde er jetzt definitiv nicht mehr sein.
 

Dominico

Als Nico am nächsten Morgen eng umschlungen mit Kieran aufgewacht war, hatte er sich wirklich nicht lösen und noch weniger aufstehen wollen. Tatsächlich siegte jedoch bei ihnen beiden das absolute Pflichtbewusstsein und die Dringlichkeit der Dinge, die sie in den nächsten beiden Tagen zu erledigen hatten. Trotzdem zog sich ihr Abschied hin, weil Nico immer wieder anfing, Kieran mit Küssen zu traktieren. Erst als sie unten standen und damit quasi publikumsgefährdet waren, ließ Nico von Kieran ab. Gemeinsam gingen sie zu dem Stall, in dem Nico sein Pferd untergestellt hatte, und verabschiedeten sich voneinander. Sie würden sich die nächsten beiden Tage nicht sehen, oder wenn, dann nur, wenn Kieran auf dem Anwesen zum Arbeiten erschien. Da Nico wusste, dass Cromwell sie würde beobachten lassen, wenn er erst einmal herausfand, dass Alessandro noch lebte, war es sicherer für sie alle, wenn man ihn und Kieran hier nicht zusammen sah. Wenn jedoch am Turnier alles so ging wie gewünscht, dann würden sie sich in zwei Tagen am Abend wieder sehen, ein rauschendes Fest feiern und gemeinsam darauf anstoßen, dass die Zukunft hoffentlich besser für sie werden würde.

London 3 - Turniervorbereitungen

Dominico

Nicos nächste 48 Stunden waren definitiv als arbeitsreich zu bezeichnen. Kaum zurück auf ihrem Anwesen organisierte er mit einigen Bediensteten die Rüstung, die er auf dem Turnier tragen würde. Die schwere Rüstung musste dringend noch einmal behandelt und letzte Einstellungen vorgenommen werden, so dass sie ihn in zwei Tagen auch optimal schützen würde. Dann legte er ein letztes Mal Wert darauf, die Pferde in voller Montur noch einmal zu trainieren, doch dank seines ausgiebigen Trainings bisher war das kein Problem. Er ließ sie ein letztes Mal frisch beschlagen, auch wenn Rodrego nach wie vor wie vom Erdboden verschluckt zu sein schien. Auch seine Diener konnten ihm nicht sagen, wo der Schmied abgeblieben war.

Bei ihrem letzten Gespräch vor dem Tag des Turniers tauchte Rod dann so unvermittelt wieder auf, wie er anscheinend verschwunden war. Der Schmied sah zusammengesunken und elend aus, war aber offenbar nicht körperlich mit irgendjemandem aneinandergeraten. Noch einmal waren Tancrèd, er, Charles und "Sandro" alle Feinheiten ihres Plans durchgegangen, hatten sich auch mit Giulia kurzgeschlossen. Nicos Frau würde eine Schlüsselrolle in ihrem Plan innehaben, von deren Gelingen einiges abhängen würde. Doch die Italienerin war sich ziemlich sicher, dass sie schaffen würde, was die Männer von ihr verlangten. Der französische Kapitän war noch immer an London gebunden, weil Cromwell sich weigerte, einen Krieg zu unterstützen. So war es ihr Ziel, Tancrèd ein wenig mit dem König über Prisengelder plaudern zu lassen, während Cromwell am besten noch daneben stand.

Da Charles und Nico beide dringend ausgeruht sein mussten, erloschen die Lichter in Nicos Zimmer am Vorabend des Turniers sehr früh. Alessio hingegen arbeitete noch eine ganze Weile an seiner Korrespondenz und an den Vorbereitungen für den finalen Schlag, den sie Cromwell zu versetzen gedachten. Einerseits war Nico froh zu sehen, dass sein Bruder wieder zu den "Lebenden" zurückgefunden hatte... andererseits war er sich nicht sicher, ob die Besessenheit, mit der Alessandro an der Vernichtung dieses Mannes arbeitete, noch als gesund zu bezeichnen war. Lediglich das nahende Turnier war es, das ihn davon abhielt, seinem Bruder in die Parade zu fahren, auch weil er wusste, dass Alessio nur in seiner derzeitigen emotionslosen Verfassung zu dem in der Lage sein würde, was notwendig war.
 

Als die Sonne am Turniermorgen aufging, war London bereits in heller Aufregung. Vom Anwesen Sforza genauso wie vom Anwesen Brandon zog eine beachtliche Schlange von Menschen gen London. Viele der Angestellten von Nico und Alessio wollten sich das Turnier nicht entgehen lassen, außerdem hatte Giulia „Freundinnen“ eingeladen. Mehrere Kutschen bildeten daher den Abschluss der kleinen Karawane, die von Amadeo angeführt wurde. Er hatte Nicos Turnierpferde an langen Führstricken und direkt hinter ihm ritten die Brüder Sforza. Nico in eleganter aber schlichter Kleidung, das lange Haar zu einem strengen Zopf nach hinten gezurrt. Neben ihm Alessio.. und dieses Mal ganz und gar nicht zurückhaltend, sondern im strahlend leuchtenden Rot der römischen Kardinäle, inklusive seines Galeros. Sein Blick war starr nach vorne gerichtet als sie zum Turnierplatz ritten, der direkt vor Londons Stadttoren lag. Hier war einfach mehr Platz und der Jahrmarkt, der sich immer um so ein Turnier bildete, bot ausreichend Raum, um hier Besucher anzulocken. Sicher würde Kierans Familie auch hier sein. Der Gedanke an die Carneys ließ Nico kurz schmerzlich das Gesicht verziehen. Die Sache mit Gregor hatte Nico noch immer nicht wirklich überwinden können.

Während die Herren nun abwendeten, um zu den provisorischen Stallungen zu reiten, ließen sich die Damen zu den Zuschauerrängen kutschieren, wo bereits Anne und ihr kleiner Hofstaat wartete. Für die Damen war so ein Turnier immer ein wirkliches Schaulaufen und Giulia hatte mit ihrer italienischen Umstandsmode nun wirklich nicht gegeizt.

Im Stall traf das Lager Sforza auf das Lager Brandon. Die bösen Blicke, die sich die „Kontrahenten“ zuwarfen, waren das perfekte Theaterstück wie Nico fand. Um sich scheinbar noch mehr zu provozieren, sprachen die Brüder und Amadeo nur Italienisch miteinander und Cromwell, den Nico nicht weit entfernt stehen sah, schien sich ein Grinsen nicht verkneifen zu können. Na warte, du widerlicher Bastard...
 

John

John konzentrierte sich auf das Pulver, das er abfüllte, während Kieran im Laden herumwuselte und seine Unruhe in keinster Weise unterdrücken konnte. Sein schier sekündlicher Blick auf jenen Ring, den er seit zwei Tagen trug, nervte John ungemein, aber dazu würde er nichts sagen. Er selbst war die Ruhe in Person, konzentriert auf das, was er tat, und war bedacht, keinen Fehler zu begehen. Schließlich wollte er niemanden umbringen, sondern nur ein wenig außer Gefecht setzen. Und irgendwie fand er den Gedanken auch durchaus amüsant, mit Hilfe seines Wissens ein paar Leute zu einem passenden Zeitpunkt unter Kontrolle zu haben, um einem riesigen Arschloch den Rest zu geben.

Die beiden vergangenen Tage waren anstrengend gewesen. Die Nacht, in der er mit einem Backgammonbrett, einem fremden Hemd und ziemlich viel Geld nach Hause gekommen war, war schlaflos an ihm vorbeigeglitten. Zu viele Bilder gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf, zu viele Dinge beschäftigten ihn und irritierten seinen sonst so klaren Verstand. Da war das Bild eines nackten Dominico Sforza in seinem Flur vor der Latrine noch das Bild, das er am leichtesten verkraften konnte. Wäre er nicht so verdammt durch den Wind gewesen, hätte er sicher etwas sehr ansprechendes sagen können, so aber hatte er sich auch noch damit aufziehen lassen müssen, dass er in der Eile glatt das falsche Hemd angezogen hatte. Es war dunkel und ihm kalt gewesen. Er hatte nicht gewusst, ob die Stadtwache doch noch hinter ihm her gewesen war und er hatte sich daher eilen müssen. Da passierte es schon mal, dass man das falsche Hemd anzog, wenn man zwei in der Hand hatte. Was war auch dabei? Aber Nicos Kommentar hatte ihm in dieser Situation irgendwie den Rest gegeben, hatte ihm mehr zugesetzt, als diesem wahrscheinlich selbst klar gewesen war. Er war in seinem Zimmer verschwunden und hatte dort an sich herabgeschaut. Er wusste nicht so recht, was er tun sollte, aber letztlich hatte er irgendwie lachen müssen. Nun hatte er dem Kapitän also doch sein letztes Hemd gestohlen… Kopfschüttelnd hatte er sich im Bad ein wenig gewaschen, sich dann seiner Hose entledigt und war so ins Bett gegangen, wie er ansonsten angezogen war – mit einem zu großen Hemd.

Das war es, was ihn in der Nacht und den darauffolgenden Tagen eigentlich beschäftigte: was hatte dieser elendige Seemann mit ihm gemacht, dass er tatsächlich bereit gewesen war, gegen seine Prinzipien zu handeln, obwohl sein Kopf doch so verdammt klar wusste, dass es Schwachsinn war, sich auf mehr einzulassen. Die Art und Weise, wie Tancred mit ihm umging, war so ganz anders, als alles, was er bisher erlebt hatte. Gott, dieser verfluchte… oder eher: Warum war er so ein verdammter Idiot!

Zum Glück lenkte ihn Kieran fleißig ab mit dem, was er in dieser Nacht „erlebt“ hatte. Es war gut, dass Kieran so sehr mit sich beschäftigt war, dass er Johns Verwirrungen nicht wirklich bemerkte. John freute sich natürlich für Kieran, dass Dominico eine Art „Bündnis“ eingegangen war. Aber wenn Kieran ihn nach seiner Meinung gefragt hätte, so hätte er ihm vermutlich gesagt, dass das alles Humbug war. Wie die Vergangenheit gezeigt hatte, sprang Dominico mit Kieran um, wie es ihm passte und John glaubte nicht wirklich, dass daran ein Ring etwas ändern würde. Von Ritualen, bei denen man sich etwas schwor, was man nie wirklich hundertprozentig halten konnte, hielt John so absolut gar nichts. Aber das sagte er Kieran natürlich nicht, sondern freute sich mit ihm. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, hin und wieder zu sticheln und Kieran zu necken, so wie er es immer tat. Schließlich sollte der Kleine auch nicht denken, dass John irgendwie anders war als sonst…
 

Kieran

Es war gut, dass Johns Vater noch in Portsmouth war und er so jede Menge zu tun hatte. Die Patienten, den Laden, die Vorbereitungen für seine Anwesenheit beim Turnier, wo er mit John und zwei Krankenschwestern für die medizinische Versorgung zuständig war. Dass er nervös war, das konnte er nicht abstreiten. Schließlich war ja im Grunde genommen ein Attentat auf Dominico geplant! Eines, das zwar bekannt war, aber wer sagte Kieran, dass nicht noch mehr geplant war, was sonst niemand wusste? Was, wenn Cromwell nichts dem Zufall oder eben Rodrego überlassen wollte, was den Tod von Nico und Charles betraf? Was, wenn er einen Plan B hatte, den noch niemand absehen konnte?

„Nicht in Düsternis versinken, Kleiner!“, hörte er John, der ihn in den letzten beiden Tagen immer wieder auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt hatte und ihn davor bewahrt hatte, sich zu viel Sorgen zu machen. Aber er wollte nun mal nicht wieder verlieren, was er soeben gewonnen hatte. Er blickte auf seinen Ring, der ihm mehr bedeutete, als alles andere, was er besaß. „Er ist immer noch dran und wird nicht verloren gehen. Deine Knöchel sind sowieso zu breit, als dass er einfach so verschwinden könnte“, hörte er Johns nun doch leicht genervte Stimme und er sah seinen Freund an. „Ich bin schlimm, ich weiß. Aber ich bin einfach nur froh, wenn der ganze Spuk zu Ende ist.“

Ja, das war er tatsächlich, aber ihm war auch klar, dass das „Danach“ vielleicht neue unangenehme Überraschungen bereithalten könnte. Was, wenn der Diplomat Cromwell nicht mehr beim König war? Wer würde dem König dann noch davon abraten, sich mit den Spaniern anzulegen? Und wer würde dann das Heer leiten? Nico und Charles! Wer sonst? Aber darüber sollte er jetzt nicht nachdenken. Jetzt ging es erst einmal darum, Cromwell aus dem Weg zu räumen, bevor der die Sforza-Brüder wirklich töten würde.
 

Als sie am Festplatz vor den Toren Londons ankamen, ritten in einem langen Festzug bereits die Kontrahenten des Turniers ein. Dadurch, dass es ein königliches Turnier war, gab es gar nicht viele Gegner. Nur die engsten Vertrauten des Königs und die besten Ritter des Landes durften hier antreten. Das waren in diesem Fall neben Dominico Sforza und Charles Brandon nur zwei weitere Männer, die im Tjost antreten würden. Beim Volke, das versessen auf Mord und Todschlag war, galt natürlich das Duell zwischen Charles und Nico als das attraktivste. Schließlich glaubten alle, dass sie im Streit lägen und sich bis aufs Blut bekämpfen würden.

„Wir sehen uns dann später!“ Mit diesen Worten trennten sich Johns und sein Weg. Wenn seine Familie schon mal dann da war, wenn er selbst es auch war, so war es ihm mehr als wichtig, sie auch zu sehen. Letztlich hatte er viel zu wenig Zeit für sie, aber er würde sie zumindest begrüßen und sich ein wenig Kraft von seiner Mutter in einer kräftigen und guttuenden Umarmung holen. Es tat gut zu sehen, dass es allen gut ging – auch seiner Schwester, die sogar wesentlich besser aussah, als er es in Erinnerung hatte. Das Verschwinden von Gregor hatte ihr eine große Last genommen. Aber das war kein Entschuldigung dafür, was Kieran getan hatte. In Nächten, in denen es ihm nicht gut gegangen war, tauchte das Gesicht seines Schwagers regelmäßig auf. Er verspottete ihn und nannte ihn Mörder und jedes Mal wachte Kieran wie aus einem nie enden wollenden Alptraum auf.

„Ich muss dann noch arbeiten“, sagte er und löste sich vorsichtig von dem festen Griff seiner Dada. „Dann sehen wir uns später!“, sagte diese mit fester Stimme. Kieran nickte leicht. „Ich hoffe es!“, sagte er, nicht wissend, ob das wirklich hinhauen würde. Man musste abwarten, was bei dem Turnier noch passieren würde. „Wir haben eine Einladung erhalten, auf der steht, dass wir auf dem Anwesen der Sforzas auftreten sollen, wenn das Turnier zu Dominicos Gunsten enden sollte“, erzählte Darina ihrem Sohn, der sie überrascht ansah. „Dein Mann scheint Geheimnisse vor dir zu haben“, grinste sie und Kierans Blick folgte dem ihren auf seine Hand. Ein verlegenes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er sie wieder ansah. „Geh arbeiten!“, scheuchte sie ihn daraufhin hinaus.

Manchmal wusste er nicht, wem er es zu verdanken hatte, dass er so eine wunderbare Frau als Mutter haben durfte. Es schmerzte ihn umso mehr, dass er sie kaum noch sah, dass sie kaum noch eine große Rolle in seinem Leben spielte. Er hätte gerne viel mehr Zeit für sie, viel viel mehr. Aber vielleicht würde sich das ja ändern, wenn er sein Studium beendet hätte.
 

Rodrego

Rodrego betrachtete die Papiere, die er an diesem Tag erhalten hatte. Papiere, die ihm die Überfahrt nach Amerika ermöglichen würden. Die ihm ermöglichen würden, neu anzufangen und alles hinter sich zu lassen, was sein Leben zu diesem Zeitpunkt kaum erträglich machte. Er würde die Überfahrt wagen und sehen, wie er dort drüben sich eine neue Existenz aufbauen konnte. Aber bevor es so weit war, würde er hier noch etwas in Ordnung bringen müssen. Er musste das wieder in Ordnung bringen, was er selbst verbockt hatte. Er hatte ungeheure Fehler begangen und er würde sie wieder gut machen, so gut wie er es konnte.

Erst wenn er seine Schuld getilgt hatte, würde er aus dem Leben der Brüder verschwinden. Er hatte hier nichts mehr verloren, hatte keine Daseins-Berechtigung mehr, wenn das abgeschlossen war, was geschehen war. Sein Leben in der Leibeigenschaft des Königs zu fristen, bis er starb, das konnte und wollte er nicht. Nicht ohne den Rückhalt seiner Familie und seiner Freunde. Er hatte diese Leibeigenschaft nur ertragen, weil Nico und Alessio in seiner Nähe waren. Aber er hatte seinen Anspruch darauf, ihnen nahe sein zu dürfen, verwirkt. Wenn er verschwand, wenn alles vorbei war, dann nahm er Dominico wenigstens die Last, sich irgendwie für ihn verpflichtet zu fühlen. Er wollte nicht, dass der jüngere Sforza noch dachte, irgendwie für ihn sorgen zu müssen, oder etwas ähnlich Dämliches. Er würde gehen und die Brüder würden ihn los sein. Eine so große Enttäuschung konnte man nicht vergeben, er konnte sich selbst ja auch nicht vergeben.
 

Rod verwahrte die Papiere an einem sicheren Ort in seinem Haus. Es hatte ihn einiges an Geld gekostet, aber er hatte ja nicht umsonst gespart. An diesem Morgen zog er sich seine guten Kleider an und betrachtete sich einen Moment im Spiegel, ehe er sich abstieß und seine Kammer verließ, die in den königlichen Stallungen sein Zuhause war, wenn er nicht auf dem Anwesen der Brüder verweilte. Die Anweisungen, die er von Cromwell erhalten hatte, waren an Nico weitergegeben worden und nun führte er aus, was ihm aufgetragen worden war. Sicher, Cromwell würde man mit diesem Brief wieder nicht als Urheber entlarven können, aber sie wussten ja mittlerweile, wer sich ihm als "Freund" ausgegeben hatte.
 

Rodrego überprüfte die Lanzen, merkte, dass er beobachtet wurde, ließ sich aber nichts anmerken. Es waren Cromwells Leute, die ihn überwachten, weswegen er die letzten Tage auch kaum auf dem Anwesen erschienen war, da man sonst unter Umständen Verdacht geschöpft hätte. Es war alles vorbereitet und nun blieb ihm nur inständig zu hoffen, dass alles wirklich gut gehen würde...

Rodrego mischte sich unter die Leute. Er hatte bereits jenen John ausgemacht, der ihnen helfen würde, Cromwell der Chance zu berauben, andere vorzuschicken. Zur rechten Zeit würden manche hier ausgeschaltet werden müssen, die Cromwell im Notfall zu seiner eigenen Sicherheit ins Spiel bringen wollte, wenn es heiß auf heiß käme. Nein, sie würden Cromwell in eine Situation bringen müssen, aus der er sich nicht so leicht winden konnte. "Ich brauche mindestens vier plötzliche Krankheitsfälle", raunte er dem großgewachsenen Mann zu, der mit seinen kühlen blauen Augen und dem dunkelbraunen Haar so unnahbar wirkte, wie sonst keiner hier vor Ort. Seinen Beobachtungen zur Folge war Cromwell heute mit vieren seiner Anhänger vor Ort. Sobald John ihm gab, was er brauchte, musste er sich nur noch darum kümmern, zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort zu sein. Sein Blick glitt zur Tribüne, auf der nun die Ehrengäste begannen, ihren Platz einzunehmen. Die leuchtend rote Robe schien ihm direkt ins Auge zu springen. Alessandro wirkte wie immer - stark, unbezwingbar, in sich ruhend. Doch Rod war bewusst, welche Anstrengung diese Fassade den anderen kosten musste. Rod ließ den Blick sinken. Er würde wieder gut machen, was er kaum wieder gut machen

war. Dann würde er gehen. Es wäre für ihn unerträglich, den anderen immer wieder zu sehen, in seiner Nähe zu sein, ohne ihm jemals wieder nahe sein zu können.

Der Stoß in seine Seite ließ ihn hochschrecken und in Johns belustigte Augen zu sehen. "Du tust doch schon alles dafür, deine Schuld wieder zu begleichen. Selbstmitleid ist hier nicht angebracht." Einen Moment stutzte Rod, nicht wissend, was er sagen sollte. Er merkte, dass es ihn ärgerte, schließlich kannte ihn John ja kaum und was nahm der sich da raus! Doch dann merkte er, dass es ihn vor allem ärgerte, weil der hochgewachsene Mann Recht hatte. Er nickte leicht und fand sich in einer Umarmung wieder, wie sich Freunde verabschieden. Er spürte, dass ihn John etwas in seine Jackentasche steckte. "Einfach zu einem Cocktail rühren. Sie werden nichts schmecken, aber nach fünf Minuten die Örtlichkeit dringend verlassen... Viel Erfolg!"

Damit entließ ihn der seltsame Mann und Rod ging auf seine erste Position.
 

Alessandro

Das Rot, das Alessandro gewählt hatte, war eine heikle Angelegenheit. Er wusste, dass er damit unverhohlen Henrys Zorn provozierte, doch da er bei den Damen auf der Tribüne sitzen würde, neben Giulia, die am italienischen Hof und in der Familie Sforza sehr integriert und noch dazu sehr katholisch war, würde Henry sich kaum hinreißen lassen, einen Kommentar abzugeben. Zumindest hoffte Alessio das, denn er hatte vor, vor allem Cromwell mit seiner Erscheinung ordentlich ins Gesicht zu schlagen. Sie waren abgesessen und führten die Pferde nun in die vorgesehenen Unterstände, die man aus Holz und einigen Pflöcken errichtet hatte. Amadeo und ein weiterer italienischer Stallbursche ihres Hofes machten sich daran, die Pferde soweit vorzubereiten, während Alessio und Nico über Belangloses plauderten, um ihrem selbstsicheren Auftritt noch den rechten Schliff zu verleihen. Als sie hineinschlenderten zu den Aufgängen der Tribüne, auf der sie sich erst ein Programm der Familie Carney ansehen würden, bemerkte Cromwell den Kardinal das erste Mal. Eben hatte er noch Charles und Nico einander anstarren sehen, doch als jetzt hinter einer Absperrung der von ihm eigentlich totgeglaubte Alessandro Sforza hervortrat, sahen beide Brüder wie Cromwells Gesicht deutlich entgleiste.

Sandro ließ es sich nicht nehmen, höflichst und formvollendet eine Verbeugung anzudeuten, wie sie einem Kardinal vor einem Diplomaten angemessen war, während Nico den zur Zeit einflussreichsten Mann an des Königs Seite so begrüßte wie immer, ehe er mit seinem Bruder die hölzerne Treppe erklomm. Cromwell unter ihnen starrte ihnen nach, als habe er einen Geist gesehen und machte dann auf dem Absatz kehrt, wohl um sich mit den Personen abzusprechen, die er heute zu seiner Sicherheit und zum Gelingen seiner Pläne abgestellt hatte.
 

Als die beiden Brüder die Tribüne betraten, war der König noch nicht anwesend. Anne hingegen saß bereits mit einigen ihrer engsten Hofdamen zusammen in der ersten Reihe und hatte Giulia gleich neben sich beordert. Da es hier wohl keine streng reglementierte Sitzordnung geben würde, war neben Giulia kein Platz mehr frei. Nico und Alessio gingen die Reihe der Damen entlang, ließen es sich nicht nehmen, jede von ihnen einzeln zu begrüßen. Vor der Königin verneigte sich Sandro besonders tief und zauberte ein bestechendes Lächeln auf sein Gesicht. "Mylady, für eure Schönheit bin ich beinahe gewillt, diese Robe für immer an den Nagel zu hängen." Anne lachte herzlich. Sie hatte nichts gegen den Kardinal, der persönlich nicht besonders effektiv und offensiv versucht hatte, sie von dem König fernzuhalten. Wolsey war letztlich der leidtragende von Henrys gelöster Ehe gewesen, Alessio war nie so sehr als Kardinal vor den König getreten, sondern immer mehr als Bruder seines Feldherrn - und das richtete den Zorn weniger auf ihn als Kirchenmann. Außerdem war er immer noch Ausländer, erhielt beinahe so etwas wie politische Immunität was dieses Thema anging. An einem solchen Tag, an dem man feierte, konnte man über eine rote Robe doch eigentlich hinweg sehen... zumindest würden Anne und Henry das heute hoffentlich so sehen.

Für alle anderen und vor allem für Cromwell saß ein quicklebendiger Alessandro Sforza in roter Robe in Gegenwart des Königs auf der Tribüne. Er hatte in den letzten zwei Tagen ordentlich gegessen und Ruhe gehalten, um heute fit zu sein, doch allein Cromwells dummes Gesicht ließ ihn die Strapazen vergessen, die allein der Ritt zum Turnier für ihn bedeutetet hatte.

Am Ende der Damenreihe wartete, ebenfalls wie geplant, bereits Tancrèd auf sie beide. Er hatte sich zu den Damen gesellt, behielt aber höflichen Abstand und saß auf der anderen Seite des Platzes, der Henry vorbehalten blieb. Er war allein gekommen, hatte Kadmin bereits vorgeschickt, um in seiner Abwesenheit dafür zu sorgen, dass auf der Raashno alles seinen geordneten Gang ging. Mit breitem Grinsen begrüßte er sowohl den Kardinal als auch Nico, die sich neben ihn setzten.

Als Cromwell schließlich mit Henrys Entourage auf die Tribüne kam, sah man ihm an, dass es ihm nicht besonders gut zu gehen schien. Er wirkte etwas gehetzt und unsicher. Ein Blick, den man bei dem Berater selten sah und den er tunlichst versuchte zu verbergen. Gleich acht neugierige Augenpaare musterten den Mann, der sich auf einen der hinteren Ränge setzte, denn Charles Brandon war inzwischen auch angekommen und machte die Front gegen den Diplomaten komplett. Cromwell schien zu ahnen, dass irgendetwas nicht stimmte, doch anscheinend hatte er bisher nicht greifen können WAS das Problem war. Jetzt konnte er aber nicht weiter nachforschen, da Henrys Anwesenheit auf der Tribüne erforderte, dass er auch hier blieb.

Der König begrüßte seine Gäste sehr offen und beinahe schon unstandesgemäß locker, ein Zeichen dafür, dass er sich wirklich auf das Turnier und die Zerstreuung freute. Nicht einmal Alessandros rote Robe wurde von ihm mit besonderem Interesse wahrgenommen, er überging sie einfach und setzte sich stattdessen lieber zwischen die Damenriege und Tancrèd, während in ihrer provisorischen Arena die Vorstellung begann.
 

Rodrego

Der Auftritt Alessandros hatte genau die Wirkung, die sie erahnt hatten. Cromwell reagierte unbedacht und verriet seine Handlanger. Rodrego stellte mit Zufriedenheit fest, dass er in den letzten Tagen passend beobachtet hatte und die vier engsten Verbündeten richtig herausgelesen hatte. Nun würde es an ihm sein, eben genau diese auszuschalten und das im richtigen Moment. Er hatte einen guten Platz, an dem er den Verlauf des Turniers gut verfolgen konnte und gleichzeitig Cromwell und die anderen im Auge behielt. Er selbst würde auch gut zu sehen sein, was zum einen dazu diente, dass Cromwell ihn nicht unter Verdacht haben würde, zum anderen ihn auch irgendwie schützte. Denn Cromwell war ja kein Idiot und er würde, sobald ihm klar war, dass sein Plan nicht aufgegangen war, wissen, dass er dahinter steckte. Dann konnte es durchaus sein, dass Rodrego zur Zielscheibe wurde. Schließlich würde Cromwell alle Zeugen ausschalten lassen.

Nachdem sich die Herrschaften auf den Rängen niedergelassen hatten, gab Henry das Zeichen, dass das Turnier beginnen konnte.

Kierans Familie begann das Turnier mit Akrobatik und Kunststücken, die das Publikum amüsierten und auf das Folgende einstimmten. Ihr Programm stellte eine Adaption an das Folgende dar. Die Akrobaten stellten die verschiedenen Parteien dar, die gegeneinander "kämpften" und zuletzt vom König "besiegt" wurden. Die Akrobaten räumten die Arena und der Herold verlas die Abfolge der Kämpfe.

Die Reihenfolge war klar vorgegeben und kein Überraschung. Henry selbst würde nur gegen den Sieger antreten - und gewinnen, denn wenn man keinen engen Kontakt zu Henry hatte, trat man nicht gegen den König an; Und wenn man es sich erlauben konnte, gegen ihn zu reiten, so ließ man ihn gefälligst gewinnen, wenn man nicht doch den Kopf verlieren wollte.

Der Sieger würde sich vermutlich aus dem Duell zwischen Nico und Charles ergeben, also würden diese beiden sich zuerst gegen die anderen beiden durchsetzen müssen - was jedoch für beide kein großes Problem darstellen sollte.

Charles Brandon setzte den jungen Lord, der sich in diesem Sommer auf mehreren Turnieren wohl einen Namen gemacht hatte, beim ersten Ritt aus dem Sattel. Als Nico an der Reihe war, machte sich Rod auf den Weg. Er hatte drei der vier Handlanger in den Augen, aber einer von ihnen hatte sich auch gerade auf den Weg gemacht. Rod eilte zu John und sah ihn hilfesuchend an. "Kennst du Chester Bagehot, den Pitbull? Kannst du ihn für mich übernehmen?" Zu seiner Verwunderung stahl sich ein amüsiertes Lächeln auf das sonst so gleichgültige Gesicht. "Kein Problem", sicherte ihm John zu und folgte Rods Blick, der ihm damit deutete, wo jener hingegangen war. Mit den anderen dreien würde er leichter fertig werden, denn die standen hinter der Tribüne noch beieinander. Er würde sich beeilen müssen. So ging er zu Milton, einem der Diener, der die Getränke verteilte. Er trat von hinten an ihn heran und sprach ihn an. "Du siehst so aus, als bräuchtest du eine Pause", meinte er zu dem Mann mittleren Alters, der seufzte und die Augenbrauen hob. "Ich muss erst die Getränke nachfüllen und dann noch mehr aus der Küche holen. Bei der Hitze trinken die wie die Irren." Rod nickte bestätigend. "Das glaube ich dir, aber wenn du willst, fülle ich auf und du holst Nachschub. Ich habe nichts zu tun und mag nicht gerne zusehen, wie sie die Pferde in Gefahr bringen..." Milton lachte leicht. "Ist gut", und schon war er unterwegs und Rod dabei, die Pulver in die Getränke zu mischen, während er die drei Männer im Auge behielt. Als Milton zurückkehrte, teilte er ihm mit, dass die drei gerade nach Getränken gefragt hätten und er schon drei Becher für sie vorbereitet habe...

Es war keine Sekunde zu früh, dass die Getränke bei ihnen ankamen und danken angenommen worden waren. Denn gerade in diesem Moment kehrte der Pittbull zurück zu den dreien und Rodrego konnte nur hoffen, dass das, was sie getrunken hatten, reichen würde. Leider zerstreuten sich die Männer nun, offenbar einer Anweisung folgend. Rod zögerte, wem er sicherheitshalber folgen sollte, um ihn im Falle des Falles selbst auszuschalten, als er John sah, der ihm deutete, dass er ihm helfen würde. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, ein Nicken und dann folgte er zweien, die in Richtung der Waffen gingen. Doch dort kamen sie nie an. Magenkrämpfe und ein brennendes Gefühl von Übelkeit ließen diese einen anderen Ort aufsuchen... Mit großer Erleichterung stellte er fest, dass Johns Mittel ihre Wirkung zeigten, und er hoffte inständig, dass er niemals den Zorn des Alchemisten auf sich ziehen würde und selbst von dem Zeug abbekam.

Er kehrte zum Schauplatz zurück, wo er John wieder traf. "Alle etwas unpässlich", sagte jener mit einem sehr zufriedenen Lächeln auf den Lippen und blickte in Richtung Tribüne, auf der gerade die Fanfaren den Kampf zwischen Dominico und Charles ankündigten.

London 3 - Kampf

Dominico


 

Viel Zeit blieb Nico nicht, das Schauspiel der Familie Carney zu bewundern. Schon nach der Hälfte der Vorstellung mussten er und Charles nach unten, um sich die schwere Rüstung anlegen zu lassen. Nicos Turnierhengste tänzelten nervös auf der Stelle. Das Geklapper von Waffen und Rüstungen ließ sie bereits wittern, was auf sie wartete, und sie waren begierig darauf den Dienst zu tun, den Nico ihnen zugedacht hatte.

Als er sich von der Tribüne erhob, erlaubte er es sich, sich einen Wangenkuss von seiner Frau geben zu lassen, während sein Bruder ihm aufmunternd auf die Schulter klopfte. Cromwells Blick lag noch immer wütend auf dem Kardinal, doch er sagte nichts. Auf dem Weg nach unten zu den Stallungen sah Nico Rodrego auf seinem Posten und nickte innerlich zufrieden, während er auf Amadeo zusteuerte. Ein geheimes Handzeichen von Charles, der auf der anderen Seite des Ganges in die Arena ebenfalls auf seine Rüstung wartete, zeigte ihm, dass auch auf der Seite Brandons alles nach Plan verlief. Wenn es jetzt Rodrego noch gelang, Cromwells Schläger auszuschalten, dann mussten sie nur noch zusehen, dass Cromwell nicht versuchte, andere Beweise zu vernichten. ER konnte daran jetzt nichts mehr ändern... Ihm blieb zu hoffen, dass die veränderten Waffen wirklich nur den Tjost von ihm und Charles vorbehalten waren und dass er die ersten Ritte auch noch gewann.

Als er, mit hochgeklapptem Visier und dank der Panzerung bereits schweißgebadet in die Arena ritt, jubelte die Menge bereits. Ein Blick nach oben zeigte ein sehr sehr zufriedenstellendes Bild: Giulia und Anne, umringt von den anderen schnatternden Damen, klebten förmlich an dem Geländer, während Henry sich beinahe gelangweilt mit einem Glas Wein zurücklehnte - und Tancrèd, der sich vorbeugte, um mit dem König zu sprechen.

Cormwell, der direkt eingreifen wollte, wurde von einem Bekannten von Charles in ein Gespräch verwickelt, aus dem er sich aus Höflichkeit nicht einfach so herauswinden konnte. Nico atmete tief durch und ritt auf seine Seite der langen Absperrung. Amadeo war es, der ihm die Lanze nach oben hob. Die schwere meterlange Waffe kippte automatisch nach vorn als Nico sie aufnahm.

Sie war gut gearbeitet und lag sauber in der Hand. Sein Pferd tänzelte nervös auf der Position, die sie halten mussten, bis der Fanfarenstoß erklang.

Als der Herold in die Trompete schmetterte, schoss das Pferd los, wie ein Pfeil von einer gespannten Bogensehne. Nico warf die Zügel weg und presste die Beine zusammen. Auf den Rängen hörte er erregte Rufe - hatte Nico die Züel etwa verloren?

Innerlich lachte der Italiener. Er wusste sehr genau, warum er sich die spanischen Hengste aus Madrid mitgebracht hatte. Die lange Züchtung der spanischen Rasse war perfekt für einen schnellen sauberen Kampf zu Pferde und die Tiere waren beinahe blind in ihrem Gehorsam. Obwohl der Gegner mit der langen Lanze direkt auf sie zupreschte und sein Pferd bereits im natürlichen Fluchtreflex den Kopf zur Seite drehte, preschte Nicos Pferd geradewegs hinein ins Verderben. Der Vorteil, in dieser Situation nicht noch mit dem Pferd kämpfen zu müssen, kam ihm jetzt absolut zu Gute - er fühlte, wie die Spitze seiner Lanze das Schild traf und die Wucht des Aufpralls kurz darauf den Ritter vom Pferd holte, der gegen ihn geritten war.

Nico warf die Lanze weg und reckte die jetzt freie Faust, warf seiner Frau einen Luftkuss zu und erlaubte es dem euphorischen Pferd mit einigen Bocksprüngen durch die Arena zu galoppieren. Seine Rüstung war so schwer, dass er kaum würde fallen können.

Nachdem auch sein zweiter Ritt gleichermaßen erfolgreich verlaufen war, näherte sich der erste Höhepunkt des Tages. Nico und Charles sollten nun gegeneinander reiten, ein Ritt, der nun auch die volle Aufmerksamkeit des Königs forderte. Tancrèd hatte sich neben den König an die Balustrade gestellt und Nico ritt neben Charles, die Lanze aufgepflanzt, zum Salut vor den König. Bei den vorangegangenen Tjosts hatten sie sich keine Bänder von den Damen abgeholt. Eigentlich war die Vergabe auch ziemlich langweilig - Nico und Charles waren beide verheiratet und beide Frauen waren anwesend. Sie würden den Männern die Bänder um die Lanzenspitzen binden.

Nach einigen hochtrabenden Worten des Königs zu den Zuschauern, legte Nico die Spitze der Waffe vor Giulia auf die Brüstung. Die Damen kicherten, wie meistens... Nico zwinkerte Giulia zu, die sich erhob wie Charles Frau, drei Stühle weiter. Sie band vorsichtig das seidene Band an die Spitze der Lanze und griff sie dann mit beiden Händen, um sie anzuheben und auf das tönerne Ende einen Kuss zu hauchen - eine ziemlich obszöne Geste, die Anne laut loslachen ließ und selbst Henry ein breites Grinsen aufs Gesicht zauberte - genau die Aufmerksamkeit, die Giulia brauchte.

Sie verzog plötzlich und schmerzlich das Gesicht, fasste mit einer Hand an den Bauch und ließ die Lanze los. Nico, der sah, wie seine Frau einknickte, hatte - mit sehr viel Absicht - das Ende ebenfalls zu locker in der Hand und die Waffe rutschte ihm aus der Hand und schlug hart auf der hölzernen Balustrade auf.

Mit einem lauten Knall zersprang die tönerne Hülse und ein weiterer dumpfer Schlag ertönte, als der eiserne Dorn auf der Balustrade aufschlug. Schräg angelehnt blieb die Waffe so liegen, der Dorn zeigte genau auf Giulia, die in den Stuhl gesunken war. Anne hatte sich zu ihr gebeugt und Henry war aufgestanden, während Giulia nur auf die Waffe starrte, deren mörderisches Ende in der Sonne funkelte. Sie deutete mit dem Finger darauf und fing an zu schreien - und fünf Männer klatschten innerlich Beifall, für so viel schauspielerisches Talent.
 

Es dauerte einige Sekunden, bis wieder Regung in die Szene auf der Balustrade und der Arena kam. Es war Charles, der das Wort ergriff und wütend gegen Nico gestikulierte. "Soll das ein gemeiner Mordanschlag sein, Sforza? Ihr Italiener seid ja wohl das hinterlistigste Pack der Welt!", fluchte er los und ließ den Griff seiner Lanze ebenfalls los. Er gab ihr so einen Stoß, dass sie seitlich abrutschte und die Spitze unweigerlich auf die Holzumzäunung fiel. Als sie platzte... welch Wunder! Der gleiche Dorn... Nico baute sich im Sattel auf. "Hinterlistig? Und wie entschuldigt ihr 10 Zoll Eisen an eurer Lanzenspitze?! Diese Waffen habe ich ebenso wenig gestellt wie Ihr, Brandon!" Gab Nico zurück, während Henry sich dieser Szenerie und Tatsache gerade deutlich bewusst wurde. Giulia hatte sich schon wieder beruhigt und Amadeo war wie aus dem Nichts bei ihr aufgetaucht, um ihr mit einem sauberen Tuch die Stirn zu tupfen. Die Hand auf den Bauch gepresst ließ sich Giulia gern von anderen Luft zufächeln, während Henrys Aufmerksamkeit nun voll und ganz auf den Spitzen in den Lanzen lag. Man sah ihm den Schreck deutlich an... Der König fürchtete einen Anschlag auf sein Leben sehr. Genau deswegen hatte er ja auch Thomas Cromwell mit der Beaufsichtigung der Herstellung ihrer Turnierwaffen betraut und dessen erinnerte sich der König gerade sehr genau. "Cromwell!", bellte er deutlich erbost. "Wie kann das passieren? Wie konnte euch das entgehen?!" Alessio schmunzelte als er sah, wie Cromwell in Erklärungsnöte geriet. Tancrèd, der noch immer neben Henry stand, schüttelte in gespielter Entrüstung den Kopf. "Es wäre doch wirklich eine Schande, Majestät, wenn Eure beiden besten Heerführer in einem so unfairen Wettkampf ihr Leben gelassen hätten!"

Henrys Kopf flog zu dem Franzosen herum, dessen Miene wirklich keinen Argwohn erkennen ließ. Und Henry war wirklich nicht dumm... Er schaltete sehr schnell, wusste jedoch auch, dass er jetzt gerade nichts gegen das tun konnte, was er vermutete. Er sah wieder in die Arena und hob die Hand, woraufhin das Gezanke verstummte. "Meine Herren - es tut mir unendlich leid, dass das passieren konnte, und ich verspreche, dass ich diesem unglaublichen Verbrechen mit aller Härte nachgehen werde!" Sein Seitenblick auf Cromwell ließ diesen rot anlaufen und Alessio vor Freude beinahe Beifall klatschen "Doch wir wollen uns an diesem schönen Tag die Freude nicht trüben lassen. Ich lasse meine Turnierlanzen holen - diese sind ganz sicher nicht manipuliert und so steht unserem Vergnügen nichts mehr im Wege."
 

Kieran


 

Seine Familie zu beobachten, während sie auftrat und ihre Kunst zum Besten gab, war für Kieran irgendwie befremdlich gewesen. War er wirklich einmal Teil diese Truppe gewesen? Einer Truppe, die so harmonisch und perfekt war, dass sie ihresgleichen lange suchen würden? Hatte er darin wirklich einmal seinen Platz gehabt? Er konnte es sich kaum noch vorstellen. Wenn er tatsächlich geblieben wäre, dann wäre er sicher nie so gut geworden, wie sie es mittlerweile waren.

Doch er war stolz darauf, dass es SEINE Familie war. Gleichzeitig juckte es ihm in den Fingern - nein, im ganzen Körper -, sich auch mal wieder der Akrobatik zu widmen. "Wenn du nicht hinschaust, nähst du ihm das Auge zu", hörte er mit einem Mal Patricia neben sich und Kieran riss seine Aufmerksamkeit von der Arena weg zu dem Mann vor ihm, der behauptete, gegen einen Baum gelaufen zu sein. Dass man die Finger der Faust zählen konnte, die für die Platzwunde verantwortlich gewesen war, schien jenem nicht bewusst zu sein. Offenbar durfte er nicht wegen Prügelei festgenommen werden, denn so wie er aussah, war das nicht seine erste.

Kieran konzentrierte sich wieder auf das, was er tat, und warf der Krankenpflegerin einen dankbaren Blick zu. Patricia war fantastisch in dem was sie tat und in der Uniklinik die beste Kraft. Es war absolut ungerecht, sagte John immer - und Kieran pflichtete ihm bei-, dass Patricia, weil sie eine Frau war, nicht studieren durfte. Dafür behauptete sich die junge Frau zwischen den Ärzten sehr gut und ging so ihren Weg.
 

"Wie lange muss ich denn noch so stehen?" Kieran merkte, dass er am Arm gezupft wurde und drehte sich irritiert zur Seite. Er blickte in ein erwartungsvolles und fragendes Gesicht eines jungen Mannes, der irgendwie seltsam dastand.

Kieran entsann sich und nuschelte ein "Moment", während er versuchte die Schiene mit einem Verband an dem Fuß des Jungen zu befestigen.

"Sagen Sie mal, was machen Sie eigentlich?" Kieran blickte auf seine Hände und sah, dass er gerade wieder mit seinen Gedanken nicht bei der Sache war, aber gerade ritt Nico in der Arena und die Sorge, Cromwell könnte doch noch weitere Waffen manipuliert haben, saß ihm tief im Magen.

Wortlos drückte ihn Patricia zur Seite und übernahm, so dass Kieran den Kampf verfolgen konnte. Er hätte sich für den Dienst nicht melden sollen...

"Na dich nimmt das Turnier ja ganz schön mit", sagte Patricia wenig später, als sie sich zu Kieran stellte. "Interessiert dich so etwas wirklich?"

Kieran schüttelte leicht den Kopf. "Ist nur irgendwie nicht mein Tag, war viel zu tun in letzter Zeit und mir fehlt ein wenig die Erholung..." Er lächelte die hübsche Frau an. "Aber ich danke dir und du sagst mir, wie ich es wieder gut machen kann." "Das werde ich", entgegnete sie und es klang so, als wisse sie schon ganz genau, was sie von ihm wollen würde. Kieran war kurz irritiert, aber wurde von dem Herold abgelenkt, der Niko vs. Charles ankündigte. Das Schauspiel, das sich ihm jetzt bot, war fantastisch. Ein beruhigtes Lächeln legte sich auf seine Lippen, während er zusah.

"Ich fürchte, wir müssen auf unseren kleinen Schmied ein wenig achten. Cromwell wird Rache wollen und er kann eins und eins zusammenzählen...", hörte er John neben sich. Kieran blickte seinen Freund an und nickte nachdenklich. "Ich hab schon so eine Idee", meinte Kieran dann. "Behalt ihn im Auge!", fügte er an und eilte los, um jemanden seiner Familie zu finden. Das gerufene "Muss ich heute alles alleine machen!" Von Patricia nahm er nicht mehr richtig wahr.
 

"Henry, Henry, Henry!" - die Rufe des Publikums hallten über den Platz, als Kieran zu Patricia zurückkehrte, wissend, dass Rodrego nun nichts mehr passieren würde. John sah ihn fragend an und kurz erklärte er dem anderen, dass der Schmied von dem Schaustellertrupp zum Anwesen der Sforzas gebracht werden würde. Kieran hatte gute Laune, fühlte sich auch irgendwie beschwingt, und er merkte, wie die Anspannung langsam nachließ. Jetzt würde hoffentlich nichts mehr passieren. "Ihr seid mir beide was schuldig, ihr Super-Studenten!", maulte Patricia sie an. "Ihr ward ja beide heute komplette Ausfälle! Und so jemand ist Klassenbester!" Sie schnaubte gekünstelt, ehe Kieran sie auf die Wange küsste und so zum Schweigen brachte. "Wie kann ich dir jemals danken, meine Beste!?", sagte er theatralisch, während John kopfschüttelnd ein "Jetzt dreht er völlig durch!" murmelte.

"Ich will bei euch in der Apotheke arbeiten und Mr. Forbes begleiten!", entgegnete sie prompt.
 

Dominico


 

Nico und Charles unten am Fuß der Tribüne funkelten sich unter den Helmen wütend an. Eigentlich hätte Nico gern gelacht und Grimassen geschnitten, doch dann wäre ihre Tarnung tatsächlich aufgeflogen und sie wollten sich ja weiterhin bis auf den Tod hassen, zumindest vor Cromwell.

Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis ein Herold neue Lanzen brachte. Sie waren Kürzer als die, die sie eben noch gehalten hatten. Das machte sie leichter, verkürzte aber auch die Reichweite und machte den Stoß direkter und damit gefährlicher. Henry verletzte seinen Gegner gerne beim Turnier und als Charles und Nico auf Position ritten, wussten sie beide, dass das hier nicht der Kampf sein würde, der wirklich gefährlich war. Im Grunde, auch das wusste Nico, würden sie beide versuchen zu verlieren, denn keiner von ihnen wollte gegen Henry antreten. Trotzdem durfte diese Vorsicht nicht zu erkennen sein, wenn sie ihre Pferde jetzt aufeinander hetzten. Es war ein Drahtseilakt.

Als der Fanfarenstoß erklang, fühlte Nico wie sein Pferd in der Hinterhand einsank, um Schwung zu holen und dann erneut vorpreschte. So langsam ging dem Tier bei seinem Gewicht die Puste aus, doch auch Charles Pferd war bereits schweißgebadet. Es war von Vorteil, dass sie jetzt nicht mehr mit voller Geschwindigkeit aufeinander prallten. Der Stoß von Charles saß, doch mit einer schnellen Armbewegung gelang es Nico, die Wucht des Stoßes abzulenken. Die Spitze splitterte kurz, bevor seine eigene Lanze Charles aus dem Gleichgewicht brachte. Gefallen wäre der Lord damit noch lange nicht, doch Nico sah was Charles tat und verfluchte sich etwas dafür, nicht selbst so schlau gewesen zu sein. In dem Moment, in dem die Erschütterung durch seinen Körper ging, gab Charles dem Pferd einen leichten Kick in die Seite. Das Tier, das nicht ganz so motiviert bei der Arbeit war wie Nicos eigenes Pferd, scherte zur Seite aus und machte eine Kehrtwendung, die Charles aus dem Sattel auf den Boden riss. Er landete mit einem dumpfen Schlag auf dem Arenaboden und fluchte los. Etwas, das Nico jetzt selbst gern getan hätte um Charles zu verfluchen. Jetzt MUSSTE er gegen Henry reiten. Doch er machte gute Miene zu bösem Spiel, jubelte angemessen und ritt dann in die Unterstände, um sich vom Pferd helfen zu lassen und die Pause zu nutzen, sich etwas abzukühlen.

Für den Kampf gegen Henry hatte Nico das andere Pferd vorgesehen. Es war bei weitem nicht so ruhig und würde hoffentlich ebenfalls Bocken und auskeilen, so dass Nico ebenso schön landen konnte wie Charles… in der Hoffnung, dass Henrys Lanze ihn nicht an einer ungeschützten Stelle traf.
 

Nachdem man ihm die Panzerung abgenommen hatte, schüttete er literweise Wasser in sich hinein, ehe er auf die Empore lief, um nach seiner Frau zu sehen. Doch Giulia ging es bereits wieder gut und sie strahlte ihn an, als er zu ihr kam und sich beglückwünschen ließ - natürlich auch vom König selbst. Der schien für seinen Ritt schon Feuer und Flamme zu sein und fieberte dem förmlich entgegen, während unten noch einmal ein Auftritt der Carney Familie stattfand. Cromwell kochte unterdessen vor Wut. Man sah ihm an das es ihm nicht passte hier "gefangen" zu sein, er hatte keine andere Wahl. Als er sich erhoben hatte, um sich zu empfehlen, waren Henrys Befehle deutlich gewesen. Er wollte nicht, dass Cromwell wohin auch immer ging - er wollte das der Mann hier blieb, so dass er sich nach seinem Ritt noch mit ihm auseinandersetzen konnte - und eingekeilt zwischen Charles Brandons Bekannten, KONNTE Cromwell auch nicht einfach verschwinden. Alessio sah, wie sehr es den Mann wurmte, und sagte einige Worte auf Italienisch zu Nico, die den Mann zum Grinsen brachten, auch wenn Alessios Miene weiterhin ziemlich ausdruckslos blieb.
 

Die Pause war nicht von all zu langer Dauer. Der König plante immerhin selbst noch ein Bankett im Anschluss und vermutlich noch einige Zeit in seinem Bett mit seiner geliebten Anne - da wollte er den Ritt "schnell" hinter sich bringen. Nico ließ sich kurze Zeit später schon wieder in die Panzerung helfen und stieg auf das viel nervösere Pferd, das ihn kurz darauf in die Arena trug.

Henry hatte sich bei Nicos Taktik ein stabiles und sicheres Schlachtross gewählt. Das Tier war älter, aber stark bemuskelt und sah so aus, als liefe es den Tjost schon zum 100. Mal. Es musste ja, wenn es gut lief, nur zweimal die Strecke bewältigen. Direkt beim ersten Mal wollte Nico noch nicht fallen, das würde die Sache viel zu auffällig machen. Er musste zumindest so tun als wolle er gewinnen, auch wenn das bedeutete, dass Henry beim zweiten Anlauf nur umso fester zustoßen würde.

Stille senkte sich über den Turnierplatz, heitere Gespräche wichen der leisen Anspannung, die sich breit machte als die Reiter in Position gingen. Nico klappte das Visier herunter und sendete ein Stoßgebet gen Himmel. HOFFENTLICH... hoffentlich...

Das Pferd unter ihm schoss nach vorn. In der Hälfte der Bahn begegnete er Henry, das Schild vorgehalten und in der gleichen Hand die Zügel. Er gab sich größte Mühe mit der Lanze leicht neben das Schild des Königs zu zielen, so dass er ihn nicht direkt traf und die Wucht Henry nicht aus dem Sattel heben würde. Dieser Teil gelang ihm zumindest, doch Henry ritt wesentlich fokussierter und der Stoß der seinen Schildarm traf, war so heftig das Nico das Gefühl hatte, sein Arm würde bersten. Seine Schulter protestierte und er verlor beinahe das Schild, als es ihn im Sattel halb drehte. Zum Glück bockte das Pferd jetzt nicht als Nico nach hinten kippte und fast, aber nur fast fiel. Als das Tier am Ende der Bahn abbremste, gelang es ihm sich wieder aufzusetzen und sich halbwegs wieder herzurichten im Sattel. Amadeo griff in die Zügel des Pferdes und hielt es fest, sein besorgter Blick galt Nico, der sich allerdings schon wieder aufrichtete. Sein Gesicht war schmerzverzerrt, doch unter dem Visier seines Helmes sah man es nicht. Vorsichtig griff er Schild und Zügel wieder fester, biss die Zähne zusammen, als seine Hand sich weigern wollte, zu fest zu schließen. Kieran würde den Arm schon wieder hinbekommen... Solange es ihm endlich gelang, wirklich zu fallen!

Der Fanfarenstoß für die nächste Runde ließ nicht lange auf sich warten. Nico sah schon an Henrys Gebärden, dass der König nicht noch eine weitere Runde vergeuden wollte. Er zielte mit der Lanze tief und Nico bereitete sich auf den Schmerz vor, der unweigerlich kommen würde, wenn die Lanze erneut sein Schild traf. Er zielte selbst dieses Mal ernsthafter, vor allem um die Stoßkraft von Henry abzuschwächen, doch auch dieses Mal traf Henrys Lanze sein Schild hart. Das Schild aus dünnem Holz platzte einfach und die Lanze streifte Nicos Oberarm, riss die Schulter im Gelenk noch einmal schmerzhaft nach hinten. Nico kippte seitlich nach hinten auf sein Pferd und endlich tat es das, was Nico schon herbeigesehnt hatte. Es entledigte sich mit einem heftigen Bocksprung seiner Last und Nico landete, mit dem Gesicht im Arenasand, endlich auf dem Boden.

Diener eilten herbei und halfen Nico sich umzudrehen, schälten ihn beinahe sofort aus der schweren Panzerung. Als Amadeo ihn an dem schmerzenden Arm nach oben zog, konnte Nico ein schmerzhaftes Aufkeuchen nicht vermeiden. Trotzdem war er nur eines: froh, dass es vorbei war. Er wandte sich zu Henry um, der gerade freudestrahlend angeritten kam, und verneigte sich tief. "Eure Majestät führt einfach den härtesten Stoß mit der Lanze. Meinen Glückwunsch, Majestät." Henrys Lächeln war sehr wohlwollend. "Ihr habt euch wacker geschlagen, Dominico. Seid heute mein Gast mit eurer Familie..." Lud er ihn großzügig ein.

Nico schluckte. Erneut verneigte er sich tief. "Mein König, ich weiß diese Einladung sehr zu schätzen.. doch ich sorge mich sehr um die Gesundheit meiner Frau und meines ungeborenen Kindes. Bitte erlaubt mir, sie nach Hause zu bringen, wo sie sich ausruhen kann."

Nico sah, dass Henrys Augenbraue zuckte. Seine Einladungen schlug man nicht ganz ohne Grund aus... Doch in diesem Fall konnte er Nico verstehen. Wenn es um Kinder und Nachwuchs ging, dann hatte auch Henry Verständnis. "Natürlich. Geht und kümmert euch um eure Familie. Wir werden das Glas auf euch und euer Talent zu Pferde heben!" Damit trabte er in Richtung Unterstand davon und Nico beeilte sich, gestützt von Amadeo, ebenfalls dorthin zu kommen.

Ein Fass mit klarem Wasser war Nicos Rettung und er warf alle Kleidung von sich, um nackt für zwei Minuten in dem kalten Wasser zu verschwinden. Amadeo hatte ihm frische Kleidung gebracht und Alessio stieß kurz darauf zu ihnen, dieses Mal wirklich mit einem Grinsen im Gesicht. "Es hätte nicht besser laufen können. Ich bringe Giulia mit der Kutsche nach Hause. Wir sehen uns dort! Ich bin beinahe schon stolz auf dich, kleiner Bruder." Hätte Nico gekonnt, hätte er Alessandro dafür gerne geboxt, doch sein Arm war irgendwie ziemlich nutzlos, auch wenn er nicht ausgekugelt war.

Frisch angezogen, erlaubte sich Nico einen kurzen Gang über den Jahrmarkt, vor allem weil er auf der Suche nach Kieran war. Er traf Tancrèd vor einem kleinen Gewürzstand und klopfte ihm auf die Schulter. Gerne hätte er auch Charles gratuliert, doch das ging jetzt nicht.

"Lord Sforza, meinen Glückwunsch zu Ihrem hervorragenden Ritt. Mir scheint, als seien alle ihre Vorhaben heute gelungen." begrüßte ihn der Franzose. Nico lachte, ehrlich und offen. "Ihr habt recht, Monsieur, so ist es. Habt ihr heute schon etwas vor? Besucht uns doch auf unserem Anwesen. Meine Angestellten feiern ein Fest auf italienische Art, um meinen gelungenen Ritt zu begießen." Tancrèd schien nicht allzu überrascht von der Einladung. Er lächelte. "Dann will ich mit Freuden mit euch anstoßen, bevor ich einsam und allein auf dem Jahrmarkt den Abend verbringen muss." Nico lachte erneut und klopfte ihm auf die Schulter. "Begleitet mich doch. Ich will nur noch... jemanden abholen." Erklärte er knapp, wohl wissend, dass Tancred sich denken konnte, WEN er abholte.
 

Die beiden Männer fanden Kieran und John an der medizinischen Station, die eingerichtet worden war, um kleinere Blessuren zu behandeln. Als Nico den jungen Mann sah, hätte er ihn gern in die Arme geschlossen und einfach nur festgehalten, doch hier waren tatsächlich zu viele neugierige Augen. Also nickte er ihm nur zu, während seine Blicke Bände sprachen. "Ich grüße Euch, Mr. Carney, Mr. Forbes." Er nickte auch John zu, ehe sein Blick auf die junge Dame fiel. "Und Ihr seid sicher die Frau, die den beiden Feuer unterm Hintern macht, so dass sie ihre Arbeit auch anständig erledigen, nicht wahr?" Ohne ihren Namen zu kennen, erlaubte sich Nico Patricia einen Handkuss zu geben. "Mr. Carney, ich wollte euch bitten, mich auf mein Anwesen zu begleiten. Ich fürchte der König hat meinen Arm mit seiner Lanze einmal zu viel getroffen. Ich kann ihn kaum bewegen." Er deutete mit der Rechten auf den schlaffen linken Arm. "Natürlich nur wenn es Eure Pflichten erlauben. Und Ihr, Mr. Forbes, seid ebenfalls eingeladen. Mein Bruder braucht nach diesem anstrengenden Tag noch einmal die Hilfe Eurer Heilmittel... Falls Eure Pflichten es ebenfalls erlauben, so seid bitte beide meine Gäste."
 

John


 

John würde nie begreifen, was so toll daran war, sich gegenseitig vom Pferd zu schubsen und dabei zu riskieren, nebenbei zu sterben. Es war so kindisch und dumm, diese Art des Schwanzvergleichs. Warum mussten diese Machtmenschen immer protzen? Wie Kinder, deren ganzer Tag nur darin zu bestehen schien, den jüngeren Geschwistern zu zeigen, dass sie größer, schneller, stärker und besser waren. Aber während es bei Kindern Erwachsene gab, die sie ermahnten und erzogen, sagte dem König keiner, dass er albern und dumm war.

Wahre Größe offenbarte sich bei John in einem großen Verstand. Und er war der Meinung, dass nur dann jemand wirklich mächtig war, wenn derjenige das nicht zur Schau stellen musste. Ein König, der stets erklären und zeigen musste, dass er der König war, war es in seinen Augen gar nicht.

John schnaubte, als er Henrys Gebaren sah. Der, der hier vermutlich der ungeübteste Kämpfer war, würde dieses dämliche Turnier gewinnen. Dabei hätte Dominico ihn wahrscheinlich mit Leichtigkeit aus dem Sattel bugsieren können.

Ein erschrockener Laut lenkte Johns Aufmerksamkeit auf den Mann neben ihm, der dieses Turnier mit ganz anderen Augen betrachtete wie er. John legte seine Hand auf den Arm von Kieran, der leicht zusammenzuckte und dann dankbar die Hand ergriff und wirklich fest hielt, so als habe er Angst, er würde sonst nicht überleben, was er mit ansehen musste. "Ihm wird nichts Schlimmes passieren", sagte John leise und bestimmt. "Er weiß genau, was er tut. Das ist nicht das erste Mal."

Kieran nickte leicht. "Aber der Arm..." "Den wirst du später wieder richten", entgegnete er nachdrücklich und Kieran verstummte, seine Hand krampfhaft haltend.

Johns Hand begann mit einem Mal wirklich zu schmerzen, als die beiden Kontrahenten zum zweiten Mal gegeneinander ritten. Dass Nico getroffen wurde und zu Boden ging, hätte John auch dann gewusst, wenn er nicht hingesehen hätte. Denn Kieran zuckte zusammen, als habe ihn der Stoß selbst getroffen, und seine Hand fühlte sich schier taub an, als Nico gekonnt zu Boden ging. Der Italiener machte das echt gut, das musste John ihm lassen. Die Taktik, die Wahl des Pferdes... - alles passend. Dann blieb nur zu hoffen, dass der Arm nicht zu sehr in Mitleidenschaft gezogen worden war.

Was wiederum etwas war, was John einfach nicht begreifen konnte. Wieso riskierte der König, dass sein bester Feldherr so verletzt werden könnte, dass er unbrauchbar werden könnte? Wie dumm war das denn? Gerade in Zeiten wie diesen? Wo jederzeit ein spanischer Attentäter hinter dem Vorhang auftauchen könnte?

Nur um seinem Feldherrn und dem Volk zu zeigen, dass er der König war? Bullshit!
 

Als der Spuk endlich vorbei war, konnte John seine Hand vorsichtig der Kierans entziehen. Man, hatte der zugedrückt! John bewegte vorsichtig die Finger und schüttelte die Hand vorsichtig. "Ich hoffe, dir ist bewusst, dass meine Hände mein Kapital sind?!", sagte er motzig, woraufhin sich Kieran umdrehte und ihm gegen das Schienbein trat. "Dein Bein auch?", fragte dieser gegen. John schnaubte, hielt sich jedoch zurück.

Sie nahmen die Arbeit wieder auf und versorgten die Menschen, die es dankbar annahmen, einfach so einmal einen Arzt konsultieren zu können. Die meisten bezahlten mit Naturalien oder Waren. Doch langsam begannen sie zusammen zu packen. Erst da bemerkte er das kleine zerlumpte etwas, das ihn fixierte, als lauere es auf die passende Gelegenheit, ihn anzusprechen. John sah es irritiert an, da deutete es mit seinem Blick auf das Essen. John sah das Mädchen - zumindest schien es ihm eines zu sein - wieder an, griff nach einem prüfenden Blick nach den Dingen, die sie geschenkt bekommen hatten und deutete der Zerlumpten an, zu ihm zu kommen. Zögernd und mit kauerndem Blick kam das Kind näher, scheu wie eine Katze, nach der zu oft ein Schuh geworfen worden war. John hielt ihm die Sachen hin, doch das Kind zögerte noch kurz, bevor es zugriff. "Du siehst so aus, als bräuchtest du mal wieder was Gesundes", sagte er in ruhigen Worten zu ihr. Das Mädchen sah ihn spöttisch an, dann griff es nach den Sachen und packte sie in so schneller Geschwindigkeit ein, dass John es kaum fassen konnte. "Komm zu uns, wenn du Hilfe brauchst", hörte er sich sagen, doch es lief schon, als sei der Teufel persönlich hinter ihm her. Würde es hier als Bettel-Kind gesehen werden, drohte ihm vermutlich der Stock. Verwundert über seine Worte schüttelte er den Kopf. Irgendwas in diesen Augen hatte ihn an sich selbst erinnert. Irgendwas. Und mit einem Mal kamen all die Gedanken, die er in den letzten zwei Tagen so gut zur Seite geschoben hatte, wieder hoch. Die Gedanken daran, was eigentlich passiert war, als er klein war, als seine Mutter und sein Vater... Das, was das Fallen ins Wasser ausgelöst hatte, und auch das, was danach folgte. Er hatte es gut verdrängt, im Moment war Anderes wichtiger. Er hatte dafür keine Zeit und keine Nerven. Weder für seine blöde Vergangenheit, noch für Tancred oder sonst irgendwas, was sein Leben unnötig verkomplizierte und belastete. Und wie immer, wenn man an den Teufel dachte, tauchte er auch schon auf, was John mit einem Hieb in die Seite angekündigt bekam. "Kannst du mal aufhören mich heute ständig zu hauen?", maulte er und hörte schon Nicos Begrüßung, während er sich umdrehte. Nur leider stand da nicht nur Nico.

Er erwiderte den Gruß des heimlichen Siegers des Turniers standesgemäß, so wie es auch Kieran und Patricia neben ihm taten.

"Oh, gerade heute konnte man das wirklich so sagen, Mr. Sforza!", seufzte Patricia. "Die beiden sind heute nicht wirklich bei der Sache." Sie hatten ihr vorhin zumindest zugesagt, mit seinem Vater darüber zu sprechen, ob das möglich wäre, dass sie Teil ihrer Apotheke wurde. Sie würden sich erst beraten und Vorteile und Risiken abwägen müssen... bei Johns Vater waren das anstrengende Gespräche für etwas, zu dem John sofort "Ja!" sagen würde. Aber letztlich brauchten sie momentan wirklich jemanden. Sie wäre sicher die angenehmste Angestellte.

Kieran neben ihm nickte. "Ich werde es mir ansehen", versicherte Mr. Carney dem wehrten Mr. Sforza und Mr. Forbes, der Monsieur de Neracs Blick immer noch komplett mied, ergänzte in Gedanken ein "Und nicht nur das!" Kurz ploppte das Bild eines nackten Nicos in ihm hoch, der im zum Glück dunklen Flur vor ihm stand. Und dann dachte er an das Hemd, das er angehabt hatte. Eigentlich war John positiv überrascht vom Erscheinen des Italieners. Letztlich war ja klar, dass sie zum Fest kommen würden, - das hatten sie ja so besprochen - und so hatten sie eine offizielle Einladung und was immer käme würde sie nicht in irgendeiner Art und Weise verdächtig machen. Aber die unweigerliche Anwesenheit von Tancred nervte ihn irgendwie. So kam er nicht umhin, ein spitzes "Na zum Glück hat Kieran die letzten beiden Tage für fünf gearbeitet, so dass ich meine Pflichten heute mal vernachlässigen kann." loszuwerden. "Dann werde ich auch Liegengebliebenes mit zum Anwesen bringen", fügte er noch hinzu und blickte nun Tancrèd das erste Mal an. Einen Moment ruhten seine Augen in dem des Seemanns, bevor er Patricia ansah, die mit einem Lachen in der Stimme die Einladung kommentierte. "Ich hoffe mal für Sie, Herr Sforza, dass die beiden den Weg zu Ihrem Anwesen nutzen, sich zu sammeln. Denn sonst sehe ich Ihren Arm amputiert und Ihren Bruder vergiftet." John lächelte leicht. Vergiften würde er heute nur seinen Verstand mit gehörig viel Alkohol.

"Aber vorher helft ihr zwei mir noch hier, die Zelte abzubauen", forderte sie ein und gab John die Gelegenheit, sich zu entschuldigen, um genau das zu tun, was Patricia wollte.
 

Kierans Blick ständig von der Seite her in seinen Kopf gebohrt zu bekommen, war nicht sehr angenehm, und so schloss er kurz die Augen und presste ein. "Was willst du wissen?" hervor. "Was läuft zwischen dir und Tancrèd?", fragte dieser scheinbar erlöst, diese Frage endlich stellen zu dürfen. John drehte sich auf seinem Pferd leicht zu Kieran. Kurz sah er ihn an und wog ab, mit welcher Halbwahrheit jener wohl zufrieden wäre. "Wir hatten eine Nacht zusammen, dann haben wir uns nochmal geschäftlich getroffen und zufällig abends nochmal beim Glücksspiel. Mehr ist nicht gelaufen und wird auch nicht laufen." Kieran sah ihn prüfend an und er hielt dem Blick spielend stand. Schließlich kannte er solche Blicke von seinem Vater zu genüge. Kieran schien zufrieden und so ritten sie weiter. Das "Er ist sehr höflich im Bett." kam überraschend und ließ ihn fast aus dem Sattel fallen, als er sich ruckartig zu Kieran zurückdrehte. Jenem schien das sehr unangenehm zu sein, aber John konnte sich eines Grinsens nicht erwehren. Kieran musste eigentlich nichts sagen, er konnte sich alles selbst zusammenreimen und hatte von Tancred am Hafen schließlich schon diesen Hinweis bekommen. "Ich bin stolz auf dich!", sagte er nur und lachte leicht. "Aber du wirst doch nicht..." Er hörte Kierans Panik in der Stimme. "Schalt dein Hirn ein, Idiot!", fiel er Kieran ins Wort. "Warum sollte ich das tun?! Ich werde heute Abend recht bald verschwinden. Ich denke, wir sollten die Apotheke nicht so lange allein lassen." Kieran gab ihm Recht, als sie das Tor zum Anwesen der Sforzas passierten.
 

Dominico


 

Als Nico mit Tancred, Amadeo und dem Rest seiner kleinen Gefolgschaft schließlich den Turnierplatz verließ, war der Nachmittag bereits fortgeschritten. Sie ritten in flottem Tempo, auch wenn das Nicos Arm nicht unbedingt gut tat. Trotzdem hatte er es in gewisser Weise eilig, wollte und musste sich mit Alessio besprechen und sehen, ob es Giulia wirklich wieder gut ging. Außerdem wollte er seine Leute beisammen und die Grenzen des Anwesens gut gesichert wissen. Daher war er dankbar, dass weder Tancred noch Amadeo sich über sein forsches Tempo beschwerten und sie recht schnell am Anwesen ankamen. Kierans Familie hatte Lager auf einer ihrer Koppeln bezogen, zumindest für diese eine Nacht. Platz hatten sie ja schließlich genug und so erleuchtet wie das Haus war und so laut wie ihnen das Stimmengewirr entgegenschlug, war die Party bereits in vollem Gange. Als man bemerkte, dass Nico nach Hause kam, strömte eine ganze Menschenmenge aus dem Haus, um Nico vom Pferd zu heben und auf Händen hinein zu tragen. Alessio feuerte die Meute an, die Nico in den großen Bankettsaal des Anwesens schleifte, wo man ihm einen Becher mit Wein in die Hand drückte und offensichtlich einen Trinkspruch von ihm erwartete. Nico hielt sich knapp und sorgte dafür, dass die feiernde Menge von Leuten bald wieder ihrer Feierlust nachging und nicht allzu sehr an ihm klebte. Alessandro tauchte neben ihm auf und klopfte ihm abermals auf die Schulter. Noch immer hatte der Kardinal sich nicht umgezogen, trug nach wie vor die rote Robe, wenn auch jetzt ohne Umhang und mit dem Galero etwas schief auf dem Kopf. "Brüderchen Brüderchen.. dieses Spiel haben wir wohl zu unseren Gunsten entschieden." Der Kardinal hatte eine ordentliche Fahne… hui. Nico griff Alessandro sanft an den Schultern. "Ja, das haben wir.. und du solltest langsam machen mit dem Wein Bruder. Du bist noch nicht wieder so fit, dass du dir einen Vollrausch leisten kannst..." Alessio verzog beinahe etwas schmollend den Mund, doch er nickte und sein Blick wurde ernster. "Ich habe die Wachen außerdem verstärkt. Auch unsere Verbündeten am Hof sind vorgewarnt. Die Überwachung Cromwells am Abend übernimmt Brandon, aber ich denke, nachdem es heute schon so gut geklappt hat, wird auch in den nächsten Tagen alles weiterhin so verlaufen. Zumindest hoffe ich das sehr."

London 3 - Fehl am Platze

Dominico

Nicos Köche hatten wirklich ordentlich aufgefahren und italienische Kostbarkeiten dargereicht. Nico schlenderte zum Buffet hinüber, wo er seine Frau vorfand, die sich offenbar sehr gut mit dem französischen Kapitän unterhielt. "Monsieur, ich hoffe Ihnen gefällt unser kleines Fest?!" Der Franzose nickte mit einem breiten Grinsen. "Wie sollte es bei dieser Unterhaltung auch anders sein?" Er schmeichelte Giulia, die herzlich lachte, und ihm sachte gegen den Oberarm boxte. "Ich bin eine verheiratete Frau, vergesst das nicht", drohte sie mit einem Zwinkern, ehe sie - die heute Mittag ja angeblich noch Schmerzen gehabt hatte - den Franzosen auf die Tanzfläche zerrte, auf der bereits andere Angestellte wenig höfische Tänze tanzten.
 

Nico stattdessen schlenderte zu Amadeo hinüber, der die Szene von weitem beobachtete und schließlich gemeinsam mit ihm nach draußen ging, wo es langsam dunkler wurde. Er wollte auf Kieran warten und musste tatsächlich nicht allzu lange auf dem Hof stehen, als erneut Pferdegetrappel vom Aufweg herüberwehte. Es waren tatsächlich Kieran und John. Nico ging ihnen entgegen. Zwei Stallburschen kamen, um die Pferde abzunehmen, und kaum dass Kieran abgesessen war, fand er sich in Nicos fester Umarmung wieder, ehe der Sforzabruder ihn küsste. Das hier war sein "Reich" und hier konnte er mit Kieran so umgehen, wie er wollte. Natürlich tuschelten auch die Angestellten, doch solange Giulia Sforza wohlwollend über die Ausfälle ihres Ehemannes hinwegsah, erlaubte sich keiner der Angestellten ein böses Wort. "Ihr kommt gerade richtig für die Feierlichkeiten. Ich glaube, die meisten sind schon mittendrin dabei." Er grinste breit, sogar zu John - er war einfach viel zu gut gelaunt darüber, wie der Tag verlaufen war. Mit Kieran an der Hand strebte er wieder auf das Hauptgebäude zu, um die beiden Männer hinein in den Bankettsaal zu geleiten. Kieran dabei loszulassen, kam für ihn nicht in Frage. Er hielt ihn die ganze Zeit an der Hand, ein Statement, das man deutlich sah.
 

Kieran

Kieran hatte das Gefühl, dass John die letzten beiden Tage verschlossener war als sonst, und vielleicht würde es den Alchimisten ja dazu bringen, so bald wie möglich mit ihm zu reden. Dass John offenbar Tancrèd meiden wollte, war ihm klar, als John ankündigte, nicht lange bleiben zu wollen. Auch wenn er nicht glaubte, dass es gut war, wenn John früh gehen würde, gab er ihm recht, um ihn nicht trotzig werden zu lassen. Je unliebsamer John etwas war, desto mehr fuhr er seine Stacheln aus. Er wollte nicht von ihm gestochen werden. Dafür war er viel zu guter Laune.
 

Der Blick, den er vorhin am Turnierplatz von Dominico eingefangen hatte, war so wohltuend gewesen, nachdem sie sich ja zwei Tage nicht hatten sehen können, dass er sich jetzt freute, wenn er endlich an einem Ort auf ihn treffen würde, wo sie einfach unbeschwert sein konnten. Der Tag heute war für ihn emotional ziemlich anstrengend gewesen. Heute Abend würde er einfach sorglos sein wollen. Das schien auch zu funktionieren. Denn als er sah, dass Dominico offenbar auf ihn gewartet hatte, legte sich ein Lächeln auf seine Lippen, das so schnell nicht wieder verschwinden würde. Er ließ sich von seinem Pferd gleiten und erwiderte die Umarmung, vorsichtig, wegen des Arms. Tief sog er den ihm so vertrauten Geruch ein und schloss die Augen, während er sich an seinen Mann anschmiegte. Er lächelte bei diesem Gedanken in den Kuss, den der andere ihm gab.
 

Dominico schien mindestens so erleichtert zu sein wie er selbst und war entsprechend gut gelaunt. Dem Arm schien es besser zu gehen. Zumindest so gut, dass es nicht sofort behandelt werden musste. "Na dann lass uns mal nichts verpassen", erwiderte er, blickte John kurz an, der ihn zufrieden anlächelte.
 

Es war ein seltsames Gefühl, als sie von allen angesehen wurden, aber auch ein erhabenes. Es gab hier kein Wenn und Aber und das tat so verdammt gut. So ließen sie sich in den Feierlichkeiten treiben, genossen ihre Zweisamkeit und feierten ihre Liebe, so als sei dies ihr Hochzeitsfest.
 

Rodrego

Rodrego hielt den Krug Bier in seiner Hand und betrachtete das Geschehen vor sich. Es war eine feiernde Menge, die so glücklich und zufrieden mit allem wirkte. Er wusste, dass er einmal Teil dieser Menge gewesen war, aber er hatte dieses Privileg verspielt. Er war nicht mehr Teil dieser Gemeinschaft und fühlte sich hier so fehl am Platz, dass es weh tat. Er gab sich Mühe, seine gute Miene aufrecht zu erhalten, unterhielt sich mit dem ein oder anderen und wartete nur darauf, dass er gehen konnte. Es schmerzte zu sehr, das hier zu sehen. Da war zum einen Dominico, der mehr als glücklich wirkte, wenn er mit Kieran tanzte, wie er mit ihm umging, wie er ihn ansah und mit ihm sprach. Er gönnte es dem anderen aus vollstem Herzen! Er freute sich für ihn, dass er so glücklich war, dass dieser Mann ihn so glücklich machte und sie sich endgültig gefunden hatten.
 

Aber gleichzeitig musste er natürlich daran denken, was er selbst verspielt hatte. Vor allem: wofür! Dieser Brief hatte sein Leben zerstört. Er hatte den Menschen verloren, der ihm am meisten bedeutet hatte. Alessandro dabei zu beobachten, wie er sich volllaufen ließ, schmerzte ihn am aller meisten. Er hatte oft darüber nachgedacht, was gewesen wäre, wenn... Aber es brachte nichts. Er hatte es verbockt, komplett.
 

Selbstmitleid ist hier nicht angebracht. - hörte er die Worte Johns. Er lächelte gequält. Ja, er versank im Selbstmitleid, das merkte er auch. Aber wenn er sich John hier ansah, war jener auch nicht sehr begeistert, hier zu sein. Zumindest unterhielt er sich angeregt mit Leuten von Kierans Familie, aber richtig glücklich wirkte er nicht.
 

Du tust doch schon alles dafür, deine Schuld wieder zu begleichen.
 

Ja, er hatte mitgeholfen, seine Schuld ein wenig zu begleichen. Aber es würde nie reichen, es war viel zu wenig gewesen. Daher würde es ihn noch lange quälen. Rod wusste, dass er erst, wenn er hier weg wäre, wieder ein wenig zur Ruhe kommen würde. Er wollte nicht weglaufen, aber wenn alles vorbei war und Alessandro aus der Gefahr, was hatte er dann hier noch zu suchen? Den Alessandro, den er liebte und der sich ihm offenbart hatte, den würde er nie wieder sehen.
 

Rodrego trank mit einem langen Zug den letzten Schluck des Bieres aus und stellte den Krug auf den nächsten Tisch. Es war Zeit zu gehen, definitiv. Also stand er auf, wandte der Gesellschaft den Rücken und verließ den Raum. Draußen schlug ihm die drückende Schwüle des Sommerabends entgegen. Es war zu lange zu heiß gewesen. Selbst hier draußen schien keine frische Luft mehr zu existieren. In London war es die vergangenen Tage noch unerträglicher gewesen. Vielleicht würde ihm die frische Seeluft den Kopf wieder etwas freier wehen. Rod streckte sich und schlug den Weg in Richtung seines Hauses ein. Sobald er wissen würde, dass Cromwell vernichtet war, würde er dem Haus endgültig den Rücken kehren. Jetzt wollte er noch einmal seine Unterlagen kontrollieren und seine Sachen packen, um bereit zu sein, wenn es soweit war.
 

Alessandro

Tatsächlich betrank sich Alessandro. Es war nicht nur Nico und Rodrego aufgefallen, er hatte selbst ja ganz bewusst zum Wein gegriffen, obwohl er wusste, dass John ihm dafür die Leviten lesen würde. Aber er ertrug es nicht anders. Sein ganzer Körper tat weh, aber liegen konnte er auch nicht mehr... und diese Heuchelei am Hof machte ihn so wütend. Am liebsten hätte er Cromwell mitten in sein dreckiges Gesicht geschlagen und ihn dann höchst persönlich mit dem Lanzendorn aufgespießt, aber das konnte er nun mal nicht. Zu allem Überfluss machte auch seine Familie langsam mehr Druck. Man forderte von ihm, gegen Henry politisch aktiver zu werden und die Abspaltung von Rom wieder rückgängig zu machen, ein Schuh, den Alessio sich definitiv nicht anziehen wollte.
 

Gut, er hatte noch ein wenig Zeit, doch er geriet schon unter Druck, all das durchzusetzen, was er durchsetzen musste. Sein Kopf arbeitete ständig an Plänen und er kam gar nicht mehr dazu, wirklich abzuschalten. Rod fehlte. Der Sex mit Rod fehlte... aber vor allem fehlten seine warmen starken Arme, die Alessio von der Welt abgesperrt hatten. Er knurrte als er merkte, dass er dem Schmied wieder nachhing und stürzte den Rest des Bechers hinunter. Sein Blick wanderte etwas aufmerksamer durch den Saal voller fröhlicher tanzender Menschen. Wobei tatsächlich nicht alle fröhlich wirkten. Wirklich fröhlich waren ganz offensichtlich Kieran und Nico. Sie tanzten nun schon die gefühlt hundertste Volta, obwohl sein Bruder den Arzt mit nur einem Arm heben konnte. Doch so eng wie sie aneinander standen und so sehr wie Kieran abgenommen hatte, war das kein Kunststück. Alessio sah zu Kierans Familie hinüber. Wie alle anderen hatten auch sie nicht schlecht gestaunt und getuschelt, als Nico mit Kieran an der Hand hier hereingekommen war und ihn zu allem Überfluss auch vollkommen offen auf der Tanzfläche küsste, während Nicos eigene schwangere Frau anwesend war. Doch Giulia klatschte nur Beifall, wenn die beiden Männer tanzten und lachte fröhlich. Kein Gram zwischen den Eheleuten.
 

Giulia war wohl die zweite, die wirklich fröhlich war. Sie brannte darauf, endlich etwas TUN zu können, und genoss außerdem ihren Erfolg, den sie beim Turnier gehabt hatte. Im Verlauf des Festes war Alessio aufgefallen, dass sich Amadeo relativ häufig in ihrer Nähe herumtrieb und sie ab und an, wenn sie sich unbeobachtet fühlten, sehr vertraut miteinander wirkten. Das brachte den Kardinal zum Grinsen. Giulia verdiente alles Glück dieser Erde und Amadeo verdiente die schöne Frau für all das, was der Italiener in ihren Diensten bereits entbehrt hatte.
 

Tancred, den Giulia schon den ganzen Abend über Seefahrt und fremde Welten ausquetschte, wirkte ab und an etwas abwesend. Zwar unterhielt er sich höflich mit der Lady, doch sein Blick rutschte immer wieder hinüber zu John, der ihn vollkommen ignorierte. Letzterer war ebenfalls nicht besonders fröhlich oder feierwütig, sondern wirkte bisweilen sogar genervt und ungehalten. Lange würde er wohl kaum noch bleiben. Gerade so lange, bis es nicht mehr unverschämt war, einfach zu gehen - nahm Alessio an. Und dann war da noch Rodrego.
 

Alessio hatte den Schmied gesehen als der den Saal mit ein paar Stallburschen betreten hatte. Als sich ihre Blicke für einen Moment gekreuzt hatten, schien der Schmied abwesend zu sein. Er aß wenig, nahm sich ein Bier und stand dann da in einer einsamen Ecke, in der sich niemand für ihn interessierte. Natürlich wussten die Angestellten, wer hier das Verbindgungsglied gewesen war, und so war es nicht sehr verwunderlich, dass nur wenige mit dem Schmied sprechen wollten, der beinahe den Tod Alessandros herbeigeführt hatte. Rod wirkte genauso rastlos, wie Alessio sich fühlte. Er kam einfach nicht zur Ruhe, obwohl er schon einige Becher Wein getrunken hatte Er fühlte sich auch noch vollkommen normal und nüchtern - fast zumindest.
 

Er hatte gerade Nicos und Kierans letzte Volta beobachtet, als er aus dem Augenwinkel sah, wie Rod das Fest verließ. Da er selbst gerade in keinem Gespräch war oder irgendwelche Verpflichtungen hatte, konnte er Rod gut folgen. Warum wusste er selbst nicht so genau, doch vor allem passte ihm Rodregos Selbstmitleid nicht. Der Schmied verhielt sich wie ein geprügelter Hund und letztlich war er genau das, doch Alessandro war noch nicht fertig mit Rodrego Fernale.

London 3 - Der Kardinal

Alessandro


 

Er erreichte das kleine aber feine Haus des Schmieds nur kurz nach Rodrego. Drinnen brannte Licht und da das Grundstück insgesamt überwacht wurde, hatte Rod nicht abgeschlossen. Als Alessio eintrat, nicht gerade leise, sah er wie Rod erschrocken herumfuhr und einige Blätter fallen ließ. Schnell hatte er sich gebückt, um sie einzusammeln, doch Alessio war schneller und hielt Rodregos Ticket für die Überfahrt in die Neue Welt in den Händen. Mit einem spöttischen Lachen ließ er das Schriftstück wieder zu Boden fallen. "Wieso wundert es mich nicht, das bei dir zu finden? Du bist der feigste Bastard den ich kenne.."
 

Rodrego


 

Rodrego genoss den kurzen Weg zu seinem Haus. Es kam ein wenig Wind auf und das Wetterleuchten in der Ferne machte Hoffnung auf ein klärendes Gewitter, nach dem die Nacht hoffentlich ein wenig abkühlen würde. Der Schmied ließ hinter sich die Tür ins Schloss fallen und ging ins Wohnzimmer, wo er die Kerzen entzündete und schließlich seine Papiere noch einmal hervorzog, um sie zu lesen und erneut in seinem Schreibtisch zu verwahren. Er kam nicht mehr dazu. Erschrocken fuhr er herum, als er hörte, wie jemand polternd ins Haus kam. Waren das Cromwells Leute? Aber das Anwesen war doch bewa... Rodrego ließ die Schriftstücke fallen, als er sah, wer da gekommen war.
 

"Alessio?", hauchte er ungläubig. Der Kardinal hatte ihn nicht eines Blickes gewürdigt, seit er offenbart hatte, dass er schuldig am Unglück der Familie war. Da wurde er sich der Schriftstücke bewusst und bückte sich schnell, um sie aufzuheben, bevor es der andere tun konnte, aber er war zu spät. Alessio warf nur einen kurzen Blick auf das Dokument und begriff sofort. Der Blick und das Lachen, das ihn traf, war erschlagend. "Der feigeste Bastard" hallte es in ihm wieder und wieder und Rodrego war im ersten Moment unfähig, sich zu bewegen. Langsam richtete sich Rodrego zu voller Größe auf und blickte Alessandro zornig an. "Ich bin also feige, ja?", fragte er gegen. "Was sollte ich denn deiner Meinung nach tun? Mich mein Leben lang hier knechten und mich erniedrigen lassen? Die Schuld auf meinen Schultern tragend, von der ich mich nie werde lösen können? Ich habe wirklich Scheiße gebaut und dabei selbst sehr viel verloren. Ich werde alles dafür tun, zumindest einen Teil der Schuld ein wenig zu tilgen. Aber irgendwann ist Schluss. Und das hat nichts mit Feigheit zu tun!" Wie wütend er auf Alessandro war, das merkte er erst jetzt so richtig. In ihm brodelte es. Er hatte viel zu laut gesprochen.
 

Aber eigentlich durfte er das nicht zu offensichtlich zeigen. Der Kardinal würde das ausnutzen, wie er wollte. Irgendwie fühlte sich Rodrego eigentlich schon mit sich selbst genug bestraft. Ja, er hatte Fehler gemacht, schwerwiegende - daran wollte er nichts schön reden. Aber er versuchte auch alles, es wieder einigermaßen gut zu machen. Und irgendwann war Schluss.
 

Alessandro hatte letztlich alles Recht der Welt, auf ihm herumzutrampeln, wie es ihm gefiel, aber es tat sehr weh. Er... wenn er ihn hier so sah... alles in ihm sehnte sich nach diesem Mann. Aber er hatte ihn für immer verloren und würde ihn nie wieder so nah bei sich haben, wie er es für einen kurzen Moment hatte. Von ihm jetzt richtig fertig gemacht zu werden, war vielleicht dessen Recht, aber er würde das nicht ertragen. Er bemühte sich, wieder ruhiger zu werden, hob das Ticket und die restlichen Papiere auf und legte sie auf seinen Schreitisch.
 

“Aber wenn Ihr das so seht, eure Eminenz, dann wird es wohl so sein." Während er sprach, drehte er sich wieder zu Alessandro um und verbeugte sich leicht vor der Obrigkeit. Es war schwer, aber er würde es aushalten müssen, sich nicht provozieren zu lassen dürfen. "Aber wenn Eure Eminenz es wünscht, werde ich mich gerne von Euch mit Füßen treten lassen, so wie es nur rechtens ist. Macht mit mir, was Ihr wollt.”
 

Alessandro


 

Zum Glück war er betrunken. Unter anderen Umständen hätte Rodregos ungläubiges "Alessio" ihn vermutlich bereits in die Knie gezwungen, doch so wurde sein Blick nur noch höhnischer. Als der Schmied sich aufrichtete, die Dokumente in seiner Hand, hätte der Kardinal beinahe gelacht. Es war doch wirklich fatal. Dieser Mann, der sich jetzt selbst in seiner eigenen dunkelsten Stunde noch aufrichtete und mit diesem ganz gewissen italienischen Stolz seine Ehre verteidigte, war genau das Format von Mann, nach dem der Kardinal sich sein ganzes Leben gesehnt hatte. Jemanden wie Rodrego würde er in seinem Leben nie wieder finden, jemanden der ihn so berührte und der alles in ihm nur danach schreien ließ, ihm zu gehören. Aber das würde er niemals bekommen. Denn selbst Rodrego, den er so lange kannte und den er schon so lange begehrt hatte.. nun. Selbst Rodrego hatte ihn verraten. Seinen Worten nach schämte er sich zwar dafür, aber galt "sehr viel verloren" auch für ihn? Wohl kaum. So wie Rod hier stand, ging es ihm sicher um seine Stellung und sein Leben, seine Vorzüge auf dem Anwesen der Sforzas zu leben und vielleicht auch um Dominico, der ihm genauso wenig verziehen hatte, auch wenn er ihn nicht allzu sehr schnitt.
 

Dennoch. Ein Teil in ihm wollte Rodrego glauben, wollte ihm sagen, dass er ihn verstand, dass er vielleicht genauso gehandelt hätte und dass er ihm "verzieh" - insofern man das denn konnte. Immerhin war er ja noch am Leben und Rodrego hatte es geschafft, die Wahrheit zu sagen, wenn auch zu einem Zeitpunkt, an dem es beinahe schon zu spät gewesen wäre. Nicht auszudenken, wenn John und Kieran nicht in der Kapelle gewesen wären... Er wäre elendig verreckt in der Kluft, in der seine Familie ihn gesteckt hatte und die ihn zur Zielscheibe so vieler Gegner machte. Aber es war nicht passiert, er atmete noch. Also.. hatten Rodregos Taten doch kaum wirkliche Folgen, oder? Und immerhin.. er hatte ihnen ja auch geholfen, gegen Cromwell einen wirklich tiefen Schlag setzen zu können.
 

Aber Alessandro konnte nicht überwinden, dass der Schmied ihn ausgenutzt hatte. Dass er ihm Zuneigung und Liebe vorgespielt hatte, nur um ihm dann so hinterrücks den Dolch in den Rücken zu treiben.
 

Rod schien sich langsam zu besinnen und schlug ruhigere und vor allem höflichere Töne an. Einerseits war der Kardinal froh, nicht mehr mit Alessio aus diesem Mund angesprochen zu werden, das ihn so schmerzlich an all das erinnerte, was er eigentlich haben wollte. Andererseits klang Rodregos „Eminenz“ nicht im Mindesten so, als meinte er es ernst. Alessio straffte sich und ging gemessenen Schrittes zum Schreibtisch hinüber, griff wieder nach dem Papier, das Rod abgelegt hatte, nachdem der Schmied sich abgewandt hatte.
 

Er hatte sich das Hirn zermartert, wenn er es denn geschafft hatte, überhaupt über diese Sache nachzudenken, was er tun konnte, womit er Rodrego wirklich treffen konnte. Ihm war nichts eingefallen, denn Rodrego hatte, wie er selbst sagte, nichts, was man ihm noch hätte nehmen können. Doch bezüglich einer Sache, da war sich Alessandro sicher, hatte Rod nicht gelogen: er hasste den Kardinal. Nicht Alessandro selbst, der war ihm vielleicht einfach nur egal oder zumindest nettes Beiwerk im Bett, aber den Kardinal und diese Maske, die hasste der Schmied. Als Rod jetzt so vor ihm stand, da wusste Alessio, mit was er ihn wirklich verletzen konnte. Er zog das Dokument näher zu sich heran, tat so, als würde er darin lesen, dann hob er es in einer schnellen Bewegung hoch und nahe an die Flamme einer der Kerzen, die Rod entzündet hatte.
 

Nicht so nah, dass das Pergament Feuer fing, aber nahe genug, um es schneller an die Flamme zu halten, als Rod ihn erreichen konnte. "Ihr habt Recht, wenn Ihr sagt, dass ich jedes Recht habe, Euch zu bestrafen. Und Strafe habt Ihr verdient, für das, was Ihr dieser Familie angetan habt." Sein kaltes Lächeln wurde, wenn denn möglich, noch gemeiner. "Zieht Euch aus." Und als Rodrego nicht sofort reagierte, wanderte das Pergament Richtung Flamme. "Wenn Euch Eure Überfahrt lieb ist, dann tut Ihr, was ich sage, und zwar ein bisschen plötzlich."
 

Rodrego


 

Rodrego hätte das Papier, die Möglichkeit für einen ersehnten Neuanfang weit weg von hier, nicht einfach hinlegen sollen. Denn nun schnappte sich Alessandro eben dieses und schien es erneut lesen zu wollen. Rod sah ihn zweifelnd an und sein Zweifel wurde bestätigt. Doch was folgte war nicht abzusehen gewesen.
 

Die Worte hinsichtlich der Strafe kannte er letztlich schon. Es waren diejenigen, die er sich selbst oft genug gesagt hatte. Er hatte zwar dabei geholfen, Cromwells Untergang einzuleiten, aber dass sich Alessandro selbst bei ihm noch rächen wollte, damit hatte er fast schon gerechnet. Spannend wurde nur, worin diese Rache bestehen würde. Diese Bombe platzte sogleich. Die Worte des Kardinals waren überraschend und wie ein Faustschlag. Rod konnte nicht umhin, den anderen fragend anzusehen, ob er richtig verstanden hatte. Er sollte sich ausziehen? Sich entblößen bis er nackt war?
 

Ein tiefes Donnergrollen löste Rodrego aus seiner Starre und Alessandro verlieh seinen Worten Nachdruck, indem er damit drohte, seine Überfahrt zu verbrennen. "Nein!" Rod hob beschwichtigend die Hand, spürte, wie sein Herz heftig gegen die Brust schlug. Einen Moment starrte er in die Eiseskälte, die sich in des Kardinals ganzem Gesicht wiederspiegelte. In diesem Moment begriff er so richtig, dass Alessandro doch gestorben war. Dort, vor dem Altar in der Kapelle. Er war sein Mörder gewesen. Wie hatte er nur so lange hoffen können?!
 

Ein helles Licht durchzuckte den Raum und wenige Augenblicke später, rollte neuerlicher Donner hinterher, als Rod sein Hemd über den Kopf zog und seinen Oberkörper entblößte. Seine Erkenntnis gerade schmerzte, aber es machte auch einiges einfacher. Er hob das Kinn mit herausforderndem Blick und öffnete den Gürtel, der seine Hose hielt. Er war dünner geworden und so rutschte diese einfach hinab und er stieg nackt aus ihr heraus.
 

Rodrego blickte Alessandro unverwandt an. "Ist es das, was Ihr wollt, Kardinal? Meinen Körper? Wollt ihr mich schlagen, demütigen, mich verstümmeln? Oder wollt ihr gar Sex?" Er hob fragend die Augenbrauen. "Na los, macht mit mir was Ihr wollt. Vermutlich habt Ihr alles Recht der Welt dazu. Aber wird es Euch dann besser gehen? Wird es Euch helfen, wenn Ihr mir weh tut? Werdet Ihr ruhiger schlafen, wenn Ihr mich unterwerft? Werdet Ihr glücklich sein, wenn Ihr mich benutzt?" Rodrego zuckte mit den Achseln, als man hörte, wie vom aufkommenden Wind die Tür zuknallte. "Nur zu! Nehmt Euch, wonach Euch gelüstet. Aber sein Rodrego, Alessios Rodrego, ist mit ihm zusammen dort gestorben, dort vor dem Altar. Ich bin nur eine Hülle, ein Körper, nicht mehr und nicht weniger." Er war an den anderen herangetreten, hob nun die Hand und drückte die erhobene des anderen etwas nach hinten, so dass das Papier Feuer fing. Er wäre gefahren, in der Hoffnung, dass Alessio seinen Frieden finden würde. Aber wenn er nicht mehr existierte, dann konnte er genauso gut hier verrotten. Es war ihm mittlerweile alles egal.
 

Alessandro


 

Es kostete den Kardinal mehr als seine Selbstbeherrschung einfach nur dazustehen und Rod abwartend anzusehen. Der Schmied schien nicht genau zu wissen, was er von dem Befehl halten sollte, hatte ihn vielleicht im ersten Moment auch gar nicht richtig verstanden. Doch das Verständnis kam schnell, je näher das Papier der Flamme kam, die gierig danach züngelte. Bei Rods Nein! hielt Alessandro in der Bewegung inne und wartete ab. Noch einmal schien sich Rodrego zu vergewissern, ob es wirklich das war, was der Kardinal wollte, dann tat er es.
 

Der Donner übertönte Alessandros scharfes Ausatmen, als er sah, wie sich Blitz und Kerzenlicht auf Rodregos Oberkörper spiegelten. Er war so verdammt, verdammt attraktiv. Er hatte abgenommen, das sah Alessandro auch. Aber er sah vermutlich selbst unter der Robe nicht viel besser aus, nachdem auch er weniger gegessen hatte in den letzten Tagen, als wohl gesund gewesen wäre. Die gleichen "Strapazen" auch an Rod zu sehen, gab ihm ein klein wenig Genugtuung. Als der Schmied schließlich nackt vor ihm stand, bemühte sich Alessandro, immer noch mit der gleichen Kälte in sein Gesicht zu starren, auch wenn das wirklich schwierig war. Rodrego machte es ihm mit seinen Anschuldigungen zum Glück ebenfalls etwas leichter. Alessios kaltes Lächeln wurde zu einem leisen Lachen. "Ja... Ich sollte euch kastrieren - Das wäre in der Tat sinnvoll. Leider bin ich gerade allein und ich glaube, es wird schwer, Euch an den Füßen aufzuhängen, so dass sich dieser ganze Aufwand überhaupt lohnen würde." Im gruselte beinahe selbst dabei, wie locker ihm die Androhung von Gewalt von den Lippen ging, doch es war genau diese Eiseskälte, die ihn vor dem Schmerz bewahrte, der ihn auffraß.
 

Er fühlte wie Rodrego die Hand hob und nach seiner Hand mit dem Papier griff. Einen nackten Mann würde er wohl noch überwältigen können, deswegen wartete er ab. Rod griff tatsächlich nicht nach dem Dokument, sondern schob es stattdessen selbstständig über die Flamme. Die Flammen entfachten das trockene Pergament sofort und Alessio fühlte, wie die Luft um seine Finger immer heißer wurde. Er wusste, dass er loslassen musste, irgendwann. Noch nicht. Sein Blick starrte geradewegs in Rodregos Augen und erst als er die Hitze an den Fingern kaum noch ertragen konnte, ließ er das Dokument los. Im Fallen verwandelte es sich in feine Fetzen aus Asche, der Geruch von verbranntem Papier hing in der Luft. Rodregos Überfahrt, für die er so viel Geld gespart hatte, war dahin.
 

"Ihr seid so ein schrecklich schlechter Lügner." Alessio griff mit der Hand, die eben noch das Papier gehalten hatte nach Rods Kinn. Seine Finger waren heiß von der Flamme als sie über den Bart und das markante Kinn fuhren. "Es hat ihn nie gegeben, diesen 'Rodrego' von dem Ihr sprecht. Er war erfunden und gespielt von einem Mann, der glaubte, er könne damit Unrecht zu Recht werden lassen. Wie soll etwas sterben, das nie da gewesen ist? Ihr tut beinahe so, als habe Euch dieser Mann, dessen Name aus eurem Mund der größte Verrat überhaupt ist, etwas bedeutet, dabei war er für Euch nur Mittel zum Zweck." Von sich selbst in der dritten Person zu sprechen war zwar seltsam, machte es ihm aber sehr viel einfacher den Schmerz zu ertragen. Er stieß Rod mit den Fingern nach hinten und schnaubte verächtlich. Er brachte so wieder ein bisschen Abstand zwischen sie und musterte den nackten Mann, der noch immer vor ihm stand. Wie gern hätte er ihn angefasst, doch Rods Blick war so leer. So wie diese Liebe, die Alessio einmal geglaubt hatte, in ihm zu sehen. Er wollte sich umdrehen, wollte einfach nur gehen. Er ertrug es nicht, ihn anzusehen, ihn so zu sehen und er wusste doch so genau, dass Rod ihn nur benutzt hatte, doch er konnte nicht. Stattdessen brach die Wut und die Enttäuschung aus ihm heraus, als die Maske des Kardinals in sich zusammenfiel und Alessio ausholte, um Rodrego mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, einen so heftigen Rückhandschlag zu versetzen, dass es ihn beinahe selbst von den Füßen riss.
 

Rodrego


 

Alessio ist tot, Alessio ist gestorben und du bist sein Mörder! Das war es, was immer mehr in Rodregos Bewusstsein eindrang. Er war für immer fort! Zurück blieb dieser kalte Mann, der ihn sogar kastriert sehen wollen würde, wenn es die Umstände ihm gerade erlaubten.
 

Als seine Überfahrt verbrannte, fühlte er wieder diese grauenhafte Hoffnungslosigkeit, die ihm in den vergangenen Wochen das Leben so schwer gemacht hatte. Die Überfahrt war sein Versuch gewesen, seinem Leben wieder etwas mehr Sinn und ein Ziel zu geben. Jetzt würden die Stimmen in ihm wieder lauter werden, die ihn schon einmal einfach in den See hatten laufen lassen, in dem sie einmal gemeinsam gebadet hatten, an dem sie so glücklich gewesen waren. Er war einfach hineingelaufen, hatte sich nicht bewegt, als das Wasser zu tief zum Stehen wurde, war einfach untergegangen. Das Bild von Alessio, der ihn um Hilfe bat, hatte ihn in letzter Sekunde wieder nach oben rudern lassen. Aber jetzt? Jetzt, wo er begriff, dass sein Alessio tot war? Was würde ihn da aufhalten? Nichts. In gewisser Weise erleichterte ihn dieser Gedanke auch wieder.
 

Während er in diese kalten Augen blickte, merkte er, wie er sich sorgte, dass sich der andere verbrannte. Rodrego war verwirrt und sein gerade noch so stolzer Blick schwand einem erschrockenen. Wie konnte der Kardinal nur Alessios Körper so ohne weiteres misshandeln?! Seine Hand zuckte vor, um Alessios Fingern zur Hilfe zu eilen, als der Kardinal selbst das Papier doch noch fallen ließ und seine Hand ihn am Kinn berührte, während er ihn als Lügner titulierte. Erst Feigling, jetzt Lügner - aber vor allem ein Mörder, Alessios Mörder. Rod spürte deutlich, dass die Finger heiß waren, die an seinem Kinn entlang fuhren. Nun hörte er, was er zu hören bereits erwartet hatte. Aus dem einfachen Grund, weil alles andere unglaubwürdig wäre.
 

Geduldig hörte er sich die Vorwürfe an. Alessio war tot - aber nur ihm war er Rechenschaft schuldig. Was brächte es, dem Kardinal die Wahrheit sagen zu wollen? Nichts! Er würde ihn nur auslachen, verhöhnen, ihn weiter als Lügner verspotten. Gerne hätte er widersprochen, aber wozu? Dieser Mensch vor ihm würde ihm niemals glauben.
 

Rodrego senkte den Blick, um nicht mehr dieser Blick ertragen zu müssen, als er vom anderen vor die Brust gestoßen wurde und er leicht nach hinten taumelte. Seine des Lebens müden Augen sahen zu Boden, als er mit einem Mal einen heftigen, völlig unerwarteten Schlag ins Gesicht bekam. Sein Kopf schlug zur Seite und metallener Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Es fühlte sich an, als wolle sein Kopf bersten und doch reagierte sein Körper auf das Gefühl, der andere könne das Gleichgewicht verlieren. Sein Arm ergriff den Arm des Kardinals und stützte ihn leicht.
 

Als Rodrego seinen Blick wieder seinem Gegenüber zuwandte wurde ihm eines klar: Alessio war doch nicht gestorben. Denn genau das - diese Ohrfeige – hatte ihn aufgeweckt. Sie war richtig und vollkommen angebracht. Sie war in ihrem Ausdruck von verzweifelter Verletzung das ehrlichste, was hier im Raum hätte passieren können. Sein Verrat, der Verrat an seiner Liebe, verdiente diese Ohrfeige zutiefst. Endlich hatte er genau diese Strafe erhalten, die er wirklich verdient hatte.
 

Die Hand, die den Arm des anderen ergriffen hatte, um Alessandro zu stützen, zog ihn nun zu Rodrego heran. Er blickte Alessio suchend an, während seine Wange wummerte, sein Kopf schmerzte. "Du bist ja gar nicht tot", wisperte er. "Du bist nicht tot, sondern nur sehr, sehr tief unten vergraben, Alessio mio", wisperte er hörbar durcheinander. "Du bist noch hier, Alessio", wisperte er erneut und er sah, dass der Kardinal schwer kämpfte, um die Oberhand zu behalten. "Du magst mir glauben oder mich als Lügner beschimpfen, Alessandro Sforza, aber ich möchte dir nur noch eines sagen: ich habe dir meine Gefühle für dich nicht eine einzige Sekunde vorgespielt. Ich habe dich an jenem Tag im Stall wiedergefunden, nach so langer Zeit. Dich, der du mir verloren gegangen warst. Dich, den ich schon als Kind geliebt habe. Auch nachdem ich das gefälschte Todesurteil gefunden hatte, war mir immer klar, dass ich nicht spielen muss, nicht lügen muss. Denn alles, was zwischen uns gewesen ist, war echt, zumindest von meiner Seite aus. Ich liebe meinen Alessio, selbst jetzt noch. Ich liebe ihn an jedem Tag. Und nichts und niemand wird mir das zerreden. Ich wünschte nur, ich könnte es beweisen."
 

Alessandro


 

So tot wie Rodrego ihn glaubte, fühlte sich Alessandro tatsächlich. Er war erschöpft, sein Körper müde, seine Glieder schmerzten. Er sehnte sich nach einem weichen Bett und seligem Vergessen. Doch er wusste, dass er heute beides wohl nicht oder nicht zu seiner Zufriedenheit bekommen würde. Er hatte gar nicht so weit gehen wollen, wie er jetzt gegangen war. Er hatte Rod nicht angreifen wollen. Nicht, dass der Schmied diese Ohrfeige nicht verdient hatte, er hatte mehr Schläge als diesen einen verdient. Doch Alessandro hatte Angst vor der Auseinandersetzung, die nun unweigerlich folgen würde.
 

Aber war er nicht genau deswegen hierher gekommen?
 

Er wusste selbst nicht genau, was ihn dazu getrieben hatte, hier in Rods kleinem Haus zu erscheinen, zumindest wollte er es sich nicht eingestehen. Denn im Grunde war es einfach: er wollte, dass Rodrego sah, dass es "ihn" noch gab. Diese stumme Hoffnung, dass nicht alles in Rodregos Blick und seinen Taten Lüge gewesen war, die Hoffnung auf ein gutes Ende auch für sich selbst - ausnahmsweise einmal. Es war töricht, darauf zu hoffen, das wusste Alessandro selbst, aber er konnte einfach nicht anders. Jetzt war es wirklich so gekommen, dass Rodregos Worte wieder seine Maske hatten brechen lassen und er ausgerastet war. Er musste dringend hier raus!
 

Rods Hand griff ihn sachte am Arm und stützte ihn, als er taumelte, weil er nicht die Kraft für eine ausgewachsene Schlägerei hatte. Stattdessen fand er sich nahe an Rods nackter Brust wieder, atmete unabsichtlich tief den Geruch seiner Haut ein. Ein wenig roch Rodrego nach Bier aber sicher nicht so sehr, wie Alessandro nach Wein roch. Allerdings spielte das gerade wohl eine ziemlich untergeordnete Rolle. Er hob den Blick, nur um direkt in Rods Augen zu sehen. Dieses Mal nicht der kalte abgeklärte Kardinal sondern "Alessio". Als er diesen unsäglichen Namen, der immer wieder diese Wunde aufriss, erneut hörte, trommelten seine Hände mit der verbliebenen Kraft gegen Rodregos Brustkorb. Seine Stimme brach beinahe, als er versuchte sich von ihm zu schieben. "HÖR ENDLICH AUF, DIESEN NAMEN ZU SAGEN!" Es gelang ihm, sich etwas aus Rods Griff zu entwinden und sich seitlich wegzudrehen, auch um Rodrego nicht direkt zu zeigen, was seine Worte bei ihm bewirkten.
 

Genau das hatte er insgeheim doch hören wollen. Dass es nicht gelogen war, dass Rodregos Gefühle echt gewesen waren und dass er ihn wirklich und aufrichtig liebte. Der Kardinal in ihm tobte, weil Alessandro es auch nur in Erwägung zog, diesen Worten Glauben zu schenken. Seine Schultern zuckten, er war so verwirrt und so hin- und hergerissen. Wenn er seine Familie retten und beschützen wollte, dann brauchte er einen klaren Kopf und nüchterne Urteilskraft neben einer gehörigen Portion Egoismus und Brutalität. Aber wenn er danach noch als etwas anderes sein wollte, als eine leere Hülle, dann brauchte er Rodrego und das, von dem er glaubte, dass es wirkliche Liebe war. Er drehte sich wieder zu dem Schmied um, der noch immer nackt vor seinem Schreibtisch stand. Alessandros Blick glitt zu den Fetzen von Asche, die einmal Rodregos eigener kleiner Fluchtplan gewesen waren. War das nicht schon ein gewisser Beweis? Oder gehörte auch das nur zu dem Spiel, das Rodrego mit ihm spielte? War das überhaupt wichtig, wenn er dafür nur wenigstens ein paar Stunden das Gefühl bekam, mehr wert zu sein, als eine Hure an der Straßenecke? Alessandro wusste, dass er mit Menschen so umging. In Cambridge hatte er sich genau so verhalten und auch wenn er postwendend die Quittung dafür bekommen hatte, so war es doch so geschehen. Er ging nicht unbedingt mit gutem Beispiel voran, wenn es darum ging, sich für die Belange anderer einzusetzen. Verdiente er es überhaupt das Gefühl zu bekommen, mehr Wert zu sein, wenn er andere stets behandelte, als hätten sie keinen Wert für ihn? Andererseits hatte er Rodrego dieses Gefühl nie gegeben. Gerade von ihm so abgefertigt worden zu sein, war damit nur umso schlimmer gewesen. Wieso hatte er Rod gesagt er solle sich ausziehen? Es half definitiv nicht seiner Konzentrationsfähigkeit!
 

“Wieso hast du es nicht gesagt, als du Nico und mir von Cromwell erzählt hast? Wieso hast du gesagt, dass ... dass das alles nur gelogen war, warum?" Er sah langsam auf und hatte es geschafft, den berechnenden Blick aus seinem Gesicht zu verbannen. Zurück blieb ein abgekämpfter und unendlich müder Alessandro. "Wieso hast du mir diesen Schlag versetzen müssen, ich verstehe es nicht. Du stehst hier vor mir und sprichst von Liebe und hast mich doch so sehr verraten. Wie soll ich dir jemals, JEMALS wieder vertrauen, nachdem du mir über Wochen all das verheimlicht hast?”
 

Rodrego


 

Rodrego wehrte dich nicht, als der andere mit nicht wirklich viel Kraft begann, auf seine Brust einzuschlagen. Er hatte gerade seinen Alessio wiedergefunden. Dieser hatte alles Recht der Welt, ihn zu schlagen, nach allem, was er ihm angetan hatte. So hatte er nur schützend die Hände an Alessios Hüfte gelegt, falls dieser wieder taumeln würde. Der Italiener war entkräftet, er hatte sich noch nicht wirklich von der Vergiftung erholen können und er hatte heute ohnehin einen Kraftakt geleistet. Der Alkohol, den man deutlich roch, tat sein Übriges. Dann war da noch das Emotionale, das dem wunderschönen Mann vor ihm den Rest gab. Das hörte er deutlich, als dieser ihn anschrie, ihn nicht mit seinem Kosenamen anzureden. Die Stimme klang nicht mehr kalt und berechnend, sie klang verzweifelt und völlig entkräftet. Sie schmerzte ihn unsäglich.
 

Als Alessio sich von ihm distanzieren wollte, konnte er nicht umhin, ihn loszulassen, und Rodrego musste hart schlucken, als er seinen Alessio dort so stehen sah. Er sah, dass er mit sich rang und jetzt würde sich zeigen, wer stärker war: der Kardinal oder Alessio. Rod blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten, was geschah. Bei dieser Entscheidung durfte er sich nicht einmischen. Diese Entscheidung musste Alessandro selbst treffen. Rodregos Kopf schmerzte noch immer und langsam begann er zu frieren. Der Wind draußen war noch immer stark, doch jetzt hörte er, wie der Regen langsam einsetze und mit einem Mal sintflutartig auf sein Hausdach stürzte, gefolgt von Blitz und Donner. Aber das alles war in diesem Moment nicht wichtig. Wichtig war nur, wie sich Alessandro entscheiden würde.
 

Als dieser wieder zu sprechen begann, kam die Frage, vor der er sich am meisten gefürchtet hatte. Aber es war eben auch die Frage, die am berechtigtsten war. Es war die Frage nach der größten Lüge seines Lebens und er schämte sich so sehr dafür. Das "Wieso?!" war im Nachhinein betrachtet nicht erklärbar. Er war so blind und dumm gewesen.
 

“Weil ich so dumm war, zu glauben, dass du wirklich für den Tod meiner Mutter und damit für das Schicksal meiner Familie verantwortlich warst.”
 

Er zögerte kurz. "Ich war so blind vor Wut, dass ich dich verletzen wollte. Ich hatte mir einreden lassen, dass der Mann, den ich liebe, ein doppeltes Spiel mit mir spielen würde. Ich dachte, du hättest mich mit deiner Liebe betrogen. Wenn dem nicht so wäre, wollte ich wenigstens, dass du siehst, wie schmerzhaft es ist, wenn man verliert, was man so sehr geliebt hat. Ich dachte, es würde sich gut anfühlen, aber es brachte nur noch mehr Schmerzen. Diese dumme Rache nahm mir erneut, was ich am meisten geliebt habe. Als sich dann noch herausstellte, dass alles eine Lüge war, wusste ich gar nicht mehr, wie ich nur so unfassbar dumm hatte sein können. Ich hatte gezweifelt, wo ich nie hätte zweifeln dürfen. Ich hatte zerstört, wo ich nie hätte zerstören dürfen. Ich hatte gelogen, wo ich nie hätte lügen dürfen." Er schwieg kurz, dann griff er nach seiner Hose und zog sie an, das Hemd folgte. "Ich weiß nicht, wie ich wieder gut machen kann, was ich gemacht habe. Ich kann dich nicht bitten, mir zu vertrauen. Ich wünsche es mir, ja! Aber ob du es tust, das musst du selbst entscheiden." Er war bei diesen Worten wieder einen Schritt auf Alessandro zugegangen. "Ich kann nur beteuern, dass ich dich unendlich vermisse. Ich vermisse deinen Geruch, deine Haare, die mich leicht kitzeln, vermisse deine frechen Finger, das Heben und Senken deiner Brust, wenn du friedlich neben mir schläfst. Ich vermisse deine Zärtlichkeit, deine Wärme gleichermaßen wie deine Stärke und Entschlossenheit. Ich vermisse es, mit dir baden zu gehen und dich ein wenig aufzuziehen. Ich vermisse es zu wissen, dass egal wie du den anderen gegenüber auftrittst, ich es bin, bei dem du du selbst bist." Rodrego betrachtete das schöne Gesicht vor ihm, das so aussah, als müsste Alessio einfach mal wieder wirklich friedlich schlafen. Er hob die Hand und strich Alessandro sanft über die Wange. Er merkte, dass seine Hand leicht zitterte, dass er Angst hatte, gleich zum Teufel gejagt zu werden. Aber wenigstens hatte er es dann versucht. Vielleicht machte es dann doch wieder alles ein wenig leichter.

London 3 - Omnia Vincit Amor

Alessandro


 

Dass er eine Entscheidung zu treffen hatte, war ihm in seiner ganzen Karriere nie so klar gewesen wie jetzt. Er war immer irgendwie durchgekommen, hatte sich nie für eine Sache endgültig entscheiden müssen, aber hier ging es um ihn selbst und nicht um andere Menschen. Es ging nur um ihn und darum, wie er in Zukunft sein Leben weiterhin führen wollte und konnte. Als er sich Rodrego wieder zuwandte, bemerkte er, dass der Schmied fröstelte. Ihm selbst war nicht kalt, aber die rote Robe, die er noch immer trug, wärmte wirklich hervorragend. Er erinnerte sich daran, als er sie anprobiert hatte und sich beinahe beschwert hatte, dass nur noch die Windel fehle. Jetzt empfand er die Umarmung des Stoffes doch irgendwie als angenehm und den Schnitt wirklich gut. Aber Rod fror. Oder hatte er Angst davor, Alessandro die Wahrheit zu sagen und zitterte deswegen?
 

Rodregos Ehrlichkeit kurz darauf überraschte den Kardinal dann doch. Wieder fühlte er, wie das logische Denken, das ihm anerzogen worden war, versuchte, in dem Gesagten einen weiteren Geniestreich eines Strategen zu erkennen. Natürlich war Rodrego eine gute Wahl gewesen, das hatte er selbst schon festgestellt. Dass er ihm das jetzt beichtete, so als täte es ihm unheimlich leid, macht ihn misstrauisch. Würde er noch einmal eine Waffe zücken, um ihn damit endgültig unschädlich zu machen? Dass er beinahe paranoide Züge annahm, wurde ihm nur allzu schnell bewusst, als er versuchte sich zusammenzureißen und die Dinge mit etwas Abstand zu betrachten. Was Rodrego sagte, hatte durchaus Hand und Fuß und war seiner eigenen Dämlichkeit zu verdanken. Dafür hatte jener noch weitere Ohrfeigen verdient und eigentlich ruhig eine Nacht nackt draußen. Aber was er sagte und wie er es sagte, das war ernst gemeint. Schauspieler waren immer Nico und er gewesen, nicht aber Rodrego. Der hatte sein Herz immer auf der Zunge getragen und Alessandro war sich sicher, sich ziemlich in Rod täuschen zu müssen, wenn diese Worte nur erfunden oder auswendig gelernt waren. Der Schmied meinte es ernst, was Alessandro zwar innerlich unglaublich erwärmte, aber ihm die Angst vor einem erneuten Betrug nicht gänzlich nehmen konnte.
 

Er konnte ihm nicht einfach so vertrauen, das wusste er selbst. Nicht hier. Nicht hier, wo Rodrego ständig wieder an Männer geraten würde, die ihn mit Informationen oder Geld locken konnten, oder mit Dingen, die ihm selbst noch wichtiger waren. So abwesend und nur auf das Gesagte fixiert, bemerkte Alessandro gar nicht, dass Rod sich wieder angezogen hatte. Erst als der vor ihm stand bemerkte er, dass der Mann nicht mehr nackt im Raum stand. Schade eigentlich...
 

Als Rod die Hand hob, zuckte er automatisch zurück. Er hatte tagelang, nächtelang versucht, diese Berührung zu vergessen und sie gleichermaßen so unglaublich dringend herbeigesehnt. Als er Rods Finger auf seiner Wange spürte fühlte er die Gänsehaut, die von dieser Stelle durch seinen ganzen Körper kroch. Langsam hob er die eigene Hand, griff Rodregos Hand und schien sie im ersten Moment wegziehen zu wollen, ehe er sie nur näher an seine Wange drückte und sich hineinlehnte. "Was hat es mir gebracht, ich selbst zu sein..?", fragte er tonlos und sah wieder zu Rod auf. Es dauerte einen ganzen langen Moment lang, ehe Alessandro die andere Hand hob und über Rodregos Brust strich. "Hatte ich eigentlich gesagt, dass du dich wieder anziehen kannst?" Sein Mundwinkel zuckte, nur ganz leicht - aber immerhin der Versuch eines ehrlichen und keines gekünstelten Lächelns.
 

Rodrego


 

Rodrego spürte, dass Alessios Entscheidung für oder gegen ihre gemeinsame Zukunft gerade auf Messers Schneide stand. Als er die Hand gehoben hatte, war der andere etwas zurückgewichen, aber immerhin hatte er ihn doch berühren dürfen. Als Alessandro daraufhin selbst die Hand hob und auf die seine legte, wartete Rodrego ab. Würde er seine Hand wegziehen oder würde er sie festhalten?
 

Rodrego spürte, wie sein Herz schneller schlug, als der andere seine Hand festhielt und sich dagegen schmiegte. Oder hatte sein Herz vorher schon so heftig geschlagen? Er konnte es gar nicht sagen. Im Moment war das auch egal, viel wichtiger war, dass Alessio sich an seine Hand schmiegte und er ein Kribbeln im Bauch verspürte, das ihm durch und durch ging. Er sollte sich lieber noch nicht zu früh freuen. Was, wenn er nur geprüft wurde? Wenn der Kardinal... Nein, das hier war Alessio, sein Alessio.
 

"Alessio mio", wisperte er, während der Regen hart gegen die Fensterscheiben schlug.
 

Als er die Frage des anderen hörte, schluckte Rodrego leicht. "Du hast dir einen dummen Idioten damit für immer ans Bein gebunden, der ziemlichen Mist gebaut hat und hofft, dir in Zukunft nur ansatzweise das bieten zu können, was du dir verdient hast. Ich weiß, das ist eigentlich nicht viel, aber vielleicht genügt es dir ja, mich für immer dein eigen nennen zu dürfen."
 

Rodrego erwiderte den Blick des anderen ruhig, abwartend, bis er die Hand des anderen auf seiner Brust spürte und erleichtert ausatmete. Dessen Worte ließen ihn lächeln und dass auch Alessio ihm einen Moment ein Lächeln schenkte, war mehr als jede Antwort, die er sich hatte erhoffen können. Rodrego ließ seine Hand von der Wange nach hinten durch die Haare in den Nacken gleiten. Mit sanfter Bestimmtheit zog er Alessandro in eine ersehnte Umarmung. Tief sog er den Geruch des anderen ein, den er so vermisst hatte. Obwohl er sich so verdammt erschöpft fühlte, hatte er gleichzeitig das Gefühl, alles stemmen zu können - komme was wolle.
 

"Hast du nicht", sprach er leise in die Haare des anderen, in denen er sein Gesicht vergraben hatte. "Aber du kannst mich jederzeit wieder ausziehen." Er schmunzelte, auch wenn ihm klar war, dass Sex heute hier eigentlich absolut gar nicht passte. Leicht löste er sich vom anderen, nur so weit, dass er ihn ansehen konnte. Noch immer war Alessio hier in seinen Armen, nicht der Kardinal, und das würde auch so bleiben, da war er sich sicher. Sanft küsste er den anderen. "Lass uns ins Bett gehen. Ich möchte dich die ganze Nacht nicht mehr loslassen." Mit diesen Worten hob er den anderen hoch und trug ihn in sein Schlafzimmer.
 

Alessandro


 

Er konnte sich gar nicht gegen Rodrego entscheiden. Das hätte ihn vermutlich selbst einfach zu sehr getroffen und es ging hier schließlich darum, sich mehr aufzuraffen und sich nicht noch weiter zu Grunde zu richten. Rodrego ließ ihn jetzt natürlich nicht fallen. Als der Schmied sagte, was sich Alessio mit ihm angetan hatte, musste der Italiener tatsächlich grinsen. "Ja... vermutlich habe ich das getan... und ich denke für den Anfang wird mir das genügen müssen." Er fühlte wie die Müdigkeit immer weiter in ihn hineinkroch und seine Gedanken träge werden ließ. Als Rod ihn an sich zog, konnte Alessio nicht anders als sich gegen ihn zu lehnen und sich in die Umarmung zu schmiegen.
 

Es tat so unendlich gut ihn zu spüren und die Wärme zu spüren, die diese Umarmung wieder in ihm auslöste. Es war einfach richtig. Auch auf die Gefahr hin, dass er ihm wieder wehtun würde, dass es vielleicht nicht für immer war - für heute Nacht wollte er einfach glauben, dass alles wirklich so war, wie Rodrego es ihm gesagt hatte. Auf Rodregos folgende Worte musste der Kardinal wirklich lachen. "Das werde ich tun... Das werde ich wirklich tun...", gab er zurück und schob die Hände unter Rodregos Hemd. Schließlich wollte der Mann das Hemd kaum im Bett anlassen, oder?
 

Auch wenn es nicht um Sex ging: weder konnte Alessandro das körperlich leisten, noch würde er das jetzt schon wieder zulassen können. Selbst Rodregos Alessio tat das immer noch weh... und es würde sicher eine Weile dauern, bis er sich dem Schmied wieder so hingeben konnte, wie er das vor Wochen noch hatte tun können.
 

Als Rods starke Arme ihn anhoben, wollte sich Alessio erst beschweren, doch er ließ es schließlich doch. Er fühlte sich wackelig auf den Beinen nach diesem Streit und auch der übermäßige Alkoholkonsum war nicht ohne Folgen an ihm vorbei gegangen. Deswegen war er wirklich dankbar, dass Rod ihn trug. Als der ihn wieder absetzte, fing Alessandro an, die Robe abzustreifen, während Rodrego die Kerzen löschte und die angenehm kühle Luft ins Schlafzimmer hineinließ. Als der Schmied wieder eintrat und nur das schwache Licht der Kerzen im Schlafzimmer den Raum erhellte, lächelte Alessio ihn beinahe unsicher an. Rod kam auf ihn zu und Alessio ließ zu, dass der Schmied die Robe von seinen Schultern striff und ihn mit auf das Bett schob. Alessandro schloss die Augen und konzentrierte sich nur noch auf das Gefühl, das Rodregos Lippen und seine warmen Hände in ihm hinterließen, als der Schmied sich mit ihm auf das Bett kuschelte und er zumindest für den Moment vergaß, welche Sorgen ihn plagten.

London 3 - Regen

John


 

Zum Glück gab es Alkohol in rauen Mengen, guten Alkohol: Leckeren Rotwein, wunderbaren Grappa und irgendwas, was ziemlich kräuterig schmeckte und von allen nur als "Aquavit", also "Lebenselixier" betitelt wurde. Scheiß drauf - runter mit dem Zeug!
 

Anders konnte er das hier heute irgendwie nicht ertragen. Obwohl die Leute nett waren. Kierans Familie ja sowieso, aber auch die Angestellten des Sforza-Hauses waren sehr umgänglich. Hauptsache er war abgelenkt von diesem zuckersüßen Pärchen auf der Tanzfläche, bei dessen bloßem Zusehen man Karies bekam. Gott, er gönnte ihnen ja ihr Glück, so war es nicht. Er war auch glücklich darüber, dass der Idiot namens Dominico endlich Farbe bekannte. Aber momentan hatte er einfach keinen Nerv für Love-Stories mit Happy-End.
 

Als er mitbekam, dass ein Gewitter aufzog, entschuldigte er sich von seiner Runde, mit der er sich gerade unterhalten hatte, und trat hinaus auf die Terrasse. Er mochte Sommergewitter, sie hatten so etwas Reinigendes. Aber eigentlich hatte er heim gewollt und im Dunkeln waren ihm trockene Wege zu Pferd einfach sicherer, als rutschige und nasse. Er war kein geübter Reiter. Aber gut, dann würde er halt im Labor schlafen. Sein Vater würde erst morgen gegen Mittag zurückkehren, da blieb noch genug Zeit, ein wenig für Ordnung zu sorgen.
 

Er inhalierte tief den Rauch der Zigarette, die er sich geschnorrt hatte, und beobachtete das Wetterleuchten am Horizont.
 

Wie lange Kieran wohl noch bei ihnen zu Hause bleiben würde? Wann würden die Sforzas hier in England nicht mehr bleiben wollen und können - bei der derzeitigen Entwicklung? Würde der Kleine Dominico nach Italien begleiten? John fiel auf, dass sie schon lange nicht mehr über solche Dinge gesprochen hatten. Er trank einen Schluck von dem Rotwein und stellte das Glas auf einem Tisch ab. Er sollte langsam aufhören, wenn er morgen noch zu etwas zu gebrauchen sein wollte.
 

Tancrèd


 

Wein gab es tatsächlich und auch Tancrèd sprach dem Wein recht gut zu. Warum er das tat? Vielleicht aus ganz ähnlichen Gründen wie John. Er saß mit Giulia an der langen Tafel, die Dame hatte Amadeo neben sich und unterhielt sich immer wieder auf Italienisch mit ihm. Tancrèd verstand die Sprache zwar ein wenig, doch so schnell, wie die Worte aus Giulias Mund flossen, konnte und wollte er nicht folgen. Damit hatte er nicht mehr zu tun, als auf die Tanzfläche zu starren, wo zwei Männer die Welt um sich herum nicht mehr wahrnahmen. Es freute ihn, Kieran so zu sehen... und so sehr er es dem jungen Mann gönnte, so sehr grämte es ihn selbst. Er war einmal in den Genuss gekommen, Kieran selbst zu spüren, und er hätte sicher nichts dagegen gehabt, es nochmal zu tun.
 

Es lag nicht an Kieran selbst, sondern mehr an der Tatsache, dass er immer alleine war. Auf dem Schiff hatte er durchaus die Möglichkeit, sich abzureagieren, aber.. er wollte das da. Er wollte jemanden ansehen und wissen, dass es Gefühle waren und nicht nur Lust. Diese Gedanken ließen sich nur in Alkohol ertränken, so traurig das auch war. Außerdem war da immer noch dieser hochgewachsene braunhaarige Mann, der dort am anderen Ende des Raumes stand und es vermied, ihn anzusehen. John gab sich ordentlich die Kante, das konnte Tancrèd selbst von hier sehen.
 

Draußen erhellte ein Blitz die Dunkelheit und die Gesellschaft zuckte einen Moment lang zusammen, ehe die Feier einfach weiterging und die Leute sich sogar über das kühlende Gewitter freuten. Nur John nicht.. der sah nicht sehr begeistert aus dem Fenster. Der Regen, der kommen würde, vor allem aber das Gewitter, würden ihn, genauso wie Tancrèd, an das Anwesen fesseln. Der Weg nach London führte über flaches Land und das war bei den Blitzen keine besonders gute Idee.
 

Als John hinausging, erhob sich Tancrèd. Für seinen Geschmack hatte das Schweigen, das John ihm sozusagen aufdrückte, lange genug gedauert. Er entzündete sich seine Zigarre an einer Kerze auf dem Weg hinaus und nahm sich einen Becher mit Wein im Vorbeigehen von dem Tablett eines Dieners, während er John folgte. Draußen blies tatsächlich ein angenehm aufgefrischter Wind die Wolkenberge vor sich her und türmte sie immer höher auf, während Blitze die Himmelsgiganten erhellten. Es wirkte beinahe so, als würde Gott selbst die Faust schütteln. Tancred schloss die Augen und atmete tief durch, fühlte wie die Brise ihn an das Schiff erinnerte, auch wenn die wankenden Bohlen unter seinen Füßen fehlten. John stand allein auf der Terrasse und schien die Einsamkeit, in der er sich befand, zu genießen. Tancrèd schlenderte scheinbar zufällig neben ihn. "Du schuldest mir mindestens ein Hemd... und ein Spiel." Durch den Zug an der Zigarre erglühte deren Ende und erhellte sein Gesicht etwas.
 

John


 

John überlegte gerade, ob er überhaupt noch einmal hineingehen wollte oder lieber durch das Gewitter spazieren sollte, um wieder etwas klarer im Kopf zu werden, als jemand neben ihn trat. Als er zur Seite blickte, stand kein geringerer als Tancrèd neben ihm. John seufzte leicht.

Eigentlich hatte er versucht, den anderen Mann für heute komplett aus seinem Kopf zu verbannen, aber es war ihm nur bedingt geglückt. Es war ihm mehr als klar gewesen, dass es sich nicht vermeiden lassen würde, auf den anderen zu treffen. Irgendwann mussten sie reden. Aber John wusste immer noch nicht, was er eigentlich wollte, vom anderen oder auch für sich, oder überhaupt.
 

Es ist nie kompliziert
 

Was Tancrèd damit hatte sagen wollen, war ihm klar. Aber er wusste einfach noch nicht, ob es gut war, dass sein Kopf sich ihm in den Weg stellte, oder nicht. So war sein Blick auch ziemlich neutral, als er leicht nickte, um den anderen zu begrüßen, als dieser auch direkt zu sprechen begann.
 

John hob erstaunt eine Augenbraue. Wie schaffte es dieser Mann nur immer wieder, etwas zu ihm zu sagen, was ihm auf Anhieb sympathisch war. Das machte ihm nichts leichter.

Ein Schmunzeln legte sich auf seine Lippen, bevor er den letzten Zug seiner Zigarette nahm und diese dann ausdrückte. "Tu ich das, ja? MINDESTENS eines, ja?", fragte er nach und drehte sich dem Mann neben sich zu, in dessen Augen sich das Glimmen seiner Zigarre spiegelte. "Und auch noch ein Spiel, na du stellst ja Ansprüche!" Einen Moment ruhten seine Augen in dem des anderen. Es war wirklich schwer für ihn, diesem Mann einfach nur eine Abfuhr zu erteilen. Genau das machte alles so kompliziert. Er wollte sich gerne noch einmal auf ihn einlassen, ihn spüren und kosten und seine - wie Kieran sagen würde - Höflichkeit genießen. Er würde gerne einmal gegen seine Prinzipien verstoßen. Dennoch: es gab zu viele "Aber" in seinem Kopf. Das größte Aber war momentan, dass er noch keine Zeit gefunden hatte, sich mit dem auseinander zu setzen, was ihm bewusst geworden war, als er ins Wasser gestürzt war. Tancrèd war nie darauf eingegangen, was er zu ihm gesagt hatte, als er ihn aus dem Wasser gefischt hatte. Aber all das verband er direkt mit dem Kapitän. Die Arme, die ihn nach Hause gebracht hatten und der Körper, der ihm nicht nur Wärme sondern Halt gespendet hatte. Und die Worte, die ihn beruhigt hatten. Wenn er sich wirklich noch einmal auf Tancrèd einlassen würde, dann würde es für ihn bedeuten, sich von London lossagen zu können. Das würde er nur können, wenn er sich mit seinem Vater auseinandergesetzt hatte. John hob die Hand und strich sich kurz die Haare aus der Stirn. Viel zu viele Gedanken für den Alkoholpegel, den er gerade hatte. Viel zu viele. Er schüttelte leicht den Kopf, um sie zu vertreiben.
 

“Ich muss leider gestehen, dass ich zumindest das eine Hemd vergessen habe, mitzunehmen." Er zog sich sein eigenes kurzerhand über den Kopf und reichte es dem anderen. "Aber zur Not könntest du das hier als Pfand nehmen, bis wir zu einem Austausch kommen oder das Spiel beenden.”
 

Wenn er ehrlich war, stand das Spiel mit dem exakt richtigen Spielstand in seinem Zimmer auf dem Tisch und John fand sich manchmal dabei, wie er am Tisch stand und Spielzüge berechnete. "Deinen Einsatz habe ich auch noch zu Hause. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, dich um dein Geld UND dein letztes Hemd gebracht zu haben." Abwartend blickte er den anderen an, während sich die Wolkentürme unter Blitz und Donner immer höher aufbauten und es kurz davor war, einen heftigen Wolkenbruch zu geben.
 

Tancrèd


 

John schien nicht direkt die Flucht ergreifen zu wollen, als er ankam, was Tancrèd zumindest jetzt als gutes Zeichen deutete. Nachdem ihm der hochgewachsene Arzt schon die ganze Zeit aus dem Weg gegangen war, hatte er angenommen, dass John auch jetzt nur eine patzige Antwort für ihn übrig haben würde, aber er wollte es zumindest versucht haben.
 

John jedoch überraschte den Kapitän damit, dass er gar nicht wirklich patzig war. Hatte er sich den genervten Gesichtsausdruck am Mittag nur eingebildet? Eigentlich war er ziemlich feinfühlig, was das anging und immerhin wusste er, was John im Geheimen von seiner Hartnäckigkeit hielt. Umso überraschter wanderte seine Augenbraue nach oben, als der Jüngere das Hemd auszog und es ihm reichte. Tancrèd hielt es mit Abstand vor sich und musterte es, ehe sein Blick genauso prüfend über Johns nackten Oberkörper strich. Wenn der ihm schon so präsentiert wurde, dann musste man doch auch hinsehen.
 

“Eine nette Geste.." Langsam führte er die Hand in der er das Hemd hielt zum Gesicht, fixierte John mit seinem nicht abgedeckten Auge und sog tief Luft ein, ehe er das Auge genießerisch schloss. "Hmn.." Er hielt es wieder vor sich und schmunzelte dann. "Ich fürchte, es wird ein bisschen eng um die Schultern sitzen. Aber als Pfand nehme ich es gern. Und das Geld interessiert mich bei weitem nicht so sehr, wie das Spiel in das wir doch so vertieft gewesen sind.”
 

Tancred lehnte sich mit der Hüfte seitlich gegen die Balustrade der Terrasse und sah hinunter auf den von Fackeln erleuchteten Hof. Wenn es wirklich regnete, würde der Hof bald im Dunkeln liegen, doch der Erde würde der Wolkenbruch sicher sehr gut tun. Auf der anderen Seite des Hofes konnte Tancred einige Burschen ausmachen, die letzte Pferde von den Koppeln in die Stallungen brachten.
 

Nach einer kurzen Pause und einem langen Zug an der Zigarre sah Tancred wieder zu John, der noch immer halb nackt neben ihm stand. Er war ein schöner Mann und im Licht der Blitze wirkte sein Oberkörper so fein als habe man ihn aus Marmor gefertigt. "Ich bin mir sicher, es würde sich ein Spielbrett finden lassen... und einen Raum, in dem wir ungestört spielen können sicherlich auch. Nachdem du allerdings nicht so aussiehst, als hättest du viel mehr zu setzen, als dein Hemd, glaube ich, wir sollten das lassen. Am Ende musst du noch dich selbst zum Einsatz bringen."
 

Wieder leuchtete das Ende seiner Zigarre auf und erhellte den frechen Blick seines Auges. Das andere juckte unter der Augenklappe... es war einfach viel zu warm. Obwohl er recht leichte Kleidung trug, hatte er schon auf dem Turnier geschwitzt. Unter der ledernen Klappe war es wirklich sehr unangenehm. Am liebsten hätte er sie einfach weggelassen, doch bei einem gesellschaftlichen Ereignis wie diesem ging das leider nicht, selbst wenn es so informell war, wie dieses kleine Volksfest. Er hatte immerhin eine gewisse Rolle zu verkörpern und wollte niemanden mit dem trüben Auge abschrecken... aber vor John? Wieso sollte er sich vor ihm verstellen? Erstens war John Arzt und hatte wohl das geringste Problem damit und zweitens war er eigentlich der Meinung, dass - so denn seine Annäherungsversuche irgendwann von Erfolg gekrönt sein würden - John dieses kleine Manko kaum interessieren durfte. Er griff hinter das Ohr und löste den Knoten, der die Augenklappe an Ort und Stelle hielt, und steckte sie in die Tasche, ehe er kurz über das Auge rieb und es dann öffnete.
 

John


 

Eine nette Geste - John lachte innerlich, während sein Gesichtsausdruck kühler wurde. 'Nett' war bei John kein besonders gern gehörtes Wort. Immerhin versprach er Tancrèd hier gerade, dass sie dieses Spiel noch einmal beenden könnten. Etwas, was er heute Mittag noch gar nicht bereit gewesen wäre, dem anderen zu geben. Immerhin nahm der andere das Hemd, nur um damit etwas zu tun, was John eine Augenbraue heben ließ - er roch daran. Hatte es der andere so nötig? Er kannte solches Geplänkel eigentlich nur vom Strich, wo man mit der Hure, die man umgarnte, auf ähnliche Weise flirtete. Die Worte des anderen lenkten ihn davon ab, es ihm wieder weg zu nehmen. Aber der Unmut, den er gedacht hätte, mit dem Alkohol ein wenig heruntergespült zu haben, regte sich ganz enorm im Bauch und der Wille, dem anderen doch eine Chance zu geben, damit der Abend hier am Hof - schließlich saß er hier fest - wenigstens noch ein wenig interessanter werden würde, schwand etwas. "Na dann hoffe ich, dass du es nicht anziehen musst, weil du nichts anderes mehr hast", kommentierte er spöttisch die Bemerkung hinsichtlich der Schulterbreite.
 

Das Spiel interessierte ihn also? Hatte sich Tancred also gut amüsiert? John hatte jenes Spiel oder eher alle gemeinsam gespielten Spiele in Gedanken immer wieder Revue passieren lassen und ihm war sehr bewusst, dass Tancrèd ein ebenbürtiger Gegner gewesen war, der ihn erst im Glauben gelassen hatte, das Spiel nicht so weit zu durchschauen, wie John, nur um ihn dann mit unlauteren Mitteln abzulenken und so in Bedrängnis bringen zu können. Zuletzt waren sie aber gleichauf und die Entscheidung wäre einfaches Würfelglück gewesen. John hatte sich in den letzten Tagen auch gedacht, dass er gerne noch einmal mit Tancrèd spielen würde. Einfach, weil er ein Gegner auf Augenhöhe war. Gegen ihn zu spielen wäre wenigstens mal wieder eine Herausforderung, der sich John gerne stellen würde. Aber heute hatte er schon deutlich mehr getrunken als in jener Nacht. Ob das so sinnvoll wäre?
 

Aber während er sich über die Zurechnungsfähigkeit seines Verstandes Gedanken machte, ließ Tancred das Spiel aus dem Grund fallen: weil er nichts zum Einsetzen hatte? Deshalb sollten sie es lassen? Und mit jedem Wort, das folgte, wurde der Gesichtsausdruck Johns versteinerter. Von wegen, ihn interessiere das Spiel. Begriff er da recht, dass es dem anderen nur um ihn - NEIN! - um seinen Körper ging? Um dann was mit ihm zu machen, wenn er gewann? John regte sich einen Moment nicht, betrachtete das Auge, das ihn da mit einer Frechheit ansah, die er unter anderen Umständen vielleicht aufgegriffen hätte, die ihm aber im Moment nur derb aufstieß. Unfähig gleich zu reagieren, beobachtete er, wie der andere sich von seiner Augenklappe befreite, und wartete, bis er ihn wieder ansah.
 

Ein Lächeln zierte Johns Lippen, als er einen Schritt auf Tancred zuging und sich leicht vorbeugte. "Nadim, mein Freund", wisperte er ihm ins Ohr und blickte auf seine Hand, die dem anderen sacht über die breite Brust strich, "es ist wirklich angenehm zu wissen, dass dir unser Spiel so viel Spaß gemacht hat und offenbar einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Ich muss sagen, dass du wirklich gut gespielt hast. Du bist ein würdiger Gegner, mit dem ich mich gerne noch einmal gemessen hätte." Der wohlbekannte Geruch Tancrèds stieg ihm in die Nase und er nahm wieder etwas Abstand zum anderen, um ihn anzusehen. "Aber weißt du, Tancrèd, eines würde ich nie machen: mich wie eine Hure selbst als Preis setzen. Und irgendwie kann ich mir des Gedankens nicht erwehren, dass es dir dann gar nicht wirklich um das Spiel ginge, sondern nur darum, mich zu gewinnen. Und was würdest du dann machen? Was würdest du machen, wenn du mich gewinnst?" Fragend sah er den anderen an. "Nimm mein Hemd, such dir einen Arsch, der es anzieht, und fick ihn! Dann hab ich vielleicht endlich Ruhe von dir, Arschloch!" Der Groll in seinem Magen wuchs und schmerzte ihn schon fast. Was war er für den anderen? Worum ging es dem anderen? Ihn zu besitzen? Nur darum, ihn noch einmal zu ficken? John merkte, dass er irgendwie enttäuscht war, bei dieser Erkenntnis. "Ich hoffe, du bekommst deinen Freibrief bald, damit du endlich verschwindest."
 

John wendete sich ab und stieg die Treppe hinunter zum Hof. Es hatte angefangen zu regnen und die Regentropfen prasselten hart auf seine nackte Haut. So ein Vollpfosten! So ein Idiot! So ein... Argh! Und er machte sich Gedanken, ob er sich noch einmal auf ihn einlassen sollte! Etwas in ihm jubelte, endlich einen Grund gefunden zu haben, Tancrèd endlich komplett vergrault zu haben, während ein anderer Teil seltsam dumpf schmerzte.
 

Tancrèd


 

Der Kapitän wusste, dass er den jungen Mann absichtlich provozierte. Er sah schon, dass seine ersten Worte und vor allem das Riechen an Johns Hemd diesem etwas übel aufstießen, doch seine wohl gewählten Worte gefielen John überhaupt nicht. Tancred hatte sich das gedacht und hatte bereits mit einer gepfefferten Antwort gerechnet, die er dann auch genau bekam. Und, so glaubte er, damit auch eine Antwort auf die Frage zu bekommen, warum John grundsätzlich gegen so etwas wie Beziehungen war. Vielleicht war es nicht der Hauptgrund, sicher aber einer der Gründe. Er wollte keine Hure sein, sich nicht verkaufen und sich generell niemandem "hergeben". Er hatte eine unglaublich verführerische Art, ihm das klar zu machen. Tancrèd blieb gerade stehen, fühlte die schlanken Finger des Arztes auf seiner Brust und seinen warmen Atem an seinem Ohr. Eigentlich eine erregende Situation, wenn sich Tancrèd nicht sicher gewesen wäre, genau solche Worte von John zu hören. Er biss sich auf die Unterlippe, um das breite Grinsen zu schlucken, das sich gerade auf seinem Gesicht ausbreiten wollte. Irgendwie war auch das auf seine eigene Weise liebenswert. Es war genau die Art, auf die Tancred John kennen gelernt hatte, und er dachte gern daran zurück.
 

Als er sich mit Dominico und Kieran an den Tisch gesetzt hatte, an dem John auch saß, hatte der ihn mit mäßigem Interesse betrachtet und aus Höflichkeit Konversation getrieben. Vielleicht war Tancrèd für diese eine Nacht interessant gewesen, aber die Person, auf die sich Johns Aufmerksamkeit eigentlich gerichtet hatte, war Kieran gewesen. Vielleicht nicht, weil er ihn selbst hatte haben wollen, sondern weil er sich um ihn sorgte - aber das hatte er natürlich von sich gewiesen. Als sie beide wieder aufeinander getroffen waren, da hatte John ihn mit der Verachtung gestraft, die sich Tancrèd ebenfalls gedacht hatte. Er war so sehr bedacht darauf, nie Gefühle zu zeigen und wie auf dem Jahrmarkt stieß er jemanden, der ihm zu Nahe trat, sofort von sich und das so nachdrücklich, dass man besser nicht mehr umkehrte. Nur war Tancrèd eben nicht so. Er war niemand, der so kampflos aufgab, und da er wenig von John selbst erfuhr, da der wenig von sich selbst erzählte, war diese Provokation eine Chance, mehr von ihm zu erfahren, auch wenn es keine besonders schöne Methode war. Leider verriet gerade sie so viel über John...
 

Zum Beispiel auch, dass er durchaus zu verletzen war und nicht so kalt, wie er immer tat. Und dass das Weglaufen eine seiner wirklich großen Stärken war. Er sah dem jungen Mann nach, der in den Hof hinunterlief, und beeilte sich dann, ihm zu folgen. Als er neben ihm lief, hielt er ihm das Hemd wieder hin. Er war sich bis eben noch nicht ganz sicher gewesen, wie er weiter verfahren sollte, doch er glaubte, dass John von sich aus niemals reden würde. "Stimmt, da habe ich doch glatt etwas verwechselt..", meinte er, als John stehengeblieben war. "Du kaufst dir die Huren nur. Bei deinem unglaublich anziehenden Charakter ist es nur zu gut zu verstehen, dass jeder andere Reißaus nehmen würde, nicht wahr? Man stelle sich nur mal vor, deine Zunge sei ein bisschen weniger spitz - dann wäre es jetzt nicht Sforza, der den kleinen Akrobat durch die Luft schmeißt... oder nicht irgendein dahergelaufener französischer Kapitän, zu dem er in die Kajüte geht."
 

John


 

Die Wut in seinem Bauch schmerzte ihn so, dass er merkte, dass ihm übel wurde. Zu viel Alkohol, zu wenig gegessen und jetzt auch noch diese nette Unterhaltung. Warum, verdammte Scheiße, war er überhaupt hierher gekommen!?! Er hätte gleich sagen sollen, dass er etwas anderes zu tun hatte. Schließlich hatte er ja damit rechnen müssen, diesem Arsch zu begegnen! Wütend stampfte John über den Hof in Richtung Labor, wo er die Nacht verbringen würde und am nächsten Morgen so für wie möglich verschwinden würde. In diesem Moment hörte er deutlich hinter ihm hereilende, schwere Schritte. Er verdrehte die Augen. John hätte mit allem gerechnet, aber nicht damit, dass Tancrèd ihm wirklich folgen würde. Wurde man diesen Mann denn niemals los? Als der andere gleich auf war, blickte ihn John lieber nicht an, sondern ignorierte ihn, ignorierte auch das Hemd, das der andere ihm hinhielt. Das wollte er nicht wieder haben. Donner grollte über ihnen und das Gewitter brach mit einem Mal an. Wind blies und kündigte den Regen mit seinem ganz eigenen Geruch an.Irgendwie schien es ihm, als spiegle der Donner die Wut in ihm wider.
 

John merkte, dass Tancred sich nicht abschütteln ließ. Ruckartig blieb er stehen. Nein, bis zum Labor würde er den Mann nicht mitschleppen. Dort war er schon einmal gewesen und... John wischte den Gedanken daran weg, wendete sich lieber dem anderen mit zornfunkelnden Augen zu. Was er jetzt zu hören bekam, das schlug dem Fass den Boden aus. Johns Augen verengten sich, während sie den anderen fixierten.
 

Sollte der andere ruhig glauben, dass er sich Huren bezahlte, sollte er ihm ruhig sagen, dass er ein mieser Charakter war. Das war ihm alles egal. Aber Kieran hier mit hinein zu ziehen, das ging gar nicht.
 

"Was bitte schön, hat Kieran denn damit zu tun?", zischte er dem anderen zu, als die ersten Tropfen fielen, bevor der Himmel die Schleusen öffnete. "Es mag sein, dass es Zeiten gab, da ich es mir gewünscht hätte, dass Kieran mehr von mir will, als meine Umarmungen, dass er nicht nur zu mir ins Bett gekrochen kommt, wenn er Halt braucht. Das gebe ich zu! Aber das ist schon ziemlich lange vorbei. Mittlerweile weiß ich, dass es eh nicht funktioniert hätte, selbst wenn meine Zunge weniger spitz gewesen wäre. Es hätte nicht funktioniert, weil es immer nur Dominico war, den er wollte. Dafür bin ich wirklich kein Ersatz. Ich hätte ihm nie diese Scheiß Herzlichkeit und Wärme geben können, die ich selbst nie kennengelernt habe. Aber dafür habe ich einen Freund, einen wirklich wichtigen und engen Freund, der sich eben nicht von meiner etwas zu spitzen Zunge vertreiben lässt, sondern mich einfach nimmt, wie ich bin und mir eine aufs Maul haut, wenn ich es übertreibe. Das ist mir wichtiger als alles andere. Von daher bin ich mehr als glücklich, dass er dort oben wie ein liebestrunkener Vollidiot mit seinem Herzbuben turtelt, als gäbe es kein Morgen. Also lass ihn verdammt noch mal aus dem Spiel. Er hat nichts mit uns zu tun!" Er hatte gar nicht gemerkt, dass er das Schreien begonnen hatte, wobei sich das vermutlich auch gar nicht hätte vermeiden lassen, weil das Gewitter so laut war und es so heftig begonnen hatte zu regnen, dass alles um sie herum verschwommen aussah. "Und was hast du? Du einsamer Mann? Was hast du davon, dass er in deinem Bett war? Ist es nicht noch leerer als schon zuvor? Jetzt rennst du mir hinterher und lässt dich nicht vertreiben? Was willst du von mir, verdammt noch mal? Ich habe dir genauso wenig zu bieten, wie ich es Kieran hätte bieten können! Ich habe nichts, nichts, was es wert wäre, sich dafür zu interessieren. Wie du es sagst: Ich habe nichts außer meinem Hemd und meinem Körper? Was erhoffst du dir also von mir? Warum lässt du mich nicht einfach in Ruhe? Warum sorgst du ständig dafür, dass ich mir den Kopf über dich zermartere? Was willst du? Noch einen Fick? Bin ich dich dann los? Hörst du dann auf, mich zu verunsichern und mir Flöhe ins Ohr zu setzen? Warum bist du so scheiß freundlich zu mir, egal wie pampig ich werde? Und warum, verdammt nochmal, hast du mich aus diesem scheiß Hafenbecken gezogen?" John stand wie eine Furie vor Tancred und hielt stark an sich, nicht auf den anderen einzuschlagen. Er spürte, dass ihm schwindlig wurde, dass seine Kräfte schwanden. Mit einem Mal drehte er sich um, taumelte zur Seite und musste sich übergeben. Es fühlte sich an, als käme sein gesamtes Inneres aus ihm heraus. Seine Gedanken überschlugen sich, er zitterte am ganzen Leib. Er merkte, dass er weinte, aber irgendwie kam ihm das gerade alles sehr surreal vor. John sank in die Knie und schloss die Augen. War es das, was Tancred wollte? Ihn fertig machen? Aus gekränkter Eitelkeit am Ende? Nun, dann war ihm das geglückt.
 

Tancrèd


 

Anscheinend war die Erwähnung von Kieran das, was das Fass zum Überlaufen brachte. John explodierte vor ihm wie eines seiner Bordgeschütze und schoss nicht nur eine Kugel mitten in Tancrèds Gesicht. Der Regen fiel in dicken Tropfen auf seinen breitkrempigen Hut, der zum Glück auch einen Teil seines Gesichtes verdeckte. Es tat weh, so angefahren zu werden, aber er hatte es nicht anders gewollt. Diese Schuldzuweisungen, die John sich sonst immer anhören musste, trafen jetzt absolut gerechtfertigt den Franzosen, der es im Regen stehend einfach ertrug. Er hatte erwartet, dass John Kieran auf jeden Fall verteidigen würde und hatte gehofft, darüber hinaus noch mehr über das zu hören, was John WIRKLICH bedrückte und weswegen er so seltsam kratzbürstig war. Was er bekam war mehr als das und ein Ausbruch, mit dem er nicht gerechnet hatte. Anscheinend war das ein bisschen überfällig gewesen. Tancred fühlte den Schmerz beinahe körperlich, der in Johns Worten mitschwang, auch wenn die Wut einiges davon kaschierte. Eine Sache allerdings blieb ihm sehr im Gedächtnis hängen:
 

Er hat nichts mit uns zu tun!
 

Nein.. das stimmte. Kieran hatte nichts mit "ihnen" zu tun. Aber dass John sie beide als "uns" betitelte, verriet dem Kapitän, dass John sich mehr Gedanken über sie beide machte, als er augenscheinlich zugab. Die nächsten Worte des halbnackten Mannes vor ihm bestätigten diese Aussage nur zu deutlich.
 

Tancred schluckte, weil es fast zu viel Information auf einmal war und er leider auch nicht mehr ganz nüchtern war, doch er kam gar nicht dazu, eine Antwort auf diese Flucherei zu geben, sondern sah nur noch, wie John von ihm wegtaumelte und sich dann sehr geräuschvoll übergab. Sein ganzer Körper krampfte sich zusammen und er erbrach sich so heftig, dass er es kaum schaffte, sich selbst dabei noch auf den Füßen zu halten. Als er schließlich auf die Knie sank, trat Tancred zu ihm und sank langsam in die Hocke, zog seine Pelisse von der rechten Schulter und legte sie dem zitternden Mann um die Schulter, ehe er ihn an sich und in seine Arme zog. Johns Widerstand folgte auf den Fuß, war aber nicht besonders stark oder so überzeugend, dass Tancrèd ihn wirklich losgelassen hätte. Stattdessen drückte er John nur umso näher an seine Brust und vergrub das Gesicht in seinem nassen Haar. "Ich bin einsam... du hast Recht. Aber du hast Unrecht, wenn du sagst, du hättest nichts zu bieten. Ich könnte Stunden hier mit dir im Regen stehen und dir aufzählen, was ich alles an dir schätze und was ich über dich lernen will, aber danach wären wir beide verdammt krank und das wäre wohl verdammt scheiße. Ich habe dich sicher nicht aus dem Hafenbecken gezogen, um zu sehen, wie du an einer Lungenentzündung zu Grunde gehst. Ich habe dich auch nicht aus reiner Nächstenliebe herausgeholt, sondern weil ich nicht zulassen konnte, dass die See mir noch einmal etwas nimmt, was mir etwas bedeutet." Seine Stimme klang ruhig an Johns Ohr und er hielt ihn fest, versuchte ihn zu wärmen, was im prasselnden Regen zusehend schwerer wurde. Sein Blick wanderte hinüber zu dem Gebäudeteil, in dem das Labor untergebracht war. Sicher gab es dort ein paar Tücher... Er zwang John auf die Füße und schleifte ihn so sanft wie möglich aber unbarmherzig mit sich.
 

John


 

Hatte dieser Mann nun endlich das, was er wollte? Ihn mehr oder weniger am Boden liegend? Würde er jetzt endlich aufhören, ihn zu nerven? Was hatte er ihm denn getan? Während er so am Boden kniete und sich sein Magen langsam beruhigte, rasten ganz neue Bilder durch seinen Kopf. Er sah sich, kniend auf einem Holzscheit in der Ecke der Apotheke, die Kunden, denen sein Vater erklärte, dass ein Bastard nur mit härtesten Mitteln zu erziehen sei. Er musste hier weg! Mit diesem Gedanken wischte er die Erinnerungen zur Seite. Aber sein Körper gehorchte nicht.
 

Als er mit einem Mal Bewegungen neben sich wahrnahm und er berührt würde, zuckte er zusammen, duckte sich leicht weg, und merkte, dass der Gedanke daran, er würde gleich geschlagen werden, in ihm hochkam. Doch es war nur Tancrèd, bzw. sein Mantel, der ihm umgehängt wurde und ihn so vor dem kalten Regen schützte. Was wollte Tancrèd noch hier? War es überhaupt der Kapitän? Er blickte kurz zur Seite, als er in eine Umarmung gezogen wurde - von Tancrèd. "Lass mich", dachte er und nahm alle Kraft zusammen, sich gegen die Arme zu wehren. Was sollte das? Warum tat das der andere? Wollte er ihn noch mehr demütigen?
 

Johns Kräfte gingen zu Ende und er ließ die Umarmung zu, die seltsamerweise auch irgendwie gut tat... Tancrèd zog ihn zu sich, hielt ihn fest in seinen kräftigen Armen, die John schon einmal Halt gegeben hatten. Er spürte, wie jener seinen Kopf an den seinen lehnte und hörte dann Worte, ruhige, freundliche Worte - keine Anklagen und Vorwürfe, die er sonst mit dieser Situation verband.
 

Irgendwie war John gerade froh, nicht wirklich Herr der Lage zu sein, denn sonst hätte er schon das Schnauben begonnen, als Tancred ihm erklärte, dass er nicht nichts wert sei. Denn er war noch immer skeptisch. Hatte er nicht oft genug das Gegenteil gehört? Nutzlos, wertlos, Dreck - das waren Worte, die er nur zu gut kannte.
 

Aber so ließ er die Worte einfach stehen und sie taten gut. Sogar ein Schmunzeln legte sich kurz auf seine Lippen und er spürte, dass sein Körper langsam aufhörte zu zittern.
 

Als der andere vom Hafenbecken sprach, schluckte er.
 

Weil ich nicht zulassen konnte, dass die See mir noch einmal etwas nimmt, was mir etwas bedeutet ... bedeutet ... bedeutet
 

Das letzte Wort hallte in ihm nach und langsam wurde ihm bewusst, was heute hier geschehen war, weshalb das alles hier geschehen war. Im ersten Moment wusste John nicht, ob er dem anderen dafür böse sein sollte oder ob er sich selbst böse sein sollte, weil er so ein verbohrter Idiot gewesen war.
 

"Danke", hauchte er kaum hörbar und merkte, dass Tancrèd aufstand, ihn gleichzeitig mit sich hochzog, und er bemühte sich, dabei behilflich zu sein. Sie sollten wirklich ins Trockene, dringend.

London 3 - Geister der Vergangenheit

John


 

Im Labor angekommen schlug ihnen die abgestandene warme Luft entgegen, die sich in den letzten Tagen angestaut hatte und sie tat im ersten Moment gut. Johns Kräfte kehrten langsam zurück und so dirigierte er den anderen mit sich in die Nebenräume. Das Gebäude war schließlich auch als Arztpraxis eingerichtet und verfügte neben Labor und Behandlungszimmer auch über einen Wohn- und Schlafzimmer, in dem ihr Vorgänger gelebt hatte. John trat schwankend an den Schrank und holte zwei Handtücher heraus. Eines warf er Tancrèd zu, während er mit dem anderen begann sich das Gesicht zu trocknen. Er schloss die Augen und spürte, wie weich seine Knie waren. Kraftlos wankte er zu einem Tisch, auf dem Wasser stand und er trank einen Schluck. Der Geschmack im Mund war widerlich und sein Magen schmerzte, daher spukte er das Wasser gleich wieder in eine Schüssel aus. Es war noch immer surreal, was passiert war, und John wusste gerade gar nicht genau, was er denken und fühlen sollte. "Es tut mir leid", hörte er sich sagen, ohne genau zu wissen, wofür er sich entschuldigte. Die bösen Worte von vorhin? Seine Kälte? Seine Zweifel?
 

Tancrèd


 

In das Labor zu gehen war irgendwie sinnvoller wie er fand. Er wollte nicht mit John in dessen Zustand wieder in den Saal voller Menschen zurückkehren. Außerdem hatte er, so hoffte er, einen Durchbruch geschafft und er wollte das nicht wieder enden lassen. Also brachte er John in das Labor und drinnen half John ihm dabei, den richtigen Weg zu finden. Die Wohnräume sahen ziemlich unbenutzt aus, aber wer sollte hier auch schon leben? Kieran und John blieben maximal eine Nacht hier und so war das Schlafzimmer das einzige, das etwas bewohnter wirkte als der Rest. John konnte anscheinend schon selbst wieder gehen und ging zum Schrank hinüber, während Tancrèd sich ungefragt daran machte, das Feuer im Ofen zu erwärmen. Die dicken Steinmauern, die das Gebäude umzäunten, hatten es zumindest hier hinten abkühlen lassen und sie waren beide recht durchnässt. Durch die Fenster, die sie jetzt öffneten, pfiff kühlender Gewitterwind. Also würde ein bisschen Feuer nicht schaden, wie der Franzose fand.

Er griff sich schließlich das Handtuch und zog sich das eigene nasse Hemd über den Kopf, um sich anständig abzutrocknen, ehe er zu John zurück kam und sanft mit dem Handtuch über dessen Rücken fuhr. "Es muss dir nicht leidtun... Mir tut es Leid für das, was ich gesagt habe. Aber ich hatte das Gefühl, dass es sein muss weil.. naja." Er stockte, John konnte sich sicher denken, was er meinte. Aus einer Innentasche seiner Jacke, die am Kamin hing, zog er eine kleine Phiole, die zum Glück noch nicht all zu nass geworden war. Sie enthielt etwas, das Tancred selbst auf seinem Schiff sehr schätzte - eine sehr starke Kräutermischung, die für sämtliche Magenleiden - die es leider bei zu starkem Rumkonsum sehr häufig gab - zu kurieren. Wenn man sie mit ein wenig Wasser aufgoss, schmeckte sie auch gar nicht so schlecht. Tancrèd hatte sie eingesteckt, weil er schon davon ausgegangen war, dem Wein beim Turnier etwas beherzter zuzusprechen. Obwohl eigentlich John der Mediziner von ihnen beiden war, reichte er dem jungen Mann wenig später einen Becher dieser "Spezialmedizin". Als das Feuer im Kamin höher loderte und durch das inzwischen geöffnete Fenster kühle Luft in das Zimmer strömte, fühlte es sich schon heimeliger an. Tancrèd sah zu John, der mittlerweile auf das Bett gesunken war und sich noch immer abwesend mit dem Handtuch durch die Haare fuhr. Langsam ging er neben dem Bett in die Hocke, lehnte sich an die Wand, neben der das Bett stand, und sah zu John auf. "Ich tue mir schwer damit, dir zu begegnen...", fing er leise an, einfach weil er glaubte, dass es sein musste. Jemand musste den Anfang machen und klären, was er auf dem Jahrmarkt nur durch die Blume gesagt hatte. "Du sagtest, du würdest dir Mühe geben, mich nicht allzu sehr zu beißen, und ich weiß das zu schätzen. Aber ich weiß so wie du, dass ich eines Tages diesen Hafen für lange Zeit verlassen muss. Wer weiß, wie sich die politische Lage entwickelt, vielleicht kann ich nie wieder zurück. Ich kann verstehen, wenn es das ist, was dich abschreckt, aber... Ich weiß gar nichts von dir. Was ich von dir will, ist nicht deinen Körper, John... wobei das auch wieder falsch klingt." Er fuhr sich durch das kurze nasse Haar und versuchte seine Gedanken zu sammeln. "Natürlich WILL ich dich. Wie könnte ich es auch nicht wollen? Aber es steht nicht im Vordergrund. Wenn ich irgendwann gehen muss, dann will ich mich nicht an eine "Hure" erinnern, die eine Nacht in meinem Bett gelegen hat, sondern an einen Mann mit Ecken und Kanten, der zumindest ein bisschen seines Lebens mit mir geteilt hat - egal wie wenig und egal wie kurz diese Zeit gewesen ist. Das ist es, was ich mir wünsche, und zwar nicht von einer dahergelaufenen Hure sondern von einem Mann, der den Mut hat, einem Dominico Sforza das Auge blau zu schlagen, weil er seinen besten Freund schlecht behandelt."
 

John


 

Es war eine gute Idee, Feuer zu entzünden, denn der Regen würde die Nacht kühl werden lassen und John fror gerade wie ein Schneider. So war es auch nicht verwunderlich, dass er sich näher ans Feuer stellte. Noch immer strengte ihn das Stehen an und er hatte das Gefühl, jederzeit umfallen zu können, aber die Wärme schien ihm wieder mehr Kraft zu geben. Als er spürte, wie der andere begann, seinen Rücken anzutrocknen, verharrte er kurz in seiner Bewegung und genoss die Berührung. Dann lauschte er den Worten des anderen. John nickte leicht, als der andere endete, um ihm zu zeigen, dass er verstanden hatte, warum der andere ihn so provoziert hatte.

Er war ihm dankbar dafür, denn sein Ausbruch hatte ihn aufgerüttelt. Seinem Vorsatz bei ihrem Date, dem anderen entgegen zu kommen, hatte er nicht entsprochen. Viel mehr hatte er sich weiter distanziert, als jemals zuvor. Aber Tancrèd hatte schon wieder nicht aufgegeben, sondern ihn so sehr provoziert, dass er endlich einmal aus sich herausgekommen war. Manchmal, so schien es, musste man tief fallen, um aus der Senke des Lebens wieder hervorzukriechen.

Als Tancrèd sich seiner Jacke zuwandte, drehte sich John ihm ein wenig zu und beobachtete ihn, wie er an seiner Jacke herumnestelte. Er hatte gerade gar nicht mitbekommen, dass der Franzose sich seines Hemdes entledigt hatte, und so glitten seine Augen über dessen Oberkörper. Damals, als sie dieses Spiel gespielt hatten, kurz nachdem sie hier im Labor sich so nahe gekommen waren, da hatte er dieses Gefühl gehabt, was ihn so erschreckt hatte. Dieser unbändige Drang, den anderen zu spüren, mit allem, mit Haut und Haar. Ein Verlangen, das er noch nie in dieser Weise empfunden hatte. Als Tancrèd ihm den Becher reichte, schreckte er aus den Gedanken wieder hoch und sah den anderen kurz an. Er lächelte dankbar und roch daran, nur um sich danach sicher zu sein, was darin war. "Kamillenblüten, Pfefferminzblätter und Melissenblätter", er trank einen Schluck. "Fenchelfrüchten, Tausendgüldenkraut, Thymiankraut und Enzianwurzel. Könnte von mir sein..." Er trank den Rest und reichte den Becher wieder Tancrèd. "Danke."

Während der andere den Becher zurückstellte, entledigte sich John dann doch lieber seiner nassen Hose und ging kurz zum Schrank, um sich eine frische herauszunehmen. Er hatte sie in der Zeit hier deponiert, als Kieran auf dem Schiff gewesen war und er hier viel gearbeitet hatte. Anschließend setzte er sich auf das Bett und fuhr fort, seine Haare zu trocknen. Es war gerade schwierig, etwas zu sagen, zu dem, was gerade geschehen war. John hatte das Gefühl, tausend Dinge erklären zu müssen, aber irgendwie wusste er nicht, wie er anfangen sollte. Er, der eigentlich nie eines Kommentares verlegen war, fand keine Worte. Wie lange Tancrèd da noch mitmachen würde? Der Gedanke machte ihm irgendwie Angst. Als der dunkelhaarige Mann wieder zu ihm kam und in die Hocke ging, um ihn von unten anzusehen, fühlte sich das so falsch an, irgendwie. Aber die Geste empfand John auch wieder als unglaublich liebenswert. Wieder war es Tancrèd, der zu sprechen begann, weil er es nicht gebacken bekam. Seine Augen ruhten in denen des anderen. Auch wenn das eine Auge wie blind aussah, wusste John ja, dass er hell und dunkel unterscheiden konnte. Was der Kapitän sagte, machte John erneut klar, wie falsch er sich verhalten hatte. Die Worte wärmten ihn irgendwie, weil sie so ehrlich waren. Es war nicht so einfach, dem Blick des anderen Stand zu halten, und er schafft es auch nicht. War es das Wissen um die begrenzte Zeit, die ihn sich wieder hatte zurückziehen lassen? Ein wenig, aber nicht hauptsächlich. Als der andere hinsichtlich seines Körpers sich verhaspelte, musste er leicht grinsen. Er hatte diese Worte lange im Ohr gehabt, als er ihm damals am Jahrmarkt zu verstehen gegeben hatte, dass er seinen Körper durchaus begehrte. Aber das war eben nicht das einzige gewesen. Das machte er ihm jetzt erneut noch einmal klar. Er wollte ihn, John, mit allem was dazu gehörte. "etwas, was mir etwas bedeutet" - so ähnlich hatte er es vorhin gesagt. Und damit gab es mittlerweile zwei Menschen in seinem Leben, denen er etwas bedeutete: Kieran und Tancrèd. Und der Gedanke gefiel ihm immer besser. Als der andere endete, musste er wieder lächeln. War er wirklich so mutig? Er hatte doch nur Kieran beschützen wollen...

John hob die Hand und strich dem anderen Mann sanft über die Schläfe, die Wange hinab. "Danke für deine Ehrlichkeit", sagte er leise. "Ich möchte auch endlich ehrlich zu dir sein. Das hast du dir mehr als nur verdient. Dann gibt es auch keine Fluchtmöglichkeiten mehr für mich." Er schluckte kurz. Er hatte den Entschluss gefasst, völlig offen zu sein, damit Tancrèd ihm die Wahrheit würde sagen können, wenn er wieder einmal einen Bock schoss. Er ergriff Tancrèds Hand und zog ihn hoch, neben sich auf das Bett. Er rutschte nach hinten an die Wand, an die er sich lehnte, die Beine aufgestellt und dann begann er zu reden.

"Als ich dir versprochen hatte, dich nicht allzu oft zu beißen, war mir nicht klar gewesen, was du in mir ausgelöst hast. Deine Zurückhaltung und deine höfliche Selbstlosigkeit haben mich auf eine Art berührt, die ich nicht kannte. Ich bin schier vor mir selbst erschrocken, was es in mir auslöste, wenn du mich geküsst hast. Bei deiner Verabschiedung, hier im Labor. Ich hätte dir keine Sekunde wiederstehen können, wenn du noch mit hinaufgekommen wärst, bzw. hätte dich niemals loslassen können, wenn Giulia nicht herein gekommen wäre." Er blickte wieder auf seine Hände. "Aber es hat mich auch furchtbar erschreckt. Als ich mit dir dieses Spiel gespielt habe und allein dein nackter Oberkörper es geschafft hat, meinen Verstand, auf den ich eigentlich etwas stolz bin, aussetzen zu lassen, da hatte es mich noch mehr verwirrt und erschreckt. Ich habe mein Leben alles in meinem Kopf mit mir ausgemacht. Und dann war plötzlich jemand da, bei dem mein Körper die Oberhand gewinnt und jede Vernunft aussetzt." Er schüttelte noch immer ein wenig ungläubig den Kopf und lachte leicht über sich selbst. "Als die Stadtwache kam, hatte ich die Sachen schnell zusammengepackt und bin gerannt. Völlig durcheinander von dem, was ich mir eingestehen musste. Und wohin bin ich gerannt? Zu deinem Gasthaus, weil ich Angst hatte, sie hätten dich erwischen können. Darüber hatte ich aber nicht nachgedacht, mein Körper hatte das selbst entschieden. So kenne ich mich nicht, es ist völlig absurd für mich, dass ich etwas mache, worüber ich nicht sehr genau nachgedacht habe. Und irgendwie wehrte sich mein Verstand dann wieder. Er... Nein, ich... " Er merkte dass er stockte und nicht genau wusste, wie er weiter machen sollte. "Mein Verstand ist ziemlich gut darin, mir Dinge einzureden, um es leichter zu haben. Es hat mir oft geholfen, mit meiner Situation klar zu kommen. Mir ist dabei durchaus bewusst, dass ich mich größten Teils selbst belüge, aber..." Er fuhr sich durch die noch immer feuchten Haare. Kurz blickte er den anderen an. "Als ich in das Hafenbecken gestürzt bin, habe ich mich an Dinge erinnert, die passiert sind, als ich noch sehr klein war. Dinge, die mich auch geängstigt haben, weil ich nicht gedacht hätte, dass mein Verstand sogar so bedeutende Erinnerungen komplett wegsperren kann. Immer wieder kommen nun neue Erinnerungen an Erlebnisse, an die ich mich nicht mehr hatte erinnern können. Das macht mir Angst, weil ich nicht weiß, was da noch hochkommt." Sollte er davon erzählen? Davon hatte er selbst Kieran noch nichts erzählt! Er zögerte einen Moment, sah Tancrèd schweigend an. Dann begann er.

"Es war einmal ein vierjähriger Junge, der eine sehr liebevolle Mutter und einen eigentlich ganz herzlichen Vater hatte. Sein Vater hat vor allem seine Mutter über alle Maßen geliebt. Als der Junge drei Jahre alt war, kam ein alter Bekannter der Mutter zu Besuch - ohne Vorankündigung. Danach hatte sich das Leben der Familie massiv verändert. Denn der Junge und dieser Bekannte sahen sich ähnlich - ähnlich, wie ein Ei dem anderen. Für den Vater, der die Mutter vergöttert hatte, brach eine Welt zusammen. Aus Wut und Enttäuschung packte er den Jungen und brachte ihn hinaus zur Regentonne, in die er ihn tauchte und hinunterdrückte. Seine Mutter rettete dem Jungen das Leben, aber ab da war nichts mehr, wie es einmal gewesen war. Mutter und Sohn wurden zwar noch im Haus geduldet, aber wurden wie Dreck behandelt. Während die Mutter resignierte und ertrug, wusste der Junge nicht, warum sich plötzlich alles so veränderte und lehnte sich dagegen auf. Doch es half nichts, sondern verschlimmerte die Situation nur immer mehr. Letztlich beschloss der Sohn, seiner Mutter dahingehend zu helfen, dass er versuchte, seinem Vater alles recht zu machen, was er aber niemals schaffte. Und anstatt, dass seine Mutter ihm dabei half, verließ sie ihn, indem sie den Freitod wählte. Von da an war das Leben des Jungen ein einziger Horror. Täglich wurde ihm zu verstehen gegeben, dass er unerwünscht war. Aber der Junge kämpfte weiter, was blieb ihm auch für eine Alternative? Und irgendwie sah er auch nicht ein, weshalb er klein beigeben sollte. In einem Brief hatte die Mutter ihm erklärt, dass sie sich nur auf den anderen Mann - einen ehemaligen Freund des Vaters - eingelassen hatte, weil sein Vater offenbar nicht fruchtbar gewesen war, sie sich aber ein Kind gewünscht hatten. Dass der Bekannte jemals sie wieder besuchen würde, war niemals Teil der Abmachung gewesen." Er schwieg kurz. Es fühlte sich seltsam an, das alles erzählt zu haben. "Ich möchte mich damit nicht für meine Dummheit entschuldigen, aber ich glaube, es wäre hilfreich für uns, wenn du das weißt."
 

Tancrèd


 

Dass John ehrlich zu ihm sein wollte, klang wirklich gut. Er lächelte und folgte dem sanften Zug auf das Bett, allerdings ohne sich vorher die Hose auszuziehen. Sie war zwar auch noch feucht, doch Tancred wollte nicht zu nackt sein, und er hatte immerhin keine Hose zum Wechseln hier. Trotzdem würde er seine Kleidung später irgendwie trocknen müssen, da war er sich sicher.

Er lehnte sich an einen der hinteren Bettpfosten und musterte den Arzt, der es sich mehr oder weniger bequem machte. Johns Erklärung überraschte den Kapitän nicht wirklich. Dass John einen sehr scharfen Verstand hatte, das wusste er selbst und er hatte es schon mehrmals selbst feststellen können. John tat Dinge, die immer sehr überlegt waren, er wägte die Vor- und Nachteile seines Handelns sehr stark ab, bevor er etwas tat. Auch bevor er etwas sagte. Selbst ihre erste gemeinsame Nacht, die mehr aus der Lust heraus entstanden war, war von John bewusst so entschieden worden. Es hatte nicht wirklich den Zauber der ersten Begegnung gegeben, mehr ein Abchecken aller wichtigen Eigenschaften und dann das Einverständnis. John war ein Kopfmensch, der sehr, sehr viel nachdachte, und die Erklärung, warum das so war, folgte auf den Fuß.

Eine ganz ähnlich Erklärung hatte Tancrèd auf dem Jahrmarkt selbst an John abgegeben, ein wenig seines Werdeganges geschildert. Johns Werdegang war nicht wirklich schön. Eigentlich gar nicht schön. Es war traurig zu wissen, dass der Mann, den man als Vater kannte, nicht der Vater war, und es war unendlich traurig zu sehen, wie die eigene Mutter an dieser Tatsache und der Ausgrenzung durch den eigenen Ehemann zu Grunde ging. Tancrèd hatte das bei seiner Schwester erlebt und es hatte ihn schwer getroffen. Aber er war damals bereits volljährig gewesen und wenn John damals noch ein Kind gewesen war, dann wollte er es sich gar nicht ausmalen, wie schwer das für ihn gewesen sein musste und wie hart er um Anerkennung gekämpft hatte, die doch nie gekommen war.

Tancrèd verstand definitiv nun einiges wesentlich besser und er lächelte John sanft an, auch wenn die Geschichte sicher nicht zum Lachen war. Er nickte, als John geendet hatte. "Es ist in der Tat hilfreich, weil ich jetzt vieles besser verstehe. Danke, dass du es mir erzählt hast. Ich möchte dir im Gegenzug eine ähnliche Geschichte erzählen."

Er streckte sich etwas aus und räusperte sich dann. "London ist für mich keine schöne Stadt. Aber ich brauche nun mal einen Heimathafen, wie du dir denken kannst. London ist für mich ein absolut elendiges Pflaster, die Stadt ist so eng und ich habe das Gefühl, kaum atmen zu können, wenn ich hier bin. Immer diese nervige Kleiderordnung, die scheinheiligen Umgangsformen... Ich entfliehe dem gerne, indem ich abends die ein oder andere Schenke besuche. An so einem Abend saß ich also allein mit meinem Bier am Tresen. Ein junger Mann hat irgendwann angefangen, mit Bierkrügen auf dem Tisch zu jonglieren. Er sah gut aus, er hatte etwas Wildes an sich. Aber er war nicht alleine da und es kam nicht zu mehr, als zu ein paar Blicken, die wir uns zugeworfen haben. Wie auch immer.. ein flüchtiger Bekannter betrat die Kneipe und wir unterhielten uns ein wenig, ehe der Jongleur an die Theke kam und ich feststellen durfte, dass mein flüchtiger Bekannter mit genau diesem jungen Mann offensichtlich mehr teilt als nur die Leidenschaft für Bier. Trotzdem wurde ich an den Tisch eingeladen, an dem die eigentliche Begleitung des Jongleurs saß. Das war ein junger Mann, nicht viel älter als der Jongleur selbst, aber in seinem Wesen irgendwie reifer. Er beobachtete den Jongleur und seinen Partner mit Argwohn auf der Tanzfläche. Es hatte beinahe etwas von einem großen Bruder, der darauf achtet, dass seiner kleinen Schwester nichts passiert. Ich konnte mit ihm fühlen, hätte vermutlich gleichermaßen gehandelt.

Nach einigen weiteren Krügen Bier, einer wirklich guten Unterhaltung und dem Genuss ordentlicher Kneipenatmosphäre, kam ich in den Genuss der Gesellschaft eben dieses Mannes. Er war sehr klug, konnte sich sehr gewählt ausdrücken und hatte ein unheimlich faszinierendes Feuer in den Augen. Als er mir in meine Räumlichkeiten folgte, wusste er, was er wollte. Ich kann mich daran erinnern, wie sich seine Haut unter meinen Fingern angefühlt hat und sein warmer Körper nah an meinem. Aber was ich nie vergessen werde war der Blick aus seinen eisblauen Augen. In einem Moment noch so beherrscht und im nächsten so lodernd und begierig für einen Moment, nur einen einzigen Augenblick alles um sich herum zu vergessen... neben ihm einzuschlafen war beruhigend und erfüllend zugleich.

Als er am nächsten Morgen sehr früh gehen wollte, war dieses Feuer aus seinem Blick verschwunden und kehrte nur für den Bruchteil einer Sekunde zurück, als ich nicht anders konnte und mir einen Kuss von seinen weichen Lippen stahl. Doch in diesem Moment hatte ich mir geschworen, dass ich alles in meiner Macht stehende daran setzen werde, noch einmal diesen wilden freien Blick in seinen Augen zu sehen. Zu sehen wie sich in seinem Gesicht Glück und Zufriedenheit widerspiegelt... weil es das war, was mich wirklich berührt hat."
 

John


 

Tancrèd war ein angenehmer Zuhörer, der ihn einfach hatte sprechen lassen und sich nun dafür bedankte, dass er es ihm erzählt hatte. Es kamen keine Mitleids-Bekundungen oder irgendwelche schlauen Sprüche, keine Kommentare, die gegen seinen Vater gerichtet waren, oder irgendwas anderes Inkompetentes. Nein, er ließ seine Geschichte so stehen, wie sie war, bedankte sich und würde sie im Kopf behalten, während sie versuchten, gemeinsam ihren Weg fortzusetzen. Genauso, wie er selbst die Geschichte seiner Schwester damals auf dem Jahrmarkt gehört hatte und sie ihm ein Bild von Tancrèd gegeben haben, das ihn noch einmal wesentlich reizvoller gemacht hatte.

Anstelle eben dieser unqualifizierten Kommentaren oder Mitleidsgedöns, auf das John wahrlich pfeiffen konnte, kam eine Gegengeschichte. Zunächst nickte John lächelnd. Er konnte sich gut vorstellen, dass London für Tancred nicht besonders angenehm war. Das hatte er schon mehrfach mitbekommen und auch sein Zimmer im Gasthof sprach dahingehend Bände. Als der Kapitän weitersprach, konnte John nicht umhin, die Stirn in Falten zu legen, als er merkte, worum es ging. Er blickte auf und sah den anderen an, ob er das jetzt wirklich ernst meinte. Aber er meinte es ernst: er erzählte ihm ihre erste Begegnung aus seiner Sicht. Es war irgendwie interessant, diese Perspektive sehen zu dürfen. Er lachte leicht, als Tancrèd beschrieb, wie er ihn wahrgenommen hatte, als sie da saßen und jener ihn gefragt hatte, ob er auf Nico eifersüchtig sei. Die Unterhaltung war tatsächlich angenehm gewesen, weil Tancrèd ein intelligenter Mann war, der etwas zu erzählen hatte und letztlich schon da gewusst hatte, ihn zu nehmen wie er war.

Als Tancrèd begann zu erzählen, wie er ihn dann im Gasthof wahrgenommen hatte, verschwand das Lächeln von seinen Lippen und er starrte den anderen irritiert an. Noch nie hatte er sich selbst so hinterfragt oder betrachtet. Ihm war es immer egal gewesen, wie andere ihn sahen, weil er sich selbst nicht als besonders wertvoll oder wichtig sah. Es war ihm unangenehm, fast ein wenig peinlich. Doch die Worte des anderen gingen ihm auch unter die Haut. Er schluckte, als er diesen Blick auf sich vernahm, und hörte, wie es dem anderen dabei ergangen war. War das wirklich so? Hatte er "Feuer" in den Augen? Sein Vater hatte ihm immer gesagt, er solle ihn nicht so ansehen, aber er hatte nie begriffen, was dieses "so" war. Und es war beruhigend und erfüllend, neben ihm einzuschlafen? War das der Grund, weshalb auch Kieran immer zu ihm gekommen war, wenn es ihm so dreckig gegangen war? War er wegen ihm selbst gekommen, und nicht nur wegen eines Körpers, den er gebraucht hatte?

John erinnerte sich nur zu gut an diesen Kuss, der das erste Mal schon so viele Fragen aufgeworfen hatte. Ja, da hatte es begonnen, dass er hinterfragte, wer der Mann war, mit dem er die Nacht verbracht hatte. Normalerweise interessierte es ihn nämlich in keiner Weise. Was dieser Kuss für den anderen bedeutet hatte, war mehr, als er je erwartet hätte. Schon damals hatte Tancred ihm näher kommen wollen? Er wollte ihn glücklich sehen? Und zufrieden? John war etwas überfordert damit. Der ganze Psycho-Mist, weshalb er überfordert war, war ihm mehr als bewusst. Aber es änderte einfach auch nichts daran, dass es so war. Sicher, Kieran wollte auch, dass er glücklich war, weshalb er ihn oft vor seinem Vater beschützte, aber das waren ganz andere Beweggründe.

John, der sich zur Seite gedreht hatte, um Tancred besser ansehen zu können, starrte den Franzosen noch immer ratlos an. Dieser Mann wollte ihn glücklich und zufrieden sehen? Er drehte sich noch ein wenig mehr, so dass er letztlich vor Tancred kniete. Dann beugte er sich vor und küsste den anderen sanft. "Ich wüsste gerne, was es heißt, glücklich und zufrieden zu sein", sagte er leise. "Und ich möchte gerne, dass du der Auslöser dafür bist." Erneut verschlossen seine Lippen die des anderen, diesmal einen Augenblick länger. "Und im Moment", wisperte er dann gegen die Lippen des anderen, "fühle ich mich schon ein wenig glücklich, weil du nicht aufgegeben hast, und zufrieden, weil ich dir endlich erzählen konnte, was ich niemandem bisher erzählt habe." Seine Hand strich durch die leicht feuchten Haare des anderen. "Und langsam weiß ich auch, dass ich schon viel früher auf meinen Körper hätte hören sollen. Denn er hat in jener Nacht jede Sekunde genossen, wirklich und ehrlich wahrgenommen worden zu sein und nicht einfach nur benutzt worden zu sein."
 

Tancrèd


 

Etwas über sich selbst zu hören, kam bei John sicher nicht oft vor. Dem was er bisher von dem jungen Arzt entnommen hatte, war, dass John meistens der Zuhörer war. Nicht nur bei ihm auf dem Jahrmarkt, sondern auch bei Kieran. Es kam wohl nicht häufig vor, dass jemand zu John über ihn sprach, deswegen war es Tancrèd wichtig gewesen, John genau das zu sagen. Er lächelte, als er Johns etwas irritierte Miene bemerkte, wurde aber sehr kurz darauf belohnt, als John sich vor ihn kniete und ihm näher kam. Einen Kuss, überhaupt eine Berührung des anderen hatte der Franzose weder erwartet noch erhofft - doch er beschwerte sich sicher nicht, als er sie bekam. Johns Lippen auf seinen schmeckten nach der herben Medizin, die er ihm eben gegeben hatte, und nach dem Gefühl, nach dem Tancred sich sehnte, wann immer er so einsam war wie meistens auf dem Schiff. Sanft griff er Johns Hand, die durch sein Haar fuhr, und zog sie an seine Lippen, küsste Johns kühle Finger. "Ich würde einen Mann wie dich niemals aufgeben. Du bist etwas ganz Besonderes, John Forbes, und es ist eine Schande und zugleich mein Glück, dass es niemand vor mir gewagt hat, dir das ins Gesicht zu sagen." Er verschränkte seine Hand in Johns und richtete sich etwas mehr auf. Dessen folgende Worte waren sehr angenehm für ihn und brachten Tancred sogar zum Schmunzeln. Das Kompliment von John zu hören, war angenehm, aber wenn er ehrlich zu sich selbst war, dann war es nicht das erste dieser Art. Dass er wohl eine recht freundliche Art im Bett hatte, war ihm bereits mehr als einmal durch die Blume mitgeteilt worden, und dass er sich auch bei John damit einen Gefallen getan hatte, wurde ihm damit jetzt sehr klar. Nun.. dann konnte er ja vielleicht.. Er räusperte sich und sah dann wieder auf, ein verschmitztes Lächeln im Gesicht. "Natürlich gibt es da noch eine Sache, die mich dir noch näher bringt oder die mich an dir noch mehr fasziniert", gab er unumwunden zu. "Denn wer einem Dominico Sforza die Faust ins Gesicht pflanzt, der hat sicher auch kein Problem damit, sich gegen jemanden wie mich im Bett zu behaupten, oder?" Wurde Tancred da unter dem schwarzen Bart ein wenig röter? "Kurz gesagt: was ich so sehr an dir schätze ist die Tatsache allein, dass du mir ebenbürtig bist und sein kannst. Du bist nicht nur gebildet, sondern auch klug - zwei Dinge, die nicht immer Hand in Hand gehen. Und letztlich möchte ich dir auf Augenhöhe begegnen, solange wir unseren Weg gemeinsam gehen." So war es vermutlich am unverfänglichsten ausgedrückt. Er stahl sich einen letzten Kuss von Johns Lippen, ehe er sich doch erhob, um die feuchte Hose auszuziehen und den schweren Vorhang vor das Fenster zu ziehen. Der Wind war stark und würde ihn vermutlich immer wieder ein wenig vom Fenster wegblasen, aber wenn sie ihn offen ließen, dann würde einfach zu viel der kalten Gewitterluft in das Zimmer kommen. Als er wieder zum Bett zurückkam, dieses Mal nur in seiner Unterwäsche, sah er wieder mit einem anderen Blick auf John. Ihre Begegnungen wurden von Mal zu Mal besser. Seine Hartnäckigkeit zahlte sich wirklich aus, da hatte John selbst schon Recht gehabt. Er setzte sich auf das Bett, seitlich zu John und musterte ihn einen Moment lang, hob die Hand an seine Wange und strich ihm eine Strähne des noch feuchten Haares hinter das Ohr. "Ich möchte der Auslöser dafür sein, dass du mich so anlächelst wie du es gerade tust. Ich will, dass ich dich und du mich ansehen kannst, wie die beiden dort oben. Dass ich bei dir all das finde, was mir fehlt. Ich hoffe, dass ich einen Weg finde, das zu erreichen. Zur Not auch mit ein bisschen Überzeugungskraft." Er zwinkerte John frech zu, wollte die Situation etwas auflockern.
 

John


 

"Ich würde einen Mann wie dich niemals aufgeben. Du bist etwas ganz Besonderes, John Forbes, und es ist eine Schande und zugleich mein Glück, dass niemand vor mir gewagt hat, dir das ins Gesicht zu sagen."

Tancreds Worte ließen John einen Moment sprachlos werden, und das sollte etwas heißen. Sicher, da war gerade diese Stimme in seinem Kopf, die ihn auslachte und sagte, er solle nicht jeden Mist glauben. Aber er wusste, dass er in der nächsten Zeit würde lernen müssen, dieser Stimme nicht immer Glauben zu schenken. So wischte er sie für den Moment weg und ließ die Worte so stehen. Sie taten ihm gut.

Als sich Tancrèd räusperte, sich aufrichtete und ihn so seltsam ansah, dachte John schon, dass jetzt noch ein großes Aber käme, und er sah ihn fragend an. Doch was dann kam, ließ ihn leise lachen, allein schon, weil Tancred leicht errötete.

"Das hat dich schon sehr fasziniert", stellte er fest, "dass ich ihm eine verpasst habe." Er grinste leicht, wurde aber wieder ernster. "Aber du hast schon recht. Ich gebe meinen Hintern nicht so leicht her, um es mal salopp zu sagen, und wenn, dann nur mit 'ausgleichender Gerechtigkeit'." Wer seinen Hintern wollte, musste auch bereit sein, seinen herzugeben. Eine völlige Unterwerfung gab es definitiv nicht.

Es mochte sein, dass sie sich im Bett ebenbürtig waren, das sah John ähnlich, aber Tancrèd sagte es so, dass er ihn generell als ebenbürtig ansah.

"Du bist nicht nur gebildet sondern auch klug - zwei Dinge, die nicht immer Hand in Hand gehen. Und letztlich möchte ich dir auf Augenhöhe begegnen, solange wir unseren Weg gemeinsam gehen."

Das klang gut in seinen Ohren. John entgegnete nichts darauf, sondern erwiderte nur den Kuss, den ihm der andere gab, bevor dieser aufstand, um sich offenbar ebenfalls die Hose auszuziehen und die Vorhänge zuzuziehen. John war unterdessen unter die Decke gekrochen, ihm war immer noch etwas kalt, und er beobachtete den anderen Mann. Eine schwere Müdigkeit breitete sich wie ein Mantel über ihm aus.

Als Tancred zu ihm zurückkam und sich neben ihn setzte, genoss er die streichelnde Hand in seinen Haaren und lauschte den Worten. Und ja, er lächelte, ohne es "abschalten" zu können. Was der andere sagte, ließ ihn noch mehr lächeln, bis aus dem Lächeln ein Grinsen wurde. Es waren schöne Worte und er wollte sie nicht schlecht machen, aber langsam würde es ihm zu viel Süßholz.

"Du glaubst doch nicht allen Ernstes, dass ich dich jemals so dämlich ansehen könnte, wie diese beiden liebestrunkenen Idioten da oben!? Falls ich das jemals tun werde, dann erschieß mich bitte!" Er lachte leicht und wurde dann wieder ernster. "Nein, ich verstehe, was du meinst." Letztlich versprach der andere ihm, ihn glücklich machen zu wollen. Das war schön irgendwie, trotz der Stimme in seinem Ohr, die ihm das wieder klein redete. Es war auch gut zu hören, dass Tancred klar war, dass das vermutlich immer mal wieder Überzeugungskraft bedurfte. Denn John würde sich bemühen, daran zu glauben, an sie zu glauben. Aber ob es wirklich funktionieren würde, mussten sie erst abwarten.

John hob die Decke an und wartete, dass sich der andere zu ihm in das nicht sehr breite Bett legte. Er schmiegte sich an den warmen Körper, und während seine Augen von selbst zu fielen, strichen seine Hände noch ein wenig über die Brust des anderen, ohne wirklich darüber nachzudenken. "Du bist wirklich ein ungewöhnlicher Mann, Nadim", wisperte er leise, bevor er gegen seinen Willen in einen tiefen, traumlosen Schlaf fiel.

London 3 - Das Bild

Kieran


 

Hätten Dominico und er offiziell eine Hochzeit gefeiert, so wäre das Fest danach vermutlich nicht anders abgelaufen, als dieses am heutigen Abend. Seine Familie war da, Dominicos Familie - bis auf seine Kinder - ihre Freunde - und alle feierten ein Fest, wobei einigen, zumindest Kierans Familie, gar nicht wirklich klar sein konnte, was genau sie feierten.

Kieran war bewusst, dass er gerade einen besonderen Abend feierte, aber ihm war auch bewusst, dass mit alle dem auch etwas Neues begann. Etwas, das er noch nicht abschätzen konnte. Er hatte noch keine Ahnung, was genau auf ihn zukommen würde, aber darüber nachzudenken war heute auch nicht richtig. Es würde nur seine Stimmung trüben.

Alle waren ausgelassen und tanzten, sangen und lachten. Es gab nur drei Personen, um die er sich Sorgen machte: Rodrego, Alessandro und vor allem John, der sich gehörig die Kante gab. Er machte sich etwas Vorwürfe, dass er keine Zeit fand, um mit ihm zu reden, aber tanzte er nicht mit Nico, nahm ihn seine Familie in Beschlag. Nach all der Zeit, die vergangen war, ging er gerne darauf ein, auszutesten, was er noch so von früher her konnte. Als er sah, dass John auf die Veranda trat, wollte er hinterher. Aber als er bemerkte, dass jemand anderes schneller war, blieb er stehen und ließ sich bald darauf wieder weiter im Getümmel treiben. Das Gewitter begann und man merkte etwas Unruhe aufkommen. Einige der Angestellten hatten es eilig Vorkehrungen zu treffen. Gewitter durfte man nicht unterschätzen, schließlich konnte dadurch immer auch ein Feuer ausbrechen. Aber es war so schnell wieder vergangen, wie es aufgekommen war und zurück blieb noch ein wenig ohnehin ersehnter Regen. Als er spät auf die Terrasse trat, um festzustellen, dass John und Tancred nicht mehr da waren, genoss er kurz die Ruhe und inhalierte die kühle und sauberere Nachtluft. Er musste gar nicht nachsehen, wer es war, als jemand von hinten an ihn herantrat und ihn umarmte. Sanft lehnte er sich in die Umarmung und genoss einen Moment die Stille. "Dein Bruder und Rodrego sind verschwunden. Müssen wir uns Sorgen machen oder werten wir das als gutes Zeichen?", fragte er schließlich leise und drehte sich leicht, um Nico anzusehen.
 

Dominico


 

Ein Fest wie dieses hatte Nico schon häufiger gefeiert. Es erinnerte ihn ein wenig an die Verlobungsfeier mit Giulia, doch seine Hochzeit war gänzlich anders gewesen. Da war seine und ihre Familie anwesend gewesen und eine Feier in diesem Sinne hatte es so nicht gegeben. Kein Gelage bei einer Hochzeit, lediglich bei einer inoffizielleren Feier. Er hatte mit Giulia auch nicht so gefeiert wie sie das jetzt taten. Nicht so losgelöst wie Kieran und er jetzt mit seiner Familie feiern konnten. Nicos Angestellte nahmen die Familie Carney gern in ihren Reihen auf und so war es wirklich eine schöne und sehr herzliche Feier. Wenn er gerade nicht mit Kieran tanzte, stand er bei Giulia und Tancrèd, mit denen er sich über Belangloses unterhielt, oder bei seinem Bruder. Alessandro war allerdings kein guter Gesprächspartner, sondern brütete etwas vor sich hin, so dass Nico ihm die Ruhe ließ, von der er glaubte, er brauche sie. Als er dann das nächste Mal nach ihm sehen wollte, war ihm Alessios Fehlen auch aufgefallen, doch er nahm an, dass sein Bruder sich bereits zurückgezogen hatte.

Seine Augen lagen heute ohnehin nur auf Kieran. Sein Arm schmerzte zwar wirklich unangenehm und auch sein Rücken und seine Beine schmerzten etwas von dem Sturz, doch nichts und niemand konnte ihm die Euphorie und die Freude über seinen "Sieg" nehmen. Über ihren "Sieg" gegen Cromwell, wenn man es genau nahm. Und einen anderen Sieg auch, den sah er in jeder Sekunde in Kierans Augen. Den Sieg für ihre Liebe hatten sie ebenso errungen, hier vor aller Augen. Nico war glücklich, sehr glücklich. Auch weil seine ganze Familie hinter ihm stand und auch seine Angestellten - eigentlich alle katholisch erzogen - Sein und Kierans Glück so offensichtlich sahen, dass niemand Anstoß an ihrer beider Geschlecht nahm.

Als das Gewitter draußen losdonnerte, musste er sich erneut von Kieran trennen, mit dem er gerade getanzt hatte. Einige Pferde befanden sich noch auf den Außenpaddocks und Nico musste kurz koordinieren, wer noch in der Lage war, die Tiere einzusammeln. Nach einem Umweg über die Küche und einer Lobeshymne auf den Koch kam er zurück, nur um direkt seine Frau ins Bett zu verabschieden, die sich von Amadeo in ihre Gemächer geleiten ließ. Vielleicht hätte er an dieser Stelle aufmerksamer werden müssen, aber sein Blick suchte nach Kieran, den er hier nicht mehr ausmachen konnte. Nachdem er etwas suchend im Saal umhergegangen war, bekam er von Kierans Schwester den Hinweis, ihr Bruder sei auf die Terrasse gegangen, und so trat er einige Zeit später ebenfalls hinaus in die angenehme Kühle des Gewitters. Er näherte sich Kieran von hinten, der ihn trotz des laut prasselnden Regens bemerkte und sich an ihn lehnte.

Nico schloss die Arme um Kierans Hüfte und Bauch, vergrub das Gesicht in seinem Haar und sah erst nach einer Weile wieder auf. Kierans Frage belustigte ihn beinahe. War nicht sonst immer ER derjenige, um den man sich Sorgen machen musste? "Ich denke, wir werten es einfach als gutes Zeichen. Rodrego wird ihm sicher nichts tun und umgekehrt hätte Rod durchaus eine Abreibung verdient, meinst du nicht? Töten wird Alessio ihn bestimmt nicht..." Er ließ zu, dass Kieran sich in seinen Armen umdrehte und strich ihm mit der gesunden Hand über die Wange. "Möchtest du noch lange hier bleiben? Ich meine... hier unten. Ich möchte heute Abend, wo ausnahmsweise mal wir beide diejenigen sind, die rundum glücklich sein können, nicht einfach nur vor Müdigkeit neben dir einschlafen." Er beugte sich vor und gab Kieran einen sanften, aber sehr innigen Kuss. "Ich wünschte ich hätte die Zeit ein paar Tage mit dir nach Cambridge zu reisen... um der Erinnerung an unsere erste Nacht willen... Aber ich fürchte wir beide werden hier dringender gebraucht. Um einen Ausgleich zu schaffen, habe ich mir aber neues Öl herstellen lassen und ich habe Gaz gekauft. Schafft es das, dich von deiner Familie in die Höhle des Löwen zu locken?"
 

Kieran


 

Kieran musste schmunzeln. "Ja, das hat er", pflichtete er dem anderen bei. "Aber ich glaube, dass er nicht in allem gelogen hat. Aber das ist ihre Sache. Es bleibt abzuwarten, was geschehen wird. Rodrego kommt mir nur so düster vor, dass man fast Angst bekommt, dass er auf dumme Gedanken kommt." Letzteres rutschte ihm irgendwie einfach so heraus. Er hatte darüber noch nie so bewusst nachgedacht, aber irgendwie kam ihm gerade dieser Gedanke. "Und dass Alessandro ihn nicht umbringen wird, weiß ich nicht so genau. Ich traue deinem Bruder ehrlich gesagt alles zu." Er grinste leicht, so dass Dominico wusste, dass er es nicht wirklich ernst meinte.

Als er sich umgedreht hatte, schmiegte er sich an die streichelnde Hand und schloss dabei die Augen. Es war so unfassbar, dass sie hier so sein konnten, dass sie heute wie ein ganz normales Paar hier auftreten hatten können. Sicher gab es einige, die für sich sagten, dass sie es sich nicht vorstellen könnten, aber jeder tolerierte ihre Liebe - und das war doch die Hauptsache. Und Kieran glaubte nicht, dass einer seiner oder Nicos Leute, dritten verraten würden, was zwischen ihnen war. Diese Gruppen waren für sich eng zusammengeschweißt. Schlimm war ja meistens nur die Angst und die Vorurteile vor dem Anders-Sein, das die Leute antrieb, gegen Ihresgleichen zu hetzen.

Kieran erwiderte den Kuss nur zu gerne und hörte dann auch noch den Rest von Nicos Vorschlag an, bevor er nickte. "Meine Familie ist morgen früh auch noch da", sagte er gleich, "und ich finde die Idee sehr schön, uns heute Nacht an damals zu erinnern. Auch wenn das schon eine Ewigkeit her ist und ich mich teilweise lieber gar nicht so genau erinnern möchte." Er grinste leicht. "Man, das ist wirklich verdammt lange her. Weißt du noch, wie du mich damals aus dem Kerker geholt hast? Ich dachte, ich müsste dir ins Gesicht springen, als du da standst und mich gezwungen hast, nun ja... Hast du eigentlich noch das Bild von mir? Es ist immer noch meines!" Die Gedanken an damals ließen ihn leicht lachen. Er streckte sich noch einmal, um sich noch einen Kuss zu stehlen. "Aber bevor wir in Erinnerungen schwelgen und ich dir im Bett das Gaz füttere, muss ich mir auch noch in Ruhe deine Schulter ansehen. Ich fürchte, du solltest sie so einbandagieren, dass das Gelenk ruhig gestellt ist."

Und er musste es tatsächlich so bandagieren, dass Dominico den Arm nicht mehr so einfach bewegen konnte. "Du bist ein Narr, dass du mich nicht früher hast darauf sehen lassen. Die ganze Tanzerei war nicht gerade gut für das Gelenk", knurrte Kieran, während er seinen Koffer wieder schloss. Er konnte gar nicht so streng schauen, wie er eigentlich wollte. Das leichte Grinsen in seinem Gesicht verriet, dass er Dominico in keinster Weise wirklich böse war. "Dann muss ich dich wohl oder übel heute ein wenig verwöhnen. Aber ich befürchte, dass es dann lieber heute keinen Sex gibt", überlegte er weiter seeehr nachdenklich. "In deinem Alter muss man da aufpassen."

Sie waren in Dominicos Schlafzimmer, in dem durch das offene Fenster die kühle Nachtluft hereinkam. Das Öl stand auf dem Nachtkasten, genauso das Gaz und Wein. Kieran setzte sich neben Dominico. "Genau wie damals, in jener Nacht. Das war... Du hast gesagt, dass eine Nacht nicht reichen würde, um mir gerecht zu werden." Er griff nach der Ölflasche und öffnete ihn, um daran zu riechen. "Arnika, aber noch etwas anderes...", sagte er leise, kletterte aufs Bett und setzte sich hinter den anderen und begann dann, die andere Schulter zu massieren. Eine akute Entzündung massierte man nicht, aber die andere Schulter war auch so verspannt, dass das Nico sicher gut täte. "Du bist ein gewiefter Verführer gewesen, damals. Solche Worte lassen jeden kleinen Naivling wie ich es damals war, dahinschmelzen. Wenn ich das John erzählen würde, würde er sich totlachen..." Er grinste leicht.
 

Dominico


 

"Natürlich habe ich das Bild noch, aber du wirst es doch kaum wieder haben wollen, oder?" Nico schmunzelte. "Aber gut, dass du mich gerade daran erinnerst..", sinnierte er geheimnisvoll und gab Kieran noch einen Kuss auf die Stirn. Als der vom Kerker anfing, musste Nico wirklich herzlich lachen. "Als ich da stand und dich gezwungen habe zuzugeben, dass du vielleicht doch gern mitgegangen wärest, hmn?" Er zwickte Kieran mit der gesunden Hand frech in die Seite. "Es war nicht die schlechteste Entscheidung, die du getroffen hast, oder? Und jetzt komm, Herr Doktor, auf dass wir endlich zum gemütlichen Teil des Abends übergehen können."

Da sowohl sein Bruder als auch seine Frau bereits zu Bett gegangen waren und von Tancred als einzigem weiterhin ranghohen Gast nichts mehr zu sehen war, musste sich Nico von niemandem mehr gesondert verabschieden. Er ließ vom noch immer gefüllten Buffet einen vollen Krug Wein und einen Krug Wasser mitgehen, verabschiedete sich bei einigen Hausdienern, die jetzt Bescheid wussten, dass alle Herrschaften im Bett waren, und machte sich dann mit Kieran auf den Weg zu seinen Räumlichkeiten. Dort angekommen ließ Kieran ihm kaum Zeit irgendetwas anderes zu machen, als das Hemd auszuziehen und sich aufs Bett zu setzen. Er hatte seinen Koffer direkt mitgenommen und hantierte jetzt mit festem Griff an seiner Schulter herum. Der Italiener biss die Zähne zusammen, wenn es schmerzte, und gab keinen Laut von sich. Kein besonderes Zeichen von Stärke, sondern immer noch ein Spiegel dessen, was ihm anerzogen worden war. Diese Verletzung war eine Lappalie gegen das, was er sonst zu ertragen hatte, wenn es im Krieg wirklich zur Sache ging. Trotzdem war es sicher sinnvoll, dass Kieran seinen Arm verarztete, und als der von dem Verband abließ, kam Nico nicht umhin seine Beweglichkeit erneut zu testen. Es würde reichen für das, was er heute Abend mit dem Arm noch zu bewerkstelligen hatte. Als Kieran ansprach, ihn zu pflegen, grinste Nico. Als er dann allerdings sagte, dass Sex ja dann wohl nicht zur Debatte stand, erntete er einen verblüfften und dann leicht frechen Gesichtsausdruck. "In meinem Alter... sicher", gab er nur zurück und schloss dann die Augen, als er Kierans Finger auf seiner anderen verspannten Schulter spürte. "Ich habe doch recht behalten, oder? In einer Nacht allein kann man dir nicht gerecht werden und auch wenn es lange genug gedauert hat, denke ich, ich bin jetzt auf dem richtigen Weg..." Er ließ Kieran eine Weile massieren, ehe er die Schulter frei bewegte und sich erhob. Er trug noch immer seine Hose und die hohen Stiefel, die er jetzt zuerst auszog. Weil er wusste, dass Kieran ihn beobachtete, spannte er absichtlich die Bauchmuskeln an. Vor dem Turnier hatte er tatsächlich deutlich an Muskelmasse zugelegt - und er war froh, das getan zu haben. Jetzt hatte es den bequemen Nebeneffekt, dass Kierans Blick begehrlicher wurde. Seine Mundwinkel zuckten nach oben als er Kieran mit seinem Blick fixierte und betont langsam die Schnürung seiner Hose öffnete, ehe sie leicht an seinen Beinen hinabrutschte. "Ein gewiefter Verführer...", raunte er leise und jetzt ganz bewusst mit verführerischer Stimme. "Höre ich da eine Anschuldigung heraus, hmn?" Er kam langsam wieder auf das Bett zu, griff mit seiner gesunden Hand nach Kierans Arm und zog ihn näher an die Kante und auf die Knie, so dass sie sich wieder auf Augenhöhe begegneten. "Ich bin mir ziemlich sicher, dich vorgewarnt zu haben vor dem Raubtier, das dich erwartet. Wenn du mir dann nicht glaubst.." Seine Finger schoben sich von hinten unter Kierans weites Hemd und seine Fingerkuppen strichen den Weg seiner Wirbelsäule entlang, wohl wissend, dass Kieran unendlich empfindlich am Rücken war. "Kann ich ja nichts dafür, oder?" Er beugte sich nach vorn, stahl sich einen leidenschaftlichen Kuss von Kierans Lippen und drückte ihn fest an sich, nur um sich beinahe genauso schnell wieder von ihm zu lösen. Er grinste ihn an. "Wenn das natürlich so ist und ich nur ein kleiner Betrüger bin, dann.. willst du sicher auch das Geschenk nicht, das ich für dich habe, oder?"
 

Kieran


 

"Nein, du darfst es gerne behalten!", sagte er großspurig und lachte leicht. Diese Ansicht damals bei diesem seltsamen Kerl war eines der dümmsten Dinge, die er bis dato in seinem Leben gemacht hatte. Aber es war auch letztlich der Beginn davon gewesen, auf eigenen Beinen stehend sich seine Träume zu verwirklichen. Und es war der Anfang von dem, was er heute hatte: den wunderbarsten Mann an seiner Seite. Als der andere noch so geheimnisvoll tat, sah er ihn fragend an, fragte aber nicht nach. Er würde sich überraschen lassen. Und Dominico war immer für eine Überraschung gut. "Nein, es war nicht die schlechteste...", pflichtete er bei und schmunzelte. Er sagte seinen Leuten, dass er ins Bett gehen würde. Viele waren eh nicht mehr auf, der Tag war anstrengend gewesen.

Als Dominico vor ihm die Massage genoss und mit einem Mal ernst wurde, dachte Kieran einen Moment nach. Dann beugte er sich vor, küsste den anderen auf die Halsbeuge. "Ich denke, WIR sind auf dem richtigen Weg", sagte er ruhig. "Ich habe dir vor kurzem sehr viele Vorwürfe gemacht, obwohl ich dazu nur bedingt das Recht hatte. Da wurde ich dir auch nicht gerecht. Aber so ist das wahrscheinlich mit einer Beziehung. Man muss immer wieder dazulernen. Das klappt auch ganz gut, solange man den anderen nicht als selbstverständlich ansieht." Zumindest hatte er das Gefühl, dass ihre gegenseitige Wertschätzung nie größer gewesen war. Manchmal war es von Vorteil, wenn man erstmal durch die ein oder andere Hölle geschickt wurde.

Kieran blieb auf dem Bett sitzen, während Dominico aufstand, um sich vor ihm auszuziehen. Natürlich ruhten Kierans Blicke auf dem klar definierten, muskulösen Körper des anderen. Wenigstens war das Turnier auch dafür gut. Ein leichtes Grinsen legte sich auf seine Lippen, als ihm klar wurde, dass Dominico ihm gerade eine Show lieferte, um ihn seiner Worte Lügen zu strafen. Denn wenn eines klar war, dann ja wohl, dass hier niemand wegen der Schulter heute auf Sex verzichten würde. Kieran biss sich auf die Unterlippe und merkte sehr deutlich, dass ihn diese Show absolut nicht kalt ließ. Die Vorfreude, diesen Körper wieder kosten zu dürfen, ließ ihn gar nicht kalt! "Ein sehr gewiefter", nickt er und versuchte möglichst wenig zu grinsen. "Aber Nein, keine Anschuldigung!", murmelte er, während seine Augen diesen wunderschönen Körper schier verschlangen. "Und ich nehme das „damals“ zurück! Du bist es immer noch!"

Als Dominico ihn am Arm zu sich zog, strich seine freie Hand direkt über die Brust des anderen. Ob er jemals genug davon haben würde? Nein! "Ngh!", entwich ihm ein Keuchen, als er die Finger auf seinem Rücken spürte. Gott, dieser Mann wusste, wie er ihn um den Verstand brachte. Kieran drückte den Rücken durch, während das Kribbeln, das durch seinen Körper ging, sich in seinen Lenden bündelte. "Ja, du hast mich gewarnt", hauchte er, und tat dich schwer, die Augen wieder zu öffnen und den anderen anzusehen, "aber ich habe schon immer gerne mit den Feuer gespielt, wie du weißt." Nur zu gerne ließ er sich in den viel zu kurzen Kuss ziehen. Schier benommen von solch einer Verführungskraft öffnete er seine Augen, als Nico weitersprach. Ein Geschenk? "Kein Betrüger!", keuchte er schnell. "Schließlich hältst du ja, was du versprichst." Kurzerhand zog er Nico noch einmal zu sich, um sich einen Kuss zu stehlen. "Gegen ein Geschenk habe ich nichts, außer vielleicht, dass ich keines für dich habe."
 

Dominico


 

"Es wäre auch wirklich schlimm wenn ich das verlernt hätte..", gab Nico mit einem Lächeln zurück und genoss den Kuss mindestens so sehr wie Kieran. Zwei Tage waren vergangen, seit er zuletzt neben ihm aufgewacht war und er sehnte sich danach genau dieses Gefühl wieder zu bekommen, aber eben nicht nur das. Er wollte Kieran spüren, der über ihm vor Lust bebte, und seinen verträumten sinnlichen Blick sehen, wenn sie vereint waren. Von wegen in seinem Alter. Es hatte zwar Zeiten gegeben, da hatte auch er mit seinen inzwischen 34 Jahren geglaubt, zu alt für manche Dinge zu sein, doch für Kieran fühlte er sich definitiv nicht zu alt. Er fühlte, dass es ihm genauso schwer fiel die Finger wieder von Kieran zu lassen, nachdem er ihren Kuss gelöst hatte, doch er wollte den Jüngeren noch ein bisschen auf die Folter spannen. Also löste er sich langsam ganz von Kieran, um ihn abermals allein auf dem Bett zurückzulassen. Er ging zu einer Kommode hinüber und zog ein Bündel Pergament hervor, ganz ähnlich den Blättern, auf denen Jonathan damals in Cambridge die Bilder von Kieran gemalt hatte. Mit diesem Bündel kehrte er zum Bett zurück und hielt Kieran das allzu bekannte Bild von ihm selbst vor die Nase. "Ich muss allerdings sagen: entweder hat er dabei etwas geschummelt, oder, mein Lieber, du hast wieder viel zu sehr abgenommen..." Und sie beide wussten ja leider was stimmte. Kieran war nicht mager, doch die Sorgen um sie beide und die Entbehrungen im Studium hatten ihn schon etwas Gewicht gekostet. "Ich glaube ich sollte wirklich selbst dafür sorgen, dass du dreimal am Tag ordentliches Essen bekommst, hmn?" Er schmunzelte und griff nach einem zweiten Blatt, das er Kieran gab. Es war eine Zeichnung von ihm selbst, halbnackt nur mit einer geschnürten Hose bekleidet und zweifelsohne den spanischen Hengst am Zügel, den er Kieran geschenkt hatte. Er reichte es ihm, ehe er die letzte Rolle anhob. "Ohne dich war es schwer, eines von uns beiden machen zu lassen, aber der Zeichner hatte eine Idee." Er entrollte das letzte Bild, das sie dieses Mal wirklich beide zeigte. Es war eines der Bilder von Kieran, die Jonathan gemacht hatte und der Maler hatte genau diese Skizze absolut detailgetreu übernommen - und dann Nico einfach hinzugefügt. Jonathan hatte Kieran halb seitlich in nachdenklicher Pose skizziert und jetzt stand Nico hinter ihm, einen Arm um seine Taille gelegt mit einem Lächeln auf den Lippen. "Ich musste in letzter Zeit sehr oft an Cambridge denken und ich dachte mir, das hier sei eine Art 'Wiedergutmachung' dafür, dass ich deine Bilder die ganze Zeit behalten habe. Ich wollte, dass du so etwas auch von mir hast.. du siehst also, eine Gegenleistung ist gar nicht wirklich erforderlich. Das hast du immerhin schon lange vorher gemacht." Er grinste und kam wieder auf das Bett, auf dem Kieran noch immer die Blätter in der Hand hielt. "Und jetzt wollen wir doch mal sehen, wie nutzlos mein Arm wirklich ist, wenn es um etwas geht das ich gerade mehr will als alles andere...", erklärte er und zog Kieran entschieden auf seinen Schoß. Sich selbst die ganze Zeit abstützen konnte er vielleicht nicht, aber das musste er bei jemandem, der so gern im Sattel saß wie Kieran, sicher nicht. Seine Hände schoben sich wieder unter Kierans Hemd und falteten es entschieden nach oben, um endlich mehr der ersehnten nackten Haut freizulegen. Seine Lippen legten sich nur kurze Zeit später auf Kierans Hals und seine Schulter, während seine Finger Muster auf Kierans Rücken malten und er lächelnd jedes Aufbäumen genoss.
 

Kieran


 

Gespannt beobachtete er, wie Dominico zur Kommode hinüberging. Was für ein Geschenk würde ihm der andere machen? Als dieser die Pergamentrolle herauszog, war er verwundert. Hatte Nico nicht vorhin gefragt, ob er es nicht mittlerweile behalten dürfte? Wollte er es doch zurückgeben?

Tatsächlich war sein Bild von damals dabei. Er betrachtete es eine Weile. Er hatte sich verändert. Damals war die Welt noch eine ganz andere gewesen, als heute. Er war gereift und erwachsener geworden. Aber das Bild gefiel ihm noch immer. Nico hatte Recht. Er hatte mal deutlich mehr Muskeln und auch deutlich mehr auf den Rippen gehabt. "Nicht mehr lange, dann bin ich fertig mit dem Studium. Dann werde ich mir wieder mehr Zeit für mich nehmen", beschloss er. "Ich habe es auch vorhin gemerkt, wie sehr mir die Bewegung fehlt, und das Reiten. Niamh geht es gut, aber mir nicht - zumindest nicht in diesem Punkt." Er blickte Nico an. "Aber nichts desto trotz fände ich es auch schön, wenn ich öfters hier bei dir sein könnte. Vielleicht schaffen wir das ja."

Als Nico das nächste Pergament hervorholte, hob Kieran die Augenbrauen. "Wow!", rutschte ihm im ersten Moment heraus. Er nahm das Bild und sah es verblüfft an. Ja, da war noch jemand, dem er dringend Aufmerksamkeit widmen sollte - seinem Hengst, der mittlerweile alt genug war, unter dem Sattel gehen zu können. Und Nico im Vordergrund - nun, bedurfte es da wirklich Worten? Der Künstler, der hier gearbeitet hatte, war meisterlich. Als Nico noch mit einem weiteren Pergament raschelte, blickte er wieder auf. Das, was jetzt kam, übertraf noch einmal alles.

Ein Bild von ihnen beiden, so passend, als hätten sie da wirklich gemeinsam Portrait gestanden. Kieran schluckte und blickte Dominico sprachlos an. Noch immer ziemlich perplex ließ er sich auf den Schoß ziehe. Dann umarmte er den anderen und schmiegte dich an diesen. "Danke", sagte er leise. "Die Bilder sind wunderschön. Und es hätte keiner Wiedergutmachung bedurft. Ich fand den Gedanken, dass du mich immer bei dir hast, und sei es nur als Bild in einer Schublade, immer sehr aufbauend. Dennoch, vielen Dank!" Er löste sich wieder und blickte den anderen lächelnd an, bevor er den frechen Händen gewährte, ihm das Hemd über den Kopf zu ziehen. Die Lippen, die forschen Hände, die seinen Rücken triezten - Kieran schloss die Augen genussvoll, drängte sich leicht gegen den anderen. "Ngh", keuchte er wieder. Seine Hände spielten im Nacken mit den Haaren des anderen, schließlich neigte er den Kopf und sah Dominico aus lustverhangenen Augen an. "Ich liebe dich!", wisperte er und verschloss die Lippen des anderen mit den seinen, bevor jener etwas erwidern könnte. Nico nach hinten auf das Bett drückend, begann er den anderen zu verwöhnen, um ihn spüren zu lassen, wie sehr er ihn liebte.

London 3 - Bedingungen

Rodrego


 

Rodrego hatte noch lange wach gelegen, während der ruhige Atem des anderen verraten hatte, dass der Alkohol ihm geholfen hatte, in die Traumwelt hinüber zu gleiten. Es fühlte sich gut an, endlich wieder diesen wunderbaren Körper in den Armen zu halten, aber das bedeutete nicht, dass bereits alles gut war. So sehr es sich Rodrego auch wünschte, es war nicht sicher, ob es jemals wieder so werden würde, wie es einmal gewesen war - für eine kurze Zeit. Er würde alles dafür tun, das war ihm klar. Aber er fürchtete sich alleine schon vor dem nächsten Morgen. Was würde sein, wenn Alessandro nüchtern wieder aufwachte? Würde er es sich wieder anders überlegen? Wie würde er ihn behandeln? Diese Ohrfeige, die ihm zumindest ordentliche Kopfschmerzen bereitete, war ein wichtiger Anfang gewesen, aber keine endgültige Lösung. Er würde sich das Vertrauen des anderen wieder hart erkämpfen müssen. Er hoffte, dass er es irgendwann wieder erlangen konnte. Aber das würde nur die Zeit zeigen...

Wie würde Alessandro sich bis dahin verhalten? Irgendwie fürchtete er sich davor, noch zu oft dem Kardinal in Alessandro zu begegnen. Aber zu wissen, dass es Alessio gab und dieser ihn geküsst und sich an ihn gekuschelt hatte, das ließ ihn glücklich sein. Es war dieser Körper und diese Wärme und dieser vertraute Geruch, der ihn schließlich hatte einschlafen lassen.
 

Alessandro


 

Der Regen, der über Nacht in wahren Massen vom Himmel gefallen war, ließ die Themse deutlich anschwellen, aber die Natur nach den vielen warmen Tagen aufatmen. Als die ersten Sonnenstrahlen am Morgen über den Horizont krochen, begrüßten die Vögel und die summenden, zirpenden Insekten die Sonne lauter als in den letzten Tagen. Es war ein Vogel der vor dem geöffneten Fenster plötzlich losflatterte, der Alessandro endgültig aus seinem traumlosen Schlaf riss. Er öffnete die Augen und blinzelte, um im schwach erhellten Raum überhaupt etwas zu sehen. Wo war er?

Als er versuchte sich aufzusetzen, protestierte sein Kopf mit leisen pochenden Schmerzen dagegen und er sank mit einem Aufstöhnen und einem unangenehmen, schalen Geschmack im Mund wieder zurück. Einfach... liegen bleiben. Liegen bleiben und erst einmal richtig wach werden. Neben ihm regte sich etwas oder eher jemand. Alessio drehte langsam den Kopf, nur um in Rodregos schlafendes Gesicht zu blicken. Rodrego...?

Sein Hirn brauchte heute definitiv etwas länger als sonst! Nur langsam kam die Erinnerung an die Ereignisse des letzten Tages zurück. Der Gottesdienst am Morgen, den er mit erstaunlicher Inbrunst zelebriert hatte, der lange Ritt nach London auf das Turnier mit seinem Bruder und der kleine aber deutliche Sieg gegenüber Thomas Cromwell, den sie sich hart verdient hatten. Obwohl er in Hochstimmung gewesen war, hatte er die Feier nicht genießen können. Er erinnerte sich an einen sehr glücklichen Dominico mit seinem Kieran, die eine Volta nach der anderen getanzt hatten und an hervorragendes Essen mit hervorragendem Wein... und er erinnerte sich auch daran, von letzterem zu viel getrunken zu haben. Dem verdankte er jetzt wohl seinen wattig weichen Schädel..

Alessio sah neben sich auf den Nachttisch und fand dort einen Krug und einen Becher vor. Ein vorsichtiger Blick hinein zeigte ihm Wasser und er stürzte gleich zwei Becher davon hinunter. So ließ es sich gleich viel besser denken. Wie war er nochmal hier gelandet?

Er erinnerte sich daran, Rodrego nachgelaufen zu sein... und er erinnerte sich an das Ticket in die neue Welt. An eine Kerze, einen Streit, viel nackte Haut und viele böse Worte. Er fühlte das seine Hand von der Ohrfeige, die er Rod verpasst hatte, noch schmerzte und doch gleichermaßen dessen warme Hand auf seiner Hüfte. Seine Gedanken drehten sich für einen Moment im Kreise während er versuchte sie und sich wieder zu ordnen und alles irgendwie in eine Bahn zu bekommen. Einfach war es nicht, aber so langsam wusste er erstens wieder, was passiert war, und zweitens, was es zu bedeuten hatte. Er und Rodrego hatten, irgendwie und auf seltsame Weise, wieder zusammengefunden. Wobei "zusammengefunden" vielleicht das falsche Wort war. Zumindest hatte Rodrego erkannt, dass "sein" Alessio nicht gestorben war, und Alessio hatte erkannt, dass Rodrego aus verständlichen Motiven gehandelt hatte. Doch das Vertrauen, das vorher in ihm gegenüber dem Schmied geherrscht hatte, war nach wie vor erschüttert und nach wie vor war Cromwell eine Gefahr. Jetzt mehr denn je, wo er ahnte, dass Rodrego ihn verraten hatte.

Alessio hatte sich sehr lange Gedanken darüber gemacht, wie er selbst von der Bildfläche verschwinden würde. Er hatte überlegt einfach zu behaupten, in den Vatikan zurückberufen worden zu sein und einfach zu gehen. In London würde niemand Fragen stellen und der Weg war so weit, dass man gut auf halber Strecke verloren gehen konnte. Er hatte bereits alles dafür in die Wege geleitet, sein Vermögen oder zumindest einen Teil davon einzusammeln und es in Giulias Haus nach Italien transferieren zu lassen. Dass er gehen und untertauchen wollte, das wusste sie und dass sie seine einzige Stütze und Verbindung zu seinem Geld bleiben würde, das wusste er auch. Er hatte Cromwell noch einen Schlag versetzen wollen und dann einfach verschwinden, doch so leicht würde das jetzt nicht mehr gehen. Wenn er nun verschwand, dann waren Rodrego und sein Bruder in höchster Gefahr. Sie brauchten etwas, das Cromwell vollkommen entthronte und am besten noch etwas, das ihm eine Möglichkeit zur Flucht gab.

Die Idee, die über einige Zeit in seinem Kopf Gestalt annahm, war absurd aber gerade wegen ihrer Absurdität so unglaublich vielversprechend. Während Rodrego ruhig neben ihm schlief und es draußen beständig heller wurde, reifte ein Plan in Alessandros Kopf heran. Er war noch sehr rudimentär, keinesfalls vollkommen ausgereift, aber er hatte schon nach der ersten Überlegung Hand und Fuß. Es zahlte Cromwell mit gleicher Münze heim, was er ihnen angetan hatte, das machte die Sache nur umso genialer. Er, Alessio, würde die Fehler nicht machen, die Cromwell gemacht hatte.

Er ließ sich langsam wieder zurücksinken, genoss das Gefühl des langsam schwindenden Pochens durch das frische Wasser und ließ zu, dass Rodrego sich näher an ihn schmiegte. Wenn alles glatt ging, dann würde sich sogar Rodrego sein Vertrauen wieder verdienen können... oder sie kamen alle bei dem Versuch ums Leben. So oder so - es war der einzige Weg, den es sich lohnte zu gehen.

Langsam drehte er sich zu dem schlafenden Schmied und musterte ihn nachdenklich. Was Rodrego getan hatte war noch immer unglaublich für ihn, doch er konnte zumindest ein wenig nachvollziehen, wieso er es getan hatte. Vorsichtig und sanft fuhren seine Finger die Kontur seiner Brust nach, die tatsächlich schmäler geworden war aber noch immer herrlich breit, so dass man sich gut ankuscheln konnte. Eine Frage geisterte in seinem Kopf herum, während er sich vorbeugte um Rodrego wach zu küssen: War seine Freiheit es wert, diesen so drastischen Schritt von sich selbst und Rodrego zu verlangen?
 

Rodrego


 

Spät eingeschlafen war er noch im Tiefschlaf, als Alessandro schon aufwachte. Nichtsdestotrotz rutschte er dem Körper nach, als Alessandro etwas trank. Als er die Küsse spürte, zogen diese ihn von sehr weit weg zurück ins Hier und Jetzt. Ein Lächeln legte sich auf seine Lippen, und ein Gefühl von Erleichterung breitete sich in seinem Körper aus. "Alessio", wisperte er, noch bevor er die Augen öffnete. Es war schon hell draußen, als er schließlich in das Gesicht des anderen blickte. Kurz zögerte er, dann sagte er lächelnd: "Ich habe die vergangenen Tage oft gedacht, du lägest neben mir, wenn ich aufwache - jeder Morgen begann mit der nüchternen Erkenntnis, dass du nicht da warst und ich ein elender Träumer bin. Heute bist du bei mir und ich möchte, dass es in Zukunft immer so ist." Er richtete sich leicht auf. Irgendwie hatte er Angst, dass Alessio sich doch noch in Luft auflösen könnte. Er wollte ihn festhalten, ihn zu sich ziehen und küssen, aber er traute sich nicht so recht. Ein seltsames Gefühl, das wohl als schlechtes Gewissen bezeichnet werden konnte.
 

Alessandro


 

Wenn es denn mal einen Tag gegeben hatte, an dem er früher wach gewesen war als Rod, dann hatte er ihn auch so geweckt. Und Rods verschlafen verträumtes Gesicht mit diesem Lächeln zu sehen hatte Alessio Kraft für den Tag gegeben. Jetzt war er sich nicht so sicher, ob es ihm Kraft und Motivation gab, das zu erklären, was er vorhatte, und von Rod zu verlangen, was er zu verlangen gedachte. Rods Worte mit leicht rauchiger Stimme, weil er noch nichts getrunken hatte, ließen Alessandro wieder zu seinem Lächeln finden und er bemerkte durchaus, dass Rod nicht wagte, ihm jetzt noch näher zu kommen, obwohl sie schon direkt aneinander lagen. "Du hast jeden einzelnen Tag verdient, an dem du mit diesem schlechten Gewissen aufgewacht bist...", erklärte er beinahe nüchtern, doch er legte seinen Arm auf Rodregos Hüfte und hinderte ihn so daran, zu weit von ihm wegzukommen. "Aber heute bin ich hier... und morgen vielleicht auch." Oder wohl eher ziemlich sicher, denn mit Rod an seiner Seite konnte der Kardinal wenigstens schlafen. Zwar hatte er das die letzten Tage auch gekonnt, doch neben Rod fühlte er sich einfach richtig wohl und ausgeruht und das, obwohl er erst gestern einen quasi Vollrausch gehabt hatte. "Aber.. vielleicht in ein paar Tagen nicht mehr." Leitete er langsam ein, was er eigentlich zu sagen hatte.

Er bemerkte Rods irritierten Blick und zwang den Schmied dazu, sich wieder so zu drehen, dass er ihn ansehen konnte. "Nach dem Turnier gestern werden sich die Ereignisse überschlagen. Du weißt selbst, zu was Cromwell fähig ist. Ich denke ich muss dir nicht sagen, was für ein gefährlicher Mann er ist." Alessio bettete seinen Kopf etwas bequemer auf das Kissen. "Er wird nicht ruhen, bis er den Rückschlag wieder aufgeholt hat und das müssen wir um jeden Preis verhindern. Und wenn ich sage um jeden Preis, dann meine ich das auch genauso." Der Kardinal schlich sich ohne viel Aufheben in Alessandros Züge. Er brauchte ihn hier, nicht weil er gegen Rod wettern wollte, sondern weil das kühle Verständnis es war, das ihnen helfen würde. "Ich habe einen Plan Rodrego... einen Plan, den Cromwell vollends aus dem Verkehr ziehen wird und der es mir ermöglicht, von hier zu verschwinden. Nico als Berater seiner Majestät wird auf eine andere günstige Gelegenheit warten müssen, aber ich, ich werde in zwei Wochen von hier verschwunden sein." Es klang so sicher, als habe er bereits alles veranlasst, dabei war es bisher auch nur eine Idee. Aber sie war so gut, dass Alessandro sie einfach umsetzen müssen würde.

"Wir werden vorgehen wie folgt: Zunächst einmal werde ich Cromwells Diener bestechen oder für einige Stunden ausschalten lassen. Ich brauche seinen Siegelring, seinen ECHTEN Siegelring. Wir werden ihn mit seinen eigenen Waffen schlagen. Und in einer Woche Rodrego wirst du, gemeinsam mit meinem Bruder und Amadeo in den Palast reiten, im Gefolge eine schwarze Trauerkutsche. Und vor dem König wirst du..." - er tippte mit dem Zeigefinger auf Rodregos Brust - "...gestehen, dass du mich im Auftrage Cromwells vergiftet hast. So wie du Familie Kinley getötet hast - ebenfalls in seinem Auftrag. Als Beweis wird Nico seiner Majestät die Papiere geben, die er dir "abgenommen" hat, zwei Befehle zur Ermordung einerseits der Familie Kinley und andererseits meiner Wenigkeit. Und dann wird Charles Brandon seinen Auftritt haben und einen ganz ähnlichen Befehl vorzeigen. Sein Diener ist aber loyaler als du und hat seinem Herrn direkt gebeichtet, was man ihm auferlegte." Alessio sah auf und blickte direkt in Rodregos Augen. "Dominico wird dem König diese ganze Lüge erklären und du wirst dastehen und nicken und all das bestätigen, was er sagt. Und danach wirst du in den Tower gehen und darauf warten, dass man dir den Prozess macht."

Alessandro musste nicht genauer hinsehen, um bereits jetzt zu erkennen, dass Rod ihn für wahnsinnig hielt. Ja.. vielleicht war er das. Doch so würde er aus England entkommen. "Und du wirst im Tower sitzen und beten dafür, dass Gott dich vor dem Galgen verschont.." Er hob die Hand und strich dem Mann sanft über die Wange, dem er gerade eröffnet hatte für ihn selbst mehr oder weniger den Tod in Kauf zu nehmen. "Wirst du das für mich tun..?"
 

Rodrego


 

Alessandros nüchterne Erklärung, dass es rechtens war, dass Rodrego unter seinem Gewissen gelitten hat, war ehrlich und vermutlich auch richtig, tat aber dennoch weh. Doch der Arm, der verhinderte, dem natürlichen Reflex nachzugeben und zurückzuweichen, ließ ihn wissen, dass die Worte zwar ehrlich, aber nicht anklagend waren. Das zumindest halbe Versprechen, dass er auch morgen bei ihm wäre, stimmte ihn wieder milder. Nun, was hatte er erwartet? Dass Alesssndro aufwachte und alles vergessen war? Sicher nicht. Dafür blickte er wieder irritiert auf, als der andere verkündete, es irgendwann aber doch gar nicht mehr zu können. Was meinte Alessandro damit? Er richtete sich leicht auf und Alessandro dirigierte ihn so, dass er ihn ansehen musste. Erst jetzt fiel ihm auf, dass die Augen des anderen, so voller Tatendrang waren. Was hatte jener, dass er ihm das so dringend erzählen musste?

Alessandro fing an, ihm seinen Plan zu unterbreiten. Rodrego nickte zunächst leicht, als Alessio die Situation einfach kurz skizzierte. Aber das 'um jeden Preis' klang irgendwie sehr bedrohlich. Dass mittlerweile das ruhige Kalkül des Kardinals zu ihm sprach, störte ihn nicht, solange ganz offensichtlich Wichtiges besprochen werden musste. Aber während er dem schier irrsinnigen Plan lauschte, bemerkte man sehr deutlich, dass Alessandro einem wichtigen Gedanken nachjagte: er wollte weg, nicht nur aus England, sondern ganz weg: weg aus der Kutte, weg von allem, was ihn an das jüngst Vergangene erinnerte. In diesem Plan kam in erster Linie ein "Ich" vor, kein "wir". Rodrego dämmerte allmählich, was sich Alessandro da ausgedacht hatte. Er würde untertauchen, um niemandem mehr eine Zielscheibe zu sein, um niemandem mehr verpflichtet zu sein. Rational betrachtet war das das Beste, was er tun konnte. Aber dennoch schmerzte es, das zu hören. Er lauschte interessiert dem Plan und versuchte, sich nicht die Irritation anmerken zu lassen, bis Alessandro endete. Als der andere geendet hatte, blickte er ihn erst einmal nur ruhig an. War das sein Ernst? Aber Alessio sah nicht so aus, als sei er groß zu Späßen aufgelegt gewesen. An und für sich klang der Plan auch erfolgsversprechend. Wären da nur ein paar Kleinigkeiten, die er noch nicht durchschaute. "Du willst deinen Tod vortäuschen und ich soll der Mörder sein", rekapitulierte er, ohne zunächst auf die letzte Frage einzugehen. "Der König wird Dr. Chambers bitten, deinen Tod zu bestätigen. Wie soll das gehen? Und wird dann Nico wohl auf eine Beerdigung zu Hause drängen, um dich außer Landes zu bringen?" Er sah ihn fragend an, und ihm wurde etwas mulmig, als er die nächste Konsequenz aufdeckte. "Und ich werde dann als Mehrfachmörder meinem Prozess fristen, der mehr als sicher gegen mich entschieden wird." Er war kurz davor zu fragen, weshalb er das machen sollte, aber er ließ es sein. Ihm war mehr als klar, warum. Es würde seine Schuld tilgen. "Und heißt das, dass heute und vielleicht morgen dann der letzte Morgen angebrochen ist, an dem ich neben die erwachen darf?" Er sah den anderen fragend an. "Na dann dürfen sie mich auch gerne aufhängen."
 

Alessandro


 

Dass es Alessandro nicht vordergründig um sich selbst ging, sondern vor allem um sein Glück, seine Familie und natürlich auch Rodrego, konnte und wollte er ihm gerade nicht sagen. Eigentlich hatte er dem Schmied bereits zu viel verraten. Natürlich waren die Wärter im Tower gegen viel Bargeld korrupt und natürlich würde er alles daran setzen, Rodrego zu befreien, doch letztlich war Henrys Jähzorn bereits legendär. Wenn es ihnen nicht gelang seinen vollständigen Zorn auf Thomas Cromwell zu lenken, dann war die Gefahr groß, dass Rodrego noch im Thronsaal starb... und dann, so hoffte Alessandro, würde er selbst auch nie wieder aufwachen müssen. Aber das würde einfach nicht passieren.

Sein Blick wanderte über Rodregos Gesicht. Jeder andere Mann hätte in dieser Situation vermutlich direkt den Rückzug angetreten, wäre abgehauen und hätte ihn zum Teufel gewünscht. Den eigenen Tod vorzutäuschen und in Kauf zu nehmen, dass der andere starb, nur um selbst endlich frei zu sein... ja, das war ein gewagter Plan. Doch Rod schien zu begreifen, wieso Alessandro diese drastische Maßnahme plante und letztlich diesen hohen Einsatz von ihm forderte. "Natürlich wird der König Dr. Chambers zu Rate ziehen, aber auch er wird keine andere Diagnose stellen können als meinen Tod. Ich bin sehr überzeugt von den Fähigkeiten des Arztes dem ich vertraue. Wenn einer diese Farce erzeugen kann, dann er. Und sie wird glaubhaft genug für Chambers sein." Erklärte er recht knapp und nüchtern. Dieses kleine Detail bereitete ihm wirklich die geringsten Sorgen. Wenn John Recht hatte, würde der Arzt es kaum bemerken. Außerdem, wieso sollte Chambers an seinem Tod zweifeln? Wenn er aufgebahrt auf einer Trage lag, dann würde auch John Chambers kaum mehr als den Atem und seine Temperatur prüfen, um sich nicht am Ende noch an dem Toten anzustecken oder mit dem Gift in Berührung zu kommen. Dann sprach Rodrego die Sache an, die Alessio am Ende seiner kleinen Ansprache hatte in der Luft hängen lassen und die Endgültigkeit seiner Worte ließen den Kardinal lächeln. Seine Finger wanderten sanft von Rodregos Wange in seinen Nacken und er zog ihn näher, küsste ihn mit aller Zärtlichkeit, Liebe und Hingabe, die er aufbringen konnte. Als er sich nach einer Weile löste fing er Rods schon beinahe verzweifelten Blick auf. "Wenn du entscheiden müsstest, ob du nie wieder neben mir erwachst oder es noch zweimal tun kannst… wie würdest du dich entscheiden?" Sein Daumen strich über die weichen vollen Lippen des Mannes. "Ich liebe dich, Rodrego... Ich liebe dich so sehr, dass es schmerzt, und ich habe dich schon immer geliebt. Ich begehre dich mit meinem ganzen Körper, mit jeder Faser meines Seins. Aber ich kann dir nicht mehr in die Augen sehen, ohne daran zu denken, dass du mich verraten hast. Aber wenn du vor dem König deine Schuld zugeben wirst, wenn du für mich dieses Schicksal vorerst auf dich nehmen wirst, dann werde ich diese Worte endlich vergessen können... Und ich kann mich von dem Kardinal lösen, der zwischen uns steht. Ich habe dir nie Anlass gegeben, mir nicht zu vertrauen. Ich bin ehrlich zu dir, wenn ich dir sage, dass wir in drei Tagen hier das letzte Mal nebeneinander aufwachen werden. Aber dafür ist dir meine Liebe und meine unendliche Dankbarkeit gewiss. Alles was darüber hinausgeht kann und will ich dir nicht sagen. Du wirst springen müssen, um zu sehen, ob ich dich auffange... oder ob wir beide uns dann an einem anderen Ort wiedersehen."
 

Rodrego


 

Der Plan war absurd, völlig irrwitzig. Aber genau deshalb zweifelte Rodrego nicht daran, dass er gelingen konnte. Und das Feuer in Alessios Augen, dieser Tatendrang waren genug Beweis, dass es für Alessio wichtig war. Und Rodrego konnte es ihm nicht verdenken. Es würde ihm das ermöglichen, was jener sich am meisten wünschte: dem Kardinal den Rücken zu kehren und endlich er selbst sein zu können. Und Rodrego wusste, dass er dem anderen nichts mehr gönnte, als das. Und er wusste, dass er für sich selbst auch nichts mehr wünschte, als Alessio für immer nur als Alessio zu haben.

Die Fähigkeiten seines Arztes? Meinte er John Forbes? Nun der lange Lulatsch hatte es schließlich auch geschafft, Alessandro aus seiner Starre zu bewegen. Er schien, was Medikamente und Drogen betraf, sehr gut zu sein, aber konnte er so etwas wirklich? Einen Körper so schlafen zu legen, dass Dr. Chambers dessen Tod bestätigen würde? Aber Alessio sagte das so bestimmt, dass er nicht nochmal vor ihm daran zweifeln würde. Falls es wirklich so weit käme, würde er sich den Quacksalber noch mal vorknöpfen, bevor Alessio das Zeug trank. Wehe, der Arzt wäre nicht überzeugt genug. Doch er kam nicht weiter dazu, darüber nachzudenken. Alessio zog ihn in einen Kuss, der ihm den Atem raubte, ihn schwindeln ließ und ihm so weh tat, weil er so verdammt ersehnt gewesen war, dass es ihm schier die Tränen in die Augen trieb. Als sich der andere löste, musste Rodrego hart schlucken, senkte aber nicht den Blick. Die Frage des anderen ließ ihn nicht zögern. "Lieber zwei Tage mit dir, als ein Leben ohne dich", sagte er und seine Stimme klang so ungewohnt dumpf. Aber die nun folgenden Worte ließen ihn nicht weiter darüber nachdenken, sondern trafen ihn mit voller Wucht.

Als der andere endete, blickte er ihn einfach nur an und versuchte zu begreifen, was er gehört hatte. Es war die schönste Liebeserklärung gewesen, die er sich hätte erträumen können. Und gleichzeitig wurde er gebeten, sein Todesurteil - zumindest vorerst - zu unterschreiben. Er blickte in diese grünen Augen. Und nein, er suchte nicht darin die Antwort, ob der andere log. Ob er ihn verraten würde, ihn nicht retten würde. Ob er ihn dem Galgen auslieferte. Er vertraute dem anderen und er wusste, dass Alessio Recht hatte. Der schöne Italiener würde ihm niemals vertrauen, wenn er ihm nicht sein Leben in die Hand legen würde. Nur so konnte er seinen furchtbaren Fehler ungeschehen machen. Und die Frage, ob er das tun würde war sehr leicht zu beantworten: Ja.

Denn ein Leben ohne den anderen war ihm keine Option. Endlich verstand er, was jener Alessio zu ihm gesagt hatte, als er ihn damals im See darum gebeten hatte, ihm zu helfen.

"Ich springe", sagte er schließlich ruhig. "Gerne springe ich für dich, deine Freiheit und hoffentlich unsere Zukunft, wo auch immer diese sein wird, Alessio mio. Aber die nächsten Morgen möchte ich neben dir aufwachen. Und ich möchte bis dahin noch öfters so geküsst werden, wie eben."
 

Alessandro


 

Es war eigentlich eine so friedliche Situation, in er sie beide in diesem Bett lagen. Das Feuer bis auf die Glut heruntergebrannt, draußen die Sonne die den Tag begrüßte und das erste Mal seit langem keine drückende Schwüle mit dem ersten Licht sondern tatsächlich ein angenehmer richtig schöner Morgen. Und doch, was hier in diesem Bett passierte, spiegelte nicht die Schönheit dieses Tages wieder. Es war vielmehr eine vertrackte und sehr heikle Situation, in der sie beide sich befanden. Alessandro war klar, dass er unendlich viel von dem Schmied verlangte, auch wenn der am Abend zuvor gesagt hatte, dass ihm sein Leben nichts bedeutete, wenn er, Alessio, darin keine Rolle mehr spiele. Gleichermaßen wusste er, dass von Rodregos Antwort alles abhing was hinter dieser Forderung stand. Wenn Rodrego nicht sprang, würde er dann springen? Würde er trotzdem so vorgehen, wie er es plante? Würde er den Schmied fallen lassen? Der Kuss diente nicht nur dazu, um Rod zu überzeugen, sondern um sich selbst davon zu überzeugen, dass sein Gegenüber das war, was er wollte und er wurde wenig später auch nicht von Rodrego enttäuscht. Alessio lächelte, rückte näher an Rod heran und griff seinen Arm, der immer noch so tatenlos auf seiner Hüfte lag. Bestimmt zog er ihn um sich herum und schloss die Augen als sich der starke Arm um seine Seite und seinen Rücken legte und ihn seinerseits näher an die warme Brust des Schmiedes zog. "Wenn du wüsstest wie lange und wie sehr ich mir gewünscht habe, diese Worte aus deinem Mund zu hören... wenn du nur wüsstest wie lange ich mich danach gesehnt habe, das mich diese Finger aus der Kutte reißen... nicht in den letzten Tagen, sondern in all den Jahren zuvor..." Er strich Rod eine Strähne aus der Stirn und sah beinahe abwesend auf das markante Gesicht seines Gegenübers. "Ich verspreche dir neben dir aufzuwachen und neben dir einzuschlafen. Aber nur, wenn du keine Angst davor hast, mich so zu berühren wie noch vor zwei Wochen…" meinte er schließlich mit einem beinahe schon frechen Grinsen. Er würde noch etwas Zeit haben, alles in die Wege zu leiten, und jetzt waren sie beide ausgeruht und zumindest Alessio sehnte sich nach der warmen Berührung von Rodregos Händen. Er kam der Bitte des Schmiedes nur allzu gerne nach, zog ihn zu sich und verschloss seine Lippen mit all dem angestauten Verlangen und der Sehnsucht, die ihn in den letzten Tagen aufgefressen hatte.

London 3 - Entscheidungen

29Entscheidungen
 

Tancrèd


 

An anderer Stelle hatte einer auch ein ganz gewisses Verlangen. Tancrèd war bereits wach, bevor die Sonne wirklich den Tag erhellte. Er schlief so verdammt schlecht auf festem Boden... obwohl er jetzt schon wieder relativ lange an Land war, schlief er einfach schlecht. Er hätte ja auch im Hafen auf dem Schiff bleiben können, doch angesichts der gespannten politischen Verhältnisse war seine Anwesenheit in London einfach unabdingbar. Neben ihm schlief John noch immer und er würde wohl noch eine ganze Weile schlafen. Der schlanke schöne junge Mann hatte sich im Schlaf nahe an ihn geschmiegt und Tancred hatte zumindest das sehr genossen, auch wenn das Bett einfach viel zu ruhig stand.

Im Geiste ging er durch, was in den nächsten Tagen wohl auf seinem Programm stehen würde. Mit dem Schlag gegen Cromwell, dem hoffentlich noch weitere folgen würden, kam auch auf ihn selbst wieder mehr Arbeit zu. Man würde die Schiffe bald brauchen, wenn der König gen Frankreich marschieren oder zumindest Flagge zeigen wollte. Dann würde er noch einmal die Kanonen... DIE KANONEN! Tancrèd schoss im Bett in die Höhe. Seine Gedanken rasten, als ihm gerade bewusst wurde, warum er Kadmin am Tag des Turniers bereits an den Hafen geschickt hatte. Sie bekamen neue Lieferungen von Kanonenkugeln! "Merde!", entfuhr es ihm auf Französisch, als er schon die Beine aus dem Bett schwang. Er schlüpfte so leise und schnell er konnte in Hemd und Hose, nahm seine Jacke von dem Haken neben dem Kamin. John schlief noch immer und schien nicht bemerkt zu haben, dass er ging. Im Labor fand der Franzose Tinte, Feder und Papier und kritzelte eine kurze knappe Nachricht für John, die er auf das leere Kopfkissen neben dem Schlafenden legte: "Verzeih meine Abwesenheit, wenn du aufwachst, John. Ich habe eine wichtige Lieferung für das Schiff vergessen und muss dringend zum Hafen. Ich werde sicher sehr bald wieder in London sein und dich aufsuchen. T" Dann verließ er das Labor, ließ sich in den Stallungen, in denen bereits gemistet wurde, sein Pferd geben und war nur kurze Zeit später bereits in vollem Galopp durch das morgendliche Grün unterwegs zum Meer.
 

John


 

John streckte sich leicht, drehte dann noch einmal den Kopf, um sich noch einmal in das Kissen zu kuscheln. Irgendetwas fehlte, so kam es ihm vor. Irgendwas... John tastete neben sich, dann richtete er sich abrupt auf und blickte suchend auf das Bett. Doch anstatt dass da Tancrèd lag, war da nur ein Zettel, den er eilig griff, um zu lesen. Johns Augenbrauen wanderten nach oben, als er den Zettel noch einmal und noch einmal las. "Idiot!", knurrte er im ersten Affekt, als er wieder ins Kissen sank und die Augen schloss. Er fühlte sich etwas matt, sein Magen schmerzte und er hatte unheimlich Durst. Man, was für ein Abend. John strich sich mit den Händen über das Gesicht und atmete tief durch. Langsam ließ er Revue passieren, was geschehen war und auch wenn er jetzt darüber nachdachte, was Tancrèd mit ihm getan hatte, damit er endlich aus sich heraus kam, und auch was er jenem dann alles erzählt hatte, fühlte er weder Zorn hochsteigen, noch hatte er das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben. Das, was Tancrèd ihm gesagt hatte, ließ ihn schmunzeln und nach wie vor hörte er nicht hin, was diese kleine Stimme in seinem Kopf ihm immer wieder einzureden versuchte. Nein, er wollte das glauben. Er wollte glauben, dass er besonders war, dass dieser Mann ihn wirklich wollte und dass er es schaffen würde, sich wirklich auf den anderen einzulassen.

Ich würde einen Mann wie dich niemals aufgeben. Du bist etwas ganz Besonderes, John Forbes, und es ist eine Schande und zugleich mein Glück, dass das niemand vor mir getraut hat, dir ins Gesicht zu sagen.

Dieser Satz würde sich für immer in seinem Kopf eingebrannt haben.

Im Rückblick hatte er nur einen großen Fehler begangen: er war einfach eingeschlafen.

Und jetzt war dieser Idiot nicht da, den er heute Morgen durch dieses Bett gejagt hätte, dass er sich gewünscht hätte, er wäre ein paar Jahre jünger. "Scheiße", knurrte er, bevor er sich aufraffte, aufzustehen. Denn sein Rückblick hatte ihm auch die Gedanken daran nicht erspart, zu überlegen, was nun die Zukunft bringen würde. Eines war ihm gestern sehr klar geworden. Er musste etwas an seiner Situation ändern und zwar radikal. Anders würde es nicht funktionieren, egal wie sehr er auch wollte.

Während er sich wusch und anzog, dachte er hin und her. Sein Knackpunkt war sein Vater. John würde sich selbst belügen, wenn er sagte, er freue sich auf das Gespräch mit diesem.

Nachdem er noch von Alessandro Sforza abgepasst worden war, war es bereits später Vormittag, als er schließlich mit einem Pferd das Anwesen verließ. Er musste sich beeilen, wenn er alles vorbereiten wollte, bevor sein Vater kam.
 

"Wer ist das?", war die trockene Frage seines Vaters, als er die Apotheke betrat. "Patricia", entgegnete John bestimmt. "Die wunderbarste Krankenpflegerin Londons und emsigste Hilfe, die du dir wünschen kannst. Sie wird dir im Laden helfen und deine Visiten unterstützen. Ab morgen wohnt sie in meinem Zimmer." Damit begann ein teilweise recht lautes, teilweise sehr verletzendes und sehr anstrengendes Gespräch, das jedoch zumindest insofern positiv endete, als dass sein Vater ihm zwar klar gemacht hatte, dass er sich nicht einbilden sollte, jemals wieder in diesem Haus leben zu dürfen, aber er wollte es immerhin einmal mit Patricia versuchen. Und er würde für ihn weiterhin als Alchimist tätig sein. Denn auch wenn sein Vater ein verbohrter und verbitterter alter Mann war, so war er nicht dumm. Und John braute nun mal mittlerweile die meisten seiner Medikamente. Sie einigten sich auf einen Lohn, der es John ermöglichen würde, über die Runden zu kommen.

Er würde das letzte Trimester noch hinter sich bringen und mit Kierans Hilfe würde er auch die Dinge bestehen, in denen er nicht so gut war. Dann würde er sehen, was geschah und wie er und Tancred standen. Alles andere musste er auf sich zukommen lassen.

Am nächsten Tag hatte er seine Sachen gepackt und für Patricia sein Zimmer geräumt. Die energische Frau hatte schon am Tag zuvor bewiesen, dass sie seinen Vater zu nehmen wusste. Wenn John ehrlich war, tat sie ihm ein wenig leid. Aber er hatte sie mehrfach vorgewarnt. Mehr konnte er nicht tun und er war ihr unendlich dankbar. Als Kieran am späten Vormittag kam, war dieser mehr als überrascht. Sie unterhielten sich in Ruhe und der Jüngere freute sich so sehr, dass John ihn damit aufzog, offenbar sehr froh zu sein, ihn los zu werden. Letztlich bestätigte ihm das jedoch nur, dass Kieran es ebenfalls für den richtigen Weg hielt. Nachdem er vormittags für seinen Vater gearbeitet hatte, machte er sich nachmittags auf die Suche nach einer neuen Wohnung, bzw. einem Zimmer. In diesem Punkt machte es sich zumindest bezahlt, dass er etliche Menschen kannte. Zudem hatte er genaue Vorstellungen davon, was er wollte. So richtete er sich am Abend mit Kieran zusammen eine ehemalige Gesindekammer ein, die über den ehemaligen Stallungen eines Gasthauses nahe der Apotheke lag. Mr. und Mrs. Gardner waren schon seit John denken konnte Kunden bei ihnen gewesen und freuten sich über seine Frage, ob sie ihn aufnähmen. Die größere Landwirtschaft hatten die älteren Herrschaften ohne Nachkommen bereits aufgegeben und bewirteten nur noch Gäste. Er war früher öfter bei ihnen auf dem Hof gewesen und hatte geholfen, um etwas zu essen zu bekommen, wenn sein Vater ihm das Essen entzogen hatte.

Das Zimmer war groß und nach einer größeren Reinigungsaktion recht hell, lag abseits der Hauptstraße, so dass es nicht sehr laut war und der nächste Nachbar außer Hörweite. An diesem Abend verabschiedete er Kieran mit der Bitte, Tancrèd zu sagen, wo er ihn finden würde, falls der Kapitän auftauchen würde. Kieran grinste breit und setzte sich demonstrativ erstmal wieder und sah ihn fragend an. John war klar, dass der Kleine nicht gehen würde, bevor er zu diesem Thema nicht genauere Informationen erhalten habe. Er wog ab, was er erzählen wollte, was er erzählen konnte. Dann befriedigte er die Neugierde seines besten Freundes soweit er das wollte und so weit, bis jener zufrieden war. Anschließend schickte er Kieran dann nach Hause, der irgendwie aufgedrehter war als sonst. Er hätte ihn gerne dabehalten, aber Kieran musste für seinen Vater da sein, für Patricia und für Tancrèd im Falle des Falles.

Tancrèd - ja. Es war gut, dass John so viel zu tun hatte, denn das Gefühl in seinem Bauch war nicht sehr angenehm. Von Kieran wusste er, dass die Kriegsschiffe im Hafen östlich von London, in Gravesend lagen. Er würde ihm noch einen Tag geben. Aber dann wäre irgendetwas - eine Nachricht mindestens, sein Erscheinen bestenfalls - überfällig. Besonders wenn man bedachte, dass er nächste Woche auslaufen würde, wenn das, was sich der Kardinal überlegt hatte, wirklich so stattfinden würde. Irgendwie machte ihn das wütend. Die Zeit arbeitete gegen ihn und das Gefühl, einen großen Schritt gemacht zu haben, aber dabei Unterstützung zu brauchen - so seltsam das auch war: er wollte Tancrèd zeigen, dass ihr Gespräch im Hafen damals Spuren hinterlassen hatte.
 

Der nächste Tag war ein normaler neuer Tag in seinem neuen Leben - und das war nicht gut. Denn dieses Leben bedeutete viel Zeit für sich allein zu haben. Zu viel Zeit, um nachzudenken. Daher hingen seine Gedanken bei dem Mann, der ihm geholfen hatte, endlich einmal nur für sich Zeit zu haben.

Während aufstand, sich wusch, frühstückte, seine Kammer aufräumte und sich schließlich auf den Weg zur Arbeit machte, hingen seine Gedanken bei dem Kapitän, der sich doch wenigstens mal mit einem Brief hätte melden können. Selbst als er arbeitete und alles für den entscheidenden Tag von Alessandro vorbereitete, merkte er, dass er abgelenkt war. Vor nicht allzu langer Zeit hatte er sich deswegen über Kieran lustig gemacht. Der Unterschied war nur, dass man es ihm nicht ansah. Er wirkte stoisch wie eh und je. Allerdings glitt sein Blick vielleicht dich öfter zur Uhr, oder zur Tür, wenn jemanden Laden betrat. Gleichzeitig verfluchte er die Umstände ihrer Übereinkunft. Irgendwie war es wie verhext mit ihnen. Entweder wurden sie gestört, oder er bockte oder der andere musste dringend weg... Argh! Wie sollten Sie ihren 'Weg gemeinsam gehen', wenn sie sich nie sahen?

Es war kurz nach Mittag, als er sich ein Pferd geben ließ und los ritt. Er war noch nicht oft so weit weg von London gewesen, aber wenn er jetzt nicht ritt, dann würde er nicht rechtzeitig für Alessandro Plan zurückkehren. Die Wut in seinem Bauch auf die Umstände ihres gemeinsamen Starts trieb ihn voran.

Als er in Gravesend eintraf, war es schon früher Abend. John brachte sein Pferd in eine Stallung in der Nähe des Hafens und genoss den kurzen Fußweg, um sich ein wenig zu strecken und sich von dem Ritt zu erholen. Er fragte sich auf dem Weg durch, wo die Raashno lag, was nicht weiter schwierig war, denn das Schiff war aufgrund seiner Besatzung bekannt wie ein bunter Hund. Als er es von weitem sah, zögerte er einen Moment und beobachtete das Treiben an Deck. Was, wenn Tancrèd nicht da war? Auf dem Weg nach London? Aber Kieran hatte ihm versichert, dass er nicht bei Hofe war. Er sah ihn hier aber auch nicht und so passte er jemanden ab, der vom Schiff kam und nun offenbar zu seinem freien Abend in die Hafenkneipen aufbrach, ob Nadim an Deck wäre. Dieser nickte und musterte ihn, ging jedoch ohne weitere Worte weiter. Also war er da. Und er hatte keine Zeit gefunden, ihm eine Nachricht zukommen zu lassen? Und in ein paar Tagen würde er auslaufen? So ein verdammter Mistkerl!!!

John atmete tief durch. Es war nicht die Angst davor, den anderen zu sehen. Es war das Geräusch von Meerwasser, das immer wieder an die Kaimauer schlug, ... stetig, immer wieder... und wieder und wieder... Er näherte sich dem Schiff, blieb ein paar Meter von der Kaimauer entfernt stehen. Er sammelte sich, schloss die Augen, lauschte seinem Gefühl im Bauch, klingelte die Glocke an der Gangway - dann rief er laut: "Nadim, du elender Mistkerl! Wenn du nicht in weniger als drei Minuten hier bei mir bist und mir Rede und Antwort stehst, dann weiß ich nicht, ob du dich jemals wieder in London blicken lassen kannst, ohne um dein verdammtes Leben bangen zu müssen!"
 

Tancrèd


 

Die Kanonenkugeln vergessen zu haben, war Tancrèd ziemlich, ziemlich peinlich. Er, als inoffizieller Admiral seiner Majestät hatte doch verdammt noch mal da zu sein, wenn ihre Bewaffnung eintraf! Nicht, dass Kadmin das nicht auch hätte erledigen können oder einer der anderen Kapitäne - aber es warf irgendwie kein besonders gutes Licht auf ihn wie er fand. Also trieb er das Pferd zur Eile und wechselte es an der nächstgelegenen Station, um das nächste schnelle ausdauernde Tier schweißnass zu reiten. Als er trotzdem erst gegen Mittag am Hafen eintraf, belud man bereits die ersten Lagerhäuser mit der prekären Fracht. Tancrèd hatte sich strikt geweigert, die Kanonenkugeln an Bord zu nehmen. Es war einfach viel zu gefährlich, was betrunkene Männer unter Deck mit Schwarzpulver anstellen konnten und am Ende würde es in einer Kettenreaktion die ganze Flotte seiner Majestät in Stücke reißen, ohne dass auch nur eine Kanone abgefeuert worden war. Tancred hatte die Unschuld schon kotzen sehen und er war froh, dass man seinem Wunsch nachgekommen war, die Munition erst einmal in einem Lagerhaus zu verstauen. Zwar war das nicht sicherer, aber am Ende würde es eben nur das Lagerhaus zerreißen und nicht die teuren Schiffe.

Er erreichte die Raashno einige Zeit später und wurde bereits von Kadmin erwartet, der ihm Bericht erstattete, was bisher bereits geschehen war. Wenig später traf er sich mit den Kapitänen der anderen Flotte, denen seine Abwesenheit durchaus aufgefallen war. Er hatte ohnehin keinen allzu leichten Stand bei ihnen, weil er Franzose war und ihnen das ganz und gar nicht passte, doch Tancrèd fand meistens einen Weg, ihrer wieder Herr zu werden. Da er in London gewesen war, konnte er sehr wichtige Geschäfte vorschieben und machte ihnen Hoffnung auf einen baldigen Krieg, stützte die Gerüchte, die es bereits nach Gravesend geschafft hatten, über Cromwells schwindenden Einfluss auf den König. Trotzdem wurde ihm klar, dass er eine Weile hier würde bleiben müssen. Er konnte nicht einfach wieder nach London reiten, die Stimmung hier verlangte seine körperliche Anwesenheit. Kadmin hatte die Mannschaft gut im Griff und sie mochten ihren Kapitän, waren ihm auch treu - aber er wollte nicht, dass andere über eine Meuterei spekulierten. Also blieb ihm nichts anderes übrig als die nächsten Tage abzuwarten, auch wenn es ihm danach dürstete nach London zurück zu reiten, um John wieder zu sehen.

Der Gedanke an John rückte am nächsten Abend durch einen besonderen Gast jedoch in den Hintergrund. Tancrèd war deutlich irritiert, als er die Glocke unten an der Gangway hörte und über die Reeling blickte, vor der er auf den Fluss hinausgestarrt hatte. Dort unten an der Planke stand kein geringerer, als der Leibdiener beider Sforza Brüder. Am Morgen als er mehr oder weniger Hals über Kopf abgehauen war, hatte er sich nicht von ihnen verabschieden können, immerhin hatten sie noch geschlafen. War sein Fehlen bemerkt worden und er bekam jetzt die Abmahnung dafür? Er deutete dem Italiener heraufzukommen, der ihm einen Brief überreichte, der ein ihm nur allzu bekanntes Siegel trug: Das Siegel eines Kardinals in Diensten des Vatikans. Ein Schreiben von Alessandro Sforza? Das sein hochheiligster Diener ihm persönlich überbrachte? Tancred musterte Amadeo einen Moment und bat ihn dann, ihm in seine Kajüte zu folgen.

Was er in der nächsten halben Stunde las, konnte er kaum glauben. Das, was da in geschwungener ordentlicher Handschrift auf dem Papier stand in sich schier unendlich aneinanderreihenden Zeilen war kaum mehr als Hochverrat an dem König, der noch immer damit haderte, ihm seinen Freibrief zu geben. Das war allerdings nur die eine Seite der Geschichte.

Auf der anderen Seite bot Alessandro ihm eine so dicke Belohnung und einen sicheren Hafen, dass er dieses Angebot kaum würde ausschlagen können. Er hatte nur ein Problem: er konnte es seiner Mannschaft nicht sagen, nicht einmal Kadmin. Diese Tatsache missfiel dem Kapitän sehr. Solange er nicht auf See war und seine Männer nur unter sich, konnte er so eine Bombe nicht platzen lassen. Er musste sie darauf einschwören, aber das ging besser an einem Ort an dem sie nicht in der nächsten Kneipe davon erzählen konnten. Und es musste sich für sie auszahlen. Er las den Brief abermals und schüttelte erneut ungläubig den Kopf, ehe er zu dem Italiener aufsah, der neben dem Schreibtisch stand und ihn seit dem er sich gesetzt hatte, beobachtete. "Ich nehme an, ich soll diesen Brief verbrennen..." Amadeo nickte knapp, ohne etwas zu sagen. "Und ich nehme an... wenn ich den Forderungen seiner Eminenz nicht nachkomme, falle ich heute Nacht noch in das Hafenbecken und tauche nicht mehr auf...?" Der Franzose sah, wie Amadeos schön geschwungene Lippen leicht zucken. Der Franzose lehnte sich im Stuhl zurück, hob das Papier über die Kerze und sah zu wie es Feuer fing. "Ihr könnt seiner Eminenz ausrichten, dass ich nicht gänzlich abgeneigt von diesem Angebot bin, aber dass ich keinen Handel über einen Dritten abschließe. Für den ersten Teil seiner Forderung steht das Schiff bereit. Seine Schwägerin soll "ihr Gepäck" in den nächsten Tagen hier anliefern lassen, meine Männer sind ohnehin wild darauf, wieder in See zu stechen und ich werde es den anderen als eine Erkundungsfahrt in spanische Gewässer verkaufen können." Er ließ den brennenden Fetzen los und sah Amadeo dann direkt an. "Alles Weitere bespreche ich nur mit dem Kardinal oder seinem Bruder persönlich. Wenn ihm das nicht reicht, weiß er ja, wo man mich finden kann."

"Ich denke für den Anfang wird ihm das vollkommen ausreichen. Sicher ist es besser Eure Mannschaft vorerst im Ungewissen zu lassen. Da seine Eminenz von eurer Verschwiegenheit überzeugt ist, habe ich das für Euch." Amadeo ließ einen Beutel auf Tancreds Schreibtisch fallen, in dem es verdächtig klimperte. "Richtet seiner Eminenz meinen ergebensten Dank aus..", erwiderte der Franzose ruhig und sah zu, wie Amadeo die Kajüte verließ. Dieser Mann war mit Vorsicht zu genießen.. mit verdammt großer Vorsicht.
 

Die Pläne, John möglichst bald wieder zu sehen und nach London zurück zu reiten, wurden von dem Plan des Kardinals erneut zu Nichte gemacht. Eigentlich hatte Tancrèd gedacht zumindest einen Tag zurückreiten zu können, doch der enge Zeitplan, den der Kardinal ihm gesetzt hatte, machte das unmöglich. Bereits am nächsten Morgen musste er sich mit den anderen Kapitänen und auch mit Thomas Howard auseinandersetzen, dem er irgendwie verständlich verkaufen musste, warum eine Erkundungsfahrt ins Mittelmeer gerade zum jetzigen Zeitpunkt lohnend und notwendig war. Es gelang ihm schließlich nur, weil er glaubhaft verkaufen konnte, dass seine Männer des Landes überdrüssig wurden und rebellierten und es sich der König kaum leisten konnte, eines seiner Flaggschiffe wegen Meuterei zu verlieren. Er bekam eine Genehmigung, um in einer Woche auslaufen zu dürfen und trieb schon kurz darauf seine Männer dazu an, das Schiff seetüchtig zu machen. Zwar achtete man immer darauf, den Rumpf zu reinigen und das Holz in Schuss zu halten, doch in der letzten Zeit bei zu viel Landurlaub waren diese Tätigkeiten wirklich stark vereinfacht worden. Jetzt herrschte wieder rege Betriebsamkeit auf den Bohlen des Kriegsschiffes und Tancrèd nahm ein wenig des Geldes in die Hand, das Alessandro ihm im Voraus gegeben hatte, um Segeltuch zu kaufen, aus dem seine Männer in mühevoller Handarbeit einen zweiten Satz Segel herstellten.
 

Genau in diese Situation am heißen Mittag des dritten Tages, nachdem er London verlassen hatte, platzte ein sehr überraschender Gast ein. Tancrèd hatte sich gerade in die Takelage hinaufgezogen, um einem seiner Männer dabei zu helfen, das Segel testweise zu befestigen. Es war ein schwieriges Unterfangen, weil das große Tuch ungeahnte Kräfte entwickeln konnte, wenn es denn einmal hing. Das Schiff war zwar fest vertäut, aber der Mast konnte durchaus Schaden daran nehmen, solange das Segel nicht richtig hing. Es war das letzte, was er heute noch abmessen wollte, deswegen waren sie nicht mehr viele Männer an Bord. Es brachte ja nichts wenn die Hälfte nur dumm herumstand und anderen bei der Arbeit zusah. Als eine seltsam bekannte Stimme von unten ertönte, hätte es den Kapitän fast vom Mast geholt. Kadmin, der unten das Seil hielt, mit dem Tancrèd sich gesichert hatte, lehnte sich in einer kurzen Schrecksekunde, die er den Mann bereits fallen sah, nach hinten, um das Gewicht auszugleichen. Doch Tancrèd hatte noch sicheren Halt am Mast und winkte zum Zeichen, dass alles in Ordnung war. Sein Blick wanderte nach unten, aber er hatte die Sonne im Rücken und John musste gegen das Licht nach oben schauen. Vermutlich erkannte er ihn nicht oder erwartete nicht den Kapitän höchst selbst in den Wanten. Der Araber, noch immer eine Hand am Seil, trat nun statt Tancrèd an die Reling und sah nach unten auf den jungen Mann herab, der da am Kai stand. "Wenn du kleiner Scheißer nicht gleich kopfüber von der Reling hängen willst, dann verpiss di-" Kadmin wurde unterbrochen, als er Zug am Seil spürte. Er sah wieder zum Mast und erkannte, das Tancrèd flink wieder herunterkam, während das Segel matt in der stehenden Mittagshitze hing. Der Franzose trat neben den Araber an die Reling und sah nach unten, deutlich überrascht und verdammt erfreut, John da unten zu sehen. Sein Grinsen wurde breiter. "Ich glaube nicht, dass ich etwas von dir zu befürchten habe, solange ich hier oben bleibe...", meinte er mit einem frechen Grinsen im Gesicht. "Und ich weiß nicht wirklich, warum ich runter kommen sollte, wenn du mir schon so drohst..." Er löste das Seil um seinen Bauch und betrat die Gangway. Weil sie schon so lange festmachten, war es nicht nur eine Planke sondern ein breiter Steg, an einer Seite sogar mit Halteseilen. Mitten darauf blieb Tancred stehen, verschwitzt und barfuß, nur mit Kniehosen bekleidet. "Du kommst doch wohl nicht, um mir mein Hemd zu bringen…?"
 

John


 

Während John auf eine Reaktion auf dem Schiff wartete, ließ er seinen Blick über eben dieses gleiten. Es waren nicht sehr viele Männer an Board, aber dennoch herrschte eine emsige Arbeitsatmosphäre an Board. Offensichtlich wurden die Segel repariert oder erneuert, denn ein paar Männer hingen in den Wanten. John blickte leicht gegen die tiefstehende Abendsonne, als er genauer hinsehen wollte. In diesem Moment trat ein für einen Araber recht großer, ihm nicht ganz unbekannter Mann an die Reling und wies ihn mindestens so freundlich zurecht, wie er selbst ja auch gerufen hatte. John kannte Kadmin von Kierans Erzählungen und von jenem Abend, als das Backgammon eine neue Bedeutung für ihn bekommen hatte. "Von einem drittklassigen Pokerspieler, der mit fünftklassigen schauspielerischen Fähigkeiten den Menschen das Geld aus der Tasche zieht, lasse ich mir bestimmt nicht sagen, was ich tun soll", motzte John zurück und folgte aus einem natürlichen Instinkt dem Blick des anderen, nur um nun Tancrèd zu sehen, der den Mast herunterkletterte. Aber anstatt dass der werte Herr die Gangway zu ihm herunterkam, trat er nur an die Seite seines ersten Maat. John knurrte leicht und lauschte den Worten des Kapitäns. Zumindest war er nicht umsonst gekommen - Tancrèd war da. Der Franzose sah etwas abgekämpft aus, aber John wollte sich nicht beruhigen, sondern sich aufregen, ein bisschen wie ein bockiges Kind. Schließlich war es der andere, der ihm gesagt hatte, er wolle ein Stück gemeinsames Leben verbringen. Dann stahl er sich so einfach weg, ließ ihn so unbefriedigend zurück und meldete sich nicht mehr.

Offenbar hatte Tancrèd auch gar nicht vor, zu ihm zu kommen. Jener hatte die Situation genau erkannt - was John nur noch wütender werden ließ. Er blickte zur Gangway. Etwa 12 Schritte lang, leicht schräg nach oben gehend - aber eben über dem Wasser. Andere gingen da ständig drüber. Wieso sollte er hineinfallen? Er blickte wieder zu Tancrèd, dessen Grinsen ihm gerade sehr bitter aufstieß, und der nun selbst zur Gangway trat. John folgte ihm mit den Augen, sich wundernd, dass er wohl doch herunterkam - zumindest bis er in der Mitte hielt - sechs Schritte ... Er hatte das Hemd tatsächlich dabei, hatte es in seiner Tasche, die er sich quer über die Brust angelegt hatte und so quasi als Rucksack trug. Sein Blick glitt über den verschwitzten, halbnackten Körper des anderen und hatte er je Zweifel gehabt, ob es eine gute Idee gewesen war, hierher zu kommen, waren diese jetzt verflogen. Man, wie wollte er endlich mehr von ihm! Er zögerte einen Moment. Vorsichtig trat er mit einem Fuß auf den Steg, dann atmete er tief ein und ging zügig den Rest hinauf bis zu dem Franzosen. "Das habe ich in der Tat dabei", sagte er ruhig und blickte den anderen abschätzend und etwas herausfordernd an. "Aber ob du es wiederbekommst, bin ich mir nicht so sicher, du Mistkerl." Er merkte, dass er schwankte, dass er weiche Knie hatte, aber er versuchte das zu ignorieren. Er trat noch näher an den Kapitän heran, damit nicht jeder hören konnte, was er sagte. "Aber eigentlich komme ich, weil ich Bedürfnisse habe, die du mir neulich morgens nicht befriedigen konntest", sagte er leise ins Ohr des anderen. Er roch den anderen, spürte schon fast seinen Körper, als er sich leicht vorbeugte und flüsterte. "Ich möchte dich, deshalb bin ich hier. Ich möchte dich mit jeder Faser meines Körpers spüren und dich küssen, dich hören, wenn du kommst und dein Gesicht betrachten, wenn du diesen Moment genießt." Er suchte wieder das Auge des anderen, als er sich etwas distanzierte. "Und vielleicht bin ich auch hierhergekommen, weil es ein paar Neuerungen in meinem Leben gibt, die ich dir gern erzählt hätte, wenn du dich einmal dazu herabgelassen hättest, mich zu besuchen." Da war sie wieder - die Wut, die ihn hergetrieben hatte. Die Gangway schwankte leicht, aber langsam fühlte sich sein Körper nicht mehr so verkrampft an. "Aber bevor wir hier jetzt weiterreden", sagte er dennoch und fügte in Gedanken ein 'und ich noch einmal im Hafenbecken lande' ein. "Wäre ich dir sehr dankbar, wenn wir weitergingen - entweder nach hinten oder nach vorne..."
 

Kadmin


 

Direkt Widerworte von dem jungen Mann zu bekommen hatte Kadmin sicher nicht erwartet. Da sich inzwischen der Kapitän selbst eingeschaltet hatte, vermied er es aber, erneut etwas dazu zu sagen, zumindest für den Moment. Er war nicht dumm. Wer John war, wusste er sehr genau und er hatte ihn auch ohne Probleme wiedererkannt. Letztendlich ging es ihn nichts an, mit wem sein Kapitän wann was tat, doch in der Regel hatte Tancrèd "solche" Bekanntschaften nicht sehr häufig. Da es sonst meistens er war, der dann ab und an des Nachts im Bett seines Kapitäns lag, gefiel ihm der "Nebenbuhler" - wenn man es denn so sagen wollte - nicht besonders. Es ging dabei nicht besonders um Gefühle. Kadmin begehrte Frauen, keine Männer, redete er sich selbst ein. Aber auf See gab es keine Frauen und man nahm was man kriegen konnte. Es hatte etwas mit Macht und Vormachtstellung zu tun, die John ihm drohte streitig zu machen, wenn Tancrèd auf einmal entschied, mit diesem Kerl mehr als nur eine Nacht zu verbringen. Trotzdem hielt er die Klappe und machte sich daran, das Seil aufzurollen, das eben noch Tancred gesichert hatte. Sein Blick ließ die beiden Männer nicht aus den Augen, auch wenn er sich ein Stück von der Gangway entfernte.
 

Tancrèd


 

Tancrèd fühlte sich derweil auf dem eigentlich recht stabilen Steg ziemlich sicher. Dass Johns Wut so groß sein würde, dass es ihn sogar das feuchte Holz hinauftrieb, hatte er nicht vermutet. Umso erstaunter war er, dass John tatsächlich nach kurzem Zögern zu ihm hinaufkam. Mit etwas unsicheren Schritten, aber zügig. Überrascht hob er die Augenbrauen und schmunzelte, während er die Hände hinter dem Rücken verschränkte und breitbeinig stehen blieb. "Na.. was sind denn das für Töne", meinte er mit beinahe tadelndem Unterton, verbiss sich aber den Hinweis darauf, dass ein kleiner Schubs Johns Hitzkopf abkühlen würde. Als John noch näher trat, schwankte er leicht. Tancred griff nach vorn, um ihn leicht zu stützen, doch John hielt sich eigentlich ganz gut auf den Beinen dafür, dass er beim letzten Mal so ängstlich gewesen war. Die Worte, die John ihm dann mehr oder weniger ins Ohr flüsterte, brachten ihn dazu, sehr konzentriert ein- und auszuatmen. Deswegen war er hier her gekommen? Ihm fröstelte plötzlich, aber es war eine sehr angenehme Gänsehaut, die sich über seinen verschwitzten Körper zog. Er räusperte sich, um seine Stimme wieder zu finden, doch er kam nicht wirklich dazu, etwas zu sagen, weil John schon nachlegte. Neuerungen in seinem Leben? Er runzelte die Stirn, aber John hatte sich schon wieder etwas von ihm gelöst.

"Wenn unser lieber gemeinsamer Freund, Kardinal Sforza nicht beschlossen hätte, in einer Woche eine Mittelmeerrundreise zu machen, dann wäre ich auch schon längst wieder in London gewesen... aber das Schiff muss seetüchtig gemacht werden und die Mannschaft ebenso. Daher hatte ich noch keine Gelegenheit nach London zurück zu reiten...", gab er zurück, um sich zumindest zum Teil zu erklären. "Aber das sollten wir an einem ungestörteren Ort besprechen." Tancrèd deutete an sich vorbei die Gangway hinauf und ging schließlich nach vorn. Kadmin beobachtete, wie beide Männer, die schließlich auf das frisch geschrubbte Deck traten. "Danke, Kadmin. Ich bleibe heute Abend an Deck. Du kannst die anderen Männer von Bord schicken wenn sie wollen." Der erste Maat nickte, musterte John jedoch beinahe einen Augenblick zu lange, ehe er sich abwandte und Richtung Niedergang davoneilte.

Tancrèd steuerte das Heck des Schiffes an. Als Kapitän hatte er die größte und komfortabelste Kajüte, die inzwischen nach so vielen Jahren auf See auch wirklich wohnlich aussah. Zwei für das Schiff recht große Fenster zeigten auf das Meer hinaus und ein massiv in den Bohlen verankertes Bett stand an einer der Wände. Da das Schiff im Hafen lag und die See ruhig war, bemerkte man die Bewegung fast gar nicht. Er schloss die Türe hinter John und lehnte sich dagegen. "Nur fürs Protokoll..." Sein Blick, draußen noch so "unbeteiligt" zeigte jetzt deutlich, was er von Johns Worten gehalten hatte, die ihm wirklich bis in den Schoß zogen. "Diese Neuerungen... Willst du die Besprechen bevor oder nachdem ich deine Bedürfnisse befriedigt habe?"

London 3 - endlich

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

London 3 - Gespräche

Tancrèd


 

"Du hast mir gefehlt die letzten Tage...", flüsterte er leise gegen Johns Lippen, als sie den Kuss gelöst hatten. "Ich bin froh, dass du hier bist... Du glaubst gar nicht, wie sehr ich mich darüber freue, dich wiederzusehen, vor allem und gerade hier auf meinem Schiff." Er lächelte John sanft an und strich ihm einige Strähnen aus der Stirn, ehe er ihn erneut sanft küsste. Er zog das dünne Laken, das er zur Zeit als Decke benutzte, über ihre erhitzten Körper als er sich nach hinten sinken ließ und deckte sie somit beide zu. John schien es ja nicht eilig zu haben zu gehen und Tancred sah das ganz genauso.

"Du hast von Neuerungen in deinem Leben gesprochen..", fing er nach einem Moment der Stille an. "Was ist denn passiert?" Daran, dass John vielleicht noch jemand anderen kennen gelernt hatte, glaubte er nicht. Wäre ja auch idiotisch, dann zu ihm zu kommen, nur um mit ihm zu schlafen. So schätzte er den Arzt nicht ein, nein. Wenn es John schon zu ihm und noch dazu auf ein Schiff trieb, dann hatte er es entweder sehr, sehr nötig oder es war eine sehr, sehr ernste Sache und Tancred vermutete letzteres, zumal etwas in Johns Blick ihm das zu sagen schien.
 

John
 


 

Von Tancred festgehalten, blieb er auf dem Schoß des anderen sitzen, und John wehrte sich nicht dagegen. Wäre ihr Sex nicht gerade ohnehin schon sehr befriedigend gewesen, so hätten die Worte, die er nun zu hören bekam, vermutlich jeglichen Unmut hinweg gewischt. Und John war das mehr als unangenehm - so sehr ihn die Worte auch eigentlich freuten. Er konnte es schon nicht leiden, wenn Kieran einen "Knuddel-Anfall"-bekam, wenn sie sich mal ein paar Tage nicht gesehen hatten, nur weil er meinte, es würde ihm gut tun. Nun, es tat ihm gut - aber unangenehm war es ihm trotzdem. So senkte er den Blick. "Ich habe keine Ahnung, was mich geritten hat, ein Schiff zu betreten", schnaubte er. "Aber solange es im Hafen angebunden ist, werde ich es hoffentlich überleben." Er grinste leicht und blickte dann wieder auf. "Aber...", sagte er leise, „Ich freue mich auch, dich zu sehen."

John ließ sich mit auf das Bett ziehen und legte sich neben den anderen auf den Bauch, den Kopf auf den gefalteten Händen vor sich abgelegt und sein Gesicht dem anderen zugewandt. Einen Moment schloss er die Augen und genoss dieses angenehme Gefühl von Entspannung, was guter Sex immer nach sich zog.

Als der andere begann zu sprechen, öffnete er die Augen und sah ihn an.

Einen Moment schwieg er, wusste nicht so recht wie er anfangen sollte. Er drehte sich etwas und rutschte wieder näher. "Ich bin zu Hause ausgezogen", sagte er schließlich. "Ich habe meinem Vater eine neue Arbeitskraft verschafft. Die Krankenschwester, die du am Turnier vielleicht gesehen hast. Er lässt mich weiter bei ihm arbeiten und bezahlt mir dafür einen Lohn."

Wenn er das jetzt so erzählte, hörte es sich nicht sehr besonders an. Irgendwie ganz und gar nicht. Und doch war es für ihn ein sehr großer Schritt gewesen, der vor allem nicht rückgängig zu machen war. Und noch wusste er nicht so genau, ob er es nicht irgendwann bereuen würde. Wenn Tancrèd England verlassen würde... Wenn Kieran Dominico nach Italien folgen würde... Das waren alles Dinge, die irgendwann eintreten würden und er wusste nicht, was er dann tun würde - allein. bisher hatte er zumindest ein zu Hause, auch wenn er da wenig willkommen gewesen war.

Andererseits, war es wichtig gewesen. Sein Vater hatte ihn seit er drei Jahre alt war, gedemütigt, gehasst, erniedrigt und ihn auf alle erdenklichen Arten physisch aber vor allem psychisch verletzt. Es war Zeit, sich dieser ständigen Erniedrigung zu entziehen und auf eigenen Beinen zu stehen.

John hatte sein Gesicht zwar dem anderen zugewandt, doch sein Blick war in weiter Ferne bei dem Gespräch, das er mit seinem Vater deswegen hatte führen müssen.
 

Tancrèd


 

Dass es John unangenehm war, bemerkte Tancred zwar, würde aber wohl nie darauf verzichten wollen. Er entließ John trotzdem aus seinen Armen und drehte sich etwas zur Seite als sie sich schließlich hingelegt hatten. Es interessierte ihn durchaus, warum John nach nur drei Tagen schon bei ihm aufkreuzte und ihm gewissermaßen eine "Szene" gemacht hatte. Die Erklärung ließ auch nicht lange auf sich warten, und so unbefriedigend sie auf den ersten Blick auch war, Tancrèd verstand die Tragweite dessen was John ihm berichtete. Mit seinem Vorwissen konnte er sich nur zu gut vorstellen, was den jungen Mann gerade umtrieb und was es bedeutet hatte, sich von seinem Vater und damit von seinem zu Hause zu lösen. Er hob die Hand und legte sie unter dem Laken auf Johns Rücken, malte mit den Fingern Kreise auf die erhitzte Haut. "Ich weiß, ich habe leicht reden, wenn ich sage, dass es für dich zum Besseren ist. Was weiß ich schon über dein Leben…" Er suchte wieder Johns Blick und befeuchtete die Lippen mit der Zunge, während er versuchte sich die Worte zurecht zu legen, um das Richtige auch im richtigen Ton zu sagen. "Ich kenne nicht viel von dir, aber vielleicht doch mehr als manch anderer. Und so wenig du von mir weißt, davon dass ich gerne Französisch rede wenn ein gutaussehender junger Mann wie du auf mir reitet einmal abgesehen..." sein Mundwinkel zuckte nach oben "..ist es doch etwas, das uns vielleicht verbindet. Ich kann verstehen, dass es ein großer Schritt für dich gewesen sein muss." Seine Finger waren an Johns Schulter angekommen und Tancred strich sachte den Arm des Arztes entlang, hinunter bis zum Ellenbogen. Seine Augen folgten der Bewegung seiner Finger. "Seinem zu Hause den Rücken zu kehren, ganz egal wie 'schlecht' es einem dort erging ist nie leicht. Wir wachsen doch meistens in dem Wissen auf, das es einen Ort gibt zu dem wir immer gehen können, oder? Etwas das "uns" gehört und uns ausmacht. Das nicht mehr zu haben, hat mir damals das Gefühl gegeben, unendlich einsam zu sein. Nicht mehr erwünscht zu sein, das tut weh." Er suchte wieder Johns Blick und glaubte ein ganz ähnliches Gefühl in seinem Blick zu sehen. "Das hier.." Er deutete mit dem Kopf eine Bewegung an, die das Schiff einschloss "ist mein neues zu Hause geworden, die Mannschaft meine neue Familie. Aber das ist nicht das Gleiche. Dieses zu Hause ist so ungleich zerbrechlicher als das, das ich als Kind in Frankreich hatte. Wenn das Schiff sinkt oder die Mannschaft meutert, was mache ich dann? Wenn das, womit ich mein Geld verdiene, auf einmal nicht mehr da ist?" Er wusste, dass John ganz ähnliche Existenzängste plagten, und genau deswegen sagte er es.

"Nur.. ich weiß, dass ich niemals alleine bin. Ich habe Freunde, zu denen ich gehen kann, und das ist ungleich mehr wert als jedes Haus oder jeder Ort. Deswegen John bist du hier, so sehr du das Schiff auch nicht leiden kannst, immer willkommen. Ganz egal, was zwischen dir und mir sein wird, ob du in London bleiben wirst oder dein Weg dich in ein anderes Land führt - wenn du jemanden brauchst oder einen Ort brauchst, an dem du immer willkommen bist, dann komm zum Hafen und ich werde da sein." Es war ein Versprechen und Tancred meinte jedes Wort davon ernst.
 

John


 

Die streichelnde Hand am Rücken fühlte sich gleichermaßen ungewohnt und gut an. Dennoch brauchte er etwas Distanz vom anderen, um reden zu können. Als Tancred zu sprechen begann, kehrten Johns Augen wieder in das Hier und Jetzt zurück.

War es wirklich besser? Kieran hatte zu ihm gesagt: "Ich kann dir nicht sagen, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“ Das hatte ihn sehr nachdenklich gemacht und er hatte sich vorgenommen, alles dafür zu tun, damit es besser werden würde. Er nickte daher leicht und auch die folgenden Worte bestätigte er letztlich mit einem Lächeln. Ja, sie kannten einander noch wenig, und doch kam es ihm so vor, als wisse er schon eine ganze Menge über den anderen. Nicht nur, dass er gern beim Sex viel und vor allem auf Französisch redete.

Seine Augen folgten einen Moment den streichelnden Fingern des anderen. Ja, es verband sie nun wirklich die Tatsache, dass sie kein Zuhause mehr hatten, in das sie zurückkehren konnten. Und so lauschte er den Gedanken des anderen darüber, wie er es empfand. Den Schmerz, die Angst, das beklemmende Gefühl des Alleinseins... John dachte an die erste Nacht in seinem neuen Bett und dass es sehr gemischte Gefühle waren, die ihn durch diese begleitet hatten. Zum einen Freude und auch irgendwie Stolz, es getan zu haben, zum anderen aber auch Sorge und ein Gefühl von Ungewissheit - vor allem nach den Worten seines Vaters, nie wieder zurückkommen zu dürfen.

Dass Tancred auf dem Schiff ein neues Zuhause gefunden hatte, das sah und spürte man. Ob er auch irgendwann so ein Zuhause haben würde? Seine neue Bleibe war es definitiv nicht. Sie war super - für den Anfang. Er war dort willkommener als in seinem alten, und es gehörte ihm und konnte ihm niemand wegnehmen. Aber doch spürte er, dass es nur eine Zwischenstation war. Dass Tancrèds Zuhause fragil war, darüber hatte er noch nie nachgedacht. Aber klar: jedes Auslaufen konnte den Untergang bedeuten. Genau wie nächste Woche. John schluckte und wischte den Gedanken schnell weg. Damit wollte er sich gerade nicht beschäftigen. Im Moment war alles so idyllisch, das Bett, Tancred neben ihm, die sanften Hände, der Geruch, das leichte Schaukeln - ja, selbst das Geräusch des Wassers störte ihn gerade nicht, sondern vollendete das Bild. Da wollte er noch nicht über die anstehende Reise des anderen nachdenken.

Auch mit den Existenzängsten hatte er Recht. Er wusste, dass er in dem was er tat nicht ganz schlecht war, aber würde es reichen, ein Leben lang sein Auskommen zu haben? Hätte er Kieran fest bei sich, dann hätte er keine Angst. Aber über das Thema schwiegen sie. Sie wussten beide, dass Kieran Dominico überallhin folgen würde.

Was Tancred jetzt noch nachschob, ließ John, der zwar sehr gut zuhörte, Tancred aber meist nicht wirklich ansah, sondern in seinen Gedanken versunken war, aufblicken und den Mann neben sich ansehen.

Freunde... Freunde sind die Familie, die man sich aussucht. Nur hatte er kaum welche. Er hatte Kieran und Tancrèd -irgendwie... Aber eben jener versicherte ihm gerade, dass er immer sein Freund sein würde, egal was geschehen würde - mit ihnen beiden und zwischen ihnen. Es war schön zu hören, dass dieser Freund ihm versprach, immer da zu sein, wenn er ihn bräuchte. Wie realistisch das war, blieb dahingestellt. Einen Moment sah er Tancred an, dann beugte er sich hinüber und küsste den anderen sanft.

Dann legte er seinen Kopf wieder auf seinen Händen ab. Kurz schwieg er. Er wollte es loswerden, aber er wusste nicht so recht wie. "Er hat mir einige Dinge gesagt, die mich treffen sollten", sagte er dann zögerlich. "An einiges bin ich schon gewohnt." Worte wie Tunichtgut, Nichtsnutz, Bastard oder Schmarotzer hörte er quasi ja schon gar nicht mehr. Diesmal waren aber noch andere Worte dazu gekommen wie: undankbar, Verräter, Abschaum - Worte, die er schlucken konnte. John schwieg etwas. "Richtig verletzt hat er mich nur mit einer, nein mit zwei Sachen, auf die ich nicht vorbereitet war: zum einen hatte ich ihn darauf angesprochen, warum er mich töten wollte. Und nach all der Zeit hat er ohne Umschweife gesagt, dass er es hätte tun sollen, als er die Gelegenheit dazu hatte. Wenn er mich so sehr hasst, warum hat er mich dann nie rausgeschmissen? Und warum hat er mich nicht irgendwie anders getötet?" Er strich sich die Haare aus der Stirn und seufzte leicht. "Und das zweite war, dass er sagte: Du bist so wertlos, dass selbst dein Erzeuger, dieses widerliche Schwein, dich nicht haben wollte. Ich habe mir als Kind oft vorgestellt, dass er tatsächlich kommt, um mich zu holen - sein eigen Fleisch und Blut. Aber es kam nie jemand und ich wusste nicht wieso. Er hatte mich ja gesehen. Und offenbar muss ich ihm sehr ähnlich sehen, sonst wäre ja der Hass auf mich nicht so groß." Sein Blick richtete sich wieder nach innen, zumindest einen Augenblick. "Deine Worte haben mir Kraft gegeben", fuhr er unvermittelt fort und lächelte kurz. "Sie haben mich durchhalten lassen."

Du bist etwas ganz Besonderes, John Forbes.

Jemand, der mir etwas bedeutet.
 

Tancrèd


 

Jemals so ein Gespräch mit John zu führen, hätte Tancred niemals geglaubt und denjenigen vermutlich ausgelacht, der es ihm gesagt hätte. Alles an John war makellos gewesen, als er ihn kennengelernt hatte. Selbst in dem Moment noch, in dem er ins Wasser gefallen war, vor so "langer" Zeit am Hafen, da hatte Tancred noch geglaubt alles sei in Ordnung und läge nur daran, dass John nicht in der Lage war zu schwimmen. Was ihm die letzte Woche über John beigebracht worden war, von ihm selbst und davon, das Tancred ihn aufmerksam beobachtete, war ein Abgrund so tief wie das Meer. Und Tancrèd hatte so schreckliches Mitleid, obwohl er wusste das es ganz und gar nicht angebracht war, Mitleid zu haben. Das würde John schließlich nicht weiterhelfen..

Er ließ den Kuss geschehen, wohl wissend, dass er das Ende dieses Gesprächs noch lange nicht erreicht hatte. Das Gefühl, nur eine Einleitung zu etwas gehört zu haben was noch viel schlimmer war als das Bisherige ließ ihn nicht los und er sollte Recht behalten.

Als John weitersprach, die Stimme so verbittert und so bemüht darum, kalt zu sein, um nicht die Tränen zuzulassen, die in ihm sicher noch immer tobten, fühlte der Franzose unbändigen Hass in sich aufsteigen. Hass auf die Entscheidungsgewalt von anderen gegenüber Menschen, die sich nicht verteidigen konnten. Er wusste sehr genau wie das war und er verabscheute es. Sein Gesicht verdüsterte sich mit jedem Wort, das John über seinen Vater sagte, und in ihm brodelte es mit jeder Sekunde mehr. Als John endete sah man deutlich wie Tancrèd sich bemühte nicht ausfällig zu werden.

"Was wir sind, John, bestimmen nicht die Menschen, deren Lenden wir entsprungen sind." Er presste es wirklich mühsam hervor. "Was wir sind, was wir erreichen und leisten in unserem Leben ist nicht denen geschuldet, die sich in einer einsamen Nacht Befriedigung verschaffen wollten. Wir sind mehr als das. Du bist mehr als das." Er hob die Hand an Johns Wange und zwang ihn dazu ihm wieder in die Augen zu sehen. "Ich kenne deinen "Erzeuger" nicht und deinen "Vater" habe ich nur einmal kurz gesehen - aber ich bin mir sicher, dass er nicht nur seinen Nebenbuhler, sondern vor allem die Liebe deiner Mutter in dir sieht, die ihn verraten hat. Aber nichts rechtfertigt dieses Verhalten." Er musste eine Pause einlegen, weil er beinahe schon wieder davor war, in die Luft zu gehen. Er streckte ein Bein aus und verschlang es unter der Decke mit Johns. "Und ich danke Allah oder welchem Gott auch immer dafür, dass er zu feige gewesen ist, sich deiner zu entledigen. Aber du, John, du solltest nicht so feige sein." Er griff Johns Nacken fester. "Verlust zeigt sich immer erst dann, wenn es bereits zu spät ist und ich hoffe sehr für dich, dass du es erleben wirst, wenn deinem Vater bewusst wird, welchen großen Fehler er begangen hat, jemandem wie dir nicht die Erziehung und Liebe angedeihen zu lassen, die du verdient hättest. Ich prophezeie dir, dass der Tag kommen wird, an dem er sieht, was er getan hat und an dem ihm all das zurückgeworfen wird, was er je in deine Richtung geschleudert hat." Er hatte gut reden, doch Tancrèd wusste bereits jetzt und während er John ansah, der immer noch so unendlich getroffen und traurig darüber aussah, dass er diese Sache nicht würde auf sich beruhen lassen können. Selbst wenn er gegen Wände redete, er hatte vor, ein sehr, sehr ernstes Wort mit Johns Vater zu sprechen.

"Für mich bist du nicht wertlos." Er sagte es sehr ernst und sehr bestimmt. John wusste es zwar, doch Tancred wurde nicht müde, es zu widerholen. "Wie ein Land, das ich noch nicht entdeckt habe. Faszinierend und wunderschön, wild und frei. Wie viele Steine du mir auch in den Weg geworfen hast, ich habe nicht eine Sekunde lang bereut, die Entscheidung getroffen zu haben, hartnäckig genug zu sein, um mehr zu sehen als nur deine kalte Maske. Alles was ich neu an dir entdecke vervollständigt dein einzigartiges Bild. Denn genau das bist du.

Weil deine Mutter einen schwachen Moment hatte, weil sie deinem "Vater" vielleicht eine Freude machen wollte, bist du hier. Du. Niemand sonst. Wenn es diese eine verhängnisvolle Nacht nicht gegeben hätte, dann gäbe es dich nicht und ich läge alleine hier. All das macht dich aus und aus diesem Zwist, aus dieser so seltsamen und vielleicht ungünstigen Situation bist du entstanden, nur du. An den schweren Umständen deiner Kindheit bist du zu dem grandiosen Arzt gereift, der du bist und zu dem Mann, der für seine Familie eintritt, wenn es sein muss. Ich würde nicht wollen, dass du ein anderer bist."
 

John


 

Es dauerte ein wenig, bevor Tancrèd etwas erwiderte, und John hing derweil seinen Gedanken an dieses recht einseitige Gespräch nach, in dem er seinem Vater die Tatsachen genannt hatte und dieser darauf mit seiner Schimpftriade begonnen hatte. Als er dann Tancreds Worte hörte, irritierte ihn etwas, was er nicht gleich benennen konnte. Es war nicht das, was jener sagte, nämlich dass man nicht dem Fatalismus seiner Umstände ergeben sei, sondern jeder durch sich selbst die Möglichkeit hat, das Beste aus seinem Leben zu machen. John hatte einmal in einem Buch den Satz gelesen: "Wir leben in der besten aller möglichen Welten." Es lag an jedem selbst, das Beste daraus zu machen. Und damit war es auch der Verdienst von einem selbst, was man machte. John wusste, dass Tancred Recht hatte. John hatte sein Leben lang versucht, seinem Vater zu beweisen, dass man auch stolz auf ihn sein konnte, obwohl er nicht sein leiblicher Sohn, nur ein Bastard war; schon sehr früh war es vor allem der Wille gewesen, seinem Vater zu beweisen, dass dieser Bastard kein Nichtsnutz war, der ihn angetrieben hatte. Dich dafür hatte es nie gereicht. Er hat nie direkte Anerkennung erhalten, war nie gut genug, konnte nur versagen und würde bei seinem Vater niemals genügen. Sein Vater hatte vielleicht auch genau deshalb Angst vor ihm. Vor seinem Verstand, seinem Ehrgeiz, seinem Können. Aber wie auch immer - er hatte das, was er konnte und wusste, alles alleine geschafft. Er war nicht das, was sein Vater glaubte in ihm zu sehen, in ihm sehen wollte: ein Nichtsnutz.

Diese permanente Ablehnung war immer schwer gewesen, es war schwer, durchzuhalten und gegen diese unüberwindbaren Mauern wieder und wieder anzurennen. Es hatte bittere Tränen gekostet, Verzweiflung, Selbsthass, sehr viel Kraft - bis er irgendwann resignierte. Das Weinen hatte er schon als Jugendlicher aufgehört. Vor vier Tagen war es das erste Mal seit sehr langer Zeit gewesen, dass er hatte weinen müssen. Der Wille sich zu beweisen, war einem Willen gewichen, sich nie eine Blöße zu geben, nie angreifbar zu sein. Es war seine Rache, nicht zu fliehen, sondern an diesem Ort zu bleiben und mit Gleichgültigkeit den Hass seines Vaters zu ertragen. Mittlerweile wusste er, dass er gut war. Er brauchte eigentlich die Anerkennung dieses Mannes nicht mehr. Eigentlich könnte er sich dich gänzlich von ihm lossagen... aber so ganz schaffte er es nicht.

Wäre Kieran damals nicht bei ihnen hereingekommen, wüsste er nicht, wo er jetzt wäre. Damals war es sehr schwer gewesen. Damals wäre der Resignation womöglich doch dem Aufgeben gefolgt...

Die Hand an seiner Wange ließ ihn aus diesen Gedanken wieder zu Tancrèd zurückkehren. Als er aufblickte und den anderen ansah, wusste er mit einem Mal, was ihn vorhin so irritiert hatte. Tancrèds Stimme war so beherrscht, so gepresst - aber in den Augen glomm die Wut des anderen. Diese unverfälschte Emotion berührte John mit einem Mal heftig. Er kannte selbst diese Wut. Wut auf die Ungerechtigkeiten, die Willkür, den Hass seines Vaters. Diese Wut hatte ihn schier ohnmächtig werden lassen. Lange hatte er sie in Prügeleien entladen müssen. Diese Wut war mit der Zeit der Resignation gewichen. Aber vor drei Tagen hätte es sein Vater wieder beinahe geschafft gehabt, sie wieder zu entfachen. John blickte Tancrèd irritiert an, während dieser weitersprach. Dass der andere wegen ihm so wütend werden konnte? Weil jemand zu ihm ungerecht war? Bevor Kieran ihm so kam, schaffte er es normalerweise, ihn abzulenken oder das Thema zu wechseln, bevor er ihm zu viele Emotionen zeigen konnte. Er wollte nicht, dass jemand wegen ihm sich ärgerte, warum auch immer.

Hier hatte er es verpasst. Tancrèd schien sehr wütend zu sein. Aber das war ihm noch lieber, als das Mitleid, das er immer in den Augen der Kunden gesehen hatte, wenn sein Vater ihn wie Dreck behandelt hatte. John schluckte, spürte das Bein, das sich mit seinem verhakte und musste kurz lächeln.

Nun bekam er noch die Bestätigung dafür, dass er richtig gehandelt hatte und sein Vater hoffentlich erkennen würde, was er an ihm verlöre, wenn er ganz ginge. Ob er seinem Vater verzeihen könnte? Er wusste es nicht genau, hatte noch nicht darüber nachgedacht. Letztlich war es zu spät. Johns Liebe für den Mann war gestorben. Aber es würde es vielleicht leichter machen, wenn jener sich eingestehen würde, dass John nichts dafür konnte und dass es dumm war, ihn bezahlen zu lassen für etwas, woran er keine Schuld trug. Aber ob das je so kommen würde, bezweifelte John. Er hatte lange aufgehört zu hoffen, sein Vater würde sein Verhalten ändern. Dann kamen Worte, die John unter anderen Umständen gleich irgendwie abgeblockt hätte. Aber hier ging das nicht so einfach. Als der andere in Schwung gekommen war, ihn über den grünen Klee zu loben, schien es mal wieder kein Halten zu geben. John ließ es über sich ergehen und es wäre gelogen gewesen, wenn er behaupten würde, dass es ihm nicht gut täte... Und doch war es ihm mehr als unangenehm. So senkte er den Blick rutschte näher und wartete einen guten Moment ab, dem anderen die Lippen mit einem Kuss zu versiegeln. Eines hatten die Worte definitiv geschafft: er hatte die Auseinandersetzung mit seinem Vater vorerst vergessen.

Er küsste den anderen sanft und verspielt, genießend. Er schmiegte sich an ihn, streichelte den anderen ohne recht darüber nachzudenken. Und als er glaubte, dass der andere nicht weiterreden würde, wenn er den Kuss löste, tat er das. Er sah den Franzosen wieder an.

"Ein fremdes Land also", sagte er. "Das bist du mir auch noch immer. Aber mit jedem Schritt, den ich in diesem Land mache, fühle ich mich wohler. Und ich möchte ebenso sehr mehr erfahren und lernen. Zum Beispiel, was: 'Tu es beau … Je suis dingue de toi...' heißt. Oder 'Tu me as ensorcelé.' Habe ich das richtig ausgesprochen?" Er sah den anderen fragend an. "Was hältst du davon, wenn wir irgendwo was essen und du bringst mir ein wenig Französisch bei?! Und später darfst du mir noch mehr davon ins Ohr flüstern." Er grinste leicht.

Er war Tancrèd sehr dankbar für seine Worte, sehr. Aber es war schwierig für ihn, mit so etwas umzugehen. Er hoffte nur, dass Tancrèd diese Unsicherheit nicht falsch verstand.
 

Tancrèd


 

Das John ihm im Grunde genau das erzählte, gegen was Tancred versuchte seit Jahren anzukämpfen, war sicher eine Erklärung für seine Wut. Bei Johns Worten über die Worte seines Vaters sah er seine Anna vor sich. Wie sie sie an den Pfahl gebunden hatten, das schöne Gesicht geschwollen und voller blauer Flecke. Sie war immer noch wunderschön gewesen... aber er hatte ihr nicht mehr helfen können. Wie er John hatte nicht helfen können, als der als kleiner Junge von seinem Vater fast... Tancred schüttelte den Gedanken ab. JETZT konnte er etwas tun. Und er WÜRDE etwas tun, verdammt nochmal. Doch Johns Lippen und seine sanften Finger lenkten ihn ab, schoben den Hass in den Hintergrund und brachten Johns Körper wieder in den Vordergrund. Er hatte sich wieder hinreißen lassen und hatte auch gesehen, wie unangenehm John diese "Lobpreisungen" auf seine Person waren, doch Tancrèd konnte sich nicht zurückhalten. Allerdings würde er vielleicht auf Französisch umsteigen, dann verstand John nicht gleich, was er sagte.

Offenbar hatte es ihm diese Sprache angetan und als sie den Kuss wieder lösten und Tancrèd schwieg, ergriff sein Gegenüber erneut das Wort. Er grinste. "Ich glaube nicht, das ich dir das verraten werde..", flüsterte er gegen Johns Lippen. "Aber wenn du in Sprachen so gut bist, wie in anderen Dingen.." Er zwickte ihm leicht in die Seite. "..dann wirst du es bald selbst verstehen. Und ob du heute noch mehr davon zu hören bekommst, wird sich zeigen, meinst du nicht?" Er merkte, dass John die Nähe und Zärtlichkeit ein wenig aufstieß und so ging er lieber wieder dazu über, ihn zu necken. Damit und mit Komplimenten ließ sich John am ehesten aus seinem Schneckenhaus locken. "Und etwas essen sollte ich tatsächlich. Nur habe ich die Männer von Bord geschickt und ich weiß nicht, ob ich noch jemanden finde, mit dem ich das Schiff allein lassen kann. Ich sehe es ungern einfach so im Hafen dümpeln."
 

John


 

Wie? Er würde nicht erfahren, was das hieß? John hob eine Augenbraue, zweifelnd, ob der andere das wirklich ernst meinte. Doch der anderen wurde nur noch frecher und zwickte ihn auch noch in die Seite, stellte er sogar in Frage, ob er mehr davon hören würde!? "Ich glaube, du wirst zu frech", stellte er etwas erstaunt fest und piekte seinerseits den anderen in die Seite. "Aber keine Sorge, ich werde schon jemanden finden, der mir das übersetzt. Du wirst dich noch wundern..." So etwas weckte Johns Ehrgeiz. Wenn er etwas lernen wollte, dann hatte er normalerweise keine Probleme damit, es auch wirklich zu schaffen. Tancrèds Bedenken, keine Wachen für da Schiff zu haben, ignorierte er erst einmal. Zur Not, würde einer halt irgendwas zu essen holen. Dafür drückte er den anderen leicht nach hinten und setzte sich kurzerhand auf ihn, ihm die Handgelenke haltend. Vermutlich hätte der Kapitän keine Mühe, ihn loszuwerden - Tancred hatte deutlich mehr Kraft als er. "Und was soll die Andeutung, dass ich davon heute nicht mehr zu hören bekomme? Ich lasse dich nachher sicher nicht so einfach schlafen, das sollte dir bewusst sein." Er küsste ihn verspielt und biss ihm in die Unterlippe. "Nach dem Essen soll man ruhn, oder unanständige Dinge tun - so heißt es doch, oder?"

London 3 - Seltsame Gefühle

Tancrèd


 

Trotzdem standen sie auf und zogen ihre im Raum verteilten Kleidungsstücke wieder an. Tancrèd nahm sich ein frisches Hemd und eine etwas wertigere Hose aus einer Kleidertruhe. Er musste ja nicht wie eine Deckratte herumlaufen, das würde neben John ziemlich erbärmlich aussehen. Außerdem verzichtete er dieses Mal nicht auf Stiefel.

Als sie wenig später an Deck traten, war die Sonne noch immer nicht ganz im Meer verschwunden. Dafür war es wesentlich kühler und damit angenehmer geworden. An Deck waren sie ausnahmsweise auch tatsächlich nicht allein wie Tancrèd mit großer Freude feststellen durfte. Einige Männer seiner Mannschaft hatten sich offenbar am Hafen an einem der Stände etwas zu essen geholt und spielten jetzt an Deck Karten. Vermutlich auch, weil in den Schenken die Luft noch miserabler war als hier an Deck und weil sie gestern frischen Weinbrand eingelagert hatten und die Männer jetzt auch an Deck trinken konnten. Das war zwar nicht die beste Wachmannschaft, doch als Tancrèd zu ihnen hinüberging und mitteilte, dass er im Hafen mit seinem Gast noch etwas essen wollte, waren die Männer gern bereit die "Wache" zu übernehmen. Tancrèd kam zu John zurück und ging mit ihm über das breite Deck zur Gangway hinüber, über die er gemächlich nach unten ging. Er vermied es zu stark zu federn, was er sonst ganz gerne tat. "Nach was ist dir? Eine Schenke oder lieber etwas auf die Hand an der Kaimauer?" Er hatte die Daumen in die Gürtelschlaufen geschoben und schlenderte mit John auf die Uferpromenade zu, die sich zu dieser späten Stunde mehr und mehr füllte. Die Händler machten hier das Geschäft ihres Lebens seit die Flotte mit voller Mannschaftsstärke hier im Hafen lag und die Männer wenig bis gar nichts zu tun hatten.

 

John


 

Als sie aufgestanden waren und sich anzogen, merkte John, dass er sich schon viel befreiter fühlte, ja irgendwie einfach guter Laune war. Es war definitiv die richtige Entscheidung gewesen, hierher zu kommen. Er lächelte bei dem Gedanken, bis er aufsah und leicht durch die Zähne pfiff. "In deinem Outfit vorhin hast du mir auch gefallen, aber nett, dass du dich für mich herausputzt", frotzelte er.

Sie traten an Deck, und jetzt wurde ihm gerade doch ein wenig bewusster, dass er auf einem Schiff war. Der Geruch, der vom Fluss ausging, stieg ihm in die Nase. Dadurch, dass es so heiß gewesen war in der letzten Zeit, drang das salzige Meerwasser bis weit ins Land vor. Gleichzeitig roch es nach totem Fisch und ähnlichem. Vorhin hatte er es gut verdrängen können, jetzt wurde es wieder bewusster. Und eines wurde ihm auch klar: wenn sie das Schiff  jetzt verließen, würde er später wieder drauf müssen. John merkte, dass ihn der Gedanke doch wieder ein wenig unruhig werden ließ. Tancrèd klärte mit seinen Männern, dass sie die Wache übernahmen, dann gingen sie zur Gangway. John schluckte, sah das schwarze Wasser, in dem sich die Lichter des Hafens spiegelten. Es war mittlerweile dunkler geworden und der Hafen füllte sich mit den Männern, die ihren Feierabend lieber nicht bei ihren Drachen zu Hause verbrachten, oder kein zu Hause hier hatten. John ging zügig hinüber und war erleichtert, als er wieder festen Boden unter den Füßen hatte und sie ein wenig die Kaimauer entlangliefen. Als der andere fragte, was er wollte, überlegte er kurz. Wo würden sie weniger auffallen? "Lass uns in eine Schenke gehen", entschied er. "Ich mag mich in Ruhe hinsetzen. Wir können ja nachher noch ein wenig bummeln gehen, wenn du Lust hast." Letztlich war es egal, wo sie sein würden. So oder so, durfte man ihnen nichts anmerken. Momentan war es unruhig, was Homosexualität betraf. Cromwells Hetzreden wurden gerne gehört und er hatte von öffentlichen Schauprozessen in den Provinzregionen gehört, in denen Männer und Frauen offenbar hingerichtet worden waren, weil sie der Sodomie überführt worden waren. 

So suchten sie ein Pub, in dem sie sich ein wenig abseits an ein Fenster setzten. John bestellte sich ein Schwarzbier und einen Eintopf. Hier würde es zumindest niemanden geben, der ihn kannte. Das Bier kam schnell, und während sie auf das Essen warteten, blickte John den Älteren an. "Erzähl mir von deiner Crew. Woher kommen sie und wie bist du zu ihnen gekommen?" Fragend sah er den anderen an.

 

Tancrèd


 

Dass John Zeit mit ihm außerhalb des Bettes verbringen wollte, war für Tancred schön. Außerdem würden sie so reden können und das gefiel ihm mindestens genauso, deswegen war er auch gewillt gewesen, aufzustehen und sich wieder anzuziehen. Eine Antwort auf Johns spitzen Kommentar zu seinem Outfit verbiss er sich. Er war immerhin die Admiralität, auch wenn er Franzose war. Wie ein einfacher Decksmann herumzulaufen, wäre vermutlich einfach dämlich gewesen, auch wenn er in seiner Freizeit machen konnte, was er wollte. Wenn er doch auf einen anderen Kapitän traf, dann würde er froh sein zumindest ein wenig Haltung annehmen zu können und dabei nicht auszusehen wie ein Schuljunge, dem man die Leviten las. "Du brauchst mich damit nicht aufzuziehen... ich weiß, dass ich dir nackt sowieso am besten gefalle...", antwortete er am Ende doch etwas verspätet auf Johns Worte als sie die Gangway hinuntergingen und wenig später in das geschäftige Treiben des Hafens eintauchten. Sie fanden eine Schenke, die zwar ein wenig teurer war als die anderen, aber in der die Fenster zum Lüften weit offen standen und es nicht allzu sauer nach verschüttetem Bier roch. Ein Tisch, an dem immer wieder ein kühles Lüftchen vorbeizog, wurde ihr Tisch und Tancred folgte Johns Beispiel mit dem Eintopf, trank aber Cider. Cidre hatte er in Frankreich schon immer gemocht und das Getränk erinnerte ihn an zu Hause. Etwas nostalgisch aber man bekam Cider schließlich nicht an Deck und auch nicht in jedem Hafen. Nachdem er den ersten Krug recht schnell auf die Hälfte geleert hatte - wie alle Seemänner hatte er schon einen ganz guten Zug am Krug - sprach John ihn auf seine Mannschaft an. Tancrèd musterte den Jüngeren überrascht. Hatte er da gerade richtig gehört? Das John sich für seine Männer interessierte überraschte und freute Tancrèd gleichermaßen... sie waren seine Familie, das hatte er John ja schon zu verstehen gegeben. Aber dass John deswegen Wert darauf legte, mehr zu erfahren, war angenehm. Er sah in Johns Blick, dass es kein geheucheltes Interesse war und so räusperte er sich, lehnte sich zurück. "Woher sie kommen, ist gar nicht so leicht zu beantworten. Sie kommen von überall... aber angeheuert habe ich sie in Palermo und auf Malta und die meisten von ihnen sind Araber." Aber das hatte John sicher schon gesehen. "Kadmin ist mein erster Maat. Der, den du so offen des Falschspiels 'angeklagt' hast. Neben mir ist er der wichtigste Mann auf dem Schiff und ein alter Freund. Die anderen..." Er zuckte mit den Schultern. "Ich habe ja nicht eines Tages beschlossen Pirat zu werden und einfach ein tolles Schiff gekauft. Als ich die Raashno erstanden habe, war sie nicht mal in der Lage einem mittelklassigen Sturm standzuhalten. Ich hatte zwar Geld, aber keine Ahnung von Schiffen, und mir hat die Form gefallen. Der Halsabschneider, der sie mir verkauft hat, hat behauptet, sie sei ein grandioses Kriegsschiff und ich kann heute sagen, dass sie das wirklich ist, aber damals war es einfach nur ein Kahn, der schon Leck geschlagen hatte. Ich hab die verlaustesten und widerlichsten Kerle in der Schenke bezahlt, die so aussahen als könnten sie halbwegs mit einem Schiff umgehen und bin mit ihnen raus aufs Meer gefahren... und dann hat mir die See alles beigebracht, was ich wissen musste. Kadmin kam damals in Palermo als blinder Passagier auf das Schiff. Als wir ausgelaufen sind, ist er an Bord gekommen, um einer Gefängnisstrafe und vermutlich der Folter zu entgehen, weil man ihn dummerweise im Hurenhaus erwischt hat, als er da nicht hätte sein sollen. Am Anfang war er drauf und dran die Mannschaft gegen mich aufzuhetzen, aber sein Allah hat ihn dann auf seinen Platz verwiesen." Tancrèd trank noch einen Schluck. "Das ohnehin schon beschädigte und kaum manövrierfähige Schiff ist leider in einen Sturm geraten. Ich hatte keine Ahnung von den Winden und Strömungen und das Meer an der Südküste Italiens kann tückisch sein. Eigentlich dachte ich, wir sterben alle, aber es ging nur einer über Bord und das war Kadmin. Ich hätte ihn ja ersaufen lassen können, aber..." Er sprach einen Moment lang nicht weiter, als ihm klar wurde, was für eine Situation er da schilderte. Er räusperte sich und sprach leiser weiter. "Ich denke, ich muss dir nicht sagen, warum ich ihn herausgezogen habe." Dieses kleine Eingeständnis, so John seine Tragweite denn verstand, wollte er dem Arzt ohnehin nicht vorenthalten. "Wie auch immer, er stand in meiner Schuld. Er hatte Ahnung von Schiffen, deren Bauweise und Bewaffnung und davon, wie man andere übers Ohr haut. In einem kleinen Hafen im Nirgendwo hat er Material herangeschleppt, um das Schiff auszubessern, und es wieder richtig seetüchtig gemacht mit der Bitte, in der Mannschaft aufgenommen zu werden. Seitdem kann ich mir die Raashno nicht ohne ihn vorstellen." Tancred zuckte mit den Schultern. "Unser Koch ist Nassir, ein kluger Kerl, der wirklich aus Scheiße noch was zu Essen zaubern kann. Ansonsten findest du in meiner Mannschaft Araber, einen Deutschen und sogar zwei Spanier. Brüder im Krähennest. Miguel und Tulio.. naja. Und vielleicht bald auch ein englischer Arzt, denn das ist des Königs ausdrücklicher Wunsch. Aber zuerst einmal zwei Italiener.. unser lieber Freund sagte mir, er würde mir eine italienische Flagge besorgen, so dass ich im Mittelmeer nicht gleich das Angriffsziel aller Spanier werde."

 

John


 

Leider war John auf der Gangway viel zu sehr damit beschäftigt, nicht ins Wasser zu fallen, als dass er Tancrèds Bemerkung hinsichtlich seines Outfits hätte kommentieren können. Daher blieb er nur kurz überrascht stehen, bevor ihm klar würde, wo er stand, um dann schnellen Schrittes die letzten Meter mit einem breiten Grinsen im Gesicht zu überwinden.

Als sein Bier kam hob er das Glas an und hielt es kurz gegen das Licht. Die dunkelrote Farbe verriet ihm, dass hier zumindest nicht gepanscht wurde. So trank er einen Schluck des Bieres mit einer schwarzen Seele wie seiner - zumindest war das der Standartkommentar, wenn er sich im Connor's eines bestellte. Er mochte den Geschmack einfach. So wie Tancrèd offenbar den "Mädchenwein" gern mochte. Aber hier ahnte John, dass es vor allem Erinnerungen waren, die Tancrèd Cider trinken ließen. Er trank es im Sommer auch ganz gern, weil es ein erfrischendes Getränk war. Dass der Franzose ihn so erstaunt ansah, als er nach der Mannschaft fragte, wunderte ihn ein wenig. Schließlich wollte er mehr über den Kapitän wissen. Wenn das seine Ersatzfamilie war, so wollte er davon hören.

Während Tancrèd erzählte, wurde das Puzzle, das er in seinem Kopf nach und nach vom anderen zusammenbaute wieder ein Stück weiter ergänzt. Es fügte sich gut in das ein, was er ihm am Jahrmarkt erzählt hatte. Als Tancred von Kadmin erzählte, hatte er ein seltsames Gefühl. Letztlich erzählte ihm der andere ja gerade, dass er ihn aus den gleichen Gründen herausgezogen hatte, wie ihn, oder? Und John war ja nicht blöd, nicht zu wissen was das hieß.

Weil ich nicht zulassen konnte, dass die See mir noch einmal etwas nimmt, was mir etwas bedeutet

John blickte auf sein Schwarzbier. Nun erklärte sich auch der Blick des etwas älteren Mannes mit dem schwarzen Lockenkopf, als sie sich vorhin am Schiff begegnet waren. Sah Kadmin ihn als Nebenbuhler? War er das? An Land er und an Deck Kadmin? Irgendwie schmeckte ihm dieser Gedanke nicht. Damit hatte er irgendwie nicht gerechnet. War er gerade in dem Bett gelegen, in dem womöglich Kadmin zuletzt noch gelegen hatte? John fühlte sich mit einem mal ungewohnt unwohl in seinem Körper. Er hatte doch sonst nie Probleme damit, wenn andere Sex mit anderen hatten. Wieso auch? Er machte es doch auch nicht anders... Doch jetzt meldete sich eine Stimme, die ihn fragte, ob er an Tancrèds Stelle aktuell mit Kadmin schlafen würde. Seltsamerweise war die Antwort 'Nein'. Genauso lautete auch seine Antwort, wenn er sich das Gegenstück überlegte, nämlich, ob er aktuell mit Kieran ins Bett gehen würde. Sicher, es war nicht wirklich eine realistische Situation, aber selbst wenn es dazu kommen konnte, würde er es auch nicht machen. Da wurde ihm bewusst, dass er tatsächlich Anspruch auf Tancrèd erhob. Das verwirrte ihn sehr. Genauso wie die Tatsache, dass er dem anderen einen gewissen Anspruch auf sich selbst einräumte. John strich sich die Haare aus der Stirn und trank einen Schluck. Was sollte er jetzt dazu sagen? Zunächst nichts, denn er hörte die Geschichte zu Ende. 

"Das ist nicht ganz unklug", sagte er zerstreut, hinsichtlich der Flagge. "Schließlich durchschifft ihr ja spanisches Hoheitsgewässer, wenn ihr nach Italien wollt." Eigentlich sprach er vor allem, damit es nicht eine komische Stille zwischen ihnen gab, mit der er noch weniger anfangen hätte können. John war gerade überfordert - und das passierte ihm sonst nie. "Von den Brüdern und dem Koch hat Kieran auch in seinen Briefen erzählt. Er hat sich auf dem Schiff sehr wohl gefühlt, auch wenn seine Situation damals nicht sehr angenehm für ihn war. Der nächste Arzt bei euch an Board wird es sicher nicht leicht haben, in Kierans Fußstapfen zu treten." Irgendwie redete er Stumpfsinn. Vielleicht sollte er das Thema komplett wechseln. Aber das nahm ihm der Eintopf ab, der gerade vor ihnen abgestellt wurde. Er blickte hinein und rührte ihn schweigend um. Er mochte eh kein heißes Essen und so gab ihm das die Ruhe, die er kurz brauchte, um mit sich wieder ins Reine zu kommen, wie er mit den Informationen, die ihm Tancred da vor die Füße geworfen hatte, umgehen sollte. 

Letztlich hatte der andere ihm ja nur gesagt, dass er Kadmin sehr mochte, dass er vielleicht sogar auch mehr von ihm gewollt hatte. Aber er wusste nichts darüber, wie es aktuell war. Wobei Kadmins Blick eigentlich so im Nachhinein betrachtet, sehr eindeutig gewesen war. War Kadmin nicht auch nach der Razzia durch die Stadtwachen bei Tancred im Hotel gewesen? Ihm war doch so gewesen, als sei Tancrèd nicht allein im Zimmer gewesen. Ob die beiden da...? Nachdem ihr Flirt doch recht heiß gewesen war... nachdem sie sich im Labor schon so nahe gekommen waren... War Tancrèd so? Nahm er sich, was er bekam? Aber warum war er dann so hartnäckig an ihm dran gewesen? Und wieso verdammt nochmal konnte er den anderen nicht einfach fragen, was Sache war? Wieso war das so schwer für ihn? Er kam sich so blöd vor. Wenn er fragte, stünde er da wie ein kleines Schulmädchen, das seinen Collegefreund fragte, ob er treu wäre. Und was bedeutete Treue eigentlich? War er tatsächlich eifersüchtig? Er wusste schon, warum er eigentlich seinen Prinzipien sehr treu blieb, niemals zweimal mit dem gleichen Mann zu schlafen. Es brachte nur Komplikationen. Es wird nicht kompliziert sein John. Das ist es nie..

John hob den Kopf und blickte den anderen an. "Und warst du mit Kadmin danach zusammen? Seid ihr ein Paar... gewesen?", fragte er dann und er merkte, dass er ein komisches Gefühl bei dieser Frage hinunterschlucken musste. Nein, er sollte es vielleicht wirklich nicht komplizierter machen, als es war. Aber dafür müsste er reden.

 

Tancrèd


 

Obwohl der Franzose weitersprach merkte er deutlich an welcher Stelle seiner Ausführungen Johns Aufmerksamkeit deutlich nachließ. Er konnte die Rädchen förmlich mit bloßem Auge sehen, die sich hinter Johns Stirn drehten. Kadmin.. sein bester Mann. Ihn aus der Geschichte auszuschließen wäre niemals in Frage gekommen. Nicht, weil Kadmin eine unglaublich große Rolle in seinem Leben einnahm, zumindest gerade nicht, aber weil Kadmin zu seinem Leben auf See dazugehörte wie kaum etwas Zweites. John konnte sehr gut kombinieren, was Tancred damit meinte, als er davon sprach, Kadmin aus dem Wasser gezogen zu haben. Während er überlegte, wie er die Sache am besten so aufdröselte, dass John nicht direkt wieder alle Mauern hochzog, die Tancred so mühsam abgebaut hatte, kam ihr Essen und John ging etwas fahrig auf andere Dinge seiner Erzählung ein, auch wenn Tancrèd merkte, dass den Arzt etwas ganz anderes wurmte. Er sagte deshalb nichts darauf, sondern versuchte etwas von dem Eintopf, der herrlich duftete und erstaunlich gut schmeckte. Seit so viele Seemänner hier waren, hatte sich die Qualität des Essens enorm gehoben. Man hatte sogar frisches gutes Rindfleisch in dem Eintopf gekocht und frisches Gemüse schwamm neben Graupen in ordentlichen Mengen in der dunklen starken Rinderbrühe. Nachdem sie allerdings auch ihm zu heiß war, griff er stattdessen nach dem frischen Brot, das sie dazu bekommen hatten, und tunkte es in die dunkle Brühe, ließ es über der Schale abtropfen und aß es so, während sich John langsam dazu durchrang, das Thema das über und zwischen ihnen schwebte, doch selbst anzusprechen.

"Nachdem ich ihn aus dem Wasser gezogen habe?" fragte er, allerdings rhetorisch. Er wusste, dass John genau diese Situation meinte. "Wenn man es so hört, klingt es schon fast wie eine schlechte Masche, oder?" Er kaute fertig und tunkte das Brot erneut in den Eintopf, aß diesmal aber nicht. "Habe ich mit ihm geschlafen? Ja.. habe ich. Aber nicht direkt danach. Er hat mich gemieden, bis zum nächsten Hafen und wollte von Bord gehen - denke ich. Ich habe ihm gesagt, er solle sich verpissen und nicht mehr auftauchen und mich und meine Mannschaft in Ruhe lassen, die nach meiner Rettungsaktion erkannt hat, wer den Schneid hat, sich für andere einzusetzen und nicht nur große Reden zu schwingt.. es war sein Stolz, der ihn gehen ließ, und es war genauso sein Stolz, der dafür gesorgt hat, dass er zurückkam. Er wollte sich nicht von "einem Franzosen" sagen lassen, dass er ein schlechter Mensch sei, also hat er für mich gearbeitet und schließlich angeheuert. Erst in der Zeit danach sind wir 'Freunde' geworden." Er biss das vollgesogene Brot ab und kaute eine Weile nachdenklich. "Aber ich denke, was du wissen willst, liegt näher. Habe ich mit ihm geschlafen, bevor ich nach England gekommen bin? Ja, habe ich. Habe ich es getan nach "unserer" ersten Nacht? Ja, habe ich. Habe ich es getan, nachdem ich mit dir auf dem Jahrmarkt gewesen bin? Nein. Seit diesem Tag nicht mehr." Ehrlichkeit war ihm stets wichtig gewesen und auch wenn es John vielleicht nicht gefiel zu hören, dass er tatsächlich mit dem Mann im Bett gewesen war, es war nun mal eine Tatsache. "Ein Paar gewesen sind wir nie. Christliche Adelige wie unsere beiden Freunde mögen das mit sich vereinbaren können, mit ihrem Glauben und ihren Gefühlen. Kadmin kann es nicht und ich habe nie Wert darauf gelegt.“ Es war erstaunlich, wie ernst er diesen Satz in diesem Moment meinte – obwohl er gelogen war und Tancred das genau so wusste. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er sehr wohl Wert darauf gelegt hatte, mehr für Kadmin zu sein als nur die schnelle Befriedigung. Allerdings dachte er in diesem Moment nicht an diese Zeit.

„Auf See ist es einsam und denke ja nicht, es kommt nicht häufiger unter Deck zu solchen Zusammenkünften... nur ich mische da sicher nicht mit. Ich habe lediglich gesagt, dass ich es nicht dulde, einen meiner Männer zu zwingen, aber was sie freiwillig machen ist mir egal. Letztlich kannst du dir aber denken, dass mich das in der Zeit auf See ziemlich einsam macht." Er griff zum Löffel und rührte ein wenig in dem Eintopf. "Wenn man jemanden hat, an Land, dann ist das was anderes. Dann gibt es ein Ziel zu dem man zurückkehren kann. Aber als ich das nicht hatte, habe ich mich nicht beschwert, wenn er zu meiner Deckwache ebenfalls auf dem Schiff geblieben ist." Er probierte, ob der Eintopf essbar war, und schob sich dann den ersten Löffel in den Mund. "Es wird aber nicht mehr passieren. Nicht wenn die Dinge so weitergehen wie jetzt."

 

John


 

John lächelte matt, als Tancred sein Handeln als "Masche" hinterfragte. Das war es sicher nicht. Schließlich konnte man das ja nicht planen.

Die Ehrlichkeit, die nun folgte, war erschreckend - irgendwie - aber sie tat John auch gut. John sagte bei den meisten Dingen auch gerne was er dachte, nur nicht was sein Innerstes betraf. Tancrèd konnte über solche Dinge reden und das beruhigte ihn ungemein. Auch wenn das, was er hörte, natürlich nicht das war, was er hören wollte. Aber da schalt er sich selbst einen Dummkopf. Wie naiv war er denn? Dass Tancrèd sein Leben lang auf ihn gewartet hätte? Hatte er denn auf den anderen gewartet? Nein.

Der Unterschied war nur, dass seine Sexpartner nichts mehr mit ihm zu tun hatten. Und Kadmin war da, war ständig in Tancrèds Nähe, war sein wichtigster Mann an Board, war bei ihm, wenn sie in See stachen - wenn John nicht bei ihm sein konnte. Und dann?

John hörte sich die Geschichte nach der Rettung weiter an. Eigentlich eine schöne Geschichte, die davon zeugte, wie sehr sich Tancrèd um die kümmerte, die ihm wichtig waren. Ob er auch nur mit ihm zusammen war, weil er Mitleid... John schob den Gedanken schnell weg. Das tat er sicher nicht.

Als Tancred eine Pause machte, rührte John noch immer in seinem Eintopf. Sein Vater hasste es, wenn er es tat und verstand nicht, dass er ungern heiß aß. Er hatte ihn immer... John merkte, dass seine Gedanken schon wieder abdrifteten. Das lag vermutlich daran, dass er noch nicht gehört hatte, was er hören wollte und er ein wenig Angst vor der Wahrheit hatte - auch wenn er nicht wusste, warum.

Aber Tancrèd fuhr fort und beantwortete ihm genau das, als hätte er seine Gedanken lesen können. John blickte auf und sah den anderen zum ersten Mal wieder an. Er hatte seit dem Jahrmarkt nicht mehr mit Kadmin geschlafen? Seitdem sie irgendwie beschlossen hatten, es miteinander zu versuchen? Nicht, nachdem er ihn mit diesem Kuss hatte stehen lassen? Nicht nach der Szene im Labor? Nicht nach dem Backgammonspiel? Nicht, nachdem er ihn ignoriert hatte? Nicht in den letzten drei Tagen? Tancred wich seinem Blick nicht aus, sein Blick war vollkommen ehrlich.

Nun ergänzte Tancred noch die Art der Beziehung, die er zu seinem ersten Maat pflegte: es ging nur um Sex, wenn sie auf See eben Befriedigung suchten. Vielleicht einfach darum, nicht immer allein zu sein. So wie Kieran ihn nächtelang zu sich geholt hatte, auch wenn sie keinen Sex gehabt hatten.

Wenn Kadmin ins Bordell ging, dann stand er wohl eigentlich eh auf Frauen, oder? War Tancred seine Notlösung?

Vielleicht war es so, denn Tancrèd erklärte ihm, dass er niemanden zwang, es provozierte oder sich aufdrängte. Kadmin kam freiwillig zu ihm, benutzte ihn offenbar. Nun gut, wer würde da Nein sagen? Der Araber sah ja nicht verkehrt aus! Es war ein beiderseitiges "Benutzen". John sah den Franzosen nachdenklich schweigend an. Wie würde er sich verhalten? Er konnte es nicht sagen. Hatte er Sex gehabt, seit dem Jahrmarkt? Spontan würde er 'Ja' sagen, aber jetzt wo er darüber nachdachte, merkte er, dass die Antwort 'Nein' war. Er hatte gewollt, es sich vorgenommen, um den anderen zu vergessen, es aber nie gemacht. Er hatte sich selbst beholfen, und dabei an Tancred gedacht. Aber er hatte keinen Ersatz gesucht oder eine Ablenkung.

Und wenn man Monate lang auf See war? Viele Männer auf engem Raum? Es war eigentlich wirklich nachvollziehbar, dass Tancrèd und Kadmin sich die Einsamkeit etwas versüßten...

Als der Kapitän weitersprach, merkte John, dass er wieder auf seinen Eintopf schaute und darin rührte. Was der andere nun sagte, klang beruhigend. Denn Tancred war vermutlich der ehrlichste Mann, dem er je begegnet war - außer vielleicht Kieran, der alles konnte, nur nicht lügen. Zunächst war es nur der Halbsatz, der ihm ein Versprechen gab. Aber als ich das nicht hatte,... - das hieß ja nichts anderes, als dass er nun jemanden hatte, oder? Und dann gab der Kapitän wirklich ein Versprechen, das an die Bedingung geknüpft war: er wollte, dass es so weiterging wie jetzt, dass John und er sich näher kamen. Nun, damit hatte er kein Problem.

John hatte wieder aufgesehen und lächelte leicht.

"Ich kann gut verstehen, dass du froh bist, wenn du auf See nicht alleine schlafen musst. Ich ziehe ja auch oft deshalb los..." Seine Hand spielte mit dem Löffel, während er nicht genau wusste, was er sagen sollte. "Es... ich... Ich glaube, ich habe noch nie so ein Gespräch geführt. Es fühlt sich komisch an, der Gedanke, dass du Kadmin immer um dich hast, er dein Freund ist und manchmal eben mehr." Er blickte den anderen an. "Ich habe noch nie den Gedanken gehabt, irgendeinen Anspruch an jemanden geltend machen zu wollen, es ist irgendwie seltsam, aber der Gedanke kam gleich. Und dass jemand Anspruch auf mich haben darf, hätte ich auch nie für möglich gehalten, aber auch das stört mich irgendwie nicht." Warum war es eigentlich so schwer, die richtigen Worte zu finden? Ihm lagen doch sonst immer Worte auf der Zunge! "Ich rede komisches Zeug", seufzte er. "Eigentlich will ich dir nur sagen, dass ich weiß, dass du ein sehr ehrlicher Mensch bist und ich dir vertraue." John hob einen Löffel vorsichtig an seine Lippen und befand das Essen nun für essbar. Es war wirklich seltsam, was sich alles änderte, wenn man versuchte, sein Leben zu zweit zu bestreiten. Sehr seltsam...

 

Tancrèd


 

Dieses Gespräch war definitiv eines der Gespräche, die sie führen mussten. Ein anderes würde bald auch nicht mehr aufzuschieben sein, nämlich das Gespräch, in dem es darum ging, was passierte wenn Tancred London für längere Zeit verlassen musste und niemand mehr "da" war, mit dem John sich gut hielt. Nachdem er sich in dem wirklich großen Schritt von seinem Vater gelöst hatte, würde er verdammt allein in London sein, wenn Kieran mit Nico nach Italien abzog. Er hatte dann zwar noch seinen Job, aber sonst niemanden mehr und Tancrèd fürchtete darum, dass John ziemlich einsam sein würde. Aber ihm anzubieten, mit ihm zur See zu fahren, war leichter gesagt als getan. John war kein Seemann, ganz sicher nicht. Er selbst war das zwar auch nicht gewesen, aber für ihn war es die einzige Chance gewesen, während John hunderte Möglichkeiten offen standen. Bevor John das nicht selbst entschieden hatte, würde Tancrèd dieses Thema besser gar nicht anschneiden. 

Auf Johns Worte hin musste Tancrèd lächeln, während er aß. "Ich kann deine Bedenken gut verstehen. Und mehr als mein Wort kann ich dir auch nicht geben. Solltest du irgendwann einmal die Gelegenheit bekommen, ihn kennenzulernen, wirst du aber merken, dass in ihm wirklich keine Konkurrenz zu sehen ist. Ich finde auch nicht, dass du komisches Zeug redest. Ich bin viel eher froh, dass wir beide in der Lage sind, darüber zu sprechen... Denn wenn ich sehe, was daraus resultiert, wenn Menschen nicht darüber sprechen, weil sie glauben, dass ihnen alles in den Schoß fällt, dann will ich lieber für immer allein bleiben." Er musste kaum darauf hinweisen, dass er Dominico und Kieran meinte. Da war viel an die Wand gefahren worden, nur weil Dominico Sforza nicht ausreichend mit Kieran über seine Lage gesprochen hatte. Mit zwei weiteren Scheiben Brot hatte er kurz darauf seine Schüssel geleert und lehnte sich zufrieden zurück. Er fühlte sich gut, nicht nur wegen des Essens, sondern auch wegen ihres Gesprächs. Dass John überhaupt etwas zu diesem Thema sagte, war ein riesiger Schritt und er wusste das auch. Nach dem was er auf dem Jahrmarkt erlebt hatte, war John wirklich nicht besonders gut darin, jemanden nahe an sich heran zu lassen und Tancrèd wusste, dass er bereits ziemlich privilegiert war, was das anging.

 

John


 

Hm, vielleicht sollte er Kadmin einfach besser kennenlernen - nur er hatte nach den Worten und dem Blick vorhin so absolut keine Lust darauf. Er hatte keine Lust auf irgendwelche Spielchen und Machtkämpfe. Aber vielleicht sah er das auch zu schwarz und es war gar nicht so.

Dass der andere ihm sein Wort gab, reichte ihm. Alles klang danach, dass er keine tieferen Gefühle für Kadmin hatte. So lange das so war, war das in Ordnung, oder? Er nickte leicht. John wollte jetzt nicht darüber nachdenken, was wäre, wenn Tancrèd es brach. Er vertraute ihm - alles andere war jetzt egal. Als der Franzose weitersprach, sah John wieder von seinem Eintopf auf. Dass der andere von Dominico und Kieran sprach, war ihm gleich klar. Gott wie hatte Kieran gelitten - John spürte bei dem Gedanken wieder seine Hand kribbeln. Ja, für solche Spiele war er nicht zu haben. Da wäre er auch lieber sein Leben lang allein und ungebunden! Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende!

John aß seinen Eintopf weiter. Während der andere schon fertig war, konnte er jetzt erst so richtig beginnen. Das Schweigen zwischen ihnen fühlte sich gut und nicht unangenehm an, und gab ihm die Zeit zu realisieren, dass er tatsächlich dabei war, sich an einen Mann zu binden. 

London 3 - Manch Blick sagt mehr als 1000 Worte

Tancrèd


 

Sie schwiegen eine Weile, aber das war nicht sehr unangenehm. Die Schankmaid kam und holte ihre leeren Schüsseln, Tancrèd bezahlte sie gleich und lud John auch ein. Er bezahlte ebenso ihre Getränke, denn die Schenke füllte sich zusehends und die Luft wurde trotz der offenen Fenster stickiger. Da John einverstanden war, noch ein wenig die Kaimauer entlang zu bummeln, verließen sie die Schenke. Immer mehr Männer drängten von vorn herein. Tancrèd kannte sich aus, nahm kurzerhand mit John den Hinterausgang in eine dunkle Seitengasse. Vorn in der Beleuchtung sah man Männer lärmend vorbeiziehen, während die Gasse so schmal war, dass man kaum normal darin gehen konnte, weil so viel Zeug darin stand. Tancred nutzte die Chance des engen Durchganges und der Dunkelheit und zog John an sich, kaum dass die Türe hinter ihm wieder zugefallen war. Seine Lippen suchten die weichen Lippen von John, nahm sie sachte aber verlangend in Besitz und ließ den Kuss so lange dauern, wie er glaubte, es sich erlauben zu können, ohne dass jemand Notiz von ihnen nahm. "Hmn.." Er schmunzelte als er die Lippen wieder von John löste. "Darauf lohnt es sich wirklich zu warten...", meinte er, ehe er John in Richtung der Straße aus der Gasse bugsierte. Sie tauchten ein in die lärmende Welt des Hafens an einem erstaunlich angenehm kühlen Abend. Der Wind hatte gedreht und wehte von Landeinwärts den Geruch frisch geschnittenen Grases heran, das jetzt auf den Wiesen zum Trocknen auflag. Es war eine willkommene Abwechslung und der spürbare Wind machte die Sommernacht erträglicher. Überall wurden an der Promenade Waren verkauft, nicht nur Essen sondern auch Hemden, Hosen, Schuhe und allerlei Krimskrams, der sicher nicht annähernd das Wert war, was man dafür verlangte. An einem Gewürzstand fiel Tancred die Waage ins Auge, die der Verkäufer benutzte und siedeheiß fiel ihm ein, dass er da ja auch noch etwas gekauft hatte... Er hatte sie John nur noch nicht gegeben, weil er irgendwie keine Gelegenheit gehabt hatte, und zudem anfangs das Gefühl gefehlt hatte, dass John ihn wirklich wollte. 

Vielleicht ergab sich noch eine Gelegenheit... "Commandante!" Aus einer Gruppe Männer am Rand löste sich ein Mann, ein wenig kleiner als John und Tancrèd und kam auf sie zu. "Commandante, wir brauchen Sie!" Tancred war stehen geblieben und runzelte die Stirn. "Ich mische mich ganz sicher nicht in eure gezinkten Kartenspiele ein.." "No no!", widersprach der Spanier vehement. "Wir brauchen sie für el violin. Der letzte Violinista hat zu viel Bier getrunken und die Banausen von der Queen Mary glauben nicht, dass wir tanzen können wie echte Gentleman!" Tancred verdrehte die Augen, lachte dann aber. "Du hast hoffentlich nichts dagegen..", wandte er sich an John, ehe sie beide Miguel zu einer Traube aus Männern folgten, die eine kleine Tanzfläche freigehalten hatte. Ein, zwei Huren standen da und waren offenbar die Damen, mit denen man zu tanzen gedachte, während die "Band" auf einigen leeren Lagerhauskisten saß. Rasseln, eine Handtrommel, ein Tamburin und mehrere Lauten waren das Ensemble, das man hier zusammen brachte - und eine Violine, die Miguel jetzt Tancrèd in die Hand drückte. Der musterte das gute Stück etwas mitleidig und fing an sie zumindest grob zu stimmen. Wenigstens war der Bogen gut gespannt und die Saiten alle noch vorhanden. Tulio hatte sich derweil in Pose geschmissen und spielte einige Akkorde auf seiner Laute, ehe er das Lied anstimmte das Tancred nur allzu gut kannte. Es war seit sie in London waren wirklich der Dauerbrenner in der Mannschaft...

 

Drei Weiber traf im Schankhaus ich,

die waren mir gewogen,

die haben mich so sehnsüchtig

zur Theke hingezogen.

 

Und dort versprachen sie frivol,

in uns'erm tollen Treiben.

Ewiglich woll'n wir frohsinnig

Und beisammen bleiben...

 

 

https://www.youtube.com/watch?v=HInWAe2kXro

 

John


 

Dass Tancred für ihn zahlte, war schon in Ordnung. Er hatte einiges seiner Ersparnisse für sein Zimmer gebraucht. Da er nicht genau wusste, wann er seinen ersten Lohn erhalten würde, war er sparsam mit dem Rest. Er würde sich revanchieren, definitiv. Anschließend führte der andere ihn über den Hinterausgang hinaus. Die kleine Gasse, die vor allem gedacht war, dass das Feuer, wenn es brannte, nicht zu schnell auf andere Häuser übergriff, war wie überall vollgestopft, so dass der Brandschutz letztlich nicht gewährleistet war. John war oft schon in solchen Gassen mit anderen verschwunden. Er schmunzelte bei dem Gedanken, dass er mit Tancrèd sicher nicht hier war, um eine schnelle Nummer zu schieben, als der andere hinter ihm ihn zu sich zog und küsste. John war überrascht, erwiderte den Kuss jedoch ohne Umschweife. Es war irgendwie ein bisschen wie nochmal Teenager zu sein, aber das war ok und fühlte sich gut an. Tancrèd fühlte sich gut an, dessen Bereitschaft, ein Risiko einzugehen, fühlte sich gut an und das Gefühl in seinem Bauch dazu auch. Als der andere sich löste und schier schnurrte, musste John grinsend den Kopf schütteln. Er wollte den Kapitän necken, doch der war schneller. Das was er sagte unterstrich noch einmal seine Worte von vorhin. John verstummte und ließ sich von Tancrèd an der Hand nach draußen führen, die der andere erst im aller letzten Moment löste. Dieser Mann war wirklich besonders.

John beobachtete amüsiert das Treiben auf der Promenade. Er wunderte sich noch immer, warum manche Menschen so dumm waren, sich von den Straßenhändlern so übers ihr hauen zu lassen. Aber solche Menschen musste es wohl geben. Vielleicht sollte er auch die Branche wechseln und Tand zu überteuerten Preisen verkaufen... Brauchen tat er nichts, aber dem Treiben sah er gerne zu. Besonders interessant war der Wagen eines Medicus, der damit warb, alle Krankheiten heilen zu können. Bevor den Leuten klar wäre, dass er log, würde er über alle Berge sein. Dann hatten diese aber ihr ganzes Vermögen schon dem Scharlatan vermacht gehabt.

John ging lieber weiter, bevor er zu viel mitbekam. Nur am Gewürzhändler blieb er länger stehen und kaufte einiges ein, das er gut herunterhandeln konnte. Als er bezahlte, hörte er, dass Tancrèd angesprochen wurde. John sah einen Südländer, dessen Akzent wohl Spanien zuzuordnen war. John trat an die beiden heran und schüttelte den Kopf. "Kein bisschen!" Tancred spielte Geige? Das würde er sich doch nicht entgehen lassen!

So folgte er ihnen zu der Gruppe, die nur auf ihn gewartet zu haben schien. John hielt sich im Hintergrund und beobachtete den Seemann, der gerade wieder eine neue Seite von sich zeigte. Als sie zu spielen begannen, musste er unwillkürlich grinsen. Zu dem Lied hatte er mit Kieran auch schon getanzt. Allerdings bräuchte er dafür hier deutlich mehr Alkohol. Dachte er zumindest - denn er hatte nicht gemerkt, dass die beiden guten Damen die Köpfe zusammengesteckt hatten und tuschelten. Die Zuschauer fingen an zu Klatschen und gaben den Takt vor, als einige bereits anfingen zu tanzen, eine der Huren aber zu ihm kam. "Der schönste Mann hier ist für mich", sagte sie und zog John mit sich, der sich hier nicht lang wehren konnte. Es war eine angenehme Atmosphäre, also warum nicht ein wenig tanzen? So stieg er in das Lied ein und wirbelte die Dame herum, bevor er ihr in einem günstigen Moment ein "Aber nur zum Tanzen zu haben", zuraunte. Die Dame lachte. "Schade!", sagte sie. "Die Schönen sind immer schon vergeben." John schmunzelte bei dem Gedanken, dass er auch so nichts mit ihr anfangen könnte. Frauen waren ihm irgendwie zu weich und gepolstert. Er hatte sie nie erregend gefunden, als Teenager hatte er sie nur als nervige, kichernde Gören wahrgenommen. Zumindest war ihm bewusst, dass sie auch anders sein konnten. 

Es wurden einige Lieder gespielt, bis eine kurze Pause entstand, in der diskutiert wurde, was gespielt werden sollte. Er verabschiedete sich mit einem formvollendeten Handkuss und wusste nicht so recht, was ihn ritt, aber er griff nach einer Laute und spielte ein paar Takte an und begann zu singen. "Als ich in meiner Kneipe saß, kam ein Mädchen durch die Tür... " Es war einen Moment still geworden, doch nun lachten die Musiker, und einige Tänzer johlten, und alle stiegen mit ein, während John weitersang und von den Musikern und sich selbst dazu begleitet wurde. Während des Liedes blickte er sich einen Moment um. Es war wieder eine neue Situation, die sein neues Leben wohl mit sich brachte. Er hatte noch nie vor Publikum gespielt, nur für sich selbst gesungen. Seine eigene Laute hatte er versteckt gehalten, damit sie ihm sein Vater nicht zerstören konnte. Kieran war sehr überrascht gewesen, als er sie einmal entdeckt hatte. Als er für ihn gespielt und gesungen hatte, war der andere sehr melancholisch geworden, daher hatte er sie wieder weggepackt.

Hier war es eine schöne Situation. Vielleicht sollte er wieder mehr üben und singen als Ausgleich zu seiner Arbeit.

Sein Blick striff den von Tancred und ihre Augen blieben ineinander hängen. John spürte, dass er beim Singen lächelte und Tancred lächelte auch. Es war ein stummes Gespräch, das sie führten, während sie sich diesen Moment ein wenig länger ansahen. 

Ich möchte der Auslöser dafür sein, dass du mich so anlächelst, wie du es gerade tust. Ich will, dass ich dich und du mich ansehen kannst wie die beiden dort oben. - John spürte, dass sie auf dem richtigen Weg waren.

Nach dem Lied legte er die Laute wieder weg, ließ sich auch nicht beschwatzen, weiter zu spielen und auch Tancrèd legte die Geige nieder. Schweigend gingen sie zum Schiff und als sie vor der Gangway standen, nahm er sich die Hand des anderen und ließ sich hinaufführen. Tancrèd hatte kaum die Tür hinter ihnen geschlossen, als sie sich schon küssten und eine Nacht begannen, in der der Schlaf noch nicht sehr bald kam.

 

Tancrèd


 

Dass es auch eine Version von John gab, die sich unbeschwert und ohne größere Gedanken einfach nur in der Menge treiben lassen konnte, war zwar nicht unerwartet für Tancrèd, aber es war schön John so losgelöst zu sehen, wenn man nicht gerade mit ihm im Bett war. Als Tancrèd zur Geige gegriffen hatte, war das Gejohle um sie herum lauter geworden und er wusste, dass mehr Männer sich zu ihnen gesellten. Dass einer der Kapitäne sich zu so etwas herabließ, war auf den englischen Schiffen undenkbar, aber Tancrèd interessierte das wenig. Wieso sollte er einen Stock im Arsch haben, nur weil die Engländer es so handhabten? Nein, er hatte seinen Spaß mit seiner Mannschaft und genau deswegen war seine Mannschaft auch so viel besser als die anderen. Als John auf einmal von einer der leichten Damen in die Mitte gezogen wurde und sich tatsächlich darauf einließ mit ihr zu tanzen, lachte der Franzose auf, was aber durchaus in das Lied passte und daher nicht weiter auffiel. Da John offenbar gut beschäftigt war, ließ er es sich nicht nehmen, noch ein zweites Lied anzustimmen und ein drittes. Gerade als er sich eigentlich abseilen wollte, um mit John wieder allein zu sein, hörte er dessen nur allzu bekannte Stimme laut neben und hinter sich und fuhr herum. John saß da, mit einer Laute in der Hand. Tancrèd zog die Augenbraue nach oben und setzte den Bogen auf die Saiten, um John zu begleiten - und der Rest ließ sich nicht lange bitten.

Das Tanzen ging weiter und die gute Stimmung mindestens ebenso. Es war schwer, die Augen von John zu nehmen, der wirklich der "schönste Mann" unter den Anwesenden war, was sicher nicht nur die Hure bemerkt hatte. Er wollte ihn auch nicht zu offensichtlich anstarren, doch ihre Blicke blieben ineinander hängen und Tancrèd konnte einfach nicht wegsehen. Es tat gut, unendlich gut "verstanden" zu werden, ohne etwas sagen zu müssen und zwar nicht in Hinsicht eines Befehls an Deck, sondern in ganz anderen Belangen. Als sie da saßen und John sang und er Geige spielte, fiel ihm ein, was er unbedingt mit John machen wollte.

Nach dem Lied verabschiedeten sie sich beide und gingen zurück zu dem Schiff, das im Dunklen vor ihnen aufragte. John kam mit ihm wieder über die Gangway und Tancrèd griff seine Hand fest in der festen Überzeugung, sie bis morgenfrüh nicht mehr loszulassen. An Deck waren immer noch die Kartenspieler im Licht einer Öllampe beschäftigt, doch sie nahmen keine Notiz von dem Kapitän und seiner Begleitung. Tancrèd führte John zurück in seine Kajüte und nachdem er die Türe geschlossen hatte, dauerte es wirklich nicht mehr lange, bis John mehr von dem bekam was er sich gewünscht hatte: Französisch.

London 3 - Der See I

Tancrèd


 

Als die Sonne am nächsten Morgen durch die Heckfenster kroch, blinzelte Tancrèd träge gegen das ungebetene Licht und war im nächsten Moment hellwach. Das Schiff lag noch immer ruhig am Hafen und er hatte John im Arm, der noch schlief, doch draußen an Deck waren bereits Rufe zu hören. Seine Mannschaft arbeitete bereits wieder... er sank zurück in die Kissen. Leider konnte er nicht mehr ewig hier im Bett liegen bleiben. Er küsste John sanft wach und als der junge Mann ebenfalls blinzelte, grinste er. "Guten Morgen, Prinzessin. Mich ruft die Pflicht, aber ich lasse mir nicht noch Mal sagen, dich hier schändlich liegen gelassen zu haben, also: Guten Morgen. Ich gehe kurz nach meinen Männern schauen und dann haben wir beide etwas zu tun." Erklärte er direkt, ehe er sich aus dem Bett schob und sich Hose und Hemd überzog. Aus einem Krug goss er Wasser in eine Schale, um sich grob das Gesicht zu waschen, ehe er hinaus an Deck trat. Kadmin hatte seine Mannschaft wie immer hervorragend im Griff. Er ging zu ihm hinüber und besah sich die Arbeit des letzten Tages, ehe er seine Männer zu sich rief und ihnen erklärte, was heute noch weiter passieren würde. Morgen würden sie das Schiff ein wenig weiter östlich landen, um sich um den Rumpf zu kümmern, also standen heute nur noch die Segel auf dem Programm, die schon beinahe fertig waren. Tancrèd konnte die Mannschaft guten Gewissens alleine lassen und betreute einige Männer damit, sich um das Pech zu kümmern, das sie brauchen würden, um den Rumpf abzudichten.

Da alles so lief wie er es geplant hatte, war er zwei Stunden später mit John auf dem Weg zu dem Ort, an dem er seinen Plan gedachte umzusetzen. Die Waage hatte er sehr sorgfältig eingepackt und in einer einfachen Tasche dabei, sowie zwei große Leinentücher, um sich abtrocknen zu können. Sie verließen Gravesend und passierten einige Bauernhöfe, durchquerten ein Waldstück und erreichten schließlich hinter einer Kuppe einen großen See. Das Wasser war klar und roch frisch, da der See von einer Quelle gespeist wurde. Er war definitiv groß und tief, aber zumindest am Strand so, dass man bequem ins Wasser waten konnte. Ohne viel zu erklären stieg Tancred vom Pferd und band es an einen nahestehenden Baum, nahm die Tasche mit an das kiesige Ufer und warf das Hemd darauf, zog die Hose aus und watete in Unterkleidern hinein in das Wasser, das ihn bereits nach zwei Metern kniehoch verschluckt hatte. Es war warm wie die vergangenen Tage auch und Tancred genoss die angenehme Kühle des Wassers, spritzte sich das kühle Nass ins Gesicht und drehte sich dann zu John um. "Komm." Er grinste und hielt ihm die Hand hin. "Ein kostenloses Bad."

 

John


 

Er spürte die leichte Regung des anderen, hörte seinen Atem, der den unruhigeren  Rhythmus eines Wachen annahm, spürte, wie jener sich abrupt aufrichtete und sich dann doch noch mal neben ihm hinlegte. Er nahm das alles am Rande wahr, aber richtig wach wurde er erst durch die Küsse, die ihm der andere zunächst auf die Haut hauchte, bevor John seinen Kopf jenen Lippen entgegenstreckte, die er nun schon so oft gekostet hatte, aber nicht genug zu bekommen schien. Vorsichtig öffnete er die Augen und sah, dass es schon heller war, als er gedacht hätte. Irgendwie schien sein Körper nämlich noch nicht so ganz davon zu überzeugen sein, dass es schon Tag war, und er jetzt aufstehen musste. Als Tancred ihm erklärte, warum er ihn gerade dabei war zu wecken, grunzte er. "Ich geb dir gleich Prinzessin", knurrte er, suchte mit einer Hand nach einem Kissen und versuchte in einer eher unbeholfenen Bewegung, dieses dem anderen an den Kopf zu werfen.

Doch der Franzose schob sich schon aus dem Bett und John beschloss, dass wenn der andere es so eilig mit dem Aufstehen hatte, er es ja nicht haben musste. Also drehte er sich noch einmal zur Seite, deckte sich zu, kuschelte sich in die Kissen und atmete tief ein. Hm, er hatte so tief und fest geschlafen wie schon seit... wie noch nie, vermutlich. Der vergangene Abend war schön gewesen, die Nacht für John erstaunlich. Wenn er ehrlich zu sich war, musste er zugeben, dass Sex mit jemanden, den man von Mal zu Mal besser kennenlernte, wesentlich erfüllender und trotzdem auch genauso aufregen war, als wenn man die Partner ständig wechselte.

John konnte nicht mehr richtig einschlafen, aber döste vor sich hin, lauschte den Geräuschen draußen und dem Wasser, mit dem er sich wohl besser anfreunden müsste. Hin und wieder hörte er Tancrèds Stimme heraus. Was dieser wohl gemeint hatte, als er sagte, dass sie noch etwas zu tun hätten? Er hatte seinem Vater gestern gesagt, dass er heute erst gegen Abend in der Apotheke vorbeikommen würde, und so genoss er es, einfach in den Tag hinein zu trödeln. Vor Mittag musste er nicht los, um rechtzeitig zu Hause zu sein. Noch bevor der andere schließlich wieder zu ihm kam, stand er auf, wusch sich ausgiebig die Spuren der Nacht ab und griff zu seinem Rucksack, um sich ein frisches Hemd heraus zu holen. Im Rucksack befand sich auch das Hemd des Kapitäns, sein Einsatz für das Backgammon-Spiel und ein Briefumschlag, in dem nur ein Schlüssel und ein Zettel mit einer Adresse steckten. Den Einsatz legte er auf den Schreibtisch, den Brief darunter, so dass man ihn nicht sehen konnte. Er würde den anderen nachher nicht darauf aufmerksam machen. Er mochte es nicht, wenn er dabei war, wenn jemand ein Geschenk von ihm öffnete. Ihm war das unangenehm. Bei dem Hemd zögerte er. Dann steckte er es wieder ein. Er wollte etwas haben, wenn jener nicht bei ihm war. 

So passte er quasi Tancrèd schon ab, als der kam, um ihn aus dem Bett zu schmeißen und nicht allzu lange Zeit später waren sie auf den Pferden und John war gespannt, was der Kapitän vorhatte. "Warum sagst du mir nicht, einfach, was du vorhast?", fragte er schließlich, als er wirklich gar keine Idee mehr hatte, was der andere mit ihm vorhaben könnte. Verwandte oder Freunde hier zu besuchen, konnte ja kaum sein. Wenn er seine ärztliche Hilfe bräuchte, hätte er es ihm sagen können. Aber noch bevor er nochmal nachbohren konnte, ritten sie über eine Kuppel und vor ihnen tat sich ein See auf, der zugegebenermaßen recht idyllisch in der Landschaft lag. Dennoch zügelte John einen Moment sein Pferd, bevor diesem der Abstand zum anderen aber zu groß wurde und in einem leichten Trab dem anderen hinterherkam. Tancred war abgestiegen und band sein Pferd an, während John noch nicht so genau wusste, ob er richtig ahnte, was der andere vorhatte. Aber es war eindeutig. Zögernd stieg er ab und band sein Pferd fest, lockerte den Sattelgurt. Tancred war gerade dabei, sich zu entkleiden und unwillkürlich betrachtete er den schönen Körper des anderen, den er spätestens seit dieser Nacht wirklich gut kannte. John ging zum Strand, während Tancred schon ins Wasser watete. Er zog sich die Schuhe aus. Mehr war er noch nicht bereit dem anderen zuzugestehen. Er trat näher ans Ufer, so dass seine Zehen etwas nass wurden, als sich Tancred zu ihm umdrehte. "Habe ich schon mal erwähnt, dass ich baden in irgendwelchen Gewässern nicht ausstehen kann?", fragte er den anderen und seine Stimme klang patziger, als er es eigentlich wollte. Er blickte zu seinen Füßen hinab. "Ich weiß nicht, ob ich das kann."

 

Tancrèd


 

Das Wasser war herrlich und Tancrèd musste wirklich an sich halten, um nicht einfach hineinzustürmen und unterzutauchen. Das Flusswasser der Themse war an der Stelle, an der sie ankerten, bereits nicht mehr wirklich frisch und wenn Meerwasser bei der Flut in das Flussbett drückte, war der Geruch schon ziemlich unangenehm. Das Wasser hier war geruchlos und plätscherte klar und sauber an den kleinen Strand. Dass John nicht an ihm vorbei ins Wasser stürmen würde, war Tancred schon klar, doch dass er sich sogar nur auf die Schuhe beschränkte war schon ein wenig übervorsichtig. Der Franzose rollte die Schultern nach hinten und genoss das kühle Nass, dass seine Knöchel umspielte. "Deswegen stinkst du ja auch so schrecklich", gab er gelassen und amüsiert zurück. "Aber wenn du unseren Freund bald besuchen willst, dann solltest du auf ein Bad in so frischem Wasser nicht verzichten..." Er kam wieder ein Stück zu John zurück, aber nicht so weit, dass er ihn hätte erreichen können. "John..", sprach er ihn sanft an, bis der Jüngere ihn wieder ansah. "Ich will nicht, dass du an die andere Seite schwimmst. Ich will nur, dass du ein Stück mit mir hineingehst. Das ist nur ein See, keine Gezeiten, keine Wellen. Ich bin bei dir und du weißt, dass du nicht ertrinken kannst, wenn ich bei dir bin. Komm." Er streckte die Hand aus, doch John würde bereits ins Wasser kommen müssen, wenn er sie erreichen wollte. Tancrèd würde nicht eher aufgeben, bevor John nicht wenigstens ein paar Schritts ins Wasser getan hatte.

Außer ihnen war niemand hier, nur das Zwitschern von Vögeln und leises Summen von Insekten war zu hören. Tancred verkniff sich jedes weitere Wort, er wusste ja, das es nichts brachte zu sehr auf John einzureden. Stattdessen blieb er einfach stehen und wartete, während das kühle angenehme Wasser seine Schenkel umspülte und sein Arm immer schwerer wurde. Trotzdem ließ er ihn nicht sinken. Er wusste, dass das hier wichtig war. Wenn er London mit Alessandro Sforza verließ, wusste er nicht was passiert sein würde, wenn er wieder kam. Ob es John dann noch gab, ob es seinen sicheren Hafen noch gab und den Henry, den er jetzt kannte. Ob die Flotte noch so existieren würde... und wenn es auf einmal schnell gehen musste, wenn John sich entschied am Ende doch mit ihm zu gehen, dann wollte er nicht, dass John auf dem Schiff Todesangst hatte, weil er gar nicht wusste, wie er schwimmen sollte, wenn er über Bord ging. Tancrèd wollte John die Angst nehmen, ihm dabei helfen, das Wasser nicht mehr nur als Feind zu sehen. Er wollte ihn umarmen, ihn küssen und im Wasser stehen und einfach nur fühlen, dass John verstand, dass es nicht das Wasser war, das ihn hatte töten wollen, sondern ein Mensch, der jetzt nicht mehr in der Lage dazu sein würde.

 

John


 

John hob die Augenbrauen und sah den anderen amüsiert an. Er stank also? "Naja, vor allem nach dir, oder?", stellte er trocken fest und seufzte dann. Sich waschen, duschen - kein Problem. Aber hier im See baden? Er sah den anderen an, während der wieder näher kam. "Und wegen unseres Freundes würde ich definitiv nicht hier reingehen", knurrte er. Doch sein Missmut schwand, als er seinen Namen hörte und die Bitte des anderen. Einen Moment blickte er Tancrèd nur in Ruhe an, zögernd, nachdenkend, seine Angst deutlich spürend. Dann trat er ein Stück zurück. "Aber wenn ich sage, dass es reicht, bringst du mich wieder ans Ufer", wollte er sich versichern.

Mit dem Versprechen zog er das Hemd über den Kopf und ließ Hose und Untergewand über die Hüften hinabgleiten, um darauf hin wieder an das Ufer zu treten. Tancred hatte die Hand noch nicht wieder sinken lassen, hatte so verharrt und auf ihn gewartet. Er hatte recht: Der Kapitän würde ihn nicht ertrinken lassen. Aber John schien die Luft schon auszugehen, bevor er überhaupt den ersten Schritt gemacht hatte. Es kostete ihn viel guten Willen, einen Schritt ins Wasser zu machen. Das kalte Nass umspielte seine Knöchel und er fröstelte etwas, atmete hektischer. Schnell ergriff er die Hand des anderen, der ihn fest hielt und ihn fast schon ein wenig weiter zu sich zog, so dass auch er jetzt bis zur Wade im Wasser stand. Ohne dass er es irgendwie beeinflusste begannen seine Hände zu zittern, obwohl das Wasser gar nicht so kalt war. John schalt sich einen Idioten. Bei der Tiefe würde er doch mit Leichtigkeit selbst hinauskommen!! Aber sein Verstand und sein Körper schienen nicht im Einklang zu sein. 

Vorsichtig blickte er auf, den anderen an. "Wie weit muss ich denn hinein, damit du zufrieden bist", fragte er gepresst. Auch das klang patziger, als er wollte. Er merkte, dass sein ganzer Körper sich verkrampft hatte. "Ich habe immer geweint, wenn mich mein Vater geduscht hat. Ich hatte panische Angst, dass er es noch einmal tun würde. Irgendwann hat mein Kopf die ganze Geschichte komplett ausgeblendet, bis ich alt genug war, alles selbst zu machen." Er wusste nicht, warum er das erzählte, aber irgendwie kam es ihm gerade in den Sinn. Seine Augen waren wieder auf das Wasser gerichtet, die Hand verkrampfte sich in der des anderen. Vorsichtig trat er noch einen Schritt weiter auf den anderen zu, so dass das Wasser nun über seinen Knien war. Langsam schien es wärmer zu werden. Seine Augen suchten das des Franzosen, der nun direkt neben ihm stand. Dieser Mann brachte ihn dazu, sich ihm mit seinen Schwächen zu zeigen, wie es John selbst nie für möglich gehalten hätte. Aber die Angst, in diesem Moment absoluter Schwäche, Angst und Hilflosigkeit verraten und fallen gelassen zu werden, blieb aus. Tancrèd hielt ihn, verlachte ihn nicht, half ihm...

 

Tancrèd


 

Es war unglaublich wie so ein bisschen Wasser in John die komplette Panik ausbrechen ließ. Tancrèd war wirklich erstaunt und hätte es selbst nicht geglaubt, wenn er nicht beim ersten Sturz ins Wasser dabei gewesen wäre. Doch John überwand sich und zog sich aus, kam langsam zu ihm herein. "Ich trage dich eigenhändig ans Ufer, wenn du sagst es reicht", versprach er in absolut ruhigem Tonfall. John setzte den ersten Fuß ins Wasser und man sah ihm an, wie wenig wohl er sich fühlte. Sanft griff Tancred seine Hand und zog ihn tatsächlich etwas näher. Er wusste, dass er die richtige Mischung aus etwas Druck und freier Entscheidung von John brauchte, um ihn wirklich ins Wasser zu locken. "Ich bin alleine schon zufrieden, dass du nicht weggeritten bist, als du gesehen hast, wo wir hier gelandet sind...", gab Tancred zurück und drehte John zu sich, als der neben ihm angekommen war. Sanft fuhr seine Hand über Johns Wange und hob seinen Kopf an, dass der nicht mehr auf die glänzende Oberfläche starrte. "Dein Vater ist nicht hier, nur du und ich." Seine Stimme war wirklich beruhigend und statt noch weiter zu gehen, zwang er John einfach einen zärtlichen Kuss auf, um ihn ein wenig auf andere Gedanken zu bringen. "Komm, lass uns ein bisschen spazieren gehen." Entschied er dann und drehte ab, so dass er parallel zum Ufer stand. John an der Hand zog er ihn einfach sachte mit sich, so dass sie durch das seichte Wasser wateten. Bei den Temperaturen, die noch weiter ansteigen würden, war das sehr angenehm, zumindest für ihn. Er ließ John nicht los, ließ aber auch nicht zu, dass der sich wieder zu weit Richtung Ufer entfernte. 

Je länger sie im kühlen Nass zubrachten, desto besser wurde es. John schien sich zumindest an diese Tiefe zu gewöhnen und schien sich damit abzufinden, dass er wohl jetzt und in den nächsten fünf Minuten nicht von Tancrèd oder der eigenen Dummheit ertränkt werden würde. Sie waren eine ganze Strecke gelaufen, ehe Tancred wieder umgedreht hatte und sie langsam und gemächlich zu den Pferden zurückgingen. Statt jetzt aber aus dem Wasser zu gehen ließ Tancred sich erst in die Hocke sinken, dann ganz auf den Hintern fallen. Sie waren an einer Stelle, an der es gerade reichte, ihn im Sitzen bis zum Bauchnabel nass zu machen - seine Arme und vor allem sein Kopf waren noch immer weit vom Wasser entfernt. "Ahhhhh...", grunzte er zufrieden, als das angenehme kühle Wasser seine Beine umspülte. "Komm, setz dich." Er deutete auf seinen Schoß. "Dann bist du nicht ganz so tief im Wasser, hmn?" Es war das letzte, das er von John erbitten würde, der ohnehin schon mehr getan hatte, als Tancred erwartet hatte. Aber er sah es als sehr guten Anfang..

 

John


 

"Na dann kann ich ja wieder raus", murmelte er auf Tancreds Worte, dass er schon zufrieden war, dass er bis zum See gekommen war. Aber er bewegte sich nicht, blickte nur das Wasser an, auf dessen Oberfläche sich die Sonne spiegelte. Erst jetzt merkte er, wie klar das Wasser war. Man konnte jeden Stein unter seinen Füßen sehen und sogar kleine Fische, die in einigem Abstand schwammen. Als er die Hand des anderen an seiner Wange spürte, sah er auf. Die Worte taten ihm gut und er nickte leicht. Dann spürte er den Kuss, der seine Wirkung nicht verfehlte und ihn wirklich etwas ruhiger werden ließ. Seufzend sog er Luft ein. Was dieser Mann nur mit ihm machte!? Krempelte sein ganzes Leben um und ließ ihn nun durchs Wasser - seine persönliche Hölle - gehen. 

Als Tancrèd vorschlug, spazieren zu gehen, nickte er leicht. Nun, wenn es den anderen glücklich machte! Wobei das eigentlich der falsche Ansatz war. Er sollte das vielleicht wirklich nur für sich selbst machen, für niemanden sonst. In Gedanken folgte er dem anderen durchs Wasser, erst etwas zögerlich und langsam, dann zügiger. Der Widerstand des Wassers war ungewohnt, auch der Grund an sich, der etwas rutschig und wackelig war, ließ ihn zögern, aber es ging. Endlich schaffte er es, auch mal aufzublicken und die Umgebung wahrzunehmen. Der See lag sehr idyllisch da. Am gegenüberliegenden Ufer standen Pappeln, die im Wind leicht rauschten. Das Wasser des Sees lag ruhig da und wirkte fast schon sanft. Vögel zwitscherten und die Natur um sie war ungewohnt laut. Sie kehrten irgendwann um und Johns Griff an Tancreds Hand lockerte sich langsam. Irgendwie eine komische Situation - als ob er nochmal laufen lernen müsste. 

"Ich komm mir vor, als sei ich gehbehindert", murmelte er und musste leicht grinsen, als Tancred plötzlich seine Hand losließ und sich neben ihm hinsetzte. Erst erschrak er ein wenig, musste dann aber lächeln. Die Sonne stand mittlerweile recht hoch und John merkte, dass seine Haut sich ihr nicht mehr sehr lange aussetzen sollte. Leider war er ganz anders als Kieran eben der britische Typ, der entweder weiß wie Porzellan oder rot wie ein Krebs war. Aber vielleicht würde seiner Haut das Wasser wirklich etwas gut tun... Als der andere ihm deutete, dass er sich auf seinen Schoß setzen solle, hob er skeptisch die Augenbrauen. Dann ließ er sich auf die Knie sinken und setzte sich so ins Wasser. Er hatte das Gefühl, so schneller aufstehen zu können. "Ich weiß nicht, ob ich deinem Schoß trauen kann", sagte er dann gespielt nachdenklich und war überrascht, dass er auch so weit im Wasser noch relativ ruhig blieb. Dass er noch immer angespannt war, war keine Frage. Aber langsam fühlte er sich sicherer. Er ließ seine Hand vorsichtig durchs Wasser gleiten und in einem Anflug von Lausbüberei spritze er dem anderen eine Hand voll Wasser in seine Richtung. Fasziniert starrte er auf den Oberkörper des Kapitäns, an dem das Wasser abperlte. "Das sind schon gemeine Methoden, einen jungen unbescholtenen Mann wie mich mit so offensichtlichen Verlockungen ins Wasser zu lotsen, du Wassermann. 

Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll,

Netzt' ihm den nackten Fuß;

Sein Herz wuchs ihm so sehnsuchtsvoll

Wie bei des Liebsten Gruß.

Er sprach zu ihm, er sang zu ihm;

Da war's um ihn geschehn;

Halb zog er ihn, halb sank er hin

Und ward nicht mehr gesehn."

 

Tancrèd


 

"Das ist deine Begründung?" Tancred lachte als er neben John ins Wasser gesunken war und es sichtlich genoss, einfach nur halb mit Wasser bedeckt dort zu sitzen. "Meinem Schoß kannst du nicht trauen? Das sah gestern aber noch ganz anders aus... und heute Nacht." Er streckte John die Zunge heraus, während der sich langsam und sehr vorsichtig ins Wasser sinken ließ. Ein wirklich großer Schritt, weil jetzt seine Hände und seine Beine im Wasser waren und im Grunde nur der Oberkörper und Johns Kopf nicht. Tancrèd zog innerlich den Hut vor John, der sich wirklich ziemlich weit ins Wasser gewagt hatte für die Angst, die ihn normalerweise plagte. Natürlich bekam er für seine Worte direkt die Strafe in Form eines Schwall Wassers, der seinen Oberkörper angenehm kühl benetzte und deswegen nicht wirklich störend war. Er blinzelte einige Tropfen weg und bemerkte dann Johns Blick, der auf seinem Oberkörper haftete. Sein Grinsen wurde breiter als er die Muskeln absichtlich etwas anspannte, um John mehr zum Schauen zu geben. Als der es merkte und ihn tadelnd ansah, lachte der Kapitän auf und lauschte schmunzelnd Johns Worten. "Wassermann, hmn?" Er rutschte etwas näher an John heran auch wenn sie schon nebeneinander saßen. "Weißt du, was ich lieber hören würde?" Er räusperte sich und intonierte nur ein wenig die Melodie eines alten Seemannsliedes:

"My heart is pierced by cupid

I disdain all glittering gold

There is nothing can console me

but my jolly sailor bold"

(zu Deutsch:

Mein Herz durchbohrt von Armor,

Ich verschmäh das Glitzergold

Und rein gar nichts kann mich trösten

Nur mein tapf'rer Seeman hold..)

 

Noch bevor John eine Antwort auf seine so vielsagende Strophe geben konnte, stahl er sich einen Kuss von Johns schönen Lippen. Gott, wie hatte er sich in den letzten Stunden daran gewöhnt, ihn zu küssen. Der Gedanke ihn heute für unbestimmte Zeit wegreiten zu sehen - und noch schlimmer, der Gedanke abzulegen, ohne ihn mitnehmen zu können... Es machte Tancred wirklich wahnsinnig. Aber welche andere Chance hatte er? Wenn er wirklich wollte, dass John irgendwann einmal mit ihm ablegte, dann nur die, in der John das für sich selbst entschied.

Als sie denn Kuss lösten, lächelte Tancrèd ohne noch etwas zu sagen und rückte ein Stück von John ab, etwas weiter nach vorn ins Wasser und legte sich ganz um, so dass sein Kopf unter Wasser verschwand. Als er gesagt hatte, er wolle ein Bad nehmen, war das ernst gemeint gewesen, denn am Hafen hatte er kein so klares erfrischendes Wasser wie hier. Seine Hände fuhren durch sein Haar und er strich sich über Arme und Beine, fühlte sich schon beim Auftauchen wesentlich besser. Ein Blick nach oben zeigte, dass die Sonne schon sehr hoch stand. John würde sehr bald nach Hause reiten müssen. Er drehte sich zu ihm und legte den Kopf zur Seite. "Ich befürchte, wir müssen bald los..." Er setzte sich noch einmal neben John und genoss die Sonne und das Wasser, ehe sie sich beide erhoben und zum Ufer zurückwateten. Mit den Handtüchern aus Tancreds Tasche konnten sie sich schnell und bequem abtrocknen. Als sie wieder zu den Pferden hinübergingen griff Tancrèd das Pferd am Zügel, das John vorher geritten hatte. "Nimm dieses Pferd." Er deutete auf "seines". John war noch damit beschäftigt gewesen, seine Hose zu schließen und seine Schuhe anzuziehen, so dass Tancrèd die Waage und einen Brief unauffällig in dessen Satteltasche hatte verstauen können. "Ich hatte es schon Mal, es ist sehr ausdauernd und bringt dich sicher schnell zurück nach London."

 

John


 

Ja, der Oberkörper des anderen war nun einmal ansehnlich: die Muskeln, die sich klar unter der Haut definierten... John merkte, dass Tancrèd extra mit den Muskeln spielte. "Tze...", schnaubte er und sah ihn tadelnd an, der nun näher zu ihm rutschte. Fragend sah er auf, als dieser das Lied anstimmte, das John nicht kannte. Zum Ende hin hob John zweifelnd die Augenbrauen, doch noch bevor er einen Kommentar abgeben konnte, wurde er geküsst. Das also wollte der andere von ihm lieber hören? Unabhängig davon, dass jener gerade seinen Spaß aufgegriffen hatte, war der Gedanke seltsam, dem anderen seine Liebe zu gestehen. Liebte er ihn? Was war das? Und wie merkte man das?

Der Kuss ließ die Gedanken verschwimme und in den Hintergrund treten. Sogar das Wasser um ihn herum vergaß er für einen Moment, in dem er nur diesen Mann küsste, der sein Leben so grundlegend veränderte. 

Als Tancrèd sich von ihm löste, öffnete er wieder vorsichtig die Augen. Langsam wurde ihm kalt, aber das beklemmende Gefühl war bei weitem nicht mehr so groß, wie es einmal gewesen war. Auch sein Körper, noch immer angespannt, gehorchte ihm wieder mehr und zitterte nicht unkontrolliert. Vielleicht sollte er ab und zu daran arbeiten, auch wenn der andere nicht dabei war. John beobachtete in Gedanken, wie sich der andere wusch. Er selbst würde nachher zu Hause duschen. Das fühlte sich sicherer an. Dennoch zögerte er, aufzustehen, als der andere ihn darauf hinwies, dass sie bald ihrer Wege reiten mussten. Irgendwie wollte er nicht schon los müssen, denn dann holte ihn der Alltag viel zu schnell wieder ein. Er musste wohl oder übel zurück nach London und arbeiten. Morgen war ein spannender Tag und er wollte noch das nachholen, was er durch die Zeit mit Tancrèd versäumt hatte. Dann war da noch Tancrèd... Der würde in ein paar Tagen in See stechen und ob er wiederkäme, wusste niemand. Sicher, er wollte wiederkommen. Aber es hing ja nicht nur von ihm ab. Irgendwie machte John dieser Gedanke traurig. 

Schließlich traten sie ans Ufer und er trocknete sich ab. Er betrachtete einen Moment noch den See und wunderte sich über sich selbst, dass er es doch geschafft hatte, seine Angst zu überwinden. Irgendwie war er ein wenig stolz auf sich. Als er sich umdrehte, musste er noch in die Schuhe schlüpfen, dann trat er an den anderen heran, der bereits bei den Pferden stand. Als der Kapitän ihm erklärte, dass sie Pferde tauschen sollten, blickte er ihn fragend an, erhielt dann aber eine plausible Antwort. "Danke", sagte er daraufhin, und ging zu eben diesem Pferd, nahm die Zügel, strich ihm über den Hals und drehte sich dann noch einmal um. Einen Moment war er unsicher, er hasste solche Verabschiedungen. Doch dann trat er auf den anderen zu. "Ich habe dir etwas auf deinen Schreibtisch gelegt", sagte er zum anderen. "Eine Kleinigkeit. Wundere dich also nicht." John strich sich die Haare aus der Stirn, wie so oft, wenn er nicht genau wusste, was er sagen sollte. Er blickte über den See, zu den Pappeln, die in der Sonne glitzerten. "Sehen wir uns noch einmal wieder, bevor du aufbrichst?", fragte er leise und sah den anderen nun an. "Je sui...triste? Vous me avez ensorcelé"
 

-.-.-.-.-.-
 

Als er in London eintraf, war es bereits früher Abend. Er gab das Pferd in jenem Gasthof ab, in dem er sein anderes geholt hatte. Doch bevor er den Stall verlassen konnte, hörte er ein "Mr. Forbes, Sie haben etwas vergessen!" hinter sich. Als er sich überrascht umdrehte, weil sein 'Rucksack' ja da war, drückte ihm der Stallbursche einen Beutel in die Hand. Irritiert nahm er ihn entgegen und verließ den Stall. Wenn es Tancrèd gehörte - und so musste es ja sein - würde er lieber zu Hause nachsehen, was es war und dann entscheiden, was er damit tat. Er lief zu sich und bemerkte den großen grauen Hund gar nicht, der sich an seine Versen heftete. Dort packte er aus, was in dem Beutel war. Der Brief fiel zuerst heraus, auf dem sein Name stand. War das für ihn? Offensichtlich. Aber wieso?

Kurz zögerte er, dann öffnete er erst den Brief:
 

Wenn du diese Zeilen liest, Habibi, dann hattest du den Mut, zusammen mit mir ins Wasser zu gehen. Das, was du in dem Tuch eingewickelt finden wirst, ist aber weder eine Belohnung für diesen Mut, noch eine Bezahlung für die gemeinsame Nacht. Es ist nicht mehr und nicht weniger als ein Geschenk an eine Person, die mir sehr am Herzen liegt und für die ich mir nichts mehr wünsche, als dass sie glücklich und erfüllt ist, in dem was sie tut. Ich hoffe, dieses präzise Messgerät erleichtert dir deine schwere Arbeit und erlaubt dir, ein wenig Tagträumen, an ein Bett und einen Mann, der sich nach dir sehnt.
 

Er ließ den Brief mehr fallen, als dass er ihn weglegte, um das in ein Tuch eingeschlagene Bündel hervorzuholen. Und John traute seinen Augen nicht. "Du bist doch ein Idiot!", sagte er in der ersten Fassungslosigkeit. So eine Waage war nicht nur äußerst selten, sondern auch noch sündhaft teuer! John war sprachlos, völlig. Denn es war eines der Dinge, die er sich vermutlich am meisten wünschte. "Nadim, du Narr, warum machst du das nur?!" Er konnte es wirklich nicht fassen, las den Brief nochmal und nochmal und verwahrte ihn schließlich sicher.

Als er wenig später die Treppe vom Heuboden hinunterstieg, lag am Ende der Treppe ein riesiger grauer Hund, der es sich da bequem gemacht hatte. "Na, mein Großer?", fragte John und stieg über ihn drüber. "Wer bist du?" Der Hund setzte sich auf und wedelte mit dem Schwanz. Gut gelaunt kraulte John ihn etwas. "Du stinkst, hat dir das schon mal jemand gesagt? Du solltest auch im See baden..." Damit stand er auf und ging zur Apotheke, die er durch die Hintertür betrat, weil er sich erst die Hände waschen wollte. "Sie sind so bezaubernd, meine Liebe!", hörte er wenig später die Stimme einer Stammkundin. "Mr. Forbes kann sich glücklich schätzen, jemanden wie Sie zu haben! Und unser John, der wäre doch die perfekte Partie für Sie! Finden Sie nicht?" John trat in den Laden, ohne genau hingehört zu haben. "Einen schönen guten Abend, Mrs. Blye", begrüßte er die Kundin höflich und gut gelaunt. 

"Patricia!", grüßte er auch die Kollegin. "Hast du meinen Vater gesehen?" Jene nickte in Richtung Nebenraum, als die ältere Dame ihn am Arm nahm. "Finden Sie nicht auch, John, dass Patricia eine ganz wundervolle Dame ist?" John nickte und erwiderte "Aber natürlich!" Damit entwand er sich ihrem Griff. "Sie entschuldigen?!" Er hatte noch einiges mit seinem Vater zu besprechen. Und bekam gar nicht mit, wie Mrs. Blye glücklich über ein geliehenes Ohr von John erzählte, als er noch klein war.

London 3 - Das letzte Pferd

Alessandro und Dominico Sforza

 
 

Im Hause Sforza waren die vergangenen Tage in geschäftigstem Treiben vorbeigegangen. Giulia plante bereits ihre Rückreise nach Italien, die sie antreten würde, nachdem Alessandro "gestorben" war. Alleine schon, um bei seiner Beerdigung vor Ort sein zu können, während Dominico sich diese Ehre nicht herausnehmen würde. Er würde seinen Platz an Henrys Seite verteidigen, so viel war sicher. Alessio war seit dem Turnier nicht mehr am Hof gewesen und auf die Nachfrage des Königs gab Nico vor, dass sein Bruder nach wie vor an einer Magenkrankheit leide. Cromwells triumphierende Miene bei diesen Worten ertrug er mit stoischer Ignoranz. Der diplomatische Berater des Königs hatte einiges an Vertrauen gegenüber dem König einbüßen müssen, was ihn zu reger Aktivität antrieb. Cromwell hatte wieder angefangen, einigen wichtigen Leuten um den Bart zu streichen, und daher gab es sehr viel Korrespondenz des Mannes. Es war für Amadeo ein leichtes, einige dieser Briefe abzufangen und zu Alessandro zu bringen, der schon nach wenigen Schriftstücken genug Vergleichsbeispiele hatte um Cromwells Schriftbild und seine Unterschrift perfekt nachahmen zu lassen - und zwar von keiner geringeren als Giulia Sforza selbst, die an der Feder um einiges geschickter war als er. Sie entwarf zwei Briefe, einen an Rodrego Fernale und einen an einen Leibdiener von Charles Brandon, beide mit dem fast gleichen Inhalt: Der Ermordung des Herrn gegen viel Geld. Insofern glich der Brief den Schriftstücken, die Cromwell schon Rodrego geschickt hatte, und passte damit wunderbar in das Gefüge aus Lügen, das Cromwell aufgebaut hatte. Zum krönenden Abschluss übergab er die Briefe Charles Brandon. Der als ein noch dickerer Freund des Königs aus Kindertagen sich noch freier im Palast bewegen konnte. Nach einem Ablenkungsmanöver Dominicos, das Cromwell länger an die Tafel des Königs fesselte als vorgesehen, siegelte er die Briefe sowohl mit Cromwells Siegelwachs als auch mit seinem Siegelring, der offen zugänglich auf seinem Schreibtisch lag. Sicher nicht absichtlich, sondern ausversehen, doch für sie ein perfekter Zufall.

So hielt Alessandro am Abend des sechsten Tages nach dem Turnier zwei identische Briefe in den Händen. Welcher der für Rodrego war, erkannte er nur an einem Tintenfleck auf der Rückseite des Briefes, den er zur Markierung benutzt hatte und der sicher nicht auffallen würde. Er saß mit Dominico und Charles Brandon auf der Terrasse des Anwesens. Giulia hatte sich bereits ins Bett verabschiedet und die drei Männer waren allein.

"Seid ihr sicher, dass es funktionieren wird?" erkundigte sich Charles, der wieder das Weinglas an die Lippen gehoben hatte. "Ich weiß es nicht", gab der Kardinal zurück. "Aber der Plan wird in jedem Fall funktionieren. Nur ob ich danach noch einmal aufwache..." Er zuckte mit den Schultern. "Es ist mir gleich solange es nur Cromwells Stuhl endgültig zum Fallen bringt." Nico rümpfte die Nase. "Wenn der Quacksalber dich nicht wieder aufwecken kann, braucht er nicht denken, dass er diesen Hof lebend verlässt", murrte er, nicht nur weil Angst um seinen Bruder hatte, sondern weil diese Sache mit der Nase noch immer nicht ausgehandelt worden war. Vor allem aber wohl, weil er sich um Alessandro sorgte.

"Je realistischer es ist, desto besser. Es ist nur unendlich wichtig dass ihr beide morgen um 10 Uhr im Audienzsaal steht. Der König empfängt Würdenträger aus den deutschen Herzogtümern, er WIRD da sein und es MUSS vor Publikum geschehen." Charles nippte an dem Wein und nickte. "Steht deine Kutsche denn schon bereit?" Jetzt war es an Alessandro zu nicken. "Ja.. Amadeo hat den Wagen und den Sarg bereits hergerichtet. Alles läuft nach Plan, wenn unsere lieben Ärzte denn bald auftauchen..."

Sie schwiegen eine Weile ehe Charles das Glas leerte und sich erhob. "Ich reite nach Hause, meine Herrschaften. Auf gutes Gelingen und möge Gott mit uns sein." Ohne es bewusst Wahrzunehmen schlug Alessandro ein Kreuzzeichen und machte eine Segensgeste. Es war ihm einfach in Fleisch und Blut übergegangen. Charles verabschiedete sich und ging hinunter in den Hof, während die Brüder allein zurückblieben. Alessandro wollte sich Wein einschenken, doch Nico nahm ihm die Karaffe ab. "Keinen Alkohol hat John gesagt. Nicht einen Tropfen wirst du trinken, verstanden?" Alessio verzog murrend das Gesicht, ließ sich dann aber unverrichteter Dinge wieder nach hinten sinken. "Ich bin Kardinal, schon vergessen? Gott wird schon ein Auge auf mich haben."

Lange allein blieben sie nicht. Aus dem Stall näherte sich ein etwas verdreckter und schwitzender Rodrego, der Pferde beschlagen hatte und vom Hof klang Hufgetrappel, das hoffentlich Kieran und John ankündigte. Alessio sah zu Rod auf, der sich noch bevor er etwas sagte, einen Becher Wasser eingefüllt hatte und gierig trank. Diese eine letzte Nacht würde er mit Rodrego verbringen und noch vor dem Morgengrauen würde er die Droge nehmen, die John für ihn vorgesehen hatte. Sein scheinbar so gelassenes Äußeres trog. Alessio war aufgeregt und er hatte durchaus auch Angst, dass diese ganze Sache nach hinten losging, dass er nicht mehr aufwachte oder nicht "tot" genug sein würde. Dass etwas Unvorhersehbares schief ging in seinem Plan... dass man Rodrego sofort an den Galgen bringen würde und er ihn nicht würde retten können... dass irgendetwas schief ging. Doch er hatte es angeleiert und nun würde die Täuschung stattfinden. Sie würde Cromwell stürzen, so tief, dass er nie wieder eigenhändig aus dem Loch kam, in das er hoffentlich ohne seinen Kopf stürzte.

 

Rodrego


 

Er streckte sich leicht, als er sich erhob und die Werkzeuge in der Schmiede noch einmal kontrollierte. Er würde hier nicht mehr so schnell, wenn überhaupt, zurückkehren und er hatte das Gefühl, dass er die Sachen - für wen auch immer - in Ordnung hinterlassen musste. Er sah sich um, streichelte über den schönen jungen Hengst, den er gerade beschlagen hatte. Er hatte sich in den zwei Tagen noch mal ins Zeug gelegt und wirklich alle Pferde, die es nötig hatten, beschlagen. Wer konnte schon wissen, ob er das jemals wieder tun dürfte. Heute Nacht, bzw. morgen früh war es an ihm, seinen Teil der Abmachung zu erfüllen. 

Alessandro hatte seinen Teil schon erfüllt. Er war die vergangenen Morgen neben dem anderen aufgewacht, nach teilweise recht unruhigen Nächten, in denen Rodrego deutlich spürte, dass nicht nur er, sondern auch Alessandro nervös war. Es ging hier um alles oder nichts.

Bald müssten Kieran und John da sein und so ging er zur Terrasse, trank dort einen Becher Wasser, bevor er sich zu Alessandro beugte und diesen sanft küsste. "Ich geh mich frisch machen, bevor die beiden da sind", sagte er und ließ seinen Worten Taten folgen.

 

Kieran


 

Kieran trug dieses Lächeln auf seinen Lippen, das er so schnell nicht wieder losbekommen würde. Er blickte zu John, der neben ihm her ritt. 'Streuner' trottete hinter dem Pferd her. Der Hund wich John seit Tagen nicht mehr von der Seite und zum Glück hatte jener ihn mittlerweile gewaschen, sodass er nicht mehr wie eine Kloake stank. Besonders wenn der beim Regen der vergangenen Tage nass war, war der Gestank kaum zu ertragen gewesen. Kieran fand es gut, dass der Hund sich John ausgesucht hatte. Dann war sein Freund nicht so allein. Aber John wirkte nicht einsam, auch wenn er alleine wohnte. Es tat ihm gut, das merkte Kieran deutlich. Er blühte mehr und mehr auf, ging freundlicher mit den Menschen um - zumindest den Kunden. 

Irgendwie war das Leben gerade einfach so schön - trotz des Wetterumschwungs, der viel Regen gebracht hatte. Aber es war wie in dem Lied, das John ihm gestern vorgespielt hatte, als sie bei diesem im Hinterhof unter dem Freigang gesessen hatten, der Hund zu Johns Füßen, zwei Krüge Bier auf dem improvisierten Tisch. Sie hatten sich unterhalten und Kieran war fasziniert davon, wie schön John war. Dieser Mann hatte eine Ausstrahlung, die eh schon faszinierend war, aber seit er aus Gravesend gekommen war, schien er abgehoben von allem Irdischen zu sein. Dabei hatte er die spitze Zunge unverändert, auch wenn man ihn öfters lächeln sah. Nachdem jener in seiner ganz eigenen Art ihm erzählt hatte, was geschehen war, hatte er ihn gebeten, auch etwas für ihn zu singen. John hatte die Laute geholt und für ihn gesungen. Es war so schön traurig das Lied, aber auch so hoffnungsvoll gewesen.

https://www.youtube.com/watch?v=LGUjY3aREA4 

"Even when hope is forsaken

Even when your heart is breaking

Never forget it's worth saving

Never forget it's a good life

Seeing the sun on the tree line

Feeling the breeze on a warm night

Holding your hand of love

Never forget it's a good life..." , summte er leise, während er sich erinnerte. 

"Hör auf, Kieran!", hörte er schon Johns Stimme. "Sonst singe ich nie wieder irgendwas für sich." Kieran blickte den anderen empört an. "Ist ja gut, aber es hat mir halt gefallen", gab er zurück. Schließlich hatte es ihn daran erinnert, durch welche Höhen und Tiefen er hatte gehen müssen, um das Leben zu haben, das er jetzt hatte. 

Aber so schön John auch aussah momentan, so düster war die Stimmung gestern gewesen, als er abends in die Apotheke gekommen war. Mr. Forbes hatte es nicht wirklich gut verkraftet, dass John gegangen war. Noch weniger ertrug er es, dass es John so gut dabei ging. Es war ein sehr angespanntes Verhältnis momentan und Kieran bewunderte John nach wie vor, wie er es schaffte, damit umzugehen. "Die Waage ist echt fantastisch", wechselte er das Thema. "Und sie kam im rechten Moment", fügte John hinzu. "Jetzt habe ich keinerlei Bedenken, dass das alles klappen kann." Kieran nickte. Je genauer John dosieren konnte, desto leichter würde es werden.

Sie ritten in den Hof und ihnen wurden die Pferde abgenommen und mitgeteilt, dass Dominico und Alessandro auf der Terrasse seien. Sie gingen um das Haus herum zur Terrasse, auf der Nico und Alessandro auf sie zu warten schienen. Während John zur Begrüßung nickte und Streuner befahl sich hinzulegen, trat er selbst an Dominico heran und sie küssten sich sanft zur Begrüßung. Dann wandte er sich an Alessandro. "Wir müssen dann noch ein paar Untersuchungen machen und euch erklären, was schlimmstenfalls geschehen kann", erklärte er nun an die anderen gewandt. 

John wusste genau was er tat. Kieran hatte keine Bedenken und hatte Johns Kunst an der Uni schon mit Erstaunen bewundern dürfen. Es war unfassbar, wozu er in der Lage war. Allerdings würde das Narkotikum nach dem Aufwachen vermutlich zu ziemlich heftiger Übelkeit und Muskelzittern führen, das jedoch mit der Zeit verschwinden würde. John würde Alessandro etwas zur Beruhigung des Magens geben, damit er sich nicht während des Schlafes erbrechen musste. Dann war es nur noch das Timing, das stimmen musste und das sie nun noch einmal durchgehen würden.

 

Alessandro


 

Es war schon irgendwie ein seltsames Gefühl hier mit seinem Bruder zu sitzen und nur darauf zu warten, dass ein Arzt kam, der einen in einen todesähnlichen Zustand versetzte. Aber Alessandro hatte es so gewollt und jetzt bekam er genau das. Tatsächlich waren die beiden Reiter im Hof John und Kieran, doch Alessio war zu abgelenkt von Rodrego, dessen weiche Lippen ihn begrüßten und sogleich wieder alleine ließen, weil er sich frisch machen wollte. Kieran begrüßte Nico auf eine ganz ähnliche Weise und sein Bruder sah glücklich aus mit dem "kleinen Schausteller" wie Alessandro ihn früher genannt hatte. Inzwischen und seit Cambridge hatte sich so viel geändert. Nicht nur Kieran war reifer geworden, auch sein Bruder hatte sich verändert und inzwischen, das wusste Alessio, hatte er diese dämliche Wette von damals so deutlich verloren, dass er Nico nicht nur 10 sondern 100 Münzen schuldete. Mit Kieran hatte Nico wirklich das große Los gezogen. Der Junge hing an ihm und Nico umgekehrt genauso an Kieran, wobei Alessio die Befürchtung hatte, dass Kierans Treue zu Nico stärker war als die seines Bruders zu ihm. Trotzdem war es Liebe, ehrliche und aufrichtige Liebe, die nicht belastet war von einem Betrug und einem Verrat wie in seinem Falle. Da Kieran und John offenbar gleich zur Tat schreiten wollten, legte Alessio sein Hemd ab und führte die beiden Ärzte, gefolgt von Nico, in den Salon. In den Steinmauern war es inzwischen so stark abgekühlt, dass Diener das Feuer im Ofen bereits angefacht hatten. Der ehemals herrliche Salon wirkte beinahe trist. Wandbehänge waren zum Teil entfernt worden, die prächtigen Möbel ersetzt durch einfachere und scheinbar ältere Polster. Auch der Teppich war ausgetauscht worden gegen ein Exemplar das sicher schon bessere Tage gesehen hatte. Giulia war gründlich damit "ihre" Sachen zu packen und sie sah vollkommen zurecht nicht ein dieses Haus eines Tages einem Kerl zu überlassen, der von stilvollen italienischen Holzmöbeln keine Ahnung hatte. Das Nico noch einige Monate oder vielleicht Jahre in London zubringen musste hatte sie dabei wenig interessiert. Sie hatte ihm gesagt er könne sich ja von ihrem Geld englische Möbel kommen lassen, doch Nico hatte eigentlich nur gelacht und darauf bestanden wenigstens sein Bett behalten zu dürfen, was sie ihm zugebilligt hatte. 

 

Rodrego


 

Als Rodrego wieder zurückkehrte, waren die Brüder und die beiden Ärzte ins Haus gegangen und Kieran untersuchte gerade Alessandro. Rodrego lauschte den Ausführungen von John, der gerade erklärte, dass er das Medikament auf 8 Stunden ausgelegt hatte. In diesen 8 Stunden würde sein Kreislauf so weit runterfahren, dass man Puls und Atem so gut wie nicht ertasten konnte und die Haut ganz kalt wurde. John hatte zudem eine Blaubeer-paste gemacht, mit der sie die Lippen so dunkel färben würden, dass es noch deutlicher nach einer Vergiftung aussah und sich Mr. Chambers nicht sehr nahe an ihm herantrauen würde, um zu untersuchen, ob Alessio wirklich tot war. Nach den 8 Stunden würde Alessio wieder langsam aufwachen, aber erstmal natürlich noch sehr benommen sein. Sie mussten dann aufpassen, dass er sich nicht verletzte, wenn er versuchen sollte, aufzustehen oder Ähnliches. Am größten war die Wahrscheinlichkeit, dass sich Alessandro danach übergab und zitterte. Aber das würde sich dann zeigen und war nicht weiter lebensbedrohlich. 

Kieran schloss seine Untersuchungen ab. "Es ist alles völlig normal", erklärte er. "Es wird nichts schief gehen." 

Rodrego konnte sich ein leicht grollendes "Das hoffe ich", nicht verkneifen. Denn wenn der Plan schon allein daran scheitern würde, dass Alessandro nicht mehr aufwachte, wüsste er, was er mit John anstellen würde. Der wiederum schien über allem zu stehen und wirkte so ruhig und unnahbar wie eh und je. Aber das gab ihm auch irgendwie wieder Sicherheit. 

 

Alessandro


 

Alessio stand da, während Kieran ihn untersuchte und John ihm und seinem Bruder noch einmal genauestens erklärte was passieren würde. Zu ihnen hatte sich auch wieder Amadeo gesellt und auch Rodrego kam nach einiger Zeit wieder dazu um das wichtigste noch mitzuhören. Alessandro selbst hatte bereits alle weiteren Vorkehrungen getroffen und war auch diese Geschichte mehrmals durchgegangen. Er nickte daher nur und vermied es zu fragen wie hoch die Chancen standen, dass er nicht mehr aufwachen würde. Er wollte es nicht wissen. Er würde wieder aufwachen. Kierans Worte klangen sehr sicher und er hielt sich an ihnen fest, auch wenn Rods 'Das hoffe ich' durchaus sie alle daran erinnerte, dass es nicht selbstverständlich war. Da sie jetzt ohnehin nicht mehr tun konnten als auf den nächsten Morgen zu warten, ging Nico mit Kieran an der Hand in Richtung Küche. Amadeo hatte John auf die Schulter geklopft und bugsierte ihn ebenfalls in Richtung duftendes Essen, während Alessio mit Rodrego zurückblieb. 

 

Rodrego


 

"Wie fühlst du dich?", fragte Rodrego gegen den Nacken des anderen. Die anderen waren etwas essen gegangen, aber nachdem Alessandro nüchtern bleiben musste, hatte Rodrego beschlossen, bei diesem zu bleiben. Er war von hinten an ihn herangetreten und legte nun die Arme um seine Hüften. "Wenn John irgendwie patzt, werde ich ihn eigenhändig lynchen", knurrte er leicht, während er sanfte Küsse auf Alessandros Nacken hauchte.

 

Alessandro


 

Es war doch verflixt mit diesen Dingen, die man immer dann wollte, wenn man sie nicht haben konnte. Zugern würde er auch etwas essen. Und er war noch immer nicht ganz auf der Höhe. Ob sein Magen eine zweite "Vergiftung" aushielt? Rodregos weiche Lippen in seinem Nacken löschten den Gedankengang aus seinem Kopf. Er griff nach den Händen des Schmiedes und lächelte. "Ich will Wein, einen fetten Braten und eine unvergessliche Nacht mit dir... aber ich werde alles nicht bekommen. Also fühle ich mich sicher nicht so gut, wie ich mich fühlen könnte, aber das macht nichts. Morgen Abend kann ich feiern. Zumindest ein wenig", setzte er nach, als ihm klar wurde, dass Rodrego zu dieser Zeit im Tower sitzen würde. Er räusperte sich. Diese Sache war auch noch ein heikles Thema seines Plans... besser er dachte jetzt nicht darüber nach. Er würde sich darum kümmern, wenn er wieder unter den Lebenden war. "Er wird nicht patzen und du wirst ihn auch nicht lynchen können, weil du durch vergitterte Fenster auf die Welt sehen wirst", erwiderte Alessandro sanft und drehte sich in Rodregos Griff um. "Hast du dein letztes Pferd beschlagen?" Er konnte einfach nichts dagegen tun. So sanft er mit Rodrego auch umging, ein letzter Rest des Kardinals zwang ihn, Rod im Ungewissen über seine Rettung zu lassen. Er stahl sich einen Kuss von Rods leicht verzogenen Lippen. Er wusste, dass der Schmied gern darüber gesprochen hätte, was er vorhatte, doch so wie Rod es sich nicht traute zu fragen, wollte Alessio nichts dazu sagen. "Lass uns ins Bett gehen. Ich muss dieses widerliche Zeug sehr früh nehmen und die Robe noch anziehen." Denn das wollte Alessio niemandem antun. Ihn im halbtoten Zustand noch in die Steife Kardinalsrobe zu stecken, war sicher keine schöne Arbeit, also würde er sie anziehen, bevor er Johns Mittel schluckte. "Lass uns einfach nur im Bett liegen und an nichts denken." Er wollte Rodrego wirklich bei sich haben in den letzten Stunden bevor der große Knall London bis in seine Grundfesten erschüttern würde.

 

Rodrego


 

Rodrego kannte Alessandro viel zu gut, als dass er ihm abnahm, dass er wirklich so ruhig war, wie er tat. Aber nachdem der andere nicht danach fragte, was schlimmstenfalls passieren könnte, fragte er auch nicht. Die latente Unruhe drückte ihrer aller Stimmung. Rodrego lächelte, als er hörte, wonach Alessandro gelüstete. "Nun, zumindest letzteres könnte ich dir für heute Nacht noch anbieten. Wenn es dir wirklich danach ist..." 

Hier war ja nicht nur einer, der verdrängte. Da war noch er selbst, der ganz entschieden sich nicht damit auseinandersetzte, was auf ihn zukam. "Und morgen Abend feierst du mit Nico und Amadeo und Giulia und vielleicht trinkst du ja dann ein halbes Glas Wein für mich mit", sagte er und blickte dem anderen in die schönen Augen, die in den letzten Tagen immer ehrlich zu ihm gewesen waren. In ihnen konnte er Alessandros Unruhe und Angst sehen, aber auch seine Vorfreude auf das, was kommen würde, wenn alles klappte. Da war noch etwas, was er lesen konnte: er sah noch immer die Verletzung, die er ihm zugefügt hatte, diesen Verrat, den der andere ihm nicht verzeihen konnte und die ihren Umgang miteinander schwierig machte. Rod wünschte sich nichts sehnlicher, als dass alles wieder so werden würde, wie es war. Wenn er diese Augen sah, dann gab es keinen Zweifel daran, dass er morgen das Theaterspiel so gut spielen würde, wie er nur konnte. Er musste! Lieber kein Leben als ein Leben mit einem Alessandro, der ihm nie wieder ganz traute. Er hatte es verbockt, er musste es wieder zurechtbiegen. Dann würde er sehen, ob es gereicht hatte. "Das werden wir dann sehen, wenn es soweit ist. Aber ich gehe jetzt einfach davon aus, dass alles klappt. Letztlich klangen die beiden ja sehr zuversichtlich und das sollten wir auch sein." Die nächste Frage klang seltsam in seinen Ohren. sein letztes Pferd - ja, das konnte es wirklich gewesen sein. Er nickte daher nur in Gedanken. 

Als Alessio den Wunsch äußerte, ins Bett zu gehen, wehrt er sich nicht dagegen. "Ob ich an nichts denken kann, wenn ich neben dir liege, weiß ich zwar nicht, aber ich werde es versuchen", sagte er und nahm Alessandro bei der Hand, um mit ihm zu dessen Schlafgemach zu gehen. In seinem Haus hatte er alles soweit aufgeräumt, hatte die Möbel mit Tüchern abgedeckt, seine wenigen Habseligkeiten in eine Seemannskiste gesteckt. Wenn es funktionieren würde - wenn alles funktionieren würde - dann würde diese Kiste wohl an Bord gehen. Ansonsten könnte sie dort verrotten. "Ich helfe dir dann in die Robe, aber erst am Schluss", fügte er noch hinzu.

London 3 - Hochverrat

Dominico


 

Nicos Nacht war trotz Kierans Anwesenheit nicht wirklich ruhig gewesen. Er hatte mit Kieran, John und Amadeo in der Küche gesessen und gegessen, weil Giulia bereits große Teile ihres eigentlichen Wohnzimmers hatte zusammenpacken lassen und es daher in der Küche am gemütlichsten war. John war bald darauf in das Labor verschwunden und auch Amadeo hatte sich wieder verabschiedet, weil er noch einige Dinge für den nächsten Tag prüfen wollte. Zumindest gab er das vor bis er in den Trakt abbog, in dem Giulias Schlafzimmer lag.

Davon hatte Nico abermals nichts mitbekommen, weil er sich mit Kieran in der Küche unterhalten hatte. Über das Turnier, den langen Weg nach Italien und darüber, was Alessandro mit Rodrego vorhatte, wenn der denn solange lebte, um in den Tower zu kommen. Nico hatte tunlichst vermieden über das Medikament zu sprechen und war irgendwann später mit Kieran zu Bett gegangen. Sie hatten für den nächsten Morgen eine Uhrzeit ausgemacht und Nico war bereits lange vorher wach gewesen oder hatte gar nicht geschlafen. Er war sich nicht sicher. Definitiv half sein unausgeschlafenes übermüdetes und vom Turnier noch etwas lädiertes Gesicht seiner Scharade.

Als er mit Kieran und John, den er die ganze Zeit mehr oder weniger ignoriert hatte, den Raum betrat, fühlte er, wie sich sein Magen umdrehte. Auf dem Bett lag ein Kardinal in vollem Amtsornat - das Alessio die Robe anziehen wollte, hatte er im Vorfeld schon gesagt. Doch wie er da lag, so blass in dem kräftigen Rot der Robe und Rodrego daneben, das Gesicht mit Tränen überströmt, da war es für einen Moment so real, dass Nico glaubte keine Luft mehr zu bekommen.

Während John den Mann untersuchte, war es totenstill, im wahrsten Sinne des Wortes. Erst als John Entwarnung gab, atmete Nico hörbar auf und entspannte sich etwas. Amadeo kam gerade herein, als Rod ihm die Hände hinstreckte. Der Leibdiener der beiden Brüder hatte tatsächlich eine Handfessel dabei und im Gepäck noch zwei weitere junge kräftige Männer mit der Bahre, auf der man Alessandro in die Kutsche bugsieren konnte. Vorsichtig und unter Johns strenger Aufsicht wurde der Kardinal umgebettet und schließlich hinaus getragen, während Nico Rod musterte. "Dass es so weit kommen musste...", flüsterte er leise, weil er das Gefühl hatte, dass laute Worte in dem Raum Alessio wecken würden. "Es tut mir leid, Rodrego..", entschuldigte er sich bei dem Schmied, obwohl es eigentlich nicht notwendig gewesen wäre. Amadeo legte Rod die Fesseln an, vorsichtig und nicht zu fest. Sie wollten ihm ja nicht wehtun. Dann half Amadeo ihm den Weg nach draußen zu finden und zu dem Pferd, auf dem Rod reiten würde. Die Führleine des Tieres lag in Amadeos Hand und Nico hoffte, dass Rod noch gut genug im Sattel saß, um mit gefesselten Händen nicht herunterzufallen.
 

Nachdem man Alessandro sicher in der Kutsche auf der Bahre abgelegt hatte, stiegen die beiden Männer, die ihn getragen hatten, auf den Kutschbock. Sie waren in Trauerkleidung gehüllt, genauso wie Amadeo und Nico, der jetzt seine dunkle Jacke über das Hemd zog. "Wir bringen ihn so schnell wie möglich wieder hierher. Bleib hier, ja?!" Er strich Kieran über die Wange. "Wenn etwas schief geht und nicht so läuft wie geplant, dann wirst du mit Giulia gehen! Versprich mir das!" Denn dann würde es für Kieran auch zu gefährlich in London sein. Er drückte dem Jüngeren einen Kuss auf die Stirn, ehe er sich abwandte. Ihm war etwas auf der Zunge gelegen, das er zu John sagen wollte, doch weil er den Arzt noch brauchte, ließ er es bleiben. Stattdessen schwang er sich auf seinen wartenden Hengst und die Trauerprozession setzte sich in Bewegung mit Ziel London.

Mit der Kutsche konnten sie nicht besonders schnell reiten, vor allem weil Nico befürchtete, dass zu starke Erschütterung Alessio vielleicht doch wecken konnte. Vermutlich war diese Angst unbegründet, doch sie hatten ja noch ein wenig Zeit.

Nico führte die Gruppe an, ihm folgte Amadeo mit Rods Pferd am Zügel und schließlich die Kutsche. In der Jackentasche hatte Nico alle Dokumente, die notwendig waren, um Cromwell zu überführen, und bis sie in London angekommen waren hatte er sicher einhundertmal dorthin gefasst, um zu fühlen, dass sie wirklich da waren.

Als sie am Tor eintrafen und man Nicos düsteren Gesichtsausdruck bemerkte, wurden sie sofort durchgewunken, ohne dass jemand Fragen stellte. Die Kutsche, die so offensichtlich einen Leichnam enthielt, und ein so offensichtlich zur Schau gestellter Gefangener zogen allerdings schon die Aufmerksamkeit der Leute auf sich - genau das, was Nico beabsichtigte. Sie erreichten den Palast einige Zeit später und Nico stieg ab, ließ sich das Pferd abnehmen und sah sich um, während Amadeo Rod dieses Mal wesentlich unsanfter vom Pferd holte, auch wenn er ihm in einem ungesehenen Moment ein knappes "Entschuldige!" zuflüsterte. Ein Diener kam ihnen entgegen gelaufen, um ihnen zu sagen, dass der König zurzeit bereits eine Audienz gäbe und keine Zeit habe. Doch Nico ließ ihn einfach stehen. Man hatte Alessio aus der Kutsche geholt, der immer noch den besten Toten spielte, den Nico je gesehen hatte und eskortiert von zwei Palastwachen, die Nico heranwinkte und die bei dem Anblick des toten Kardinals prompt gehorchten, "stürmte" Nico den Palast und kurze Zeit später trotz lauten Protests einiger Torwächter auch die Audienz seiner Majestät.

Henry hatte es sich mit den Gesandten an einem Tisch bequem gemacht, auf dem kleine Naschereien standen - Cromwell an seiner Seite. Als Nico so hereinplatzte, fuhr der König wütend auf, doch Nicos wütender Gesichtsausdruck, die Papiere in seiner Hand, der Gefangene, den Amadeo führte und letztlich der aufgebahrte Kardinal sorgten dafür, dass Henry nicht sofort einen seiner berühmten Wutanfälle bekam. "Eure Majestät! Entschuldigt tausendfach mein unbefugtes Eindringen und die Störung eurer Audienz, doch das ist HOCHVERRAT!" Nico musste sich nicht einmal Mühe geben, besonders theatralisch herüberzukommen. In dem Moment, in dem er Cromwell gesehen hatte, war all der Hass wieder in ihm hinaufgekocht. "Man hat meinen geliebten Bruder vergiftet!", erklärte er sein explosives Eintreten im nächsten Satz und wedelte mit den Papieren in Cromwells Richtung. "Und IHR habt den Befehl gegeben, Cromwell! Erst Alessandro, dann sollte ich dran glauben!!"

Es kam wie es kommen musste: Die Gesandten steckten sofort die Köpfe zusammen und Henry starrte von einem zum andren, ehe er sich entschied, dass Ruhe bewahren wohl die königlichste aller Lösungen war. Cromwell indes sah auf eine so seltsame Art und Weise ertappt und doch gelassen aus, dass Nico fast gelacht hätte. "Mir scheint Ihr seid auf dem Turnier zu sehr auf den Kopf gefallen, lieber Dominico... Wie kommt ihr auf so eine absurde Idee?", wandte sich Henry an ihn, dem Nico jetzt nur zu gerne die Briefe vor die Nase knallte. Erst die Dokumente die tatsächlich von Cromwell stammten und zu guter Letzt schließlich den Befehl, ihn und seinen Bruder zu töten, der aus Giulia Sforzas Feder stammte. Allerdings hatten die Brüder nicht die gleichen dämlichen Fehler begangen, sondern eine bessere Fälschung der Unterschrift und einen Diebstahl des Siegels dafür genutzt, um jetzt überzeugend zu sein. Henry trat etwas zur Seite und brachte damit Distanz zwischen ihn und die Gesandten, die sich ohnehin schon etwas zurückgezogen hatten. Henry überflog die Blätter und las, sein Gesichtsausdruck zeigte Verstehen und Ärger, aber noch keine ausreichende Wut auf Cromwell. Um ehrlich zu sein hatte Nico die auch gar nicht so schnell erwartet. Henry war Ränkespiel gewohnt. Wenn allerdings Brandon gleich noch auftauchen würde und Rod gestand... nun, dann würde sich das Blatt hoffentlich zu ihren Gunsten wenden.

"Was hier steht...", begann er König nun und drehte sich dem Schmied zu, "ist das wahr, Herr Fernale?"
 

Rodrego


 

Ja, dass es so weit kommen musste... Da hatte Dominico wahre Worte gesprochen. Es hätte vermutlich wirklich einen fingierten Todesfall gebraucht, damit Alessio die Kirche hinter sich lassen konnte, aber seinen Verrat, den hätte es definitiv nicht gebraucht. Nun war es an ihm, das Geschehene wieder gut zu machen und er würde alles dafür tun. Dass es Dominico leid tat, verwunderte ihn einen Moment und er sah auf, den anderen an. Wofür entschuldigt er sich denn? Für die Fesseln? Dafür, dass er ihn vor Henry brachte? "Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest", entgegnete er. Er hatte sich das alles selbst zuzuschreiben.

Er ließ alles mit sich geschehen und fühlte sich so elend, weil alles so unfassbar echt wirkte. John hatte ihm zwar versichert, dass es Alessandro gut ging, aber die Prozession, die Aufbahrung - alles wirkte nicht im Mindesten inszeniert. Und so fiel es ihm nicht schwer, den Kopf gesenkt zu halten. Er war schuldig an der ganzen Situation - und so konnte er den Schuldvollen auch gut spielen.

Als Amadeo ihn vom Pferd zog, schloss er einen Moment die Augen. Er würde da drin eine gute Show hinlegen müssen: ein vom Hass zerfressener, manipulierter, schwacher Mann. Nicht mehr und nicht weniger.

Er ließ sich mehr schieben, als dass er selber ging, spielte den Unwilligen, als er in den Audienzsaal geschubst wurde. Cromwell war da und sein Blick richtete sich einen Moment auf diesen, wütend und widerspenstig, so dass dieser nicht wusste, ob er nun auf die Situation wütend war, oder auf ihn selbst. Dann senkte er den Blick und harrte aus, was geschehen würde. Dominico war einfach ein wundervoller Schauspieler.

Als der König zu ihm trat, blickte er auf und sah ihn fest an. "Alles was hier steht ist wahr", antwortete er mit wütender Stimme. "Er hat meine Familie ins Verderben gestoßen", fuhr er nun weiter fort und ein wenig schwang ein hysterischer Unterton mit. "Und nun habe ich mich gerächt!" Er lachte schier beängstigend. "Ich bin dankbar, dass Cromwell mir die Augen geöffnet hat über die Brüder Sforza, die meine Mutter auf den Scheiterhaufen geschickt haben." Er deutete eine Verneigung in Richtung Cromwell an. "Das Gift, das ich erhalten habe, war die gerechte Strafe, nachdem das Attentat beim Turnier nicht geklappt hat!" Er musste hier den fanatischen mimen, der aus Rachsucht gehandelt hatte, aber offensichtlich manipuliert worden war. Er wendete sich an Cromwell. "Aber Dominico Sforza behauptet, dass Alessandro nichts mit dem Tod meiner Mutter zu tun hatte. Das ist nicht wahr, oder, Mr. Cromwell? Das ist nicht wahr!"

In diesem Moment ging die Tür auf und Charles Brandon trat ein.
 

Dominico


 

Als Rodrego den Mund aufmachte, rutschte die Augenbraue des Königs nach oben. Er hatte eigentlich nur ein Ja oder ein Nein erwartet, doch er bekam ein ziemlich umfangreiches Geständnis. Ein bisschen ZU umfangreich, wenn man es genau nahm, denn Rodrego bestätigte gerade nicht nur, dass er den Kardinal offensichtlich sehr erfolgreich vergiftet hatte, sondern auch versucht hatte, das Turnier zu manipulieren.

Er klang nicht so, als würde er lügen, vielmehr klang er sehr überzeugt von dem, was er sagte. Als der Blick des Königs zu seinem Berater fiel, bemerkte auch Henry, dass etwas nicht stimmte. Cromwell stand der kalte Schweiß auf der Stirn und sein Gesicht hatte merklich an Farbe verloren. "Dieser Mann lügt, ich kenne ihn nicht", versuchte er abzuwiegeln, doch Nico fuhr erneut auf. "Lügt? Ich fand ihn mit dem Becher Gift in der Hand neben meinem Bruder in der Kapelle!", fauchte er ungehalten und deutete auf den Kardinal. "Sieht er für euch nicht tot genug aus? Dann lasst den Arzt seiner Majestät doch prüfen, ob er lebt oder nicht!" Henry räusperte sich und nickte. "Wir werden Mr. Chambers rufen lassen, er soll die Todesursache eures Bruders klären Dominico... aber diese Briefe, Cromwell erklärt-" weiter kam er nicht als draußen unter lautem Protest offenbar ein weiterer Besucher hereinkam. Diesmal Charles Brandon, im Schlepptau zwei Männer, die einen Dritten in ihrer Mitte führten und in der Hand einen Brief, den er hochhielt wie eine Fackel. "Vergiften, DAS ist eure Methode Cromwell, wenn es nicht mit Eisendornen auf dem Turnier funktioniert?", polterte er los, ähnlich laut und ungehalten wie Nico zuvor und Henry wurde abermals zum Zuschauer verdammt. Charles hielt Henry den Brief unter die Nase, ein ähnliches Dokument wie er ohnehin schon in der Hand hielt. "Oder ist das euer Werk, Sforza?", er knurrte Nico an, den er jetzt erst zu bemerken schien, was Nico dazu brachte mit der Hand auffällig in Richtung seines gegürteten Schwertes zu greifen. "MEIN Werk? Seid ihr blind ihr englischer Holzkopf? Mein Bruder liegt dort tot auf der Bahre, vergiftet von einem Bastard!" Er deutete auf Rodrego, dann auf Cromwell. "Und er gab ihm den Befehl dazu."

Charles Blick huschte zu Alessandro auf der Bahre und man sah ihm deutlich an, dass er schluckte. Offenbar... nun. Anscheinend machte auch auf ihn Dominicos Äußeres den rechten Eindruck. "Majestät", setzte er wieder an, "offenbar arbeitet Mr. Cromwell für die Franzosen, wenn er so sehr versucht, alles daran zu setzen, die Spitze eures Militärs loszuwerden!"

Man sah dem König an, dass es hinter seiner Stirn arbeitete. Er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt, doch die Augen blitzten bedrohlich, was zeigte, wie wenig es ihm gefiel, in seinem Palast gerade aller Zügel beraubt worden zu sein,... und dann stand da auch noch diese Delegation von Diplomaten. Auf der anderen Seite Sforza und Brandon, die einander aufs Blut befehdeten.. Sie logen sicher nicht, da der eine dem anderen kaum die eigene Ehefrau gönnte. Also wandte sich sein Blick wieder auf Cromwell, der so aussah, als ginge es ihm gar nicht gut. "Majestät, das ist eine infame Lüge ich kann euch-" "SCHLUSS DAMIT!", fauchte Henry deutlichst erregt und darum bemüht, die Form zu wahren. "Habt ihr diese Briefe geschrieben?" Cromwell hob die Hände. "Das muss eine Fälschung sein, ich würde niemals..." "Deswegen hattet ihr auch keine Ahnung wie die Dornen in die Spitzen der Lanzen kamen, oder? Ein SCHMIED steht hier Cromwell und er macht mir nicht den Eindruck, als würde er Lügen!" Henry konnte durchaus ein wenig kombinieren und hier ergab sich gerade alles ganz klar. Zudem hatte ihn der Diplomat in letzter Zeit sehr bedrängt einige Allianzen zu schließen, die Henry lieber mit der Waffe ausgehandelt hätte, als auf dem Papier. Ihn dürstete nach Krieg, um Englands Ehre zu verteidigen, vor allem gegen Spanien, das ihm seit seiner Scheidung von Katharina so auf die Nerven ging.

"Das ist Hochverrat, Cromwell, Hochverrat", fauchte er ihn an und rief nur einen Atemzug später nach den Wachen. "Ich werde das prüfen lassen und wenn ich nur einen Hauch der Wahrheit finde, dann werdet ihr am Galgen baumeln!", schrie er, jetzt mehr und mehr dem Zorn verfallend. Ein sehr kritischer Moment.. Nico atmete tief durch. "Nehmt diesen Bastard mit..", er deutete auf Rodrego. "Er soll mit ihm hängen für den Mord an meinem Bruder!"

Henry nickte knapp. Offenbar war er heute nicht darauf aus, ein direktes Exempel zu statuieren. "Meine Herren, wir werden sofort jemanden mit den Ermittlungen betrauen", entschied der König, um die Entscheidungsmacht wieder an sich zu reißen, als Dr. Chambers eintrat.
 

Rodrego


 

Rodrego musste aufpassen, dass er nicht zu viel redete, aber das, was er hatte sagen wollen, war gesagt und nun würde er nur noch reden, wenn er danach gefragt wird. Er stand da und ließ den Kopf hängen, wie jemand, der gerade merkte, dass er betrogen worden war - und dieses Gefühl kannte er ja sehr, sehr gut. Doch als Cromwell behauptete, er kenne ihn nicht, blickte er auf. "Er lügt!", sagte er halblaut, wie als stünde er unter Schock. "Es war sein Name unter dem letzten Brief, er war es, der sich Freund genannt hatte und mich betrogen hat." Er sprach nicht laut, nur so, als rede er im Wahnsinn mit sich selbst. "Er lügt, er hat mich betrogen. Ich bin für ihn zum Mörder geworden..."

Als Charles hereinkam, änderte er sein Verhalten nicht, und er zuckte nur zusammen, als Dominico ihn als Mörder vorstellte. Danach schwieg er niedergeschlagen. Auch wenn er spielte, versuchte Rodrego nicht weiter darüber nachzudenken, was nun folgen würde. Er wusste es, er wusste, dass er auch Angst hatte, aber im Moment war das fehl am Platz. Wenn es hier schief lief, wäre er gleich tot. Aber nein, nicht darüber nachdenken... Es lief gut und sie würden es zu Ende bringen. Dann hätte er im Tower sicher genug Zeit, um nachzudenken. Und schon in diesem Augenblick forderte Dominico genau das und offenbar war es Henry recht. Innerlich atmete er aus. Er hatte also noch eine kleine Chance, Alessandro lebendig wiederzusehen. Die Wachen ergriffen ihn, übernahmen Amadeos Wache und nun war er wirklich quasi schon im Tower von London.

Als der Doktor hereintrat, wurde es einen Moment ruhig. "Was kann ich für die...", begann der schon recht alte Mann, als er Alessandro sah. "Grund Gütiger!", entfuhr es dem Arzt und er ging zügig auf den aufgebahrten Kardinal zu. Er blickte ihm ins Gesicht, betrachtete die dunkelblauen Lippen und fühlte dann den Puls. "Wer hat ihn mit blauem Fingerhut vergiftet?", fragte er entsetzt in die Runde, als Charles Brandon vortrat. "Auch ich sollte vergiftet werden. Hiermit!", erklärte er und überreichte dem Arzt eine Phiole. Vorsichtig betrachtete dieser das Fläschchen. "Kommen Sie dem Leichnam nicht zu nahe! Das Gift ist in dieser Konzentration sehr tödlich und nur die kleinste Berührung kann schon fatale Folgen haben! Das habe ich bisher nur sehr selten gesehen", warnte der Arzt. "Ich kann für ihn nichts mehr tun. Aber ich verstehe nicht..."

Doch der König ließ den Arzt auch nicht verstehen. Offenbar reichte ihm das, was er gehört hatte. "Ihr könnt gehen, Dr. Chambers!", entließ ihn Henry, dann drehte dieser sich zu Cromwell um.

"Nehmt sie fest", donnerte er mit fester Stimme. Im König schien es zu brodeln. "Den Schmied und vor allem Thomas Cromwell! Sperrt sie in den Tower, bevor ich in drei Tagen diesen Verräter am Galgen sehen möchte!" Henry drehte sich zu Charles Brandon. "Was Ihr mit Eurem Attentäter macht, überlasse ich Euch, Charles. Er hat es ja zum Glück nicht vollenden können. Nicht auszudenken..."

Rodrego war unwichtig geworden. Cromwells Verrat und dessen mögliche Folgen war das, was den König am meisten beschäftigte. Damit hatte er zumindest das hier bereits überlebt. Henry blickte Cromwell hasserfüllt an, während die Wachen ihn ergriffen. "Sie lügen!", versuchte es Cromwell noch einmal. "Sie haben das geplant! Das ist eine Intrige! Ich war immer ehrlich..." "Schweigt", donnerte Henry und so wurden sie abgeführt. Rodregos Augen striffen kurz die Dominicos. Ein leichtes Lächeln legte sich auf seine Lippen. Es hatte alles geklappt. Nun hatte er seine Schuld bezahlt. "Dominico! Charles! Auf ein Wort", hörte er Henrys Stimme, bevor sich die Tür hinter ihm schloss.

London 3 - Erleuchtendes Gespräch

Kieran


 

"Wenn etwas schief geht und nicht so läuft wie geplant, dann wirst du mit Giulia gehen, versprich mir das."

Kieran seufzte und kraulte den Kopf von Streuner, der eben diesen auf seinen Schoß gelegt hatte, während er auf dem Stuhl vor dem Haus saß, von wo aus er den besten Blick auf die breite Allee hatte, die als Zugang zum Anwesen diente. "Es wird alles gut gehen", sagte John schon mit einem so genervten Unterton, dass Kieran lieber nicht noch einmal mit einem "Aber" auffuhr. John hatte ja Recht. Er konnte nichts anderes tun, als zu warten, und je nach dem, was passierte, eben zu reagieren. Aber dieser unsägliche Satz!!! Argh! Manchmal könnte er Dominico echt den Hals umdrehen!

In seiner Überraschung hatte er nur ein "Ja" gestammelt und den anderen irritiert angesehen. Sie hatten tunlichst vermieden über das zu reden, was nach dem ganzen Schauspiel passieren würde. Kieran wusste, dass Dominico nicht so einfach von der Seite des Königs weichen würde. Aber was, wenn wirklich alles schief ging? Kieran hatte auch lieber nicht im Vorfeld darüber nachgedacht gehabt. Aber jetzt drängten sich die Gedanken in den Vordergrund. Mit jeder Minute, die verstrich, bekam er mehr Angst, dass Dominico etwas zugestoßen sein könnte, dass sie hier wirklich weg müssten. Würde er dann hier weggehen? Würde er wirklich mit Giulia gehen? Er wusste, dass diese mit Amadeo zurück nach Italien gehen würde. Aber was sollte er dort? Wieso sollte er dorthin gehen? Er würde hier bleiben müssen, um für Dominico da sein zu können, wenn er ihn brauchte. Und wenn Dominico im Gefängnis landen würde?... Kieran seufzte und schüttelte den Kopf, um den Gedanken wegzuschütteln.

"Sei froh, dass du nur ein Hund bist, Streuner", sagte er. "Ich wünschte manchmal, ich könnte mit dir tauschen." Sein Blick glitt wieder die Allee hinunter. Wann kamen sie endlich? Es war bereits Mittag. Lange würde Alessandro nicht mehr schlafen.

In diesem Moment trat Giulia zu ihnen. Sie war den ganzen Vormittag damit beschäftigt gewesen, im Haus herumzuwuseln und den Angestellten Befehle und Anweisungen zu geben. "Noch immer nichts", stellte sie selbst seufzend fest. Kieran betrachtete sie einen Moment. Es war erstaunlich, wie sehr sie sich sorgte. War es die Sorge um Alessio? Oder Dominico? "Er wird wohlbehalten zurückkommen", beruhigte John nun auch sie. "Das Baby wird nicht ohne Vater aufwachsen. Amadeo wird nicht zur Zielscheibe werden." Giulia blickte ihn an und nickte leicht. "Und dennoch mache ich mir auch Sorgen um Nico und Alessandro. Und von Rodrego will ich gar nicht anfangen."

Kieran merkte, dass er offenbar etwas ganz Entscheidendes gerade nicht begreifen konnte. Irritiert blickte er John an, der in diesem Moment merkte, dass er wohl etwas gesagt hatte, was Kieran noch nicht wusste. "Oh, ich wollte nicht...", entschuldigte er sich bei Giulia, doch die wehrte ab. "Es ist längst überfällig, dass ich mit Nico rede. Aber der hat in letzter Zeit andere Sorgen gehabt oder nur Augen für Kieran." Sie lächelte ihn an und Kieran kam sich ein wenig dämlich vor. "Ich wusste nicht... Aber..." Hatte er sich nicht mit dem Gedanken abgefunden gehabt, dass Giulia und Dominico nur angeblich in einer etwas zu alkohollastigen Nacht miteinander... War sie doch schwanger? Von Amadeo? Völlig perplex, wegen der Tragweite dieser neuen Erkenntnisse, blickte er die schöne Frau an. "Sie kommen", hörte er in diesem Moment John sagen und er blickte die Allee hinunter. Tatsächlich...
 

John


 

Sein Blick ruhte auf dem Zug von Menschen, der in einem zügigen Trab die Allee hinaufzog. Kierans Unruhe und dennoch Freude darüber, Dominico zu sehen, war so deutlich, dass John schmunzeln musste. Dieser Mann war wirklich ein offenes Buch. Und ob mit Alessandro alles geklappt hatte, schien jenen auch sehr zu beunruhigen. Vermutlich hatte er Angst, dass Dominico John direkt töten würde, wenn er seinen Bruder nun wirklich beerdigen musste...

Eigentlich war es keine Seltenheit, dass Menschen unbeabsichtigt beerdigt wurden. Gewissenhafte Leichenbestatter banden Menschen, die offensichtlich unerwartet gestorben waren, immer den Klingelzug um, damit sie, falls sie doch wieder aufwachen, um Hilfe rufen könnten. Letztlich lag es daran, dass die Menschen zu schnell unter die Erde geschafft wurden, weil man Angst vor Seuchen hatte. Gut, das konnte er auch nachvollziehen, vor allem im Sommer. John wischte den Gedanken beiseite.

Schließlich wusste er ja nur zu gut, dass sein Mittel wirken würde und Alessandro Sforza einfach wieder aufwachen würde. Aber er war gespannt, ob Dr. Chambers auf seine Täuschung hereingefallen war. Er hatte wirklich lange an der Mischung gefeilt, hatte viele Experimente an der Universität mit Tieren gemacht und herumgebastelt, damit auch der Geruch ähnlich war. Das Gift für Charles Brandon zu machen, war da schon viel einfach gewesen. Gifte zu brauen, war ohnehin sehr einfach. Wirklich wirkungsvolle Arzneien zu kredenzen, war wesentlich komplizierter. Es gab immer wieder Nebenwirkungen, die nicht abzusehen waren. Und für ihn war es jetzt auch spannend, welche das bei Alessandro sein würden. Er hoffte inständig nur darauf, dass sich der Mann kräftig übergeben musste, ihm schwindlig war und er sich schwach fühlte. Alles Dinge, die mit einer guten Suppe wieder weggehen würden. Wenn er Erinnerungslücken haben würde, wäre es schwieriger... Davon hatte er lieber nichts gesagt. Der Schmied war ohnehin sehr argwöhnisch. Dominicos Gesicht, als der seinen schlafenden Bruder gesehen hatte, war auch beängstigend gewesen. Dominico... Der nahm ihm die Nase immer noch übel. Dabei hatte er doch jetzt, was er sich wünschte: einen absolut hörigen Kieran, der ihm überallhin folgen würde und wird.

John lagen die Worte noch etwas schwer im Magen, als Dominico Kieran angewiesen hatte, mit Giulia zu gehen, wenn ihm etwas passieren würde. Sie sollten sich endlich darüber unterhalten, was passieren würde, wenn Dominico wirklich nach Italien zurückkehrte. Aber er hatte das Gefühl, dass Kieran und Dominico mal wieder nicht über das redeten, was wirklich wichtig war. So wie immer. Ob er ihm demnächst nochmal eine vor den Bug knallen müsste, damit das wieder funktionierte? Er hatte es Kieran angedeutet. Mal sehen, ob er es verstanden hatte.

Und er selbst? Es war komisch, heute Nacht allein im Labor zu schlafen. Vor einigen Tagen hatte Tancred dort neben ihm gelegen. Es war seltsam, dass man etwas vermissen konnte, was bisher eigentlich nie bedeutsam gewesen war. Aber die Nacht auf dem Schiff war so beruhigend gewesen, so entspannend... Auch in seinem neuen Zimmer hatte er nicht so gut geschlafen. Wobei die Anwesenheit von Streuner ihm gut tat. Streuner war schon ein Zufall. Wieso hatte sich dieses Riesenvieh eigentlich für ihn entschieden? Er wich ihm nicht mehr von der Seite und John hatte sich sehr schnell daran gewöhnt, dass er jetzt Teil seines Lebens war. Der Hund hörte auf ihn und schien fast schon mitzudenken. Es war erstaunlich, wie feinfühlig er war. John war gespannt, wie er auf Tancrèd reagieren würde, wenn jener... nun ja: falls jener einmal kommen würde. Aber die Tatsache, dass gerade Amadeo und Dominico zusammen mit einem Alessandro in der Kutsche hier hochfuhren, sagte ihm, dass der Plan aufgegangen sein musste. Dann war jetzt nur noch spannend, wann Alessandro mit Giulia und Amadeo aufbrechen würde. Vielleicht würde Tancrèd ihn noch einmal besuchen...?!
 

Dominico


 

Es war schwer gewesen, den Palast zügig wieder zu verlassen, ohne den König vor den Kopf zu stoßen. Henrys aufbrausendes Temperament war ihnen dabei sicher eine Hilfe gewesen. Der König war rasend vor Zorn gewesen, auch wenn er das natürlich nicht vor seinen Gesandten hatte zeigen dürfen. Um die nicht vollkommen zu verprellen war Thomas Boleyn herbeigerufen worden, der sich jetzt nur zu gerne um die Gesandten kümmerte. Charles und Henry waren indes Henry in sein Arbeitszimmer gefolgt und eine hitzige Diskussion war zwischen den beiden Männern entbrannt. So "einfach" es schien, sich über Thomas Cromwell auszulassen und ihn zu verteufeln, so schwer war es doch dabei auch noch so zu tun, als würde er Charles bis auf den Tod nicht ausstehen können und gleichzeitig um seinen Bruder trauern. Nico gab sein Bestes und behalf sich damit, immer wieder ins Italienische zu verfallen. Zwar konnte Henry Latein und Charles ebenso, doch sein schnelles Italienisch war für die beiden Männer nicht so gut zu verstehen.

Während ihrer Diskussion war es schließlich Henry, der die beiden "verfeindeten" Männer einander näher zu bringen versuchte. Dass sie drei als Männer an den Waffen zusammenstehen mussten und sich gegen Cromwell verbünden mussten. Nico war fast davor gewesen zu lachen, doch stattdessen behielt er seine ernste Miene bei und erneuerte den Treueschwur, den er Henry ohnehin schon lange geleistet hatte - und von dem er so viel hielt wie von Pferdescheiße an seinen teuren Stiefeln.

Auf seine Bitte kurz darauf, seinen Bruder zurück nach Italien, "nach Hause" zu bringen und ihn im stillen Kreis der Familie zu beerdigen, um ihn wegen des Giftes schnell unter die Erde zu bringen, stimmte Henry schließlich zu. Der König hatte grundsätzlich Angst vor allem was der eigenen Gesundheit unzuträglich war und deswegen hatten sie gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Wäre Alessio an einer anderen Sache "gestorben", an körperlicher Gewalt oder ähnlichem, dann wäre die Gefahr groß gewesen, dass der König darauf bestanden hätte - aus Solidarität - bei der Bestattung dabei zu sein und Alessandro damit in England zu beerdigen. So war er darauf nicht besonders erpicht, sprach Nico nur sein Beileid aus und versprach, ihn von seinen höfischen Pflichten zu entbinden, bis Alessandro auf das Schiff gebracht und Cromwell und seine Handlanger hingerichtet worden waren. Danach entließ ihn der König und Nico hatte es sehr eilig wieder in den Hof zu kommen. Amadeo wartete bereits mit seinem Pferd an der Hand und dem Pferd, auf dem sie Rodrego hergebracht hatten, am Zügel. Alessandro war wieder in der verschlossenen Kutsche untergebracht worden und die Männer drängten zum Aufbruch. Sie mussten London ein Stück hinter sich gelassen haben, bevor Alessandro erste Anzeichen des Aufwachens zeigte.

Als sie schließlich das Stadttor passiert hatten und einige Biegungen der Straße sie von den neugierigen Augen trennten, ließ Nico die Kutsche öffnen und setzte einen der Männer auf dem Kutschbock zu dem Kardinal, so dass er rufen konnte, falls etwas mit dem Mann passierte.

Doch obwohl Nico jetzt ein höheres Tempo anschlug, weil es ihm egal war, ob Alessio durch die Erschütterung aufgeweckt wurde, schlief der Kardinal nach wie vor tief, als sie auf den Hof ritten. Sie wurden bereits von John, Kieran und Giulia erwartet. Letztere kam ihnen entgegen gelaufen. "Hat es funktioniert? Ist er schon wieder wach?", fragte sie, etwas atemlos. Doch Nico schüttelte bereits den Kopf noch bevor er vom Pferd stieg. "Es ist absolut alles nach Plan verlaufen, doch Zeichen davon, dass er wirklich noch am Leben ist, gibt es nicht", gab Nico zu, während bereits weitere Angestellte angelaufen kamen, um dabei zu helfen den Kardinal wieder ins Haus und in sein Bett zu verfrachten. "Zieht ihm diese Robe aus!", rief Nico ihnen nach, während vier Männer die Bahre mit Alessandro bereits wieder in das Haus hineintrugen. Der Kardinal war nach wie vor bleicher als eine weiß getünchte Wand und die rote Robe wirkte wie Blut, das an seinem Körper klebte. Nico wollte den Männern bereits nachlaufen, doch Giulia hielt ihn nach einem Seitenblick auf Amadeo zurück. Der Mann hatte sich wie immer formvollendet zurückgehalten und ihr nur ein kurzes Lächeln geschenkt, das Nico natürlich wieder nicht bemerkte, weil er mit den Gedanken ganz woanders war. "Dominico, auf ein Wort." Ihr Griff war so fest, dass Nico sich dem nicht direkt entwinden konnte. "Kann das nicht warten, Giulia? Bitte.." Sie schüttelte resolut den Kopf. "Nein. Es kann nicht warten. Jetzt. Man wird uns rufen, wenn er aufwacht. Komm." Sie hatte ihn am Arm gegriffen und zog ihn hinein in das Haus, wo Kieran und John bereits der Bahre hinterhergegangen waren, um Alessio zu untersuchen.
 

Giulia führte ihn hinein in den einzigen Salon, in dem noch ihre Möbel standen. Es war Giulias kleines privates Empfangszimmer, nicht sehr groß aber dafür sehr gemütlich eingerichtet. Sie schloss sorgsam die Türe hinter sich und ließ sich dann auf einen Sessel sinken. "Wir müssen uns unterhalten, Dominico", begann sie und bereits an ihrem Tonfall merkte er, dass sie etwas wirklich Ernstes mit ihm zu besprechen hatte. Leider war er gerade so sehr mit den Gedanken an anderer Stelle... "Nico, schau mich an." Er drehte sich zu ihr, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und nickte. "Ich bin ganz Ohr, was ist so wichtig?"

"Ich will mit dir über meine Zukunft sprechen." Nicos Stirn legte sich in Falten. "Ich war euch stets eine Freundin. Dir und Alessandro meine ich. In euch beiden und eurer Familie habe ich den Hafen gefunden, den ich gesucht habe nachdem... nun. Du weißt was ich meine." Ja, Nico wusste was sie meinte. Nach Henry.

"Aus England wegzugehen war damals meine absolut eigene Entscheidung und ich bereue sie nach wie vor nicht. Dich zu heiraten hat mich sehr glücklich gemacht, unsere Kinder haben mich sehr glücklich gemacht und sie machen es noch. Du weißt, dass ich dir nie im Weg gestanden habe, was deine Neigungen betrifft. Ich habe jede deiner außerehelichen Beziehungen akzeptiert und ich mag Kieran. Dass du zu ihm stehst, zeigt mir, dass du genau der Mann bist, für den ich dich gehalten habe als ich deine Frau geworden bin." Nico war zu dem anderen Stuhl hinübergegangen und hatte sich hingesetzt. Dieses Gespräch verlief in eine Richtung, die ihm zugegebenermaßen gar nicht gefiel. Er verschränkte die Hände und stützte die Arme auf die Lehnen. "Aber..?"

"Aber euer Plan bedenkt mich nicht", schloss sie knapp. "Versteh mich nicht falsch, ich kann es verstehen. Dass Alessandro genug von alledem hat und dass er gehen will. Dass er glücklich sein will mit seinem Rodrego und ich kann verstehen, dass du das gleiche für dich und Kieran willst. Aber was wird aus mir, wenn ihr beide verschwindet? Hast du daran gedacht?" Nico biss sich auf die Unterlippe. "In eurer Rechnung bin ich eure Verbindung zum Festland... aber als was? Als die Ehefrau, deren Mann getürmt ist? Oder wirst du so "sterben" wie Alessandro und ich werde zur Witwe?" Sie hob die Hand als Nico einschreiten wollte. "Ich will das selbst entscheiden. Ich habe Alessandro zu diesem Plan ermutigt, weil es mich dann nicht mehr nach England ziehen wird. Wenn ihr nicht mehr hier seid, habe ich keinen Grund mehr hierher zu kommen, wo uns sowieso jeder nur ans Messer liefern will. Aber ich sehe nicht ein, für immer alleine zu bleiben.. ich habe Alessandro erlaubt, meine Besitzungen in England zu verkaufen, um wirklich alle Zelte zu brechen. Aber ich tue das nicht uneigennützig. Denn nicht nur du hast jemanden in England gefunden, mit dem du dein Leben verbringen willst."

Oho.. da kamen sie dem Kern der Sache wohl näher. Nicos Augenbraue wanderte in die Höhe. Giulias Hand legte sich schützend auf ihren Bauch. "Das Kind ist nicht von dir. Es ist von Amadeo."

Totenstille. Nico starrte sie an. Wenn sie bisher noch nicht seine ungeteilte Aufmerksamkeit gehabt hatte, dann hatte sie sie jetzt. Amadeos Kind? Seit wann hatten Giulia und Amadeo denn bitte viel miteinander zu tun? Wann hatte er das letzte Mal bewusst darauf geachtet, was Amadeo tat oder was Giulia tat? Nico erhob sich, ob dieser Neuigkeiten konnte er nicht sitzen bleiben. Wie hatte er das nur übersehen können? Kieran und das Turnier und die Cromwell Sache... sie hatten ihn BLIND gemacht dafür, dass seine Frau ihn betrog. Im ersten Affekt rutschten ihm die Worte heraus, die er nicht wirklich meinte. "Das ist ein Grund zur Annullierung." Dieses Argument entlockte Giulia ein ehrliches helles Lachen. "Sicher, sicher. So wie gleichgeschlechtliche Liebe ein Grund für den Henker ist", warf sie zurück, was Nico perplex zu ihr hinüberblicken ließ. "Als wir geheiratet haben und ich von dir schwanger war, da haben wir gesagt, dass ein Kind unserer Schuld genüge tut. Ich habe dir zwei Kinder geschenkt Nico, zwei. Danach habe ich über jede deiner Eskapaden hinweggesehen, auch wenn sie mich vielleicht manchmal gekränkt haben. Verlange jetzt nicht von mir, dass ich keusch bleibe."

Wenn es denn möglich war, wurden Nicos Augen noch größer und Giulia erhob sich ebenfalls. "Ich will, dass Amadeo zu mir nach Italien kommt, nachdem du deinen Dienst hier getan hast. Und ich will, dass du ebenso "stirbst" wie Alessandro es getan hat, ganz egal wie du es anstellst. Untertauchen musst du ohnehin und ich werde nicht noch einmal heiraten. Ich will mich auf unser Landgut in Italien zurückziehen und einfach nur mein Leben genießen, das ich noch vor mir habe. Ich will sehen, dass meine Kinder gesund und glücklich aufwachsen und ab und zu, wenn ich Lust habe, will ich in Rom im Kreise meiner gewählten Familie feiern. Wenn dir das nicht gefällt, dann erhebe ich Anspruch auf deine Treue."

Nico klappte die Kinnlade nach unten. Da stand diese zierliche schöne Frau vor ihm, seine Frau wohlgemerkt, und setzte ihm das Messer auf die Brust, wo er doch gar keine Wahl hatte. Das Lachen, das sich aus seiner Kehle hinaufdrängte, war so erlösend und gleichzeitig so angespannt, dass es fast schon etwas hysterisch klang. "Henry kann so froh sein, dich nie geheiratet zu haben. Ich glaube, du würdest England bereits regieren oder wärest schon lange unter der Erde." Giulias Mundwinkel zuckte nach oben. "Ist das ein "ja", lieber Gatte?"

Nico trat zu ihr und zog sie in seine Arme. "Alles für meine schönste, klügste und unverschämteste Frau." Er drückte ihr einen Kuss auf die Stirn und sie lächelte. "Es ist also gar nicht mein Kind…?", fragte er dennoch sicherheitshalber nach. "Wie hättest du das denn in deinem Zustand noch bewerkstelligen sollen? Was auch immer Kieran an dir finden mag, du hast ganz schön abgebaut was das angeht, mein Lieber." Nico plusterte die Backen auf, doch Giulia lächelte nur milde. "Du bist zu nichts gekommen. Aber es war meine Art, dich vor dem Turnier zu schützen und das mit Amadeo nun... es ist einfach passiert. Wenn du mich glücklich sehen willst, wie du immer betonst, dann wirst du mir diese Liebe gestatten dafür, dass ich euch mit allem unterstütze, was ihr braucht." Nico strich ihr das Haar nach hinten und lächelte erneut. "Auch wenn mir der Gedanke nicht gefällt, dass mein langjähriger Freund, meine rechte Hand, hinter meinem Rücken meine Frau verführt... was dich glücklich macht sollst du haben, Giulia Sforza."
 

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Es war ein seltsames Gefühl mit Giulia am Arm kurze Zeit später das Zimmer zu betreten in dem Alessandro wieder auf dem Bett lag. Man hatte ihm die Robe abgenommen und er lag in seiner Unterkleidung da. Da John angemerkt hatte, dass es ihm wohl übel sein würde, hatte man bereits eine Schüssel hergebracht, frisches Wasser und Tücher. Amadeo stand an das Fenster gelehnt auf der anderen Seite des Raumes und sah auf, als sie eintraten. Jetzt bemerkte Nico, dass der Assassine zuerst einen Blick mit Giulia wechselte, bevor er ihn ansah... und er sah auch, dass Amadeos Blick ihm eines sagte: 'Ich bin dir loyal, Nico. Aber bei dieser Frau endet meine Loyalität.'

Im ersten Impuls war Nico wirklich innerlich wütend gewesen, doch er hatte diese Wut gar nicht wirklich zugelassen. Es war ungerecht, schlicht unfair Giulia gegenüber, ihr dieses Glück zu verwehren oder sie zu verurteilen. Immerhin kam er nicht in ihr Bett und wenn es ein anderer tat, dann war das nicht ihre, sondern seine eigene Schuld. Er setzte Giulia auf einem Stuhl neben dem Bett ab und umrundete es, um Amadeo eine Hand auf die Schulter zu legen. Er beugte sich zu ihm, so dass es mehr den Anschein hatte, als würde er ihm einen Auftrag erteilen, doch darum ging es nicht. "Grazie di tutto, vecchio amico. Guai a te se li trattano male.." (Danke für Alles, alter Freund. Wehe dir, wenn du sie schlecht behandelst.) Amadeos Grinsen, das folgte, war breit. "Grazie, Dominico..", gab er leise zurück und stieß sich dann vom Fenstersims ab, um das Zimmer zu verlassen, als habe Nico ihn tatsächlich um etwas gebeten. Nico wandte sich zum Bett um. Kieran half gerade Alessandros Ankleidediener dabei, die Robe zu ordnen und in einer schon sehr vollen Truhe zu verstauen, während John an seinen Phiolen herumdokterte. Nico ließ sich neben Amadeo auf das Bett sinken, doch auch davon nahm der Kardinal keine Notiz. Giulia strich ihm über die Wange. "Müsste er nicht längst wieder wach sein?" Ihr aufmerksamer Blick auf die Uhr trog sie auch nicht. Es war wirklich schon über der Zeit, die John angenommen hatte. Nicos Hand griff die seines Bruders und zuckte im ersten Moment erschrocken zurück, weil sie so eisig kalt war. Ihm gefiel die ganze Sache einfach nicht und Kierans sorgenvoller Blick, den der ihm gerade zuwarf, machte die Sache nicht viel besser. "Wie lange soll das denn noch dauern?", fuhr er etwas gereizter als beabsichtigt John an.
 

John


 

Giulia stellte zum Glück die Frage, die gerade für ihn am wichtigsten war. Dass Kieran neben ihm auch sehr erleichtert war, dass Dominico gerade wohlbehalten vom Pferd stieg, war letztlich gerade unwesentlich. Das wusste dieser aber auch, denn anstatt sich Dominico zuzuwenden, ging Kieran mit ihm direkt zur Kutsche. Alles war nach Plan verlaufen. Nun, dann musste also wirklich nur noch Alessandro wieder zu den Lebenden zurückfinden.

Dass Alessandro noch nicht wach war, verwunderte ihn nicht. Es war eine grobe Schätzung, dass es acht Stunden dauern würde. Er hatte sicherheitshalber die Dosis so gewählt, dass es mindestens acht Stunden dauerte. Und während seiner Versuche hatte John immer das Gefühl gehabt, dass diejenigen, die unter Narkose stehen, in gewisser Weise selbst entscheiden wollen, wann sie wieder aufwachen. Man durfte die Psyche nicht außer Acht lassen, auch wenn die meisten Ärzte nicht daran glaubten - er tat es. "Streuner, bleib!", sagte er zu dem Hund, der neben ihm stand und jener setzte sich hin.

Der Kardinal wurde auf der Bahre ins Haus gebracht und sie folgten ihnen. So schnell im Vorbeigehen hatte es keinen Sinn, irgendetwas untersuchen zu wollen. Kieran blickte etwas irritiert zurück, als er sah, dass Dominico von Giulia aufgehalten worden war. "Da gibt es jemanden, der dringend mit dem Mann des Schweigens und nichts Sehens reden muss. Ich hoffe, sie zeigt ihm mal, wie blind er ist." Kieran rammte ihm seinen Ellenbogen in die Seite. "Die Wahrheit tut immer weh", keuchte er theatralisch und ging einen Schritt schneller, um nicht noch eine verpasst zu bekommen. Im Zimmer machten sich die Bediensteten daran, den Kardinal auszuziehen und Kieran half ihnen dabei. Es war gar nicht so einfach, einem leblosen Körper ein so umständliches Gewand auszuziehen. Sie fluchten alle ein wenig. Es war erstaunlich, wie schwer ein Körper ohne jegliche Anspannung war. Als die Robe endlich herunter war und sie ihn wieder sorgsam hinlegten, spürte John bereits, dass der Ex-Kardinal unter dem schweren Stoff warm war. Ein gutes Zeichen. Mehr musste er eigentlich nicht wissen. Vielleicht war die Robe tatsächlich dafür gut gewesen, dass der Körper aufgrund des niedrigen Blutdrucks nicht zu sehr ausgekühlt war. "Deckt ihn bitte zu", wies er die beiden Angestellten an, während er zu seiner Tasche griff und darin etwas suchte. "Und?", fragte Kieran, der zu ihm trat. "Er lebt", sagte John gelassen. "Es wird eine Frage des Wollens sein, wann er wieder aufwacht." Er blickte kurz zu Kieran auf und dieser nickte. "Beschäftige dich, du Emo!", knurrte er und Kieran war kurz davor, ihm noch einen blauen Fleck zu verpassen, ließ es dann aber doch. Wieso mussten die Leute bei so etwas eigentlich immer so durchdrehen? Als brächte das jemandem irgendwas!

Es dauerte nicht übermäßig lange, bis Dominico nun doch noch mit Giulia am Arm eintrat. Der Blick, den Kieran seinem Lebensgefährten zuwarf, war vermutlich nicht so besorgt, weil Alessandro sich noch nicht regte, sondern vielleicht eher deshalb, weil er nicht genau wusste, was Giulia und er besprochen hatten und welche Konsequenzen es haben würde. John wünschte der sehr noblen Giulia jedenfalls alles Glück der Erde. Eigentlich konnte sie froh sein, dass Dominico so einen dummen Jungen wie Kieran gefunden hatte, der seine Launen ertrug. Aber das würde er lieber für sich behalten. Als Nico mit Amadeo sprach, war klar, dass alles in Ordnung war zwischen den dreien.

John zog endlich das Medikament heraus, das er gesucht hatte, als Giulia die Frage aller Fragen stellte. John erhob sich und kam zu ihr herüber, als auch schon Dominico sich zu beschweren begann. Er blickte ihn kurz an, dann sah er Giulia an. "Er lebt, es ist alles in Ordnung", sagte er ruhig zu ihr. "Es liegt an ihm, wann er aufwachen möchte. Der arme Kerl hat einiges durchgemacht. Ich kann gut verstehen, dass er keine rechte Lust hat, gleich wieder in das Chaos einzutauchen, das um ihn herum herrscht. Ich wette, wenn Rodrego da wäre, wäre er schon wach, aber den habt ihr ja in den Tower gesperrt." Sein Blick war zu Dominico gewandert. "Vielleicht reicht es, ihm einfach zu erzählen, dass alles gut gegangen ist. Aber wenn Ihr es wieder einmal sehr eilig mit allem habt, dann kann ich ihn auch unsanft zurückholen. Das überlasse ich ganz Euch." Denn was würde Alessandro hier erwarten? Alles war im Aufbruch nach Italien. Der Mensch, den er liebte, war im Kerker, der Mensch, der ihm am meisten bedeutete, war ein grober Holzklotz. Also er würde da auch lieber noch ein wenig schlafen, definitiv.
 

Dominico


 

Es war tatsächlich Giulias Sorge, die sie die Frage stellen ließ und gleichermaßen die Hoffnung darauf, dass John sie beruhigen würde. Sie hatte sich von dem Stuhl bei dem Nico sie losgelassen hatte auf die Bettkante gesetzt und saß so ihrem Mann gegenüber, während sie beide auf den Kardinal hinuntersahen. Alessio wirkte so unendlich friedlich wie er da lag und Nico fühlte diese beklemmende Angst in sich, dass dieses Bild eines Tages, hoffentlich in ferner Zukunft, einmal Wirklichkeit werden würde. Er wusste auch, dass Giulia und Kieran vielleicht nicht mehr bei ihm sein würden, um ihm Kraft zu geben, das durchzustehen. Er hatte Alessios kalte Hand in seiner, so als könnte er ihm damit die Wärme zurückgeben, die dem Kardinal scheinbar fehlte. Dass er etwas ruppiger geworden war, was seinen Ton anging, war keine Absicht gewesen, nicht einmal direkt gegen John gerichtet. Es war seine Sorge, weil er das, was für John so selbstverständlich war, einfach nicht verstand oder nachvollziehen konnte. Als der Arzt neben Giulia ans Bett trat und ihn nur kurz musterte, fühlte Nico einen altbekannten Zorn in sich aufsteigen. Die Worte, die John wählte, waren nicht wirklich geeignet, um diesen Zorn irgendwie beizulegen. Was erlaubte dieser Kerl sich eigentlich? Und vor allem was sollte bitte diese Anschuldigung mit Rodrego? Nico starrte John konsterniert an, deutlich verwirrt und deutlich ungehalten. "Chaos...?", echote er daher, während in ihm langsam der Groschen fiel. Er warf einen Blick auf Kieran, in dessen Blick er vor allem nach einer Antwort suchte: Wusste John, dass sie vorhatten alle nach Italien zu gehen? Offensichtlich nicht. Nein, John sah in ihm wieder nur den adeligen Schnösel und so wie es klang wirkte es beinahe, als sei Dominico schuld an alldem hier. Sein Körper schrie ihm förmlich entgegen John die Faust mitten in sein überhebliches Gesicht zu donnern, so fest, dass er mindestens so lange schlief wie Alessio, doch gerade wegen seines Bruders konnte er es sich nicht erlauben. Wer wusste schon, was dieser Kerl ihm gemischt hatte? Am Ende wachte er nicht mehr auf oder brauchte etwas, das nur John ihm geben konnte. Dominico hasste den Arzt in diesem Moment unendlich dafür, unersetzbar zu sein.

"Was glaubst du eigentlich, wer du bist?" Dass er davon absah, John gegenüber förmlich aufzutreten, zeigte das Maß seiner Verärgerung deutlich. "Einiges durchgemacht hat nicht nur er, aber es stimmt, dass mein geliebter Bruder sehr viel erdulden musste. Aber das hier" - er deutete auf den Schlafenden - "war sein Werk. Rodrego im Tower war SEIN Werk, SEIN Wunsch, nicht mein Wunsch. Wenn es etwas gibt, das ihn aufweckt, dann das Wissen, dass sein Plan aufgegangen und Rodrego genau an dem Ort ist, an dem er sich jetzt befindet. Denn nur wenn Rodrego im Tower ist, hat Alessandro die Chance, ihn von dort zu befreien und lebend mit auf das Schiff zu nehmen." Seine Stimme wurde mit jedem Wort schneidender und er konnte es gar nicht verhindern. "Ich habe keine Ahnung, was dich dazu bringt, so schlecht von mir zu denken. Außer natürlich einer Sache..." Nicos Blick wanderte wieder zu Kieran. "Du hast es ihm nicht gesagt, oder? Er weiß es nicht. Er glaubt, ich warte nur auf den geeigneten Moment, dich fallen zu lassen, ist es nicht so?" Sein Blick huschte zu John zurück. "Ich kann dir sagen, da täuschst du dich, John. Und so sehr ich es mir wünsche, diese Wahrheit in dich hinein zu prügeln, würde es ja doch nichts ändern. Denn der, der Menschen vorverurteilt bin nicht ich, sondern du." Giulia sah über das Bett hinweg und legte ihre Hand auf Nicos, dem man deutlich ansah, wie sehr ihn Johns Gehabe doch verletzte, zumal es einfach wirklich nicht stimmte. Sie hörte auch, wie John hinter ihr Luft holte, doch er kam nicht mehr zu einer passenden Antwort. "Ich schwöre bei Gott, wenn das auf Giannutri auch passiert…" - kam es krächzend von links - ".. dann könnt ihr mir alle dort gestohlen bleiben." "Alessandro!", keuchte Giulia und beugte sich über den Kardinal, der offensichtlich mit Mühe die Augenlider hob.
 

John


 

John konnte Kierans bohrende Blicke in seinem Nacken förmlich spüren, während er sprach. Aber nachdem dieser sich ja geduldig ausschwieg, was das ganze Geschehen und ihre Pläne betraf - sofern er selbst davon überhaupt etwas wusste - war ihm das egal. Klar war, dass Kieran Nico nach Italien begleiten würde. Alles andere wusste niemand und konnte man nur raten. John ignorierte Kieran komplett, während er fasziniert war von dem Gesichtsausdruck Dominicos, der ihm gerade wahrscheinlich innerlich windelweich prügelte. Ja, vielleicht war seine Antwort ein wenig zu bissig geworden. Aber dieser Mann brachte ihn nun mal auch ständig zur Weißglut.

Als der andere zu sprechen begann, musste John sich ein Lächeln verkneifen. Ein Mensch, der explodierte, sprach wenigstens die Wahrheit. Und nun würde er vielleicht einfach ein wenig schlauer werden. Ja, dass Rodreog wegen Alessandro im Kerker saß, war klar gewesen. Aber hätte es nicht gereicht, dass Rod wirklich ihm die Hände hinstreckte, es wirklich gemacht hätte? Hätte man dann nicht einen anderen Sündenbock finden können? Musste dieses Spiel so weit getrieben werden, dass der Mann, der einen Fehler versuchte auszubügeln, nun in einem Gefängnis saß, ohne zu wissen, dass er befreit werden würde. Nun, wenn man ehrlich war, war es klar, dass Alessio ihn nicht sitzen lassen würde. Aber es konnte immer was passieren. Ist ja nicht so, dass der Kerker Zuckerschlecken war. Aber gut. Er konnte Alessio ein bisschen verstehen, auch wenn er anders tickte. Also hörte er sich die Predigt geduldig an.

Gegen Ende wurde es interessanter. Jetzt kamen sie zum Kern des Ganzen. Und offenbar schoss der Gute zielgenau vorbei. "Das stimmt so nicht", hörte er Kieran halblaut sagen, als Dominico meinte, er habe John nicht über ihre Pläne informiert. Nett, dass er zumindest mittlerweile Kieran in seine Pläne einbezog. Das war schon mal gut. Aber darüber hinaus sah er nichts. Nicht, dass Kieran dafür seine Familie aufgab, nicht, dass er dafür seine Arbeit aufgab, nicht, dass er dafür auch seine Freunde aufgab, nicht, dass all diese Menschen auch Kieran aufgeben mussten. Das war genau das gleiche, was Giulia ihm vermutlich offenbart hatte. Er dachte an sich und mittlerweile auch an Kieran, aber der Rest war selbstverständlich. Fast hätte er gelacht, als Dominico ihn als ein mit Vorurteilen behafteten Menschen bezeichnete. Er hatte leider keine Vorurteile - er beobachtete nur, wie die Menschen sich verhielten und zog daraus seine Schlüsse. Aber gut, auch das schluckte er einfach mal.

Gerade wollte er anfangen, etwas zu sagen, als sich der Mann regte, auf dessen Regung alle gewartet hatten. John musste unwillkürlich lächeln, als er hörte, was er sagte. Wenigstens einer mit Humor. "Schön, dass du wieder bei uns bist, Alessandro", sagte er mit einem Lächeln zu diesem und blickte ihn an. "Aber keine Sorge! Das wird dort nicht passieren. Denn wenn Dominico seine weißen Schäfchen alle in Italien um sich versammelt hat, wird es keinen Platz für ein schwarzes geben. Also wird im Land, wo die Zitronen blühen, Friede Freude und Eierkuchen herrschen und du wirst deine Ruhe haben. Iss Suppe, sobald du wieder bei Kräften bist. Ich wünsche dir ein wundervolles und langes Restleben. Danke, dass ich dein Arzt sein durfte." Er drehte sich zu Giulia. "Es war mir eine Ehre, eine so intelligente und angenehme Frau kennenzulernen. Auch euch nur das Beste!" Mit diesen Worten drehte er sich um, nahm seine Tasche und ging aus dem Raum. Er wurde hier nicht mehr gebraucht und hatte auch nicht unbedingt das Verlangen, noch länger mit Dominico unter einem Dach zu sein. Mochte sein, dass er mal wieder wegrannte. Aber ihm war das zu blöd.

Als er Schritte hinter sich hörte, schloss er einen Moment die Augen und atmete tief durch. "John!", hörte er wie erwartet Kierans Stimme. Sollte er sich umdrehen? Er blieb stehen und drehte sich widerwillig um. "Ich..." Man, diese treudoofen Augen des anderen. "Es ist schon gut, Kieran!", sagte er nachdrücklich. "Ich gönne es dir aus vollstem Herzen, wenn du mit ihm nach Italien gehst. Aber er soll das nicht so selbstverständlich hinnehmen, dass du das auch machst. Schließlich ist hier deine Familie und hier ist deine Arbeit und hier sind deine Freunde. ICH bin hier. Mich nervt es, dass er dich mir wegnimmt, als sei es das Selbstverständlichste." John lächelte traurig. "Aber das ist vermutlich einfach nur mein Problem, nicht deines." Kieran trat einen Schritt auf ihn zu und er wich zurück. "Nein, umarm mich nicht. Das vertrage ich jetzt nicht. Geh zurück, wir reden ein anderes Mal. Bitte." Sie sahen sich einen Moment an, dann drehte er sich um und ging in Richtung Stall.

London 3 - Undankbarer Bastard!

Alessandro


 

In seinem Kopf war alles weich wie Watte. Tatsächlich hatte er die ersten "wachen" Momente schon eine ganze Weile gehabt, hatte immer wieder Gesprächsfetzen mitbekommen, seit er wieder auf dem Bett lag. Aber irgendwie hatte er sich dieser wattig weichen Herrlichkeit noch nicht ganz entziehen wollen, die gerade noch alles in ihm friedlich schön und rosa sein ließ. Bis.. ja. Bis er Nicos Stimme hörte in einem Tonfall, der ihn selbst in seinem Zustand alarmierte und damit ganz in die Sphäre wacher Menschen brachte. Er fühlte Giulias Hand in seiner, und die andere, die Nico hielt. Ein wenig schlossen sich seine kalten Finger um die der beiden anderen, doch es war kaum wirklich viel Druck zu spüren und seine ersten Worte schmerzten im Hals. Er glaubte kaum, dass man ihn verstand, und seine Gedanken waren noch immer unheimlich träge, doch anscheinend drang er zu Nico und John durch, die sich, mal wieder, an seiner Bettstatt stritten. Giulia hatte Alessio geholfen, sich ein wenig mehr aufzurichten und ihm das Kissen etwas zurechtgerückt, als John schon nachlegte auf das, was Nico gerade gesagt hatte. Alessandro hatte es nicht vollkommen mitbekommen, doch auch wenn sein Verstand langsam arbeitete, er verstand sehr wohl, um was es John ging. Allerdings war seine Stimme und sein Körper etwas weniger schnell und er kam nicht zu einer Antwort, weil seine Lippen sich nicht bewegen wollten und sein Magen sich drehte. Alles um ihn herum ging so unsagbar schnell.. er stöhnte leise, als John sich auch von Giulia verabschiedete und dann aus dem Raum stürmte, Kieran hintendrein. Als die Türe zuschlug explodierte Nico neben ihm sehr unfein und sprang auf. "Du wirst dieses Erbe NEU aufsetzen, du wirst die Überfahrt streichen, das Geld streichen, die Geräte wieder auspacken und den Vertrag mit dem König KÜNDIGEN!", knurrte er wütend. "Dieser undankbare Bastard hat NICHTS, aber auch GAR NICHTS von dem verdient, das wir für ihn vorgesehen haben, NICHTS! Er führt sich auf wie ein trotziges beschissenes Kind!"

"Geh." Nico verdrehte die Augen. "Das kann doch wohl nicht dein Ernst sein oder?" Alessio gab sich Mühe trotz seiner Abgeschlagenheit und der Übelkeit einen seriösen und ernsten Gesichtsausdruck beizubehalten, der genügend Druck auf Nico ausübte. "Du hast selbst gesagt: er weiß nichts davon. Was soll er denn denken? Geh verdammt... ich würde es selbst machen, aber ich bin gerade etwas unpässlich." krächzte der Kardinal mehr als dass er sprach. "ARGH! Dafür werde ich ihn so in die Pferdescheiße drücken, darauf kannst du dich verlassen!" Damit war er hinaus und hörte auch nicht mehr, dass Alessandro sich hinter ihm geräuschvoll in den Eimer übergab.

Kaum dass er die Türe offen hatte, bellte er Befehle in den Flur und man hörte schwere Schritte. Nico wollte verhindern, dass John mit dem Pferd den Hof verließ, bevor er ihn in die Finger bekommen hatte. Kieran schien John bereits aufgehalten zu haben, doch sicher nicht, um ihn daran zu hindern nach London zurück zu reiten, sondern maximal, um zumindest einen Teil dessen zu klären, was nicht wirklich zu erklären war. Dass Nico sogar rennen musste, nahm er John übel. Er sah wie der hochgewachsene Mann im Stall verschwand und rauschte an dem noch etwas verdutzt dastehenden Kieran vorbei, geradewegs hinter John her, den er von hinten packte, herumdrehte und unsanft gegen die nächste Boxenwand stieß. Innerlich betete er beinahe dafür, dass John Fäuste sprechen ließ, allerdings hatte er noch seine Tasche in der Hand und musste die erst ablegen, also würde er vermutlich nicht sofort zuschlagen, was eigentlich schade war. Nico war verdammt bereit dem Kerl die Abreibung seines Lebens zu verpassen für diese himmelschreiende Undankbarkeit. "Meine weißen Schäfchen?" Er hatte Mühe ruhig zu bleiben. "Jetzt mal für dich zum Mitschreiben, von einem so eingebildeten und kurzsichtigen Menschen wie mir, John Forbes: Das Anwesen hier wird nach dem Ende meiner Karriere der Apotheke deines Vaters überschrieben, auf Wunsch meiner Frau. Ebenso wurde bereits der Vertrag für die exklusive Versorgung des Palastes durch die Apotheke deines Vaters an die Angestellten des Palastes unterzeichnet, denn schließlich hat er sich bereits bei der Versorgung der Flotte mehr als bewährt. Außerdem werden ihm weitere Studenten der Universität als Aushilfe zur Seite gestellt. Und wenn es an der Zeit sein sollte, dass Mr. Carney eine Reise antritt, die ihn fort von Londons Ufern führt, so wurde vorgesehen, dass ein Teil der Ausrüstung des Labors und seiner Vorräte ebenfalls die Reise antritt, zusammen mit jeder Person, die Mr. Carney auf diese Reise mitzunehmen wünscht. Und für jede dieser Personen war am Zielort ein Platz und ein Wirkungsort vorgesehen." Nico trat einen Schritt zurück, um sich von John auf Distanz zu bringen. "Ich habe für alle meine "weißen Schäfchen" hier vorgesorgt. Und für die schwarzen Schafe derer, die mir nahestehen, so wenig mir das auch gefällt."
 

John


 

John war gerade im Stall angekommen, als er merkte, dass er Streuner vergessen hatte. Er wollte sich gerade umdrehen, um nach dem Hund zu pfeifen, als er gegen die nächste Boxentür flog. Einen Moment spürte er den Drang in sich, zuzuschlagen, als er sah, wer ihn da so unsanft behandelte, doch er hatte seine Tasche mit all den Arzneien in der Hand, die er nicht einfach fallen lassen durfte. So verharrte er einen Moment regungslos, darauf wartend, dass Dominico ihm nun doch noch eine verpasste. Doch es kam nichts. Was wollte der andere dann? War nicht alles gesagt? Als Dominico zu sprechen begann, hörte man deutlich, dass er sich auch lieber prügeln würde, als mit ihm hier noch ein Kaffeepläuschchen zu halten. John blickte den anderen irritiert an. Er hörte Dinge, die so unerwartet kamen, dass er den Drang, zuzuschlagen, bald nicht mehr spürte. Vielmehr legte sich ein Erstaunen auf seine Züge, ehrliches Erstaunen. Mit jedem weiteren Wort wurde dieses größer. Dass hier offenbar so umfassend an ihn, seinen Vater und die Apotheke gedacht worden war, war nichts, womit er je gerechnet hätte. Wieso auch? Dominico war ihm nichts schuldig. Er ignorierte ihn seit der gebrochenen Nase damals, und so wie alle anderen, konnte er ihn nicht leiden. Wieso also sollte er sich darum kümmern, was mit ihm, seinem Vater oder der Apotheke geschah? Nun, vielleicht waren die Apotheke und auch sein Vater doch wichtig für den König. Aber wieso sollte sich Dominico dann damit befassen? Oder war es doch für die Arbeit, die er hier geleistet hatte? Konnte das wirklich der Dank für die ganze Aktion hier gewesen sein? Alessandro hatte ihn vorab bezahlt, mehr als ausreichend bezahlt. Wieso sollte er dann noch mehr erhalten?

Noch immer ungläubig wegen des Gesagten blickte er in die Augen des anderen Mannes, nach der Lüge suchend, nach dem Scherz, den jener sich erlaubte. Wie sein Vater früher, der John hatte buckeln lassen, damit er zum Schulausflug mitdurfte, aber dann nur ein Lachen für ihn hatte, als es darum ging, ihm die Erlaubnis zu erteilen und ihm das nötige Geld dafür zu geben. Doch ganz offenbar war das alles sehr, sehr ehrlich gemeint, gut gemeint.

Irritiert fuhr sein Blick zur Stalltür, als Kieran sich regte. Offenbar war er dem Hausherren gefolgt und hatte alles mit angehört. John schluckte. "Ich habe nie gesagt, dass du eingebildet bist", sagte John leise und versuchte sich vorsichtig aus dem Griff des anderen zu befreien, der seinen Griff tatsächlich lockerte. "Und ich habe offensichtlich auch deine Blickweite unterschätzt", fügte er hinzu. Er wusste nicht so genau, was er sagen sollte. Schließlich hatte er nicht mit so etwas in der Art gerechnet. Irgendwie war er überfordert. Er war dankbar, das war nicht die Frage. Aber er stand damit auch in der Schuld des anderen, was ihm komisch vorkam. "Es tut mir leid", sagte er endlich. "Langsam begreife ich, warum Kieran nie aufgehört hat, dich zu lieben. Er wusste, dass er immer Teil deiner Pläne sein würde, auch wenn du nichts zu ihm gesagt hast." John sah Kieran kurz an, der ihn anlächelte. "Er hat sich immer um mich und meine Familie gekümmert, als sei es seine eigene. Von dem Moment an, als ich mich wirklich auf ihn eingelassen hatte", erklärte dieser und sah dann zu Dominico. "Ihr zwei seid beide die gleichen verbohrten Esel. Wenn ihr nicht so viel Zeit damit verschwenden würdet, euch misszuverstehen, würdet ihr glaube ich euch ziemlich gut verstehen. Schade, dass ihr euch nicht die Köpfe gerade gegenseitig eingeschlagen habt, dann hätte ich meine Ruhe vor euren Dickschädeln." Kieran seufzte und sah Dominico an. "John ist in seinem Leben noch nie etwas geschenkt worden, das kannst du mir glauben. Er hat einfach nicht einen Gedanken daran verschwendet, dass jemand sich um ihn kümmern würde." Kieran blickte wieder zu John. "Und es tut mir leid, dass ich nicht früher mit dir geredet habe, über alle Möglichkeiten, die es gibt, die es für dich und deine Zukunft gibt. Niemand wird hier einfach zurückgelassen und allein gelassen. Zumal es da ja noch jemanden gibt, der da ein Wörtchen mitreden will." John senkte den Blick und strich sich die Haare aus der Stirn. Ja, vermutlich gab es da noch einen... Dann sah er wieder zu Dominico. "Es tut mir leid", wiederholte er noch einmal seine Worte. "Danke, dass an die Apotheke und meinen Vater gedacht wurde. Das bedeutet mir viel, auch wenn man das kaum glauben mag." Denn auch wenn er sich gerade von seinem Elternhaus löste, so war die Apotheke und auch ein Vater natürlich nicht gänzlich gleichgültig. "Und es freut mich auch, dass Kieran jede Möglichkeit erhält - was auch immer passieren mag." Dass letztlich er mit einer Basis für eine neue Existenz Teil des Planes war, freute ihn natürlich auch. Aber im Moment überforderte ihn diese Information noch ein wenig. Wieder dieser Gedanke, hier einfach weg zu gehen, London zu verlassen, England zu verlassen... "Alles Weitere wird sich zeigen, wird die Zukunft zeigen", sprach Kieran nun an seiner statt weiter und ergriff Dominicos Hand. "Ich denke, wir sollten jetzt jemand anderem noch dabei helfen, wieder auf die Beine zu kommen. Und dann sollten wir alle gemeinsam uns freuen, dass es so geklappt hat, wie wir uns das gewünscht haben."
 

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Alessandro


 

Nachdem Nico zur Tür hinaus gelaufen war, hatte es nicht sonderlich lange gedauert, bis auch der Rest von Alessandros Körper realisierte, dass er wieder "wach" war. Sein Magen rebellierte, brachte aber nichts zu Tage als bittere Galle und das Wasser, das Giulia ihm eingeflöst hatte. Obwohl es ihm unangenehm war, musste er sich helfen lassen, sich auf einen Nachttopf zu setzen, um nicht noch ins Bett zu machen. Er fühlte sich wirklich hundeelend. Sein Körper war einfach noch nicht wieder absolut fit gewesen und er hatte ihn erneut so "vergewaltigt". Vermutlich geschah ihm das gerade recht.

Er war nicht undankbar, als John einige Zeit später wieder kam, hinter seinem Bruder und Kieran. Nico knirschte immer noch mit den Zähnen, aber John schien nachdenklicher zu sein und so nahm Alessandro an, dass Nico ihm klar gemacht hatte, was ihr eigentlicher Plan war. Mit Johns Hilfe und einem magenberuhigenden Mittel ging es am Nachmittag auch langsam bergauf.

Giulia in heller Freude organisierte eine kleine Feier, während Nico die Wachen am Tor verstärkte, um nahende Gäste direkt im Auge zu haben. Schließlich sollte niemand einen putzmunteren Alessandro hier vorfinden, der doch eigentlich gerade tot im Sarg in ihrer Kapelle lag.

Man ließ ihm seine Ruhe, nachdem er einen Teller Suppe gegessen hatte, und weckte ihn erst am Abend wieder, um sich ein wenig zu den anderen zu gesellen. John hatte angesprochen, dass es wohl gut sein würde, wenn er sich etwas bewegte und frische Luft bekam. Außerdem war das permanente Liegen schon nach seiner Vergiftung ziemlich ätzend gewesen und es war vermutlich wirklich besser, wenn er ein wenig herauskam.

Leider war er zu schwach, um zu laufen. Er konnte sich kaum auf den Beinen halten, doch das ließ Nico nicht als Grund gelten. Er organisierte einen bequemen Sessel und ließ den Sessel samt seinem Bruder von zwei starken Männern in den Salon tragen, den Giulia inzwischen mit den Möbeln eingerichtet hatte, die sie nicht mitnehmen wollte. Es sah sehr zusammengestückelt aus, aber das war in England absolut normal und damit würde es wohl niemandem auffallen. Die Männer setzten Alessio am Tisch ab, an dem Giulia bereits Platz genommen hatte, Amadeo an ihrer Seite. Alessandro kam nicht umhin zu grinsen und sie streckte ihm undamenhaft die Zunge heraus. "Schau nicht so, Kardinal. Du hattest deine Chance." Alessandro hob abwehrend die Hände und griff zu dem Krug, den er vor die Nase gestellt bekommen hatte. Selbst der war unheimlich schwer gewesen, doch der Durst hatte gesiegt. Man hatte ihm Wein gegeben, aber stark verwässert und auch wenn er sich vorkam wie ein kleines Kind, so war er doch sehr froh darüber. Um ihm gerecht zu werden, gab es einen hervorragenden Eintopf, der offensichtlich allen schmeckte und kurze Zeit später hatte sich aus ihrer Küchencrew auch noch eine passable Band zusammengefunden, die jetzt italienische Volkslieder spielte. Alessio fühlte sich eine Woche in die Vergangenheit zurück gesetzt, als er in einem anderen Saal an einer Tafel gesessen hatte und anderen dabei zugesehen hatte, wie sie sich betranken. Das war eine vollkommen andere Welt gewesen.

Nachdem er gegessen hatte, lehnte er sich zurück und sah Kieran zu, der mit Gläsern jonglierte, während Kinder des Hauses ihm zujubelten. Unweigerlich schweiften seine Gedanken zu Rodrego.

Nico hatte ihm gesagt, dass man Rod in den Tower geworfen hatte und dass Henry plante, ihn gemeinsam mit Cromwell hinrichten zu lassen. Aber wirklich mit Cromwell? Zwei paar Stiefel für den Henker? Sicher würde man Rod entweder vor oder nach dem Hauptverräter hinrichten. Der König wollte dabei sein, wenn man Cromwell den Kopf abschlug, das würde ihm sicher wichtig sein. Aber Rodrego? Alessandro nahm nicht an, dass der König persönliche Rache an dem Schmied wollte. Und was wollte er…?

Während um ihn herum die Menschen lachten und fröhlich waren, war der Kardinal sehr nachdenklich. Dass er immer noch diesen kirchlichen Rang innehatte, war nur eine Frage der Zeit. Wenn man erfuhr, dass er gestorben war, würde man einen anderen an seine Stelle setzen und er verlor das Amt. Das Schiff mit seinem Leichnahm würde natürlich nie in Italien ankommen... immerhin gab es keine Leiche. Aber was wollte Alessandro?

Ohne Rod an seiner Seite fühlte er sich leer und einsam, doch andererseits war da noch immer der Gedanke an sein Gesicht und diese einschneidenden Worte. Es war alles nur gespielt... Selbst jetzt fühlte er noch die beklemmende Enge, die diese Worte in ihm ausgelöst hatten. Den nicht zu schließenden Riss, den sein Vertrauen bekommen hatte. War das überhaupt wieder herzustellen?

Neben ihm wurde es kurzzeitig laut, als Nico John dazu aufforderte, ihren Schnaps zu probieren. Alessio konnte den Grappa bis hier riechen und verfluchte seinen Magen für die Empfindlichkeiten. John setzte an und stürzte den kleinen Becher hinunter, nur um danach zu husten. Kieran lachte und klopfte ihm auf die Schulter, während Nico die Flasche griff und nachschenkte. Sein Bruder hatte schon gut einen im Tee, doch Alessio gönnte es ihm. Vermutlich hatte er am Morgen danach den Schädel seines Lebens, aber dann fühlte er wenigstens ein bisschen mit ihm. Sein Blick legte sich wieder auf John. Die Feindseligkeit, zumindest die gröbste, war aus seinem Blick gewichen. Ihm gegenüber war er ja nie so kalt gewesen, aber Nico hatte er immer verachtet, das hatte Alessandro schon gemerkt. Irgendetwas schien sich geändert zu haben und der Kardinal war froh darüber. Während diese Erkenntnis in ihm reifte wurde ihm klar, dass er Rodrego wirklich um jeden Preis befreien musste. Auch wenn ein Teil in ihm sagte, dass der Schmied diese Strafe nicht nur verdiente, sondern dass es ohne Rod für Alessios Herz leichter sein würde - wenn sogar John und Nico an einem Tisch sitzen konnten, nach einer so offenen Demütigung wie dem Schlag ins Gesicht - wer war dann er, dem Mann, den er liebte, die Verzweiflungstat nicht zu verzeihen? Er fühlte wie der gewässerte Wein anfing auf seine Blase zu drücken und fühlte gleichermaßen wie unnütz er in seinem Zustand war. Er hasste es, so gebrechlich zu sein, so offensichtlich verletzlich. Um diesem Zustand möglichst schnell zu entkommen und vor allem um morgen alles in die Wege zu leiten, dass sein Plan in allen seinen Facetten wirklich aufging, rief er sich seine zwei Träger wieder heran. Die Männer hatten auch schon etwas getrunken und so hatte der Weg zurück sehr viel von einem Kahn auf hoher See, doch das war nicht schlimm. Als man ihn ins Bett legte und er sich ausstrecken konnte, fühlte er die Erschöpfung deutlich die sich auf seine Glieder legte. Unweigerlich kam ihm das Bild in den Sinn, das Rodrego ihm gemalt hatte: Sie drei auf jungen Hengsten, die bockend über eine weite grüne Wiese schossen. Und obwohl er sich miserabel fühlte, schlief Alessandro Sforza mit einem Lächeln auf den Lippen ein.

London 3 - Respekt zollen

Tancrèd

Die Nachricht von Cromwells Festnahme und seiner Verbringung in den Tower, gepaart mit der Ankündigung seiner Hinrichtung, erreichte Gravesend noch am Abend des gleichen Tages und zwar überbracht von Thomas Howard persönlich. Der Mann, der diese Flotte überhaupt erst aus dem Boden gestampft hatte, war ganz aus dem Häuschen gewesen, als er den Kapitänen die Nachricht überbrachte. Die Frage nach dem Warum beantwortete Thomas nur damit, dass Cromwell wohl versucht habe, des Königs Heerführer für sich unschädlich zu machen. Einige Stunden später waren die Geschichten in den Schenken so ausgereift, dass es sich beinahe gelohnt hätte, ein Buch darüber zu schreiben.

Der Plan der Sforzabrüder war also aufgegangen... Tancred hatte sich in sein Zimmer in einem Gasthaus zurückgezogen. Sein Schiff lag östlich von Gravesend an Land, der frisch geteerte Rumpf musste noch trocknen, weswegen die Männer das Quartier gewechselt hatten. Er hatte vehement darauf bestehen müssen, mit der Raashno auszulaufen, da Howard jetzt mehr denn je darauf beharrte, dass es gefährlich war, in feindliche Gwässer einzudringen. Doch der Franzose war hartnäckig geblieben und hatte damit argumentiert, dass er offiziell gar kein Mitglied der englischen Marine war. Dem hatte Howard nichts entgegenzusetzen gehabt und so behielt Tancred den Termin bei, der eine ganze Schiffsladung voller Möbel nach Italien bringen würde... und vielleicht auch den Kardinal und seine Begleitung. Über Alessandros Gesundheitszustand wusste Tancred nach wie vor nichts. Man hatte ihm gesagt, dass er eine Nachricht diesbezüglich erhalten würde, doch die würde sicher noch auf sich warten lassen und so rechnete er nicht vor dem nächsten Morgen mit einem Boten.

Er behielt tatsächlich Recht. Als er am nächsten Morgen beim Frühstück im Gasthaus saß, kam ein nur allzu bekannter Herr zur Tür herein. Es war niemand geringerer als Amadeo selbst, der ihm auch die zweite Botschaft des Kardinals persönlich überreichte. Es sagte viel über diesen Mann aus, der sich jetzt ihm gegenüber auf den Stuhl fallen ließ und einen Krug Wasser herunterspülte. Im Brief selbst fand Tancred nur wenige Zeilen, die für einen unwissenden Mann kaum Sinn ergeben konnten:

Verehrter Monsieur de Nerac,

wir sind froh, dass sie unserem Auftrag zugestimmt haben, und schicken ihnen in den nächsten Tagen unsere Waren zu. Um die Zahlung abzuwickeln, würden wir Sie gerne in drei Tagen zur frühen Morgenstunde am vereinbarten Treffpunkt begrüßen. Gehabt euch wohl bis dahin.

Unterschrieben war der Brief nicht, doch Tancred nahm an, dass der Brief von Alessandro oder Dominico stammte. Der vereinbarte Treffpunkt war das Anwesen Sforza, auch wenn es hier nicht genannt worden war. Tancrèd nahm an, dass ihm der genauere Zeitpunkt gleich von Amadeo mitgeteilt werden würde. Er steckte den Brief in die Innentasche seiner Jacke und sah sein Gegenüber dann kurz an. "Es geht ihm also gut?", fragte er knapp nach und erntete ein Nicken von dem insgesamt sehr schweigsamen Mann. "Ich würde mir das Schauspiel ja wirklich gerne ansehen... die Hinrichtung meine ich. Aber ich fürchte, zu diesem Zeitpunkt werden wir bereits auslaufen." Amadeo nickte erneut und Tancred steckte sich den Rest seines Brotes in den Mund. "Ich reite mit euch nach London. Ich habe noch etwas zu erledigen, bevor wir auslaufen." Erneut ein Nicken. Wie konnte man mit diesem Kerl nur leben? Doch dann dämmerte ihm plötzlich, warum Amadeo sich bemühte, nichts zu sagen. Er hatte schon beim letzten Mal den starken italienischen Akzent bemerkt und vielleicht war es dieser Tage besser, das nicht allzu deutlich zu zeigen. Tancrèd erhob sich vom Tisch und ging noch einmal hinauf in sein Zimmer, um seine Jacke und eine Tasche zu holen, in der er Geld und ein frisches Hemd und Unterkleider gelegt hatte. Außerdem steckte in einer kleinen Innentasche der Umschlag mit Johns "Geschenk". Spätestens als er den Schlüssel auf seinem Schreibtisch gefunden hatte, war ihm klar gewesen, dass er noch einmal nach London reiten musste, bevor er auslief. Da jetzt das Datum und der Zweck der Reise sicher war, hatte er es eilig, nach London zu kommen und zu sehen, zu welcher Tür dieser Schlüssel passte... und um ein ernstes Wort mit einem Mann zu reden, dessen Umgang mit John ihn aufs Tiefste verletzte.

Als er am Nachmittag durch das Stadttor ritt, wirkte die ohnehin schon unruhige Stadt einmal mehr unruhiger. Die Verhaftung eines so hochrangigen Mannes an der Seite des Königs blieb im Volk weder unbemerkt noch unkommentiert. Cromwell hatte vorangetrieben, dass sich die Kirche Englands von Rom lossagte und vielen Menschen missfiel dieser Umstand bis heute. Mit Cromwells Tod war auch eine Annäherung an Italien wieder möglich geworden, während vor allem die Aussicht auf einen baldigen und hoffentlich erfolgreichen Krieg gegen Frankreich die Leute geradezu in Hochstimmung versetzte. Tancrèd verstand es nicht, wie man so Kriegslüstern sein konnte, ohne selbst je die Waffe geführt zu haben, doch hinter dieses Geheimnis würde er wohl nie kommen.

Er schlug in London den Weg zu Mr. Forbes' Apotheke ein und fand den Mann in einer ähnlichen Situation wie damals, als er John ebenfalls hatte eigentlich aufsuchen wollen. Mr. Forbes stand allein vor der Apotheke, mühte sich mit den schweren Säcken. Offenbare waren weder Kieran und John anwesend, vielleicht hatten sie in der Uni zu tun oder John hatte eine längere Nacht hinter sich… auf jeden Fall war Mr. Forbes allein. Tancrèd stellte das Pferd an einem Balken ab und band es an, ehe er dem Mann ungefragt wie damals zur Hilfe ging. Mr. Forbes brauchte einen Moment, ehe er ihn wiedererkannte. "Ah, Monsieur de Nerac, schön Sie zu sehen. Was führt Sie wieder zu uns?", fragte Mr. Forbes, schon ganz im Verkaufstalent. Tancrèd stellte den schweren Sack auf einem der leeren Tische ab und drehte sich zu dem Mann um. "Auf ein Wort, Mr. Forbes, ein ungestörtes Wort", erwiderte er - das Lächeln von der Straße war inzwischen verschwunden. "Im Rahmen meiner Arbeit an der Flotte seiner Majestät hatte ich das Vergnügen, mit Ihrem Sohn zu arbeiten. Wie Ihr Euch denken könnt, ist dazu der Aufenthalt auf einem Schiff unerlässlich und dort geschah etwas Sonderbares. Euer Sohn fiel durch den Fehler eines meiner Männer über unsere Zugangsplanke in den Fluss. Soweit ist das ja nichts Besonderes." Tancrèd schlenderte auf Mr. Forbes zu, der weiter hinten im Raum stand. "Ich wollte ihn eigentlich einfach wieder herausziehen, doch das hat nicht funktioniert, weil er nicht mal in der Lage war, sich über Wasser zu halten. Ich musste selbst ins Wasser springen, um ihn herauszuholen, sonst wäre er ertrunken. Und wisst Ihr, was er sagte, als ich ihn da aus dem Wasser gezogen habe? 'Bitte bring mich nicht um.' - Das waren seine Worte. Ihr könnt Euch sicher denken, wie unglaublich erschrocken ich darüber war, denn nichts läge mir ferner, als einen Menschen zu ertränken. Da ich dieser Sache auf den Grund gehen wollte, habe ich Eurem Sohn einige Fragen gestellt und einige Antworten bekommen - von den Dingen abgesehen, die ich mitbekommen habe, als ich das letzte Mal hier zu Besuch gewesen bin." Tancred war vor Mr. Forbes zum Stehen gekommen. "Ihr seid ein sehr kluger Mann, Mr. Forbes, das seid Ihr wirklich - was Eure Geschäfte angeht. Was Euren Sohn angeht, so seid Ihr das widerlichste Schwein, das ich in meinem Leben je kennengelernt habe." Er sagte das so ruhig und ohne bewussten Vorwurf in der Stimme, dass man meinen konnte, er rede über etwas vollkommen Anderes. "Es ist mir ganz gleich aus welchem Grund Ihr so handelt wie Ihr handelt - das unschuldige Kind kann niemals büßen für etwas, das es selbst nicht begangen hat. Da Ihr ein sehr kluger Mann seid, Mr. Forbes, der um die Wichtigkeit seiner Aufträge für die Flotte des Königs weiß, bin ich sicher, dass Ihr mir meine Bitte nicht werdet abschlagen können. Ihr werdet Euch wie ein Ehrenmann verhalten und dem jungen Mann, der Euren Nachnamen trägt, den Respekt und die Anerkennung zukommen lassen, die er mehr als verdient. Ohne ihn wäret Ihr nichts und Euer Laden wäre vermutlich nicht einmal in der Lage, Aufträge wie jene zu bearbeiten, die Ihr gerade bearbeitet. Damit das auch so bleibt, Mr. Forbes, erwarte ich von Euch die Weitsicht, euren Sohn und den einzigen Erben, den Ihr jemals haben könnt, in anderem Licht zu sehen. Ansonsten wird nicht nur er schneller weg sein, als ihr ihn hinausjagen könnt, sondern eure Auftragslage wird sich... nun... auflösen. Ich denke, wir verstehen uns, nicht wahr Mr. Forbes?"
 

Thomas Forbes

Er konnte von Glück sagen, dass er noch rüstig war und die Arbeit noch schaffte. Kieran war in letzter Zeit sehr eingespannt bei den Sforzas, was ihn nach dem Unglück dort auch nicht wunderte. Wenn er heute kam, musste er unbedingt nach den näheren Umständen des Todes des Kardinals fragen, und wenn Dominico hier in nächster Zeit wieder seine Aufwartung machen würde, müsste er ihm unbedingt sein Beileid bekunden.

John schlief vermutlich in seiner Abstellkammer. Der Apotheker schnaubte bei dem Gedanken. Ein dreckiges Loch zum Schlafen hätte er für diesen undankbaren Bastard auch in seinem Haus gefunden. Jetzt kam und ging er, wie er wollte. Zugegebenermaßen machte er seine Arbeit, aber er kam und ging, wie es ihm passte. Er würde ihm das Gehalt kürzen, wenn das so weiterging. Dann hatte er auch noch diesen riesigen Hund! Der Apotheker schüttelte den Kopf. Dem hatte er Hausverbot erteilt. Dieser Flohfänger hatte nichts in seinem Laden verloren. Nicht nur, dass er immer knurrte, er war dreckig, unerzogen und vertrieb die Kunden.

Patricia schlief noch. Sie hatte ihm gestern bei einem Notfall geholfen und sich ihren Schlaf verdient. Sie war wirklich eine Seele und das Beste, was John jemals für ihn getan hatte. Und vielleicht nicht nur für ihn. Die Blicke, die die junge Frau ihrem Sohn zuwarf, waren eigentlich eindeutig.

So in Gedanken bemerkte er den Kapitän erstmal nicht, als dieser zu ihm trat und einfach begann zu helfen. Erst da sah er ihn an, stutzte einen Moment, bevor ihm klar wurde, wer ihm da wieder zur Hand ging. "Ah, Monsieur de Nerac, schön Sie zu sehen. Was führt Sie wieder zu uns?", begrüßte er den anderen standesgemäß. Dass jener offenbar mehr mit John zu tun hatte, wohl weil jener hauptsächlich die Arbeit mit dem Schiffsärzten übernommen hatte, war ihm klar. Aber dass jener persönlich da war, konnte nur bedeuten, dass John wieder einmal unzuverlässig war, oder? Sie waren gemeinsam in die Apotheke gegangen und Thomas stellte die Kiste mit Bottichen auf den Tresen, als Tancred sich zu ihm umdrehte und offenbar wirklich etwas Schwerwiegenderes zu besprechen hatte. Er wollte gerade ansetzten, sich mit einem "Also, wenn John etwas ausgefressen..." für John zu entschuldigen, als er wieder verstummte, weil der andere einfach weitersprach. Er hatte am Hofe gelernt, dass er Menschen mit höherem Rang lieber nicht ins Wort fiel. So lauschte er den Worten, deren Richtung er erst einmal gar nicht deuten konnte. Worauf wollte der Kapitän heraus? Hatte John etwas gestohlen? Doch als jener schilderte, was geschehen war, als der Taugenichts ins Wasser gestürzt war, blickte er zunächst erschrocken auf, sammelte sich aber schnell wieder und begann die Abrechnungszettel, die am Tresen waren, ein wenig zu sortieren. Er erinnerte sich noch gut an diese schwarze Stunde, an dem er den Bastard von William gerne ertränkt hätte. Er war so unfassbar wütend gewesen: auf seine Frau, auf seinen ehemals besten Freund und auf dieses Gesicht, das ihn so knopfäugig angesehen hatte, genau wie sein Vater ihn schon im Kindesalter immer angesehen hatte. William hatte alles bekommen, immer, sein Leben lang war er ein Glückspilz gewesen, während er immer für alles schuften musste. William hatte seine Schulbildung bekommen, seine Familie war wohlhabend gewesen. William hatte das Studium bekommen, das er nie haben durfte und konnte. Das einzige, was er nicht hatte, war seine Frau gewesen - wie er geglaubt hatte. Er zerknüllte den Zettel in seiner Hand, als Tancrèd weitersprach. Wie konnte John so dreist sein, Dinge über ihn und seiner Familie zu erzählen?! Einem wildfremden Mann! Das sah John auch gar nicht ähnlich! Hatte er ihm nicht schon früh eingebläut, ja eingeprügelt, dass man nichts erzählen durfte, was die Familie betraf? Hatte er ihn dahingehend nicht genug erzogen? Sein Unterkiefer knirschte leicht, ob der Wut auf John, die allmählich hinaufkroch. Konnte es sein, dass dieser Mann, der nun direkt vor ihm stand, eine tiefere Beziehung zu John aufbaute? Hatte das mit Johns abartiger Neigung, seiner Krankheit zu tun? Waren sich diese beiden deswegen näher gekommen?

Der Gedanke verschwand für den Moment wieder, als er etwas zu hören bekam, was er sein Leben lang noch nicht hatte hören müssen. Wütend blickte er den Kapitän an, der sich hier deutlich zu viel herausnahm. Was erlaubte der sich eigentlich, ihn hier so zu beschimpfen. Hatte er eine Frau? Kinder? Was wusste der schon?! Doch als Tancrèd weitersprach, versuchte er die Wut schnell wieder zu unterdrücken. Drohte ihm dieser Mann?

Nun er hatte recht, wenn er sagte, dass der Laden das Arbeitspensum, das er momentan leistete, nicht erfüllen könnte, wenn es John nicht gäbe. Aber das war jener ihm ja wohl auch schuldig! Er hatte ihn ertragen, ihn durchgefüttert, ihm und Bildung ermöglicht, die er selbst nie gehabt hatte. John war ihm das alles mehr als schuldig. Er hätte ihn auch ins Heim stecken können...

Thomas Forbes blickte den Kapitän abschätzend an. Hatte dieser wirklich so große Macht, ihn bei Hofe zu denunzieren und dafür zu sorgen, dass er keine Aufträge mehr bekam? Wäre dieser Mann wirklich in der Lage, ihm John wegzunehmen? Er sollte es lieber nicht darauf ankommen lassen. Er nickte leicht.

"Wie Ihr vielleicht wisst, haben John und ich schon darauf geeinigt, dass ich ihn fair bezahle für die Arbeit, die er leistet. Unser Verhältnis ist eines, das durch die Arbeit geprägt ist. Solange er seine Arbeit erbringt, sehe ich keinen Grund, Sie zu enttäuschen. Selbstverständlich schätze ich seine Arbeit und sie haben Recht, dass er ein wichtiger Angestellter der Apotheke ist. Er wird genauso behandelt, wie die anderen." Wie sollte er ihn im anderen Licht sehen, wenn er immer in das Gesicht des jungen William Harvey sah, den er so sehr verachtete, weil er ihn sein Leben lang verhöhnt und schikaniert hatte? Aber er würde es sich wirklich nicht erlauben können, die Aufträge vom Könighaus zu riskieren. "Ich werde John den Respekt entgegenbringen, den er verdient. Er ist ein ausgezeichneter Alchimist." Tatsachen konnte er ja aussprechen. "Eine Szene wie damals wird nicht mehr vorkommen." Sofern jener seine Arbeit verrichtete...

London 3 - Katerstimmung

Tancrèd


 

Als Tancred einige Zeit später wieder auf der Straße stand, fühlte er sich besser. Er wusste zwar nicht, ob es wirklich viel Sinn gemacht hatte, dem alten, störrischen Mann etwas von seiner Meinung aufzuzwingen, doch wenigstens seine Drohung hatte ihre Wirkung nicht verfehlt. Mr. Forbes würde sich hüten, schon allein um seiner selbst willen, diesen Auftrag irgendwie in Gefahr zu bringen. Da John nicht in der Apotheke gewesen war, vermutete Tancrèd ihn an der Adresse, die er auf dem Zettel gefunden hatte. Also machte er sich auf den Weg, der sich als erstaunlich kurz herausstellte. Anscheinend hatte es John nicht sehr weit von seinem Elternhaus weggezogen. Etwas erstaunt betrat Tancred ein Gasthaus, in dem um diese Zeit noch nicht wirklich viel los war. Er schlenderte gemächlich zum Tresen, an dem eine ältere Frau energisch verschüttetes Bier vom polierten Holz schrubbte. "Entschuldigen sie bitte..", sprach er sie an, woraufhin sie mit freundlichem Lächeln den Kopf hob. "Ich suche einen John Forbes…"

"Oh ja. Er wohnt über unseren Stallungen." Sie deutete in den Hinterhof. "Aber ich glaube nicht, dass er da ist. Zumindest habe ich ihn heute noch nicht gesehen." Tancred nickte und zückte den Schlüssel. "Er erwartet mich, aber wir haben keine wirkliche Uhrzeit ausgemacht. Ich werde einfach oben auf ihn warten." Da Tancred ihr nicht den Eindruck machte, ein Einbrecher zu sein, und da sie eher glaubte, dass bei dem jungen Arzt nicht viel zu holen war, ließ sie Tancrèd zum Hinterhof durch. "Achten sie auf den Hund!", rief sie ihm noch nach, ehe die Tür wieder zufiel.

Tancrèd fand sich in einem mehr als Abstellplatz genutzten Hinterhof wieder und ging zu den leeren Stallungen hinüber. Dort fand er eine Holztreppe, die hinauf in anscheinend bewohnte Räume führte. Vor der Treppe lag ein riesiger Hund. Dieser schien behaglich in einem Haufen alten Strohs geschlafen zu haben und sah auf, als Tancrèd hinzukam. Der Franzose hatte nicht wirklich Angst vor Hunden, und dieses Exemplar wirkte nicht sonderlich gefährlich. Tancrèd streckte die Hand aus und ließ den Hund schnuppern, wurde schon kurz darauf quasi überfallen und musste das Tier erst einmal ordentlich kraulen, ehe es ihn zur Außentreppe ließ. Tancrèd stieg hinauf zum Freigang, öffnete mit dem Schlüssel die einzige Tür und fand tatsächlich eine leere Wohnung vor. Anscheinend war John wirklich nicht zu Hause. Er schloss die Türe hinter sich und sah sich um, interessiert betrachtete er Johns Tisch, auf dem er offensichtlich lernte oder Aufzeichnungen machte. Es roch nach Kräutern, ein sehr angenehmer Geruch. Ein rustikales Bett stand in einer Ecke des Zimmers. Tancrèd sah zur Tür, dann wieder zum Bett und entschied, dass es für ein Nickerchen nie die falsche Zeit gab. Er zog sich die Jacke und die Hose aus, stellte die Stiefel neben das Bett und hängte den Hut an einen Pfosten, ehe er sich auf die erstaunlich bequeme Matratze fallen ließ und die Augen schloss, um zu dösen.
 

John


 

Gott, er verfluchte den Alkohol!!!! Wie hatte er sich nur darauf einlassen können, noch den Abend zu bleiben. Sein Schädel dröhnte, als er sich aus dem Bett rollte und mit schweren Gliedern hinaus auf den Hof trat, um sich kalt am Brunnen zu duschen. Vielleicht würde das seine Lebensgeister wecken, schließlich musste er in die Apotheke, um seinem Vater bei der Lieferung zu helfen. Die war bestimmt schon da und sein Vater überlegte vermutlich bereits, ihm das Gehalt zu kürzen. Aber kürzer durfte es kaum sein, wenn John wirklich auf eigenen Beinen stehen wollte. Vielleicht sollte er im Chamber's fragen, ob sie noch einen Nebenjob für ihn hatten, damit er finanziell wirklich sicherer dastand. Dass Dominico ihm zugesichert hatte, dass die Apotheke genug Arbeit bekam, kam ihm selbst zwar auch zugute, aber am meisten profitierte definitiv sein Vater davon.

Er würde genug zu tun haben, aber ein Nebenjob würde ihn ein wenig entlasten, was seinen Vater betraf.

"Streuner?", fragte er halblaut, aber der Hund war nicht da. Er hatte ihn schon am Abend vermisst, als er ins Bett gewankt war. Normalerweise legte er sich immer zu ihm. Ob er alleine unterwegs war? Nun, letztlich war es nicht 'sein' Hund, sondern ein freier Hund. Aber irgendwie hatte er sich so an seine Anwesenheit gewöhnt... Vielleicht tauchte er wieder auf. John kehrte leicht schlotternd ins Labor zurück und zog sich sein Hemd und seine Hose an. Er roch den Alkohol und die Zigaretten daran und er wusste, dass er noch nach Hause müsste, wenn er nicht so bei seinem Vater auftauchen wollte - was keine gute Idee wäre. Sein Vater schaute ihn ohnehin immer so misstrauisch an.

Die Kapelle des Anwesens sagte ihm, dass es bereits Mittag war. Er musste dringend nach Hause!

Der Abend war gestern einfach zu lang und mit zu viel Alkohol verbunden gewesen. John packte seine Sachen zusammen und ging zum Stall, sattelte sein Pferd, wobei ihm einer der Angestellten half und kurze Zeit später war er auf dem Heimweg. Streuner war, obwohl er noch öfters gerufen hatte, nicht aufgetaucht.

Der Abend war ganz anderes verlaufen, als er es womöglich am gestrigen Morgen noch gedacht hätte. Kierans Worte hatten sie beide gerügt und zum Nachdenken gebracht - aber dass er an diesem Abend noch mit Dominico auf ein Band der Freundschaft angestoßen hatte, daran war definitiv der Alkohol schuld gewesen. Und Kieran, der darauf bestanden hatte. Wobei es ihn jetzt auch nicht wirklich störte. Sie hatten es tatsächlich geschafft, sich ein wenig normal zu unterhalten. Dieses elendige Gefühl, von allen allein gelassen zu werden, war weit weniger schlimm, als noch vor ihrem Streit. Er war erstaunt gewesen, wie abgeklärt und klar Dominico manche Dinge sah. Er hatte ihm einen verklärteren Blick zugedacht. Aber so konnte man sich täuschen. Das, was Alessandro und er für ihn und die Apotheke taten, rechnete er ihnen hoch an, auch wenn sein Vater das niemals verdient hatte. Dennoch war ihm die Apotheke wichtig. Der Rest waren Befindlichkeiten.

Jetzt würde es an ihm liegen, was er tun würde, wenn es soweit war. Würde er mitgehen oder nicht?

Er stieg vom Pferd ab und beschloss, es erstmal zu behalten. Vielleicht würde er noch einmal zum Hafen reiten. Schließlich würde Tancrèd in drei Tagen auslaufen und ob der Kapitän dann noch Zeit hatte, zu ihm zu kommen, bezweifelte er stark. Sicher war er wieder mit seiner Crew beschäftigt, das Schiff auf Vordermann zu bringen. Einen Moment tauchte der Lockenkopf vor seinem inneren Auge auf, doch er schob den Gedanken an Kadmin schnell wieder zur Seite. Sie hatten darüber geredet. Es war geklärt. Und Tancrèd hatte ihn noch nie belogen.

Er führte das Pferd also in den Hinterhof, wo Streuner auf ihn wartete. "Hier bist du also!", sage er und spürte eine gewisse Erleichterung in sich aufsteigen. Er hatte das große Zotteltier irgendwie in sein Herz geschlossen. Vielleicht weil es ihn beeindruckte, wie sehr er auf ihn fixiert war. So etwas war ihm noch nie passiert. Der Hund schien genau zu wissen, wen John mochte und wen nicht, wie es ihm ging und was er machen wollte. So etwas hatte er noch nie erlebt. Er versorgte das Pferd in der Box und Streuner schien ganz aufgedreht zu sein. Als er die Treppe hinaufstieg, kam er jedoch nicht mit. "Ich komme gleich, dann gehen wir in die Apotheke und machen vorher einen Umweg, damit du ein wenig Auslauf hast", sage er zu ihm herunter, dann drehte er sich um und schloss sein Zimmer auf. Dass irgendwas anderes war, das merkte er sofort, aber im ersten Moment sah er nicht was. Bis sein Blick auf den Hut am Bettpfosten fiel, er dann die Stiefel sah und dann schließlich den Mann, der es sich in seinem Bett gemütlich gemacht hatte. Sein Herz schlug hart gegen seine Brust, und John wusste nicht so genau, ob es da seltsame Gefühl gewesen war, dass jemand in seinem Zimmer war, oder die Freude darüber, wen er da sah. John schlüpfte schon an der Tür aus den Schuhen und ging so mit leiserer Sohle ins Zimmer. Der Kapitän hatte sich noch nicht geregt. War jener die ganze Nacht hier gewesen? Wenn, dann würde er sich verdammt ärgern, dass er nicht doch einfach nach Hause geritten war...

Er ließ sich an der Bettkante nieder und betrachtete den Mann, der dort so friedlich und entspannt lag. Eine seltsame Situation, dass der Franzose hier lag. Allerdings hatte er ihm ja den Schlüssel gegeben. Und letztlich freute es ihn ungemein, dass jener auch davon Gebrauch machte. Er zog sein Hemd über den Kopf, schlüpfte aus der Hose und legte sich dann dazu. Der ohnehin schon geringe Wille, zur Arbeit zu gehen, war gerade auf Null gesunken. Und so beugte er sich vor und küsste Tancred sanft auf die ihm so wohlbekannten und bereits vermissten Lippen, bevor er sich an ihn kuschelte und mit einem Lächeln genoss, dass jener reagierte, indem Arm um ihn legte und so festhielt. Unwillkürlich atmete John tief ein und aus und entspannte sich. Er war zu Hause.
 

Tancrèd


 

Wirklich einschlafen fiel dem Franzosen an Land immer schwer, doch Johns Bett roch nach John und fühlte sich nach John an, auch wenn der noch gar nicht so lang hier wohnte. Zu liegen tat nach dem langen Ritt sehr gut und er genoss es einfach, ein wenig zu faulenzen und nicht wieder in den Wanten herumsteigen zu müssen. Er würde noch einige Dinge hier in London zu erledigen haben, neben der Hinrichtung von Cromwell natürlich. Ein Ereignis, bei dem er eigentlich auch plante, anwesend zu sein... je nach dem, wann seine Anwesenheit auf dem Schiff gefordert wurde, weswegen er dringend auch noch den Sforzabrüdern einen Besuch abstatten musste. Offiziell natürlich nur, um sein Beileid auszudrücken. Sicher würde das der halbe Adelsstand Londons tun, weswegen es heikel sein würde, Alessio irgendwie zu treffen. Doch so umsichtig wie der Kardinal ihn kontaktiert hatte, glaubte Tancred nicht, dass Alessio jetzt unvorsichtig wurde.

Über diese Gedanken hin war er eingedöst und erst wieder aufgewacht, als es unten Geräusche gegeben hatte. Der Stimme nach zu urteilen war es John und den Schritten, die einige Zeit später auf der Treppe zu hören waren, war er allein. Ein Grund mehr für Tancrèd , einfach liegen zu bleiben und auch die Augen nicht zu öffnen. Die Türe quietschte leicht in den Angeln als John eintrat und offensichtlich kurze Zeit später bemerkte, dass er nicht mehr ganz so alleine in seiner Wohnung war wie zunächst angenommen. Tancrèd schmunzelte in sich hinein, als er Johns leise Schritte auf den Dielen spürte und dann sein Gewicht neben sich auf dem Bett. Noch immer rührte er sich nicht, gab sich Mühe entspannt zu atmen, so zu tun, als würde er schlafen. Das hatte er auf dem Schiff tatsächlich perfektioniert. Denn wenn seine Männer ständig wegen jedem Mist hereinkamen, war es manchmal hervorragend einfach, ignorant weiterzuschlafen. Doch John wollte ihn nicht wecken. Stattdessen spürte er, wie John sich neben ihm auszog und dann ausstreckte und ihm einen Kuss auf die Lippen hauchte. Ein Kuss der nach Alkohol und Zigaretten schmeckte.

Tancreds Augenbrauen zogen sich zusammen. War da wohl jemand in der letzten Nacht um die Häuser gezogen? Er zog John näher an sich und blinzelte dann. "Hmn.. Weinbrand und Tabak sind deine besten Freunde, was?" Seine Stimme klang rauchig dunkel, weil er auch einige Stunden nicht gesprochen hatte und er sog tief Johns Geruch ein. "Dein Bett ist wirklich bequem... Ich hoffe, ich bin dein Gast für die nächsten Tage. Ich habe vor, bis zum Tag von Cromwells Hinrichtung hierzubleiben." Er lächelte und drehte sich etwas, so dass er mehr Körperkontakt zu John bekam. Als sich ihre Blicke trafen merkte man deutlich, dass den Kapitän ein gewisser Schuh drückte Tancred konnte und wollte mit dem, was in der Apotheke geschehen war, nicht hinterm Berg halten. "Ich muss dir etwas gestehen...", gab er deswegen unumwunden zu, "Und ich will es gleich loswerden, um es hinter mich zu bringen... Ich war bei deinem Vater." Tancrèd sah John aufmerksam an, konnte in seinem Blick bereits den Widerwillen erkennen. "Es tut mir leid, aber ich konnte nicht anders. Das was du mir erzählt hast.. das konnte ich so nicht stehen lassen. Ich bin sicher, du denkst, dass es falsch war, und vielleicht hätte ich mich wirklich nicht einmischen sollen, aber ich kann nicht mit ansehen, wie er dich grundlos schlecht behandelt." Noch bevor John nachfragen konnte, setzte Tancrèd nach. "Ich habe nur gesagt, dass du bei der Arbeit an Bord von der Planke gefallen bist und wir dich nicht einfach herausziehen konnten. Das ich deine Panik nicht verstanden und nachgefragt habe und so hinter das gekommen bin, was er getan hat. Und ich habe ihm gesagt, dass ein Kind für die Schuld seiner Eltern nichts kann... und dass er es nicht wagen soll, noch einmal etwas derart zu tun, weil ich ihm sonst den Auftrag entziehe..."
 

John


 

Der Kommentar des anderen zur Begrüßung, die Tatsache, dass jener gleich redete, ließ John wissen, dass Tancrèd nicht geschlafen hatte, dass er nur so getan hatte. Dafür ging ihm die Stimme des anderen durch und durch. Ein wohliger Schauer jagte ihm den Rücken hinunter und er musste schmunzeln. "Vielleicht nicht die besten...", sagte er mit einem Seufzen in der Stimme. "Und so bald rühre ich auch keinen Tropfen mehr an. Vor allem nicht von diesem italienischen Gesöff namens Grappa." Dieses elendige Zeug, das gebrannt hat wie die Hölle, hatte ihm den Rest gegeben. Sicher hatte er nur deswegen diese verdammten Kopfschmerzen. Wer hatte die Flasche eigentlich geholt? Kieran war klüger gewesen und vorher ausgestiegen.

Als Tancrèd ihm offenbarte, dass er noch zwei Nächte bleiben würde und ganz offensichtlich vorhatte, bei ihm zu nächtigen, merkte er, dass ihn das freute. "Tztztz", antwortete er. "Kommt einfach daher, legt sich in mein Bett und will hier auch noch länger bleiben. Ich hoffe, dir ist klar, dass das nicht ganz kostenlos ist." Seine Finger wanderten über den Oberkörper des anderen. "Aber was die Bezahlung betrifft, bin ich sehr flexibel." Er grinste etwas, doch als der andere sich ihm zuwandte und leicht drehte, erlosch das Grinsen. Tancred war deutlich anzusehen, dass ihn etwas beschäftigte. John sah ihn fragend an und der erste Satz sorgte für ein sehr, sehr seltsames Gefühl in seiner Magengegend. Etwas gestehen? Was würde jetzt wohl kommen? War etwas geschehen? War etwas anders zwischen ihnen? Hatte er etwas falsch gemacht? Gott, wo kamen diese schrecklich dummen Gedanken her?

John wischte sie zur Seite, lauschte den Worten, die nun folgten. Mit jedem dieser wenigen Worte schien irgendjemand eine Hand um seinen Magen zu legen und langsam aber unbarmherzig zuzudrücken. Bei seinem Vater? Was hatte er da getan?! Sicher nicht um seine Hand angehalten...

John distanzierte sich fast automatisch vom anderen und rutschte etwas weg, während der sich und sein Handeln erklärte und ihm mitteilte, dass sein Vater wusste, dass er über früher geredet hatte. Tancrèd war der erste Mensch, dem er das so erzählt hatte, bei dem er offen hatte reden können. Selbst Kieran wusste nicht so viel davon! Was machte Tancrèd mit dem Vertrauen, das er ihm entgegengebracht hatte? John zog seine Hand zurück. Mochte sein, dass er schlecht behandelt wurde, vielleicht auch grundlos, aber war das nicht seine Sache? Er wollte etwas sagen, fand aber kaum Worte für das, was er empfand und so war Tancrèd schneller und erklärte ihm, was er seinem Vater erzählt hatte. John schloss den Mund wieder und senkte den Blick. Seine Augen wanderten unruhig hin und her, während er sich vor seinem inneren Auge ausmalte, was sein Vater nun dachte, wie er reagieren würde. Ausgerechnet die Sache mit dem Wasser... Hatte ihn sein Vater nicht sehr nachdrücklich eingebläut, dass solcherlei Dinge in der Familie blieben und niemandem erzählt werden durften! Sicher, heute würde er nicht mehr körperlich werden, würde ihm nicht mit Schlägen klar machen, dass Familienangelegenheiten niemanden etwas angingen. Aber er würde ihn psychisch umso mehr verletzten. Auch wenn er es gewohnt war und es in gewisser Weise überhören konnte - Tancrèds Einsatz für ihn würde ihm neuen Inhalt geben. Wenn er diesen für seine Schikanen missbrauchte, wusste er nicht, wie er darauf reagieren würde.

Der Franzose sprach weiter und John hatte das Gefühl, als würde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen. Tancrèd hatte seinem Vater auch noch gedroht? Als jener endete, blickte ihn John fassungslos an. Seine Gedanken überschlugen sich und er wusste nicht was er sagen sollte. "Ist dir eigentlich klar, was du da getan hast?", fragte er und merkte, dass seine Stimme bebte. Er versuchte ruhig zu bleiben, aber es war nicht sehr einfach. "Er hat mir immer gedroht, mir immer gesagt, dass ich mit niemandem über die Familie sprechen darf. Du warst der erste, Tancrèd, dem ich das erzählt habe. Selbst Kieran weiß nicht so viel, wie du. Und dann rennst du gleich los, und konfrontierst ihn damit? Dazu hast du kein Recht! Weißt du, was er machen wird? Er wird mich bei der nächsten Gelegenheit hinauswerfen, er wird mich jetzt hinauswerfen, schließlich sollte ich jetzt nicht hier liegen, sondern ihm helfen. Sein argwöhnischer Blick verfolgt mich und das wird sich sicher nicht ändern, nur weil du mit ihm geredet hast. Er wird das so nicht hinnehmen und er wird mich bestimmt nicht anders behandeln. Ganz im Gegenteil. Vielleicht wird er vordergründig höflich sein, aber er wird keine Situation auslassen, mich zu schikanieren und mich dazu zu bringen, selbst zu gehen. Und damit wird er warten, bis du weg bist, bis alle weg sind! Und dann sitze ich hier und darf mir überlegen, was ich ohne Job, ohne Geld und ohne Familie mit meinem beschissenen Leben anfangen darf!"

Dann kam ihm noch ein Gedanke, der ihm noch mehr Angst machte. Der Argwohn seines Vaters schlug gerade in eine bestimmte Richtung aus: in der Kirche am Sonntag war ausgiebig davon gepredigt worden, der Sodomie keine Chance zu geben. Auch in London kam die Sodomistenverfolgung immer mehr an. Sein Vater wusste vermutlich, dass er anders tickte, bzw. er würde ihm alles zutrauen. Aber würde er Tancrèd auch schaden? Würde er sie beide in Verbindung bringen? "Und außerdem traue ich ihm durchaus zu, dass er auch dich ins Visier nimmt. Er ist auch nicht machtlos und kennt unglaublich viele Menschen. Es muss nur ein falscher Satz irgendwo fallen und deine Reputation ist Geschichte." Seine eben noch so große Wut wich einer unbekannten Sorge.
 

Tancrèd


 

Dass er damit wohl mehr zerstört als gut gemacht hatte, ahnte Tancred bereits. Nur war es ihm anders einfach nicht möglich gewesen. Er hatte es nicht stillschweigend tolerieren können, auch wenn John vielleicht jetzt mehr Probleme hatte als vorher. Zumindest was die Momente anging, in denen er mit seinem Vater allein war. Er ließ zu, dass John von ihm abrückte, wandte aber den Blick nicht ab. "Es war ein Fehler und es tut mir leid. Aber ich würde es wieder tun." Das konnte er ruhig zugeben, denn es war schlicht und ergreifend die Wahrheit. "John, du bist ihm gar nichts schuldig. Ich gebe zu, nicht nachgedacht zu haben, als ich zu ihm gegangen bin, und vielleicht bin ich in dem Punkt zu weit gegangen, ihm zu drohen, aber das, was er dir antut, ist UNRECHT. Er lässt dich büßen für etwas, das deine Mutter getan hat, etwas, für das du rein gar nichts kannst. Wenn du aussiehst wie dein Erzeuger, dann ist es noch lange kein Grund, den Versuch zu wagen, dich zu töten. Ich wollte dein Vertrauen nicht missbrauchen, aber ich konnte es einfach nicht stehen lassen, ich konnte einfach nicht." Er griff nach Johns Hand und hielt sie fest, auch wenn John sie ihm erneut entziehen wollte. "Bitte, John... Ich kann nicht mit ansehen wie du dich von ihm knechten lässt, während er dir rein gar nichts als Hass entgegenbringt. Du brauchst diesen Mann nicht, du bist ein großartiger Arzt." Es war nicht leicht dort auf Selbstwertgefühl zu hoffen, wo schlicht und ergreifend keines war. John war nicht so erzogen worden, hatte nie Anerkennung von seinem Vater bekommen und letztlich war es doch das, nach dem alle Kinder strebten: der Stolz der Eltern zu sein.

Nun, wenn einer definitiv nicht der Stolz seiner Eltern war, dann war das Tancrèd. Er hatte nicht nur sein Erbe verprasst für nichts und wieder nichts, sondern sich mit seinen militärischen Aktivitäten ganz bewusst gegen seine Familie und jetzt sogar gegen sein Land gerichtet. Er hatte niemanden gehabt, aber seine Kindheit war etwas anders verlaufen als Johns und daher hatte er die Stärke gehabt, den Weg zu gehen, den er am Ende ja auch gegangen war. Als John davon sprach allein und einsam in London zu sein, wurde Tancreds Griff fester. "Ein Wort von dir und ich habe das Schiff morgen verkauft. Ich gehe nicht weg John, ich habe es dir versprochen. Ich werde ganz sicher nicht zulassen, dass er dir schadet - ganz egal was mich das auch kosten mag. Für dich ist es vielleicht seltsam, dieses Maß an Selbstaufgabe bei einem anderen und für dich zu sehen, aber es ist mein Ernst. Mich hält hier gar nichts außer Du! Wenn er glaubt, er schadet mir damit, dass er meine Reputation zunichtemacht, dann kennt er mich nicht. Ich weiß aber, dass ich von mir nicht auf dich schließen darf. Aber ich wünsche mir einfach so sehr, dass du den Mut in dir findest, ihm zu zeigen, dass du mehr bist als nur sein Lakai. Dass er ohne dich nicht den Dreck unter seinen Schuhsohlen wert ist." Er wusste, dass er im Grunde gegen eine Wand redete. John musste all diese Entscheidungen von alleine treffen, er durfte sich da eigentlich gar nicht einmischen. Es war allerdings wirklich leichter gesagt als getan und Tancrèds Gerechtigkeitsempfinden spielte vielleicht eine zu große Rolle für den Franzosen, der in seinem Leben so viel Unrecht hingenommen hatte. "Du musst keine Angst vor ihm haben, wirklich nicht."
 

John


 

John hob die Augenbrauen, als Tancrèd zugab, einen Fehler gemacht zu haben. Doch er würde ihn jederzeit wieder machen? Was sollte das?! Doch bevor er aufbrausend werden konnte, sagte der Franzose Dinge, die er wusste, aber bei denen er nie zugelassen hatte, dass sie sich in den Vordergrund drängen. Denn hätten sie das, dann wäre er jetzt wirklich ein Nichts und Niemand. Sicher, es war Unrecht, was sein Vater tat - das wusste er auch. Aber der saß am längeren Hebel. Er hatte es ertragen, war davon gelaufen vor der Konfrontation, hatte seine Wut an anderen ausgelassen - aber dafür hatte er ein Dach über dem Kopf, ein Bett und etwas zu essen gehabt, eine Ausbildung erhalten. John schloss einen Moment die Augen, um dem Blick des anderen zu entgehen, und wartete, bis Tancrèd aufhören würde, all diese Dinge zu sagen, die vielleicht mehr oder weniger stimmen mochten, ihm aber nichts brachten. Die Berührung an der Hand, ließ ihn diese zurückziehen, aber Tancrèd hielt sie zu fest. Er brauchte ihn nicht? Aber was bliebe ihm dann? Nichts! Sein Kopf schmerzte und ihm war übel.

Als Tancrèd weitersprach, blickte er doch wieder unwillkürlich auf. Was sprach er da? Vollkommener Unglaube stand ihm ins Gesicht geschrieben. Er würde sein Schiff für ihn verkaufen? Würde für ihn hierbleiben? Würde sich für ihn vollkommen selbst aufgeben? John war gerade überfordert. Hatte Tancrèd das soeben wirklich zu ihm gesagt? Das wäre das letzte, was er wollen würde - das konnte er gerade vermutlich als einziges sicher sagen. Aber dass der andere das tun würde? Und er sagte das mit vollkommenem Ernst. John schluckte und hörte den folgenden Worten nun wesentlich deutlicher zu, als der Lobhudelei, die er am Anfang hatte hören dürfen und die er für sich einfach nicht akzeptieren konnte. Es fiel ihm einfach schwer, sich selbst in einem guten Licht stehen zu sehen. Sicher, sein Vater trug daran die Schuld. Aber es war ihm einfach so in Fleisch und Blut übergegangen...

John fielen die Worte ein, die Tancred am Jahrmarkt verwendet hatte, als er von seiner Familie und ihrer Beziehung zueinander gesprochen hatte: "Ich bin Kreuzritter geworden, weil ich meiner Familie und den Spaniern entkommen wollte, ich wollte weg von ihnen, einfach nur weg und sie nie wieder sehen. Aber ich musste erkennen, dass man vor den Spaniern und all den Problemen mit der Familie nicht einfach so davonlaufen kann."

John lief letztlich auch nur davon, nur dass er das nicht räumlich tat, sondern im Kopf. Er hatte die absolute Konfrontation vermieden, immer. Aus Angst, das bisschen zu verlieren, was er immerhin hatte. Er hatte anders protestiert, sich anders und an anderen abreagiert. Während Tancrèd sich seinen Problemen schließlich mit Hilfe der Raashno gestellt hatte. Vielleicht hatte Tancred damit Recht, dass er sich seinem Vater anders stellen musste. Es reichte nicht aus, auszuziehen und in ein Angestelltenverhältnis zu wechseln, wenn das eigentliche Problem sich nicht änderte. Mochte sein, dass sein Vater akzeptiert hatte, dass er ausgezogen war. Aber deshalb sah er ihn nicht als gleichwertig an. Er übte letztlich nur noch mehr Macht auf ihn aus, weil er ihm den Geldhahn jederzeit zudrehen konnte. Letztlich war es auch genau das, was ihn an der ganzen Sache am meisten störte. Brauchte er wirklich keine Angst zu haben? Er hatte immer Angst gehabt, immer. Aber das war auch eine lange vorbereitete Angst gewesen, die sein Vater über Jahre hinweg in ihn hineingeflüstert und -prügelt hatte. War jetzt die Zeit gekommen, sie zu durchbrechen? Tancrèd hatte ihm dafür den Steigbügel gehalten. Ob er auf das Pferd aufstieg, das ihn in diese Schlacht bringen würde, würde er noch sehen müssen.

"Sag nie wieder, dass du dich für mich aufgeben würdest", sagte er schließlich leise. "Und wenn ich das jemals von dir verlangen würde, dann zweifle bitte meine Gefühle für dich an, bitte! Denn das wäre das letzte, was ich wollen würde!" Er sah den anderen eindringlich an. Langsam entspannte er sich wieder, merkte, dass er die Hand in der des anderen ruhig hielt. Er dachte an die Worte, die er auf dem Schiff im Bett gehört hatte - das Versprechen, das jener ihm gegeben hatte.

Und deswegen John bist du hier immer willkommen. Ganz egal was zwischen dir und mir sein wird, ob du in London bleiben wirst oder dein Weg dich in ein anderes Land führt - wenn du jemanden brauchst oder einen Ort brauchst, an dem du immer willkommen bist, dann komm zum Hafen und ich werde da sein."

"Es wird sich zeigen, was geschehen wird", sagte er dann ruhig. "Im Moment brauche ich ihn noch, weil er mein Leben gewährleistet. Aber so wie die Dinge bald stehen werden, wird das hinfällig sein. Wenn ich dann zum Hafen komme, und nach dir rufe, dann möchte ich nicht, dass du dein Schiff verkaufst, sondern dann möchte ich, dass du mich mitnimmst und fortbringst von diesem schrecklichen Ort, an den ich kaum gute Erinnerungen haben werde." Er sah den anderen nachdrücklich an. "Und bis dahin muss ich noch ein wenig kämpfen und mich behaupten, mich seinen Schikanen stellen. Vielleicht gelingt es mir ja wirklich, ihm zu zeigen, dass ich auch so etwas wie eine Daseinsberechtigung habe." Er lächelte matt. "Warum muss ich eigentlich zur Zeit ständig so emotional anstrengende Gespräche führen?", murmelte er dann und schloss die Augen, um den Kopfschmerzen ein wenig Herr zu werden. John konnte es insgeheim immer noch nicht fassen, was Tancrèd ihm da gerade gesagt hatte - aber während das Verhalten des sandeten ihm sorgen und auch wir bereiteten, machten ihn dessen Worte auch ein wenig glücklich, ein wenig sehr.
 

Tancrèd


 

Vermutlich hätte ihn der John, den er damals in der Taverne kennen gelernt hatte, bei solchen Worten einfach hinaus geworfen. Vermutlich auch zu Recht, denn immerhin hatten sie sich damals noch gar nicht richtig gekannt. Jetzt stellte sich das alles ein wenig anders dar und Tancrèd war froh, dass sein Geständnis John wachrüttelte und er nicht erneut die Augen und die Ohren vor dem verschloss, was so offensichtlich war. Eine Stimme in Tancreds Hinterkopf, vermutlich sein Gewissen in Form von Kadmin, fragte ihn gerade, ob er noch ganz richtig tickte. Ob er wirklich sein Schiff und sein Leben bereit war aufzugeben für diesen Kerl, der ihm mehr als einmal einen Korb gegeben hatte. Aber Tancrèd wusste, was er tat, und er bekam die Antwort, die er im Grunde erwartet hatte: John wollte auf keinen Fall, dass er sein Leben für ihn aufgab und das Schiff verkaufte. Denn so war es doch in einer gleichberechtigen Beziehung, die beide wollten, oder? Man wünschte dem Partner nur das Beste und dass er niemals etwas von seinen Träumen aufgeben musste, während man selbst bereit war, alles auf die Waagschale zu werfen, um für das Glück des anderen zu garantieren. Aber seine Worte hatten zumindest den richtigen Effekt. Johns Blick schien sich hinsichtlich seines Vaters zu klären und er schien auch zu verstehen, dass er nicht alleine war.

Sie schwiegen eine Weile, John schien sich ein wenig zu sammeln und seine nächsten Worte zeugten von einer gewissen Distanz, die er jetzt zwischen sich und seinen Vater brachte. Eine gute und sehr notwendige Distanz, wie Tancrèd fand. "Du wirst ja nicht alleine sein... Kieran ist noch da. Und so wenig es dir auch gefällt, ich bin sicher, dass Lord Sforza jederzeit für dich in die Bresche springen würde. Zumindest will ich ihm das geraten haben, sonst landen seine teuren Möbel irgendwo auf dem Grund des Meeres." Er schmunzelte, weil er selbst das Thema etwas auflockern wollte. "Was diese Themen angeht, dafür kann ich sicher gar nichts. Vielleicht häuft es sich ja nur, weil du es immer so lange aufgeschoben hast." Ziemlich sicher tat es das. Sanft zog er Johns Hand an seine Lippen und küsste sie. "Bei all den Mittelchen, die du hier hast, hast du nichts was dir bei deinem Kater helfen kann? Zumindest solltest du Wasser trinken...", sinnierte er leise. "Wieso hast du überhaupt so viel über den Durst getrunken?"

Er hatte Johns Hand losgelassen und sich aufgesetzt. Neben dem Bett hatte er einen Wasserkrug gesehen und füllte John jetzt einen Becher voll ein. Er konnte nicht viel mit Medikamenten anfangen, aber rudimentäre Kenntnisse hatte er auch, einige sogar dank Kieran. Er reichte John den Becher und gab sich nicht eher zufrieden, bis der den Becher auch geleert hatte. "Und wie genau stehen denn die Dinge bald? Es klingt beinahe ein bisschen so, als hätte ich etwas verpasst..."

Dass er zweifelsohne etwas verpasst hatte, wusste er ja selbst. Inzwischen war Kardinal Alessandro Sforza gestorben und John hatte dabei tatkräftig mitgewirkt. Ihm dämmerte auch bereits, dass John deswegen so betrunken gewesen war. Sicher war auf diese erfolgreiche Entwicklung der Dinge angestoßen worden, und das nicht zu knapp. Aber was hatte das letztlich mit John zu tun? Hatte ihm Alessandro eine ebenso hohe Belohnung dafür versprochen, wie ihm für die Überfahrt? Nun, ein wenig Geld würde John sicher gut zu Gesicht stehen. Tancrèd hatte es sich auch schon überlegt, dem jungen Mann finanziell unter die Arme zu greifen, aber das wäre einfach nur falsch gewesen. Er wollte John nicht kaufen, zumal das wirklich ein schlechtes Licht auf sie beide geworfen hätte. Tancrèd war nicht blind für das, was in London immer mehr Gestalt annahm und er wusste, dass er, solange er hier in London war, aufpassen musste, mit wem er sich wie oft und vor allem wo zeigte. Doch hier hinter verschlossenen Türen war ihm das einfach vollkommen egal. Er ließ sich wieder auf das Bett sinken und wartete darauf, dass John ihm ein wenig mehr von den letzten Tagen berichtete, an denen sie sich nicht gesehen hatten.
 

John


 

Das Bild der im Meer versinkenden Möbel löste ein leises Grinsen aus. „Ja. Kieran ist da – noch“, sagte er halblaut. „Er wird Dominico nach Italien folgen, sobald das möglich ist. Aber noch ist er da. Du hast recht, bzw. du hast mehr Durchblick, als ich das hatte.“ Er dachte an den Mittag, an den Disput mit Dominico und letztlich seine Kurzsicht. Er hatte den Überblick verloren und nur gesehen, wie alle anderen damit beschäftigt waren, sich ein neues Leben aufzubauen. Und was war mit ihm? Dass jemand an ihn dachte, daran war er nicht gewohnt. Das hatte man ja auch gerade eben bei Tancrèd gesehen. Jener dachte über ihn und seine Situation nach. Das zu akzeptieren und auch zuzulassen, fiel ihm schwer, aber es tat auch ein wenig gut. Dominico war auch selbst ein wenig schuld. Schließlich konnte er ja wirklich nicht damit rechnen, dass Dominico an IHN dachte, nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war. Wobei sich John sicher war, dass er es vor allem Alessandro zu verdanken hatte, dass er in den Vorkehrungen eine Rolle spielte.

John nickte leicht auf Tancrèds Worte hin. Das stimmte, er hatte es zu lange aufgeschoben, dass er über solche Dinge redete. Er hatte sein Leben damit zugebracht, sich zu verbarrikadieren und seinen eigentlichen Problemen davonzulaufen, in der Hoffnung, dass auf diese Weise etwas besser wurde. Aber nichts war besser geworden, sondern nur schlechter. Irgendwann hatte er resigniert – bis Kieran in der Tür stand und bis Tancrèd sich in seinem Leben eingemischt hatte. Wieso hatte dieser Mann hier neben ihm auch so eine Ausdauer darin, sich von ihm nicht vertreiben zu lassen? Was fand er an ihm? Er wurde aus dem Gedanken gerissen, als er die weichen Lippen des anderen auf seiner Hand spürte und den anderen ansah. Meine Güte, wie schaffte es dieser Mann ihn mit so kleinen Dingen so zu berühren?! Über so etwas hätte er bis vor kurzem gelacht, hätte eine Bemerkung parat gehabt, die den anderen von sich gestoßen hätte.

„Doch, das habe ich“, murmelte er noch immer irgendwie verwirrt. Sein Hirn war auch wirklich einfach nicht ganz auf der Höhe. John seufzte auf die Frage hinsichtlich seines Alkoholkonsums. „Das frage ich mich jetzt auch“, knurrte er und richtete sich etwas auf, nahm das Wasserglas, das ihm der andere reichte und trank in langen Zügen. Hm, das tat wirklich gut. Einen Moment sah er den Franzosen an.

„Hm, verpasst“, überlegte er dann, nicht wissend, wo er anfangen sollte. „Meine Medikation hat funktioniert. Der ganze Plan hat funktioniert“, begann er schließlich. Und sich selbst das so sagen zu hören, machte ihn irgendwie ein wenig stolz. Erst jetzt wurde ihm klar, dass es wirklich ER war, der diesen Plan hatte funktionieren lassen. „Als die Sforza-Brüder zurückkamen, war Alessandro noch nicht aufgewacht. Aber er lebte, es war alles in Ordnung. Als Dominico zu uns kam, fuhr er mich an, wie lange er noch schlafen würde. Irgendwie hat mich das wütend gemacht – unser Verhältnis ist ja ohnehin nicht so besonders. Er hat mich so genervt, weil er so emsig damit beschäftigt ist, seine Dinge zu regeln und hier abzuhauen und mir Kieran einfach so wegzunehmen, ohne darüber nachzudenken, ohne mit ihm darüber zu reden. Er macht die Dinge einfach, ohne mit den Betroffenen zu sprechen. Das macht mich teilweise immer noch wütend.“ John war wieder zurück ins Kissen gesunken und blickte zur Decke, ließ die Diskussion vor seinem inneren Auge noch einmal geschehen. „Wie auch immer. Ich glaube, wenn er gekonnt hätte, wäre mein Gesicht jetzt etwas mitgenommen. Aber seines sähe sicher nicht besser aus.“ Einen Moment schwieg er. „Zum Glück ist Alessandro in dem Moment aufgewacht und ich habe mich verabschiedet. Aber Dominico hat mich aufgehalten und mir erklärt, dass er niemanden vergessen habe. Ich vermute Alessandro hat ihm gesagt, dass er endlich mit offenen Karten spielen sollte. Wenn die Brüder England verlassen, wird die Apotheke und mein Vater finanziell abgesichert sein - auch wenn er das kaum verdient hat. Die Aufträge bleiben bestehen und auch das Labor etc. wird ihm weiter zur Verfügung stehen." Ihm kam der Gedanke, dass Tancrèds Drohung vermutlich dem entgegen stand. Aber das wusste sein Vater ja nicht. "Und wenn Kieran nach Italien aufbrechen wird, wird jedem, den er mitnehmen will, die Überfahrt gesichert sein. Letztlich liegt es nun an mir, wie ich mich dann entscheiden werde.“ Er konnte das immer noch nicht so ganz glauben, was da offensichtlich in das Testament von Alessandro verankert worden war. Gut, er hatte ihnen geholfen, aber das als Lohn dafür? Damit hätte er nicht gerechnet. „Nun und dann konnte ich nicht einfach abhauen und abends gab es eine kleine Feier. Dominico und ich haben uns in gewisser Weise versöhnt und das musste begossen werden.“ Er strich sich die Haare aus der Stirn, dann sah er wieder zu Tancrèd, der noch neben ihm saß und ihm zugehört hatte.
 

Tancrèd


 

Der Franzose lehnte sich nach hinten gegen das Kopfende des Bettes, als John ihm den Becher abnahm und gierig anfing zu trinken. Vermutlich brauchte sein Körper einfach Wasser und Flüssigkeit, um der Schmerzen Herr zu werden. Dass John etwas durch den Wind war, das hatte Tancrèd schon in dem Moment gesehen, als er die Augen geöffnet hatte. Aber da er nicht gewusst hatte, wo John gewesen war, hatte er angenommen, es habe an dem Treffen mit seinem Vater gelegen, doch John war anscheinend noch nicht in der Apotheke gewesen. Dabei hatte Mr. Forbes eindeutig auf ihn gewartet. Tancrèd nahm an, dass John das ein wenig teurer zu stehen kommen würde, seinen Vater sitzen gelassen zu haben, doch er hoffte trotzdem, dass seine Ansprache nicht ganz auf taube Ohren gestoßen war und sich Mr. Forbes ein wenig vorsah. Ein wenig in Gedanken folgte Tancrèds Blick einem Wassertropfen, der sich von Johns Kinn einen Weg nach unten bahnte und über dessen nackte Brust lief.

Wie konnte ein Mensch so schön sein wie John? Vielleicht sah er die Sache wirklich ein bisschen zu verklärt, doch Johns helle, schöne, ebenmäßige Haut wirkte auf ihn wie aus feinstem Perlmutt und seine langgestreckte Gestalt, die auf andere vielleicht schlaksig wirken mochte, wirkte für ihn wie das Gemälde eines Künstlers.

Erst als John zu sprechen begann, sah Tancrèd wieder auf. "Herzlichen Glückwünsch", kommentierte er Johns Erfolg, den der junge Mann jetzt erst selbst zu begreifen schien. John war perfektionistisch in seiner Arbeit und anscheinend hatte ihn der Alkohol auch für den eigenen Erfolg blind gemacht. Zumindest sah er gerade ob der Erkenntnis alles "richtig" gemacht zu haben, wie ein Lächeln über Johns Gesicht zuckte. Die Enthüllungen über die letzten beiden Tage, die Tancrèd mitbekam, ließen ihn einerseits innerlich zufrieden aufseufzen, andererseits hellhörig werden. ...und mir Kieran einfach so wegzunehmen, ohne darüber nachzudenken...

Tancrèd wusste, wie sehr John an Kieran hing. Sie waren gute Freunde, ein eingeschworenes Team. Doch Kieran hatte für John auch eine ganz andere Bedeutung, nämlich eine, die den Startpunkt markiert hatte, an dem John angefangen hatte, sein Leben aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Mit Kieran war John nicht mehr allein gewesen und Tancrèd verstand, wie wenig er diesen Mann aufgeben wollte, der die Türe zu all dem aufgestoßen hatte, was John jetzt widerfuhr. Dass Nico und Alessandro vorgesorgt hatten, auch für John, das hatte Tancrèd angenommen. Von dem Moment an, an dem er sie alle in seinen Plan eingeweiht hatte, war das fast unvermeidlich gewesen. Alessio musste sich absichern, dass niemand nach ihm suchte, bis er über alle Berge war. Gerade Tancrèd würde er extra bestechen müssen. Zwar war der Franzose aus anderen Gründen loyal als wegen des Geldes, doch er war der einzige, der sagen können würde, wo die Männer sich aufhielten. Auf einer einsamen Insel waren Alessandro und all die Leute, die er dort hinzuholen gedachte, einem Angriff schutzlos ausgeliefert. Das würde zwar nur über seine Leiche passieren, aber Alessandro hatte trotzdem vorgesorgt und er beschwerte sich nicht über zusätzliches Geld. Dass Alessandro und Nico auch so vollkommen an die Apotheke und Johns Vater gedacht hatten, freute den Franzosen. Vielleicht war ein Alessandro Sforza auch einfach feinfühliger. Der Kardinal hatte eine unglaubliche Beobachtungs- und Auffassungsgabe und wer konnte schon wissen, was Alessio sich bei John gedacht hatte? In jedem Fall hatten sie ihm die Freiheit geschenkt, irgendwann dann, wenn Nico gehen würde.

"Du hast mit Dominico zusammen getrunken? Ich glaube eher dein Schädel ist seine Art der Rache für sein blaues Auge..", murmelte er mit einem Grinsen im Gesicht. "Und jetzt beraubt er mich meiner herrlichen Nachmittagsbeschäftigung..."
 

John


 

"Damit könntest du recht haben", knurrte John und richtete sich auf. "Und das ist mindestens eine gleichwertiger Schmerz." John stand auf und ging zu einer Kommode, von dem ein Fläschchen nahm. Als Tancred ihm offenbarte, dass er seiner "Nachmittagsbeschäftigung" beraubt wurde, hob er die Augenbrauen und blickte den anderen an. "Bin ich das für dich? Deine Nachmittagsbeschäftigung?" Er trank den Trank und trat wieder ans Bett. Seine Hand glitt wie zufällig über seinen Oberkörper und er streckte sich leicht. "Schon schlimm, immer diese Verpflichtungen. Dabei fallen mir so einige nette Dinge ein, die wir stattdessen tun könnten", schnurrte er dann, während Tancrèd näher zur Bettkante rutschte. John griff zu einem frischen Hemd, das auf einem Regalbrett neben dem Bett lag, und zog es über. "Allerdings habe ich auch ein paar Verpflichtungen", sagte er dann und griff zur Hose, während Tancred vor ihm saß.

"Aber bist du heute Abend dann da? Oder wird es spät bei dir? Ich fürchte, ich werde heute nicht alt. Und wenn ich morgen wieder den halben Tag ausfalle, dann bin ich wirklich selbst schuld, wenn ich keinen Job mehr habe." Während er sprach, zog er sich die Hose an. "Aber es wäre schön, deinen Atem heute Nacht neben mir zu hören, und nicht den von Streuner." Als Tancred aufstand beugte sich John vor, um ihn zu küssen. "Und auf morgen Abend erhebe ich dringenden Anspruch", wisperte er gegen die Lippen. "Es ist vielleicht der letzte Abend." Zumindest der letzte Abend, bevor Tancrèd Alessandro und Rodrego nach Italien bringen würde. Und wer wusste schon, was passieren würde. John merkte, dass ihm dieser Gedanke Angst machte.

London 3 - Einen Weg finden

Dominico


 

Tatsächlich hatte Dominico nicht den gleichen dicken Kopf wie John, als er am nächsten Morgen aufwachte. Das lag vermutlich daran, dass er den Grappa gewohnt war, den sie getrunken hatten. Außerdem hatte er sich gezwungen, vor dem zu Bett gehen noch zwei ganze Krüge mit Wasser leer zu trinken, auch wenn das nicht gerade angenehm gewesen war. Seine Blase hatte dreimal in dieser Nacht gedrückt, aber dafür fühlte er sich nicht ganz so miserabel und sein Kopf war ziemlich klar, als er am Morgen neben Kieran erwachte. Seine Finger fuhren durch das inzwischen deutlich längere Haar des jüngeren und kraulten sanft seinen Kopf. Durch das geöffnete Fenster strich frische Morgenluft herein und Nico atmete tief den Duft des Grases ein, der mit dem Luftzug hereinkam. Heute würde alles hervorragend sein... zumindest dachte er sich das. Er wusste, dass einige Leute zu Besuch kommen würden, um ihm zu kondolieren, doch das spielte jetzt nicht vordergründig eine Rolle. Giulia war sicher schon wach und kümmerte sich darum, während seine Unpässlichkeit mit Trauer leicht zu erklären war. Die einzige Trauer, die er dabei aber wirklich empfand, war, dass er Kieran im Laufe des Tages wieder hergeben musste. Er zog ihn wieder näher an sich und drückte ihre nackten Körper näher aneinander. Wieso war er überhaupt nackt? Etwas verwirrt kramte er in seinem Gedächtnis danach, ob er mit Kieran noch "zur Tat" geschritten war, und ihm kamen Giulias Worte in den Sinn, dass er in dieser Richtung abgebaut habe. Er beschloss, Kieran zu fragen sobald dieser aufwachte, zumindest ob er wirklich so "schlecht" war. Er nahm einfach an, dass Giulia ihn hatte aufziehen wollen...

Als Bewegungen in Kieran kam, schmunzelte Dominico und strich dem Jüngeren das Haar aus dem Gesicht. "Guten Morgen, schöner Mann…" begrüßte er Kieran leise und drückte ihm einen Kuss auf die schönen Lippen. "Du bist wunderschön, wenn du gerade aufwachst.." so verschlafen und niedlich wie Kieran aussah, wollte Nico am liebsten jetzt über ihn herfallen und ihn zu Tode knuddeln. Dass er außerordentlich gute Laune hatte, merkte er mehr und mehr... aber das musste schließlich auch mal sein.

 

 

Kieran


 

Kieran streckte sich leicht der kraulenden Hand entgegen, die durch sein Haar fuhr. "Hmmmm", schnurrte er im Halbschlaf und ließ die Augen noch immer geschlossen. Es war spät gewesen, gestern, aber es war auch verdammt schön gewesen. Dominico und John sich gemeinsam betrinken zu sehen, war gut gewesen, hatte ihm gut getan. Er hatte gut verstehen können, dass John gelitten hatte. Da er selbst nichts gewusst hatte, nur geahnt und darauf vertraut hatte, hatte er das Thema bisher bei John vermieden. Er hatte ihm keine womöglich falschen Hoffnungen machen wollen. John musste gedacht haben, dass er einfach allein zurückgelassen werden würde. Auch wenn Kieran wusste, dass Tancrèd alles versuchen würde, John zu sich zu holen, war ungewiss, ob John das mitmachen würde. Irgendwann wäre England für den Kapitän aus Frankreich kein sicherer Hafen mehr. Und dann? Was Dominico sich überlegt hatte, war wieder einmal ein umfassendes Paket an Sicherheiten gewesen, die für alle das Beste bedeuten würden. Das war einer der Gründe, weshalb er Dominico über alle Maßen liebte. Nun die beiden Menschen, die ihm sehr viel bedeuteten sich gemeinsam betrinken zu sehen, während sie sich am Mittag am liebsten gegenseitig die Köpfe eingeschlagen hätten, hatte irgendwie ungemein gefallen. 

Kieran drehte sich leicht zu dem Mann neben sich, der gestern Abend schon wirklich sehr betrunken gewesen war. Die Worte des anderen belegten das auch ein wenig, zumindest die Stimme. Sacht erwiderte er den Kuss und lächelte leicht, als der andere fortfuhr ihm Komplimente zu machen. "Ist es das schlechte Gewissen wegen gestern, oder offenbarst du mir gleich eine Katastrophe, dass du mir so viel Honig um den Mund schmierst, mein kleiner Held?", fragte er und öffnete die Augen, um Dominico anzusehen. "Deine sehr vielversprechenden Worte, die du mir ins Ohr geflüstert hattest, wurden ja nicht wirklich in die Tat umgesetzt und du schuldest mir so einige versprochene Höhepunkte meines Lebens." Ein leichtes Grinsen legte sich auf seine Lippen. Dominico hatte ihm gestern im Rausch in der Tat einiges nette Dinge ins Ohr geflüstert. Aber Kieran hatte John noch ins Labor bringen müssen, denn er hatte diesem nicht mehr zugetraut, dass er den richtigen Weg fand. Außerdem hatte er ihm noch einmal sagen wollen, wie wichtig er ihm war und dass er nie gehen würde, wenn er nicht wüsste, dass er entweder mitkäme oder glücklich wäre. 

Als er zurückgekehrt war, war Dominico auf dem Bett gelegen - nackt in seiner ganzen Pracht - und hatte tief und fest geschlafen. "Es war ziemlich frustrierend für mich, wie du da gelegen hast, in deiner Schönheit, und ich es nicht einmal geschafft habe, dich so weit wach zu bekommen, dass ich ein wenig mehr Platz im Bett bekam", fügte er hinzu. "Ich fürchte du lässt nach, mein Liebster!" Er sah ihn tadelnd an. Nico hatte sich tatsächlich kaum noch geregt, dafür aber den Wald ein gutes Stück mit seinem Schnarchen dezimiert. Nun, dafür hatte er jetzt etwas gut, so hoffte er zumindest. Dominico musste ja nicht wissen, dass er selbst auch ziemlich fertig gewesen war, so dass es ihm so fast lieber gewesen war. "Wenn das öfters vorkommt, dass du nicht mehr mithalten kannst, sollten wir überlegen, ob ich noch anderweitig spielen darf..." Als ob er das jemals könnte. Allein während er den anderen ansah, kribbelte es schon wieder in seinem ganzen Körper. "Bitte!", so dachte er. "Ich möchte dieses Gefühl niemals verlieren, wenn ich ihn ansehe."

Aus seinem Gesicht war das Grinsen gewichen und er sah den anderen ernst an. "Weißt du eigentlich, wie schön du bist, wenn du so glücklich bist?", fragte er dann. "Ich hoffe, dass ich dich in Zukunft nur noch so sehen darf. Dann wäre ich der glücklichste Mensch auf Erden."

 

 

Dominico

 
 

Kieran ließ sich Zeit mit dem Aufwachen und sie hatten ja ausnahmsweise auch mal die Zeit. Und vor allem wirklich eine riesige Sorge weniger. Nico hatte das noch immer nicht ganz realisiert, doch Cromwell war fort. Zwar war jetzt auch Alessio fort, doch gemeinsam mit Charles konnte er jede Schlacht, im wahrsten Sinne des Wortes, gewinnen. Und eine Schlacht würde es geben. Doch Nico brannte darauf, endlich etwas TUN zu können und nicht mehr nur darauf zu warten, dass Cromwells langwierige und künstlich gedehnte diplomatischen Bemühungen Früchte trugen. Sein Bruder würde in Sicherheit sein an einem Ort, der ihr Paradies werden würde. Wenn es soweit war, dann würde Nico jeden Tag in einem solchen Bett aufwachen und genau diesem Mann in die Augen sehen, der ihn jetzt anblinzelte.

Kierans erste Worte holten ihn dann aber sehr schnell wieder zurück in die Realität und Nico merkte, wie er rot wurde. Hatte er wirklich versagt? Er konnte sich an viel Grappa erinnern, aber nicht mehr genau an den Weg ins Bett und auch nicht daran, mit Kieran im Arm eingeschlafen zu sein. Wie peinlich! Nico kannte sich selbst leider zu gut und er wusste sehr genau, was er vermutlich alles von sich gegeben hatte, nur um dann direkt im Bett einzuschlafen und bis zum nächsten Morgen kein Stück von seinem Platz zu weichen... oh nein. Und Kieran machte es nicht besser. Zog er ihn gerade auf? 

Dass Kieran die gleichen Worte benutzte wie Giulia, konnte er ja nicht wissen, aber es machte ihm schon Sorgen. War er zu alt, um jemanden wie Kieran noch zufrieden zu stellen? Eigentlich eine unnütze Frage, weil Kieran sicher der letzte war, der Wert darauf legte, den ganzen Tag zwischen den Laken zu verbringen. Doch es war ihm schon sehr, sehr peinlich. Nico fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht und schluckte schwer, als Kieran auch noch nachlegen musste. Anderweitig spielen? Seine Augenbraue wanderte hinauf, als er sich etwas auf Distanz zu Kieran brachte. "Anderweitig spielen?" Was das hieß, konnte Nico sich lebhaft vorstellen. "Du solltest meinen Moment der Schwäche nicht unterschätzen... Für dich wird es gerade noch so reichen", proklamierte er beinahe feierlich und ließ die Hände über Kierans nackten Körper streichen. "Aber wenn ich dir tatsächlich einige Höhepunkte deines Lebens schulde, dann sollte ich doch sicher gleich damit anfangen, die Schulden abzutragen, hmn?" Ohne wirklich auf eine Antwort zu warten, tauchte Nico unter ihrer Decke ab. Als er wenig später Kierans wohliges Schnurren hörte, wusste er, dass er genau das Richtige tat und dass Kieran vielleicht gerade, weil er das hier wollte, ein wenig mit Provokation nachgeholfen hatte.

Aber Nico hatte seine Art sich zu rächen und als er Kierans Körper einige Zeit später eroberte, den Geruch ihres Öles in der Nase und Kierans weiche Haut unter seinem Körper, ließ er keinen Zweifel daran, dass er durchaus noch mithalten konnte. Wie bei einem erlegten Beutetier biss er Kieran zärtlich in den Nacken und drängte ihm die Hüfte entgegen, nur um innezuhalten sobald Kieran mehr forderte. Er ließ ihn auf die Erlösung warten, blieb einfach ruhig liegen und begnügte sich damit Kieran zu streicheln, bis er sich sehr sicher war, dass Kieran ihn umbringen würde, wenn er ihn jetzt nicht erlöste. Als der junge Arzt mit einem heiseren Aufschrei unter ihm ganz sicher einen der "Höhepunkte seines Lebens" genossen hatte, wusste Nico, dass er nie wieder einen anderen Mann oder einen anderen Menschen allgemein in seinem Bett haben wollte.

Er war schwer auf Kierans schweißnassen Körper gesunken, hatte ihn immer wieder geküsst und ihm leise italienische Worte ins Ohr geflüstert. Erst als er merkte, dass er zu schwer für Kieran wurde, wälzte er sich zur Seite und sein Blick fiel auf seinen Schreibtisch. Da er ohnehin ein Tuch brauchte, quälte er sich aus dem Bett und kam kurze Zeit später mit dem Tuch, einem großen Krug Wasser und einigen Papierrollen wieder zum Bett. Er ließ sich neben Kieran sinken und stahl sich einen weiteren Kuss. "Und.. immer noch der Meinung ich sei nicht mehr in der Lage, meinen Pflichten nachzukommen?" Erneut versiegelte er Kierans geöffnete Lippen und zog ihn wieder an sich, ehe er die erste Papierrolle offenbarte. Es war eine Gesamtkarte der Insel mit den Häuser beziehungsweise der vereinzelten uralten Bebauung, die bisher dort stand. Doch ein Architekt hatte bereits eingezeichnet, was Nico und Alessio so vorschwebte, und am Ende dieser Woche würden die Arbeiten bereits beginnen. Er hatte eine genauere Aufzeichnung der einzelnen Räume und Nebengebäude und hielt Kieran die Rolle mit dem Labor hin, dass sie zu bauen gedachten.

 

 

Kieran

 
 

"Hm, das solltest du wohl", bestätigte Kieran mit einem Schnurren in der Stimme. Er musste sich ein Lachen echt verkneifen. Dass es Dominico ganz offensichtlich peinlich war, was er ihm vorwarf, und dass jener tatsächlich zu überlegen schien, ob er ihm wirklich noch "gut genug" war, war einfach zu köstlich. Dabei gab es doch einfach niemanden, der ihn so befriedigte und so erfüllte und so glücklich machte wie Dominico. 

Umso schöner war es, als Nico ihm erklärte, dass er ihn allemal noch wurde befriedigen können. Dass er seine Quittung postwendend erhielt, nachdem Nico klar geworden war, dass er ihn nur aufzog, damit hatte er gerechnet. Wie diese 'Rache' aussehen würde, wusste er jedoch nicht. Und umso erregender war es daher, als Nico abtauchte... 

Er genoss es, diese süße Qual, dieses unbändige Verlangen, das Nico in ihm auslöste. Und als sie miteinander verschmolzen, fühlte sich Kieran vollkommen. Die 'Strafe' für seinen Vorwitz nahm er gerne in Kauf dafür, dass sich ihr Liebesspiel etwas länger hinzog, ihm den Verstand raubte und er schließlich einen unglaublichen Orgasmus erlebte. 

 

Schwer atmend und das Gefühl genießend, mit dem Gewicht auf dem Rücken, noch immer miteinander verschmolzen wurde Kieran klar, dass das, was er Dominico damals auf dem Dach gesagt hatte, immer gelten würde. Er würde dem anderen, seinem Mann - wenn man so wollte - überallhin folgen. "Ngh", keuchte er, als sich der andere von ihm und aus ihm löste, dann blieb er einfach liegen. Dass Nico aufstand, vermutlich, um sich zu reinigen, nahm er am Rande wahr. Anhand der Geräusche ahnte er, dass da noch mehr war und so regte er sich schließlich auch, drehte sich und rappelte sich hoch, um sich an die Rückenlehne zu lehnen. Nico setze sich zu ihm und küsste ihn sanft und Kieran grinste ob der Worte, die folgten. Bevor er antworten konnte, küsste ihn der andere erneut. "Du kommst deinen ehelichen Pflichten sehr zufriedenstellend nach", überlegte er und versuchte einen ernsten Gesichtsausdruck, aber er war einfach kein guter Schauspieler. "Ich sehe keinen Grund zur Annullierung."

Doch nun lenkten die Papierrollen seine Aufmerksamkeit auf sich. Während Kieran den Erklärungen lauschte und Fragen zum Beispiel im Hinblick auf das geplante Labor stellte, spürte er endlich auch diese Vorfreude, für die er bisher noch keine Zeit hatte, sie zu entwickeln. 

"Das wird paradiesisch", sagte er irgendwann. "Und zum Festland ist es nicht weit, wenn ich als Arzt weiter arbeiten möchte?" Auf der ersten Karte hatte man gut sehen können, dass es nicht weit war. Sicher ließe es sich einrichten, dass er zwei-dreimal die Woche hinüberfuhr, um Patienten zu behandeln. "Mit John im Labor wäre es Verschwendung von Ressourcen, wenn wir nicht praktizieren könnten. Er ist einfach der beste Alchimist." Er sah Dominico an. "Ich finde es schön, dass ihr das Kriegsbeil begraben habt."

 

 

Dominico

 
 

"Meinen ehelichen Pflichten...", echote Nico und musste lachen. Seinen ehelichen Pflichten kam er wohl am wenigsten in Kierans Bett nach, aber wenn man das, was sie verband, als Ehe bezeichnete - und immerhin hatten sie sich einen Schwur geleistet, dann war das schon richtig. Nico zog Kieran in seinen Arm und reichte ihm dann den Wasserbecher, um auch einen Schluck zu trinken, ehe sie beide den Plan begutachteten. Auf Kierans Frage hin konnte er nur schmunzeln. "Nein, zum Festland ist es nicht weit. Aber ich denke, wenn die Leute an Land merken, wer dort wohnt, dann werden schon sehr viele Fischer von ganz alleine kommen. Es gibt viele in der Bucht und immerhin müssen wir sowieso regen Kontakt mit dem Festland halten, weil wir uns auf der Insel nur bedingt selbst versorgen können. Du wirst den Anschluss ans Festland sicher nicht verlieren." Er erklärte Kieran die einzelnen Räume so wie es sich Giulia vorgestellt hatte und offensichtlich war Kieran recht begeistert von der Planung. Natürlich kam bei diesem unglaublichen Labor, für das sie tatsächlich keine Kosten scheuten, das Thema John wieder auf. John... Nico konnte sich sehr gut dahingehend an den letzten Abend erinnern und auch wenn sie beide auf Freundschaft getrunken hatten, so konnte er ein bisschen diabolische Freude darüber nicht ganz verwehren, dass John heute sicher einen fiesen Kater nach dem vielen Grappa hatte.

"Ob wir es wirklich begraben haben… nun. Das wird sich sicher mit der Zeit zeigen." Er war sich da noch nicht so sicher. Vor allem, weil er selbst noch keine Ahnung hatte, wie er es selbst schaffen würde, sich aus London zurück zu ziehen. Vielleicht würde es ihm nicht gelingen, ohne Kieran noch einmal wehzutun... sicher hatten Johns Fäuste dann wieder die passende Antwort für ihn. "Aber ich bin froh, dass es dich glücklich macht. Er ist sicher der beste und an seinen Fähigkeiten habe ich nicht den geringsten Zweifel. Vielleicht werden wir ja wirklich irgendwann noch Freunde." 

Das würden sie wohl werden müssen, denn auch wenn das Anwesen recht groß war, unendlich war es nicht. Nico zog das nächste Blatt heran und zeigte Kieran den Grundriss "ihrers" Traktes. "Hier schau. Dort werden wir wohnen." Die Zimmer wirkten schon im Plan recht groß und hell und ihr Bett war wirklich groß. Außerdem gab es eine Terrasse aufs Meer hin, auf der sie frühstücken konnten und einen großen bequemen Salon mit Kamin. Auch in ihrem Schlafzimmer gab es einen Kamin. Kieran kommentierte hier und da, was er von den Plänen hielt, und Nico hielt es an der Zeit dafür, den letzten Plan hervorzuziehen. Er zeigte ein Kellergewölbe, das aber offensichtlich ein Stück über den Boden ragte und so beleuchtet wurde. Es war im Grunde nur eine leere große Halle mit mehreren langen Tischen und Einbauten im Raum. "Und das hier", verkündete Nico feierlich "ist eure Bibliothek. Ich muss sicher nicht erwähnen, dass sie mit den wichtigsten medizinischen Schriften der ganzen Welt gefüllt werden wird."

 

 

Kieran

 
 

Irgendwie beruhigte es ihn, dass er nicht wirklich auf der Insel "gefangen" war. Er war es eigentlich sein Leben lang gewohnt gewesen, unterwegs zu sein, ohne ein Domizil zu haben. Der Schritt, in London zu bleiben, war schon eine Herausforderung für ihn gewesen und Ereignisse wie die Spanienreise oder seine Zeit an Board der Raashno waren Balsam für seine Seele gewesen - zumindest was das "Unterwegssein" betraf. Und vielleicht würde er dann auch einfach mal die italienischen Städte bereisen, von denen er schon gehört oder gelesen hatte. Er war tief in seinem Inneren immer noch ein Freigeist, der sich zwar gebunden hatte, aber eben an einen Mann, von dem er wusste, dass er ihn in dieser Hinsicht nicht festhalten würde. 

Dominicos Einschätzung hinsichtlich seiner Beziehung zu John, war richtig. Kieran nickte. "Es ist zumindest einmal ein Anfang gemacht. Ihr müsst ja nicht das nächste Mal auf Blutsbrüderschaft anstoßen und ihr müsst ja auch nicht die dicksten Freunde werden. Ich möchte eigentlich nur, dass ihr euch zuhört. John braucht viel Ehrlichkeit. Er hatte es nie leicht im Leben und du weißt vieles nicht über ihn. Ich kratze auch immer noch nur an der Oberfläche und mir wird angst und bange dabei." Wenn er über Johns Kindheit dachte, wusste er, dass er wirklich großes Glück gehabt hatte, bei seiner Familie gelandet zu sein, als er klein war. "Ich weiß, das entschuldigt nicht immer sein Verhalten, aber das sollte man nicht vergessen. Ich wüsste gerne, wie Tancred es geschafft hat, ihn zu knacken. Aber es ist nichts aus ihm herauszuholen." John hatte ihm zwar erzählt, dass die beiden so etwas wie eine Beziehung hatten, und Kieran fand, dass man John ansah, dass es ihm gut tat. Aber er machte sich auch ein wenig Sorgen. Tancrèd war ein sehr liebenswerter Mann, das wusste er nur zu gut. Aber würde John dieses Glück festhalten können, wenn der andere weg war? Wenn er wieder zu zweifeln beginnen würde und sein viel zu geringes Selbstwertgefühl... Kieran schüttelte den Kopf und damit den Gedanken ab. Er würde da sein und alles daransetzen, dass John nicht verspielte, was er erst gewonnen hatte. 

Als Dominico ihm ihren Wohnbereich zeigte, hob Kieran die Augenbrauen. "Das ist ja überdimensional groß. In dem Bett finde ich dich ja gar nicht mehr... naja wobei, wenn du schnarchst, dann vielleicht doch." Ein Grinsen zierte sein Gesicht. Wenn er durch die Pläne ein richtiges Bild bekam, war das alles wesentlich größer, als er alles, wo er je gelebt hatte. "Und du meinst nicht, dass das ein wenig zu groß ist?", fragte er vorsichtig. "Ich meine, so wie ich es verstehe, leben wir dort allein, oder? Wer hält das Haus in Ordnung und sauber und..." Er kam sich dämlich vor, aber so etwas musste ja auch mal thematisiert werden. "Während du draußen wahrscheinlich mit deinem Bruder und Rodrego Pferde züchtest, hab ich keine Lust, immer das Hausmütterlein zu spielen. Ich hoffe, das ist dir klar." Kieran blickte den anderen an und ein spitzbübisches Grinsen legte sich auf seine Lippen, als ihm ein Gedanke kam. "Oder versprichst du mir, dass du einmal die Woche sauber machst? Dann mach ich es den Rest der Woche. Dafür musst du es das eine Mal aber nackt machen."

 

Als Dominico den letzten Plan offenbarte, wusste Kieran erst nicht, was er da sah. Ein Keller, klar. Aber so groß und wozu waren die ganzen Regale? Würde man so viel auf der Insel anbauen können, dass hier Vorräte gelagert wurden? Wohl eher nicht. Doch auf eine Erklärung musste er nicht lange warten. Als er hörte, was geplant war, wurden seine Augen sehr groß. Er schluckte. Die Bücher, die er besaß, waren seine Heiligtümer. Er liebte Bücher und das wusste Dominico. Er hatte ihm schon einmal welche geschenkt, aber eine ganze Bibliothek? Er war sprachlos. "Und mit der Zeit", sagte er, "wird sie durch meine und Johns Bücher ergänzt." Das war wirklich das Paradies, oder? Er blickte wieder zu Dominico, dann umarmte er den anderen. "Grazie, amore mio!", wisperte er leise. Es gab nur eine Sache, über die sie nie geredet hatten. "Und wie schaffen wir es", fragte er vorsichtig, ohne Dominico loszulassen, "dass wir dort auch wirklich ankommen?" Nun, Nico würde nicht einfach so zu Henry gehen können und sagen: Hey, Henry, alter Freund! Ich pack morgen meine Koffer und geh nach Italien!

 

 

Dominico

 
 

"Tja, jeder geht mit seinem Schicksal anders um", sinnierte Nico und musterte den Plan ohne Kieran anzusehen. "Meine und Alessandros Kindheit war auch nicht immer rosig. Frag mal meinen Bruder, was man ihm während seiner kirchlichen Ausbildung alles angetan hat. Da spricht er heute auch nicht mehr darüber. Oder wie ich an der Waffe ausgebildet worden bin. In unseren Kreisen bist du mit, 10, 11, 12 bereits erwachsen und man erwartet von dir, nicht nur Gleiches zu leisten, sondern auch Gleiches zu ertragen wie ein erwachsener Mann. Und zwar ganz ohne mich beziehungsweise uns zu fragen, ob wir das wollen. Aber weder weiß das John, noch wird er sich vermutlich eine Vorstellung davon machen können, genauso wie ich nicht weiß, was ihm widerfahren ist." Er drehte sich etwas, so dass er Kieran wieder besser ansehen konnte. "Das mit der Ehrlichkeit ist eigentlich kein Problem, nur…" Er schwieg eine Weile und schien seine Worte abzuwägen. "Zu viele Mitwisser sind schädlich. Natürlich ist es nicht gut zu glauben, dass an einen selbst nicht gedacht wird, aber es war besser. Je mehr Menschen Alessandro in seinen Plan eingeweiht hat bis jetzt, desto teurer wird er. Das ist meine große Angst... ich vertraue dir und das weißt du. Ich vertraue eigentlich auch John und zwar nicht weil ich ihn mag, sondern weil ich glaube seine Prinzipien zu erkennen, jemanden mit gleichen Neigungen nicht zu verraten. Aber in mir, genauso wie in meinem Bruder, sagt eine leise Stimme: Bezahl ihn dafür. Belohne ihn dafür und pass auf, dass er dir nicht in den Rücken fällt. Wenn wir manchmal zu wenig von dem Preisgeben, was wir eigentlich planen, dann liegt das nicht daran, dass ich es vor dir oder vor John geheim halten will, weil ich egoistisch bin, sondern weil ich Angst habe, dass man euch deswegen schadet und weil ich so erzogen wurde. Es fällt mir noch schwer das abzulegen, aber ich denke ich werde besser. Und du, mein Freund.." Er fing an, Kieran zu kitzeln "bist heute ganz schön frech und erlaubst dir ziemlich viel. Pass nur auf, dass ich nicht noch einen Raum im Keller vorsehe, in den ich dich sperre..." Sein Grinsen wurde sehr viel breiter und nun selbst frecher "und in dem dich niemand schreien hören wird." 

Natürlich lag ihm nichts ferner als Kieran Schaden zuzufügen, aber er glaubte, dass Kieran schon wissen würde, von was er sprach. Dessen Einwand war ja auch gar nicht so unrichtig. "Da wir weder eine bestimmte Kleiderordnung dort haben, noch bestimmte Regeln..", sinnierte Nico, "und wir nicht am Hof erscheinen müssen oder anderweitige Verpflichtungen haben, sollte es dahingehend kaum Probleme geben. Trotzdem wird Alessio vermutlich dafür sorgen, ein paar wenige Leute zur Hilfe zu organisieren, die mit 'unserem Lebensstil' keine Probleme haben. Giulia ist der Überzeugung, dass sie davon einige finden wird, zumindest für die Küche. Denn wenn es niemanden gibt, der für den Kardinal kocht, dann ist er spätestens in 2 Wochen verhungert." Denn das hatten sie wirklich nie gelernt: Kochen. Jagen und ein Tier insgesamt zubereiten, das konnte Nico zwar, aber damit endete sein kulinarisches Geschick. "Auf dein großzügiges Angebot gehe ich trotzdem gerne ein. Denn so wie du klingst habe ich dann nicht besonders viel zu putzen, sondern eher andere Dinge zu tun. Ich glaube du unterschätzt, was ich, Alessandro und gegebenenfalls Rodrego zu tun im Stande sind. Nackt im Haus herumzulaufen, wird dabei wirklich dein geringstes 'Übel' sein." Sein Grinsen war erneut breiter geworden und ließ erst wieder nach, als Kieran nach der Bibliothek ernstere Töne anschlug.

"Wie wir das schaffen, weiß ich noch nicht", sagte er ernst und leiser als noch zuvor. "Es wird für mich zweifelsohne schwer werden allein, aber ich glaube nicht, dass ich besonders lange hier sein werde, jetzt wo Cromwell nicht mehr da ist. Henry will Krieg, will zeigen, dass die englische Flotte die stärkste in Europa ist. Er wird mich und Charles losschicken, um sie zu befehligen. Danach.." Er griff Kierans Hand und verwob seine Finger mit denen seines Liebsten "Danach werde ich einen Weg finden. Und wenn es der ist, einfach des Nachts von hier zu verschwinden, ohne Nachricht." Er sah Kieran in die schönen Augen und erkannte die Angst und Sorge darin. Wenn er ehrlich war, hatte er die auch, denn heil aus einem Seegefecht heraus zu gehen, war selten. Nico, der zwar schon oft auf See gewesen war, sich selbst aber definitiv nicht als Seemann bezeichnete, hatte Angst davor. "Du musst mir vertrauen, noch dieses eine Mal. Ich finde einen Weg Kieran.. ich finde einen Weg."

 

Kieran

 
 

Ja, dass Dominico auch keine Kindheit hatte, die von Zuckerschlecken geprägt war, das war ihm auch klar. Aber Dominico war mittlerweile eigenständig, hatte sich selbst gefunden und definiert. Diesen Prozess machte John gerade erst durch. John beschwerte sich ja da nicht drüber. Jedes Wort von seiner Vergangenheit musste man ihm aus der Nase ziehen. Aber seine Erfahrungen haben ihn misstrauisch, spitzzüngig und zynisch werden lassen. 

Kieran selbst hatte auch gemerkt, als er damals nach London gegangen war, wie es war, eine "sichere" Umgebung zu verlassen, um zu sich selbst zu finden. Es war keine leichte Zeit. 

Kieran ließ das einfach so stehen und sagte nichts zu Nicos Worten. Darüber könnten sie jetzt noch lange streiten, aber das mochte er nicht.

Ernüchternd war dann auch zu hören, mit welcher Motivation Alessandro und Dominico in die Wege geleitet hatten, dass John nicht vergessen wurde. Ja, wenn man jemanden in seine Schuld stellte, dann war die Chance größer, dass Verschwiegenheit herrschte. Und dass Unwissenheit bei manchen Dingen vielleicht besser war, das mochte sein. Aber ... nun, darüber hatten sie schon genug diskutiert. Und ja: es wurde besser. 

Als der andere ihn zu kitzeln begann, waren die dunkleren Gedanken sofort verflogen. Er lachte, als er hörte, was der andere sagte. "Ich fürchte, da habe ich dich auf falsche Gedanken gebracht. Wobei so ein Keller... Nun ja... Wir werden sehen." Auch seine Lippen zierte ein Grinsen und als Dominico darüber nachdachte, dass ein wenig Nudismus durchaus in Frage kam, musste er wieder lachen. Es tat gut, so unbeschwert zu sein, auch wenn dies Unbeschwertheit nicht von langer Dauer sein würde. 

Und spätestens mit den Worten 'Und er wird mich und Charles losschicken um sie zu befehligen.' war sie auch schon dahin. Kieran hörte in diesem Moment das, was er sich zwar schon gedacht hatte, aber wovor er am meisten Angst hatte. Dominico würde in den Krieg ziehen. Und diese Erkenntnis ließ ihn erstarren. Er sah den anderen an und erinnerte sich an den Tag, als er mit Tancrèd in das Seemanöver gekommen war. An die Angst, die er gespürt hatte, und wie sein Körper einfach nur noch funktioniert hatte, während er versucht hatte zu verdrängen, dass es auch sein letzter Tag gewesen sein könnte. 

Dass Dominico forderte, ihm zu vertrauen, war klar. Aber wie hoch waren die Chancen, dass Dominico aus diesem Krieg gesund zurückkehrte? Kieran nickte leicht und senkte den Blick. "Fahr in jedem Fall mit Tancrèd", sagte er tonlos. "Kein anderer hat so viel Erfahrung und kennt sein Schiff so gut wie er. Wenn du heil nach Hause kommen möchtest, dann wird nur er es schaffen, dich zurückzubringen."

London 3 - Biestiges Elend

Dominico

 
 

Nico hatte nichts mehr gesagt sondern Kieran einfach an sich gezogen und ihn geküsst. Er wusste, dass er mit Kieran über dieses Thema reden musste, aber er wollte es nicht jetzt und heute tun. Heute war einfach nur der Tag ihres Erfolges und er war glücklich. Er wollte sich jetzt nicht damit belasten, an den bevorstehenden Krieg und seine Rolle darin zu denken - und auch nicht daran, dass es vielleicht seine letzte Rolle werden würde.

Sie hatten noch eine ganze Weile im Bett mit den Plänen zugebracht, ehe Kieran - wie immer pflichtbewusster als Nico was das anging - aufstand, um nach dem Kardinal zu sehen. Im Haus war es sehr ruhig, die Bediensteten trugen allesamt schwarz. Auch Nico legte Trauerkleidung an, als Kieran den Raum verlassen hatte, und musste sich Mühe geben, wirklich nicht zu grinsen, als er den Raum verließ.

Als Kieran wieder kam und sich ganz verabschiedete, begleitete er ihn in den Stall und drückte ihm einen letzten Kuss auf die Lippen. "Meinst du, du kannst morgen Abend wiederkommen? Übermorgen wird mein Bruder so Gott will ablegen und ich würde mich besser fühlen, wenn ich dich in der Nacht bei mir habe." Er wollte Kieran bei sich haben, denn auch wenn Alessandro am Leben war, würde er ihn doch auf unbestimmte Zeit verlassen. Sie waren nie auf unbegrenzte Zeit getrennt gewesen und seinen Bruder nicht wieder zu sehen, nahm Nico mehr mit, als er offen zugab. Daher hoffte er, dass Kieran ihm häufiger Gesellschaft leistete, wenn Giulia und Alessio gleichermaßen nicht mehr da waren. Er würde eingehen vor Langeweile und Sehnsucht, es sei denn, Henry hatte es wirklich mehr als eilig.

Ein letzter Kuss in der Heimlichkeit des Stalles war ihre letzte Berührung, ehe Kieran das Pferd hinausführte und gen London ritt, während Nico noch ein wenig im Stall zurückblieb und nach seinen Pferden sah. Als er nachdenklich zum Haus zurückkehrte, fand er Giulia im großen Salon. Sie schniefte gerade sehr geräuschvoll in ein Taschentuch und klagte einigen Damen aus dem Hofstaat Annes' ihr Leid und ihre Trauer. Nico verbeugte sich knapp und verschloss sein Gesicht nur noch mehr. "Meine Frau braucht Ruhe, Myladys..", erklärte er ruhig und die Frauen nickten Verständnisvoll, ehe sie sich verabschiedeten.

Kaum dass sie hinaus waren, verdrehte Giulia genervt die Augen. "Gott sei Dank bist du endlich aufgestanden! So geht das schon den ganzen Morgen und mir fällt langsam nichts mehr ein, das mich zum Heulen bringt." Nicos Mundwinkel zuckten. "Du könntest daran denken, dass wir beide uns niemals wiedersehen", versuchte er es auf die Mitleidstour, doch sie lachte nur trocken. "Darüber freue ich mich am Ende vielleicht noch. Das einzige, das ich wirklich vermissen werde, ist das Tanzen mit dir." Nico schmunzelte und wollte sich gerade umwenden, als ein Diener den nächsten Gast ankündigte. Giulia raffte ihre Röcke und rauschte ohne ein Wort durch den Seiteneingang hinaus. Nico grummelte in sich hinein, atmete tief durch und zog die Jacke glatt, ehe er ein Handzeichen gab, das befahl, den Gast einzulassen.

Wie sich herausstellte, war es niemand, der wirklich kondolieren wollte. Herein kam, mit einem der Situation eigentlich unangemessenen Grinsen, kein geringerer als Tancrèd de Nerac. "Fahr in jedem Fall mit Tancrèd!" schossen ihm Kierans Worte durch den Kopf. Sein betont angespannt und beherrschter Gesichtsausdruck entspannte sich merklich, als er die Hände hinterm Rücken verschränkte und zu dem Franzosen hinschlenderte, der nur eingetreten war. Hinter ihm wurde die Türe geschlossen. "Tancrèd, ein unerwarteter Besuch, aber gar nicht unwillkommen." Tancrèd schmunzelte. "Ich bin hier, um Euch zu kondolieren, euer Gnaden." Sein Tonfall und sein Gesichtsausdruck sorgten bei Nico für ehrliche Erheiterung. Der Franzose nahm ihn aufs Korn, aber Nico konnte sich an so etwas heute gar nicht stören. "Danke, das ist sehr freundlich von Euch. Aber seid Ihr den ganzen Weg nur dafür von Gravesend hier heraufgeritten?"

Tancred schüttelte den Kopf und setzte sich in einen der bequemen Sessel, auf die Nico zeigte. "Nein, in der Tat nicht. Ich wollte hören, wie es mit dem Gepäck vorangeht, das der Kardinal mitzunehmen gedenkt. Es wäre mir sehr recht, wenn wir es nach und nach und am besten am Abend einladen, wenn die meisten anderen Seeleute bereits damit beschäftigt sind, sich den Abend mit Wein, Weib und Gesang zu versüßen. Ich will nicht, dass jemand misstrauisch wird, auch wenn ich den offiziellen Auftrag habe, die Leiche seiner Eminenz nach Italien zu bringen." Nico nickte langsam. "Das sollte sich einrichten lassen."

"Außerdem wird es notwendig sein, dass wir so früh wie möglich auslaufen. Das Meer wird sich vermutlich vor Tagesanbruch bereits langsam zurückziehen und das wird es uns leichter machen, den Rest des Flusses hinter uns zu bringen. Ich habe die Befürchtung, dass seine Majestät sich seiner Flotte besinnt, wenn Cromwell erst einmal tot ist. Ich habe vor, dann bereits auf offener See zu sein, so dass man uns nicht so einfach zurückbeordern kann, wenn Ihr versteht was ich meine." Nico nickte zum Zeichen, dass er verstanden hatte und einverstanden war. "Ich denke, das kommt den Plänen des Kardinals sehr entgegen. Reitet ihr schon heute zurück nach Gravesend?"

Tancrèd musterte Nico kurz, lächelte dann und schüttelte den Kopf. "Nein, ich habe noch Angelegenheiten in der Stadt zu regeln. Ich werde erst am Tage der Hinrichtung zurück nach Gravesend reiten, beziehungsweise in der Nacht zuvor. Ihr findet mich im Gasthaus, schräg gegenüber der Apotheke von Mr. Forbes."

"Ich wüsste gerne, wie Tancrèd es geschafft hat, ihn zu knacken." Der Satz stand plötzlich so klar in Nicos Hirn, dass ihm seine Gesichtszüge vollkommen entgleisten. "Ihr..", brachte er nur heraus, ehe er auflachte und sich die Hand vor den Mund pressen musste, um sein Lachen irgendwie zu kaschieren. "John? Ihr und John?" Er schien zwischen Fassungslosigkeit und absoluter Heiterkeit keinen wirklichen Zwischenweg zu finden. "Das kann doch nicht Euer Ernst sein! Was wollt Ihr denn bitte von diesem langen biestigen Elend?" Nun, gestern hatten sie sich ja ganz gut verstanden, doch John als Traum seiner schlaflosen Nächte? Nein! Tancrèd schien das anders zu sehen, doch er wollte nicht darüber sprechen. "Nun.. Ich denke, ich habe einiges, das ich von ihm will. Und ich muss sagen, dass er diese Wünsche nicht nur erfüllen, sondern auch übertreffen kann." Nico lachte noch immer und schüttelte fassungslos den Kopf. "Das glaube ich ja kaum... so langsam habe ich das Gefühl, die Insel wird zu klein."

Jetzt lachten beide Männer. Doch ihre Freude und Heiterkeit war nicht von allzu langer Dauer, denn es mussten sehr ernste Dinge besprochen werden.

 

 

Tancrèd

 
 

Als Tancrèd am gleichen Abend schließlich zurück in das Gasthaus kam, war dieses voll und Männer lärmten an den Tischen. Wie überall war der Aufbruch zu spüren, der Krieg zu greifen. Die Menschen wussten, dass Cromwells groß angekündigte Hinrichtung wegen Hochverrats einen Wandel bedeutete, und dass ihr König jetzt wohl offensiver gegen seine Feinde ins Feld würde ziehen können. John war nicht zu sehen und Tancrèd stahl sich leise nach hinten durch. Es war bereits sehr spät geworden. Nico hatte ihn nach einiger Zeit zu Alessandro gebracht. Der Kardinal hatte noch immer im Bett gelegen, erschöpft und blass, doch er schien voller Tatendrang zu sein. Man hatte ihn aufgesetzt, so dass er schreiben konnte, und seine Augen glänzten lebendiger, als sein geschwächter Körper es vermuten ließ. Ihn lebendig zu sehen hatte Tancred gezeigt, was für ein hervorragender Arzt John tatsächlich war. Eigentlich hatte er gehofft früher nach London zurückzukommen, doch es hatte einiges gegeben, das er mit den Sforzabrüdern besprechen musste. So zum Beispiel auch, dass er seinen Freibrief erhalten würde, sobald er wieder in London eintraf. Nico hatte es ihm versprochen und zugesagt, das Dokument bis dahin aus Henry herausgequetscht zu haben. Zudem mussten auch einige andere Modalitäten ihrer Reise noch abgeklärt werden.

Daher kam er erst in Johns neue Bleibe, als der schon ausgestreckt auf seinem Bett lag und schlief. Tancrèd lächelte und beobachtete den jungen Mann eine Weile, ehe er sich selbst ebenfalls auszog und zu ihm legte. Mit John im Arm gelang es ihm auch, schnell einzuschlafen. Der Duft und das Gefühl von Johns Haut ersetzten in gewisser Weise das sanfte Schaukeln des Meeres.

Als er am nächsten Morgen die Augen aufschlug, war John bereits dabei zu gehen. Sein Vater erwartete ihn und er wusste ja, dass John auf den Job angewiesen war, also ließ er ihn gehen. Er selbst bummelte noch ein wenig durch die Stadt, lauschte den Gesprächen auf dem Marktplatz und in den Gassen und vervollständigte so sein eigenes Bild von London und dem Umbruch, der überall zu sehen war. Vor einem Stand nahe der Kirche blieb er stehen und musterte die Auslage. Vielleicht...

Einige Stunden später kehrte Tancrèd zu Johns Wohnung zurück. John hatte gesagt, er wolle den Abend mit ihm verbringen, und Tancrèd wollte das sehr gerne. Dass er schon morgen wieder in See stechen würde, kam ihm zum jetzigen Zeitpunkt auch vollkommen absurd vor, aber es würde so geschehen. So wartete er auf John und darauf, einen letzten unvergesslichen Abend mit ihm zu verbringen.

London 3 - Vertraust du mir?

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

London 3 - Schutz

Tancred


 

Er griff Johns Hand und sie beide schwankten auf noch recht wackeligen Beinen aus dem Wasser. An Land wirkten die Körper immer so unendlich viel schwerer, wenn man zuvor so angenehm im Wasser gewesen war. Nachdem sie sich abgetrocknet hatten, sanken sie zufrieden auf ihre Decke. Die Sonne hatte den Boden so sehr aufgewärmt, dass er jetzt angenehm warm war und Tancred nur seine inzwischen wieder abgetrocknete Unterwäsche anzog, um nicht gänzlich nackt zu sein. Er griff nach der Weinflasche und öffnete sie, trank einen kräftigen Schluck und reichte sie an John weiter, ehe er in seiner Tasche nach etwas kramte und es dem jungen Mann reichte. "Hier... das ist für dich." Es handelte sich um ein mehrfach in Stoff eingeschlagenes kleines Objekt. "Es soll dich an mich erinnern, wenn ich gehe. Und es soll dich beschützen, zumindest ein wenig."

Als John den Stoff auseinander schlug, tauchte darunter eine schlichte Kette auf, die als Anhänger ein verhältnismäßig großes Kreuz hatte. Es war aus Gold und Silber gearbeitet, wirkte aber trotzdem nicht protzig oder teuer. Im längsseitigen Balken des Kreuzes versteckte sich ein Hohlraum, dessen Abdeckung geöffnet war und aus der ein Stück Papier herauslugte. Dein Anblick, tief und tobend, still, gewaltig, gefährlich und so wunderschön, verheißend und bedrohlich, so begehrlich, wer kann da schon noch widerstehen?
 

John


 

Schnell griff John zum Handtuch und trocknete sich ab, zog sein Hemd drüber, um nicht mehr zu frieren, und schließlich auch seine Unterhose. Als er sich setzte, reichte Tancred ihm den Wein, den er dankbar annahm und von dem er auch gleich trank. John schloss einen Moment die Augen und atmete tief durch. Als er hörte, wie der Franzose in seinen Sachen kramte, sah er ihn fragend an. Die Antwort war ein Stoffbündel, das ihm gereicht wurde. John war irritiert. Ein Geschenk? Für ihn? Als Erinnerung und zum Schutz? Er nahm das Bündel und zögerte einen Moment. Doch dann öffnete er es und was darunter zum Vorschein kam, wunderte ihn noch mehr - zumindest im ersten Moment. Er konnte nicht sagen, dass die Kette in ihrer Schlichtheit nicht wunderschön gewesen wäre, zu einem Mann passend und nicht zu auffällig. Aber wieso ein Kreuz? Er war alles, nur nicht religiös und sonntags ging er nur im äußersten Notfall mit seinem Vater zu dem Ort, wo er eigentlich direkt vom Blitz erschlagen werden müsste, wenn man den Reden Glauben schenken durfte. Sonntags... und mit einem Mal dämmerte ihm, was Tancred damit gemeint hatte, es solle ihn beschützen. Er blickte Tancred erstaunt an, begreifend, was das Kreuz bezwecken sollte. Dann sah er es wieder an. Jetzt sah er dieses kleine Fach, aus dem ein Zettel hinausschaute. Vorsichtig zog er den Zettel hinaus und las.

Es war ein seltsames Gefühl, das ihn durchströmte, aber auch ein schönes. War er so? Aber selbst wenn nicht... solange ihn der andere so sah, würde alles in Ordnung sein. John sah auf und in Tancreds Gesicht. Er war in solchen Dingen so schrecklich schlecht, dass es ihn diesmal fast schon schmerzte. "Danke", sagte er und seine Stimme klang so seltsam blass. Er legte den Zettel zurück, verschloss den Hohlraum und öffnete den Verschluss der Kette, um sie um den Hals zu legen - zumindest versuchte er es. Denn die ungewohnte Bewegung, den Verschluss zu öffnen und wieder zu schließen, gelang ihm nicht recht. Es waren Tancreds Hände, die ihm halfen und John drehte sich anschließend um, sah ihn an. "Sie wird mich beschützen. Und ich werde immer an dich denken, wenn ich sie sehe." Sanft versiegelten seine Lippen die des anderen Mannes und er lächelte in den Kuss. Diese Kette würde er nicht mehr ausziehen.

"Ich habe auch etwas für dich", sagte er, als sie den Kuss lösten. "Aber es ist nicht halb so schön oder wundervoll, wie dein Geschenk. Zumal es zu Hause steht und ich es dir erst morgen früh geben wollte, wenn du tatsächlich gehst."
 

Sie saßen noch ein wenig da und unterhielten sich. John fragte, wie lange sie wohl unterwegs sein würden, wenn alles glatt ging, das Wetter mitspielte und sich ihnen nicht zu viele Spanier oder Franzosen in den Weg stellen würden. Die Antwort war mindestens 5 Wochen. 5 Wochen... John kaute auf der Salami, die Tancred abgeschnitten hatte und geriet ins Grübeln. Nächste Woche würden die Vorlesungen wieder anfangen - das letzte Trimester für ihn und Kieran. In fünf Wochen konnte viel passieren, so viel.

Als sie schließlich im Dunkeln nach Hause ritten, wusste John gar nicht so recht, worüber er sprechen wollte, so dass sie schwiegen. Es war kein unangenehmes Schweigen - eher ein vielsagendes. Das, was sie am See geteilt hatten, würde ihnen ewig in Erinnerung bleiben.

Zu Hause überreichte John Tancred einen in ein schönes Tuch eingewickelten Kasten. "Ich sage dir gleich, dass du enttäuscht sein wirst. Es ist nichts Besonderes und gereicht nicht ein bisschen an die Kette heran." Er griff unwillkürlich zu dem schönen Schmuckstück, das unter seinem Hemd auf seiner Brust lag. "Aber ich dachte mir, dass du vielleicht so einen halben Gedanken manchmal an mich verschwendest, wenn du es siehst oder benutzt..." Er hatte noch immer das Backgammonspiel von damals, das er hatte mitgehen lassen und mit dem er selbst hin und wieder ihre Partie nachgespielt hatte. Nun überreichte er es in einem samtenen Tuch, das er eigens dafür gekauft hatte.
 

Tancred


 

Tancred hatte das Kreuz am Mittag mehr zufällig als bewusst auf dem Markt gesehen. Nachdem er einige Gerüchte gehört hatte, erschien es ihm klug, John dieses Geschenk zu machen. Auch wenn der Brünette erst scheinbar nicht verstand, was er mit dem Schmuckstück anfangen sollte, so fiel der Groschen sehr bald. Der Kapitän selbst hielt sich nicht an christliche Symbole. Er hatte gelernt, dass hinter dem Kreuz keine Institution stand, die ihn auffing... doch nun: Für John würde das Kreuz hoffentlich der Schutz sein, den er brauchte. Immerhin würde sich ein homosexueller Mann, der die Gesetze der Kirche mit Füßen trat, kaum so ein Kreuz um den Hals hängen, oder? Als John versuchte, die Kette zu schließen und es ihm nicht gelang, waren es Tancreds Finger, die die Kette schließlich schlossen. Sie passte perfekt auf Johns helle Brust und er küsste ihn sanft, als wolle er damit das Geschenk besiegeln. Dass John auch etwas für ihn hatte, überraschte Tancred. Doch er hatte sich damit abgefunden, dass John ihn wohl noch öfter überraschen würde. Da der Arzt sein Geschenk nicht dabei hatte und es langsam dunkel wurde, entschieden sie bald darauf, nach London zurück zu reiten. Tancreds Beschreibung seiner geplanten Route und der Zeit die er auf See zubringen würde, gaben John zu denken. Tancred konnte es sehen, doch er wusste nicht was er sagen sollte. John um Treue zu beschwören, erschien ihm sinnlos. Der junge Mann war ein Freigeist und würde erst recht mit einem anderen Mann gehen, wenn Tancred ihm die Treue aufzwang. Also schwieg er, und genoss den Ritt zurück nach London in der Dunkelheit, zurück in Johns Domizil. Schon als sie eintraten kam Johns Vermieterin auf ihn zu und reichte ihm einen Brief, den er schweigend entgegennahm und einfach einsteckte. Er war von Alessandro Sforza und enthielt vermutlich genauere Zeitangaben, doch Tancred wollte erst noch ein wenig Zeit mit John verbringen.

Als sie in seiner Wohnung ankamen, und John seinerseits ein Geschenk überreichte, wunderte sich der Kapitän, was wohl in diesem großen Kasten war. Als er das Tuch zur Seite schlug und das Spiel erkannte blieb er einen Moment beinahe wie gelähmt stehen, sein Blick war undurchsichtig ehe er lächelte und John wieder ansah. "Und wer soll es mit mir spielen, wenn nicht der Mann, den ich so sehr begehre?" Er legte das Spiel auf dem Tisch ab und zog John an sich, um ihn zu küssen, ehe er sich wirklich dem Brief widmete. Er enthielt, wie schon vermutet, eine genaue Zeitangabe, die ihn zwang, schon heute Nacht zurück nach Gravesend zu reiten. Während er den Brief über einer von John angezündeten Kerze verbrannte, schälte er sich aus seiner Kleidung. "Ich will dich festhalten, John, bis ich gehen muss. Auch wenn es nur noch Stunden sind aber... ich will jede Sekunde genießen."

John tat ihm den Gefallen. Eng umschlungen lagen sie in Johns Bett, einander haltend und einander liebend, so innig und ehrlich das Tancreds Herz bei dem Gedanken blutete, diesen Mann für 5 Wochen zu verlassen.

London 3 - The Tower of London

Alessandro


 

An anderer Stelle auf dem Anwesen Sforza luden drei Diener letzte Kisten in eine Kutsche. Giulia Sforza hatte endlich fertig gepackt und saß mit Dominico, Alessandro und Amadeo im Salon, wobei sie es sich mit letzterem auf einem Canapé gemütlich gemacht hatte. Dass ihr Assassine, ihr treuester Diener, der Mann war, der Giulia nicht nur geschwängert, sondern auch glücklich gemacht hatte, war für Nico noch immer schwer zu verstehen. Alessandro schien das leichter zu nehmen, war vielleicht aber auch mit den Gedanken an einem anderen Ort. "Hast du die Kiste?"

Giulia nickte - zum sicher zehnten Mal an diesem Abend. "Du solltest schlafen gehen Alessandro. Morgen musst du rechtzeitig am Treffpunkt sein." Der Kardinal sah wüst aus. Das schulterlange Haar hatte man ihm deutlich gekürzt und sein Bart war die letzten Tage willkürlich gesprossen. Um nicht aufzufallen, musste er sich so verändern, doch für Giulia war der Anblick noch immer ungewohnt. Draußen auf dem Hof stand Giulias Wagenkolonne. Sie bestand aus fünf großen Kutschen, wobei die Dame des Hauses mit zwei Ankleidedamen in der ersten Kutsche reisen würde und in den anderen vier angeblich Hausrat des Kardinals nach Italien brachte. Die Kutschen würden mit einer großen Frachtfähre über den Kanal setzen und dann auf dem Landweg nach Italien fahren. Statt Alessandros Hausrat würden sich bereits Menschen in den Kutschen befinden, die nach und nach alle nach Italien auswandern würden und ihr eigenes Hab und Gut auf die Kutschen geladen hatten.

Nico nippte an seinem Wein schien nachdenklich zu sein. Sie alle hofften auf ein gutes Gelingen am nächsten Tag und tatsächlich verabschiedeten sich die beiden Brüder alsbald ins Bett.

Alessio stand noch lange Zeit vor seinem Spiegel und musterte sein Spiegelbild. Morgen würde Cromwells Kopf fallen. Die Hinrichtung des engsten Beraters seiner Majestät würde der Höhepunkt einer ganzen Reihe von Hinrichtungen werden. Mit Cromwells Fall waren noch andere Männer und Familien bei Henry in Ungnade gefallen und der König griff mit harter Hand durch, nachdem er sich so lange an der Nase herumgeführt empfand. Rodrego würde einer dieser Männer sein, die im Schatten Cromwells auf dem Schafott ihr Ende fanden. In seinem Spiegelbild suchte Alessandro nach Reue darüber, diese Entscheidung getroffen zu haben, Rodrego so weit getrieben zu haben – doch er fand keine.
 

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Im Tower war es um diese Zeit noch stockfinster.

Dank einiger Umwälzungen und Umstrukturierungen war der Tower gut gefüllt. Dabei war es leider so, dass einige der Menschen gar nichts dafür konnten, hier gelandet zu sein, und einige dafür umso mehr. Cromwell hatte man in eine der besseren Zellen gesteckt, während Rodrego diesen Luxus nicht genießen durfte. Der Boden der Zelle, in der er hauste, war voller Stroh, um wenigstens etwas Wärme zu haben, doch Waschen konnte man sich nicht und es roch ohnehin nach Unrat und Exkrementen. Essen bekamen die Insassen hier nur spärlich, weil die Wärter ungern hinunterkamen. In dieser Nacht allerdings kamen die Wärter tatsächlich.

Rodregos Hinrichtung war vor Cromwells für den nächsten Tag angesetzt worden. Ein Priester war bei ihm gewesen, um ihm die Beichte abzunehmen, und er hatte Essen bekommen - danach hatte man Rod seinem Schicksal überlassen. Jetzt, noch weit vor Sonnenaufgang, öffneten zwei Wärter die Tür. Auf die fragenden Blicke des Mannes in der Zelle lachte einer der Wärter nur kalt. "Ihr habt nicht das Recht mit Cromwell hingerichtet zu werden. Ihr seid Katholik und dem König missfällt das. Ihr verdient es nicht auf Londons heiligem Boden bestattet zu werden, noch habt ihr das Recht, dass eurem Tode so viel Aufmerksamkeit zukommt. Ihr werdet aus der Stadt gebracht und in der Themse ertränkt, so wie es Verrätern wie euch gebührt. Führt ihn ab."

Man fesselte dem Schmied die Arme hinter dem Rücken und stülpte ihm einen dreckigen Sack über den Kopf, so dass er nicht sehen konnte, wohin es ging. Immerhin blieb ihm so auch der Blick auf andere geschundene Gefangene hier unten erspart. Der Wagen, in den man ihn steckte, roch muffig und modrig nach Tod und die Hufe der Pferde hallten laut in der stillen morgendlichen Stadt.

Nach einiger Zeit hielt die Kutsche an, knappe Worte wurden gewechselt, ehe die Kutsche wieder Fahrt aufnahm - schneller dieses Mal und ohne Rücksicht auf den Mann, der sich gefesselt kaum vor Schlaglöchern oder Unebenheiten schützen konnte.
 

Rodrego


 

Rodrego hatte die Augen geschlossen und streckte den Hals etwas, um seine Nase genau in dem dünnen Luftzug zu haben, der ihm wenigstens ein wenig frischere Luft brachte. Es gab genau eine Stelle in diesem Verlies, das er sich mit fünf weiteren Männern teilte, an dem man ein wenig frische Luft genießen konnte. Diese Stelle verteidigte er. Heute würde es soweit sein. Heute würde er endlich hingerichtet werden. Solange er noch hier war, wollte er wenigstens ein wenig frische Luft genießen und nicht in dieser Kloake sitzen, wie es die anderen taten.

Es war ein komisches Gefühl gewesen, in ein Verlies gesperrt zu werden, für einen Mord, den man nicht direkt begangen hatte. Er zweifelte nicht an dem, was er getan hatte, aber er hatte unterschätzt, wie anstrengend es war, über Tage diese Rolle zu spielen, die er damals an Alessandros Bett begonnen hatte, nachdem dieser eingeschlafen war. Er wusste nichts, wusste nicht, ob alles so geklappt hatte, ob Alessandro noch lebte, ob alles mit Dominico und dem Rest in Ordnung war. Sein einziger Anhaltspunkt, dass dem so war, war die Tatsache, dass noch mehr Ehrengäste ins Verlies gekommen waren, allesamt Cromwells Leute.
 

Die Kerkerinsassen hatten ihn freundlichst empfangen und wie es eben ist, wenn man Tiere in einen Käfig sperrte, musste man zunächst einmal durch die Hackordnung durch, die die Hierarchien der Insassen bestimmte. Er hatte insofern Glück gehabt, als dass er hier drei Männer hatte, die schon völlig resigniert hatten und gestört waren. Der Länge ihrer Haare und des Bartes bzw. der Abgeschlissenheit ihrer Kleider nach zu urteilen, saßen sie schon ein halbes Leben hier. Dem einen fehlten Finger, dem anderen bereits eine Hand. Die verbliebenen zwei hatten noch mehr Leben in den Augen, aber für jemanden, der einmal Anwärter für einen Ritterschlag gewesen war, der kräftig war und einstecken konnte, war es keine große Herausforderung gewesen, die Pöbeleien aufzugreifen und klar zu machen, dass er ein Mörder war, der auch den nächsten Mord begehen würde, wenn man ihm den Anlass dafür gab. Dass er ein blaues Auge hatte und einen geschwollenen Wangenknochen, einzelne blaue Flecke und eine lädierte Hand waren eben der Preis dafür gewesen. Zumindest hatte er jetzt frische Luft, einen heilen Hintern und seine Ruhe.

Schwieriger war da schon die Beichte mit dem Priester, als er wieder den Wahnsinn durchscheinen lassen musste. Den Wahnsinn, der ihn heimsuchte, weil er Alessandro Sforza getötet hatte, obwohl dieser nicht schuldig war. Er schaffte es ganz gut. In seinem nächsten Leben sollte er vielleicht einmal auf die Theaterbühne steigen.

Nun hieß es warten. Das war eigentlich wirklich das schlimmste gewesen. Er wartete, ohne zu wissen, worauf er warten durfte. Auf seine Hinrichtung? Sollte sie kommen! Wenn Alessandro ihn nicht mehr haben wollte, wenn er ihn nicht holen lassen würde - sollte der Tod schnell kommen! Solange er ihn nicht wieder sehen musste. Wenn er da stehen würde, vor dem Henker kniend, den Kopf auf das Holz legend und darauf hoffte, dass er nur einen Schlag brauchen würde, dann wäre die größte Qual, wenn er Alessandro noch einmal sehen musste. Dafür - so fand er - hatte er genug gebüßt.
 

Und sonst? Sonst würde er darauf warten, dass ihn hier jemand herausholte, vermutlich wenn er eigentlich zur Hinrichtung gehen sollte, oder unter einem seltsamen Vorwand. Alessio würde selbst hier sicher nicht auftauchen. Doch mit jeder Minute die verstrich, jede Stunde, die der Kirchturm ansagte, wurde der Glaube daran weniger. Es war eigentlich aussichtslos, dass der entmachtete, tote Kardinal irgendetwas tun konnte, damit er hier heraus kam, oder? Er dachte an ihre letzte gemeinsame Nacht, in der sie sich so verzweifelt aneinandergeklammert hatten. Er dachte an die Worte, die Alessandro zu ihm gesagt hatte:

Ich liebe dich Rodrego... ich liebe dich so sehr, dass es schmerzt, und ich habe dich schon immer geliebt. Und ich begehre dich mit meinem ganzen Körper, mit jeder Faser meines Seins.

Das waren die Worte, die wieder und wieder in seinem Kopf hallten und die ihn wärmten. An diese Worte glaubte er, wie ein Ertrinkender sich an den letzten Strohhalm klammerte.
 

Er war eingenickt aber sofort hellwach, als die Tür geöffnet wurde. Fragend sah er die beiden Männer an, die er nicht kannte. Zum Personal, das täglich hier die Runden drehte, gehörten sie jedenfalls nicht. Das Lachen, das er für seinen fragenden Blick erhielt, ließ ihn nichts Gutes erahnen. Das waren keine Männer von Alessandro, gewiss nicht. Aber was wollten sie hier? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Was sie verkündeten, war sein endgültiges Todesurteil. Es klang plausibel, dass er nicht zeitgleich mit Cromwell hingerichtet werden würde. Cromwell war die Hauptperson, die es zu richten galt. Wer war er? Ein Nichts, ein Niemand. Es war klar, dass er nicht zur gleichen Zeit hingerichtet werden würde. Es klang auch plausibel, dass er als Katholik nicht hier in London bestattet werden durfte. Als sie ihn packten, hatte er nur einen Gedanken: Nun, dann war es wohl wirklich so weit. Alessandro hatte es nicht geschafft - oder es nicht schaffen wollen.
 

Die Kutschfahrt war beschwerlich und es war irgendwie seltsam, dass er nun zwar frische Luft hatte, sein eigener Gestank ihm allerdings den Atem nahm. Die Kutschfahrt dauerte ziemlich lange, unerwartet lange. Wenn sie ihn nur in die Themse werfen wollten, wie sie es öfters machten, mussten sie doch nicht so weit fahren, oder? Aber gut... Diese Männer hatten ihre Anweisungen und alles andere würde sich zeigen. Vielleicht war es auch noch ein wenig als Folter gedacht, blind und mit verbundenen Händen in der Kutsche zu kauern. Nach drei Tagen ohne Essen und mit wenig Trinken waren seine Kräfte auch nicht mehr sehr ergiebig. Als die Kutsche endlich zum Stehen kam, war das auch schon wieder eine Erleichterung. Bald wäre es zu Ende - auch wenn er gehofft hatte, dass sein Ende schneller vorübergehen würde. Ertrinken war so gar nicht auf seinem Plan gewesen. Eigentlich konnte er gut schwimmen... und als er das letzte Mal geschwommen war... "Alessio", wisperte er, als die Tür aufging und er hinausgezogen wurde. Er sah nichts, hörte, dass ein paar Menschen da waren. Er hörte Wasser und Möwen, die nicht ungewöhnlich an der Themse waren. Und nun? Nun schien es das Ende zu sein. Endlich.

London 3 - Der Stoß ins Wasser

Alessandro


 

Der "Kardinal" hatte Vorkehrungen getroffen. Als Dominico Sforza zu so früher Stunde in den Sattel stieg, war es das teuerste Leder, das Alessandro hatte finden können. Das Pferd war einer der schönsten Hengste auf dem ganzen Anwesen, herausgeputzt und mit glänzender Zäumung. Das Pferd selbst war in Trauer gekleidet, über Nieren bis hinauf über den breiten geschwungenen Hals und um die kräftige Brust lag eine schwarze dünne Decke, durchwirkt mit goldenen Ornamenten. Sie passte perfekt zu Dominicos Trauerkleidung, ebenfalls schwarz und eigentlich schmucklos, von den Aufschlägen, verzierten Knöpfen und Mustern an den Nahtstellen einmal abgesehen. Er sah tatsächlich aus wie jemand, der den Sarg seines toten Bruders einem Mann überbrachte, der ihn nach Italien verschiffen würde. Neben diesem fürstlich-herrlichen Auftritt würde niemand einen genaueren Blick auf seinen Diener werfen.

Alessandros kurzes Haar war mit Fett nach hinten gekämmt worden und damit nicht so lockig wie man es normalerweise von dem Mann gewohnt war. Sein Bart nahm ihm die Ähnlichkeit zu dem rasierten Dominico und seine einfache Kleidung sorgte dafür, dass man ihn nicht als den Mann erkannte, der er eigentlich war. Außerdem ritt er keinen tollen und herausstechenden Hengst sondern eine der Stuten, die sie normalerweise zur Zucht verwendeten. Das Tier war ein Biest, in keinster Weise als hübsch zu bezeichnen, doch sie gab ein flottes Tempo vor und auch wenn ihre Ohren meistens hinten lagen und sie den Hengst schon anzickte, wenn er ihr nur zu nahe kam, vervollständigte sie das Bild eines einfachen Lakaien, der seinen Herrn zu diesem wichtigen Treffen begleitete, um niedere Arbeiten zu verrichten.

Amadeo war bereits einige Stunden vor ihnen aufgebrochen, mit einem einfachen Gespann und zwei weiteren Dienern. Das Gespann würde den Weg nach Gravesend nicht so schnell hinter sich bringen, doch es brachte die letzten Gepäckstücke zum Schiff, außerdem eine beträchtliche Summe Bargeld und Geschenke für die Mannschaft, die Stillschweigen zu wahren hatte über ihre Fracht. Getarnt als einfacher Transport von Lebensmitteln würden sie auch problemlos am Hafen ankommen.

Als Nico und Alessandro schließlich losgeritten waren, legte der Kardinal ein recht flottes Tempo vor. Er fühlte, wie die innere Unruhe ihn schier auffraß. Er hatte Angst vor dem, was sie vielleicht an ihrem Treffpunkt erwarten würde. Seine Anweisungen an Brandon waren ziemlich genau gewesen und letztlich hatte Nicos "ärgster Feind" nur deswegen zugestimmt, weil ihm die Idee gefiel, Cromwell allein auf dem Schafott stehen zu sehen. Außerdem hatte auch er Rodrego zu verdanken, dass Cromwell jetzt nicht mehr da war und so war er letztlich einverstanden gewesen. Doch ob es Leute gab, denen er trauen konnte und denen es wirklich gelang einen Gefangenen unter Vorgabe falscher Anweisungen aus dem Tower mitzunehmen? Was wenn jemand Verdacht schöpfte und sie am Treffpunkt keine Kutsche, sondern eine Einheit bewaffneter Soldaten erwartete? Wenn Rodrego bereits tot war… wenn ihn der Tower verschlungen hatte?

In seinem Plan gab es sehr viele "vielleichts" und "hoffentlichs", doch gerade diese Wahnwitzigkeit war es, die den Plan am ehesten würde aufgehen lassen. Als sie den Treffpunkt erreichten, trafen sie dort auf Amadeo, der die Kutsche bis hier hin begleitet hatte und abgestiegen war, um auf sie zu warten und sie im Zweifelsfall vor einem Hinterhalt zu warnen. Auf dem Weg von London nach Gravesend gab es nahe einer Weggabelung ein verfallenes Gasthaus, das nach einem Brand keinen "Nachmieter" mehr gefunden hatte. Reisende ließen dort meistens ihre Pferde an einem natürlichen Wasserloch trinken und ruhten etwas auf der noch halb intakten Terrasse des ausgebrannten Ladens aus, doch als sie ihn jetzt erreichten, war außer dem Italiener niemand zu sehen. "Gibt es schon Nachricht?" Amadeo schüttelte den Kopf. "Es ist noch zu früh Alessandro. Sie werden noch eine Weile brauchen. Innerhalb der Stadt und vor den Toren können sie nur langsam fahren. Immerhin glauben die Leute, sie haben einen Toten auf dem Wagen." Alessio seufzte und lenkte die Stute zum Wasser, wo das Tier ihn halb aus dem Sattel riss als sie den Kopf nach unten in das kühle Nass stieß. Nico musste ob dieser doch komischen Situation lachen und Alessio grunzte unwillig. "Spar dir dein Lachen für später, wenn alles gut gegangen ist, und haltet euch an das, was ich gesagt habe! Niemand spricht auch nur ein Wort." Er wollte nichts verraten. Er wollte sehen, was passierte, wenn sie ihn aus der Kutsche holten. Ob Rodrego wirklich für ihn bis zum äußersten gehen würde.

 

Es dauert noch eine geschlagene halbe Stunde, bis das Hufgetrappel einer Kutsche zu hören war. Der Himmel färbte sich zwar inzwischen grauer am Horizont, doch noch war es immer ziemlich finster und nur die Sterne und der Mond erhellten die laue Nacht. Die Öllampen an der Kutsche waren schon von weitem zu erkennen und offenbar handelte es sich wirklich nur um eine Kutsche ohne weitere Begleitung. Die Pferde liefen einen strammen Trab, schienen jedoch noch nicht lange zur Eile getrieben worden zu sein, denn sie schnauften kaum, als der Kutscher die Zugtiere zügelte. "Ist das der Gefangene?" fragte Amadeo in ruhigem, leisem Ton, so dass man ihn in der Kutsche kaum würde verstehen können. Die Männer bejahten diese Frage und bekamen daraufhin von Amadeo selbst zwei Beutel voll Silber überreicht, die ihnen sicher nicht nur Blindheit sondern auch die Sprache verschlagen würden. Die beiden Fahrer stiegen ab und Amadeo, der zuvor noch einen Blick in die Kutsche geworfen hatte, um sich zu vergewissern, dass sie den richtigen Inhalt hatte - und zumindest der Kleidung nach war er es - schwang sich auf den Kutschbock und griff die Zügel, um nun in wesentlich schnellerem Tempo die Kutsche Richtung Gravesend zu lenken. Alessandro und Dominico ritten der Kutsche voraus, die normalerweise dazu gedacht war, Särge zu transportieren.

 

Als sie Gravesend erreichten, kroch bereits die Sonne über den Horizont und färbte die aufgerollten Segel der Schiffe am Hafen dunkelrot. Die Hufe der Pferde schlugen laut über das Kopfsteinpflaster der Straßen und weckten sicher den ein oder anderen Bewohner aus seinem friedlichen Schlummer, doch sie sahen so früh niemanden auf dem Weg zum Hafen. Lediglich in einigen Bäckereien war Licht zu sehen und der Geruch frisch gebackenen Brotes erfüllte die Gassen. Je näher sie dem Wasser kamen, desto eher roch es nach dem Fluss. Die teilweise heftigen Regengüsse der letzten Nächte hatten ihn anschwellen lassen, dafür aber auch sein Wasser gereinigt das während der langen Hitze brackig geworden war. Nach dem man den Rumpf der Raashno ausgebessert und geteert hatte, war sie wieder ins Wasser gezogen worden und hatte einen Liegeplatz ganz vorn am Pier bekommen, wo sie bequem auslaufen konnte, ohne dass andere Schiffe ihr im Weg waren. Auf dem Kriegsschiff herrschte rege Aktivität. Ihr Wagen war bereits dort und Matrosen luden die Kisten ein, die Giulia noch für sie gepackt hatte. Der Kapitän selbst stand bereits an der Reling und hob die Hand, als er sie näher kommen sah, kam über die Gangway nach unten. Nico ritt ihm entgegen, während Alessio absaß und Amadeo ebenfalls vom Bock stieg. Als der Assassine die Türe öffnete, schlug ihnen wirklich ein unangenehmer Geruch entgegen. Rodrego stank erbärmlich, als sie ihn aus der Kutsche holten. Der Schmied war von der Fahrt ein wenig steif, wehrte sich aber nicht, als die beiden Männer ihn schweigend zum Rand der befestigten Kaimauer bugsierten. Amadeos Blick schien ihn zu fragen, ob Alessio Rod wirklich im Unklaren lassen wollte, doch der Blick des Kardinals war inzwischen lange nicht mehr so ängstlich und kalt. Vielmehr wirkte er sehr, sehr froh und erleichtert. Er zückte einen Dolch und hakte ihn in das Seil, das Rodregos Hände fesselte, ehe er mit der anderen Hand die schmutzige Kappe griff, die Rodregos Augenlicht verdeckte. Alessio fühlte, dass der Schmied ein wenig zitterte, aber in Anbetracht des sicheren Todes war auch das kein Wunder. Ein sanftes Lächeln legte sich auf seine Züge, als er mit einem Ruck das Seil durchschnitt. "Du stinkst erbärmlich..", flüsterte er, die Lippen nahe der Stelle an der er Rods Ohr vermutete - dann stieß er den Schmied, jetzt mit freien Händen, die Kaimauer hinab in das knapp einen Meter darunter liegende Hafenbecken. Rods teils ängstlich-erschrockenes und doch erkennendes Aufkeuchen, brach ab, als der Schmied ins Wasser eintauchte. Lange blieb er nicht unter Wasser und Alessios breites Grinsen zeugte von der Erleichterung, den Mann, den er liebte, lebendig zu sehen.

"Du musstest ihn wirklich ins Wasser schmeißen…" Nico schüttelte den Kopf, als er mit Tancred zu seinem Bruder zurückkam. "Er stinkt! So hätte ihn Tancred nie mit aufs Schiff genommen!", verteidigte der Kardinal seinen Schubser. Nico schüttelte den Kopf, dann holte er aus und versetzte Alessio einen Stoß, der den Kardinal ebenfalls aus dem Gleichgewicht brachte. Im ersten Moment versuchte Alessandro noch sich abzufangen, gab dann aber mit einem resignierten "Oh man…" nach und schaffte es noch halbwegs elegant kopfüber neben dem schwimmenden Rod in das Hafenbecken zu platschen.

 

 

Rodrego

 

Vorsichtig reckte sich Rodrego, während er dastand und spürte, dass man ihn ansah. Es wunderte ihn ein wenig, dass niemand sprach. Schließlich musste doch mindestens sein Geruch für einen blöden Kommentar sorgen, oder etwa nicht? Er merkte dass er angespannt war, dass er schon auch ein wenig Angst hatte. Er hatte sich sein Ende doch etwas anders vorgestellt.

Als er spürte, dass jemand ein Messer an den Fesseln einhakte, kam die nächste Verwunderung. Wieso tat man das, wenn man ihn ertränken wollte? Er hatte erwartet, dass man auch die Füße fesselte. Oder wollte man ihm noch die Hände abschneiden oder etwas in der Art?

Mit einer schnellen Bewegung wurde ihm das Tuch vom Kopf genommen, er blinzelte, auch wenn es nicht richtig hell war, war es heller als dort, wo er die letzten Tage verbracht hatte. Perplex blickte er sich um und sah Nico, Amadeo und als er die Worte an seinem Ohr hörte, drehte er sich ruckartig zu Alessandro um, der soeben seine Handfesseln aufgeschnitten hatte. Seine Gedanken überschlugen sich und zu mehr als einem "Alessio", war er nicht fähig. Die Stimme des Kardinals zu hören, berührte ihn tief, ließ sein Innerstes erbeben und mit einem Blick zwischen Erstaunen, Verblüffung und Freude fiel er - getrieben durch den Stoß - ins Hafenbecken, ohne wirklich zu einer Reaktion fähig zu sein. Der Fall dauerte eine Sekunde, in der er die Augen nicht von Alessio nehmen konnte. Als er auf der Oberfläche auftraf und eintauchte in das kühle Nass, war das fast ein wenig, als würde er - zugegebenermaßen ziemlich hart - aus einem Alptraum erwachen. Er ließ sich sinken, bis sein Körper verharrte, bevor ihm bewusst wurde, dass er ja seine Hände benutzen konnte, und er mit etwas Verzögerung nach oben schwamm. "Sei proprio uno stronzo!", fluchte er mit einem Lachen in der Stimme, als er auftauchte. Diese ganze Show, nur um ihm noch eines reinzudrücken?! Grrrr...

In diesem Moment landete genau der Mann neben ihm im Wasser, dem er gerade an die Gurgel wollte. So schwamm er zu diesem, als er auftauchte, packte ihn am Arm und zog ihn zu sich. "Du bist...", begann er, als er diese Augen sah und ihm einfach nur klar wurde, wie sehr er sich freute, ihn zu sehen. Daher sprach er wesentlich besänftigter weiter. "Du bist ein elendiger Halunke und ich bin so glücklich, dich so wohlbehalten zu sehen.“ er hob die Hand und begutachtete das kurze hast, das vom Fett noch nach hinten gehalten wurde trotz des Wassers, das sich darin perlte. „Auch wenn ich denjenigen eigenhändig umbringe, der deine Haare geschnitten hat." Er zog Alessandro näher zu sich und ließ eine Hand durch das Haar streifen, bis die Fingerspitzen über die Wange zum Kinn fuhren. Er überwand die kurze Distanz und hauchte dem anderen einen sanften Kuss auf die Lippen. "Ich hatte schon gedacht, ich darf dich erst im Jenseits wieder sehen." Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen, drückte er Alessandro nach unten. "Und das ist dafür, dass du mich so lange hast zappeln lassen." Natürlich ließ er ihn sogleich wieder los und tauchte gleich selbst noch einmal hinterher, um sich die Haare noch einmal auszuwaschen. Hoffentlich stank er dann nicht so elendig, wenn er wieder aus dem Wasser steigen würde.

 

 

Alessandro

 
 

Als er neben Rod auftauchte und der Schmied zu ihm herüberschwamm, erwartete Alessio eigentlich gleich wieder unter Wasser zu landen. Er hatte Rod tatsächlich viel zugemutet, doch dessen unerschütterlicher Wille wirklich für ihn bis in den Tod zu gehen, hatte einiges in dem Kardinal bewirkt. Er ließ sich ziehen, hielt sich mit kräftigen Schwimmbewegungen über Wasser und schloss die Augen, als er Rods Finger in seinem Haar und auf seiner Wange spürte. Und dann endlich wieder Rods Lippen auf seinen.. es war ein herrliches Gefühl. Bevor er jedoch antworten konnte, ging er tatsächlich wieder unter. Resigniert stieß er wieder durch die Wasseroberfläche und griff nach einem der Ringe in der Kaimauer um sich bequemer über Wasser zu halten. Schwimmen war anstrengend und sein Zustand noch nicht wieder absolut optimal. Als Rod wieder auftauchte und zu ihm schwamm, zupfte Alessandro energisch an seinem Hemd. "Zieh diesen Mist aus und lass ihn einfach hier im Wasser. Ich habe frische Kleidung für dich und ein paar Hautöle. Und rasieren solltest du dich." Und er selbst sich vielleicht auch. Um Rod auch über Wasser zu halten, schlang Alessio die Beine um ihn und hielt ihn so fest, während er sich locker mit dem Arm über der Oberfläche halten konnte. Er beobachtete wie sich Rod des Hemdes entledigte und half ihm, einige Reste Dreck von sich zu schrubben mit der freien Hand, die er hatte. Als er den Dreck aus Rods Gesicht wischen wollte und der schmerzlich den Mund verzerrte wurde Alessio klar, dass das Auge nicht schmutzig sondern blau geschlagen war. Er biss sich auf die Unterlippe. "Das tut mir leid... oh Rod das tut mir so leid..", flüsterte er leise und zog Rod näher an sich heran, fuhr ihm sanft über die geschwollene Wange und küsste ihn, vor neugierigen Augen geschützt noch einmal. "Ich hätte dich so gerne früher geholt, aber es war zu gefährlich. Jetzt können wir ablegen und niemand wird nach dir fragen. Ich hoffe, es ist unser Paradies, zu dem wir fahren." Er lächelte und entließ Rod dann aus seinem Klammergriff, als von oben eine Strickleiter herabgelassen wurde. "Los, raus aus dem Wasser. Wir wollen ablegen", trieb sie eine französisch akzentuierte Stimme von oben an und Alessio zog sich vor und mit Hilfe von Rod die Sprossen hinauf. Er war noch immer ziemlich schwach und damit ganz schön außer Puste, als er oben ankam. Nico reichte ihm ein trockenes Tuch, das er um sich wickelte und ein weiteres gab es für Rod, der nur noch Unterkleidung trug. Tancred schnupperte an dem Schmied und nickte zufrieden. "Zumindest riecht er nicht mehr nach Scheiße. Wir haben sauberes Wasser auf dem Schiff, dort könnt ihr euch beide noch einmal Waschen. Wenn ich die Herren jetzt bitten dürfte, wir haben es eilig. Bevor neugierige Augen anfangen nachzusehen, was wir hier treiben." Alessandro nickte und wandte sich zu seinem Bruder und Amadeo. Der Assassine hatte die Kutsche wieder geschlossen und die zickige Stute hinten angebunden, da Nico sie kaum als Handpferd würde nehmen können. Er wirkte erleichtert, dass alles funktioniert hatte, doch sein Gesicht verriet wie immer nur sehr wenig von seinen Gefühlen. Bei Nico sah es anders aus. Alessios Bruder kämpfte massiv damit, seine Gefühle unter Verschluss zu halten, und als sich die Brüder ein letztes Mal umarmten, krallte sich Nico in Alessios nasse Kleider. "Ich komme nach, sobald ich kann. Bete für mich Alessio. Bete für mich." Der Kardinal drückte Nico eng an sich. "Ich tue was ich kann… und wenn du mit Kieran kommst, dann wird alles für euch vorbereitet sein. Ich bin immer bei dir Nico, immer."

Damit ließ er ihn los, verabschiedete sich auch von Amadeo mit einer festen Umarmung und betrat dann mit Rodrego das Schiff, das sie von England wegbringen würde. Ein hochgewachsener attraktiver Araber zeigte ihnen sehr zuvorkommend eine schöne Kajüte, die offenbar für Gäste gedacht, aber erst frisch vom Laderaum wieder umfunktioniert worden war. Als sich die Türe hinter ihnen schloss, kam Bewegung auf das Schiff und harsche Befehle in verschiedenen Sprachen hallten durch die morgendliche Stille, ehe das Schiff sich langsam und schwerfällig in Bewegung setzte und sie beide hoffentlich in die Freiheit brachte.

 

 

Rodrego

 
 

Es war eine gute Idee, sich gleich hier im Wasser auszuziehen. Er nickte, ließ sich halten, während er seine Arme brauchte, um sich dieses stinkenden Bündels Stoff zu entledigen. Er schrubbte die darunterliegende Haut und genoss die Berührungen Alessios, der offenbar bemerkte, dass nicht alles, was an ihm klebte, nur Dreck war. Als der andere etwas grob das Auge berührte, zuckte er mit einem Keuchen zurück. Die folgende Entschuldigung, die er zu hören bekam, tat ihm gut. Er nickte auf die Worte, ließ sich gerne küssen. "Das wird es sein", sagte Rodrego zuversichtlich. Denn was konnte es anderes sein, wenn sie zu einem Ort reisen würden, an dem sie einfach sie selbst und beieinander sein konnten?

Er half dem anderen Italiener die Leiter hinauf und entledigte sich unterwegs auch seiner Hose. Nur im Untergewand kam er hoch und musste lachen, als Tancred ihn so begrüßte. "Tut mir leid", entschuldigte er seinen Auftritt. "Und danke für das Angebot der Dusche."

Als er sich zu Dominico umdrehte und sah, wie jener kämpfte, tat ihm das in der Seele weh. Es war ungewiss, wann er kommen würde, wie er kommen würde und wenn man realistisch war, so konnte es auch das letzte Mal sein, dass sie sich sahen. Sie umarmten sich. "Halte durch", sagte er leise zu seinem besten Freund.

 

An Deck folgten Alessio und er selbst einem Araber, der sie an der Gangway in Empfang genommen hatte, unter Deck. In der Kajüte blickte er sich kurz um. Ein Zimmer für sie allein... Rodrego atmete kurz tief durch und trat auf Alessandro zu. Sanft umarmte er ihn, küsste ihn in die Halsbeuge. "Ich bin so froh, dass ich dich wieder in meinen Armen halten darf", sagte er leise. Einen Moment schwieg er. "Dominico wird diese Reise auch bald machen. Da bin ich mir sicher. Er wird es schaffen und uns mit Kieran folgen. Wenn er ankommt, wird unser Paradies perfekt sein." Er küsste die Halsbeuge erneut, dann löste er sich leicht und sah seinen Liebsten an. Er hatte sich geschworen, dass er - wenn Alessandro ihn befreien würde - seine Fehler, die er begangen hatte, nie wieder erwähnen würde. Nicht, weil er sie leugnen wollte, sondern weil er sein Recht in Anspruch nehmen wollte, dass Alessandro es wirklich vergessen wollte, wenn er das alles für ihn tat, was er getan hatte. Trotzdem brauchte er irgendwie eine Bestätigung, dass es wirklich so war. Hatte Alessandro ihm nun wirklich verziehen? Konnte der Kardinal wirklich vergessen?

"Jetzt wird uns nichts mehr trennen, Alessio mio", sagte er leise und strich dem anderen erneut durchs Haar, sich an den Anblick gewöhnen müssend. "Und mich macht das sehr glücklich." Er lächelte ihn an. "Wie ist es dir in den letzten drei Tagen ergangen. Du brauchst dringend etwas, was dich stärkt und kräftigt. Ich hoffe, hier an Board wird gut gekocht..."

 

London 3 - Sünde und Vergebung

<em>[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]

London 3 - Patricia

John


 

Es waren zwei lange Wochen vergangen, zwei schrecklich lange Wochen, die er zum Glück mit viel Arbeit füllen konnte. Aber in diesen zwei langen Wochen war auch sonst einiges geschehen, das John ablenkte und beschäftigte.

An jenem Morgen, als Tancred gegangen war, hatte er eine Leere empfunden, die er nicht gekannt hatte. Oder nein... so ganz stimmte es nicht. Er hatte schon einmal etwas Ähnliches empfunden - nach dem Tod seiner Mutter. Aber anders als damals war ihm klar, dass der andere wirklich alles in seiner Macht stehende tun würde, um zu ihm zurückzukehren. Und das war positiv. Fünf Wochen würden vorübergehen, da war er sich sicher.

Er trug das Kreuz, das ihm der Franzose geschenkt hatte, und wurde dadurch immer an den See erinnert, an diese kostbare Zeit, die sie miteinander geteilt hatten. John hätte nie für möglich gehalten, dass er sich einmal wirklich nach einem anderen Menschen sehen könnte. Gut, er hatte Kieran damals vermisst, als der in Spanien gewesen war, und auch, als der auf dem Schiff das Meer befahren hatte. Aber das hier war etwas ganz andres.

Zum Glück hatte er Arbeit und die nicht zu knapp. In der ersten Woche war er hauptsächlich damit beschäftigt gewesen, die Vorräte für die Armee abzuarbeiten, damit die Lieferung rausgehen konnte. Kieran war oft da, weil Dominico viel zu tun hatte, so dass sein Vater ihn in Ruhe arbeiten ließ. Patricia und Kieran waren jenem die bessere Gesellschaft und John war das nur recht. Die Zeit verging recht schnell und bald begann das letzte Semester. Kieran übernachtete wieder unter der Woche im Haus der Apotheke, so dass John hin und wieder abends länger blieb, mit Kieran und auch Patricia die Zeit bei einem Bier verbrachte und sie sich unterhielten, oder auch lernten, denn die Dozenten machten ihnen klar, dass die Abschlussprüfungen in drei Monaten, die alles entscheidenden sein würden, schneller kämen, als ihnen lieb sein konnte. Patricia leistete ihnen Gesellschaft und das war in Ordnung. Sie war nett und offen. Wenn sie allein sein wollten, dann trafen sie sich bei John. Dann saßen sie da und Kieran klagte ihm sein Leid, dass Dominico alle Hände voll zu tun hatte, einen Krieg vorzubereiten, der an Dummheit alles bisher Dagewesene übertraf und dass er nicht wollte, dass er hineingezogen wurde. Was sollte John da sagen? Er schaffte es nicht, darüber zu reden, wie es ihm ging. Kieran deutete manchmal etwas an, fragte ihn auch direkt, wie es ihm ginge. Aber John konnte nicht einfach über so etwas reden. Es war ein wenig schwierig für ihn. So schwieg er oder antwortete nur ausweichend. Irgendwie fiel es ihm selbst schwer für sich zu akzeptieren, dass es da jemanden in seinem Leben gab, der ihm sehr viel bedeutete. Daher konnte er auch nicht wirklich viel darüber reden. Dass ihn die 'Trennung' zu schaffen machte, versuchte er sich noch weniger anmerken zu lassen. Er wollte auch nicht so sehr in "Selbstmitleid" zerfließen. Schließlich hatte er ja auch vor Tancred ein Leben gehabt, das er nun einfach fortführte. Es in der Mitte der zweiten Woche gewesen, als er sich abends aufgerafft hatte, nach langem mal wieder ins Chamber's zu gehen. Es war schon recht spät, als er fortkam und Streuner trabte hinter ihm her. Er war sein stiller Begleiter und besonders in den Nächten war er ein willkommener Gast in seinem Zimmer, das nach den zwei Nächten, in denen Tancred bei ihm geschlafen hatte, so leer wirkte.

Bevor er in die Straße einbog, in der die Schenke lag, knurrte Streuner und stellte sich vor ihn, als wolle er ihn beschützen. John blieb irritiert stehen, als er laute Stimmen aus der Gasse hörte, die näher kamen. John blickte sich um, pfiff dann leise und zog sich mit Streuner in eine der engen Durchgänge zwischen zwei Häusern zurück. "...wurde dem Pack der Garaus gemacht. Solche Orte geben dem Abschaum den Nährboden, der unsere Kinder verdirbt. Es war höchste Zeit, dass gehandelt wurde. Diese abartigen Perversen haben hier in London nichts verloren..." Das, was er hörte, reichte um zu verstehen, was geschehen war. Die Liga der Bürger, die sich gegen die Sodomie wehrten, war nun auch in London in vollem Gange. Der Geruch von Feuer, den er vorhin schon in der Nase gehabt hatte, vervollständigten nun sein Bild davon, was wohl aus dem Chamber's geworden war. Er konnte von Glück sagen, dass er nicht früher gekommen war.

 

Es erfüllte ihn mit Traurigkeit, dass es nun das Chamber's nicht mehr gab, in dem er so viel Zeit verbracht hatte. Es war der Ort vieler schöner Stunden, der Ort, an dem er Tancred das erste Mal begegnet war. Er hatte viele dort gekannt, viele, die wie er tickten, die mit Frauen einfach nichts anfangen konnten, oder die einen Drachen geheiratet hatten, und die in der Kneipe ihr eigentliches Selbst ausleben konnten. Er hatte dort immer jemanden für eine schnelle Nummer gefunden. Es war irgendwann einfach Teil seines Lebens geworden, ein Teil, in dem er sich wohlgefühlt hatte, weil er nicht zum Leben mit seinem Vater gehört hatte. Jetzt existierte dieser Ort nicht mehr und man tat gut daran, nicht darüber zu sprechen und sich dort nicht blicken zu lassen. Zwei Tage später hingen fünf Männer am Marktplatz - kastriert und dann aufgehängt. Der Vorwurf: Sodomie. John hatte sie alle gekannt.

An eben genau diesem Abend, trat sein Vater auf ihn zu und setzte sich neben ihn. Es war eine unangenehme Stille, die sich mit einem Mal um John legte und er wusste, dass das nur eines bedeuten konnte: sein Vater hatte Beschlüsse gefasst.

"John", begann der Mann und blickte ihn an. John tat, als sei er gerade sehr vertieft. "Ich weiß, von wem du die Kette hast", fuhr sein Vater fort und im ersten Moment war er versucht, den anderen anzusehen, doch er riss sich zusammen und ließ sich nichts anmerken. "Sie ist von dem Kapitän, der sich ja sehr für dich eingesetzt hat." Vermutlich nur irgendeine Einschüchterung oder so. "John du weißt, dass du hier ein unverzichtbarer Teil der Apotheke bist. Daher habe ich einen Beschluss gefasst. Ich bestehe darauf, dass du Patricia ehelichst und der Verbleib dieser guten Seele in unserem Haus dadurch endgültig legitimiert wird." John sah seinen Vater nun doch ziemlich perplex an. "Wie bitte?", fragte er und konnte kaum glauben, was er da hörte. Einen Moment blickten sich die beiden Männer an. Dann fuhr sein Vater fort: "Du hast mich schon richtig verstanden. Lass dir eines gesagt sein, John Forbes", fuhr der ältere Mann fort, "Ich werde deine Abartigkeit nicht weiter in meinem Haus dulden. Ich befehle dir, dass du Patricia ehelichst, um ihren Verbleib in meinem Haus zu sichern. Wenn du es nicht tust, wird alle Welt hier in London erfahren, was du für ein Abschaum bist, und vor allem: was er für ein abartiges Monster ist. Überleg es dir." Sein Vater stand auf und ließ ihn zurück. Er saß da und starrte auf seine Hände, ohne fähig zu sein, irgendeinen klaren Gedanken zu fassen.

 

 

Patricia

 
 

Seit sie in der Apotheke arbeitete, hatte sich Patricias Leben von Grund auf geändert. Natürlich hatte sie auch ihre Arbeit im Spital oder in den Lazaretten sehr ausgefüllt und glücklich gemacht, doch sie war niemand, der dazu bestimmt war, sein Leben lang blutgetränkte Verbände oder anderen Unrat von Kranken bei Seite zu räumen. Sie wusste weit mehr über Medizin als manche der Studenten, die täglich zwischen den Betten umherschlichen. Sie konnte Wunden besser behandeln und wusste meistens auch, was man bei den üblichen Beschwerden am besten verabreichte. Doch wie so häufig war es ihr nicht gestattet, dieses Wissen einzubringen. Tat sie es doch, fuhr man ihr über den Mund und sie hatte schnell gelernt, dass es klüger war, sich dumm zu stellen, auch wenn ihr das so missfiel.

Ihre Mutter hatte sie in der "Heilkunde", wenn man es so nennen wollte, gelehrt, doch den Schweiß hatte ihre Mutter auch nicht besiegen können. Da ihr Vater schon vor einiger Zeit verstorben war, hatte sie es nach einem ersten vorlauten Ausfall ihrerseits nicht mehr riskiert, die Arbeitsstelle im Spital zu verlieren. So hatten sich die Tage langweilig dahingezogen mit der immer gleichen Arbeit und dem immer gleichen Leben. Obwohl sie verhältnismäßig alt war, hatte sie nie geheiratet. Wer würde sie auch schon wollen? Zwar war sie sicher hübsch, doch sie schlief mit neun anderen Krankenschwestern in einem gemeinsamen Schlafraum unter dem Dach des Spitals - dorthin nahm SIE sicher keine Männer mit, auch wenn andere Frauen das taten. Als sie Kieran und John das erste Mal begegnet war, war das wieder an einem dieser Tage gewesen, an dem Kieran seinem Lehrmeister wie so oft widersprochen hatte - und seit dem hatte sich ihr Leben deutlich aufgehellt. Wenn sie die beiden Männer sah, dann wusste sie, dass ihr Tag zumindest einige erheiternde Momente reicher sein würde, und sie war bisher nie enttäuscht worden. Dass es ihr aber eines Tages gelingen würde, die beiden davon zu überzeugen, sie Johns Vater als Hilfskraft in der Apotheke vorzustellen, das hatte sie nie geglaubt - genauso, wie niemand sie auf das hatte vorbereiten können, was sie dort erwartet hatte.

Mr. Forbes war ein alter knauseriger Kauz. Dabei verdiente er sehr gut, seitdem die Apotheke die Versorgung der Flotte und der Armee übernommen hatte - und das machte auch einen Teil des Problems aus. Denn die Apotheke bot kaum genug Raum für die Herstellung allen notwendigen Materials, wenn man zusätzlich einen normalen Betrieb weiterführen wollte. Weder John noch Kieran hatten viel für eine freundlichere Atmosphäre in dem Laden getan und daher hatte sich Patricia an ihrem ersten Arbeitstag erst einmal Putzlappen und Wasser geschnappt und den Verkaufsraum auf Hochglanz poliert, alte Relikte in den Hinterhof verbannt und so einen offenen und freundlichen Raum geschaffen, der nicht mehr so stickig und staubig war. In dem Gedanken, dass Mr. Forbes das sicher begrüßen würde, hatte sie ihn strahlend begrüßt - nur um eine Predigt darüber zu erhalten, dass das so ja alles viel schlimmer war. Patricia hatte durchgeatmet, weiter gelächelt, dem alten Mann den Lappen in die Hand gedrückt und gesagt, er könne das ja alles selbst wieder zurückräumen - so aber würde er seinen Kunden endlich den Raum bieten, den er in seiner Qualität eigentlich vorgab. Damit war sie ins Bett gegangen und hatte den Alten unten allein gelassen.

Weil John ausgezogen war und es sich der alte Forbes nicht erlauben konnte, sie ebenfalls hinaus zu werfen, hatte er das Thema am nächsten Morgen nicht mehr angeschnitten – ebenso wenig, wie er den Verkaufsraum wieder vollgestopft hatte. Auf diese Weise hatte ihm Patricia einige "Verbesserungen" quasi aufgezwungen und irgendwann hatte er es aufgegeben, es dem "Frauenzimmer" austreiben zu wollen. Sie wusste insgeheim warum: Die Leute kamen häufiger, waren gern in der Apotheke und genossen vor allem Patricias Verkaufstalent. Sie nahm sich Zeit für die Kunden, ließ sich deren Leid klagen und brachte mehr Verständnis auf, als Mr. Forbes in seinem ganzen Leben wohl je gehabt hatte. Das entlastete den alternden Besitzer zumindest so sehr, dass er seiner eigenen Arbeit besser nachgehen konnte und nicht mehr so häufig schlecht gelaunt war. Mit Kieran verstand sich Patricia ebenso prächtig und so war es eigentlich ein sehr angenehmes Leben, das nur dann etwas aus den Fugen geriet, wenn Mr. Forbes und sein Sohn aneinander gerieten.

Anfangs hatte Patricia das freundlich überhört, doch immer ging es nicht - und sie fragte sich wirklich, warum das so war. Je mehr Zeit sie allerdings mit John und Kieran verbrachte und je häufiger sie dem Gönner von Kieran begegnete, oder je häufiger sie bemerkte, dass er zu dessen Anwesen ritt, um dort zu "arbeiten"… nun. Vielleicht war sie als Frau einfach feinfühliger, was das anging.

Sie erinnerte sich sehr lebhaft an ein Fest bei Hofe. Sie war eigentlich auch nur dort gewesen, um dafür zu sorgen, dass es den volltrunkenen Gästen an nichts mangelte, als sie ein Gespräch mitgehört hatte. Ein Gespräch zwischen einer jungen Hofdame und einem etwa gleichaltrigen jungen Mann, die immer wieder verschwörerisch die Köpfe zusammengesteckt hatten. Die Dame hatte davon gesprochen, endlich wieder einen "ordentlichen Hengst zu besteigen" und hatte damit sicher kein Pferd gemeint - und zu ihrem großen Amüsement hatte der Mann nur geantwortet "Mir geht es nicht anders". Vielleicht bildete sie es sich auch nur ein, doch in der Art wie John und Kieran miteinander umgingen und wie sie von Dominico Sforza sprachen oder der Familie Sforza allgemein - wenn sie glaubten, Patricia höre es nicht - dann spürte sie instinktiv, dass an den beiden etwas anders war, als an anderen Männern. Statt wie Johns Vater dagegen zu wettern und es abzuschmettern, hatte Patricia große Sympathie.

Sie zog nicht etwa selbst Frauen den Männern vor, nein. Doch so wie es ihr als Frau verweigert wurde, zu studieren und zu lernen, eben einfach weil sie eine Frau war, wurde diese Liebe, die sicher genauso ehrlich und aufrichtig vor Gott war wie jede Ehe zwischen Mann und Frau, verboten - und das in letzter Zeit immer fanatischer, während sich weltliche und kirchliche Fürsten ihre Lustknaben hielten. Patricia war vielleicht vieles, aber nicht blind für die Welt, die sie umgab, und sie störte sich massiv an den Streitereien zwischen Vater und Sohn, die wie sie glaubte, auch aus diesem Umstand resultierten.

 

Als sie an diesem Abend noch einiges im Verkaufsraum zusammenräumte und aufwischte, war Mr. Forbes zu John in das Labor gegangen. Da sie den Eimer aus der Abstellkammer daneben benutzt hatte und den gerade zurückstellen wollte, bekam sie einige Wortfetzen mit. Normalerweise lauschte sie nicht absichtlich, doch das was Johns Vater gerade ansprach, war letztlich der Beweis ihrer Vermutung und sie war zu neugierig, um nicht hinzuhören.

Was der alte Mann sagte, hätte beinahe dafür gesorgt, dass sie den Eimer fallen gelassen und aufgeschrien hätte. Nur um ein Haar gelang es ihr, keinen Laut von sich zu geben, während sie sich die Hand auf den Mund presste. Heiraten? Sie und John?

Sie hatte es schon ein paar Mal von Kunden gehört, dem aber nie Bedeutung beigemessen. Sicher, John und Kieran waren beide attraktive Männer, doch sie machten beide keinen einzigen Schritt auf sie zu und Patricia war keine Hure, die sich verkaufte. Doch die Bitte oder eher der Befehl von Mr. Forbes war ja noch nicht alles. Er drohte seinem Sohn. Sie ist von dem Kapitän… Dunkel erinnerte sich Patricia an den einäugigen, großen, attraktiven Mann, der am Turnier neben Dominico Sforza an ihrer Krankenstation aufgeschlagen war. Er? Sie biss sich auf die Unterlippe - da konnte sie John verstehen. Der Mann hatte eine Aura gehabt, die ihr auch gefallen hatte. Vielleicht war er gefährlich, aber ein abartiges Monster? Abartig? War es nicht vollkommen egal, wen man liebte? Patricia drückte sich tiefer in die dunkle Abstellkammer als sie Schritte hörte, doch Mr. Forbes bemerkte sie nicht. Erneut und wie so häufig kam ihr der Gedanke, dass ihre Mutter sie ihrer Zeit viel zu liberal erzogen hatte, doch Patricia sah einfach nicht ein, wieso in der Öffentlichkeit so vieles als verboten galt, was hinter verschlossenen Türen praktisch "jeder" tat. Sie biss sich auf die Unterlippe und stellte den Eimer ab, schloss die Türe und betrat dann das Labor. Langsam kam sie zu John hinüber, der noch immer dasaß, ohne sich zu rühren. "Hey John", fing sie an, erntete jedoch keine Reaktion. Vermutlich war es klüger nicht hier zu reden. "John, ich muss noch eine Lieferung zwei Straßen weiter bringen. Würdest du mich begleiten?"
 

John

 
 

John saß da und wusste nicht, was er denken sollte. Sein Vater wollte, dass er Patricia heiratete? Ansonsten würde er ihn dem gleichen Schicksal ausliefern, das die drei Männer ereilt hatte, die er heute am Marktplatz gesehen hatte? Und er würde noch dazu Tancred diffamieren. John hatte seinem Vater vieles zugetraut, aber das?! Hatte er dann überhaupt eine Wahl? In diesem Moment verfluchte er seine Treue diesem Mann gegenüber - oder besser - dieser Apotheke gegenüber und dass er nicht einfach mitgegangen war auf das Schiff, das vermutlich gerade in spanischen Hoheitsgewässern war. Er hätte hiermit einfach brechen sollen, hätte mutiger sein sollen. Ja, er war ein guter Alchimist - und solche Menschen wurden überall immer gebraucht. Er hätte schon eine Möglichkeit gefunden, seine Beziehung zu Tancred mit seinem Können zu verbinden. Aber jetzt hier zu gehen? Wohin? Wie sollte ihn Tancred wiederfinden? Vor allem wie sollte er ihn warnen, dass sein Vater ihn verraten hatte?

Dass ihn jemand ansprach, kam von sehr weit weg und drang nur langsam in sein Bewusstsein ein. Als die Stimme endlich laut genug war, dass er merkte, dass sie ihm galt, blickte er auf und in das Gesicht derjenigen Person, die er ab sofort gedachte zu heiraten - wenn es nach seinem Vater ginge. Hatte er eine Wahl? "Wie bitte?", fragte John, als er sah, dass sich ihr Mund bewegte, und Patricia wiederholte geduldig, was sie gesagt hatte. "Natürlich", antwortete er mechanisch. Vielleicht wäre es ganz gut, wenn er ein wenig an die frische Luft kam. John stand auf und legte den Anzug ab, den er immer trug, wenn er im Labor zu tun hatte. Dann sah er sie wieder an. Das erste Mal sah er sie an, wie man eine Frau als Mann vielleicht eigentlich ansehen sollte. Patricia war hübsch und klug und die beste Ärztin und Apothekerin, die sich sein Vater hätte wünschen können. Sie hatte ein ähnliches Wesen wie seine Mutter es hatte und vielleicht war es auch der Grund, weshalb sie sich abends eigentlich immer ganz gut miteinander unterhielten und viel lachten, wenn sie über die Kunden und die Patienten sprachen. Aber sie deshalb heiraten? Eine Hochzeit bedeutete viele Verpflichtungen, er würde verantwortlich sein für diese Frau und ihr Schicksal. Er würde sie niemals glücklich machen können. Schließlich bedeuteten eheliche Pflichten ja auch, ihr zum Beispiel ein Kind zu schenken oder überhaupt ihr ein Gefühl von Liebe zu geben und... Argh! John schluckte, als sie die Stufen aus dem Laden hinausgingen und er ihr den Korb, den sie trug, abnahm, um ihn selbst zu tragen. Eine Kundin kam ihnen entgegen und sie grüßten freundlich, während die Dame sie lächelnd betrachtete. Ja, er hatte schon gehört, dass sie ein schönes Paar wären, aber er hatte nie einen Gedanken daran verschwendet, dass dem wirklich so sein sollte.

"Sag mal, Patricia", begann er langsam, während er mit ihr in die nächste Seitenstraße abbog. "Gibt es eigentlich einen Mann in deinem Leben? Also ich meine, jemanden..." Er blickte sie ein wenig hilflos an. Wie führte man solche Gespräche? Wie eroberte man eigentlich eine Frau? Und... Gott, er kam sich dumm vor.

"Ich meine, du siehst sehr hübsch aus und da gibt es doch sicher einige, die dir den Hof machen, oder?" Nun, wenn es jemand anderen gab, dann würde sein Vater sicher nichts sagen können. Schließlich hätte er es dann wenigstens versucht...

 

 

Patricia

 
 

Wie sehr John dieser Rundumschlag seines Vaters getroffen hatte, zeigte sich in seiner Abwesenheit, als er aufstand um Patricia zu folgen. Sie nahm den Korb, den sie hergerichtet hatte, um einige Medikamente zu langjährigen Kunden der Apotheke zu bringen und erst draußen nahm John ihr den Korb ab. Neben dem großen attraktiven Mann durch die Straße zu laufen, hatte schon etwas für sich. Es war einfach die Art, wie man sie beide ansah - als Paar. So traurig es war, man nahm an Johns Seite anders von ihr Notiz, als wenn sie alleine unterwegs war. Wenn es einen einzigen Grund für sie gab, diese Hochzeit aus Eigennutz voran zu treiben, dann war es dieser: Sie wollte diese Anerkennung als Ehefrau und nicht nur als irgendein "Mädchen". Eigentlich schlug sie diesen Gedanken aber in den Wind, denn sie glaubte kaum daran, dass John diese Drohung wirklich ernst nehmen und nach dem Willen seines Vaters handeln würde, auch wenn Patricia selbst bereits mitbekommen hatte, wie man mit Menschen solcher "Abartigkeit" verfuhr.

Umso überraschter war sie, als John sie tatsächlich auf einen Mann in ihrem Leben ansprach. Sie konnte nicht anders als John einen wirklich sehr überraschten Blick zuzuwerfen, ehe sie wieder auf den Weg sah und zu überlegen schien. Innerlich musste sie gerade wirklich herzlich lachen. So traurig es auch war, dass John den Mut nicht aufbrachte einfach zu verschwinden für sein eigenes Glück, so seltsam war es, ihn dabei zu beobachten, wie er sich an einer Frau versuchte. Man merkte, dass er es nicht konnte und in seiner ungeschickten Art, sie auszuhorchen, war er beinahe süß. Sie schenkte ihm ein umwerfendes Lächeln. "Es gibt sogar drei Männer in meinem Leben, oder gar vier." Ihr Blick fiel auf den Hund, der mal wieder an Johns Fersen klebte. "Das wären dein Vater, du und Kieran. Und Streuner natürlich." Der Hund ließ ein zustimmendes Fiepen hören. "Es ist schwierig noch mehr Männer in meinem Leben unter zu bringen, glaube ich." Sie schaffte es, einen verlegenen Gesichtsausdruck an den Tag zu legen. "Im Spital haben die anderen immer Männer mit in den Schlafsaal gebracht. Das... naja. Ich will nicht, dass mir dabei jemand zuhört oder zusieht. Also war ich immer allein, ich hatte ja auch keine andere Bleibe. So sehr wie ihr mich einspannt, habe ich nicht wirklich Zeit, mir noch den Hof machen zu lassen." Da sagte sie die Wahrheit. Abgesehen davon, dass sie nicht heiraten wollte - nur um dann wieder unter eines Mannes Fuchtel zu stehen.

Der Mann, der sie eines Tages bekommen würde, der musste ihr all die Freiheiten lassen, die sie wollte. Dieser Mann musste vermutlich erst noch geboren werden, zumindest wenn man darauf bestand, dass er sie ebenso sehr liebte. Denn John würde ihr in einer Ehe sicher nicht eine einzige Vorschrift machen, aber er würde eben auch ihr Bett nicht teilen und das wollte sie eigentlich schon. Sie räusperte sich und fasste schließlich knapp zusammen: "Danke für das Kompliment. Dass du mich hübsch findest, meine ich. Aber es gibt da niemanden. Wieso fragst du?" Sie konnte es sich nicht verkneifen, zumal es die Gelegenheit, John so um Worte verlegen zu sehen, einfach viel zu selten gab.

 

 

John

 
 

Während zunächst Patricia überrascht schien, dass er ihr eine so persönliche Frage stellte, war es nun er, der überrascht war, als ihr die Frau erklärte, es gäbe vier Männer in ihrem Leben. Schließlich hatte er noch nie gemerkt, dass sie abends ausgegangen war, oder sich sonst irgendwie in ihrer Freizeit mit jemandem traf. Hatte sie überhaupt Freizeit? Dieses Lächeln, das sie auf den Lippen trug, und das sie gerade wirklich schön aussehen ließ, passte gar nicht so recht. Doch als sie weitersprach, klärte sich das auf und John musste nun auch ein wenig lächeln. Hm, dann spielte er zumindest eine Rolle in ihrem Leben. Aber das als Basis für seine Ehe?

Während sie weitersprach und von ihrem Leben im Spital erzählte, wurde ihm klar, dass sie durch ihren Wechsel zu ihnen zwar wirklich viel arbeiten musste, sich ihre Lebenssituation aber durchaus verbessert hatte. Vielleicht würde man ja auch mit ihr über gewisse Dinge reden können... Er verwarf den Gedanken schnell wieder. Je weniger etwas wussten, desto sicherer war es für Tancred.

Als sie fragte, wieso er daran interessiert war, war es wieder so weit. Wie machte man nun weiter? Eigentlich standen Frauen doch auf Romantik und Überraschungen und Blumen und solchen Kram. Er konnte jetzt ja schlecht sagen: ‚Super, wie wäre es dann, wenn wir heiraten? Passt doch ganz gut...‘

"Ich frage, weil ich dich... sehr gerne habe." Nun es war zumindest keine Lüge. "Und du bist in der Apotheke das Beste, was uns passieren konnte. Es wäre schön, wenn du einen Anspruch hättest, immer ein Teil davon zu sein." Er redete wirres Zeugs. Vielleicht sollte er einfach mit der Tür ins Haus fallen. "Könntest dir vorstellen, mich zu heiraten?" Es klang so seltsam, sich das sagen zu hören, zumal er das Gefühl hatte, gar keine Zeit gehabt zu haben, über irgendetwas nachzudenken. Tat er das Richtige? Was war das Richtige? Verletzte er Tancred nicht gerade und trat mit Füßen, was sie sich so mühsam aufgebaut hatten? Seine Hand glitt zu dem Kreuz unter seinem Hemd und er hielt es fest. Für ihn hatte er keine andere Wahl. Er würde ihn nicht schützen können, wenn er das hier nicht tat. "Ich würde auch bestimmt gut für dich sorgen, solange ich da bin, und du wirst auch danach immer versorgt sein." Er merkte gar nicht, dass er damit seinen ersten Gedanken, den er gehabt hatte, preisgab. Denn wenn er mit Kieran nach Italien gehen würde, dann würde er dafür gesorgt haben müssen, dass es ihr gut ging. Das wäre dann das mindeste, was er ihr schuldig wäre. "Die Apotheke wird irgendwann dir gehören und es soll dir an nichts mangeln." Er hatte nicht gemerkt, dass sie stehen geblieben war, und erst jetzt merkte er, dass sie schon an dem Haus vorbeigelaufen waren, zu dem sie eigentlich wollten. Er kehrte zu ihr zurück und sah sie an. "Ich versuche auch alles, was in meiner Macht steht, dich glücklich zu machen." Irgendwie war das bestimmt nicht das, was sie hatte hören wollen. Und irgendwie war es auch nicht das, was er hätte sagen sollen.

 

 

Patricia

 
 

Sie schlenderten gemeinsam in gemütlichem Tempo die Straße entlang und Patricia genoss die laue Brise, die den Herbst langsam aber sicher ankündigte. John schien sich für seine nächsten Worte Zeit zu lassen und Patricia schmunzelte, als er erneut ansetzte. Das war ja wirklich zu niedlich! Weil er sie sehr gern hatte? Das hatte er sicher wirklich, aber nicht auf die Art und Weise, die er jetzt versuchte durchblicken zu lassen. Er zählte all die Vorzüge auf, die sie hatte was ihre Arbeit betraf - aber eben nichts, was ein Mann sonst wohl an ihr aufgezählt hätte. Nachdem es John unendlich schwer fiel, das zu sagen, brach er schließlich doch mit dem Kopf durch die Wand und fragte sie, ob sie ihn heiraten wolle. Patricia wurde rot. Allerdings nicht wegen der Frage, sondern weil sie so verdammt an sich halten musste, um nicht in schallendes Gelächter auszubrechen. Etwas Unromantischeres und gleichermaßen so unendlich Niedliches hatte sie sicher noch nie in ihrem Leben gesehen. Sie hielt an, weil sie ihre Hände ineinander verkrampfte und weil sie das Haus erreicht hatten, in das sie mussten. John ging einige Schritte weiter, ehe er merkte, dass er zu weit gelaufen war, und kam zu ihr zurück. Zum Glück war er so viel größer als sie, so konnte er ihr Gesicht nicht sehen das sie zum Boden gerichtet hatte. Diese Situation war so komisch, dass es ihr schwer fiel zu John aufzusehen und dabei wirklich fasziniert und berührt dreinzuschauen. Die einzige Hilfe, die sie hatte, war die Tatsache, dass sie schockiert darüber war, wie viel Macht Johns Vater über seinen Sohn hatte und wie große die Angst um sich selbst und den Mann sein musste, den John eigentlich liebte.

Sie riss sich zusammen und hob den Kopf, sah ihn Johns zerknirschtes und unsicheres Gesicht und blinzelte. "Wirklich?", hauchte sie in bester Hofdamen-Manier. Dann kicherte sie doch, aber selbst das ließ sich ja noch irgendwie zum Anlass passend beschreiben. Sie kam ein wenig näher und stellte sich auf die Zehenspitzen, nahm John den Korb aus den Händen und brachte die Lippen nahe an sein Ohr. "Da wäre der Kapitän aber sicher sehr traurig..", flüsterte sie so leise, dass nur John sie hören konnte, ehe sie sich wieder von ihm löste. Sie zwinkerte ihm zu. "Warte hier auf mich, ich bin sofort wieder da - und dann reden wir über diesen Antrag, den ich mehr als nur gewillt bin anzunehmen. Ich finde Patricia Forbes steht mir - findest du nicht?" Und dann lachte sie doch, während sie im Haus verschwand.

 

 

John

 
 

Jemanden, den man nicht liebte, einen Antrag zu machen, war etwas, was sich eigentlich als nicht machbar herausstellte, zumindest nicht ohne Vorbereitung. Sicher - er hätte die nächsten Abende versuchen können, mit der schönen jungen Frau zu flirten, sie zu umgarnen und ihr Komplimente zu machen. Vielleicht hätte sie sich dann in ihn verliebt - er sah ja ganz passabel aus. Und dann? Dann hätte er ihr den Antrag machen können, ohne dass es komisch gewirkt hätte. Aber er hätte von vorne bis hinten gelogen. Wenn er eines hasste, dann dass man Menschen manipulierte, um seine eigenen Interessen durchzusetzen. Patricia hatte es nicht verdient, dass man sie anlog. Sie überhaupt zu fragen, war eigentlich schon eine Frechheit. Er wusste, dass er gerade dabei war zu verlieren, dass er verlor, was er gerade erst gewonnen hatte. Er merkte, dass er seinem Vater nicht würde das bieten können, was jener verlangte, damit er ihn in Ruhe ließ - damit er ihn und vor allem Tancrèd in Ruhe ließ. Aber er hätte es dann zumindest versucht. Später würde er in Ruhe darüber nachdenken, welche Schritte einzuleiten waren, damit er untertauchen konnte. Er würde fort müssen und er würde Tancred warnen müssen.

Als er vor ihr stand und auf sie hinabsah, war ihm mehr als klar, dass das eine Sackgasse war. Es war überhaupt schwachsinnig gewesen, zu glauben, dass das wirklich Sinn machte. Aber er war zu verwirrt, um wirklich logisch denken zu können. Als Patricia aufsah, war ihr Blick merkwürdig, so seltsam berührt, oder war da der Wunsch Vater des Gedanken? Doch irgendwie schien Patricia doch berührt zu sein, das Kichern, die leichte Röte, der Blick... Mit einem Mal wurde ihm klar, was ihn an dem Anblick störte: er passte nicht zu Patricia. Nicht zu der, zumindest, die keine Scheu hatte, einem Mann das Bein zu amputieren. Doch John wusste nicht einzuschätzen, was das dann bedeutete, als sie sich zu ihm hochstreckte und er ihr leicht entgegenkam. Was wollte sie jetzt? Ihn am Ende.. Nein, sie flüsterte ihm etwas ins Ohr. - Die Bombe hätte nicht lauter detonieren können. Wie vom Blitz getroffen, stand John starr vor Schreck da und blickte sie an, während sie sich von ihm löste und schließlich im Haus verschwand.

Sie wusste von Tancrèd? Und sie wusste, dass das alles hier ein Schauspiel gewesen war - zumindest ein Versuch davon? Sie wusste, dass er auf Männer stand und auf einen im Besonderen? Dennoch war sie gewillt, den Antrag anzunehmen? Oder hatte er sich doch verhört?

John strich sich die Haare aus dem Gesicht und wusste erneut nicht, was er fühlen, denken oder tun sollte. Wenn sie wirklich wusste, wie er tickte, war sie dann eine Gefahr? Aber wieso sollte sie den Antrag dann annehmen?

Dann war da noch etwas: Sie hatte vollkommen recht! Wenn Tancrèd in drei Wochen zurückkäme, dann würde er nicht verstehen, was passiert war. Seine Hochzeitspläne würden den Kapitän zweifelsohne kränken. John musste in jedem Fall dafür sorgen, dass er Tancrèd genau erklärte, weshalb das alles so war, wie es war. Er würde das doch verstehen, oder?

Als Patricia wieder aus dem Haus kam, sah er vermutlich noch immer ziemlich überrascht aus. Sie trat zu ihm, hakte sich unter und sie gingen weiter.

"Woher weißt du davon?", fragte er halblaut. Irgendwie brannte diese Frage am meisten. Doch ihm wurde gerade etwas ganz anderes bewusst. "Es tut mir leid, dass ich dir nur Halbwahrheiten gesagt habe. Ich wollte dich nicht verletzen." Denn dem war wirklich so. Außerdem: wenn Patricia ihm etwas Böses gewollt hätte, denn hätte sie das schon längst getan.

 

 

Patricia

 
 

Während Patricia im Haus verschwand und John stehen ließ, überlegte sie sich bereits wie sie dem jungen Mann jetzt klar machen sollte, was sie eben schon durch die Blume gesagt hatte. Sie brachte die Salbe, die sie vorbereitet hatte, und den Trank, den John gemischt hatte, in den zweiten Stock des Hauses. Mrs. Folley litt unter chronischem Husten und sowohl die Salbe als auch der Trank half ihr, freier durchzuatmen. Als sie klopfte öffnete Mr. Folley und strahlte übers ganze Gesicht, als er Patricia sah. Sie wünschte noch einen schönen Abend, ehe sie die Treppen wieder nach unten tanzte und kurze Zeit später wieder neben John auf der Straße stand. Sie hakte sich unter - immerhin war das ja noch sehr unverfänglich - und schlenderte mit ihm die Straße wieder entlang. Viele Leute waren nicht unterwegs, doch statt zurückzulaufen zur Apotheke, entschied Patricia einen kleinen Spaziergang zu machen, während dem sie sich gut würden unterhalten können. "Ich bin eine Frau lieber John", antwortete sie auf seine Frage, als sei es das logischste der Welt. "Ich habe euch beide beobachtet. Kieran und dich meine ich. Ihr seid nicht wie andere Männer. Aber das ich das mit.. nunja, du weißt was ich meine. Ich habe eben noch im Laden geputzt und als ich meine Sachen wegräumen wollte, habe ich deinen Vater gehört", gab sie ruhig zu. "Es gefällt mir nicht. Also dass er so mit dir redet. Dass er solche Dinge sagt." Sie sah zu John auf und lächelte. "Ich glaube, du wirst der fast perfekte Ehemann für mich sein, denn wir beide wollen doch in Wahrheit nur eines: Freiheit." Sie erreichten einen kleinen Garten, der zu einem der herrschaftlicheren Häuser gehörte und im Abendlicht schlenderten sie hinein, ungestörter als noch zuvor. "Ich habe bereits einen großen Schritt gemacht, als ich es geschafft habe, mich von dem Spital zu lösen, aber… die Welt sieht mich immer noch als ein nichts. Ich habe keinen Namen, der etwas bedeutet, und bin nur eine einfache Frau." Dass sie klug war und reflektierte, was ihr im Leben widerfuhr, war für John sicher keine besondere Neuerung. "Nehmen wir mal an, ich würde jemanden wie dich heiraten. Dann wäre ich Mrs. Forbes. Ich wäre jemand, ich hätte einen Namen. Man würde mich bemerken und gleichermaßen anerkennen. Wenn du eines Tages nicht mehr da bist", denn sie hatte durchaus bemerkt was John angesprochen hatte, als er ihr den Antrag gemacht hatte, "dann würde man mich nur noch an meinem Maßstäben messen. Was wäre schon dabei, wenn eine Frau, vielleicht eine Witwe, nicht noch einmal heiratet? Aber selbst, wenn du bleiben würdest, wenn das alles nur dazu dient, deinen Vater zu beschwichtigen - dann bin ich immer noch Mrs. Forbes. Dann bekomme ich endlich die Anerkennung, die ich mir so viele Jahre so hart erarbeitet habe." Sie blieb stehen und wandte sich John zu, schlang die Arme um seine Taille wie ein normales Paar es wohl auch getan hätte - man wusste ja nie, wer alles zusah. "Du siehst also, John Forbes, du hast dir eine sehr eigensinnige Frau ausgesucht, um sie heiraten zu wollen - aber vielleicht auch die einzige, die diesen Weg fröhlicher denn je mit dir gehen würde." Jetzt drückte sie ihm doch einen knappen Kuss auf die Lippen - mehr freundschaftlich und vielleicht auch eher, weil sie wollte, dass etwaige Zuschauer überzeugt wurden, von dem was sie sahen. Nach dem was sie von Johns Vater gehört hatte, war sie sich nicht sicher, wie "sicher" sie hier waren.

 

 

John

 

 

John ließ sich von Patricia einfach mitnehmen. Sie war offensichtlich diejenige, die genau wusste, was sie wollte, was man von ihm nicht behaupten konnte. Als sie sich schließlich erklärte, klang das sehr logisch. Sicher waren sie nicht wie andere Männer und das fiel einer Frau natürlich deutlicher auf. Würde man als Mann, wenn man Single war, bei so einer attraktiven Frau nicht das Graben anfangen? Aber wenn sie gemütlich in der Küche saßen und sich unterhielten, war es eher, als würden sich drei Freunde miteinander unterhalten. Dass ihr das auffallen musste, dass sie keine Reaktion auf ihre Weiblichkeit erhielt, war eigentlich klar, wenn man es sich recht überlegte. Sie redeten auch nie über andere Frauen und vermieden das Thema "Partnerschaft" in ihrer Gegenwart. Patricia war nicht dumm - er hätte eigentlich selbst wissen können, dass sie sie durchschaute und offensichtlich kein Problem damit hatte.

Dass sie das Gespräch mit seinem Vater gehört hatte, erklärte den Rest. Und dass sie auf seiner Seite stand, tat ihm gut. Er sah das Lächeln, dass sie ihm schenkte und drückte sacht ihren Arm etwas fester an sich. Ja, es tat gut zu erfahren, dass sie keine war, die den Hasspredigten, die sein Vater so gerne hörte, zustimmte. Was sie ihm nun erklärte ließ John lächeln. Freiheit, ja das war es, was sie beide letztlich im besonderen Maße wollten. Die Freiheit, zu leben und zu lieben wie und wen man wollte. Er konnte es nicht, weil er Männer begehrte, sie konnte es nicht, weil sie als Frau im sozialen Gefüge nicht gleichgestellt war. Gemeinsam würden sie sich ermöglichen, was sie begehrten. Nun, das klang nach einem guten Kompromiss.

Durch ihre Heirat würde niemand an seinem Interesse für Frauen zweifeln, und sie würde einen in London angesehenen Namen tragen, der ihr ganz gewiss eine höhere Stellung brachte, als sie jemals anderweitig erhalten würde. Das stimmte. Auch wenn er den Namen nicht besonders stolz trug, denn ihm selbst hatte er nie etwas gebracht und bedeutet, so würde er ihr diesen Namen gerne schenken - in Erinnerung an seine Mutter, die eine mindestens genauso kluge und feinfühlige Frau gewesen war, wie Patricia.

Sie waren stehen geblieben und John hatte sich automatisch zu ihr gedreht, um sie anzusehen. "Ich schenke dir diesen Namen gerne", sagte er dann. "Und ich hoffe, dass er dir mehr Glück beschert, wie er mir gebracht hat." Auch er hatte seine Arme um ihre Taille gelegt und merkte, wie anders es sich anfühlte, eine Frau in den Armen zu halten. Sie war seine Freundin, ihn störte es nicht, Körperkontakt zu haben. Es würde in Zukunft auch kein Problem für ihn sein, so mit ihr umzugehen, damit die Leute sehen würden, was sie sehen wollten.

Nun sagte sie wieder etwas, was einfach schlichtweg der Wahrheit entsprach: sie würde die einzige Frau sein, die er wirklich heiraten könnte. Er war der größte Glückspilz auf dieser Erde, dass er sie hatte. Dass sie ihn küsste, kurz und einfach nur freundschaftlich, störte ihn nicht, es gehörte zu einem Schauspiel, das sie soeben einvernehmlich begonnen hatten. John zog Patricia zu sich und umarmte sie innig. "Ich danke dir so sehr", sagte er leise. "Dieser Mann, Tancrèd, bedeutet mir sehr viel. Er hat mich sehr berührt, wie es sonst niemand geschafft hat. Ich muss ihn beschützen. Danke, dass du mir dabei hilfst." Sacht löste er sich wieder von ihr und blickte sich kurz um. Dann pflückte er einen Zweig einer Fuchsie, die dort blühte, und irgendwie zur Situation passte: die Blume der Rücksicht.

John ließ sich vor Patricia auf die Knie sinken und blickte sie an, ihr die Blume reichend. "Meine liebe Patricia", sagte er sanft. "Möchtest du meine Frau werden? Ich verspreche dir, dass ich niemals eine andere Frau so lieben könnte, wie ich dich liebe. Ich verspreche dir ein guter Ehemann zu sein, der dir niemals Vorschriften machen wird und sich einfach nur wünscht, dass du immer so wundervoll und eigensinnig bleibst wie du bist." Er lächelte sie an. "Ich werde dich lieben und ehren, bis dass der Tod uns scheidet." Denn als Patricia ihm sagte, dass sie sich als Witwe dann immer noch einen Mann suchen könnte, der sie nahm, wie sie war und wirklich liebte, auch körperlich, war ihm ganz klar vor Augen, wie er sie einmal verlassen würde, wenn Kieran mit Dominico nach Italien aufbrechen würde.

Dominico... vielleicht begriff er langsam, was in diesem Mann vorgegangen war, als es darum ging, seine Liebe zu beschützen... Er nahm sich für sich nur vor, dass er mit Tancred reden würde und ihm erklären würde, warum er gehandelt hatte, wie er handelte. Zu schweigen und sich nicht zu erklären, wäre das letzte, was er wollen würde.

 

 

Patricia

 
 

Vor ihrem Kuss schreckte John nicht zurück. Vielmehr schien er ehrlich froh zu sein, dass sie im Grunde in seinem Sinne sprach und vor allem für ihn. Sie lächelte. Langsam schien John ihre Beweggründe zu verstehen und wie sie erwartet hatte, konnte er sich dafür auch durchaus erwärmen. Für Patricia war es mehr als der gesellschaftliche Aufstieg. Sicher heiratete man für den gesellschaftlichen Aufstieg, das war einfach und logisch und im Grunde tat es jeder. Sie heiratete um sich frei zu kaufen von den gesellschaftlichen Zwängen und der Ächtung einer unverheirateten Frau, die auch noch Heilkunst praktizierte. Diese Verbindung hatte für sie beide nur Vorteile und im Gegensatz zu anderen "Vernunftehen" mochten sie beide sich wenigstens wirklich. Es fühlte sich gut an von John im Arm gehalten zu werden und sie lehnte sich an ihn, gewissermaßen wirklich glücklich über die Fügung des Schicksals. Es hätte schließlich auch anders sein können. Dass John nicht angetan davon war, dass sie über ihn und seine Liebe Bescheid wusste, oder dass er sie genauso missachtete - doch dann hätte sie sich sehr in ihm und Kieran getäuscht. Als John sie an sich zog und sie drückte, fühlte sie, dass er sie wirklich mochte. Dass das, was er ihr gab wirklich gewissermaßen "Liebe" war, zumindest in der Art wie John sie für eine Frau empfinden konnte. Als er ihr jetzt leise etwas zuflüsterte lächelte sie milde und konnte sich einen frechen Kommentar dann doch nicht verkneifen. "Ein Franzose..?" fragte sie leise zurück und schmunzelte. "Ein Feind also.. vielleicht sollte ich es mir doch noch einmal überlegen." Doch das meinte sie nicht wirklich ernst und als John sich jetzt von ihr löste und den Zweig abbrach verging ihr das freche Lachen doch ganz schnell wieder.

Eigentlich war ihre Hochzeit ja ohnehin besiegelt, doch John schien sich dazu entschieden zu haben, diese Sache wirklich offiziell zu machen. Als er dieses Mal vor ihr auf die Knie ging, fand er tatsächlich die Worte, die eine Frau zum Schmelzen brachten und wenn sie nicht gewusst hätte, dass John einen anderen Mann liebte, dann hätte sie es ihm vollkommen abgenommen. Denn was John sagte war einfach vollkommen wahr und richtig. Sie war die einzige Frau für die er Liebe empfand, nicht nur oder gerade eben nicht, weil sie eine Frau war, sondern weil sie ihm half und ihn verstand. Er schätzte ihre Eigensinnigkeit und ihre Weitsichtigkeit - was konnte sie mehr wollen?! Seine weiteren Worte hatten dieses leise Versprechen, dass er entweder bei ihr bleiben würde oder sie so verließ, dass sie danach frei war und nicht mehr an diese Ehe gebunden sein würde, wenn sie denn nicht wollte. Sie griff den Zweig und Johns Hände und konnte rein gar nichts dagegen tun, dass ihre Augen feucht wurden. "Bis dass der Tod uns scheidet, werde ich dir treu sein und dir bei der Erfüllung deiner Wünsche und Träume immer zur Seite stehen. Ich will diesen Weg gerne mit dir gemeinsam gehen. Du machst mich gerade zur glücklichsten Frau in ganz London." Und damit log sie nicht einmal, denn Johns Versprechen machte sie frei und erfüllte ihr damit ihren innigsten Herzenswunsch.

London 3 - Straßenfest in Cambridge

Kieran

 
 

Dass Patricia und John heiraten wollten, war eine Nachricht, die wie eine Bombe einschlug. Kieran wusste nicht so genau, was er von der Hochzeit halten sollte. Wieder einmal verfluchte er Johns Vater, der mit allen Mitteln versuchte, seinen Sohn zu erniedrigen. In Zeiten wie diesen war eine Hochzeit irgendwie fehl am Platz - zumindest für ihn persönlich. Alles befand sich für sie eigentlich im Aufbruch. Kieran ging fest davon aus, dass John mit ihm nach Italien kommen würde. Dennoch war jener gezwungen, eine Frau zu heiraten, die er zwar sehr gerne mochte, die er aber in keiner Weise so lieben könnte, wie man eine Frau wie Patricia lieben sollte.

Nichtsdestotrotz freute er sich auch für die beiden, denn John brauchte eine Frau, um von seinem Vater in Ruhe gelassen zu werden, und Patrizia brauchte einen Namen, um das zu erreichen, was sie haben wollte - er verstand das gut. Es war nicht die Hochzeit selbst, die ihn nicht sonderlich glücklich machte, sondern eher die Begleitumstände, die zu dieser geführt hatten. Immerhin hatte John seinem Vater die Pistole auf die Brust gelegt, dass er nun, da er die von ihm so dringend gewollte Hochzeit hatte, auch gefälligst die Kosten dafür übernehmen sollte. Sein Sohn, der schließlich für den Hauptgewinn in der Apotheke verantwortlich war, nutzte das, um mit Patricia eine Hochzeit zu organisieren, in der die Braut die Hauptrolle spielte.

Dominico hatte überraschend seine Kapelle und sein Anwesen zur Verfügung gestellt, und die Gäste, die hauptsächlich geladen wurden, waren Freunde aus dem Kreise der Ärzte, mit denen Johns Vater verkehrte, Freunde und langjährige Kunden der Apotheke und noch ein paar Studenten und Schwestern aus dem Krankenhaus. Es würde ein ruhiges Fest sein, aber hoffentlich zumindest eines, in dem das Brautpaar das erhielt, was es brauchte, um in Ruhe leben zu können. Patricia in einem Brautkleid stellte sich Kieran als durchaus schönes Bild vor. Neben John in einem Anzug...

Aber John als Bräutigam und liebender Ehemann?! Mal ehrlich...

Wobei er erstaunlich "liebevoll" mit Patricia umging. Es war vermutlich der Dank dafür, dass sie ihn so akzeptierte, wie er war, und ihm half, sich selbst und Tancrèd zu schützen. Irgendwie fand Kieran genau das auch wieder so unfassbar liebenswert an John. Er opferte seine Freiheit, heiratete sogar eine Frau, weil er Angst um den Menschen hatte, der es geschafft hatte, sich tief in sein Herz einzubrennen. Wenn man sah, wie lieb er mit Patricia umging, so kam Kieran manchmal der Gedanke, dass derjenige, der Johns Herz wirklich komplett für sich gewann, sich sehr glücklich schätzen dürfte.

Allerdings war auch klar, dass Tancrèd, wenn er zurückkehrte, plötzlich vor eine Situation gestellt werden würde, die er nicht würde begreifen können. Kieran hoffte inständig, dass die beiden die Gelegenheit suchen und finden würden, miteinander zu reden.

 

Kieran selbst war die ganze Zeit damit beschäftigt, zu arbeiten. Er arbeitete für die Uni, arbeitete für Johns Vater, er arbeitete für die Kranken, die er mittlerweile als seine Patienten angenommen hatte. In jeder freien Minute, die er aufbringen konnte, ritt er zum Anwesen von Dominico. Die Zeit mit Dominico war sehr kostbar für ihn. Der Italiener hatte viel damit zu tun, mit Charles zusammen den Krieg vorzubereiten, den Henry mit allen Mitteln durchsetzen wollte. Kieran sah diesen Entwicklungen sehr skeptisch entgegen. Für ihn bedeutete der Krieg, dass er auf Dominico verzichten musste, und darüber hinaus auch nicht wusste, ob jener je wieder zu ihm zurückkehren würde. Ein Leben ohne diesen Mann, war kein Leben, das Kieran jemals wieder führen wollte. In den Minuten und Stunden, in denen sie zusammenwaren, fühlte er sich vollkommen. Sie redeten viel über ihre Zukunft und Giannutri, das irgendwie zu ihrem persönlichen Paradies mutierte. Aber wie das so mit Paradiesen war - man musste hart dafür arbeiten, um dorthin zu gelangen.

Es waren nun vier Wochen vergangen, seit Tancrèd mit Alessandro und Rodrego aufgebrochen war. Giulia hatte ihnen bereits geschrieben, dass sie wohlbehalten angekommen sei. Doch von dem Schiff hatte man noch nichts gehört. Spätestens in diesen Tagen müsste es sein Ziel erreicht haben, wenn es nicht schon dabei war, wieder umzukehren und zu ihnen zurückzukommen. Wenn alles so richtig schief laufen würde, würde der Kapitän vermutlich zur Hochzeit erscheinen, die am Wochenende in 2 Wochen angesetzt war. Aber das hoffte niemand. John hoffte - so vermutete Kieran insgeheim - dass der Kapitän früher zurückkommen würde, damit sie sich vorher austauschen konnten. Er wollte vermutlich seinen Segen dafür, denn es nagte schon sehr an dem Großen. Oft sah man ihn in Gedanken versunken, die Kette haltend, so als hätte er Angst, er könnte sie verlieren.

 

Aber dieses ganze Chaos in London musste erstmal ein paar Tage ohne ihn auskommen. Kieran war gerade auf dem Weg in Richtung Cambridge. Er hatte sich eines von Dominicos Pferden geliehen und war aufgebrochen, weil seine Eltern dort gastierten und er einfach mal ein wenig diese Freiheit brauchte, die er bei ihnen bekam. Er hatte gemerkt, dass das viele Arbeiten und lernen langsam aber sicher an seinen Kräften zehrte. Wenn er die Abschlussprüfungen in 6 Wochen nicht völlig in den Sand setzen wollte, musste er jetzt ein wenig entspannen. Dominico hatte, als er ihn gefragt hatte, ob er mitkommen wolle, deutlich zu verstehen gegeben, dass er das momentan nicht könne. Sie hatten ein wenig diskutiert, weil Nico nicht begreifen konnte, warum Kieran nicht einfach auf seinem Anwesen ein wenig ausruhte. Aber auf dem Anwesen fühlte er sich nicht so wohl, wenn Dominico bei Henry war. Dann fing er dort doch nur wieder an, im Labor zu arbeiten oder zu lernen. Nein, er wollte mal ganz rauskommen und sich einfach mal wieder ein wenig sammeln. Allein die Anreise war es wert gewesen. Mit jedem Schritt, dem er sich Cambridge näherte, wurde ihm leichter ums Herz. Er freute sich auf die Unibibliothek, in die er nun ganz legal würde gehen dürfen. Er freute sich auch ein wenig, die Stadt so zu besichtigen, wie er sie damals, vor nunmehr 1,5 Jahren zuletzt gesehen hatte.

Als er bei seiner Familie ankam, und sie beim Abendessen gemeinsam dasaßen, da fühlte er sich seit langem mal wieder so richtig unbeschwert und frei.

 

 

Dominico

 
 

Die Nachricht, dass John sich mit der Gehilfin in der Apotheke verlobt hatte, war auch bei Nico eingeschlagen wie eine Kanonenkugel. John wollte Heiraten? Hatte hier nicht vor einigen Wochen noch Tancrèd gestanden und ihm gesagt, dass John mehr als nur eine Sache hatte, die Tancrèd von ihm wollte... und jetzt das? Wirklich?

Kieran hatte ihm zwar im gleichen Atemzug erklärt, warum John diesen Schritt unternahm, doch Nico war sich nicht so sicher, was der Franzose davon halten würde. Er kannte Tancrèd zwar nicht sehr gut, doch da er von Adel war wusste er, wie der Franzose aufgewachsen war Wenn man "Spaß" mit verheirateten Männern hatte, dann war das vielleicht in Ordnung - immerhin war er ja nicht besser. Doch wenn Patricia keine zweite Giulia war, dann sah es sicher schlecht für John aus. Auch wenn Nico sich selbst nur gern auf Kieran eingelassen hatte, selbst so in eine Beziehung hineinzufahren widerstrebte ihm schon. Er glaubte zumindest, dass Tancrèd ein ähnliches Bild von der Ehe hatte wie er, nämlich, dass sie über allem stand. Er hatte Giulia geheiratet und nur dank ihr und ihrer Offenheit lebte er so, wie es ihm gefiel. Als sie angesprochen hatte, von ihm die Treue zu fordern da... nun. Er wusste sehr genau, was ihn daran so erschreckt hatte: dass er sich daran gehalten hätte. So war er erzogen worden und genau deswegen verfluchte er dieses Sakrileg, das auch Henry mit Anne beging. Katharina hatte ihm immer alle möglichen Mätressen gegönnt und verziehen, solange SIE seine Frau geblieben war - doch jetzt löste er dieses Band.

Natürlich gab es Mittel und Wege dem auszuweichen, eine Trennung zu verursachen - letztlich hatte es ja auch Alessandro so mit seiner "Ehe" zum Vatikan getan, doch wusste die Frau das alles?

Jetzt wo Giulia nicht mehr da war und auch Alessandro fehlte, war er oft allein und das führte letztlich vor allem dazu, dass er sehr viel zum Nachdenken kam. Daher, teilweise um sich abzulenken und auch weil er sich in der Pflicht fühlte, bot er John und Patricia sein Anwesen für die Hochzeitsfeierlichkeiten an. Immerhin arbeitete John hochoffiziell zusammen mit Kieran bei ihm und da ein Teil ihrer Belegschaft noch vor Ort war, würde es ein schönes Fest werden - hoffte Nico.

Ablenkung konnte er wirklich gut gebrauchen. Sein Tagesplan war wirklich sehr voll, auch wenn er und Charles nicht wirklich etwas "taten". Dennoch gab es immer wieder Berichte und Hochrechnungen der Truppen, Rekrutierungen und vor allem der Bau weiterer Schiffe und deren Bewaffnung war zu überwachen. Es war eine langweilige und sehr aufwendige Arbeit, immerhin durfte man besser keine Fehler machen. Da Cromwell allerdings nicht mehr unter ihnen weilte, war es für sie beide einfacher miteinander umzugehen. Sie mussten sich nicht mehr allzu sehr hassen und dass sie einander nach dem Vorfall eher als Verbündete zur Seite standen, war wohl für jeden anderen am Hofe sehr gut zu verstehen.

Dass die Wochen so schnell ins Land zogen, bemerkte Nico erst, als Giulias Brief ankam. Sie war bereits angekommen und schrieb, dass sie für ihren lieben Vetter - Alessandros "neue" Identität - bereits alles hergerichtet hatte, so dass die Bauarbeiten an seiner neuen Residenz bald starten konnten. Außerdem schrieb sie, dass der liebe Vetter es natürlich kaum würde erwarten können, Dominico bei sich zu begrüßen. Von dem Vettern selbst war allerdings noch keine Nachricht angetroffen und auch wenn Nico wusste, dass das Schiff länger brauchen würde, so war es doch eine seltsame Situation. Er verdrängte den Gedanken an Alessandro erneut. Meistens half ihm Kieran sich wirklich gut abzulenken, doch der junge Mann konnte ja auch nicht immer bei ihm sein und so war er doch sehr oft allein. Wirklich gut ging es ihm damit nicht und er begriff langsam wirklich, in welch privilegierter Position er gewesen war, mit seiner Frau und seinem Bruder, die ihm Halt gegeben hatten. Jetzt allein zu sein, nur mit Amadeo und seinen Angestellten, fühlte sich wirklich komisch an. Vielleicht reagierte er auch deswegen so gereizt auf Kierans Anliegen, ein paar Tage mit seiner Familie zu verbringen. Nico hatte gehofft, dass Kieran eher bei ihm bleiben würde - doch auch Kieran fühlte sich in den inzwischen kühlen und leblosen Räumen des Anwesens nicht mehr so wohl wie früher.

 

Am dritten Abend nach Kierans Abreise nach Cambridge, hatte er wirklich das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Er musste warten bis alle Schiffe vom Stapel gelaufen waren, konnte nichts tun und musste zusätzlich noch Henrys Launen ertragen, während er nicht wusste, ob sein Bruder heil in Italien angekommen war, oder ob sie von irgendwelchen Piraten oder Flottenverbänden versenkt worden waren. In Situationen wie dieser dachte er sehr gern und sehr oft an die unbeschwerte Zeit zurück, die er mit Kieran ganz am Anfang ihrer "Beziehung" verbracht hatte. Er erinnerte sich noch so gut an die Auftritte der Familie Carney in Cambridge, an Kieran im Kerker und daran, wie unbeschreiblich gut sich Kierans Körper in seinen Armen angefühlt hatte. Das Haus bei Cambridge, das eigentlich Giulias Familie gehörte, war bereits ausgeräumt worden und würde bald einen neuen Besitzer haben. Ein Großteil des Mobiliars und die Bilder allerdings hatten die Reise nach Italien angetreten, schon vor einigen Monaten als Giulia noch hier gewesen war. Offiziell hatten sie das Haus verkaufen wollen, weil Giulia nicht gern dort war und weil die beiden Brüder es selten besuchten. Das war eigentlich zwar kein Grund, doch da man ohnehin in London munkelte, sie würden ihr Geld zu ausschweifend ausgeben für teure italienische Möbel, die auch in London begehrt waren, fragte niemand nach dem wahren Grund. Doch gerade jetzt sehnte sich Nico nach dem Zimmer mit dem Kamin, in dem er Kieran das erste Mal besessen hatte. Vielleicht..

Nico erhob sich von dem Stuhl, auf dem er saß, und verließ sein Zimmer. Alessandro hatte sich immer um den Papierkram gekümmert, dafür hatten sie jetzt den Sohn eines ihrer Hausangestellten, der mit Nicos Unterstützung Jura studiert hatte. Da die ganze italienische "Großfamilie" des Hauses eingeweiht war in die Rückkehrpläne der Familie nach Italien, konnte sich Nico auf deren Diskretion verlassen. Er fand den jungen Mann in Alessandros altem Arbeitszimmer, das er jetzt hauptsächlich für die Korrespondenz benutzte. "Ah, Leonardo, gut das ich dich noch treffe."

Der junge Mann hob neugierig den Blick. "Was kann ich für Euch tun?", fragte er höflich, wie Nico es gewohnt war. "Mich würde interessieren, wie weit die Räumung unseres Hauses in Cambridge vorangeschritten ist. Ist das restliche Mobiliar bereits abgeholt worden?"

"Einen Moment..." Er erhob sich und nahm eine lederne Mappe aus dem Regal, griff das letzte Blatt. "Die Kutschen sind erst vor drei Tagen hier angekommen und so wie es hier steht, brauchen sie noch mindestens eine Fahrt. Sie haben sich vor allem um die Salons gekümmert - und Lady Giulia hat so viele Sachen von hier auf das Schiff gebracht, dass keine Möbel aus Cambridge mitgenommen werden konnten. Sie sind gestern wieder nach Cambridge aufgebrochen, sie werden sicher eine Woche oder mehr brauchen, um wieder hierher zu kommen." Nico nickte zufrieden. "Ich will mich selbst davon überzeugen, dass nichts vergessen wird. In Cambridge lagerte schließlich die Sammlung von Gemälden meiner Frau."

Leonardo neigte den Kopf. "Soll ich Euch eine Kutsche bestellen, Herr?" Nico lachte leise. "Nein.. danke. Ich nehme nur einen Stallburschen mit, für die Pferde. Amadeo wird hier bleiben und mich als Hausherr so lange Vertreten."

 

Das spätsommerliche Cambridge war definitiv ein anderes, als das Cambridge zu Ostern. Es roch auch ganz anders, denn im Gegensatz zur Themse war die Cam ein kleiner Fluss und stank nicht ganz so erbärmlich wie es die Themse im Sommer tat. Trotz der Universität, die vor allem dank Wolsey so groß und berühmt geworden war, wirkte die Stadt beschaulicher und nicht so pompös wie London. Wenn der König hier verweilte, zu welchen Festlichkeiten auch immer, dann war das auch anders - doch jetzt wirkte es beinahe angenehm ruhig. Trotzdem gastierte Kierans Familie wegen eines Engagements des ansässigen Adels hier und das Bild, das sich Nico bot, als er vom außerhalbliegenden Anwesen zur Stadt ritt, vorbei am Lager der Schausteller, war so seltsam vertraut. Ob Kieran überhaupt noch hier war?

Auf dem Weg hatte er sich einen Narren geschimpft. Es war doch dämlich gewesen, einfach loszureiten, doch irgendwie hatte auch er es nicht mehr in London ausgehalten. Also war er Kieran nachgelaufen… wie sollte er es denn auf See so lange ohne ihn aushalten? Außerdem gefiel ihm die Idee, noch einmal mit Kieran hier zu sein. Ein letztes Mal Zeit mit ihm an dem Ort verbringen, an dem alles neu, aufregend und wunderbar gewesen war.

Der Wachmann am Stadttor war ein anderer, doch auch der grüßte ihn höflich als Nico ihm zunickte. Als er jetzt die Gasse hinauf zum Kirchhof ritt, fühlte er sich wie in Trance. Es war Abend und offenbar waren die Feierlichkeiten noch immer im Gange, denn alles war beleuchtet und es waren viele Menschen auf der Straße, durch die er beritten nur langsam kam. Er gab sein Pferd an einem Unterstand ab und ging zu Fuß weiter, ließ sich von der Menge tragen und landete schließlich nahe einer Schankstube, die bei den lauen Temperaturen auch draußen ausschenkte. Nico kaufte einen Krug und schlenderte den Markt entlang, hinüber zu der Bühne, die noch vor seinem Blick verdeckt war. Er versuchte die Aufregung abzumindern, doch es gelang ihm kaum. Anhand des Stimmengewirrs, des Klatschen und des Gejohles wusste er, dass gerade eine Vorstellung lief - und als er endlich den Platz vor der Bühne betrat, sah er das auch. Insgeheim lächelte er in sich hinein als er Kierans "Brüder" und "Schwestern" über die Bühne fegen sah. Er stand weiter hinten und lehnte sich an den Außenpfosten eines Marktstandes, als er Kieran doch sah. Mit breitem Grinsen und gekleidet wie der Rest seiner Familie, tat er genau den Job, bei dem er Nico das allererste Mal aufgefallen war. Er ging mit einem Hut herum und sammelte Geld.

Ganz automatisch glitt Nicos Hand in seine Tasche und er zog eine goldene Münze hervor. Als Kieran näher kam, schob sich Nico langsam nach vorn. Sicher rechnete Kieran hier nicht mit ihm und würde ihn kaum erkennen, doch die Münze würde er erkennen - ganz sicher sogar. Unauffällig und das Gesicht halb hinter der breiten Krempe des Hutes versteckt, den er trug, streckte er die Hand aus und ließ die Münze gut sichtbar in das Dunkel des Hutes fallen.

 

London 3 - König meines Herzens

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Kieran

 

Die vergangenen vier Tage waren irgendwie "extraordinary". Es tat seiner Seele gut, mal etwas ganz anderes zu tun, außer zu lernen und Menschen in den Tod zu begleiten, die momentan alle dem Fieber erlagen, das mittlerweile auch in London eingetroffen war. Es hatte weite Landstriche Englands bereits eingenommen, besonders alte und kranke, aber auch kleine Kinder erlagen reihenweise diesem Fieber. Kieran kam sich momentan wieder so machtlos vor, wie damals als Kathy gestorben war. Aber hier bei seiner Familie war es ihm vergönnt, wenigstens auf andere Gedanken zu kommen. Er hatte wieder trainiert und seine Mutter hatte ihn gemästet. Die kleinen Rollen, die er auf der Bühne einnahm, waren wiedermal etwas ganz anderes zu seinem Leben als Medizinstudent.

Doch er vermisste Dominico schrecklich. Nicht nur, weil er ihn eigentlich immer um sich haben wollte, sondern auch, weil er sich Sorgen um ihn machte. Er merkte deutlich, dass er, wenn er bei ihm war, zwei weitere Personen ersetzen musste: Alessandro und Giulia. Aber das konnte er nicht. Dass Dominico unter der Trennung litt, war mehr als klar. Dennoch hatte er diesen Ausflug hierher auch genau deshalb gebraucht. Er musste ein wenig Kraft tanken, die ihn Nico momentan kostete.

Wenn er morgen zurückreiten würde, dann würde er wieder deutlich mehr Kraft haben, für den anderen da zu sein. Darauf freute er sich mindestens ebenso sehr.

Aber zunächst hatten sie noch einen Auftritt in Cambridge und den würde er auch noch genießen.

Er war wirklich massiv aus der Übung und ihm taten die Muskeln ziemlich weh. Dennoch war das Adrenalin ein Kick, den er genoss. Nach ihrer Show ging er in alter Gewohnheit herum und sammelte das Geld ein. Geld, ja das verdiente er mittlerweile ganz gut auch alleine. Früher war das anders, da war jede Münze sehr wertvoll. Durch das Arrangement mit dem Hof, war die finanzielle Lage seiner Familie gesichert. Etwas, das sie Nico zu verdanken hatten. Es war damals schon erstaunlich gewesen, was jener für sie getan hatte...

Als die goldene Münze, der Crown, in seinem Hut landete, blickte er überrascht auf. Die Assoziation an damals war sofort da, und als er in das Gesicht blickte von dem Mann, der etwas bedeckt vor ihm stand, traute er seinen Augen kaum. Mit großen Augen blickte er SEINEN Mann an, und konnte kaum glauben, dass er wirklich hier war. Am liebsten wäre er ihm um den Hals gefallen, doch das konnte er nicht tun. Einen Moment hatte er Angst, etwas könnte geschehen sein, dass Nico gezwungen hatte, zu ihm zu kommen. Doch in den Augen des anderen konnte er nichts dergleichen lesen. Offenbar war der andere nur für ihn gekommen... "Herzlichen Dank", sagte er mit einer leichten Verbeugung, wie er es bei allen tat, die etwas bezahlen wollten und neben Nico drängelte jemand, der ebenfalls etwas in den Hut werfen wollte. Kieran konnte den Blick von Dominico nur schwer lösen, als er sich auch bei dem anderen bedankte und dann fortfuhr, das Geld für seine Familie zu sammeln. Schließlich drückte er seinen Hut Fatih in die Hand und flüsterte ihm ein. "Nico ist da, ich komme später zu euch." ins Ohr. Sein Bruder blickte auf und nickte Nico zu. "Dann bleibt sauber und tut nichts, was ich nicht auch tun würde..." Kieran grinste breit und schlenderte zurück zu Dominico. "Hat Ihnen der Auftritt gefallen, der Herr?", fragte er. "Haben Sie Interesse, mein Talent großzügig zu fördern?"

 

 

Dominico

 

Als der Crown in den Hut fiel, blieb Kierans Blick sofort daran hängen. Nico bemerkte es, als er den Arm zurückzog und Kieran ein knappes süffisantes Lächeln schenkte. Dieser Gesichtsausdruck beruhigte den Jüngeren dann auch sofort, denn in Kierans Blick hatte im ersten Augenblick neben der Überraschung die Sorge gelegen, dass etwas passiert war - doch vermutlich würde Nico dann nicht so dreinschauen. Er neigte den Kopf, so als wolle er sich für die Dankesworte erkenntlich zeigen und zog sich dann mit seinem Krug hinter die Menge zurück. Da Kieran jetzt wusste, dass er hier war, würde er sich sicher früher oder später zu ihm gesellen und so lange konnte er warten.

Sein Blick glitt über die Reihe von feiernden Menschen und unweigerlich musste er an diese schicksalhafte Nacht denken, in der auf einmal sein Bruder mit blutbeflecktem Mantel neben ihm aufgetaucht war. Er erinnerte sich an diesen Tag als sei es gestern gewesen und war gleichermaßen darüber erschrocken, dass diese Zeit schon so weit zurück lag. So hing er seinen Gedanken nach, sah zur Kirche hinüber, die langsam aber sicher im Dunkel der hereinbrechenden Nacht verschwand. Es war so ewig her, dass sein Bruder hier noch eine Messe gehalten hatte… so ewig. Jemand trat zu ihm und Nico wandte den Blick zu dem jungen Schausteller, der jetzt neben ihm stand. Das Schmunzeln, das sich auf seine Lippen legte, war genau jener Blick, den Kieran wohl auch das erste Mal von ihm geerntet hatte. Hochnäsig, abschätzend, überheblich. So war er gewesen, in dem Glauben den jungen Mann einfach kaufen zu können. Wenn Kieran hier schon auf das kleine Spiel einging, das er mit dem Crown angefangen hatte, dann konnte er doch mitspielen, oder? Aber vielleicht war eine kleine Abwandlung des Spiels gar nicht schlecht.

Die Wette damals hatte Nico verloren, doch was er definitiv am nächsten Tag im Kerker wiedergefunden hatte war seine Lust daran, Dinge zu erobern. Er mochte dieses Spiel, es hatte den Reiz an ihnen doch erst ausgemacht, bevor er von viel tieferen Empfindungen abgelöst worden war. "Der Auftritt war in der Tat ein faszinierendes Schauspiel. Eurer Truppe gebührt Respekt und sicher sollte man solche herausragenden Talente fördern, doch..." Er wandte sich Kieran zu, das freche Aufblitzen konnte er sich nicht ganz verkneifen, während er versuchte den eitlen Fatzke zu mimen "...Euch habe ich dort oben nicht besonders glänzen sehen." Was ja auch kein Wunder war. Trotzdem wusste Nico, wie sehr Kieran diese Auftritte doch auch fehlten. Ihm selbst vielleicht auch ein wenig, denn es hatte Zeiten gegeben in denen Kieran etwas… biegsamer gewesen war. Doch mit etwas mehr Zeit und Ruhe, da war sich Nico sicher, würde nicht nur er zu alter Form finden, sondern auch Kieran. Der Arme hatte ja kaum Zeit für etwas anderes als zu arbeiten und zu lernen. Mit dem Gesichtsausdruck, der ihm damals schon so eigen gewesen war und den er im Gegensatz zu seinem Bruder noch nicht ablegen konnte, sah er Kieran jetzt an. "Oder gibt es andere Talente, von denen ich noch nicht erfahren habe und die zu fördern es sich lohnen würde?" Die Zweideutigkeit seiner Worte war wirklich nicht misszuverstehen.

 

 

Kieran

 

Aaaargh! Dieser Gesichtsausdruck! Kieran konnte sich noch gut erinnern, wie ihn der geärgert hatte. Dieses überhebliche, arrogante Gehabe. Als sei der Mann etwas Besseres als er. Er wusste, dass Dominico ganz und gar nicht von dieser Sorte Mensch war. Mittlerweile wusste er das nur zu gut. Aber damals hatte es ihn wahnsinnig aufgeregt und Dominico hatte anschließend einiges dafür getan, ihm zu zeigen, dass er so nicht war. Kieran grinste in sich hinein. Das Spiel gefiel ihm, denn alles, was sie taten ließ ein wenig die Tage von damals wieder geschehen. Daher ließ er sich nicht anmerken, wie amüsiert er war, und blickte den anderen abschätzend an, als dieser ihn so musterte.

Und Kieran hatte wirklich Mühe, nicht zu lachen, als Dominico zu sprechen begann und ihm so frech klar machte, dass er alles nur nicht in Form war. Aber das hier gefiel ihm und er würde es sicher nicht unterbrechen. Seine eine Augenbraue hob sich und er sah den anderen geringschätzend an. "Meine Familie ist brilliant, aber dass ich nicht so herausgestochen habe, dass Ihr mich bemerkt habt, liegt vermutlich daran, dass meine Talente wirklich in anderen Bereichen liegen", antwortete er. "Ich bin eigentlich in der Heilkunde bewandert. Daher kenne ich mich zum Beispiel sehr gut mit Anatomie aus, zum Beispiel mit empfindlichen Stellen am Körper, die leicht reizbar sind. Oder mit Schwellungen, und wie man diese lindert. Und ich kann Öle herstellen, mit denen man so manchen Muskel verwöhnen kann, oder Elixiere, die einen heiß machen, wenn man mal nicht so ganz auf Touren kommt." Er musterte den anderen. "Aber ich bin mir nicht sicher, ob ihr meine Talente wirklich würdigen könntet. Vielleicht findet Ihr das, was ihr sucht eher in der Queen's Road. Dort gibt es einige Frauen und Männer, die sich von Goldmünzen beeindrucken lassen." Er musterte den anderen noch einmal. "Ich denke, Ihr verschwendet Eure Zeit mit mir. Ich hätte nachher noch einen Auftritt", mit diesen Worten verbeugte er sich. "Vielleicht sieht man sich mal wieder", verabschiedete er sich und kehrte zur Bühne zurück, wo seine Familie noch damit beschäftigt war, ihre Sachen herzurichten und wieder zu sortieren.

Ein breites Grinsen zierte seine Lippen, als Fatih ihn fragend ansah, und er winkte ab. Es hatte schon seinen Reiz, erobert zu werden. Wenn Nico dieses Spiel noch einmal spielen wollte, nun dann wehrte er sich in keinster Weise dagegen. Auch wenn alles danach schrie, den Mann in sein Zelt zu ziehen und mit ihm all die unanständigen Dinge zu tun, die er kannte und noch mehr. Nico war nur für ihn gekommen, was ihn unfassbar glücklich machte, und daher würde er sicher nicht lange auf ihn warten müssen.

 

 

Dominico

 

Wie sehr Kieran allein sein Auftreten als Lord hasste, wusste Nico nur zu gut. Er hatte es schon damals gesehen und auch jetzt zeigte Kierans Blick deutlich, was er von ihm hielt - wenn auch nur "gespielt". Kierans Worte unterschieden sich allerdings von damals und letztlich hatte Nico das Spiel an sich ja auch abgeändert. Es spielte auch eigentlich keine Rolle was sie einander jetzt an den Kopf warfen, doch Nico schmunzelte trotzdem überheblich, als Kieran seine Vorzüge so in den Vordergrund rückte. So "angeboten" hatte er sich ihm damals nicht - aber er hatte ja auch keinen Grund dazu gehabt.

Nico gab sich Mühe Kieran nicht allzu viel Beachtung zu schenken, wie er da so neben ihm stand. Ganz so wie es sich eben gehörte.. doch auf dessen letzte Worte hin, wandte er sich ihm doch wieder zu. "Tatsächlich..? Woher will ein kleiner Schausteller wie Ihr es seid schon wissen, was ich zu würdigen weiß und was nicht?" Doch Kieran verbeugte sich bereits und verschwand in der Menge, ließ Nico mit dem für Cambridge allzu bekannten Gefühl zurück, stehen gelassen worden zu sein. Mit einem viel breiteren und ehrlicheren Grinsen musste er erkennen, dass es ihn nach wie vor wurmte. Er wandte sich ab und schlenderte gemächlich in das Gasthaus hinüber, in dem er vorhin den Krug Bier erstanden hatte. Der Auftritt später würde sicher nicht all ZU lange dauern und so konnte er sich gemütlich mit Essen und Trinken die Zeit vertreiben und einfach an nichts denken.

Besonders lange allein blieb er nicht, denn einige anwesende Personen in dem gehobeneren Gasthaus erkannten ihn und gesellten sich zu ihm, löcherten ihn über London und den König. Nico gab bereitwillig Auskunft, während er überlegte wie er Kieran später doch noch "in sein Bett" locken konnte.

Als er schließlich Stunden später wieder hinaus trat, war es vollkommen dunkel geworden. Sicher würden die Carneys eine Feuershow zum Besten geben und Nico suchte sich einen Platz, von dem aus er gut sehen konnte. Unterhaltung dieser Art hatte ihm schon immer gefallen und eines war sicher: Wenn sie nach Giannutri kamen, dann würde er Kieran Bitten, wirklich mehr zu trainieren, um ihm so etwas zu zeigen oder es ihm selbst beizubringen. Als die Show losging, tatsächlich eine Feuershow, die inzwischen innerhalb der Stadtmauern wieder erlaubt war, war es recht ruhig geworden auf dem Platz und die Menge wartete gespannt auf das, was kommen würde. Die Carneys hatten eine gewisse Berühmtheit erlangt, eben weil sie für den König gespielt hatten. Daher waren sie jetzt auch hier beliebter als je zuvor.

Kieran hatte tatsächlich nicht gelogen was "seinen" Auftritt anging. Auch er spielte mit dem Feuer, scheinbar mit Leichtigkeit. Nico stockte jedes Mal beinahe der Atem, wenn Kieran der Flamme näher kam, doch es passierte nichts und am Ende jubelte der ganze Platz in heller Aufregung. Es war eine grandiose Show gewesen, die jetzt von einem Feuerwerk hoch über der Stadt abgerundet wurde. Nico schlängelte sich durch die Menge vor sich, hinter die Bühne in das Zelt, in dem die Familie Carney ihre Sachen zusammenpackte. Dass hier auch Frauen und Männer halb nackt herumstanden, weil sie sich umzogen, störte weder Nico, noch die entkleideten Personen. Er fand Kieran weiter hinten und klopfte neben ihm an den Holzpfosten, um sich bemerkbar zu machen. "Da seid Ihr ja..", kommentierte er leise. "Ich glaube ich verstehe euer Talent jetzt besser als noch heute Nachmittag." Er wartete bis Kieran sich zu ihm umwandte, ebenfalls schon halb umgezogen. "Ich bin tatsächlich daran interessiert, euch zu fördern. Wie wäre es, wenn wir uns bei einem Abendessen darüber unterhalten?"

 

 

Kieran

 

 

"Dir werd ich klein geben", knurrte Kieran nicht wirklich ernsthaft, als er den anderen half, aufzuräumen. Nein, die Show später hätte er sich so oder so nicht entgehen lassen. Denn die Jonglage zusammen mit dem bisschen Akrobatik am Nachmittag, war definitiv nicht das, was Kieran wirklich liebte. Schon bevor er nach London gegangen ist, hatte er es geliebt, mit dem Feuer zu spielen. Das war seine eigentliche Stärke bei ihrer Show.

Sie kehrten zu ihrem Lager zurück und Kieran merkte, wie fröhlich er war. Dass Dominico extra für ihn hierhergekommen war, hätte er sich nicht erträumen lassen, und er konnte es immer noch nicht wirklich begreifen. Ihm ging das Grinsen in der kurzen Zeit, die sie hatten, um ihre anderen Sachen zu herzurichten, nicht aus dem Gesicht. Er packte in Windeseile seine Zeug, packte es in die Satteltaschen seines Wallachs und erklärte seinen Eltern und Fatih, dass er nach der Show wohl nicht mehr kommen würde. Sie hatten Verständnis und wunderten sich vielmehr, warum er Nico einfach so hatte stehen gelassen. Er hätte ihn ja auch schließlich zu sich ins Lager einladen können. Schließlich war Nico für sie ein kostbarer Teil der Familie geworden. Doch Kieran winkte ab. "Wir haben ein Spiel begonnen, als Erinnerung an damals, als wir uns hier das erste Mal gesehen haben. Er wird mich nachher zum Essen einladen und ich denke, diesmal werde ich annehmen." Seine Eltern verstanden vermutlich nur die Hälfte, aber das war ihm egal. Ihnen letztlich auch. Sie sahen, dass Kieran glücklich war und mehr wollten sie nicht.

 

Die Show selbst war ein voller Erfolg. Die langen Aufenthalte bei London, in Abrufbereitschaft für den König, hatten zwar dazu geführt, dass sie wenig herumgekommen waren, hatte aber auch den Vorteil gehabt, dass sie mehr Zeit zum Üben hatten, als wenn sie viel Zeit für die Reise aufwenden hätte müssen. Demnach war die Show wirklich klasse. Kieran war ziemlich nervös, denn er hatte die neueste Show noch nie mitgemacht. Aber in den letzten Tagen hatten sie trainiert und es würde schon klappen.

Kieran war definitiv in seinem Element und ging völlig in dieser Show auf. Vielleicht lag es aber auch an dem Wissen, dass ein ganz bestimmter Mann anwesend sein würde, der ihm vorwarf, nur ein "kleiner Schausteller" zu sein. Als sie endeten und das Publikum in tosenden Applaus ausbrach, fühlte sich das wirklich verdammt gut an.

Kieran eilte sich, sich umzuziehen. Er roch nach dem Feuer und würde sich nochmal irgendwo waschen wollen, aber jetzt wollte er erstmal fertig werden. Eigentlich müssten sie sich am Stadttor treffen, irgendwie, aber 100%ig hielten sie sich eh nicht an den Plan. Nur, wenn er ihn hier nicht sehen würde, würde er dorthin reiten.

Aber er musste sich eigentlich gar keine Gedanken machen, denn als es neben ihm klopfte, und er sich umdrehte, stand da niemand anderes als Dominico schon direkt vor ihm. Kieran mühte sich einen irritierten und leicht überraschten Blick zu haben. "Tut Ihr das", antwortete er betont gelangweilt. Er hatte gerade sein Hemd drüberziehen wollen, ließ es jetzt wieder sinken. Einen Moment schwieg er und blickte den anderen nur an. Eigentlich müsste er ihm sagen, dass er nur mit ihm essen gehen würde, wenn er bestimmte, wohin gegangen wurde. Aber er kannte sich in Cambridge nicht mehr wirklich aus. Außerdem wollte er ja einen schönen Abend in Ruhe mit Dominico verbringen. "Nett, dass Ihr meine Talente nun besser einzuschätzen wisst, obwohl ich nur ein kleiner Schausteller bin", sagte er mit einem leicht gereizten Unterton und zog sich sein Hemd jetzt doch über. "Allerdings hätte ich gegen ein weiteres Spiel mit dem Feuer und ein ausgewogenes Essen momentan gar nichts einzuwenden", beschloss er dann. "Nur stinke ich noch wegen der Show. Ich denke, ich wäre da keine gute Gesellschaft. Aber vielleicht bietet Ihr mir ja die Möglichkeit, dass ich mich bei euch noch ein wenig erfrischen darf, bevor wir zum Geschäftlichen kommen?"

Kurz wurde sein Blick von Nico abgelenkt, als Theresa an ihn herantrat und ihm ein "Du denkst an mich?", ins Ohr flüsterte. Kieran nickte. "Ich melde mich in den nächsten Wochen bei dir, aber mach dir keine Gedanken." Sie lächelte Nico kurz an und ging dann weiter. Kieran warf dem anderen einen "Wir reden später darüber"-Blick zu und setzte wieder sein Pokerface auf. "Und wohin gedenkt Ihr mich zum Essen auszuführen?"

 

 

Dominico

 

Hach, wie hatte er diese spitze Zunge vermisst. Nico schmunzelte in sich hinein und lehnte sich gegen den Holzbalken, an den er geklopft hatte, um auf sich aufmerksam zu machen. Kieran war noch nicht ganz angezogen und ähnlich schamlos wie damals begutachtete er, was er sah. Was er sah gefiel ihm vor allem deswegen, weil Kieran offensichtlich von seiner Mutter gut mit Essen versorgt worden war. Am liebsten hätte er seine Finger über Kierans Haut wandern lassen, ihn einfach so gerne berührt und der Gänsehaut zugesehen, die sich über Kierans ganzen Körper ausgebreitet hätte, doch noch war es nicht soweit. Er hörte heraus wie viel Kieran von seinem "Angebot" hielt und es amüsierte ihn, weil er es ja letztlich selbst so provoziert hatte. Im Gegensatz zu damals war Kieran nicht so ablehnend. Er schien sich augenscheinlich auf das Essen einlassen zu wollen und Nico nickte, wenn auch leicht "gereizt" von Kierans missmutigem Benehmen.

"Ihr zeigt Euch gegenüber der Großzügigkeit, die ich an den Tag lege, nicht besonders freundlich, Mr. Carney...", gab er zurück. "Aber sei es drum. Ich gedenke Euch auf mein Anwesen zum Abendessen einzuladen, wo wir dann, ganz ungestört und in Ruhe, über mein Angebot und eure Gegenleistungen dafür sprechen können." Damals hatte er sich nicht annähernd so zweideutig ausgedrückt, aber damals war eben nicht heute und wenn Kieran jetzt weglaufen würde, dann sicher nicht weit, sondern bis dahin, wo Nico ihn finden und einfach mitnehmen konnte. Er wollte niemals vergessen, wie stolz und schön und sich seines Wertes bewusst Kieran gewesen war. Er hatte ihn dafür nicht nur geschätzt, sondern wirklich verehrt. Es mochte stimmen, dass ihm der junge Schausteller zunächst egal geworden war, nachdem er die Wette gegen Alessandro sowieso verloren hatte. Doch vom Kerker an, in dem Kieran den Mut besessen hatte, nach ihm zu fragen, da hatte er gewusst, dass das kein dummer Junge war, der lediglich zu "feige" oder zu "anspruchsvoll" war, um sich für Geld zu verkaufen. Kieran war klug, schön und zumindest in Nicos Augen all das, was der Italiener sich als Partner wünschte. Genau diesen Eifer hatte Kieran in ihm geweckt, den Willen nicht nur etwas oder in seinem Fall jemanden zu kaufen, sondern wirklich zu erobern. Theresas Ankunft ließ ihn kurz aus der Rolle fallen, als er ihr zulächelte, doch sie ging so schnell wie sie gekommen war und Kierans kurzer Blick sagte ihm, dass er mehr erfahren würde - später. Wenn dieses Spiel zu Ende und sie gemeinsam im Bett lagen. Oder im Zuber - denn natürlich hatte Nico auch den nicht vergessen.

"Also wie sieht es aus? Habt Ihr Interesse daran, den Abend auf meinem Anwesen zu verbringen, oder vergeude ich hier nur meine Zeit?"

 

 

Kieran

 

Kieran hatte sich hinabgebeugt, um sich seine Stiefel zuzuschnüren, während Dominico weitersprach. Erst einmal sagte er gar nichts, dann stand er langsam auf, blickte den andren amüsiert an. Eindeutig zweideutiger hätte es der Italiener ja nicht machen können. Kieran spürte nur zu deutlich die Wut, die er damals schon gespürt hatte. Als ob man ihn kaufen könnte! Niemals. Sicher, letztlich hatte er Domincos Hilfe und damit Geld angenommen, damit er studieren konnte. Aber die Voraussetzungen dafür waren gänzlich andere gewesen. Er war noch immer stolz auf sich, dass er sich selbst treu gewesen war, und letztlich nicht wie dieser Blonde sich verkauft hatte. Es war viel geschehen seit damals. Aber er war heute definitiv der glücklichere.

"Eure Großzügigkeit, werter Herr, hat sich mir noch in keinster Weise gezeigt", entgegnete er scharf. "Bisher habe ich von Euch nur hohle Phrasen und windige Worte bekommen - nichts weiter. Wieso sollte ich also recht freundlich sein?" Fragend blickte er den anderen an, aber nicht lang genug, als dass Nico etwas dazwischen hätte sagen können.

"Es ist aber nett, dass ihr gedenkt, mich auf eurer Anwesen - wie sagtet Ihr doch - einzuladen. Aber Ihr sagtet auch, dass Ihr mich und mein Talent fördern wollt. Ich habe nie zugestimmt, euch für eure Förderung Gegenleistungen schuldig zu sein. Und sind wir mal ehrlich." Er trat ein wenig näher und streckte sich leicht, um gedeckter und leiser weiterreden zu können. "Ich kann mir gut vorstellen, wohin dieses Gespräch führen würde und welche Art von Gegenleistungen Ihr meint. Aber eines solltet Ihr wissen. Ich bin keine von Euren Huren, die ihr mit Euren netten Worten in Euer Bett locken könnt und anschließend entlohnt. Ich denke also, Ihr vergeudet Eure Zeit." Er entfernte sich wieder ein wenig und lächelte leicht. "Ich wünsche Euch noch einen schönen Abend. Und wie gesagt: Queen's Road ist offensichtlich die bessere Adresse." Damit wendete er sich noch einmal an diesem Tag vom anderen ab, obwohl er sich eigentlich nichts sehnlicher wünschte, als den anderen endlich zu küssen, zu berühren und von ihm in den Arm genommen zu werden. Ganz zu schweigen von dem Sex, auf den er mit jedem Meter, den er in Richtung seines Pferdes zurücklegte, sich sehnlicher wünschte. Er hatte Nico die letzten Tage so vermisst, und dieses Spiel machte es ihm nicht leichter. Es machte aber auch Spaß, sehr viel Spaß.

Kieran ging zu dem Wallach, den er etwas abseits bei einem Gasthaus angebunden hatte und überlegte, wie es nun mit ihnen beiden weitergehen könnte. Letztlich war die Szene gerade eher die Szene, die sie an der Stadtmauer gehabt hatten, oder? Oder sollte man sie mit der in seinem Zelt gleichsetzen, als der andere ihn mit dem Schwert aufgehalten hatte zu gehen? Dann würde er nun zum Stadttor reiten. Zur Not würde er wieder ins Lager reiten, denn dort war Dominico ja auch hingekommen damals. Dort war es gewesen, dass er sich bereiterklärt hatte, dem anderen auf sein Anwesen zu folgen. Wobei dazwischen noch ein Gefängnisaufenthalt gelegen hatte, den er an diesem Abend - so hoffte er - nicht nachstellen brauchte.

 

 

Dominico

 

Oh ja.. das war sein Kieran. Nico erwärmte es wirklich das Herz zu sehen und zu hören, wie sehr sich der junge Mann vor ihm gegen diese Einladung wehrte. Er wollte nicht diesen Stempel der Hure aufgedrückt bekommen, nicht jetzt, nicht im Spiel, niemals. Nico würde ihn niemals so ansehen, niemals. Er ließ zu, dass sein Blick entgleiste als Kieran ihn so gnadenlos abfertigte und schließlich erneut und zum zweiten Mal an diesem Tag einfach stehenließ. Er fühlte das warme Gefühl, das sich in seiner Brust ausbreitete, die Liebe, die er zu Kieran empfand und das Verlangen nach ihm, das in den letzten Tagen zugelegt hatte. Alles in ihm schrie 'hol ihn zurück', auch wenn Kieran vermutlich gar nicht weit weg gehen würde. Es war ja nur ein Spiel. Ein Spiel dessen Ausgang sie beide ohnehin kannten. Nico wusste genau welche Stationen jetzt eigentlich auf sie warteten, doch ob der Maler noch lebte war fraglich und Kieran im Kerker zu haben, das wollte er nicht. Zumal es doch ziemlich auffällig sein würde… nein. Er hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, Kieran erst ins Lager reiten zu lassen, aber auch das fiel aus, denn dann würde es nur noch länger dauern, bis sie alleine waren. Nein.

Er folgte Kieran fast auf den Fuß, hatte ihm nur einen kurzen Vorsprung gelassen, so dass er ihn allein zwischen den angebundenen Pferden fand. Er trat von hinten an ihn heran und schob ihn dann sanft gegen die Flanke des Pferdes, das sich nicht bewegte, schlang die Arme um ihn und legte den Kopf auf Kierans Schulter. "Ihr habt recht...", flüsterte er leise gegen Kierans Ohr, "Aber es ist keine Gegenleistung, die ich erwarte", fuhr er fort. “Es ist mein sehnlichster Herzenswunsch. Ich will euch nicht für eine Nacht besitzen…" Er stockte erneut und sog tief den Geruch ein, der in Kierans Hemd und seinen Haaren hing. Feuer und Kierans unverwechselbarer Geruch, wie sehr er diese Mischung liebte. "Ich gestehe, dass meine Absichten alles andere als höflich waren, als ich den Crown in euren Hut warf, doch meine Gefühle und mein Begehren sind echt. Kein Mann und keine Frau in der Queen's Road könnte je entfachen, was euer Blick allein in mir entfacht. Ich flehe euch an, habt Erbarmen mit mir und schenkt mir eure Gesellschaft, mehr verlange ich nicht. Ich will euch kennen lernen, euch nah sein dürfen - auch ohne euch zu berühren. Ihr seid das schönste Geschöpf auf dieser Erde, das ich mit eigenen Augen je sah, und als Ihr dort oben mit dem Feuer so leichtfertig spieltet als seien es Blumen, da habe ich mein Herz an eure Wildheit verloren." Er küsste die Stelle an der seine Lippen lagen, nahe Kierans Ohrläppchen. "Reitet mit mir und ich verspreche Euch, Ihr werdet König meines Herzens sein - nicht nur heute sondern für immer."

Weg in die Freiheit - Der zappelnde Fisch

Alessandro
 

Als Alessandro klein gewesen war, war er oft am Meer gewesen und mit seinem Bruder zur See gefahren. Natürlich nie besonders weit.. doch er hatte die Sehnsucht eines Mannes nach dem Meer immer verstanden. Sehr gut verstanden sogar.

Während er und Rodrego unter Deck den Morgen genossen hatten, hatte die Raashno die letzten Kilometer der Themse passiert. Da sie nun "am falschen Ende" Englands in die Nordsee trieben, mussten sie den Ärmelkanal passieren.

Nahe an Englands Küste konnte ihnen kein feindliches Schiff gefährlich werden und so waren die ersten Tage der Reise, durch den Kanal und mit Kurs auf Spaniens Küste sehr entspannt.

Weder Rodrego noch Alessandro bekamen viel davon mit. Natürlich waren sie an Deck gewesen. Wie es die Höflichkeit gebot, hatte Tancred sie zum Abendessen in seine Kajüte eingeladen und die beiden Männer hatten angenommen. Sie hatten Luft geschnappt, das Schiff angesehen, einige Ladung inspiziert und waren dann doch nur wieder in ihrer Kabine verschwunden, um übereinander herzufallen. War es schlimm einander so sehr zu vermissen? Alessio nahm es nicht an und so schämte er sich weiterhin kein bisschen dafür, dass man sie vermutlich hörte. Zumindest sagten ihm das die Augen des Arabers, der ihnen nach wie vor ihr Frühstück brachte. Alessandro kam nicht umhin, sich darüber zu amüsieren, zumal der junge Mann wirklich attraktiv war. Sein gieriger Blick, den er nicht immer ganz verbergen konnte, amüsierte den Kardinal in ihm sehr und auch Rod schien sich inzwischen darüber zu belustigen, auch wenn er am Anfang ein wenig sauer gewesen war.

Nach einer Woche auf See hatten sie bereits gute Sicht auf andere Schiffe am Horizont. Tancrèd hatte von Alessandro eine italienische Flagge bekommen und dazu eine kleinere, mit dem Wappen des Vatikans. Ein Schiff unter dieser Flagge würde die spanische Armada nie einfach so angreifen, denn es bedeutete, dass sich ein hoher kirchlicher Würdenträger an Bord befand. Trotzdem war Tancrèd sehr vorsichtig, ließ zumindest die Deckskanonen sorgfältig so herbeiräumen, dass sie schnell einsatzbereit waren, und verschwand sehr häufig an seinen Schreibtisch, um immer wieder den Kurs zu korrigieren und nachzurechnen. Es war keine Angst, die den Kapitän unter Deck trieb, sondern eine lange gelernte Vorsicht. Alessandro konnte es gut verstehen und als ihnen tatsächlich einmal Schiffe näher kamen, zog er das Kleidungsstück an, das Rodrego am ersten Tag am liebsten über Bord geworfen hätte: seine scharlachrote Robe.

Das Kleidungsstück aus Brokat und Satin war auffällig und leuchtete in der Sonne, die hoch am Himmel stand. Ein Blinder würde ihn so auf Meilen erkennen, erst recht eine andere Mannschaft mit Fernrohr. Deswegen trieb sich Alessandro auch auf dem Deck herum, stand neben dem Kapitän am Steuerrad und ließ den Blick über die weite See schweifen. Die Schiffe eskortierten sie eine Weile lang, kamen ihnen aber nicht näher und drehten schließlich gegen Abend ab. Tancrèd sah das als gutes Zeichen, wollte sich aber dennoch noch einmal sehr genau um die Navigation kümmern und entschuldigte sich daher, dass sie am Abend nicht zusammen essen konnten. Alessandro bedauerte es etwas. Mittlerweile hatte er sich nämlich sehr an die angenehme Gesellschaft des Franzosen gewöhnt, mit dem er und Rodrego losgelöst scherzen konnten. Aber auch ein Abend allein mit Rod oder der Mannschaft an Deck hatte seinen Reiz gehabt wie er gelernt hatte. Die beiden Spanier, die das Krähennest mehr bewohnten als nur besetzten, konnten hervorragend Laute spielen und das ganze Schiff unterhalten. Und auch der Araber, Kadmin, wie Alessandro erfahren hatte, war durchaus ein netter Zeitgenosse. Man musste wissen, wie man ihm zu nehmen hatte, und meistens war Alessio "Opfer" seiner spitzen Bemerkungen gegen die katholische Kirche, doch er konnte kontern und das verschaffte ihm Respekt.

Als er an diesem Abend wieder hinunter ging, fand er Rod arbeitend vor. Einen Schmied an Bord zu haben, hatte sich für Tancrèd bereits ausgezahlt und Rod war begeistert gewesen, etwas tun zu können. Zwar gab es hier keinen Hochofen, um Metall zu erhitzen, doch vieles ließ sich auch durch einen Hammer sehr gut lösen und in Form bringen. Gerade bog er die Aufhängung eines Schwertgurtes wieder zurecht, der offenbar einmal in die Ankerkette geraten war. Noch immer in die rote Robe gehüllt, ließ Alessio sich ihm gegenüber auf den Stuhl fallen und zog die Schuhe aus. "Er sagt, wir haben Portugal bereits hinter uns gelassen. Morgen passieren wir die Meerenge von Gibraltar und segeln ins Mittelmeer. Da dort mehrere Schiffe aus Italien unterwegs sind, sollte es einfacher werden in der Masse zu verschwinden. Trotzdem müssen wir noch aufmerksamer sein..", fasste er die Worte ihres Kapitäns zusammen. "Er sagte, er wolle noch einmal die Route durchgehen und entschuldigt sich dafür heute Abend.. aber ich habe nichts dagegen.. Stattdessen.." Er legte den Kopf zur Seite. "Ich habe noch eine kleine Rechnung mit unser beider Freund offen. Sag Rodrego... tust du mir den Gefallen?"
 

Rodrego
 

Mit jedem Tag, den sie weiter von England weg segelten, blühte Rodrego mehr und mehr auf.

Jeder Tag, der die Distanz zwischen ihm und England vergrößerte und die Distanz zwischen ihm und Italien verringerte, war eine Wohltat für seine Seele, die sich freier und freier fühlte. Er hatte gelitten unter Henry, nicht weil er schlecht behandelt worden war, sondern einfach, weil er als Leibeigener immer dem Hof verpflichtet gewesen war. Und auch wenn er versucht hatte, dieses Gefühl der Fessel zu unterdrücken, so hatte es doch schwer auf ihm gelastet, wenn er es im Nachhinein betrachtete.

Jeder Tag, an dem er sich an Deck wohler und wohler fühlte, an dem er arbeitete und sein Können der Mannschaft zur Verfügung stellen konnte, tat ihm gut. Sein Körper hatte die Arbeit vermisst, die er in der letzten Zeit nur noch bedingt verrichtet hatte. Und so tat ihm, an Deck zu arbeiten, unheimlich gut.

Jeder Tag und vor allem jede Nacht, die er mit Alessandro verbrachte, ließ ihn lebendiger werden. Bald war nichts mehr von den Strapazen zu sehen, die er in der jüngsten Zeit durchlebt hatte. Er hatte sich noch nie so lebendig gefühlt, wie wenn er neben dem anderen im Bett lag und ihn betrachtete, diesen schönen Mann, den er sein Leben lang vermisst hatte.

Allerdings wurde dieses Glück immer in diesen Momenten getrübt, wenn jener - sicher notwendigerweise - dieses elendige Dreckgewand anzog, das mittlerweile Rodregos manifestierter Hass war. Nun, er wusste, dass der Kardinal in Zukunft nur noch Mittel zum Zweck war. Es war bestimmt hin und wieder sehr gut und wichtig, dass Alessio seinen "Kardinal" hatte, und es war auch schließlich einfach ein Teil von seinem Alessio und solange er ihn so nicht behandelte oder in seiner Gegenwart den Kardinal heraushängen ließ, war auch alles in Ordnung. Aber dennoch suchte er sich umso lieber etwas zu arbeiten, wenn die rote Robe neben Tancred am Steuerrad stand und für alle gut sichtbar dafür sorgte, dass ihr Schiff in Ruhe gelassen wurde.

Die Mannschaft hatte ihn gut aufgenommen. Auch wenn die Blicke, die er manchmal zugeworfen bekam, ihn innerlich schmunzeln ließen. Ihm waren diese Blicke egal, sollten sie denken, was sie wollten. Nur bei Kadmin nervte ihn das Grinsen immer wieder. Dessen spitze Kommentare, die er Alessandro immer wieder zuwarf, störten ihn am meisten. Sicher, Alessandro konnte kontern. Aber er wollte nicht, dass jener ständig nur auf den Kardnial reduziert wurde. Kadmin schien der Gedanke, einen Mann der katholischen Kirche zu vögeln, irgendwie besonders anzumachen. Aber auch das trübte ihm die Stimmung nicht. Es ging ihm viel zu gut dafür, sich von dem Araber gestört zu fühlen...

Dass Tancred ihnen aus dem Weg ging, wunderte ihn ein wenig. Er kannte den Kapitän nicht wirklich, aber er war ihm sehr sympathisch. Er wusste nicht so genau, ob er ihnen wirklich aus dem Weg ging, aber es kam ihm so vor. Was auch immer der Grund war, es ging ihn nichts an.
 

Rodrego betrachtete den Schwertgurt und setzte gerade wieder die Zange an, als Alessandro hereinkam und sich ihm gegenüber hinsetzte. Er nickte, auf die Ausführungen des andren hin und fuhr in seiner Arbeit fort, bis Alessandro ihn um Mithilfe bat. Er blickte auf und den Kardinal an. Wollte er das? Einen Moment dachte er nach, aber Kadmin nervte ihn wirklich ein wenig. Er seufzte leicht. "Ist gut", sagte er. "Aber du weißt, wie wenig ich diese Spielchen mag..."
 

Alessandro
 

Als Kadmins Schritte einige Zeit später auf der Treppe erklangen und er klopfte, rief Rod ihn herein. Alessandro kniete vor ihrem kleinen Altar, noch immer in rot gewandet. Kadmin trug einen großen Korb und ein Tablett, von dem her es verführerisch nach fangfrischem Fisch duftete. Hmn.. der Koch hatte es wirklich drauf. Der Araber musterte den Kardinal spöttisch, der ihm nur einen knappen Seitenblick schenkte und stellte das Essen auf dem Tisch ab. "Euer Eminenz beten wohl schon im Voraus um Vergebung für die Unzucht, die ihr heute Nacht im Sinne habt..?", fragte er, wie immer mit diesem frechen Unterton, der zu sagen schien, dass man ihm ohnehin nichts anhaben konnte. Alessandro schmunzelte, bekreuzigte sich und erhob sich. "Nichts dergleichen, Kadmin." Der Araber neigte das Haupt leicht und wollte sich schon wieder auf den Weg zurück machen, als Alessio einschritt. "Wohin so schnell, junger Mann?" Seine Stimme wurde eine Spur kühler. Es gab da diesen Tonfall, den man in der Kirche lernte, wenn man Ungläubige oder Kinder maßregeln wollte, ohne laut zu werden. "Leistet uns doch Gesellschaft beim Essen." Kadmin drehte sich um. Seine Augenbraue rutschte in die Höhe und er schluckte. Der Blick des Kardinals gefiel ihm nicht. "Eure Eminenz sind zu gütig, doch ich habe-" "Das war keine Bitte."
 

Rodrego
 

Rodrego saß auf seinem Stuhl, der hinter der Tür stand, und las in einem der Bücher, die Giulia ihnen offenbar eingepackt hatte. Als er klopfte, bat er den Araber herein, während Alessandro sich in Pose brachte. Der Araber wollte den Kardinal, nun sollte er ihn kennenlernen...

Er legte das Buch zur Seite und beobachtete den durchaus gutaussehenden Mann, der es offensichtlich sehr, sehr nötig hatte, und nirgendwo anders zum Zug zu kommen schien. War es eigentlich nicht in der Welt des Islams besonders schlimm, auf das eigene Geschlecht zu stehen? Nicht, dass er sonderlich religiös wäre - es war nur ein Gedanke. Kadmin stellte das Tablet ab und da war es wieder, dieser Kommentar, den er sich echt schenken konnte. Rodrego stand leise auf und wartete ab. Als Alessandro den anderen aufhielt, schloss er die Tür. Er trat hinter Kadmin, der Alessandro ansah und raunte ihm von hinten ins Ohr. "Du wirst doch dem Kardinal diesen kleinen Wunsch nicht abschlagen, Kadmin!" Er hob die Hand und strich dem Araber kurz übers Haar, ließ seine Hand den Rücken hinunterstreichen und sie dann über den Hintern des anderen gleiten. Dann trat er um ihn herum und stellte sich leicht hinter Alessandro, legte diesem die Hand um die Taille. "Er ist wirklich sehr lecker... der Fisch", sagte er dann halblaut und deutete dem Araber mit einem Kopfnicken an, sich an den Tisch zu setzen. "Er ist frisch und schmeckt sicher nach Meer. Ob der Fisch sehr gezappelt hat, bevor er erlegt worden ist?"
 

Alessandro
 

Dass Rod nicht sehr begeistert sein würde, wusste Alessandro. Dabei ging es vermutlich auch weniger um Kadmin an sich, sondern eher um ihn als Kardinal und diese Ränkespiele, die Rodrego so sehr hasste... Alessio verstand ihn in diesem Punkt nicht ganz, aber das lag sicher auch daran, dass er mit derlei Spielerei groß geworden war. Für ihn hatten Spiele seinen Reiz... zumindest dann, wenn nicht gerade sein oder Rodregos Leben davon abhing. Immerhin würde er auf Giannutri keine Chance mehr dazu haben, denn mit Rod zu spielen, das würde er sich nie erlauben.

Kadmin war etwas irritiert stehen geblieben und als sich die Türe hinter ihm schloss, richtete er sich unabsichtlich bereits etwas mehr auf. Anscheinend schien er zu riechen, dass etwas ganz und gar nicht stimmte. Kadmin war ein kluger Mann und in der Mannschaft deutlich etabliert und zwar an oberster Stelle. Dorthin war er sicher nicht gekommen, weil er kein Feingefühl für gefährliche Situationen hatte. Er wusste, dass er wohl zu weit gegangen war und das diese beiden Männer jetzt ein ernstes Wörtchen mit ihm zu reden hatten... zumindest rational wusste er das. Als er jetzt jedoch dort stand und Rodrego von hinten an ihn herantrat, sein Haar berührte und dann seinen Rücken hinabfuhr bis zu seinem Hintern, konnte man sehen, dass er sich leicht versteifte. Eine sehr interessante Reaktion für Alessandro. Denn die Berührung zeigte nicht die Abscheu oder das Unbehagen, das der Kardinal erwartet hatte. Es war mehr etwas Bekanntes, das in Kadmins Augen aufblitzte. Er kannte dieses Gefühl, auch das Gefühl des großen Mannes hinter sich und auch die Berührung seiner Kehrseite war Kadmin nicht unbekannt... Alessandro verkniff sich ein Lächeln und wartete, bis Rod zu ihm trat. So wie sie dastanden, wirkte es tatsächlich so wie es im Vatikan 1000fach vorkam: Kardinäle oder Bischöfe, die sich mit Liebhabern umgaben... genau das, was Kadmin offensichtlich so gefiel.

Der Araber sah zu dem Tisch hinüber, auf dem der Fisch lecker zubereitet auf der Platte lag. Auch wenn es ihn anscheinend sehr reizte jetzt einfach auf den Kardinal zuzugehen und die zweite Interpretation dieser Zusammenkunft auf den Prüfstand zu stellen, tat er es nicht. Stattdessen ging er zum Tisch, griff sich das Besteck und fing an, den Fisch sorgsam zu zerlegen. Dass er auch das beherrschte, war auf See kaum ein Wunder.

Alessandro schmunzelte und trat langsam ebenfalls an den Tisch heran, beobachtete was Kadmin tat. Der Araber verteilte das Essen auf den Tellern und sah dann zu ihm auf. Sie waren sich recht nahe gekommen, dadurch dass Alessio sich vorgebeugt hatte - doch Kadmins Vorstoß, ihn zu küssen, verlief im Sande, weil Alessio sich rechtzeitig wieder aufrichtete. "Hervorragend“, erklärte er feierlich und setzte sich formvollendet erhaben auf den Stuhl, während Rod ebenfalls Platz nahm. Kadmin verzog keine Miene und setzte sich ebenfalls. Sie begannen schweigend zu essen, ehe Alessandro Kadmin den Blick wieder zuwandte, kühl und gelassen wie immer. "Wer ist also der Mann, mit dem IHR hier an Deck Unzucht treibt?", fragte er beinahe so, als habe Kadmin ihm das eben im Beichtstuhl gestanden. Der Araber hustete. "Euer Eminenz.. ich glaube ihr verwechselt-" Alessandros Gabel setzte sich beinahe zärtlich auf Kadmins Handrücken am Tisch. "Ich glaube nicht. Gott hat es mir gesagt... und mit seiner Hilfe werde ich es aus euch herausholen, da bin ich mir sicher." Sein Lächeln, noch immer so unendlich freundlich, spiegelte nicht die unterschwellige Drohung wieder. "Also.. erspart uns doch diesen Weg und sagt es einfach - dann haben wir alle unsere Ruhe." Denn sobald sie wussten, zu wem Kadmin sonst ging, der jetzt anscheinend nicht ausreichte, solange Alessandro und Rodrego an Bord waren, würde der Araber sich hüten, noch einmal ein Wort gegen den Kardinal zu sagen oder allzu offensichtlich zu spannen. "Andernfalls..." - Alessio ließ die Worte einen Moment in der Luft hängen - "seid Ihr es, den die Mannschaft an Deck heute schreien hören wird."

Kadmin schluckte. Tancred hatte ihm mehr als deutlich eingebläut, in jeder Situation vorsichtig zu sein. Doch so langsam begriff er, dass er es hier nicht mit einem reichen Schnösel und seinem Lustknaben zu tun hatte, auch wenn die beiden vielleicht hinter verschlossenen Türen so klangen. Er war unvorsichtig gewesen... und jetzt gerade bekam er den Preis dafür. Doch Tancred zu verraten, stand ihm absolut nicht im Sinn. Das konnte er sich nicht erlauben, weder für sich noch für den Kapitän. Und überhaupt würden seine Kameraden ihn befreien, wenn die Männer ihm hier unten Gewalt antun wollten. Sobald man hörte, dass er schrie, würden sei mit gezückten Säbeln hier hereinstürmen und.. Kadmins Gesicht wurde etwas blasser, als ihm klar wurde, dass das auch dem Kardinal klar sein musste. "heute schreien hören" bezog sich nicht auf Folter, das wurde ihm gerade sehr schmerzlich klar. Oder eher.. eine andere Art der Folter. Er schluckte erneut und schob sich mit der freien Hand das nächste Stück Fisch in den Mund, um keinen allzu dämlichen Gesichtsausdruck zu machen, während er nachdachte.. sehr verzweifelt nachdachte.
 

Rodrego
 

So, wie Kadmin reagierte - oder eben nicht reagierte - war Kadmin gewohnt, mit Männern, oder zumindest einem Mann, zu schlafen. Denn jemand, der Sex zwischen Männern wirklich als Unzucht betrachtete, hätte auf seine Berührungen sicher mit Widerwille reagiert. Er hätte sich empört, ihn beschimpft, hätte versucht zu gehen. Kadmin aber wehrte sich nicht, schien vielmehr abzuwägen was geschehen würde, ob er darauf einsteigen sollte oder nicht.

Offenbar entschied er sich, mitzumachen und abzuwarten, was geschehen würde. Er setzte sich an den Tisch und bereitete ihnen den Fisch zu. Alessio folgte ihm und setzte das Spiel fort, das dem Araber die vage Hoffnung ließ, endlich auch mal zum Zuge kommen zu können. Alessandro spielte großartig, das musste man ihm lassen, aber Rod konnte da durchaus mithalten. Er spielte die Rolle des hörigen Lustknaben weiter, der dem Kardinal den Stuhl rückte und sich erst setzte, als dieser saß. Rodrego aß, den Blick immer wieder auf Alessio gerichtet, so als sei er diesem verfallen. Erst als Alessandro den anderen fragte, mit wem Kadmin schliefe, blickte er den ersten Maat fragend an. Die Drohungen verunsicherten diesen zusehends. Es war offensichtlich, dass Alessio ins Schwarze getroffen hatte. Die Reaktion des Arabers sprach Bände.

Rodrego schmunzelte und blickte Alessandro an. "Aber mein Liebster", sagte er leise an Alessandro gewandt. "Er sagt uns doch schon genug. Denn vorhin wurde deutlich, dass er der passive Part ist. Er ist es gewohnt, seinen schönen Hintern herzugeben. Gleichzeitig ist er der erste Maat. Es gibt keinen, der über ihm steht, der ihn nehmen dürfte - bis auf einen einzigen..." Sein Blick wanderte zu Kadmin und er blickte ihn fragend an. "Lässt er dich nicht ran? Bist du ihm nicht mehr gut genug? Oder hat er einen anderen, den er deiner vorzieht?" Er lächelte mitleidig. "Das ist schon ein hartes Los! Zwischen all den Männern, die man glauben lässt, nur Frauen zu begehren..." Er seufzte und blickte Alessandro wieder an. "Da kann man schon verstehen, dass ihn das erregt, sich vorzustellen, wie wir uns unserer Lust hingeben..." Er mutmaßte nur, er wusste nicht. Vielleicht würde das den Lockenkopf aus der Reserve holen.
 

Alessandro
 

Auch wenn Rods Begeisterung für dieses Spiel zu wünschen übrig ließ, er spielte es hervorragend. Ein bisschen amüsant war es schon, Rod in der Rolle seines hörigen Lieblings zu sehen. Es zeigte dem Kardinal ein wenig von der schauspielerischen Glanzleistung, die Rod vor dem König und im Tower abgeliefert haben musste, und es war schön zu sehen, dass nicht alle Talente ihrer Jugend einfach so verschwunden waren. Früher hatten sie sich schließlich immer Gegenseitig übertroffen mit ihren Tricks und Streichen.

Kadmin realisierte erst viel zu spät, dass er sich hier zu weit vorgewagt hatte und blind gewesen war für die Momente, in denen er Alessandro anders hätte wahrnehmen können. Der Kardinal war nicht einfach nur ein Gast auf Tancreds Schiff, weil er der Bruder des Heermeisters seiner Majestät war und Tancrèd dem einen Gefallen tat. Nein, Alessandro Sforza wusste anscheinend sehr genau, was er auf diesem Schiff tat und wohin die Reise für ihn ging. Er schalt sich einen Idioten, nicht mehr darauf geachtet zu haben, wer sein Gegner war, und sich von der roten Robe hatte verführen lassen. Rodrego führte ihm außerdem gerade sehr eindrucksvoll vor Augen, dass nicht nur Kadmin selbst spannen konnte, sondern dass auch die Auffassungsgabe der beiden Männer am Tisch sehr ausgeprägt war. Unweigerlich drückte er sich fester in den Stuhl als Rodrego auf seinen "schönen Hintern" zu sprechen kam und dem Kardinal deutlich machte, dass es nur einen Mann auf dem Schiff gab, der dafür in Frage kam. Alessandro musste kein weiteres Mal nachfragen, denn Kadmins Gesichtsfarbe wurde selbst in der spärlich beleuchteten Kammer immer dunkler. Langsam hob der Kardinal die Gabel wieder an und Kadmin zog die Hand zurück, kaum dass sie frei war. Der Blick des Kardinals war forschend milde, so als sei er gerade dabei einem kleinen Jungen zu erklären, dass man keine Äpfel aus Nachbars Garten stahl. Kadmin kroch die Scham ins Gesicht und dieser Gesichtsausdruck machte es kein bisschen besser. Er fühlte sich nackt und bloßgestellt, allein Robe und Auftreten des Mannes, dem er eigentlich unter diese roten Stoffbahnen hatte kommen wollen, schüchterten ihn in dieser Situation deutlich ein. Ein mildes Lächeln legte sich jetzt auf Alessandros Züge, als Rodrego die letzten Worte aussprach und Kadmins Reaktion erneut sehr eindeutig war, als der auf die Frage nach "dem anderen" deutlich die Faust ballte. Nicht dass Alessandro das nicht gewusst hätte. Nico hatte ihm von seinem Gespräch mit dem Kapitän erzählt und natürlich hatte sein Bruder sich darüber ausgelassen, dass der Kapitän einen Narren an John Forbes gefressen hatte. Aber dass es wirklich so ernst war, dass Tancred sich die Reise nicht mit seinem überaus willigen ersten Maat versüßte, sagte viel aus. "Es scheint ganz so zu sein, als haben sich die Interessen des Kapitäns geändert. Und so sehr ich eure missliche Lage verstehe... Ich wünsche keine weitere Einmischung in meine Angelegenheiten, da ich mich ansonsten gezwungen sehe, dieses Wissen unter eurer ganzen Mannschaft zu verbreiten. Und ich bin sicher, dass Ihr das genauso wenig wollt, wie wir gestört werden wollen." Kadmins Hand ballte sich fester, sein dunkelrotes Gesicht wurde nach Möglichkeit noch röter, doch weder tat noch sagte er etwas. Offenbar hatten Rodrego und Alessandro den wunden Punkt gefunden, von dem auch Kadmin hoffte, dass es nie Mitwisser gab. Alessandro richtete sich wieder auf und griff nach seinem Becher. "Ihr könnt gehen."

Kadmins Stuhl landete auf dem Boden, so eilig hatte es der Araber, aus dem Raum zu flüchten. Alessandro sah ihm nach, ehe die Türe hinter ihm wieder ins Schloss fiel. "Hmn.. er kann einem beinahe leidtun." Die Kardinalsmaske fiel in sich zusammen und er zupfte sich den Galero vom Kopf. "Hilfst du mir beim Ausziehen? Es ist so warm in diesem Ding...“
 

Rodrego
 

Kadmin hatte weit weniger ein Pokerface, als es Rodrego erwarte hätte. Irgendwie war er fast schon ein wenig enttäuscht, dass der Araber es ihnen so leicht machte, etwas gegen ihn in der Hand zu haben. Aber es war ok und gut, dass jener jetzt vielleicht begriff, dass das alles hier anders war, als er es sich vielleicht in seinen schmutzigen Phantasien ausmalte. Vielleicht würde dann der Rest der Reise, der sich vermutlich auf noch eine Woche belief, als absolut angenehm erweisen. Denn letztlich war Kadmin der einzige, der ihnen hier wirklich ein wenig auf die Nerven ging. Der hochrote Kopf des anderen verriet letztlich, was sie sich schon im Vorfeld ausgerechnet hatten und gab ihnen die Bestätigung. Alessandro brachte auf den Punkt, was sie von Kadmin forderten, damit hier niemand Probleme bekam.

Rodrego musste breit grinsen, als der erste Maat aus dem Zimmer floh. Als Alessandro sein Mitleid ausdrückte, blickte er diesen an. Einen Moment betrachtete er den Mann, den er so sehr liebte. Die Veränderung, die durch ihn ging, war immer wieder faszinierend. Und nie war Alessandro so schön in seinen Augen, wenn er einfach nur er selbst war. "Natürlich", sagte Rod leise. Ihm dieses vermaledeite Ding auszuziehen, war ihm nur recht. Er stellte sich hinter ihn und half ihm, sich von der Last der Robe zu befreien. So sehr er das Ding hasste, er wusste auch, dass sie davon immer wieder profitierten, also legte er sie sorgfältig ab. Seine Gedanken waren bei dem Araber. Ja, ein wenig konnte er einem leidtun.

Er drehte sich zu Alessandro um, der sich hingesetzt hatte, um nun in Ruhe zu essen, und er trat von hinten an ihn heran, küsste ihm sanft den Nacken und umarmte ihn, seine Hände über die Brust streifen lassend. Die Zeit an Bord war so angenehm gewesen, denn es stand nichts mehr zwischen ihnen und Rodrego fühlte sich dem anderen verbundener denn je.

"Er gefällt dir, hab ich recht?", fragte er und löste sich leicht, um sich ebenfalls zu setzen. Er sah den anderen an. "Ich würde dir nie etwas verbieten, solange ich weiß, dass manches nur mir vorbehalten bleibt und dass nur ich Platz in deinem Herzen habe." Und da war er sich sicher, dass dem so war. Sonst wäre er nämlich nicht mehr hier. Alessandro war schon immer jemand, der Bedürfnisse befriedigen musste. Und Rodrego wusste, dass er ihn eher verlieren, als an ihn binden würde, wenn er Alessandro verbieten würde, seinen Gelüsten nachzugeben. Er selbst würde es für sich ja auch nicht anders handhaben. Gelegenheitssex mit jemandem, der einem gefiel, war eine Sache, etwas anderes war, sein Herz jemandem zu schenken.

Und solange er Alessios Herz besaß, war er glücklich.
 

Alessandro
 

Sich endlich aus der Robe zu schälen war die reinste Wohltat für Alessandro. Es war auf dem Meer zwar kühler als an Land, aber immer noch sehr warm. Daher war es wirklich angenehm aus dem schweren warmen Stoff heraus zu kommen und ein wesentlich leichteres Hemd anzuziehen. So konnte er das Essen auch genießen, das wirklich hervorragend zubereitet war. Als Rod ihn auf einmal umarmte sah Alessio auf und lehnte sich leicht an den anderen. Es fühlte sich gut an, ihm immer nah sein zu können, wenn er es wollte und wann immer sie beide es wollten. Auch wenn Alessio sich noch daran gewöhnen musste, es gefiel ihm zweifelsohne und er wollte das auch nie wieder missen müssen. Rodregos Worte allerdings ließen den Kardinal schmunzeln. "Dir nicht..?" Kadmin war immerhin ein attraktiver junger Mann, der es sicher nicht nur wegen seiner vorlauten Art in Tancreds Bett geschafft hatte. Kadmin sah aus wie jemand, der einem wirklich viel Spaß für eine Nacht bereiten konnte und Alessio war dem schönen Araber wirklich nicht abgeneigt, zudem er irgendwie etwas Exotisches an sich hatte.

Doch Rods weitere Erklärung, als der sich wieder setzte, neben ihn dieses Mal, ließ Alessio die Stirn runzeln. Offenbar gefiel ihm nicht, was er zu hören bekam. Er legte die Gabel bei Seite und sah Rod durchdringend an. "Glaubst du ich würde das machen?" Die Entrüstung in seiner Stimme war deutlich zu hören. "Dass ich jetzt da raus gehe und ihn mir zur Brust nehme? Rod, ganz gleich wie sehr er mir gefallen mag... selbst wenn du das gutheißen würdest unter den genannten Bedingungen… niemals würde ich das machen - ohne dich!" Man sah ihm die Entrüstung jetzt auch deutlich an. "Ja, er gefällt mir. Und ja, ich hätte nichts dagegen ein bisschen mit ihm zu spielen, aber nur dann wenn du da bist.. zu dritt“, verdeutlichte er, was er meinte. "Ich will das nicht allein machen. Nicht weil ich glaube es nicht zu können, sondern weil… das gehört sich einfach nicht." Er merkte, dass das wohl etwas schwachsinnig klang. "Gut, gehören klingt falsch. Aber.." Alessio rang sichtlich nach Worten. "Ich würde ihn zwischen uns sehen wollen. Körperlich meine ich. Nicht mich mit ihm allein.. und was deine Privilegien angeht, so hast du recht. Ich würde niemals wollen, dass jemand anders mich so berührt... auch wenn ich manchmal nichts dagegen hätte, den Spieß umzudrehen." Er grinste, griff nach seinem Becher und trank einen großen Schluck. "Bitte.. sprich nicht davon, mir etwas zu verbieten oder von Freiheiten. Weder werde ich dich "betrügen", noch will ich es umgekehrt, ganz gleich, wie sehr man sich diese Freiheiten zugesteht. Kannst du damit leben?"
 

Rodrego
 

Rodrego hatte ehrlich gesagt noch gar nicht darüber nachgedacht, ob ihm Kadmin gefiel oder nicht. Das lag vermutlich daran, dass er gerade einfach nur genoss, Alessandro wieder ganz für sich zu haben. Und es lag vermutlich daran, dass der Araber ihm erstmal eher negativ aufgefallen war.

Dass Alessandro so auf seine Worte reagieren würde, hätte er nicht gedacht. Trotzdem ließ es ihn auch innerlich schmunzeln. Zu hören, dass der andere ihn in seinem Bett nie missen wollte, dass er ihn nicht "betrügen" würde, tat seiner Seele gut. Gleichzeitig brachte er ihn auf Ideen, die er selbst noch nicht erdacht hatte. Rod musste grinsen, als er den Satz "es gehört sich nicht", hörte, und noch mehr, als der andere ihm sagte, dass er durchaus mal Lust hätte, den Spieß umzudrehen. Als Alessio ihm klar machte, wie er ihre Beziehung sah, erwiderte er den Blick einen Moment schweigend.

Dann griff er kurzerhand nach dem Handgelenk des andren und zog diesen auf einen Schoß, umarmte ihn und küsste ihn sanft. "Damit kann ich gut leben", sagte er schließlich und er küsste ihn noch einmal. "Und ich kann auch damit leben, wenn du den Spieß umdrehst", erklärte er dann und zwickte seinem hübschen Italiener leicht in den Hintern. "Und über einen Dreier habe ich zwar noch nicht nachgedacht, aber damit kann ich auch ganz gut leben, solange er dich höflicher behandelt." Er grinste leicht und küsste den anderen noch einmal. Eine Nacht, in der Kadmin in ihrem Bett auch auf seine Kosten kommen könnte, damit würde er kein Problem haben. "Aber ob der hier das Zimmer noch einmal betreten wird?" Er lachte leicht, als er an die Flucht des anderen gerade dachte. "Mal sehen, was passiert..."

Weg in die Freiheit - Leere

Tancrèd

Die Zeit auf See tat Tancred wirklich gut. Rauszukommen aus der engen Stadt, hinaus auf die freie See und wieder den Gezeiten trotzen, das war in den letzten Wochen und Monaten wirklich viel zu kurz gekommen. Einziger und riesiger Wehrmutstropfen war tatsächlich die Tatsache, dass John nicht da war. Er vermisste ihn bereits in dem Moment, in dem das Schiff abgelegt hatte und zu allem Überfluss hatte er auch immer noch das Gefühl, sein Bett rieche nach dem Arzt. Selbst sein Hemd, das John gewaschen hatte, roch nach John und Tancred hatte es auf sein Kissen gelegt, um John irgendwie immer bei sich zu haben. Das Backgammon-Spiel, das John ihm zum Abschied geschenkt hatte, lag auf seinem Schreibtisch. Er hatte es aufgebaut und so hingestellt wie sie damals den Tisch verlassen hatten und die See war so freundlich ihn jeden Abend erneut vor diese Aufgabe zu stellen, weil die Steine bei schwerem Seegang gern verrutschten. Doch irgendwie war es jedes Mal so als wäre John bei ihm und das machte ihn irgendwie glücklich.

Beschwerlicher war die Sache mit der Leere in seinem Bett. Kadmin hatte sich tatsächlich an ihm versucht und Tancrèd hatte ihn sehr zügig abgewiesen. Kadmin war nicht sehr begeistert gewesen und Tancrèd konnte ihn irgendwie sehr gut verstehen. Der Kardinal und sein Liebhaber waren wirklich nicht besonders zurückhaltend und vor allem der Kirchenmann hatte eine Stimme, die Engel erweichen konnte, wenn er heiße italienische Liebesschwüre in höchster Lust von sich gab. Nach beinahe drei Wochen auf See war es fast soweit gewesen, dass Tancrèd Kadmin freiwillig wieder in seine Kajüte gelassen hatte, doch an diesem Abend war er Zeuge einer vollkommen anderen Sache geworden.

Sie hatten sich inzwischen weit in italienische Gewässer begeben, würden am nächsten Tag sicher die Insel erreichen, auf der man sehen würde, wie weit Giulia Sforzas Bemühungen bereits gediehen waren. Kadmin, der zu Beginn ihrer Reise offenbar einen Narren an dem Kardinal gefressen hatte und seither nichts anderes tat, als den Mann unterschwellig zu verhöhnen, hatte das Spiel seit einiger Zeit aufgegeben. Stattessen unterhielt er sich auffällig höflich mit dem rotgewandeten Mann, wenn er denn an Deck war, und auch mit dem Schmied schien er sich zumindest fachlich auszutauschen über einige ihrer Haken und Umlenkrollen, die sie für die Takelage benutzten. Eigentlich war es vollkommen normal, dass Kadmin einige Zeit brauchte, um "warm" zu werden mit anderen, doch dieser Wandel war seltsam gewesen. Er wusste, dass er auf dieser Fahrt ohnehin nicht wirklich bei der Sache war, weil er zu oft an John dachte und das schlechte Gefühl in seiner Magengrube nicht bändigen konnte, aber dass er den Grund für diesen Wandel verpasst hatte, fuchste ihn doch. Als die Insel, zu der sie zu segeln gedachten, von Tulio und Miguel in der Abenddämmerung am Horizont ausgemacht wurde, jubelten die Männer an Deck lauthals los.. und das markierte den Start einer rauschenden Feier. Ihr Koch zog alle Register in der kleinen Kombüse und verbrauchte den ganzen Rest an Vorräten, da sie auf Giannutri neue Ladung an Bord nehmen würden und so feierte die ganze Mannschaft an Deck, wechselte sich zu den Wachdiensten immer wieder ab, um jeden in den Genuss leckeren Essens und Weins kommen zu lassen. Tancred empfahl sich irgendwann, er musste sich noch einmal die Karte ansehen, die Alessandro ihm gegeben hatte. Sie war nicht perfekt, aber besser als alles andere, das sie hatten. Sie zeigte einige der Felsen, die vor der Insel aus dem Wasser ragten und die auch ihrem Schiff gefährlich werden konnten. Tancred würde morgen sehr ausgeruht und aufmerksam sein müssen, um sein Schiff sauber durch diese Hindernisse zu bringen.

Gerade als er sich auf das Bett legen wollte, drangen neben ihm allzu bekannte Geräusche durch die Planken. Nicht nur die Mannschaft war unfreiwillig zum "lauschen" verdonnert, wenn der Kardinal und Rodrego zur Sache kamen, auch ihm ging es nicht anders. Er schmunzelte in sich hinein, gönnte es den beiden Männern ja eigentlich... bis auf einmal eine dritte Stimme zu hören war. Tancred zuckte zusammen. Er musste sich täuschen! Erneut schloss er die Augen, um besser zu hören, doch Kadmin tat ihm den Gefallen, beim nächsten Mal lauter zu sein... Die Woge der Wut, die in ihm hochkochte, konnte er sich selbst nicht ganz erklären, ehe er den Kopf unter das Kissen steckte und versuchte, die drängenden lüsternen Laute von unten zu ignorieren, die heiser gekeuchten Worte der Lust und des Begehrens und vor allem Kadmins dunkles Stöhnen das unweigerlich für Erregung bei dem Mann sorgte, der den Körper des Arabers mehr als einmal genossen hatte.

Vier Tage später befanden sie sich an der gleichen Stelle wie in dem Moment, in dem Tancrèd Kadmin das erste Mal hatte unter Alessios und Rodregos Einfluss so stöhnen hören. Sie hatten die beiden Männer unversehrt auf der Insel abgesetzt, auch wenn sie für das erste Anlanden beinahe den ganzen Tag gebraucht hatten. Dann hatten sie ausgeladen und das Schiff mit Proviant neu beladen. Es hatte sich gezeigt, dass Giulia Sforza eine tatkräftige Frau war und übergangsweise war eine einfache Holzhütte für Alessandro und Rodrego errichtet worden, während das Haupthaus noch im Bau befindlich aber schon sehr weit fortgeschritten war. Er hatte seinen Männern einen Tag "Landurlaub" gegeben und sie hatten tatkräftig mit angepackt. Sicher nicht uneigennützig, denn Giulia, deren Schwangerschaft inzwischen deutlicher sichtbar war, entlohnte die Männer dafür mit Wein. Sie war einen Tag vor ihnen auf der Insel eingetroffen und begutachtete die Arbeiten höchstpersönlich. Es tat offensichtlich nicht nur Alessandro gut, wieder in Italien zu sein, auch sie schien wie ausgewechselt.

Sie gab ihnen mehr als genug Proviant mit auf die Rückreise und so legten sie endlich an Tag vier wieder ab. Heraus aus der Bucht kamen sie recht zügig und Tancrèd war froh, wieder auf dem offenen Meer und dem Rückweg zu sein. Kadmin war als letzter an Bord gekommen, in der frühen Morgenstunde und direkt aus der Hütte der beiden neuen Bewohner der Insel. Tancreds Blicke hatten wohl mehr als genug gesagt, doch Kadmin hatte nur den Kopf gereckt und mit den Schultern gezuckt. Nun lag er da, wieder allein auf dem Bett aber wenigstens in der richtigen Richtung unterwegs zu seinem John.

Etwas in ihm mahnte ihn zur Eile, auch wenn er nicht genau sagen konnte was. Vielleicht die Gerüchte vom Krieg oder vielleicht die dunklen Wolken, die sie zu verfolgen schienen... Etwas war im Gange und bahnte sich an und er wusste, dass er London erreichen musste, bevor es passierte, wenn er wollte, dass sein Leben ebenfalls so eine gute Wendung nahm wie das von Alessandro und Rodrego.

London 4 - Hochzeitsglocken

John


 

Der Herbst war in der Zwischenzeit in London eingetroffen und das Wetter wurde so trüb, wie Johns Gedanken, je näher sie dem Tag kamen, an dem die Hochzeit nun angesetzt war. John stand am Fenster und blickte auf den Regen, der in Bindfäden vom Himmel fiel. Gedankenversunken kraulte er Streuner. Es war nun fast 6 Wochen her, seit Tancred in See gestochen war - oder genauer: es waren 40 Tage und 8 Stunden, seit er den anderen mit einem innigen Kuss verabschiedet hatte. Insgeheim hoffte John darauf, dass Tancred doch hier auftauchen würde und sie gemeinsam darüber reden könnten, was das Sinnvollste war, denn mittlerweile wusste er es nicht mehr. Er hatte das Gefühl, dass er das alles nur tat, um seinem Vater zu entsprechen und natürlich auch dafür, Patricia zu helfen. Aber was war mit ihm? Was war für ihn drin? John hatte zugegebenermaßen Angst - Angst, alles zu verlieren, weil er versuchte, es allen recht zu machen.

Immerhin war sein Vater zufrieden und ließ ihn in Ruhe. Er war erstaunt gewesen, im ersten Moment, als John ihm sagte, dass Patricia seinem Antrag zugestimmt hatte, doch das Erstaunen wich schnell einem Blick kombiniert mit einem Lächeln auf den Lippen, das John mehr als deutlich zeigte, wie sein Vater wirklich darüber dachte: "Das tust du wirklich für diesen Mann? Du bist abartig." Vermutlich hoffte sein Vater darauf, dass seine Beziehung damit nun Geschichte war. Und John wusste noch nicht, ob dem nicht wirklich so werden würde. Wenn er darüber nachdachte, was er denken und fühlen würde, wenn er an Tancreds Stelle wäre...

Und Patricia? Nachdem sein Vater ihn so angesehen hatte, hatte er keine Skrupel gehabt, seinem Vater klar zu machen, dass er für die Kosten aufkommen musste. Jener hatte zugestimmt und so hatte John keine Skrupel, ihr ein wirklich schönes Kleid nähen zu lassen, das genau ihrem Geschmack entsprach. Auch sonst erlaubte er Patricia, das Fest nach ihren Vorstellungen zu gestalten. Patricia tat ihm gut, wenn sie gemeinsam dasaßen und berieten und redeten. Er spielte das Spiel mit, das ihm nicht schwer fiel, weil er ihr wirklich nur das Beste wünschte. Als Kieran bei seiner Familie war, war sie alles, was ihm noch geblieben war.

Dass Kieran in keinster Weise glücklich über die Entwicklung war, hatte sein Freund ihm deutlich gesagt. Aber was sollte er tun? So mied er dessen Blick, was alles nicht wirklich leichter machte. Jetzt war er es, der nachts gerne bei Kieran im Bett liegen würde, um gehalten zu werden. Stattdessen lag er allein in seinem Zimmer, das ihn so sehr an Tancred erinnerte, dass es schmerzte. Wenigstens war sein Hund bei ihm.

"Wann kommst du endlich aus dem Loch raus und wieder ins Haus?", hatte ihn sein Vater gefragt. "Es gehört sich nicht, bei seiner Frau zu schlafen, bevor die Ehe nicht geschlossen ist", hatte er tonlos geantwortet. Doch lange galt dies nicht mehr als Ausrede. John wusste, dass sein Vater den Sieg errungen hatte, wenn er wieder in das Haus einzog, in dem er so viel Schreckliches erlebt hatte. Aber er würde das Zimmer nicht aufgeben. Es war Teil seines Plans, der wenigstens ein wenig Hoffnung barg. Er wurde hier weggehen. Weg, weil er seinen Vater nicht mehr ertrug, weg, weil Kieran gehen würde, weg, weil er Patricia wirklich alles Glück der Welt wünschte. Daher hatte er angefangen, sein Labor in Teilen umzuziehen. Dann würde er dem Haus entfliehen können, wann immer es ging.

Patricia trat ein und er wandte sich vom Fenster ab, lächelte sie an. "Die Tischordnung", sagte er und setzte sich zu ihr. "Wo waren wir stehen geblieben?"
 

Am Morgen der Hochzeit brach tatsächlich doch noch einmal die Sonne durch die Wolken. War das ein gutes Omen? John blickte in den Spiegel und erkannte sich kaum selbst wieder, wie er da stand im Anzug. Patricia hatte einen guten Geschmack, das musste man ihr lassen.

Gleich würde sie eine Kutsche abholen und zur Kapelle fahren. Die Gäste waren bereits von einigen Fuhrwerken abgeholt worden.

John schloss die Augen und atmete tief durch. "Mach es für Patricia und für Tancreds Schutz", sagte er halblaut, bevor er aus seinem Zimmer ging und zur Kutsche ging. Sein Vater saß bereits darin. Er würde später Patricia in die Kapelle führen. John würdigte seinen Vater keines Blickes und sie sprachen kein Wort, doch er konnte den Hohn nur zu deutlich spüren.
 

Die Kapelle war sehr voll. Es waren doch einige Gäste geworden und alles sah sehr schön aus. John merkte, dass er Angst hatte. Er hatte so sehr gehofft, dass Tancred früher käme, das wurde ihm erst jetzt bewusst. Als die Musik einsetzte, wurde es still und alle drehten sich um. Ein Raunen ging durch die Menge, als diese wunderschöne Frau den Raum betrat.

London 4 - Rückkehr

Tancrèd
 

Der Atlantik empfing sie, wie Tancred es zu dieser Zeit gewohnt war. Noch immer unter italienischer und vatikanischer Flagge kamen sie unbehelligt aus dem Mittelmeer und dank Alessios „Leihgabe“ einer zweiten roten Robe hatten sie auch in spanischen Hoheitsgewässern kein Problem. Eigentlich hatte Tancred umflaggen lassen wollen, hätte eigentlich gern die Konfrontation mit den Spaniern gesucht, doch das würde ihn nur aufhalten und er wollte sich wirklich alles nur nicht aufhalten lassen. Trotzdem machte ihnen das Wetter einen Strich durch die Rechnung. Navigieren ließ sich schlecht und auch die See war ziemlich unruhig. Wegen eines Sturms über dem Atlantik und auch über der Nordsee, konnten sie nicht so schnell in die Themse einschiffen, wie es Tancred recht gewesen wäre... doch er konnte nichts daran ändern, musste unweigerlich warten, bis das Wetter so ruhig war, dass sie einlaufen konnten.

Der zweite Tag vor Englands Küste war ihnen schließlich gnädig. Über Nacht hatte sich das Wetter beruhigt und Tancrèd schmiss die Männer aus den Betten mit dem Versprechen, ihnen frei zu geben, solange sie an Land waren. Das brachte sie schnell auf Trab und noch in der Dunkelheit gelang es ihnen, die Themse hinaufzufahren.

Bei Einbruch der Dämmerung erreichten sie Gravesend, wo sich bereits rege Aktivität abzeichnete. Offenbar hatte der König aufrüsten lassen. Bereits auf ihrem Weg an der Küste entlang hatten sie andere englische Kriegsschiffe gesehen. Es war beinahe zum Eklat gekommen, weil Tulio und Miguel nicht schnell genug die richtige Flagge gehisst hatten. Doch mit Flaggensignalen hatten sie sich letztlich gut verständigt und waren sicher an ihrem Liegeplatz angekommen. Seine Männer waren sehr flott darin, das Schiff festzumachen und am frühen Morgen endlich an Land zu gehen, allen voran ihr Kapitän. Das unumstößliche Frühstück mit der Admiralität brachte er beinahe genervt hinter sich, doch er hatte immerhin einiges zu berichten, das die Männer nur zu gerne anhörten - und letztlich war es ja auch wichtig, Bericht zu erstatten.

Sein ungutes Gefühl sah sich darin bestätigt, als man ihm eröffnete, dass die Flotte ohnehin für in einer Woche einen offiziellen Auslaufbefehl bekommen hatte. Der König gedachte die französische Flotte an der italienischen Küste zu verstärken, wo an Land Franzosen gegen die kaiserlichen Truppen kämpften. Es hatte etwas Aberwitziges an sich, den gleichen Weg noch einmal zurückzulegen, doch letztlich hatte sich eine erneute Fahrt ins Mittelmeer bereits vor seiner Abfahrt mit Alessandro Sforza abgezeichnet und so nickte er nur. Howard hatte vor, nach London zu reisen, um die letzten Befehle des Königs einzuholen und Tancrèd, dem es schließlich auch um seinen Freibrief ging, erklärte, ebenfalls nach London zu reisen.

Erneut später als gedacht machte sich Tancrèd auf den Weg nach London. Das Pferd kam auf der matschigen Straße nicht allzu schnell voran und der Franzose hetzte es nicht zu sehr. Die Sonne schien und machte das Reiten daher recht angenehm und John würde ohnehin den ganzen Tag arbeiten müssen, es nützte nichts, noch früher in London einzutreffen, auch wenn ihm die Zeit unter den Nägeln brannte.

Als er gegen Nachmittag die Abzweigung passierte, die zu den Anwesen einiger Adeliger, unter ihnen auch Sforza führte, zügelte er sein Pferd. Sicher hatte der Kardinal seinem Bruder bereits geschrieben und sicher war dieser Brief schneller angekommen als Tancred, doch irgendwie erschien es ihm richtig, Dominico in Kenntnis darüber zu setzen, dass er den Auftrag des Kardinals ausgeführt hatte. Schließlich hatten sie weitere Vereinbarungen getroffen. Es war sicher klug, sich auch diesbezüglich noch einmal rückzuversichern. Er hatte noch Zeit bis zum Abend und so lenkte er das Pferd auf den breiten Zufahrtsweg, der von einer ganzen Kolonne von Kutschen ziemlich zerfurcht worden war.

London 4 - Segensgruß

Patricia
 

Patricia hatte sich tatsächlich nur das Beste vom Besten herausgesucht und damit Johns Vater ziemlich schmerzlich eines Großteils seines ersparten Geldes beraubt. Dank dieser Hochzeit würde er allerdings in kurzer Zeit wieder viel verdienen und so gab der alte Mann zwar zähneknirschend aber immerhin überhaupt sein Geld für ihre Hochzeit aus.

John hatte auf ein edles Kleid bestanden und Patricia hatte sich den Traum vieler junger Frauen erfüllt, hatte Perlen in den Schleier einnähen und sich wie am Hofe üblich ein langes Mieder anfertigen lassen, das ihre Figur nur zu gut zur Geltung brachte. Sie hatte John dazu gezwungen, höfische Tänze mit ihr zu üben, weil sie wenigstens tanzen wollte und hatte sich im Gegenzug dafür um seine Garderobe gekümmert. Die Vorbereitungen gingen ihr leicht von der Hand, vor allem weil sie sah, wie diabolisch John sich ab und an freute, wenn sein Vater wegen der Kosten, die sie ihm aufbürdete, die Hände über dem Kopf zusammenschlug. Wenigstens diese Genugtuung wollte sie ihm geben.

Aus ihrer Familie war niemand mehr am Leben, deswegen hatte sie einige alte Freundinnen aus dem Hospiz zu ihren Brautjungfern erklärt und ihnen ebenfalls sommerliche schöne Kleider anfertigen lassen. Die Damen waren ganz aus dem Häuschen und so hatte auch Patricia mehr und mehr Spaß daran, dieses rauschende Fest zu planen. Am Anfang hatte es sich noch seltsam angefühlt, doch inzwischen und in vielen Gesprächen mit John war es mehr eine riesige Party geworden, die sie beide einfach für Freunde und Familie gaben, während ihr Eheversprechen in den Hintergrund rückte. Das machte es für sie beide erträglicher und schöner und Patricia freute sich auf den Tag, an dem sie einmal Prinzessin sein würde und einen Mann heiratete, der sie aus den ehrlichsten Absichten heraus zur Frau nahm, die sie sich wünschen konnte. John würde sie niemals enttäuschen, einfach weil sie beide bereits klar definiert hatten, was sie wollten - und das war perfekt. So konnte sie sich freuen und strahlend in die Kapelle treten, in der dieses Mal nicht Alessandro Sforza, sondern ein Pastor aus London die Messe hielt.

Neben Johns Vater schwebte Patricia engelsgleich den Gang hinunter, das Gesicht unter dem Schleier verborgen und mit einem Diadem gekrönt, dass Nicos Hochzeitsgeschenk für sie gewesen war - neben der Bereitstellung dieses traumhaften Anwesens.

Es war eine wirklich zauberhafte Zeremonie und das Gefühl des Ringes an ihrem Finger war gar nicht mal so fremd und unbequem wie sie dachte. Sie griff sanft Johns Hand und drückte sie leicht, als der Pastor sie vermählte und John sie küssen sollte - und in seinem Gesicht doch zu sehen war, dass er Angst vor dem hatte, was dieser Kuss bedeutete. Trotzdem fühlte sie seine Lippen sanft auf den ihren und sie zog ihn an sich, drückte ihn sanft. Als sie sich lösten lächelte sie ihn an. "Alles wird gut John.. du wirst sehen.." flüsterte sie so leise, dass nur er sie verstand.
 

John
 

Als Patricia an seine Seite getreten war, starrte er sie noch immer an. So schön, wie sie war, so klar wurde ihm, dass das hier absolut falsch war. Hier sollte ein Mann stehen, der sie aus vollstem Herzen liebte, der diese Schönheit - die äußerliche wie die innerliche - wirklich zu schätzen wusste. Doch ihm war auch klar, dass das hier sein musste, damit sie irgendwann einmal eben diesen Mann finden würde, der sie wirklich glücklich werden lassen konnte. Er würde dafür alles tun, dass das einmal geschehen würde, koste es auch sein Leben.

Mit diesem Gedanken fiel es ihm gar nicht einmal so schwer, vor dem Altar Worte zu sagen, die ihm am Herzen lagen:

"Patricia", sagte er halblaut und doch laut genug, dass es in der Kirche, in der es plötzlich sehr still geworden war, für alle hörbar war.

"Ich kann dir nicht versprechen, dass wir nur gute Zeiten durchleben.

Aber ich kann dir versprechen, dass ich in guten und weniger guten Zeiten, mit vollem Vertrauen in dich, an deiner Seite, vor oder hinter dir stehe.

Ich kann dir nicht versprechen, dass wir niemals steinige Wege vor uns haben.

Aber ich kann dir versprechen, dass ich dich bei all deinen Vorhaben unterstützen und begleiten werde.

Ich kann dir nicht versprechen, dass wir immer einer Meinung sein werden.

Aber ich kann dir versprechen, dass ich dich immer achten und schätze werde und dass ich keine Geheimnisse vor dir haben werde.

Ich kann dir nicht versprechen, dass wir niemals Traurigkeit erleben werden.

Aber ich kann dir versprechen, dass ich dich immer halten, umarmen und trösten werde.

Ich kann dir nicht versprechen, dass wir immer fair und gerecht behandelt werden.

Aber ich kann dir versprechen, dass ich mich immer für dich einsetzen werde und dass dich mein Herz immer auf deinem Wegen begleiten wird.

Denn du bist mein größtes Geschenk, mein Sonnenschein, mein Glück, mein Leben."

Er hätte vermutlich noch ein "Meine Liebe" hinzufügen müssen, aber er wollte nicht lügen, und Patricia verstand ihn. Als er sie küsste war es wie ein Versprechen, einander wirklich den Halt zu geben, den sie beide bedurften, und nun blieb John nichts anderes, als zu hoffen, dass das hier nicht doch noch zum größten Fehler seines Lebens wurde. Als sie sich lösten, schien es, als habe Patricia seine Gedanken erraten und ihre Worte taten gut. Sie waren mittlerweile wirklich gute Freunde geworden.
 

Dominico
 

Dominico Sforza war natürlich auch unter den Gästen. In seinem Ballsaal war eine große Tafel hergerichtet worden, die sich unter den exotischsten Speisen bog und die Gesellschaft feierte bereits ausgelassen. Kierans Familie zeigte gerade den zweiten Auftritt und Patricia, gemeinsam mit John in der Mitte der U-förmigen Tafel, genoss dieses Fest sichtlich. Zu ihrer Rechten saß Dominico, zu Johns linker Seite saß Kieran. Der Lord amüsierte sich offenbar blendend und unterhielt sich gut mit ihr, führte sie sogar zum Tanzen auf die Tanzfläche. Auch wenn diese Hochzeit nicht das war, was sie zu sein schien - für sie war es wirklich ein bisschen ein wahrgewordener Traum der ihr das Tor in eine neue Welt öffnete.

Als sie gerade den letzten Tanz beendet hatten, trat Dominicos Diener Amadeo an den Lord heran. Nico entschuldigte sich höflich und verbeugte sich, Patricia erwiderte den Knicks höflich und wandte sich dann um, um zum Tisch zurück zu kehren und John auf die Tanzfläche zu ziehen. Den nächsten Tanz, eine Volta, wollte sie mit ihrem Ehemann tanzen - auch um vor allem Johns Vater zu zeigen wie "ernst" diese Sache war.
 

Tancrèd
 

Als Tancred das Anwesen erreichte, sah er, dass die ganzen Kutschen offenbar zum Hause Sforza gefahren waren und der festlich geschmückten Kapelle und dem Hof nach zu urteilen, war hier irgend ein Fest im Gange. Man nahm ihm das Pferd ab und schickte nach dem Hausherren, da Dominico Tancrèd nicht angekündigt hatte und man ihn nicht einfach so in die Gesellschaft schicken wollte. So wartete er jetzt in einem Empfangszimmer und besah sich amüsiert die zusammengestückelte Einrichtung, während nebenan die Musik erneut aufspielte. Als Nico eintrat und ihn sah, schien allerdings jegliche Festtagsfreude aus seinem Gesicht zu verschwinden. "Oh.. Ihr seid bereits wieder hier.." Tancred schmunzelte. "Ja.. habt Ihr noch keinen Brief eures Bruders erhalten?"

Nico schüttelte den Kopf. "Ist er gut angekommen?" Der Franzose nickte erneut. „Wohlbehalten und unversehrt, zusammen mit seinem Schmied und all ihren Sachen. Eure Frau hat sich ebenfalls bereits um die Bauplanungen gekümmert und alles läuft gemäß den Wünschen des Kardinals. Hier stehen die Zeichen auf Krieg habe ich gehört." Dominicos Mundwinkel zuckten. "In der Tat.. der König will schnellstmöglich die Flotte der Franzosen in Italien unterstützen, um Rom aus der Hand des Kaisers zu reißen..." "Und da feiert ihr hier ein ausgelassenes Fest?", hakte der Franzose nach und Nicos leicht amüsierter Gesichtsausdruck verfiel erneut. "Nun.. ja...", antwortete er ausweichend und räusperte sich dann. "Ich bin sicher nicht der richtige, der euch sagen sollte, um welches Fest es sich handelt."

Tancreds Augenbrauen zogen sich zusammen. "Wieso?" Nico verzog das Gesicht erneut. "John Forbes hat entschieden zu heiraten. Die Zeremonie fand heute Morgen statt, in der Kapelle." Er nickte zum Fenster hinaus. "Patricia Forbes ist seit der elften Stunde seine glückliche Ehefrau."

Ein Hammerschlag ins Gesicht hätte Tancrèd nicht mehr treffen können. Er starrte Nico fassungslos an. "Ihr beliebt zu scherzen, Mylord Sforza", brachte er beinahe tonlos heraus, doch Nicos Gesichtsausdruck machte ihm klar, dass es nicht so war. Tancred fühlte Kälte, die in seine Füße und seine Hände kroch. Er glaubte es nicht, ein Teil in ihm wollte das einfach nicht glauben. Und doch.. wieso sollte Nico ihn anlügen? Tat John ihm das wirklich an? Tat John das wirklich dieser Frau an? In Tancreds Kopf rasten die Gedanken und ihm war klar, dass er es sehen musste.. jetzt. Mit eigenen Augen. "Dann...", begann er und straffte sich, "ist es sicher angebracht, dem Paar meiner besten Glückwünsche zu versichern." Tancreds falscher freundlicher Tonfall und sein Blick sprachen Bände, doch Nico sah nicht ein, warum er dem Franzosen diesen Wunsch verweigern sollte. Tancred war klug genug, vor einer Gesellschaft keinen Streit vom Zaun zu brechen und vielleicht half es Johns Plänen, wenn der Kapitän auch vor Johns Vater eine Einwilligung zu dieser Ehe signalisierte.

So betrat Tancred hinter Nico einen gut gefüllten Ballsaal. Trotz der geöffneten Fenster war die Luft stickig und es roch nach Essen und Wein. Auf der Tanzfläche wirbelte "sein" John jene dunkelhaarige Krankenschwester durch die Luft, die Tancred am Turnier bereits einmal an seiner Seite gesehen hatte. Seine Miene war zu einem steifen Lächeln gefroren, doch es schien zu überzeugen. Als der Tanz endete und die johlende Menge klatschte, klatschte er mit, auch wenn ihm danach zu Mute war, dem selbstgefällig grinsenden Arschloch von Forbes Senior, den Kopf von den Schultern zu holen. Als die Menge ruhiger wurde, griff er einen randvollen Becher von einem Tablett eines vorbeieilenden Dieners und rief so laut, dass ihn sicher jeder hörte "Ein Hoch auf dieses wunderschöne Brautpaar! Mögen sie mit zahlreichen Kindern gesegnet sein!"

London 4 - Unerreichbar

John
 

Auf dem Fest wurde er von allen Seiten beglückwünscht: zu dieser reizenden Frau und besonders die Damen beglückwünschten ihn und lobten ihn für seine Worte vor dem Altar, die sie zu Tränen gerührt hätten. John hatte sein Leben lang gelernt, seine wahren Gefühle zu verbergen, doch auch wenn er es dieses Mal wieder sehr gut hinbekam, so fiel es ihm mit jeder Stunde schwerer, den glücklichen Ehemann zu spielen.

Bei einer Gelegenheit, als Patricia kurz aufgestanden war, setzte er sich zu Dominico hinüber und sagte zu ihm gebeugt: "Langsam verstehe ich die Spiele, die du stets zu spielen hattest. Es tut mir leid, das unterschätzt zu haben." In den letzten Tagen hatte er immer mehr begriffen, welchen Preis man zahlen musste, wenn man die Menschen, die einem etwas bedeuteten, beschützen wollte.

Kieran, der neben ihm saß, tat ihm gut, denn auch wenn sie ihre wahren Gedanken hier nicht verbalisierten (denn bei solchen Festen wusste man nie, wer zuhören würde), so sagte sein Blick doch, dass er bei ihm war und ihn unterstützte, auch wenn sie anderer Meinung waren, was die Notwendigkeit dieses Festes betraf. Er war der einzige Lichtblick.

Als Patricia ihn auf die Tanzfläche zog, so wusste er, begann die dunkelste Stunde dieses Tages, denn auch wenn er sich bemühte, diese albernen Bewegungen so gut wie möglich zu bewerkstelligen, so war es doch so gänzlich wider dem, was er mochte. Dennoch konnte er sich nicht dagegen wehren, Patricia den Wunsch zu erfüllen, zumal das Gesicht seines Vaters ihn darin bestärkte, alle Register zur Legitimität dieser Ehe zu ziehen, auch wenn er sie sicher nicht bis zum letzten Detail vollziehen würde. Daher ließ er sich mitziehen, versuchte zu führen, so gut es ging, und doch kam er nicht umhin, an etwas zu denken, was schon so unendlich weit zurückzuliegen schien:

"Du glaubst doch nicht allen ernstes, dass ich dich jemals so dämlich ansehen könnte, wie diese beiden liebestrunkenen Idioten da oben!? Und falls ich das jemals tun werde, dann erschieß mich bitte!"

-

Nun, es war nicht Tancred, der hier mit ihm scheinbar liebestrunken tanzte, und doch hatte er das Gefühl, dass er dafür erschossen gehörte.

Der Tanz endete und John lächelte Patricia an, deren Blick ihm bestätigte, dass er es geschafft hätte und er nun seine Pflicht erfüllt habe. Und genau das war der Moment, als er wirklich erschossen wurde - durch Worte.

Die Stimme war unverkennbar und sie ging ihm durch und durch. John drehte sich ein wenig zu schnell um und einen Moment konnte er seine Maske in keinster Weise aufrecht erhalten, als er in das Gesicht blickte, das er hier als letztes erwartet hätte. Er schluckte und versuchte sich zu sammeln. Zwang sich zu einem Lächeln, das denen galt, die den Trinkspruch von Tancrèd freudig wiederholten, ohne zu ahnen, was sie ihm damit antaten. Das Lachen seines Vaters konnte er ebenso gut hören. Dafür wird er sterben - dieser Gedanke schoss ihm so unvermittelt durch den Kopf, dass er ihn kaum fassen konnte. Denn jetzt war erst einmal der Mann wichtig, den er so sehr vermisst hatte.

Das hier war so ganz anders als das Wiedersehen, das er sich in seinem Kopf so viele Male ausgemalt hatte. Das hier sollte so nicht sein! Das hier war vollkommend falsch.

Was verdammt noch mal machte Tancred hier?!?!

John war davon ausgegangen, dass er den anderen hier niemals antreffen würde. Er hatte gedacht, dass er jenen, selbst wenn er heute zurückkäme in seinem Bett in ihrem Zimmer vorfinden würde - dort, wo er in Ruhe mit ihm sprechen könnte, wo er ihm in Ruhe erzählen und erklären könnte, wie es hierzu gekommen war.

Und jetzt?

"Tancred", hauchte er kaum hörbar, doch Patricia hörte es und begriff sofort. Sie wies die Musiker an, weiterzuspielen und zog John von der Tanzfläche in Richtung Tancred.

John wusste nicht, was er sagen sollte, spürt er doch, wie sauer, enttäuscht, entsetzt und gedemütigt, der andere sich vorkommen musste - ihm ging es ja kaum besser. Aber wenn das alles hier einen Sinn haben sollte, dann musste er seine Rolle weiterspielen. Denn sollte irgendjemand ahnen, was hier eigentlich los war, wäre alles umsonst gewesen. "Monsieur de Nerac", sagte er daher und es war schwer, seine Stimme wiederzufinden. "Ich hatte Euch schon früher erwartet, aber es freut mich, dass Ihr den Weg hierher gefunden habt." Was redete er da eigentlich für Mist?! Nichts freute ihn, und am allerwenigsten, dass der andere das hier sehen musste. John war überfordert und gleichzeitig schmerzten die Worte des anderen noch sehr. Denn sie zeigten deutlich, dass er die Situation wirklich gänzlich falsch verstanden hatte. "Habt Ihr Zeit für ein Wort?", fragte er und deutete nach draußen. Irgendwie sollte er mit Tancred reden, aber er wusste nicht, wie.
 

Tancrèd
 

Sie war definitiv eine wunderschöne Frau. Sie war groß, hatte schönes, langes braunes Haar und in diesem Kleid wirklich eine sehr, sehr attraktive Figur. Außerdem sah sie nicht so aus als wäre sie dumm. Als sie John an der Hand griff und zu ihm herüberzog konnte Tancred in ihren Augen sehen, dass sie kein naives Dummchen war, sondern eine Frau, die sehr genau wusste wie das Leben so spielte. Trotzdem strahlte sie wie jede Frau an ihrem Hochzeitstag etwas Erhabenes aus, dem sich auch Tancred nicht entziehen konnte. Er prostete ihr zu, verneigte sich leicht und küsste ihr dann die angebotene Hand. "Mrs. Forbes, ihr seht wirklich hinreißend aus. Ich hoffe euer Mann hält euch gut fest, sonst werde ich euch auf mein Schiff entführen und mit euch in die Weiten des Meeres flüchten." Sie kicherte, sehr kokett. "Monsieur, ihr schmeichelt mir... aber bringt eine Frau an Deck nicht Unglück?" Jetzt war es an Tancred zu lachen, auch wenn das nicht ganz so ehrlich klang. "Manche Männer würden sicher behaupten, das bringen sie ohnehin. Ob nun an Deck oder nicht.. doch ich gehöre sicher nicht dazu“, erklärte er feierlich. Als John ihn dann ansprach, gelang es Tancred irgendwie einen unbeteiligt interessierten Gesichtsausdruck aufzusetzen. "Oh, ich wusste nicht, dass ihr mich erwartet hattet, Mr. Forbes, aber schlechtes Wetter hat unsere Reise leider verzögert. Es scheint doch aber, als sei ich noch vollkommen rechtzeitig gekommen, um euch meine Glückwünsche zu überbringen. So gern ich ein wenig plaudern würde - seine Majestät verlangt meine Anwesenheit in London. Ich hatte seiner Gnaden, Mylord Sforza, nur Nachricht von seiner Ehefrau zu bringen und wollte ihm die erfolgreiche Überfahrt des Leichnams seines Bruders in den Vatikan bestätigen." Er nickte Dominico zu und der neigte seinerseits leicht den Kopf. "Also sehen wir uns morgen Nachmittag bei der Sitzung des Kronrates?", fragte er an Dominico gewandt. "Ja, Monsieur. Und viel Spaß bei dem Essen mit seiner Majestät!" Tancred grinste breit und stürzte dann den Rest des Bechers hinunter. "Nun, der König weiß seine Gäste hervorragend zu unterhalten, nicht wahr?" Zu John und Patricia gewandt neigte er zum Abschied ebenfalls den Kopf. "Mr. und Mrs. Forbes - ich wünsche euch noch ein rauschendes Fest und eine umso berauschendere Nacht. Mögen all eure Wünsche in Erfüllung gehen."

Damit wandte er sich ab und ging hinaus, gefolgt von Amadeo und ohne sich noch einmal umzusehen. Patricias Hand grub sich in Johns Arm, sicher sehr schmerzhaft - doch sie wollte verhindern, dass John vor aller Augen dem französischen Kapitän nachlief. Nico war ebenfalls stehen geblieben und legte jetzt einen Arm um Johns Schulter, bugsierte ihn so wieder zu der Tafel zurück, wo er John einen vollen Becher Wein in die Hand drückte und ihn dann auf seinen Stuhl schubste, während Patricia sich auf seinen Schoß fallen ließ und damit verhinderte, dass John wieder aufstand. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter, so dass sie miteinander sprechen konnten. "War er das..?" flüsterte sie leise und küsste John auf die Wange, so dass die Leute sicher dachte, sie sprächen über etwas vollkommen anderes.
 

John
 

Johns Gedanken überschlugen sich. Das war alles zu viel für ihn. Tancreds anerzogene Höflichkeit, seine charmanten Worte für sie und Patricias Witz - irgendwie rauschte das alles an ihm vorbei, ohne dass er es richtig wahrnahm. Es gab nur einen einzigen Gedanken, den er hatte: Er musste hier weg - weg mit Tancrèd, um ihm zu erklären, was los war, um mit ihm zu reden, um dafür zu sorgen, dass jener begriff, warum er das getan hatte, um ihm zu sagen, dass er das nur für ihn getan hatte... Doch er war nicht wirklich fähig, so zu handeln, wie er es hätte sollen. Als Tancreds scheinbare Gleichgültigkeit ihn wie eine Faust ins Gesicht schlug, erstarrte er - unfähig noch irgendetwas zu sagen. Jener hatte ihn gerade abserviert und ihm damit die Möglichkeit genommen, sich zu erklären. Einen Moment blieb er so stehen, als er begriff, dass er etwas tun musste, doch in dem Moment, als er losgehen wollte, dem anderen hinterher, spürte er Patricias Griff und als er sie ansah, wusste er, dass sie ihn nicht gehen lassen würde. Das taten Kieran und Dominico auch nicht. John wusste, dass sie Recht hatten und damit letztlich schützten, weswegen er all das getan hatte - und dennoch verfluchte er sie gerade alle innerlich und wünschte sich, dass er niemals diesem Mist zugestimmt hätte. Als John zum Becher greifen wollte, den Dominico ihm hingestellt hatte, merkte er, dass er zitterte und er ließ die Hand wieder sinken. Alles in ihm wollte nicht hier sein, aber alle hielten ihn auf.

Als er Patricias Frage hörte, schloss er einen Moment die Augen. "Das war er, ja, - das war er."

Sich das selbst sagen zu hören, hatte etwas furchtbar Endgültiges.
 

Tancrèd
 

Der Mann, der "es war", stürmte förmlich vom Anwesen. Amadeo konnte gar nicht Schritt halten und ließ Tancred schließlich einfach laufen. Der ließ sich sofort im Stall wieder ein Pferd geben und heizte in vollem Galopp Richtung London, ehe ihm klar wurde, dass er gar nicht wusste, was er dort tun sollte. Er zügelte das Pferd etwas, während er noch immer zu keinem klaren Gedanken fähig war. Wohin sollte er gehen? Natürlich hatte er den Schlüssel zu Johns Wohnung, doch dort wollte er nicht hin. Zumal er nicht einmal wusste ob er dort noch willkommen war. Bei Nico hätte er sicher bleiben können, doch das war das letzte das er wollte. Der König selbst erwartete ihn heute sicher nicht mehr und damit war auch der Palast nicht sein Ziel. Es gab in London keinen wirklichen Ort an dem er etwas zu tun hatte oder Willkommen war. Doch jetzt noch zurück nach Gravesend zu reiten, wo er doch morgen wirklich am Hof sein musste, war ebenso schwachsinnig, also ritt er hinein in die belebte Stadt, ohne wirkliches Ziel vor Augen.

Es trieb ihn letztlich in das altbekannte Gasthaus in dem er bisher immer untergekommen war. Als offizieller Gast seiner Majestät war dort ohnehin immer ein Zimmer für ihn freigehalten und er würde es jetzt zumindest für diese eine Nacht nutzen. Als er den Empfangsraum betrat und die Dame ihn begrüßte, staunte er nicht schlecht, als sie ihm sagte, dass sein Diener bereits hinaufgegangen war. Tancrèd runzelte die Stirn und hatte unweigerlich nach seiner Waffe gegriffen, als er die Treppe hinauf gegangen war. Vorsichtig stieß er die Türe auf, nur um Kadmin am Tisch sitzend vorzufinden, mit einem Berg von Essen auf mehreren Platten. "Was machst du bitte hier?"

Kadmin drehte sich um und grinste breit, ein Stück Möhre zwischen den Zähnen. "In deiner überhasteten Abreise zu deinem blonden Schönling hast du die Dokumente vergessen." Er deutete auf einen Stapel von Briefen, die Tancred eigentlich nach London hätte mitnehmen müssen. Tancred ließ die Schultern hängen, warf den Hut aufs Bett und fuhr sich mit der Hand durchs Gesicht. "Gott verdammter Mist.."

Er warf Mantel und Jacke hinterher und ging zum Tisch, klaute sich einen Fleischspieß von Kadmins Teller. "Und selbstlos wie du bist, kommst du also nach?" Kadmin zuckte die Schultern. "Ich habe eine Liste mit Besorgungen, die für das Schiff zu erledigen sind. Das ist nun mal meine Aufgabe. Soll ich gehen? Bekommst du Besuch?" Tancred schüttelte den Kopf und sagte nichts, während Kadmin langsam dämmerte, dass etwas nicht stimmte. "Ist er nicht mehr da?" Der Tonfall des Arabers war vorsichtiger geworden. "Doch.. da ist er", antwortete Tancred und öffnete die Weinflasche, die ihm am nächsten stand, "aber unerreichbar."

London 4 - Klare Verhältnisse

Tancred
 

Es hatte ihn drei Flaschen Wein gekostet, ehe er Kadmin erzählt hatte, bei was er John vorgefunden hatte und der Araber hatte fassungslos dreingeschaut. Er hatte zwar auch noch nie verstanden wieso Tancred die Ehe in dieser Hinsicht so eng sah, doch er wusste, was es für John und Tncred bedeutete und auch, dass dieser Schlag seinem Kapitän mehr zusetzte, als der jetzt bereit war zuzugeben. Also hatte er einfach nur zugehört und sich mit ihm ordentlich betrunken, bis Tancred eingeschlafen war und Kadmin ihn ins Bett gezerrt hatte, ehe er selbst in tiefen Schlaf gefallen war.

Der nächste Morgen kam unsanft hell durch die Fenster und sie beide waren nicht wirklich motiviert in diesen Tag gestartet. Trotzdem schaffte es Tancred irgendwann aufzustehen, sich zu waschen und auch ein wenig aufzuräumen, ehe er sich an seine Korrespondenz setzte, die er am Tag zuvor in Gravesend zurückgelassen hatte. Kadmin schlief derweil nur in Unterkleidern noch immer selig auf dem großen Bett und auch Tancred hatte nicht mehr als ein Hemd und eine Hose angezogen. Es war Mittag, als man ihm Besuch ankündigte, der schon kurz darauf die Treppe nach oben kam.
 

John
 

Im Nachhinein betrachtet funktionierte er an diesem Abend - wie ferngesteuert funktionierte er. Patricia geleitete ihn durch den Abend und er versuchte so gut es ging, alles mitzuspielen, was verlangt war. Das Fest war sicher schön, die Leute unterhielten sich und man feierte das Brautpaar. Der Schein war gewahrt - und das war doch gut so. Kieran schaffte es, ihn in einem kurzen Moment, an dem sie alleine auf der Veranda standen, daran zu erinnern, dass nicht alles verloren sei, dass es jetzt umso wichtiger war, dass er mit Tancred redete. Und dass er das unbedingt am nächsten Tag tun sollte, und zwar bevor jener beim König auflaufen würde. John nickte und wusste, dass sein bester Freund recht hatte. Er würde es versuchen müssen, er wollte Tancred nicht verlieren. So schnell gab er nicht auf, wofür er eigentlich so furchtbar gekämpft hatte. Und doch fühlte er sich irgendwie ohnmächtig.
 

Die Sonne strahlte ins Zimmer, als John langsam aufwachte. Sein Kopf schmerzte und er versuchte diesen so wenig wie möglich zu bewegen. Jemand regte sich neben ihm und langsam wurde ihm bewusst, dass er eigentlich keine Zeit hatte, hier so zu liegen. Wo war er eigentlich? Er blinzelte und sah ein Zimmer, das ihm sehr bekannt und doch so fremd vorkam. Und langsam wurde ihm bewusst, wo er sich befand. Ruckartig richtete er sich auf, was ihm sein Kopf übelnahm, und blickte in Patricias Gesicht, die schlafend neben ihm lag. Hatte er? Hatten sie? Nein, das konnte er sich nicht vorstellen. Langsam erinnerte er sich, dass sie gemeinsam mit der Kutsche wieder nach Hause gefahren waren und schon da war er sehr betrunken gewesen. Patricia hatte offensichtlich auch in der Nacht dafür gesorgt, dass das Bild eines frischvermählten Ehepaares aufrechtgehalten wurde. Sie kämpfte für ihre Form des Glücks. John lächelte bei diesem Gedanken traurig. Sie hatte nun alles, was sie sich für sie gewünscht hatten, und er gönnte es ihr aus vollstem Herzen. Aber er hatte gestern alles verloren, wofür er versucht hatte zu kämpfen. Er erinnerte sich an Kierans Worte und seufzte. Er sollte mit Tancred reden und nicht so schnell aufgeben. John erhob sich leise und blickte aus dem Fenster. Es musste später Vormittag sein, also noch genug Zeit, um Tancred zu finden, bevor dieser zum König musste.

John wusch sich, zog sich an und nun hatte sich auch Patricia im Bett aufgerichtet. "Ich muss versuchen, zu retten, was zu retten ist, sonst wirst du mich vermutlich nicht so bald los", erklärte er ihr und sie nickte lächelnd.
 

Es gab nur zwei Orte, die ihm einfielen, wo er als erstes suchen wollte. Der eine war eine stille Hoffnung, die andere realistisch. Auch wenn er nicht damit rechnete, Tancred in seinem Bett in seinem Zimmer zu finden, so ging er dennoch dorthin, nur um sich anschließend einen Dummkopf zu schimpfen, einen Narr, der sich in Tagträumen eine Zukunft ausgemalt hatte, die so nicht eingetroffen war und vermutlich nie hätte eintreffen können. Nichts deutete darauf hin, dass der Kapitän überhaupt hier gewesen war. Das schmerzte irgendwie, auch wenn er es sich erklären konnte. Sicher war Tancred wirklich einfach direkt zu Dominico geritten, weil er ihm die Nachricht von seinem Bruder bringen wollte.

Als er in dem bekannten Gasthaus nahe des Palasts nach Tancred fragte, wurde ihm bestätigt, dass sich der Kapitän dort aufhielt. John ging die Treppe hinauf und atmete kurz durch, bevor er etwas zaghaft anklopfte und eintrat. Was er zuerst sah, ließ ihn stutzen. Kadmin? Halbnackt und schlafend auf dem Bett? War Tancred dann überhaupt hier, wie der Herr am Empfang ihm bestätigt hatte? Als sein Blick im Raum weiterwanderte, sah er tatsächlich Tancred, ebenso wenig bekleidet. Mit einem Mal fiel es ihm wie Schuppen von den Augen - die zweite Faust in sein Gesicht, die er von dem erhielt, den er so vermisst hatte.

Er schluckte und fühlte sich schon wieder so unfähig, das Richtige zu tun. "Ich wollte mit dir reden", sagte er und seine Stimme klang so fremd. "Ich befürchte, du hast einiges falsch verstanden. Aber wie ich sehe, scheint dir das wenig auszumachen." War die Gleichgültigkeit gestern gar nicht so sehr gespielt gewesen? Dieser Gedanke tat unendlich weh. Ganz offensichtlich war er leicht zu ersetzen.

Seine Hand griff nach dem Kreuz um seinen Hals, das er nicht eine Sekunde abgelegt hatte, seit es der andere ihm angelegt hatte. "Es soll dich an mich erinnern wenn ich gehe.. und es soll dich schützen, zumindest ein wenig." - es hatte ihn nicht beschützen können. "Ich..." Er war verwirrt und all die Worte, die er sich so oft zurechtgelegt hatte, waren wie weggefegt. Er hatte so oft überlegt, was er alles sagen wollte, aber jetzt fand er nicht ein Wort, nicht eines. "Ich möchte nicht stören", sagte er und wandte sich ab, um zu gehen.
 

Tancrèd
 

Dass es ausgerechnet John sein würde, der durch die Türe kam ... das hatte Tancred auch nicht ahnen können. Andererseits - wer hätte sonst wohl kommen sollen? Dass er hier war, wusste außer Nico und John niemand und wirklich erwartet hatte er auch niemanden. Als John eintrat, unsicher, vor allem nach dem Blick auf das Bett, erhob sich Tancred von dem Sessel in dem er es sich bequem gemacht hatte. Offenbar fasste John die Situation, die er vorfand, falsch auf, doch Tancred fühlte, dass ihn diese Tatsache kaum berührte. Nach all dem, was er gestern hatte erfahren müssen ... Wobei es John gegenüber nicht fair war. Er richtete sich etwas mehr auf als John seiner gewahr wurde und ging ihm etwas entgegen während Kadmin auf dem Bett noch immer schlief. Die Spitze die er zu hören bekam wunderte ihn nicht und selbst wenn er jetzt gesagt hätte, dass er und Kadmin nicht miteinander geschlafen hatten - John hätte ihm vermutlich gerade ohnehin nicht geglaubt. Offenbar fehlten dem Arzt, konfrontiert mit dieser Situation, die sonst so reichlichen scharfen Worte.

Tancred bemerkte, dass er zynisch dachte, aber anders war diese Situation für ihn gerade auch nicht zu ertragen. Vor allem nicht als John - mal wieder - den Rückzug antrat. Er räusperte sich, um seine Stimme wieder zu finden, die nach dem Vollrausch am Abend zuvor noch kratzig und rau klang. "Du störst nicht", war das erste, das er sagte, um John aufzuhalten. Als der stehen blieb ging Tancred hinüber, an John vorbei und schloss die Tür, lehnte sich von Innen dagegen. Ein Blick zum Bett und dem Araber zeigte, dass der entweder noch immer schlief, oder zumindest sehr glaubhaft so tat, als schliefe er. "Allerdings glaube ich kaum, dass es da etwas falsch zu verstehen gibt", fuhr er fort, als er sich wieder John zuwandte. "Du hast Patricia geheiratet. Sicher eine gute Wahl für eure Apotheke und deinen Vater."

Denn Tancred war durchaus klar, von wem die Idee der Hochzeit ausgegangen war. John hatte ihm ja von Patricia erzählt und davon, dass sie in der Apotheke arbeitete. Tancred wusste somit wer sie war, und letztlich war die Hochzeit an sich ja gar nicht wirklich sein Problem. Für eine Nacht interessierte es ihn wenig, ob die Männer mit denen er schlief vergeben waren oder nicht. Doch das hier lag die Sache vollkommen anders: Hier ging es um Verantwortung, hier war es Betrug - entweder an ihm oder an ihr. Am Ende würde es ihre Schande sein, wenn auch nur der Hauch eines Verdachts gegen John aufkam. Es würde ihre Schande sein, wenn John sie verließ. "Ich bin nicht in der Position, mich in deine Angelegenheiten einzumischen oder sie gar zu bestimmen. Dein Leben führst du schließlich selbst. Wieso sollte ich mich also darüber aufregen? Ich kann an dieser Tatsache nichts mehr ändern und sollte es auch nicht. Sie ist eine gute Frau, sehr schön und sehr klug. Sie wird dir sicher Freude bereiten." Es klang abgekartet und falsch, aber was sollte er anderes sagen? Diese Hochzeit, dieses Verspechen für gegenseitige Verantwortung verbat es dem Franzosen so abrupt, sich irgendwie auf andere Weise mit John auseinanderzusetzen. Es schmerzte, doch selbst das wollte er nicht zeigen. "Ich wüsste nicht, was es da zu erklären gäbe. Ich habe dir immer gesagt, dass ich dir in deinen Entscheidungen nicht im Weg stehen werde und sie mit dir trage. Wenn das deine Entscheidung ist, so ist das in Ordnung. Ich akzeptiere sie und werde mir kein Urteil darüber erlauben." Obwohl ihm verdammt danach war, ein Urteil zu fällen. Doch was brachte es, John jetzt anzuschreien? Am liebsten hätte er ihm wortwörtlich den Arsch versohlt, ihn angeschrien ... doch das alles machte die Ehe nicht rückgängig, die nun zwischen ihnen stand.
 

John
 

Als Tancred ihm sagte, dass er nicht störe, hielt er inne. Nicht, weil er deswegen doch unbedingt reden wollte, sondern wegen dieser Stimme. Er schloss einen Moment die Augen. Wie war es eigentlich so weit gekommen, dass er diesen Mann so sehr vermisst hatte, dass dessen nackter Oberkörper und seine Stimme ihm so zu schaffen machten? Er schluckte und sah den Kapitän an, der die Gelegenheit genutzt hatte, um an ihm vorbei zur Tür zu treten, um diese zu schließen. John kam sich gefangen vor und dieses Gefühl gefiel ihm nicht. Tancred stellte sich in den Weg nach draußen. John richtete sich auf, hob das Kinn und ein Anflug von Trotz stieg in ihm hoch. So wie früher, wenn sein Vater ihn einsperrte, um ihn "zur Vernunft zu bringen" - wie dieser es immer ausgedrückt hatte.

Das tat Tancred offenbar nun auch mit ihm.

Die folgenden Worte zeigten ihm zumindest, dass Tancred wusste, dass sein Vater hinter allem stand. Aber das war ja letztlich nur eine Seite der Medaille.

Als Tancred fortfuhr war jedes Wort ein weiterer Schlag ins Gesicht. Er hatte mit allem gerechnet - mit Wut, lauten Worten, Enttäuschung - aber nicht mit Gleichgültigkeit und Desinteresse. Johns Gesichtsausdruck verhärtete sich. Die Worte verkannten so unbegreiflich alles, weswegen er das Ganze überhaupt gemacht hatte. Offenbar war er Tancred doch gleichgültiger als dieser ihm. Etwas, womit er nicht gerechnet hatte, was ihn schmerzte, was ihm aber auch durchaus zeigte, wie naiv und dumm er gewesen war, jemanden wirklich nahe an sich heran zu lassen. Er war verletzbar geworden und gerade wurde das schamlos ausgenutzt. John fand sein Lächeln wieder, eines, das er Tancred eigentlich schon lange nicht mehr gezeigt hatte, und er blickte den anderen an.

"Siehst du das so, ja? Dass du keine Entscheidungskraft über mein Leben hast und nie hattest?" Er sah den anderen fragend an. "Nun, dann ist ja offensichtlich alles geklärt." Er zuckte mit den Schultern. Dann trat er an Tancred heran und griff nach der Türklinke. Er wollte hier heraus. "Patricia ist wirklich eine wundervolle Frau, hübsch und klug. Sie weiß genau, was sie will." Er überlegte kurz, dann sagte er: "Aber das bin definitiv nicht ich gewesen, nicht direkt. Und jetzt möchte ich bitte gehen. Denn ganz offensichtlich“ – er blickte kurz zum Bett – „gibt es wirklich nichts zu erklären in einer Situation, die offensichtlicher nicht sein kann. Ich möchte deinen Entscheidungen lieber auch nicht im Wege stehen oder ein Urteil darüber fällen."

Sein Vater hatte gewonnen. Er hatte seine Beziehung - wenn es denn jemals eine gewesen war - verloren, er lebte wieder zu Hause. Der Versuch, auszubrechen, war gescheitert und hatte ihm nur unsägliche Schmerzen bereitet. Es war Zeit, das zu akzeptieren und damit zurecht zu kommen. Aber er würde sich das nicht anmerken lassen. "Ich wünsche Ihnen noch einen guten Tag, Monsieur De Nerac!" Damit zog er die Tür auf und schob den anderen zur Seite, um hindurchgehen zu können.

John hatte das Gefühl, als sei gerade ein Teil von ihm gestorben.
 

Tancrèd
 

Wieso tat er das? Tancred schalt sich selbst einen Narren. Er hätte Kadmin hinauswerfen sollen und dann das tun was er schon auf dem Schiff hatte tun wollen, doch er bekam das Bild der Frau in weiß nicht mehr aus dem Kopf. Sie war so wunderschön gewesen und sie hatte so glücklich gewirkt. Was würde wohl passieren, wenn man ihren Ehemann aufgeknüpft auf dem Marktplatz fand? Oder wenn er eines Tages einfach verschwunden war und sie allein und in Schande zurückließ? Er sah wie sehr John seine Gleichgültigkeit verletzte, doch er versuchte so nur Ruhe zu bewahren, weil er andernfalls wirklich laut geworden wäre. John distanzierte sich mehr von ihm, fühlte sich auch offenbar eingeengt davon, dass Tancred den Fluchtweg versperrte. Eigentlich hätte er ihn jetzt gern in den Arm genommen, festgehalten und ihm gesagt, dass er ihn vermisst hatte und dass er ihn liebte. Dass er vielleicht irgendwo verstand warum John getan hatte, was er getan hatte und dass er es doch nicht gutheißen konnte. Doch die Angst um John und darum, dass jetzt erst recht etwas über seine Neigungen zu Tage trat waren zu groß und sorgten dafür, dass Tancred nichts mehr sagte. Als John ihn dann so anfuhr, wandte er den Blick ab und sah auf den Boden.

Er konnte ihn einfach nicht mehr ansehen, es tat zu weh. Erst als John zu ihm trat sah er wieder auf und man sah in seinen Augen, dass er seine Worte nicht halb so meinte, wie er sie gesagt hatte. Doch er bekam nichts heraus, auch wenn ihm klar war, was John ihm gerade durch die Blume zu verstehen gab. Dass Patricia letztlich nicht geheiratet hatte, weil sie ihn wollte, sondern etwas Anderes, ja. Dass es eine Alibihochzeit war, auch und vor allem wegen seines Vaters und dass Tancred daran vielleicht selbst Schuld hatte, weil er damals seinen Mund nicht hatte halten können, das wusste er auch.

Und dennoch. Vor seinem inneren Auge sah er seine Schwester, wunderschön und schwanger – und allein. Er sah Maria, die vor der Hochzeit mit einem fremden Mann hatte davonlaufen wollen und im Feuer gelandet war.

Das Sakrament der Ehe war ihm als unantastbar und heilig eingeprügelt worden und so sehr er John wollte so machtlos war er gegen seine eigenen, anerzogenen Prinzipien. John machte es ihm wenigstens leichter, indem er ihm vorwarf, eine eindeutige Situation vorzufinden. Widerwillen und Zorn wallte in dem Kapitän auf und gerade als er lospoltern wollte, dass John überhaupt keinen blassen Schimmer von der aktuellen Situation in diesem Zimmer hatte, zog der die Tür auf und schob Tancred damit weg. Der Franzose griff nach vorn um John am Arm festzuhalten, doch er kam nicht dazu ihn zurück zu ziehen, weil jemand die Treppe hinaufkam und Tancred John losließ, als habe er sich an seiner Haut verbrannt. Es war nur ein anderer Gast, der sie nicht mal eines Blickes würdigte, doch bevor er noch einen Vorstoß machen konnte, John zurück zu halten, war der schon die Treppe halb hinabgegangen. "John!" rief er ihm leise nach, doch John reagierte nicht mehr. "ARGH!" Tancred fuhr herum, ging ins Zimmer zurück und feuerte die Türe zu. "MERDE!" Fluchte er und trat nach seinen Stiefeln die neben dem Bett standen. "Mit Verlaub Kapitän, die Stiefel können nichts dafür." "HALT DEINEN MUND!" Schrie Tancred den inzwischen sitzenden Araber an, der sich davon allerdings nicht beeindrucken ließ. "Wenn du noch lauter schreist, kommen die Wachen und finden uns beide halb nackt in einem Zimmer. Ich denke nicht, dass es das ist, was wir jetzt brauchen. Ich gehe und erledige ein paar Dinge für das Schiff. Du solltest dich anziehen und zusehen, dass du für den Empfang beim Kronrat nicht aussiehst, als hätte man dir deine Eier abgeschnitten."

London 4 - Mein fremdes Land

John
 

Kurz war John irritiert gewesen, als er in das Auge des anderen geblickt hatte. Er konnte es nicht zuordnen, das Gefühl, das dieses ausdrückte. War das Schmerz? Oder bildete er sich das nur ein, weil er darauf hoffte, dem anderen nicht gleichgültig zu sein? Warum sagte er dann nichts? Warum war er nicht ehrlich zu ihm? Aber Tancred war immer ehrlich zu ihm gewesen... Also doch auch in diesem Moment, oder?

Er sollte gehen und sich keiner Illusion hingeben. Das hatte er schon zu lange getan. Und daher ging er auch, eilte heraus und einen Moment meinte er eine Hand zu spüren, die ihn festhalten wollte, doch sofort wieder losließ, als auch er den Mann sah, der die Treppe hinaufkam. John rannte die Treppe hinunter. Seine Schritte waren so laut auf der Holztreppe, dass er sich zwang, unten ruhiger zu gehen. Er hatte sich vorhin als Apotheker vorgestellt, der mit dem Kapitän die Lieferung für sein Schiff besprechen müsse. Diese Tarnung wollte er nicht zerstören oder in Frage stellen. Also grüßte er den Gastwirt und lief erst dann wieder schneller, als er um die nächste Ecke abgebogen war. Seine Füße führten ihn in sein Zimmer, wo er sich in das Bett legte, sich unter der Decke einrollte und die Augen schloss. Wenn er wartete, würde der Schmerz sicher irgendwann nachlassen. Dieser Mann hatte es zum zweiten Mal in seinem Leben geschafft, dass er weinen musste, obwohl er doch schon vor so langer Zeit gelernt hatte, dass das nichts brachte.

Dennoch hatte das ein wenig reinigende Wirkung auf ihn. Er musste nach vorne schauen und vergessen, was nicht zu ändern war. Tancred wollte ihn nicht mehr - nun, dann musste er mit dem Hier und Jetzt klarkommen. Streuner hatte sich vor seinem Bett postiert und schien ihn zu bewachen. Das leise Fiepen sagte ihm, dass zumindest er bei ihm bleiben würde.
 

Es war bereits Nachmittag, als er die Apotheke wieder betrat und schweigend ins Labor ging. Sie hatten heute, am Sonntag, geschlossen und würden erst morgen wieder öffnen. Aber dadurch, dass die Flotte in nunmehr 6 Tagen in See stechen würde, hatten sie alle Hände voll zu tun. In drei Tagen würde die letzte Lieferung nach Gravesend entsendet werden, damit sie rechtzeitig ankam. Bis dahin stürzte sich John in die Arbeit.

Er sprach nicht mehr, mit niemandem. Er brauchte Zeit für sich und irgendwie hatte er es leid, zu reden. In Momenten, in denen die Tür aufging und die Schritte, die in den Laden kamen, ihm scheinbar vertraut vorkamen, ertappte er sich, dass er noch immer hoffte, dass es doch mehr zu reden gab, als das, was sie einander gesagt hatten. Gleichzeitig schalt er sich einen naiven Dummkopf, der nicht einsehen konnte, dass er dem anderen nichts bedeutete.

Und doch gab es diese stille Hoffnung, der Blick des anderen, den er immer noch nicht begriff, die Hand, die ihn doch festgehalten hatte, oder? Das waren die Dinge, die ihn beschäftigten, während er schweigend dasaß und zwar reagierte, wenn man mit ihm sprach, aber nichts eben selbst nicht sprach. "Das hat er früher auch oft gemacht", hörte er seinen Vater zu Patricia und Kieran sagen, die sich um ihn sorgten. Und er war es leid, diese Blicke zu sehen und das Flüstern zu hören, wenn sie über ihn sprachen. Konnten sie ihn nicht einfach in Ruhe lassen?

Kieran war kaum da, denn dadurch, dass die Kriegstreiberei des Königs nun so weit vorangeschritten war, verbrachte er jede freie Minute mit Nico. John konnte das verstehen, und doch hätte er jemanden bei sich gehabt, der ihn hielt. Patricia hatte keine Scheu, ihm nachts die Hand zu geben, und ihm zuzuflüstern, dass es ihr leidtue und es sich wieder geben würde, wenn sie meinte, dass er schliefe.

Schließlich war es doch Kieran, der zu ihm kam, als er in seinem Zimmer saß und dort im Labor arbeitete.

"Du bist der größte Idiot auf der ganzen Erde, John Forbes!", begann er seine Predigt darüber, dass er gerade alle Hoffnung zunichte machte, die er noch besaß. Dann folgte ein Monolog, der John erklären sollte, wieso Tancred so handelte, wie er handelte. Kieran erzählte ihm, was er von Nico wusste über das heilige Band der Ehe für Menschen deren Standes, und dass Tancred wider seiner Prinzipien handeln würde, wenn er einen verheirateten Mann verführen und dessen Frau Schande bereiten würde. John schwieg immer noch, doch er dachte lange darüber nach. Kieran saß neben ihm, die ganze lange Zeit, bis John ihn ansah. "Ich mache mir keine großen Hoffnungen, du hättest ihn hören sollen... aber ich werde ihm schreiben." Wenn er vielleicht doch noch etwas für ihn empfand, dann würde er sich noch einmal bei ihm melden, bevor sie in See stachen.

Also schrieb er einen Brief, den er dem Kutscher, der die Arzneien nach Gravesend brachte, für Tancred übergab, mit dem Hinweis, dass er nur für den Kapitän bestimmt sei und darin Anweisungen für die Medikamentenverteilung wären. Er ließ sich das Versprechen geben, diesen Brief auch nur Tancred auszuhändigen.

Den Brief selbst formulierte er so, dass man daraus nichts Eindeutiges würde lesen können, falls er in falsche Hände gelangen würde.
 

Tancred,
 

ich habe es sehr geschätzt, dass du immer ehrlich zu mir gewesen bist. Du hast mir nie Lügen oder Halbwahrheiten erzählt, sondern immer die schonungslose Wahrheit, auch wenn ich sie nicht immer hören wollte. Diese Ehrlichkeit hat mich wachsen lassen und mich selbst mehr reflektieren lassen. Sie hat mir geholfen, mich neu zu finden, mich überhaupt zu finden. Sie hat mir gezeigt, was mir wichtig ist, was mein Leben ausmacht und wie ich mein Leben führen möchte, mit wem ich es verbringen möchte. Ich danke dir dafür.

Aber ausgerechnet jetzt verwehrst du mir diese Ehrlichkeit und es fühlt sich unfassbar schmerzhaft an.

Denn eigentlich gibt es nur eine Wahrheit, nur eines, was ich möchte:
 

Ich will ein fremdes Land bereisen,

seine Berge bewandern,

seine Küsten erforschen,

die rauen Klippen besteigen

und Halt finden am lebensrettenden Vorsprung.

Ich will die fremden Winde spüren

und den warmen Regen auf meinen Wangen.

Meine Hände will ich in seine Erde graben.

Seine Wurzeln fühlen will ich,

schmecken sein Salz

und riechen den Duft seiner weiten Täler.

Und ich will kämpfen mit dem Land,

mich messen mit seinem Willen,

seine und meine Grenzen erforschen,

bis ich müde werde und ich mich bette

auf den Blättern seines Herbstes.
 

Aber die Hoffnung darauf, dass mir das zuteil wird, schwindet.

Ich habe diesen Schritt nicht gemacht, ohne an dich zu denken.

Ich habe diesen Schritt nicht gemacht, ohne an Patricia zu denken.

Ich wünschte, du würdest mir zuhören und mir glauben, dass ich das alles nur gemacht habe, um zu schützen, was mir das Wertvollste im Leben ist.

Ich hoffe darauf, dass du mir das verzeihen kannst. Und ich hoffe darauf, dass ich noch einmal die Chance erhalte, das fremde Land zu bereisen, in dem ich mich für einen Moment schon umsehen durfte, das ich vermisse und nach dem ich mich sehne, weil es für mich zum Wertvollsten geworden ist.

Wenn diese Hoffnung nicht umsonst ist, wäre ich dankbar für ein Zeichen, bevor du deinen Pflichten nachkommst und in See stichst.
 

Wenn ich nichts von dir höre, so hoffe ich, dass das fremde Land jemand bereisen darf, der diesem gerecht wird, der dieses wirklich verdient hat, der dieses glücklich macht.

Immer der Deine

John
 

Nun hieß es warten. Mehr war er nicht bereit zu tun, denn auch wenn er Fehler gemacht hatte, so war er auch verletzt worden.
 

Tancrèd
 

Tancred wusste, dass Kadmin recht hatte mit dem was er sagte. Letztlich war es auch jetzt seine Erziehung, die ihm half, das herunterzuschlucken, was er gerade durchgemachte. Wenn er in wenigen Stunden vor den Kronrat trat, dann sollte er nicht so aussehen als habe ihn die Liebe seines Lebens sitzen lassen. Er musste fokussiert über den Stand der Dinge und die Probleme, die auf sie zukommen würden, sprechen können.

Also wusch er sich, zog sich an und verließ mit Kadmin das Gasthaus eine Stunde später, um dem König und seinen Beratern Rede und Antwort für die Dinge zu stehen, die den Krieg betrafen den Henry zu führen gedachte. Offensichtlich beherrschte er seine "Rolle" noch immer sehr gut und der König war zufrieden mit ihm - so dass er Tancred den ersehnten Freibrief tatsächlich aushändigte, als die Ratssitzung beendet war.

Eigentlich hatte der Franzose damit gerechnet, den Brief erst zu erhalten, wenn er sich an der Seite der Engländer gut geschlagen hatte - doch anscheinend hatte Henry heute einen sehr gönnerhaften Tag und in Tancreds Augen war dieser Brief gerade ein sehr sehr deutliches Zeichen für ihn.

Er verließ nach einer weiteren Unterredung mit Charles Brandon und Dominico Sforza den Palast und auch wenn es bereits spät war, so hielt ihn nichts mehr in London. Kadmin begleitete ihn auf dem Weg zurück. Nicht weil er an London keinen Gefallen mehr gefunden hatte, sondern weil er sich wirklich sorgen um seinen Kapitän machte, der auch in den nächsten Tagen nicht wirklich viel sprach oder tat. Dafür schien er ganz bei der Sache zu sein, wenn es um die Arbeit am Schiff ging und als nach vier Tagen die Lieferung der Medikamente kam, war Tancred sehr schnell dabei sie zu verteilen.

Kadmin hatte in den letzten Tagen versucht, etwas mehr aus dem Mann herauszubekommen, der nicht nur sein "Vorgesetzter" war, sondern auch sein Freund. Doch Tancred schien sich irgendwo in sich vergraben zu haben. Als er ihm nachsah, bepackt mit einer Kiste voll Verbandsmaterial und Salben auf dem Weg zu einem Schiff das weiter vorn am Kai lag, sprach der Kutscher ihn direkt an. Das0s er einen Brief habe, aber das Tancred den nur angesehen und dann gesagt habe, er solle ihm seinem ersten Maat weitergeben. Kadmin nahm den Umschlag entgegen und steckte ihn vorerst in die Innentasche der Jacke, die er trug, um weiter beim Verteilen der Rationen zu helfen.

Als er sich nach getaner Arbeit vor seinem Wachdienst an Deck wieder auszog, fiel ihm der fast vergessene Brief in die Hände. Er erhob sich wieder von seinem bequemen Platz am Bug und ging hinunter zu Tancreds Kajüte. Der Kapitän hatte sich wieder dorthinein verzogen und es abgelehnt mit seinen Männern trinken zu gehen, da er später noch mit einigen anderen Kapitänen ein Treffen auf einem der anderen Schiffe hatte.

Kadmin trat ein ohne zu klopfen und fand Tancred auf dem Bett liegend, nachdenklich ein Messer zwischen den Fingern drehend. "Ich kann verstehen, dass der Kardinal dir den Arsch versohlt hat, wenn du bei ihnen auch immer ohne anzuklopfen hereingeplatzt bist", kam es sehr patzig vom Bett und Kadmin zuckte nur mit den Schultern. "Vielleicht habe ich das ja beabsichtigt. Hier ist ein Brief." Er zückte ihn und wedelte damit am Fußende des Bettes herum. "Den kannst du wegwerfen", erwiderte der Kapitän ohne noch einmal hinzusehen. "Ich dachte es geht um die Verteilung und Dosierung der Medikamente. Sollte das nicht wichtig sein?"

Tancred schüttelte nur den Kopf. "Diese Dosierungen haben wir längst durchgesprochen. Der Brief ist von John und es geht darin sicher nicht um Medikamente."

Kadmin ließ sich auf Tancreds großem Schreibtisch nieder und drehte das Papier nachdenklich in den Händen. "Und? Willst du ihn nicht lesen?"

"Nein."

"Wieso nicht?"

"Weil ich dann auf das nächste Pferd steige, einer absolut unschuldigen Frau den Mann aus ihrem Ehebett stehle und auf dem Weg nach draußen ihren Schwiegervater von seinen vermaledeiten Eiern bis zur Kehle aufschlitze - deswegen." Das Messer landete in der Holzwand auf der anderen Seite der Kajüte und Tancred erhob sich ruckartig vom Bett. "Und jetzt tu mir den Gefallen und lass die Sache auf sich beruhen. Es geht dich nichts an, Kadmin, es ist meine Sache. Solltest du nicht froh sein, dass mein Bett wieder leer ist?" Tancred packte seine Jacke und noch bevor Kadmin antworten konnte war er hinaus. Der erste Maat sah nachdenklich auf das Papier und musste dann unweigerlich Schmunzeln. Seinen Kapitän hatte es wirklich erwischt. Er haderte mit den Regeln, die er nicht nur sich selbst, sondern auch seiner Mannschaft aufgedrückt hatte und die zu brechen Verrat an sich selbst bedeutete. Aber hatte es Tancred nicht auch verdient, glücklich zu sein? Und noch wichtiger: War er selbst froh, dass das Bett seines Kapitäns wieder leer war? War es gut "Ersatz" für John zu sein? Nein, definitiv nicht. Überhaupt nicht!

Kadmin klappte den Brief auseinander und fing an ihn zu lesen. Nicht weil er neugierig war oder sich an Johns Leid ergötzen wollte, sondern weil er wissen wollte, ob sein Kapitän nicht etwas übersah. Schließlich fand er, was er suchte in Worten, die selbst ihn, der Gefühle für sich selbst nicht zuließ, beinahe zu Tränen rührte.

London 4 - Ein Zeichen

Patricia
 

Nach ihrer Hochzeit und einer sehr erfolgreich simulierten Hochzeitsnacht hatte ihr scheinbares Glück leider ein jähes Ende gefunden. Offenbar war Johns Treffen mit "seinem" Kapitän alles andere als erfreulich verlaufen und Patricia hatte zwar versucht mit John zu reden, doch der hatte nicht mit sich reden lassen. Da sie seinen Wunsch nach Ruhe und Freiraum seit jeher akzeptiert hatte, ließ sie ihn in Ruhe - kam aber nicht umhin mit Kieran über ihn zu sprechen, wenn er denn da war. Doch auch Kieran hatte andere Sorgen und so war es an ihr Johns Vater so glaubhaft wie möglich zu vermitteln, dass John ein guter Ehemann war und zwar in jeder Hinsicht. Den alten Mann schien es kein bisschen zu interessieren, dass John offenbar jeden Lebensmut verloren hatte. Es war ihm vielleicht sogar lieber so und das erschreckte Patricia erst recht. Wie konnte man nur so grausam sein? Auch wenn John so niedergeschlagen war, so bestätigte die Grausamkeit seines Vaters sie jeden Tag darin, doch den richtigen Weg gegangen zu sein - denn sie gab ihm mehr und mehr Kontra und hatte jetzt auch jedes Recht dazu als ordentlich angetraute Frau an Johns Seite.

Wenn sie nachts neben ihrem Mann ins Bett sank, hielt sie ihn nicht selten im Arm. Nicht aus sexuellem Interesse, sondern einfach, um ihm den Trost zu spenden, den sonst Kieran ihm gespendet hatte und um ihm zu zeigen, dass sie nach wie vor hinter ihm stand und alles daran setzte, dass sich sein Traum doch noch verwirklichte.

Nach dem ihre Lieferung nach Gravesend abgeschickt worden war und sie weniger zu tun hatten, schien John ein wenig aufgeregter zu sein. Sie fragte nicht wieso, weil sie befürchtete, dass Johns Vater die Ohren zu sehr spitzte. Doch was auch immer Johns Lebensmut zumindest ein wenig angefacht hatte, sie hoffte, dass etwas passieren würde. Doch auch der vierte und fünfte Tag verstrichen ereignislos und John schien einmal mehr in sich zusammen zu sinken. Morgen würde die Flotte auslaufen, für Dominico und Charles Brandon gab es heute ein letztes großes Bankett am Hofe. Tancred hatte sich nicht angemeldet, das hatte Patricia von Kieran erfahren. Sie hatte es John zwar nicht gesagt, doch der schien zu spüren, dass sein Liebster nicht mehr kommen würde und es brach ihn. Und sie konnte nicht mehr tun als dabei zuzusehen, wie John in seinem Unglück versank.
 

Als sie am Abend noch im Laden stand und den Tresen abwischte, ertönte plötzlich und unerwartet die leise Glocke an der Tür. Die Apotheke hatte eigentlich schon seit ein paar Minuten geschlossen, doch manchmal kamen einige Nachbarn noch zu später Stunde wegen Blessuren oder Krankheiten, die der Arbeitstag mit sich gebracht hatte. Normalerweise meldeten sich diese Leute aber vorher an. Der Gast der jetzt den Laden betrat, war nichts dergleichen.

Er war groß und schlank, hatte eine scharf gezeichnete Nase und wunderschöne dunkle Augen, die einen ganz gewissen frechen Glanz innehatten. Er war irgendwie ausländisch gekleidet und auch wenn Patricia selbst noch nie einen Araber gesehen hatte, so kannte sie diese Männer doch aus Kierans Geschichten - und er sah genauso aus. Sie lächelte freundlich zur Begrüßung. "Hallo! Was kann ich für sie tun?"

Der Araber neigte den Kopf zu ihr und räusperte sich dann. Sein Englisch war nicht akzentfrei und schwer zu verstehen. Sie wusste nicht genau welche Sprachen sie heraushörte, doch es waren einige. "Ich suche John Forbes. Ich muss mit ihm sprechen. Wegen der Lieferung für die Flotte“, erklärte er langsam und deutlich. Patricias Augenbraue rutschte nach oben und sie sah sich um. Forbes Senior war nirgends zu sehen. Soweit sie wusste war er heute, wie immer an diesem Wochentag, bereits mit einigen "Schulfreunden" beim Stammtisch. Sie winkte Kadmin nach hinten ins Labor durch, wo John an einem der Tische saß. "John", rief sie hinüber, "du hast Besuch."

Kadmin trat mit jenem federnden Gang durch die Tür, der ihm auch an Deck eigen war. Patricia kam nicht umhin leicht zu schmunzeln, als sie sah, wie sich der Araber bewegte. Wie ein Tänzer, so schien es ihr. Aber sie hatte diese Art zu gehen schon bei einigen Seemännern gesehen, die sie im Hospital betreut hatte und vielleicht lag es einfach an der Arbeit auf einem schwankenden Schiff. Als das Glöckchen am Eingang erneut Kundschaft verkündete, wandte sie sich ab um die ältere Dame zu bedienen, die sich offenbar den Fuß verstaucht hatte und jetzt einen Verband wollte.

Kadmin indes trat zu John an den Tisch heran. Der blonde Mann hatte erst beinahe freudig aufgesehen. Als er ihn erkannte, zog er eine Mauer hoch, die Kadmin selbst mit bloßem Auge sehen konnte. Offenbar glaubte John, dass der Araber nur hier war um ihn zu verhöhnen. Er konnte ihm das nicht mal verübeln. "John Forbes", begrüßte er ihn in dem Singsang, der seiner eigenen Muttersprache eigen war, "ich habe etwas für dich."

Aus seiner Jackentasche zog er eine winzige Börse. Sie war für kaum mehr gut, als für Münzen, enthielt aber keine - sondern nur einen einzigen Spielstein eines Backgammon Spiels.
 

John
 

Morgen würde er weg sein, verschwinden und vermutlich nicht wiederkehren. Kieran hatte ihm erzählt, dass er schon jetzt seinen Freibrief erhalten hatte. Vielleicht würde er noch Dominico zurück nach England geleiten, aber ob er dann noch bleiben würde? Würde er Kieran und Nico nach Italien bringen? Vielleicht, aber würde er ihn mitnehmen? Würde er auf das Schiff gehen? Im Moment träumte er wieder von Wasser - es waren keine angenehmen Träume. Und es war nichts gekommen. Gar nichts.

Es war wieder ernüchternd, wie hoffnungsvoll er gewesen war. Es war ernüchternd, wie sehr es schmerzte, wieder dieser Hoffnung beraubt worden zu sein. Ganz offenbar hatte er für Tancred keine Bedeutung mehr. Die letzte Hoffnung würde morgen, spätestens übermorgen sterben. Dann blieb ihm nur zu wünschen, dass er bald vergessen konnte. Wenn Dominico morgen in See stach, würde er Kraft für Kieran brauchen. Darüber würde er vergessen können. Bestimmt.
 

John stürzte sich wieder in seine Arbeit. Sie war nun deutlich entspannter, aber er wollte weiter an seinen Ideen forschen und genoss es, sich darin zu verlieren. Zudem musste er viel lernen, was ihm leichter fiel, als vermutet. Was man nicht alles tat, um nicht nachdenken zu müssen.

Patricia war ihm eine große Hilfe. Sie stellte keine Fragen, sondern war einfach nur für ihn da. Er bedankte sich, indem er dafür sorgte, dass die Blumen am Tresen und in ihrer Küche immer frisch waren. Wenn es ihm besser ging, würde er ihr nicht mehr so zur Last fallen.

Er war vertieft in dem Prozess der Reduktion für einen Sirup, als Patricia einen Gast ankündigte. Erstaunt blickte er auf und sofort war der Gedanke da, den er eigentlich nicht denken wollte: "Tancred". Doch wer da durch die Tür trat, war der letzte, den er eigentlich sehen wollte. John blickte wieder auf die Flamme, die die Flüssigkeit langsam zerkochte. Was wollte Kadmin hier? Wollte er ihm seinen Triumph unter die Nase reiben? Wollte er ihm erzählen, dass er verloren hatte? Als er die Worte hörte, mit diesem einzigartigen Akzent vorgetragen, blickte er doch wieder auf, sah den anderen misstrauisch an. Sein Blick wurde fragend, als der Araber ihm die kleine Börse reichte. Nach einem kurzen Moment des Nachdenkens, was es wohl damit auf sich hatte, kam doch wieder die Hoffnung zurück, ein Zeichen zu erhalten. Vorsichtig nahm er die Börse und öffnete sie. Was er sah, ließ ihn einen Moment erstarren. Sein Herz schlug hart gegen seine Brust und er blickte erstaunt zu Kadmin auf. Wieso gab ihm der Araber dieses "Zeichen"? Konnte es sein, dass er sich getäuscht hatte in der Situation im Gasthaus? Hatte Tancred ihn geschickt? War das seine Art zu sagen, dass zwischen ihm und dem Araber nichts gewesen war? Es musste so sein.

John stand auf, die Augen nicht von Kadmin lösend. Seine Faust, die die Börse umschloss, legte sich auf sein Herz. "Sag ihm bitte, dass ich mich darauf freue, wenn ich ihn wieder wohlbehalten hier sehe, und gib ihm das hier von mir", bat er, dann beugte er sich vor und küsste den anderen sanft auf die Wange. "Danke", sagte er leise. "Pass bitte auf ihn auf." Er nahm wieder Abstand von Kadmin und blickte ihn an. "Und pass auf dich auf."

Dieses Zeichen reichte ihm, weiter darauf zu hoffen, dass sie sich wiedersahen – und dann würden sie reden.

London 4 - Ein Versprechen

Kieran
 

Als Kieran an diesem Abend von seinem Rundgang zurück in die Apotheke kehrte, fand er einen John vor, der plötzlich wieder Farbe im Gesicht hatte, der ihn umarmte und ihm sagte, dass er schleunigst abhauen sollte und er den Rest übernahm, den sonst Kieran für seinen Vater erledigte, der immer am Donnerstag weg war.

Kieran küsste John auf die Wange und versprach ihm, dass sie morgen reden würden. Dann verließ er die Apotheke und stieg auf das Pferd, das er sich schon besorgt hatte, um zügig zum Anwesen Sforza zu reiten.

Den Gedanken an das, was vor ihm lag, hatte er bisher gut verdrängt, hatte sich, wenn er nicht bei Nico war, damit abgelenkt, John zu unterstützen. Heute würde er nicht mehr verdrängen können. Mit jedem Schritt, jedem Galoppsprung, den sein Pferd ihn näher an das Anwesen brachte, wurde ihm schlechter. Seine Mutter würde fluchen, wenn sie sähe, wie stark er wieder abgebaut hatte. Aber ihm war nicht nach Essen gewesen in den letzten Tagen.

Als er abstieg und sein Pferd ihm abgenommen wurde, ging er zielstrebig auf das Haus zu, in dem er in der nächsten Zeit wohl nicht mehr leben würde. Er hatte hier mittlerweile so viel Zeit verbracht, dass ihm der Gedanke seltsam vorkam. Aber auch wenn er wusste, dass er hier immer herkommen durfte, um in Nicos Bett zu schlafen, so wusste er nicht, ob er das wirklich tun würde. Wäre die Trennung dann nicht umso schmerzhafter? Er würde es auf sich zukommen lassen.

In letzter Zeit hatte er sich gut eingeredet, dass Tancred ihn wohlbehalten zurückbringen würde. Jetzt, da er offenbar John ein Zeichen gegeben hatte, dass es irgendwie zwischen den beiden weitergehen würde, kam sein Vertrauen darauf auch wirklich wieder zurück. Jetzt war es nur noch Dominico, der sich vor sich selbst schützen musste, damit er keine Dummheiten beging, wenn sie im Gefecht waren. So wie er seinen Mann kannte, würde der im Zweifelsfalle nämlich nicht unbedingt die sicherste Variante der Möglichkeiten wählen, um zu überleben, sondern die, die zum Sieg führte. Sicher, das hing beides miteinander zusammen, aber es war dennoch auch ein Unterschied. Kurz hatte er darüber nachgedacht, ob er selbst mitfahren sollte, als Arzt. Aber den Gedanken hatte er sehr schnell verworfen. Er würde Dominico unter Umständen nur von Wichtigerem ablenken. Es war notwendig, hier in London zu warten, bis er zurückkehrte.
 

Kieran war durch das Haus gegangen, hatte im Schlafzimmer, im Arbeitszimmer, im Wintergarten, der Bibliothek und schließlich auch auf der Terrasse nach Doimico gesucht, ihn jedoch nicht gefunden. Amadeo schien auch wie vom Erdboden verschluckt. Irritiert, ob Nico vielleicht noch beim König wäre, wurde ihm klar, dass es genau so war. In dem Trubel hatte er komplett vergessen, dass Nico zu Ehren noch ein Bankett gegeben wurde. So blieb ihm nichts Anderes übrig, als auf den Italiener zu warten. Er kehrte ins Schlafzimmer zurück und entledigte er sich seiner Kleidung bis auf die Unterhose, um sich dann auf das Bett zu legen, wo er alsbald einschlief.
 

Dominico
 

Die eine Woche, die manche von ihnen so schmerzlich getroffen hatte, war für Nico sehr von Freude geprägt gewesen. Während Tancreds Abwesenheit hatte er zwar viel zu tun gehabt, doch seit er mit Kieran aus Camebridge wieder hier her gekommen war, schien alles besser zu sein. Er fühlte sich mit Kieran besser und mit Tancreds Rückkehr und seiner Versicherung, seinen Bruder heil nach "Hause" gebracht zu haben, ging ihm jetzt auch die unliebsame Arbeit leichter von der Hand. Alessandros Brief erreichte ihn tatsächlich einige Tage später und gab Nico die letzte Kraft zum Durchhalten, die er jetzt noch brauchte. Denn wenn er ehrlich war: Er hatte eine scheiß Angst vor dem, was da auf ihn zukommen würde. Doch er hatte keine andere Wahl und das wusste er eben auch. Also genoss er die Zeit mit Kieran die ihm noch blieb, versuchte ihm auch eine Stütze zu sein, was John anging und packte seine Sachen. Als er schließlich am letzten Abend beim Bankett saß, mit Henry, Charles und dem Königspaar, da war er eigentlich insgesamt sehr guter Dinge.

Er würde wieder kommen, er würde Kieran holen und dann mit ihm zu Alessandro fahren und dort einfach nur in Ruhe und Frieden alt werden. So würde es passieren und so würde es perfekt sein. Beinahe geistesabwesend prostete er dem König zu und bediente sich ein wenig an dem reichhaltigen Essen, doch ihm war sehr danach, sich bald wieder von hier zu verabschieden, ohne dass es unhöflich war. Doch als auch Charles sich erhob mit dem Wunsch, noch eine ausgeruhte Nacht in seinem Bett zu verbringen, hatte Henry nichts dagegen gehabt, zumal Anne ihn ohnehin schon wieder voll in ihren Bann geschlagen hatte.

Gemeinsam mit Amadeo, der ihn begleitet hatte, verließ er London auf dem Weg zu seinem Anwesen und verabschiedete sich schon im Stall mit einem festen Handschlag von Amadeo. Morgen würde er ihn ganz allein hier zurücklassen, doch es gab niemanden, dem er die Leitung seiner Geschäfte eher zutraute als diesem Mann. Dass Kieran offenbar hier war sagte ihm einer seiner Kammerdiener, die noch hier waren und Nico beeilte sich in seine Gemächer zu kommen - nur um Kieran dort schlafend auf dem Bett vorzufinden. Selbst Nicos etwas lauteres Öffnen der Tür hatte ihn nicht geweckt.

So leise er konnte trat Nico nun näher an das Bett heran, beobachtete Kierans schönen Körper so halb nackt in den Laken. Dieser Anblick brannte sich in sein Gedächtnis ein und er hielt ihn fest und hoffte ihn auch auf See festhalten zu können, wenn er einsam und allein war – und vielleicht voller Furcht vor dem Gefecht.

Sorgsam legte er seine Kleider ab bis er genau so wenig trug wie Kieran und legte sich dann zu ihm aufs Bett, rutschte vorsichtig näher und strich über Kierans Wange. Der kuschelte sich beinahe sofort an die Wärmequelle, wurde aber noch nicht richtig wach. Nico beobachtete ihn eine Weile und schien zu überlegen, ob er ihn wecken wollte oder nicht. Wollte er ihn wecken? Ja. Denn morgen würde Kieran ihn umbringen wenn er ihn jetzt nicht weckte, so dass sie wenigstens noch etwas voneinander hatten. "Du wunderschöner König meines Herzens", flüsterte er leise und hauchte Kieran einen Kuss auf die Stirn. "Wach auf. Es ist noch nicht die Zeit zu schlafen." Seine Finger malten leichte Muster auf Kierans Haut. "Hmhmhm... so viel Perfektion in einem Körper allein sollte es auf dieser Welt gar nicht geben …" sinnierte er leise während er Kierans schöne Flanke hinunter strich.
 

Kieran
 

Die Stimme des anderen drang von fern langsam in sein Bewusstsein vor. Er schlief nicht wirklich fest, denn immerhin war er ja nicht hierher gekommen, um zu schlafen. Und genau das sagte ihm gerade die Stimme, die unverkennbar von dem Menschen kam, den er so sehr liebte. Er lächelte leicht und genoss das Wachwerden und das Gewecktwerden. Leicht wand sich sein Körper unter den Fingern, die ihn kitzelten. "Du Schmeichler!", sagte er leise und räusperte sich leicht, als er seine verschlafene Stimme hörte.

Er blinzelte und sah Dominico an. Er würde ihn so schrecklich vermissen, er würde sich so schrecklich um ihn sorgen. Kieran stütze sich leicht nach oben und rutschte näher zu Dominico, um ihn zu küssen. Gott, er wünschte, er könnte das verhindern.

Als er sich wieder sacht löste sah er am anderen herab. "Wie ich sehe, hast du dich schon brav ausgezogen", stellte er mit einem leichten Grinsen fest. Er hob die Hand, stützte sich auf den anderen Ellenbogen und strich dem anderen sacht über die Brust und unweigerlich auch über alte Narben, die seinen Körper zeichneten. Er hatte sich daran gewöhnt, liebte sie. Doch nun war ihm klar, dass er, wenn sie sich Wiedersehen würden, wieder neue kennenlernen würde. Er schluckte bei dem Gedanken. "Wann musst du los?", fragte er und richtete seinen Blick wieder nach oben, blickte den anderen an.
 

Dominico
 

Der Italiener lachte leise als Kieran ihn "mal wieder" so "beschimpfte". Er konnte einfach nicht aus seiner Haut was Kieran anging und ihm zu schmeicheln war nach Nicos Meinung ohnehin das schönste, das er tun konnte, um seine Liebe zu beweisen. Schließlich war jedes Wort, das er so an Kieran wandte, ausreichend, um ihn aufs Schafott zu bringen. Immer wenn Kieran ihn einen Schmeichler schimpfte, musste er an ihre Zeit in Cambridge denken, an den Besuch im Kerker und Kierans so ehrliche Worte, die ihn schon damals zum Umdenken bewegt hatten. Er sah zu Kieran hinab und küsste ihn, als der sich ein wenig an ihm nach oben zog. Die Frage, die folgte, war unvermeidlich und so sehr Nico nicht antworten wollte, so wusste er doch, dass er musste. "Morgen bei Sonnenaufgang werde ich losreiten und Charles auf dem Weg treffen. Dann reiten wir nach Gravesend und stechen in See. So Gott will und wir siegreich zurückkehren, wird die Flotte allerdings bis London segeln." Denn zu den Siegesfeierlichkeiten sollte die ganze Bevölkerung der Stadt sehen, welche Schiffe ihnen Ruhm gebracht hatten. Nico wusste nicht, ob Tancred sich dieses Spektakel, so es denn stattfand, auch antun würde, doch darüber brauchte er sich jetzt sowieso noch keine Gedanken zu machen.

"Du hast mich also noch die ganze Nacht nur für dich allein." erklärte er dann feierlich, so als ob Kieran das nicht gewusst hätte. Aber es auszusprechen sagte auch, wie wenig Zeit das noch war und Kierans Finger, die über seine Narben strichen, erinnerten ihn sehr schmerzhaft daran, dass diese Narben wahrscheinlich nicht die letzten bleiben würden. Es gab da dieses Gespräch das sie vermieden hatten und das Nico eigentlich immer noch vermeiden wollte, doch wenn er es jetzt nicht zur Sprache brachte, dann würde er sich hinterher ärgern. "Kieran ... ich weiß, es gefällt dir nicht, aber wir müssen darüber reden, was passiert, wenn mir etwas passiert. Oder wenn allgemein etwas passiert, dass wir nicht voraussehen können." Damit meinte er nicht nur eine Verwundung seinerseits, doch er sah, dass Kieran allein der Gedanke Angst machte. "Ich verspreche dir, dass ich alles daran setze, so schnell wie möglich wieder hier zu sein, aber bitte lass uns darauf vorbereitet sein. Es gibt mir Sicherheit, DICH in Sicherheit zu wissen." Er zwang Kieran ihn anzusehen. "Wir müssen einen Ort ausmachen, an dem wir uns treffen können, wenn du und John London verlassen müssen bevor ich ankomme weil …" Er zuckte mit den Schultern. "Ich mache mir solche Sorgen. Alessandro hatte stets im Blick, von welcher Seite aus uns Gefahr drohte, aber ich bin in diesen Dingen nicht gut. Ich weiß nicht ob es nicht noch Menschen gibt, die uns vernichten wollen. Wenn dem so ist, dann musst du mir versprechen, dass du dir von Amadeo helfen lässt von hier fort zu kommen an einen Ort an dem ich dich finden kann. Nicht als Arzt zu meiner Familie, aber zumindest dorthin wo du sicher bist und ich zu dir kommen kann. Versprichst du mir das? Bitte Kieran.."
 

Kieran
 

Kieran nickte, als ihm Nico erklärte, wann er losmüsse. Die ganze Nacht klang bei weitem besser, als es eigentlich war. Denn die Nacht war bereits vorangeschritten und so blieben nur noch wenige Stunden - und lieber nicht darüber nachdenken, was danach käme... Kieran seufzte leicht. Sie schwiegen einen Moment.

Er wollte gerade vorschlagen, dass sie die wenige Zeit doch dann lieber nutzen wollten, als Dominico das Wort ergriff, und der Klang der Stimme verhieß nichts Gutes. Kierans Kiefer knirschte leicht, als der andere aussprach, was er dachte. Er wollte nicht darüber reden und er wollte nicht über diese Eventualität nachdenken. Er wollte einfach nicht. Aber Nico hatte Recht, wenn er sagte, dass sie auch darüber würden reden müssen. Also sah er den Italiener mit ein wenig Widerwillen erneut an. Das Gefühl in seinem Bauch war schrecklich bei dem Gedanken, Nico könnte etwas zustoßen.

Das Versprechen, dass Nico ihm gab, klang gut. Aber Kieran wusste nur zu gut, dass das nur bedingt in der Macht des anderen lag, ob sie wiederkehren würden oder nicht. Er wollte den Blick wieder senken, wollte sich dem nicht stellen, doch Nico hob sein Kinn an und zwang Kieran dazu, ihn anzusehen. Die Worte, die Bitte Italieners klang so ernst und auch ein wenig verzweifelt, dass Kieran nickte. Er hatte einen Kloß im Hals und er merkte, dass seine Augen feucht waren. "Ich verspreche es dir", sagte er und seine Stimme klang fremd. "Ich verspreche dir, dass ich zu Amadeo gehe, sobald etwas Unvorhergesehenes passiert. Ich werde zu ihm gehen und ihm sagen, wo du mich finden kannst. Oder er wird mir sagen, wo ich dich treffen werde. Wenn alle Stricke reißen, dann findest du mich an der Kapelle in Spanien, an der wir uns damals auch wiedergefunden haben..." Kierans erster Gedanke nach einem Treffpunkt außerhalb von England war dieser gewesen. Was auch immer geschehen würde, er würde dort hingehen, wenn Nico nicht nach England zurückkehren könnte. Er schwieg kurz. "Aber das Beste wird sein, dass du wohlbehalten zurückkehrst, siegreich und gesund. Dann werden wir nur noch unseren Plan vom Glück verfolgen und den Weg zu unserem Paradies antreten."

Er sah den anderen an und küsste ihn dann sanft. "Und jetzt möchte ich, dass du mich festhältst!", forderte er und küsste ihn erneut.
 

Sie liebten sich, hielten sich, versuchten sich beizustehen - wie Verzweifelte, die auf einem Floß liegend dem Wasserfall entgegentrieben. Der Abschied war für Kieran schwer, doch er war tapfer und ließ den Tränen erst freien Lauf, als er in das Bett zurückkehrte, in dem er kurz zuvor noch mit seinem Mann gelegen hatte.

"Ich liebe dich", hatte er ihm noch gesagt. "Ich liebe dich und werde dich immer lieben und wenn du wieder bei mir bist, werde ich dich nie wieder loslassen."

Auf Leben und Tod

Dominico
 

In eine Schlacht zu ziehen war normalerweise etwas, dem Nico immer mit viel Spannung entgegen gesehen hatte. Man rüstete sich, man zog los und dann bekämpfte man sich. Hier auf See war das Warten unerträglich.

Sie hatten nach einer Woche spanisches Land in Sicht - das behaupteten zumindest die beiden Spanier oben im Krähennest. Sie würden aber sicher noch zwei Wochen brauchen, bis sie wirklich in Kampfhandlungen verwickelt wurden. Sicher, ab jetzt würden sie vorsichtig sein müssen. Die Spanische Armada kreuzte in spanischen Gewässern und sie würden sich sehr hüten müssen. Während in der Nacht nur wenige Männer Deckwache gehabt hatten, gab es jetzt einen richtiggehenden Schichtdienst und regen Kontakt mit den anderen Schiffen der Flotte, doch weil sie so viele waren, trauten sich die einzelnen spanischen Kriegsschiffe nicht näher heran.

Um nicht von der Langeweile aufgefressen zu werden, hatte sich Nico das Schiff genauer angesehen. Er hatte sich zeigen lassen, wie die Kanonen geladen wurden und wie man sie abschoss - denn das übten die Kanoniere häufig mit Steinen, die dafür gedacht waren. Abends saß er mit Tancred und Charles zusammen, der sich häufig zu ihnen hinüber bringen ließ. Anfangs, nach Tancreds Eröffnung über seine Nacht mit Kieran, hatte er den Kapitän ignoriert - doch das half letztlich nicht gegen die Einsamkeit und machte ihn selbst nur wütender.

Also war er zu ihm gegangen und hatte schlicht ein Gespräch über Navigation und Karten gesucht und Tancred war darauf eingegangen, ohne den Vorfall mit Kieran noch einmal zu erwähnen. Leider war er für Nico noch immer präsent, denn er dachte ständig an Kieran, immer. Wenn er allein war und keine Ablenkung hatte, dann war Kieran in seinem Kopf einfach immer präsent und das machte es wirklich nicht einfacher. Zumal er Tancred immer besser kennen lernte, wenn sie abends bei dem Franzosen in der Kajüte saßen und eine Flasche Wein nach der anderen über zahllosen Geschichten leerten. Er mochte den Franzosen. Tancred war ein sehr ehrlicher Mensch, der mit seiner Meinung nicht hinterm Berg hielt. Er kritisierte offen den König, selbst vor Charles und Nico. Aber gerade weil er ihn mochte, schmerzte es nur umso mehr, denn er konnte sehr gut verstehen, dass Kieran diesem Mann vertraut hatte. Er sah gut aus, trotz der Verletzung seines Auges und er war fürsorglich, freundlich und fair gegenüber seiner Mannschaft. Wenn es jemanden auf diesem Schiff gab, mit dem Nico ins Bett gegangen wäre, dann vermutlich auch genau dieser Mann. Das machte die Sache zwar einerseits verständlich, aber andererseits eben auch so ätzend.

In Nico reifte mehr und mehr der Gedanke, dass er das nicht mehr zulassen durfte. Dass er Kieran mitnehmen musste nach Giannutri, wo die einzigen Männer Rodrego und Alessandro waren und er ihn nicht mehr vernachlässigen konnte. Auch wenn er nicht wollte, so hoffte er doch immer wieder, dass Kieran es schaffen würde an seine Rückkehr zu glauben und nicht Trost in den Armen eines anderen suchte, weil Nico nicht genug getan hatte, um den Glauben an ihre gemeinsame Zukunft zu schüren.
 

So vergingen die Tage in elendigem Nichtstun. Die Mannschaft, die diese Flauten gewohnt war, blieb trotzdem unendlich wachsam. Sie passierten sogar ungehindert die Meerenge von Gibraltar, was selbst Tancred immer häufiger auf den Plan brachte und die Signale zwischen den Schiffen nur noch häufiger werden ließ: Man schien die Flotte nur zu gerne willkommen zu heißen und das bedeutete, dass man sie bereits erwartete.

Nico hatte sich mehr und mehr damit beschäftigt die Vorgänge und Abläufe auf dem Schiff zu studieren und sah sich in den Kampfübungen sehr genau an, was Tancred tat. So bekam er die Sicherheit, die er erstaunlich schnell und auf tragische Weise brauchen sollte.

Der erste Verlust, den sie hinnehmen mussten, hatte nichts mit Kampf zu tun. Einer der Flottenkapitäne starb, vermutlich an einem Schlag oder an einem Herzinfarkt. Eigentlich wäre jetzt sein erster Maat nachgerückt, doch da mit Nico eigentlich zwei Befehlshaber auf einem Schiff untergebracht waren, übernahm Nico das Kommando auf dem kapitänslosen Schiff. Die Mannschaft, bestehend aus Engländern, freute sich sichtlich darüber einem der Krone so nahe stehenden Mann zu Diensten zu sein und Nico, der von Tancred gelernt hatte, behandelte sie gut und fair. Trotzdem lernte er sehr schnell, dass dieses Schiff anders zu lenken und zu Manövrieren war. Schwerfälliger im Wind und unendlich träge.. dabei war auch die Raashno schwer und ähnlich bewaffnet, aber dieses Schiff war ein Ackergaul, verglichen mit einem heißblütigen Araberhengst.

Viel Zeit sich an sein "neues" Schiff zu gewöhnen blieb Nico nicht. Drei Tage nach der Übernahme seines Kommandos sichteten sie vermehrt feindliche Schiffe und am vierten Tag schließlich Land: Vor ihnen lag, nach Tancreds sehr ausführlichen Karten, die Küste der Insel Sardinien. Spanisches Hoheitsgebiet, natürlich. Und natürlich wartete dort die spanische Armada.

Die Männer auf den Aussichtskörben sahen die Flotte weit früher, als Nico oder Tancred sie von Bord aus sehen konnten und die Flotte sammelte sich, um die Nacht in offenem Gewässer zu verbringen. Trotz des Herbstes war die See ruhig und der Himmel klar. Dennoch kam bei Nico nicht recht das Gefühl eines "Vorabends" der Schlacht auf. Da waren keine Lagerfeuer, nicht der typische Geruch des Schmiedes, der Klingen und Rüstungen für die Schlacht ein letztes Mal vorbereitete. Es fehlte das Stampfen der Pferde, es fehlte einfach alles.

Um wenigstens ein bisschen vorbereitet zu sein, traf er sich ein letztes Mal mit den anderen Kapitänen, um ihre Taktik durchzusprechen und saß schließlich mit Tancred und Charles erneut allein in der Kajüte des Franzosen auf der Raashno bei einer letzten Flasche fantastischen Weines. "Wenn wir das morgen überleben, dann verspreche ich euch, ich werde meiner Frau nie wieder fremdgehen." Nico und Tancred lachten gleichzeitig los und Charles, der diesen frommen Spruch geäußert hatte lachte ebenfalls. "Meine Herren, ich glaube draußen wartet meine Kutsche." Charles erhob sich. "Ich wünsche euch eine angenehme Nacht und besten Wind für Morgen. Wenn wir morgen Abend wieder zusammen hier sitzen, dann haben wir alles richtig gemacht!"

Damit verabschiedete er sich nach draußen, ließ Nico und Tancred allein zurück. Der Italiener sah nachdenklich auf sein halbvolles Glas während draußen einige Befehle ertönten und Geräusche zu hören waren, die verrieten, dass Charles nach unten zu seinem Beiboot stieg. "Ich hoffe wir verlieren Morgen zumindest ein Schiff." Tancred sah ihn an, misstrauisch. "Wieso?"

"Weil ich dann mit ihm untergehen könnte." Tancred lachte leise auf, weil er das für einen Scherz hielt, doch Nico sah nicht so aus, als habe er einen Scherz gemacht. "Das ist nicht komisch Dominico. Ertrinken ist der furchtbarste Tod den wir uns vorstellen können und ich denke nicht, dass diese Schlacht in einem Tag entschieden ist, also sieh zu, dass du das Schiff behältst."

"Aber es wäre... eine Chance." Nico sah auf. "Eine Chance, verstehst du? In der Schlacht für den König zu fallen, das wäre meine Chance." Tancred brauchte einen Moment, um zu begreifen, was der Italiener meinte, doch dann dämmerte es ihm. "Du meinst wie dein Bruder?" Er nickte langsam, verstehender. "Und Kieran? Soll dann jene Überfahrt greifen, die dein Bruder bereits für ihn organisiert hat? Du willst ihn wirklich auf mein Schiff lassen, nach all dem was du weißt?" Er konnte das süffisante Grinsen nicht unterdrücken, doch Nicos Mine blieb ausdruckslos. "Er darf nicht erfahren, dass ich noch lebe. Wenn er glaubt ich sei tot dann... dann wird er hoffentlich einen Teufel tun und in dein Bett steigen." Tancred hob abwehrend die Hände. "Ich würde ihn auch nicht hineinlassen." Er griff nach seinem Glas. "Doch so gut dieser Plan auch klingen mag Dominico - du solltest deinen Tod nicht vorausplanen wenn du morgen in die Schlacht ziehst. Warte ab, bevor dein Wunsch zu schnell Realität wird."
 

Tatsächlich hatten Tancreds Worte Nico nachdenklich gestimmt, doch eigentlich stand sein Entschluss fest. Wenn nicht hier, wo würde er eine bessere Gelegenheit bekommen? Doch als am nächsten Morgen nicht das Schaukeln des Schiffes, sondern das Krachen von Bordgeschützen ihn weckte, war seine Überzeugung angeknackst. Halb angezogen stolperte er an Deck, nur um festzustellen dass die Männer zwar wachsam, aber nicht gefechtsbereit waren. Spanische Schiffe waren zwar zu sehen, aber außer Reichweite. "Sie haben die Bugkanone abgefeuert, Sir, um die Entfernung zu messen."

"Oh.. in Ordnung." gab Nico zurück und schwankte wenig elegant wieder in seine Kajüte, um sich anständig anzuziehen und so schließlich an Deck zu kommen. Die Spanier waren näher gekommen, doch erneut wurde Nico klar, dass es noch Stunden dauern würde, bis sich hier etwas tat. Ihre Formation löste sich mehr und mehr auf, um einander nicht in die Quere zu kommen und so trieb der Wind manche schneller, manche langsamer dem Feind entgegen. Während Nicos Gedanken noch immer darum kreisten, was er tun sollte, versank die Welt im Krachen der Geschütze und beißendem Pulverrauch.

Als er am Abend wieder mit Tancred und Charles zusammen saß, wirkten sie alle drei abgekämpft. Sie hatten tatsächlich zwei Schiffe verloren, andere waren beschädigt aber noch seetüchtig. Männer waren gestorben, ertrunken und im Meer versunken - doch dank Tancreds guter Taktik und Führung und dank der Disziplin der Engländer hatten die Spanier größere Verluste erlitten. Sie sprachen nur wenig, tranken ihren Wein und aßen ein karges Abendessen, ehe sie einander nur viel Glück für den nächsten Tag wünschten - und hofften, einander am Abend doch noch einmal zu sehen.
 

Dass eine Schlacht Tage dauerte, hatte Nico bereits einmal erlebt, doch das war zu Fuß und mit viel Bewegung geschehen. Hier drängten sie die Spanier zwar auch in Richtung der Insel zurück, doch wirkliche Bewegung gab es nicht. Nico hatte bereits zweimal mitansehen müssen, wie Männer von Kanonenkugeln in Stücke gerissen wurden und wie Leichen auf dem Wasser trieben. Seine einstmals so gute Stimmung, ob der Nähe zu seiner Heimat, hatte sich aufgelöst. Stattdessen war jeder Tag nur geprägt von dem Lärm der Geschütze und dem schwankenden bockenden Schiff unter seinen Füßen.

Tancred und er hatten beschlossen, drei Schiffe an das Festland zu schicken, um dort Mengen von Lampenöl aufzukaufen. Die Spanier würden nicht müde werden, da sie den Hafen direkt in Reichweite hatten. Wenn sie nicht langsam mehr und mehr Schiffe versenkten, würden sie irgendwann unterliegen.

Doch das Öl, das einen Tag später eintraf sollte die Wende bringen..

Nico stand am Bug und sah durch ein Fernglas hinüber zum äußeren Rand. Eines ihrer Brandgeschosse hatte Segel und Deck eines spanischen Schiffes in Brand gesteckt und auch wenn die Mannschaft bemüht war zu löschen, das Schiff war dem Untergang geweiht.

Leider übersahen er und die Mannschaft dabei, dass sie zur Zielscheibe einer anderen Bugkanone geworden waren und als der Steuermann es bemerkte, war es zum Ausweichen zu spät. Die schwarze Kugel sauste über das Wasser und schlug hart vorn in das Holz ein, eine Wolke aus Splittern spritzte gen Himmel. Das Schiff erbebte und bockte auf den Wellen, Nico strauchelte und landete beinahe auf den Planken. Von unten ertönte Geschrei. "Bring uns in schnellere Gewässer!" Wies er den Steuermann an, der bereits am Steuerrad kurbelte und beidrehte, so dass sie außerhalb der Kanonenreichweite kamen. Offenbar war Nico ohne es zu bemerken in eine tödliche Falle gefahren, denn jetzt nahmen ihn weitere Schiffe ins Visier. Einschlag folgte Einschlag und auch wenn unter Deck ihre eigenen Geschütze feuerten, so waren sie in der misslichen Lage nicht wirklich selbst agieren zu können. Plötzlich bekam das Schiff merklich Schlagseite. Nico sah nach vorn und versuchte durch den Pulverdampf etwas zu erkennen, der plötzlich aufriss und den Blick auf zwei Schiffe freigab, die direkt Kurs auf sie genommen hatten. "Die werden uns zerfleischen..." keuchte der Steuermann neben ihm. "Wir haben ein Leck Kapitän, ein riesen Loch!" brüllte ein anderer von unten, blutbespritzt zu ihm herauf.

Und da, genau in diesem Moment, war Nico klar, was er tun musste. "Evakuiert das Schiff! Alle sofort runter!" Hinter ihnen, nicht weit entfernt, würde ein anderes Schiff die Männer aufnehmen können. "Dann kommen sie Sir", rief ein Decksmann, der bereits das Beiboot zu Wasser lassen wollte. Nico winkte ab, rannte stattdessen zu dem Signalgeber. "Die anderen sollen abdrehen! Schnell! Und dann sollen sie auf diese beiden Schiffe dort und dort schießen“, er gestikulierte wild und der Signalgeber beeilte sich, seinen Befehlen zu folgen. Nico drehte sich um und versuchte den Lärm zu übertönen "HISST DIE FLAGGE DES KÖNIGS", brüllte er hinauf und die Männer im Krähennest, die bereits auf halbem Weg hinunter waren, eilten zurück.

Als das Banner dort oben entrollt wurde, sah Nico wie weitere Schiffe beidrehten, um auf sie zuzusteuern. So als sei ihr Schiff eine besonders lohnenswerte Beute, die sie auf jeden Fall erlegen wollten. Hinter Nico gestikulierte der Signalgeber mit den Flaggen wie ein Verrückter und Nico hoffte, dass man ihn überhaupt verstand - doch anscheinend zeigte es Wirkung. Vor ihm rückte die spanische Armada näher zusammen. Vielleicht noch zehn Minuten, bis die Breitseiten in Reichweite waren.
 

Tancred, in relativ sicherer Entfernung, hatte das Malheur schon von Anfang an beobachtet. Die Mannschaft unter Nicos Kommando war von den brennenden Schiffen abgelenkt worden und zwei spanische Schiffe, die die Unaufmerksamkeit bemerkt hatten, nahmen sie jetzt in die Zange. Die Spanier, die hier sichere Beute witterten - erst recht bei der Königsflagge - rückten näher zusammen und mehr Schiffe schlossen sich an. "Sie reißen ihn in die feinsten Splitter", kommentierte Kadmin schonungslos ehrlich und Tancred grunzte leise. "Die Männer gehen schon von Bord. Bring uns näher ran, dass wir sie aufnehmen können." Denn die anderen englischen Schiffe in Reichweite, die eigentlich hatten helfen wollen, drehten wegen der Signale bei und suchten ihr Heil in der Flucht vor der anrückenden spanischen Front. Durch sein Fernrohr sah Tancred auch Nico an Deck, der weiterhin Befehle gab. "Wieso geht er nicht?" fragte er mehr sich selbst als Kadmin, doch auch der Araber hatte keine Antwort dafür.

Tancred konnte nur zusehen, wie das Schiff immer weiter und immer weiter auf die Spanier zutrieb und schließlich zwischen ihnen verschwand. Offenbar hatte es auf den letzten Metern Fahrt aufgenommen und die spanische Armada umschloss es kurze Zeit später wie ein Kokon, während eine Wolke aus Pulverdampf in den Himmel stieg und Geschütze krachten - und dann, auf einmal, stieg ein Feuerball gen Himmel.

Die Explosion war ein so heftiger Donnerschlag, dass die nachhallenden Explosionen kaum zu hören waren, da Tancreds Ohren klingelten. Die Druckwelle drückte die spanischen Schiffe zur Seite und die Stichflamme setzte sie in Brand. "Das muss das Magazin gewesen sein!" schrie Kadmin über den ersten Lärm hinweg, ehe weitere Explosionen gigantischen Ausmaßes folgten. Tancred sah fassungslos zu, wie spanische Schiffe versuchten dem Kokon zu entkommen, in dem sich das Tor zur Hölle geöffnet hatte, doch alles stand in Flammen, schwarzer Rauch stieg gen Himmel und verpestete die Luft. "Herrgott im Himmel.."
 

Als die Raashno vier Wochen später die Themse hinauf segelte, hingen die Flaggen auf Halbmast und die Segel waren mit Ruß geschwärzt worden. Hinter dem schnellen arabischen Schiff folgte die englische Flotte, die Flaggschiffe ähnlich eingefärbt mit dunklen Segeln und allesamt mit Flaggen auf halber Masthöhe - zum Gedenken der Männer, die sie verloren hatten. Die letzten Schiffe schleppten vier spanische Prisen, unversehrte Schiffe, die von der panischen Mannschaft verlassen worden waren und die sie über den Atlantik nach England gebracht hatten. Sie waren beladen mit Beute und sollten dem König als Zeichen ihres Sieges dienen. Schon seit sie in die Themse eingelaufen waren beobachteten Menschen die Flotte, die an ihnen vorbei zog und in London war bereits alles hergerichtet worden, um die siegreichen Männer gebührend zu empfangen.

"Ich werde ihm die Nachricht überbringen", erklärte Charles zum 5. Mal an diesem Morgen, den Arm in einer Schlinge und in der anderen Hand die Kette, die einstmals Dominico Sforzas Rang markiert hatte. "Es wird ihn sehr treffen. Es wird ihn unglaublich treffen." Auch das hörte Tancred nicht zum ersten Mal. "Ich hoffe, er versteht, dass ihr den Leichnam zu seiner Familie gebracht habt."

Tancred zwang sich zu einem zuversichtlichen Nicken. "Ich bin mir sicher, nach vier Wochen wären seine Gnaden nicht mehr sehr ansehnlich gewesen, auch nicht für den König. Doch er kann stolz sein, solch tapfere Männer zu den seinen zu zählen."

Es war Kadmin, der das Schiff im Hafen schließlich an den vordersten Anleger manövrierte. Man hatte einen roten Teppich ausgerollt und der König höchst selbst saß auf einem Thron neben seiner Königin auf einem abgesperrten Platz, um den sich unendlich viele Schaulustige drängten.

Die Gangway wurde herunter geklappt und Charles, so aufrecht wie es mit seiner Verletzung ging, kam gefolgt von Tancred die Gangway hinunter. Beide Männer bewegten sich leicht schwankend auf dem jetzt so festen Boden und brauchten eine Weile, um zu dem Mann hinüber zu gehen, der sich jetzt erhoben hatte. Sie beide entboten mit einer Verbeugung ihre Begrüßung und Henrys Handbewegung deutete an, dass sie sich erheben durften. "Willkommen zurück in England!" dröhnte seine Stimme laut über den Hafen. "London empfängt seine siegreiche Flotte und freut sich über die spanischen Prisen, die ihr uns bringt!" Applaus - Hochstimmung.

"Wo ist Mylord Sforza?" Fragte Henry, der bemerkte, dass hinter Charles und Tancred offenbar niemand mehr folgte. Es war Charles der sich leise räusperte. "Mein König.. seine Gnaden Dominico Sforza fiel am letzten Tag der Schlacht vor Sardinien."

Henrys Hochstimmung zerplatzte wie eine Seifenblase. Er sank auf den Thron zurück, Anne griff seine Hand. "Was..? Wie konnte das passieren?"

Jetzt war es an Tancred zu antworten. "Durch zwei Treffer hatte sein Schiff starke Schlagseite. Er konnte nicht mehr manövrieren, also befahl er den Männern von Bord zu gehen. Allein, nur noch mit einem Decksmann und einem Signalgeber fuhr er mitten hinein in die spanische Armada. Sie scharten sich um ihn, wie ein Schwarm Fliegen um einen Kadaver. Doch er ließ eure Flagge hissen und jagte in ihrer Mitte das Magazin in die Luft. Auf einen Schlag versenkte er so heldenhaft zehn spanische Schiffe. Danach war der Sieg für uns leicht zu erringen. Wir fanden seine Leiche einige Stunden später im Wasser."

Henrys Gesicht war noch immer bleich, zeigte jedoch einen seltsamen Stolz und Zufriedenheit. "Also verdanke ich ihm diesen Sieg?" Charles verbeugte sich erneut. "Ja euer Hoheit. Dank seinem Einsatz konnten wir die Spanier vernichtend schlagen." Vom Thron war ein Schnauben zu hören. "Eine Schande ist das, dass es einen Italiener braucht, um zu zeigen wie das Herz Englands schlägt." Er erhob sich erneut. "Ich will, dass ganz London für diesen Mann, meinen Freund, meinen loyalsten Diener trauert. Drei Tage will ich jeden Tag für ihn Messen lesen lassen - und seiner Frau und Familie gilt unser ganzes Mitgefühl. So hoffe ich denn, dass er mit seinem Bruder im Paradies vereint ist und dass sie dort nie wieder einen Kampf ausfechten müssen."

Auf Leben und Tod 2

Kieran
 

Die Arbeit und auch die Universität warteten nicht darauf, dass es ihm besser ging. Da er Dominico als fertiger Arzt gegenübertreten wollte, wenn dieser zurückkehrte, musste er sich wieder mehr auf das Lernen konzentrieren. So schaffte er es endlich, ein wenig Abstand von der Verabschiedung zu nehmen und sich wieder auf das zu konzentrieren, was jetzt wichtig war. Schließlich kniete er sich in die Arbeit, wie er es sonst auch immer getan hatte, wenn es ihm nicht gut ging. Komisch irgendwie, dass er früher, wenn es schien, dass seine Liebe zu Dominico keine Zukunft hatte, sich so sehr in die Arbeit gestürzt hatte, währen er jetzt, da er sich seiner Liebe so sicher war, wie gelähmt war.
 

Nach zwei Wochen hingen die Prüfungspläne aus, an denen sie sehen konnten, wann welche Prüfung – sei es schriftlich oder mündlich – stattfinden würde. John und Kieran würden fast gleichzeitig fertig werden. John hatte Glück, dass das Los beim Auswählen der mündlichen Prüfungen nicht „Praktische Anatomie“ für ihn bestimmt hatte. Mit allem anderen kam er zurecht, aber nicht damit, etwas zu sezieren. John’s schwerste Prüfung würde dann nur noch die praktische Prüfung sein, die sie in der Klinik absolvieren würden. Aber Patricia würde ihnen helfen und über ihre Kontakte die aktuellen Fälle erfragen, so dass sie sich auf alle Eventualitäten vorbereiten könnten. Kieran half John beim Lernen, John half ihm im Gegenzug, nicht die Nerven zu verlieren. Sie waren wieder ein perfektes Team – und mittlerweile ein Trio. Denn Patricia erwies sich als der wundervollste Glücksgriff aller Zeiten.
 

Die junge Frau blühte immer mehr auf und Kieran war nun wirklich überzeugt davon, dass sie von der Hochzeit wirklich profitiert hatte. Ihre Stellung in der Apotheke war gefestigt und Johns Vater musste von ihr einiges einstecken, was Kieran durchaus gut fand. John unterstütze seine Frau in allem. Wüsste Kieran es nicht wirklich besser, so konnte man wirklich denken, dass die beide das perfekte Paar wären. Außer vielleicht, dass sie nicht unbedingt all die Zärtlichkeiten austauschten, die ein verheiratetes Paar vermutlich austauschen würde. Aber das war ja auch in Ordnung und zu viel Zärtlichkeit wurde in der Öffentlichkeit sowieso nicht gerne gesehen. Trotzdem war John wirklich sehr zuvorkommend zu Patricia und behandelte sie genau so, wie man eine Frau behandeln musste. Kieran vermutete, dass er ihr etwas zurückgeben wollte dafür, dass sie ihm beistand und beigestanden hatte, als er Tancred verloren glaubte. Jede Frau konnte sich nur einen Mann wie John wünschen – etwas, womit Kieran nie gerechnet hätte, irgendwie. Nur John, Patricia und Kieran wussten, wie es wirklich war und das war gut so.
 

Patricia hatte den Laden auf Vordermann gebracht und mittlerweile konnten sie sich vor Kunden kaum retten, so dass der Rückgang der Abnahmen durch das Militär letztlich kompensiert wurde. Besonders die älteren Herrschaften waren glücklich, von einer so netten Dame bedient zu werden, weil sie einfach diese warme Art hatte, die nur eine Frau haben konnte. Eine Art, die auch Johns Mutter gehabt hatte, wie er einmal wohl eher aus Versehen erzählt hatte. Johns Vater ließ seinen Sohn wenigstens weitestgehend in Ruhe. Auch wenn Kieran ahnte, dass in John noch etwas schwelte, was er noch nicht greifen konnte. Er hatte das Gefühl, dass Johns Vater diese Ehe noch einmal gründlich bereuen würde.
 

Wenn sie abends gemeinsam dasaßen, dann ersetzten sie sich damit die Abende im Connor‘s, die nicht mehr möglich waren. Denn die Situation für Männer mit „ihren Interessen“ wurde täglich schlimmer. Mittlerweile starben Männer nur auf den reinen Verdacht hin. Es gab tatsächlich Fälle, bei denen man sicher sein konnte, dass jemand nur angeschwärzt worden war, um ihn zu beseitigen.
 

Kieran verbrachte daher auch immer mal wieder Zeit auf Nicos Anwesen oder bei seiner Familie, die ihr Winterlager nun vor London aufgeschlagen hatte. Theresa hatte tatsächlich auch Caleb dazu überreden können, mit ihr nach Italien zu kommen. Kieran erklärte ihnen, dass es auch sein könnte, dass sie recht überstürzt losmussten. Sie versicherten ihm, dass sie vorbereitet sein würden, wenn es soweit wäre. Letztlich wusste er gar nicht, wie es sein würde, aber so ernst wie Nico geklungen hatte, wollte er auch, dass die beiden vorbereitet waren. Ansonsten trainierte er wieder als Ausgleich zu der Lernerei, die ihm auf die ohnehin schon nicht so brillante Stimmung drückte. Außerdem dachte er, dass es Nico freuen würde, wenn er mal wieder mehr für seinen Körper täte. Damals in Cambridge hatte der Italiener ihm sehr deutlich zu verstehen gegeben, dass er es mochte, wenn Kieran trainiert war.
 

John hatte einen anderen Ausgleich zur Lernerei: zum einen sein Zimmer, in dem er das Labor nun eingerichtet hatte und in dem er manchmal auch übernachtete. Kieran konnte verstehen, dass es John zwar nicht unangenehm war, sich sein Bett mit Patricia zu teilen, aber da sie ja nur Freunde waren, tat es auch einfach manchmal gut, wenn man alleine sein konnte. Manchmal schien John schlecht zu träumen, dann wanderte er zu ihm hoch und legte sich zu ihm, womit Kieran so gar kein Problem hatte, denn dann konnte auch er besser schlafen. Johns Anwesenheit beruhigte ihn.
 

Die andere Art, sich abzulenken, wenn John mal keine Lust auf das Labor hatte? Dann ging er mit Streuner zum Hafen und setzte sich an die Kaimauer. Streuner wich ihm noch weniger von der Seite, als je zuvor. Der Hund war letztlich auch das größte Fragezeichen dahingehend, was passieren würde, wenn sie aufbrachen, um London zu verlassen. Denn wenn alles so verlief, wie John und er es besprochen hatten, würde Streuner sich unter Umständen weigern, an Bord zu gehen.
 

Johns Plan war gut überlegt und würde keine offenen Fragen lassen. Patricia wusste auch davon und so war ihr bewusst, dass sie Johns und seine Gegenwart wirklich nur auf Zeit würde genießen müssen bzw. können. Kieran umging die Frage, ob es wirklich klug war, sie mit Johns Vater alleine zu lassen. Patricia kam letztlich ganz gut mit dem alten verbohrten Mann zurecht. John mied seinen Vater mehr denn je und ließ sich nicht mehr auf die täglichen Demütigungen ein. Nun ja, es würde sich zeigen, was geschehen würde.

Kieran selbst hatte ein neues Ritual. Er ging täglich nach seiner Runde am Rathaus vorbei, um bei den Bekanntmachungen zu lesen, ob es Neuigkeiten von der Flotte gab. Erst nach drei Wochen kam die erste Meldung, die bestätigte, dass die Flotte vollzählig in Italien angekommen war, und nun die Franzosen gegen die Italiener und damit auch gegen die Deutschen verstärken würde. Zumindest waren sie gut angekommen, jetzt würde sich zeigen, was passieren würde. Die nächsten Meldungen, die nun in kürzeren Abständen eintrafen, klangen, wenn man die Lobhudelei auf den König wegließ, zumindest so, als seien sie einigermaßen erfolgreich. Über Verluste wurde aber nicht viel geschrieben. Ob dem wirklich so war, dass es kaum Verluste gab, daran glaubte Kieran nicht. Der König fände es sicher nicht gut, wenn das Volk zu sehr sehen würde, dass sie Verlusten hatten. Daher wurden die echten Informationen diesbezüglich sicher unter Verschluss gehalten.
 

Schließlich hieß es, dass die Flotte siegreich gewesen sei, auch wenn es tragische Verluste gegeben hatte, und sich auf dem Rückweg nach England sich befände. In der nächsten Woche waren die Prüfungen und die Nachricht über „tragische Verluste“ war gar nicht gut für Kierans Konzentration. Nun war es wieder John, der ihm Mut machte. Nur noch diese Prüfungen durfte sie interessieren – alles andere würde sich spätestens in drei Wochen zeigen.
 

Nachdem Amadeo, den er hin und wieder auf dem Anwesen traf, auf dem er ja immer noch als Arzt tätig war, ihm nichts Negatives berichtete, hoffte er darauf, dass Dominico nach wie vor nichts passiert war. Immerhin würde der treue Diener wissen, wenn es anderes wäre, auch wenn Amadeo ganz offensichtlich unter der Trennung von Giulia litt, die ja in etwa in zwei Monaten ihre Niederkunft haben würde. Sie alle würden glücklicher sein, wenn der Tag endlich kam, an dem Nico zurückkehrte und sie die Reise nach Italien beginnen konnten.

Er würde wieder seinen Mann haben, John würde sich endlich mit Tancred aussprechen können und Amadeo würde seiner Giulia endlich nach Italien hinterher reisen.

Und irgendwann würden sie alle gemeinsam an einer reich gedeckten Tafel in Italien sitzen und darüber lachen, wie schwer die Zeit hier gewesen war, während sie nun im Paradies lebten…

Die Nachricht

John
 

Es war schwer für John, gelassen zu bleiben, sehr schwer. Aber er tat es, augenscheinlich. Er musste Kieran stützen, denn jener war - seitdem von „tragischen Verlusten“ die Rede gewesen war - so nervös, dass es ihn ganz kirre machte. Es war nicht so, dass er sich nicht auch sorgte. Ganz im Gegenteil. Aber er ließ es nicht zu, dass es sich in den Vordergrund seines Bewusstseins drängte. Dafür kam es unterbewusst umso heftiger auf ihn zurück – nämlich nachts, wenn er träumte.

Nacht für Nacht hatte er jetzt diese Träume vom Wasser. Aber mittlerweile war nicht er es, der keine Luft mehr bekam und der im Wasser ertrank. Sondern es war Tancred, der im Wasser versank und den er zu fassen versuchte. Aber immer wenn er dachte, er habe seine Hand ergriffen, entglitt sie ihm und er sah ihn in der Tiefe des Meeres versinken. John wachte jedes Mal schweißgebadet auf, nach Tancred rufend und er war Patricia unendlich dankbar, dass sie das für sich behielt, wenn er vor Kieran so tat, als sei alles in Ordnung. Auch wenn jener wahrscheinlich genau wusste, dass es in ihm anders aussah.

Der Gedanke, dass das letzte Gespräch, das er mit Tancred geführt hatte, ein so widerliches gewesen war, machte ihn fertig. Was, wenn er nie die Chance bekäme, diese ganze Geschichte zu erklären? Wenn er sich nie wieder mit Tancred vertragen würde, wenn er ihn nie wieder… John fröstelte, während er vor dem Prüfungszimmer saß und wartete. Es regnete bereits den ganzen Tag und die Gänge im Institut waren zugig und kalt. Die Tür ging auf und John stand auf. „Mr. Forbes“, wurde er begrüßt. „Dann lassen Sie uns mal beginnen.“ „Sehr gern“, entgegnete John und begann die letzte dieser elendigen Prüfungen, mit denen er hoffentlich in der nächsten Woche endlich sein Examen in der Hand halten würde.
 

Es war an einem Sonntag, als er vor der Kirche an einem Stand vorbeilief und stehen blieb. Mittlerweile war es sicherer, wenn man sich sonntags in der Kirche blicken ließ. Also ging er mit Patricia und er hasste es, sich so ekelerregend verstellen zu müssen. Kieran tat das nicht und er bewunderte ihn dafür. Aber sein Vater hatte Patricia gegenüber Dinge gesagt, die sie dazu veranlasst hatte, ihm ins Gewissen zu reden, sie zu begleiten. „Was hast du?“, hatte sie überrascht gefragt, als sie merkte, dass er stehen geblieben war und er hatte auf eine Kette gedeutet, die dort auslag. Fragend blickte sie ihn an, nachdem sie die Kette als eine erkannte, die fast identisch wie die seinige war. „Ein Accessoire, das den Schein vollendet“, sagte er ihr, nachdem er die Kette gekauft hatte und sie auf dem Heimweg waren.

Genau dieses Detail hatte ihm noch gefehlt. Nun war alles vorbereitet und würde funktionieren. „Du wirst mir fehlen“, hatte Patricia ihm gesagt und es hatte ihn im ersten Moment überrascht. „Du mir auch“, hatte er schließlich zugegeben und sie in den Arm genommen und auf die Wange geküsst. „Das ist der Fehler im Plan.“
 

Seit zwei Tagen war London in helle Aufregung versetzt. Der Mittelpunkt der Unruhe befand sich am Hafen, wo alles für den Einzug der Flotte hergerichtet wurde. Es würde einen feierlichen Empfang der Helden geben, die den Sieg für den König eingefahren hatten. Die Flotte war bereits gesichtet worden, aber dadurch, dass sie durch die Themse nach London fahren würde, zog sich ihre Ankunft noch einige Tage hin, so schätzte man. Die königliche Bekanntmachung selbst war es, die sie ein wenig in Sicherheit wiegen ließ, denn unter den Schiffen, die zurückkehren würden, befand sich auch die Raashno – so war es zumindest angekündigt. Dieses Wissen – auch wenn es letztlich nicht unbedingt als sicherstes Zeichen zu werten war – beruhigte ihre Gemüter zumindest insofern, als dass John Kieran überzeugen konnte, dass es richtiger war, zu der Vergabe der Diplome zu gehen, die vermutlich zeitgleich mit der Ankunft der Schiffe sein würde. Selbst wenn alle wohlbehalten zurückkehrten, würde es dauern, bis sie sich wirklich würden sehen können. Es wäre falsch hinzugehen, denn der Wunsch, den geliebten Menschen zu sprechen ließ einen unter Umständen Fehler begehen. Noch schlimmer wäre es, wenn doch nicht jeder, der auf dem Schiff mitgefahren war, auch zurückkehren würde.

Daher standen sie schließlich in der großen Aula der königlichen Universität, in ihrer für Johns Begriffe unfassbar hässlichen Robe Academicus, die nun symbolisieren sollte, dass sie in der Oberschicht angelangt war, denn die Farbe Schwarz war eben jener vorbehalten. Sie durften sich dämliche Reden anhören, in denen die Professoren gelobhudelt wurden, und die Studenten sich als so dankbar erweisen mussten, dass John am liebsten gekotzt hätte. Kieran war nicht wirklich bei der Sache und John führte ihn letztlich durch das Programm. Während sie noch im Saal standen, kamen die ersten Gerüchte vom Hafen bei ihnen an – nichts Konkretes, aber Kieran war ab diesem Zeitpunkt zu nichts mehr zu gebrauchen. John verstand ihn, aber es brachte nichts, jetzt loszustürmen. Sie würden nachher in Ruhe zum Anwesen reiten und würden da mindestens Dominico begegnen können.

Doch es sollte anders kommen.

Sie hatten ihre Diploma erhalten, sie waren zurückgekehrt in die Apotheke und bereits der Blick in Patricias Gesicht hatte ihm gesagt, dass etwas passiert war. Sie nickte in Richtung Kieran und musste nichts mehr sagen, als dieser bereits wusste, was geschehen war, und in sich zusammenbrach.
 

Kieran
 

Die letzten Tage, seitdem bekannt war, dass die Flotte auf dem Rückweg war und bald London erreichen würde, waren unsäglich lang. Die Zeit schien nicht vergehen zu wollen. Alles zog sich endlos hin und am schlimmsten waren die Nächte, in denen er ohnehin keinen ruhigen Schlaf fand. John neben ihm erging es nicht besser, auch wenn jener es tagsüber besser schaffte, seine Gedanken beieinander zu halten. Kieran merkte, dass er unsägliche Angst hatte. Allein der Gedanke, was er tun sollte, wenn er erfahren musste, dass Dominico gefallen wäre… Er schnürte ihm die Kehle zu und trieb ihm die Tränen in die Augen. Aber irgendwie hatte er ein so furchtbares Gefühl, dass er John, der versuchte positiv zu reden, nicht richtig verstehen konnte. Ja, klar. Er sollte positiv denken, aber er konnte es einfach nicht – warum auch immer.

Er funktionierte immerhin. Ja das tat er. Er ging seiner Arbeit nach, er arbeitete und betreute seine Patienten, die vermutlich gar nicht so sehr merkten, dass ihn etwas beschäftigte. Die Prüfungsergebnisse nahm er zur Kenntnis und war erstaunt, dass er trotz allem ein „Summa cum laude“ zu seinem Doktortitel erhalten hatte. Auch John hatte bestanden – und gar nicht mal so schlecht, ganz im Gegenteil. Sie hatten an dem Abend zu dritt angestoßen, auch wenn keine rechte Stimmung aufkommen wollte.

Sowohl Kieran als auch John hatten sich vorbereitet, hatten ihre Sachen gepackt und alles hergerichtet, um im Falle des Falles vorbereitet zu sein. Dennoch hoffte niemand, dass es dazu käme.

Die Feierlichkeiten für die Studenten fanden statt, doch Kieran würde vermutlich hinterher kaum sagen können, was eigentlich gemacht worden war. Sicher, die Universität konnte nicht voraussehen, dass die Flotte zum gleichen Zeitpunkt zurückkehren würde – und doch war es so gekommen. Natürlich hatte John recht, als er ihm sagte, dass es sinnlos war, hinzugehen, dass es sogar äußerst gefährlich werden konnte. Doch er sehnte diesen Moment so sehr herbei, seinen Dominico wieder zu sehen, dass es ihn körperlich schon schmerzte. Er wollte ihn in den Arm nehmen und sich vergewissern, dass er wohlauf war. Er wollte ihn küssen, ihn festhalten und nie wieder loslassen – und gerade deshalb durfte er nicht zum Hafen hinunter gehen. Aber Patricia durfte – und als er ihr Gesicht sah war ihm klar, dass etwas passiert war. Es war ihr Blick, der ihm sagte, dass genau das eingetroffen war, was nie hätte passieren sollen.
 

Jetzt, wo genau das offensichtlich geschehen war, spürte er, wie ihm der Boden unter den Füßen weggerissen wurde. Der Schmerz, den er schon vorab bei dem Gedanken daran verspürt hatte, traf ihn um ein vielfaches heftiger, als er je erwartet hatte. Er war so heftig, dass er erstarrte, in sich zusammensank und nicht einmal fähig war, zu weinen. Er kniete am Boden, spürte, dass John sich neben ihn setzte, dass Patricia hinter ihm die Tür geschlossen hatte und sich nun auch zu ihm setzte. Das alles nahm er wahr, ohne es wirklich zu hören oder zu sehen. „Wie?“, fragte er tonlos und seine Stimme hörte sich so weit weg an. „Wie?“, versuchte er es lauter und blickte Patricia mit einem Gesichtsausdruck an, der von seiner Verzweiflung zeugte. „Er hat sich geopfert, um die Spanier zu versenken. Er hat den Sieg für England errungen. Er starb als Held“, sagte sie und fing zu weinen an. Kieran konnte ihre Tränen nicht verstehen, schließlich müsste er doch weinen, oder? Aber anstatt, dass er weinte, merkte er nur, wie er wütend wurde. Wütend auf Dominico, der ihm etwas versprochen hatte: Ich verspreche dir das ich alles daran setze so schnell wie möglich wieder hier zu sein – Wieso hatte er das dann getan?

Der Wutausbruch war heftig – doch er brachte schließlich die Tränen, als er – von John festgehalten – wieder zur Ruhe kam und nur noch weinte, bis er das Gefühl hatte, völlig ausgelaugt worden zu sein. Er hatte das Gefühl, einfach nur noch sterben zu wollen, alles andere war ihm gleichgültig.

John war es, der ihn zwang, ihm auf das Anwesen zu folgen, das sie mit einer Kutsche erreichten. John war es, der ihm klarmachte, dass Dominico ihm auch ein Versprechen abgenommen hatte. Aber wenn der Italiener die Versprechen nicht hielt, warum sollte er sie dann halten? Trotzdem ließ er sich mitziehen, zu Amadeo, der ihm vielleicht doch sagen würde, dass das alles nur eine Lüge gewesen war, ein Spiel. Er würde ihm vielleicht sagen, dass Dominico nicht tot war. Doch das Gesicht des Italieners, der sie empfing, sprach eine andere Sprache.
 

John hatte Kieran noch nie so erlebt. Es brach ihm das Herz. Als der Schwarzhaarige sich wütend aufbäumte, sie beschimpfte, Dominico beschimpfte, den König beschimpfte und drauf und dran war, alles, was ihm in den Weg kam, kaputt zu machen, da war John so dermaßen überfordert, dass er nichts anderes tun konnte, als seinen besten Freund festzuhalten, die Schläge ertragend, die er einstecken musste, und dabei lautlos zu weinen, weil ihn der Schmerz des anderen so an den Schmerz erinnerte, den er nachts empfunden hatte, wenn er an Tancreds mögliches Schicksal gedacht hatte. Dass Patricia ihm nichts sagte, dass auch der Franzose unter den Opfern gewesen war, freute ihn natürlich. Aber er hatte keine Zeit, wirklich darüber nachzudenken. Im Moment konnte er nur Kieran festhalten, der am ganzen Körper zitternd und schluchzend in seinen Armen lag und seien Tränen freien Lauf ließ.

Kieran hatte ihm von dem Gespräch berichtet, was er mit Nico geführt hatte – von der Vereinbarung, was zu tun sei, im Fall der Fälle. Diesen Plan würden sie verfolgen. Kieran würde nicht hierbleiben könnten, denn hier würde ihn alles an die Zeit mit Dominico erinnern. Dominico hingegen wollte ihn in Sicherheit wissen, er würde etwas vorbereitet haben. John würde alles dafür tun, das das auch so klappen würde.

Daher zwang er Kieran letztlich auf das Anwesen, auf dem sie Amadeo empfing. Auch wenn jener nicht sagen konnte, dass das alles nur ein Irrtum gewesen war, so war zumindest noch ein weiterer Gast da, der John nun endlich doch auch an sich denken ließ. An sich und sein Glücksgefühl, dass Tancred eben nicht dem Krieg zum Opfer gefallen war.

Einen Moment sah er Tancred an und alles in ihm hatte das Bedürfnis, zu ihm zu gehen, ihn anzufassen und in die Arme zu nehmen. Doch er konnte nicht. Zum einen, weil zwischen ihnen noch immer ein großer Streit stand, bei dem zwar die Hoffnung in Form eines Backgammonsteins bestand, dass sie ihn beilegen würde können, der aber noch nicht gelöst war.

Zum anderen war da Kieran, der nun seinerseits den Kapitän wahrnahm und nun den zweiten Wutanfall bekam. „DU HÄTTEST IHN ZURÜCKBRINGEN MÜSSEN! WARUM HAST DU IHN NICHT ZURÜCKGEBRACHT!“, schrie Kieran den Franzosen an, während John seinen Freund wieder festhielt, damit dieser nicht auf Tancred losging.

Wut und Verzweiflung

Tancrèd
 

Als der König mit seiner Entourage vom Hafen zurück zum Palast zog, war es eigentlich an all den anderen Kapitänen, dem König zu folgen und mit ihm gemeinsam das Bankett der Sieger zu genießen. Tancred verzichtete dankend und berief sich auf den Willen Dominicos, der im Falle seines Todes vorsah, dass Tancred sich um dessen Familie kümmerte und um dessen Nachlass. Das sah Henry ein und so war der Franzose nicht viel später auf dem Weg zum Anwesen Sforza. Kadmin sorgte indes dafür, dass die Raashno einen anderen Liegeplatz bekam, von dem aus sie den Hafen leichter wieder verlassen konnte, ehe er neuen Proviant besorgte und auch die Munition aufstockte in dem er sie von den spanischen Prisen abzweigte. Die Männer an Deck hatten Ausgangssperre. Tancreds Plan sah vor, heute in London zu nächtigen und am nächsten Vormittag, beladen mit Dienern und letzten Habseligkeiten des Hauses Sforza wieder in See zu stechen um der Familie die kläglichen Überreste von Dominicos Existenz in England zu überbringen. Schon als Kadmin die Luke zum Laderaum öffnen ließ, stand der erste Italiener vor dem Schiff, mit vollgepacktem Karren. Da jedoch alle Schiffe be- und entluden, stellte niemand auch nur eine einzige Frage, was gut für sie war.

Als Tancred das Anwesen wenig später erreichte, waren John und Kieran noch nicht da, doch so schnell wie sich die Nachricht von Dominico Sforzas Tod in London verbreitete, würden sie sicher bald hier auftauchen. John... Tanced wurde bewusst, wie sehr er die Gedanken an den jungen Mann verdrängt hatte. Natürlich hatte er auf See des nachts an ihn gedacht, doch irgendwie traf ihn die Tatsache, ihm wieder zu begegnen und das unter diesen Umständen, doch unvorbereitet. Er war froh ihn wieder zu sehen, erinnerte sich aber gleichzeitig an den Brief den er nicht gelesen hatte und wusste nicht, ob nicht genau dieses nicht-lesen im Nachhinein einen schweren Schicksalsschlag für ihn selbst bedeutete.

Als er wenig später Amadeo die Nachricht vom Tod des Herzogs berichtete, blieb der Mann erstaunlich ruhig. Wieder fühlte Tancred das ungute Gefühl einer permanenten Bedrohung, das er in Amadeos Nähe so häufig empfand. Trotzdem schien der Italiener ernsthaft betroffen, auch wenn er sich keinen Kommentar erlaubte. Stattdessen setzte er die Räder in Bewegung, die für diesen Fall vorgesehen waren. Keine halbe Stunde nach dem Tancred angekommen war, rollten voll beladene Wagen gen London. Getarnt in Seekisten lagerten darin die Habseligkeiten der Dienerschaft, die alsbald die Rückreise antreten würden. Auch im Haus war kurz darauf zu hören, als man aus den Gemächern Dominicos die letzten Dinge abmontierte, die man mitzunehmen gedachte.

Genau in diese rege Betriebsamkeit platzten Kieran und John, die auf den Hof kamen. Nicht etwa selbst geritten, sondern in einer Kutsche. Als Tancred Kieran sah, wusste er auch wieso. Er schluckte, als er John neben Kieran stehen sah, aber außer den beiden niemand mehr aus der Kutsche stieg. Offenbar war John ohne seine Frau gekommen, aber den Ehering trug er nach wie vor am Finger. Genauso wie das Kreuz, das Tancred ihm geschenkt hatte und das aus Johns Hemd hervorblitzte. Der Franzose biss die Zähne aufeinander.

Es dauerte kaum einen Herzschlag, bis Verzweiflung, Trauer und Schmerz aus Kieran herausbrachen. Innerlich verdammte der Kapitän Dominico, dessen so heroischer Einsatz für ein Land, das nicht einmal sein eigenes war, ihn in diese grausame Situation gebracht hatte, Kieran gegenüber zu stehen und ihm diese Nachricht zu überbringen. Es war so unendlich falsch.

Er wich nicht zurück als Kieran ihn so anschrie und John ihn festhielt. Beinahe wünschte er sich, der würde loslassen, so dass er unter Kierans trommelnden Fäusten besser zu dem in der Lage war was er jetzt tun musste. "Er befehligte ein anderes Schiff. Sie wurden eingekreist, er konnte nichts tun. Er rettete seine Männer, dann jagte er das Magazin in die Luft. Er wusste, dass er nicht entkommen konnte und er wusste, dass die Spanier ihm schlimmeres antun würden, als der Tod es jemals könnte. Also entschied er sich für diesen Weg." Er zog etwas aus seiner Tasche - den Ring, den Kieran Nico geschenkt hatte. Auf der Rückfahrt hatte er oft das schlichte Metall angesehen und sich gefragt, ob er eines Tages jemanden finden würde der ihn so sehr liebte, dass er sogar das Risiko einging, Ringe zu tragen. Er bewunderte Nico für den Spagat zwischen Familie, seinem Amt und seiner Liebe. Eine Aufgabe, der er sich damals aus Feigheit entzogen hatte.

"Er war bereits tot, als wir ihn aus dem Wasser gezogen haben. Die Explosion muss innere Verletzungen verursacht haben. Am Abend vor der Schlacht gab er mir das für dich." Er hielt Kieran den Ring hin. "Für den Fall seines Todes nahm er mir das Versprechen ab, dich mit dem Ring zu seinem Grab zu bringen. Er wollte, dass du ihn ein letztes Mal "siehst" und ich habe es ihm versprochen. Er wollte, dass du ihm diesen Ring bringst und dann einen Ort findest an dem du frei sein kannst. Ich gab ihm dieses Versprechen. Morgen früh werden wir ablegen. Ich hole dich und alles oder alle die du mitnehmen willst mit einer Kutsche an der Apotheke ab. Dann segeln wir fort und ich für meinen Teil werde nicht nach England zurückkehren."

Sein stumpfer Gesichtsausdruck mochte wie Trauer aussehen, doch innerlich tobte Tancred. Kieran konnte kaum stehen und schien so gebrochen das Tancred wirklich Angst hatte, ihn überhaupt morgen auf dem Schiff zu sehen. "Es.. es tut mir leid Kieran, dass ich mein Versprechen nicht halten konnte. Ich bereue es zutiefst. Auf der Fahrt ist er mir ein guter Freund geworden."
 

John
 

Dass um sie herum rege Betriebsamkeit herrschte, merkte John erst einmal kaum. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, Kieran festzuhalten, damit dieser nicht auf Tancred losging und gleichzeitig auch nicht fiel. Denn als Tancred zu sprechen begann, entspannte sich die Wut in Kieran wohl nach und nach. Aber letztlich war es die Wut, die ihn überhaupt noch aufrecht hielt, so dass er den anderen irgendwann schwer in seinen Armen liegen spürte, zitternd, erschöpft und völlig am Ende. Aber auch Tancred schien es nicht leicht zu fallen, über das Geschehene zu sprechen. Seine Worte klangen abgehackt und zeugten von persönlichem Schmerz, als er weitersprach und erzählte, wie er Nico gefunden hatte. John konnte förmlich spüren, welche Gedanken Kieran beschäftigten: Hätte er ihn retten können, wenn er mitgefahren wäre? John merkte, wie sein Freund bei dem Wort Explosion zusammenzuckte, als durchlebte er Nicos Schicksal gerade selbst noch einmal, und vermutlich war es so...

Kieran, der den Kapitän zunächst wütend angesehen hatte, senkte mit jedem Wort resignierend den Kopf und erst als Tancred ihm etwas entgegenhielt, sah er ihn noch einmal kurz an, bevor er den Ring mit zitternden Händen nahm, ihn in seiner Hand drehte und ihm erneut stumme Tränen die Wangen herunterliefen.

Als Tancred ihnen Nicos letzten Wunsch nannte, begann das Kieran wieder zu festigen, es schien ihm wieder irgendwie Kraft zu geben. Vielleicht war es der Gedanke, Nico wirklich noch einmal zu "sehen" und sich zu verabschieden, der Kieran wieder etwas Halt gab. Er sah, wie jener nickte und sich nun zu ihm drehte und in seinen Armen versank, die sich um den so völlig erschöpften Körper legten, um ihn festzuhalten.

Dass der Kapitän Ihnen auch gerade erklärte, dass er England den Rücken kehrte, ließ John dessen Blick suchen, doch Tancred sah ihn nicht an, blickte nur auf Kieran, was John verstehen konnte. Er würde hoffentlich gleich noch mit ihm sprechen können. Er musste ihn vorwarnen... Aber Kieran war nun erstmal wichtiger.

Als sich der Kapitän entschuldigte, merkte er, wie durch Kieran ein Ruck ging, er langsam wieder Spannung annahm und sich vorsichtig von ihm löste. "Wir werden morgen früh abfahrbereit sein", sagte er mit belegter Stimme, den Ring fest mit seiner Faust umschlossen haltend. Er drehte sich zu Tancred und John hätte zu gerne gewusst, was gerade durch den Kopf des anderen ging, dass er plötzlich wieder so viel Kraft fand. "Mach dir keine Vorwürfe", sagte Kieran zu Tancred. "Es tut mir leid, dass ich dich so angeschrien habe." Dann drehte er sich zu Amadeo. "Hast du jemanden bei der Hand, den du schicken könntest, um Theresa und Caleb Bescheid zu geben?" Als Amadeo das bestätigte, drehte er sich zu ihm um. "Und du hast auch noch einiges zu tun. Lass uns heimfahren und dann lässt du mich bitte schlafen - traumlos schlafen."

Es war erstaunlich, wie klar Kieran gerade dachte, wie strukturiert, obwohl ihn das vermutlich viel Kraft kostete. John bestätigte ihm, dass das kein Problem sei, als Amadeo ihn noch ansprach und sich entschuldigte, dass er das jetzt täte, aber angesichts der knappen Zeit wäre es wichtig, über das Testament zu sprechen. Amadeo erklärte ihm, dass er selbst in die Apotheke kommen und es eröffnen würde. Für John bedeutete das, dass nun nichts mehr verhindern konnte, dass er ebenfalls London verließ und seien Plan dafür umsetzen würde.

Vorausgesetzt, dass Tancred... Als er den Franzosen ansehen wollte, um ihn zu fragen, ob er kurz Zeit für ein Gespräch hätte, hatte dieser jedoch den Raum bereits unbemerkt verlassen. John war irritiert. Hatte er ihm nichts zu sagen? Wollte er nichts wissen? Das leichte Zupfen an seinem Hemd ließ ihn seine Aufmerksamkeit wieder Kieran widmen, der leise ein "Ich möchte hier weg!" flüsterte. Er konnte Kieran verstehen, dass er an dem Ort, den er mit Nico verband und der - wie ihm gerade auffiel – durch die fehlenden Möbel so verändert und kalt wirkte, nicht länger bleiben wollte. "Wir gehen", versicherte er Kieran und richtete noch ein "Danke!" an Amadeo, bevor er Kieran zur Kutsche brachte, die gewartet hatte.

Sie saßen schweigend darin. Kieran starrte aus dem Fenster und die wenige Kraft, die er eben noch hatte aufbringen können, schien wie fortgeblasen. John ertrug es kaum, ihn so zu sehen und ihm nachher wirklich ein Schlafmittel zu geben war bestimmt das Beste, was er für ihn würde tun können.

Er selbst würde heute Nacht vermutlich ebenfalls keine Ruhe finden.

Feuersbrunst

John

Es war eigentlich Ausgangssperre, aber John hatte dafür keine Zeit. Er hatte Kieran ins Bett gebracht, gewartet, bis der Schwarzhaarige wirklich schlief und war dann zu Patricia gegangen. "Es geht morgen früh los", hatte er ihr mitgeteilt und sie hatte ihm zugesagt, dass sie alles im Haus dafür in die Wege leiten würde. Dann hatte er noch seine restlichen Sachen gepackt.

Nun hatte er noch zwei Dinge selbst zu erledigen.

Er ging hinunter in die Apotheke und schloss seinen "Giftschrank" auf, in dem die Medikamente lagen, die bei einem Einbruch möglichst niemandem in die Hände fallen sollten. Darin befand sich eine Schachtel mit mehreren Phiolen eines Schmerzmittels gegen Gicht, das sein Vater benötigte. Nur eines der vielen Fläschchen enthielt etwas Anderes. Seit er den Gedanken damals auf der Hochzeit in diesem unsäglichen Moment gehabt hatte, hatte er ihn nicht wieder losgelassen. Ihm war bewusst geworden, dass es auch für Patricia langfristig gesehen eine Zumutung sein würde, wenn sie seinen Vater pflegen müsste. So würde der alte Mann eines Abends dieses Mittel nehmen, das ihn sanft entschlafen lassen würde, so dass es aussähe, als habe das Herz versagt. John war überrascht, wie wenig er zögerte, diese Schachtel zu der im Bad zu stellen, die sein Vater aktuell benutzte.

Dann ging er zu Streuner, der heute so brav bei Patricia gewartet hatte und streichelte ihn, ihm erklärend, dass er sich morgen früh entscheiden müsste, ob er ihn begleiten würde oder ob er bei der jungen Frau bleiben wollte.

Und nun? Nun war er unterwegs zur Klinik, mit einem Handwagen, der für seine Begriffe viel zu viel Lärm machte. Er ging zur Anatomie, schloss die Eingangstüre mit dem Schlüssel auf, den er von Kieran erhalten hatte, auf und ging dann zielstrebig durch die Räumlichkeiten zu jenem Raum, in dem er noch das letzte Beweisstück finden würde, das er für seinen Plan brauchte - eine Leiche.
 

Sein Herz raste, als er die Tür hinter sich schloss und erst einmal stehen blieb, um zu verschnaufen. Gott, das war knapp gewesen. Beinahe wäre er der Stadtwache in die Arme gelaufen. Nach dem Tancred am Morgen so deutlich gemacht hatte, dass er England am folgenden Tag ein für alle Mal verlassen würde, glaubte er nicht, dass der Franzose auf ihn gewartet hätte, wenn etwas schiefgegangen und er von der Stadtwache einkassiert worden wäre. Aber er hatte Glück gehabt und nun war er hier, mit der Leiche eines Mannes, der sogar in etwa seine Statur hatte. Er hatte sie in das Bett seiner Wohnung gelegt, hatte ihm jene Kette um den Hals gelegt, die er vor kurzem noch erstanden hatte und ihm seinen Ehering angezogen. Nun hieß es noch ein wenig warten. In zwei Stunden würde er das kleine Feuer entzünden und dann lieb ihm noch eine Stunde, bevor die Scheune zu brennen beginnen würde.

John hörte in sich hinein. Etwas, wozu er seit der Nachricht, dass Dominico gefallen war, noch nicht wirklich gekommen war. Aber auch jetzt war er sich seiner Gefühle nicht sicher. Irgendwie schwankten diese zwischen Sorge um Kieran, Trauer um Dominico, Hoffnung, dass er endlich frei wäre, aber auch unfassbarer Angst, dass es wieder nicht so kommen würde, wie er es sich erhofft hatte. Denn so gut sein Plan auch war, es gab auch viele Stolperfallen. Eine der größten Unsicherheiten war Tancred. Er hatte vorher nicht mit ihm reden können, er hatte keine Ahnung, inwiefern der Backgammonstein wirklich ein gutes Zeichen war. Der Stein war sein Strohhalm gewesen, um nicht den Verstand zu verlieren, um für Kieran da sein zu können, um eine Hoffnung zu haben. Aber es war eben nur ein Strohhalm.
 

Als er vor Morgengrauen die Flamme entzündete und dann hinüber zur Apotheke ging, war er noch immer verwirrt. Aber nun gab es kein Zurück mehr. Patricia machte ihm lautlos hinten auf und nun hieß es für ihn, dass er in jene Kiste musste, in der er ausharren musste, bis er merken würde, dass das Schiff abgelegt hatte. Es war eine größere Kiste wie die, in der sie ihre Arzneien an den Hafen lieferten. Er hatte Patricia umarmt und sie geküsst und sich bedankt für alles, was sie für ihn getan hatte. "Ich wünsche dir, dass du glücklich wirst und einen Mann findest, der dich noch mehr liebt, als ich es tue", hatte er gesagt. Dann war er in die Kiste gestiegen und nun hieß es abwarten.

Müde von der ganzen Anstrengung der Nacht und des Tages, übermannte ihn sogar alsbald der Schlaf.

Wenn es zu spät ist

Tancrèd

Zu sehen wie Kieran fast zusammenbrach, konnte nicht verschleiern, wie sehr ihn das unverhoffte Zusammentreffen mit John traf. John den Tancred so schrecklich vermisst hatte, auch wenn er sich den Gedanken daran verboten hatte. Wieso nur hatte er heiraten müssen, wieso? Alles in ihm schrie danach sich mit dem Arzt auseinander zu setzen, mit John zu reden bevor all das hier den Bach hinunterging, was vorher so gut angefangen hatte. Doch er brachte es nicht über sich, wenn er an die junge Frau dachte, die so glücklich mit John getanzt hatte und die in diesem Traum aus weißer Seide so bezaubernd ausgesehen hatte. Obwohl sich alles in ihm weigerte die beiden Männer jetzt allein zu lassen, wandte er sich ab und ging hinaus. Die Luft in London war kühl geworden und Tancred zog den Hut tiefer ins Gesicht, so dass man nicht sah, wie sehr Johns hoffnungsvoller und Kierans verzweifelter Blick an ihm gezehrt hatten. Wie sollte er das drei Wochen überstehen?

Was würde überhaupt passieren, wenn John wirklich auf dieses Schiff kam? Nico und Alessandro hatten ihn dafür bezahlt, jeden den Kieran mitzunehmen gedachte, tatsächlich auf das Schiff zu lassen. Was wenn Kieran John mitbrachte? Was, wenn sogar seine Frau mit an Bord ging? Tancred wurde schlecht bei dem Gedanken und er verfluchte sich selbst dafür, überhaupt den Versuch gewagt zu haben, John für sich zu gewinnen. Es war zum Scheitern verurteilt gewesen und jetzt hatte er nichts mehr. Er hatte den Hafen verloren, den er sich selbst ausgesucht hatte, er hatte Kieran das Herz gebrochen und er hatte die Liebe verloren, die er seit Maria das erste Mal wieder gespürt hatte. Aus all diesen Gründen ging Tancred an den einzigen Ort, an dem er seit Jahren nicht mehr gewesen war: In die Kirche.

Jetzt wo es nichts mehr gab, das er tun konnte, außer Kieran heil zu Dominico zu bringen, betete er für Gottes Hilfe. Die Reise über den Atlantik zu dieser Jahreszeit würde beschwerlich werden und auch wenn Giannutri weit im Süden lag, würde es dort nicht mehr so heiß sein wie zu dem Zeitpunkt an dem er Alessandro dorthin gebracht hatte. Und dann... dann war er erneut allein und auf sich gestellt. Er würde sich etwas einfallen lassen müssen, dann irgendwann. Wenn er überwunden hatte, das John verloren war, das Kieran verloren war - und das London verloren war.
 

Kadmin traf ihn am Abend im Gasthaus. Er wirkte erschöpft und hatte dunkle Ringe unter den ohnehin schon so dunklen Augen. "Die Männer werden kaum Platz zum Schlafen haben bei all dem Kram, den sie uns gebracht haben. Und so viel Essen! Das wird nur schlecht.." Tancred zuckte mit den Schultern. "Der abgehangene Schinken den die Italiener so gern essen, der wird lange halten und wir haben ja niemanden sonst an Bord, die Leute reisen doch alle über Land mit Amadeo, nicht wahr?" Kadmin nickte und ließ sich auf das Bett fallen. "Wie hat er es aufgenommen?"

Tancred sah wieder auf das Feuer im Kamin und zog an der Zigarre die er sich angesteckt hatte. "Ich glaube, wenn er gekonnt hätte, dann hätte er mich im ersten Anlauf umgebracht. Danach war er erstaunlich gefasst und sagte, dass er morgen abfahrbereit sein würde. Wir holen ihn ab wenn wir zum Hafen hinunter reiten." "Auch John?" Kadmins Frage brachte dem Araber einen scharfen Seitenblick ein. "Wen auch immer er mitnehmen will. Ich habe darauf keinen Einfluss."

"Hast du mit ihm gesprochen?" Tancred nahm die Zigarre aus dem Mundwinkel. "Was geht dich das eigentlich an Kadmin? Seit wann mischst du dich ein? Ich dachte wir hätten darüber gesprochen." Tancred, der eigentlich wütend klingen wollte, klang einfach nur abgekämpft. "Weil ich glaube, dass er gut für dich war. Er war gut für dich, er war gut für uns. Du hattest etwas, an das du geglaubt hast, mehr noch als an unser siegreiches Schiff. Du hast an ihn geglaubt und an euch. Er ist kein schlechter Mensch, auch wenn ich auf seine Anwesenheit gut verzichten kann. Kam dir nie der Gedanke, dass diese Hochzeit zu eurem Schutz gedient hat? Ist es so abwegig zu glauben, dass er diese Frau geheiratet hat um dich zu schützen und dass sie vielleicht weiß wie es um ihn bestellt ist?" Tancreds Blick hatte sich wieder verschlossen und lag auf dem Kamin. "Selbst wenn. Er hat ihr vor Gott seine Treue geschworen und er hat es mir nicht einmal gesagt. Er hätte jemanden an den Hafen schicken können aber so... so platze ich auf seine Hochzeit." Der Franzose fuhr sich durchs Gesicht, doch Kadmin ließ nicht locker. "Du solltest mit ihm reden. Du machst einen Fehler wenn du einfach so gehst."

Tancreds Blick verriet nicht, was er von dieser Sache hielt. Er starrte nur auf die tanzenden Flammen und sagte nichts mehr und Kadmin, der sich inzwischen ausgestreckt hatte, schlief einfach ein.
 

Patricia
 

Seit sie am Hafen gewesen war und von dem ersten großen Schiff nur zwei Männer herunter gekommen waren, von dem keiner Dominico war, war Patricia nervös gewesen. Als sie tatsächlich hörte, dass Nico nicht etwa verletzt an Bord lag, sondern wirklich in der Schlacht gefallen war, war ihr einfach nur übel. Die beiden Männer hatten sie vorgeschickt, so dass sie die Neuigkeiten einholen konnte und jetzt war sie es, die in der Apotheke warten musste um Kieran die schreckliche Neuigkeit zu unterbreiten, die er beinahe herbeigeahnt hatte.

Für John sah das anders aus. Tancred war wohlbehalten wieder angekommen und würde sicher zum Anwesen reiten um den Angestellten und Amadeo von dem Verlust zu berichten. Sie selbst konnte es immer noch nicht fassen. Der Mann, der ihr ihre Traumhochzeit spendiert hatte, der immer so freundlich und zuvorkommend gewesen war und dessen Haus sie einmal erben würde als Johns Frau – er war einfach nicht mehr da. Sie konnte es nicht begreifen, auch wenn sie selbst schon früh Menschen, die ihr nahe gestanden hatten, verloren hatte. Es war schrecklich, es war unfair. Als Kieran und John hereinkamen, ihre Diplome in der Hand und Kieran bei ihrem Anblick bereits ahnte was geschehen war, da konnte sie die eigenen Tränen auch nicht mehr zurückhalten. Sie weinte mit Kieran, um den Verlust eines so unglaublich großzügigen, mutigen Mannes.

Als John Kieran schließlich überredete zum Anwesen zu reiten, versprach Patricia die Apotheke zu hüten und schaffte es auch ohne Probleme die Abwesenheit der beiden vor Johns Vater mit Feierlichkeiten an der Universität zu erklären.

Sie stand mit dem alten Forbes gerade in der Apotheke als Amadeo hereinkam. Sie hatte den Mann auf ihrer Hochzeit kennengelernt und mochte ihn. Er war klug und charmant, sehr loyal und packte mit an. Als er jetzt hereinkam, in Schwarz und mit einer Miene die verriet, dass auch ihn der Tod seines Freundes traf, schluckte sie. Was wollte er hier?

Kurze Zeit später war klar: Amadeo war hier um das Testament zu eröffnen. Er zog eine versiegelte Kopie des Testamentes hervor und überreichte es Mr. Forbes, während Patricia angespannt daneben stand. Der alte Mann brauchte erst einmal seine Augengläser, ehe er schließlich anfing zu lesen, während seine Miene immer selbstgefälliger wurde. Patricia ekelte sich beinahe davor, doch sie sagte nichts. In Forbes Seniors Blick zeigte sich vor allem eines: Zufriedenheit. Er war zufrieden, dass sich John auszahlte. Das sich dessen Arbeit auszahlte und er wirkte beinahe so, als habe er dieses Privileg verdient in diesem Haus zu wohnen und dort seinen Lebensabend zu verbringen. Beinahe wünschte sich Patricia, Amadeo würde ihn einfach abstechen, doch den Gefallen tat er ihr nicht. Mr. Forbes Senior reichte ihr das Testament weiter und sie las es aufmerksam, stieß auf einige interessante Passagen. So wurde das Anwesen nicht Mr. Forbes Senior, sondern der Apotheke und ganz gezielt Mr. John Forbes und seiner Familie überschrieben - also ihr. Irgendwann würde der alte Mann schon abtreten. Sie zumindest würde ihn keine Befehlsgewalt über das Anwesen haben lassen.

Neben dem Labor und dem Kräutergarten, hatte Dominico Geld hinterlegt das reichen würde das Haus zu erhalten, auszubauen und ebenso weitere Angestellte einzustellen. Nicos Plan sah vor, in den weiten Flügeln eine Art Krankenhaus zu errichten, das sich um die Leute kümmerte, die sich normale Versorgung nicht leisten konnten - und damit genau den Kern dessen traf, was sich Patricia wünschte. Sie wollte Menschen helfen und sie würde es tun können, mit diesem Testament.

Als John am Abend wieder kam, war sie eigentlich ziemlich glücklich und konnte sich dafür selbst nicht leiden. Eigentlich sollte sie sich über den Tod nicht freuen, doch er brachte ihr das Leben, das sie sich immer gewünscht hatte. Forbes Senior war bereits im Bett und Kieran schlief - Patricia hatte John fest umarmt und war dann ebenfalls zu Bett gegangen. Morgen - ja morgen würde sie das Sahnehäubchen auf Johns Plan sein.
 

Tancrèd
 

Der nächste Morgen kam unbequem und kalt. Es regnete nicht, doch die Luft war feucht und der Wind pfiff schneidend frisch durch die Gassen. Tancred war früh aufgestanden, er hatte die Nacht ohnehin nicht wirklich gut schlafen können. Kadmins Worte hatten in seinen Gedanken nachgehallt und er hatte versucht etwas Wahres darin zu finden. Vielleicht hatte der Araber recht. Vielleicht sollte er doch ein letztes Mal mit John reden. Nur um zu hören, dass John lieber die Sicherheit gewählt hatte, die sein Vater ihm "gab" und die diese Ehe ihm gab. Er hatte gehört, dass Sodomie immer härter bestraft worden war und er konnte sich denken, dass es übel zuging mit Leuten, gegen die der Verdacht erhoben wurde. Aber reichte das aus?

Er hatte sich solche Mühe gegeben, so lange an ihm gehangen und doch… und doch…

Kadmin führte zwei Pferde am Zügel herbei, während Tancred noch immer wartend vor dem Gasthaus gestanden und Löcher in die Luft gestarrt hatte. Sie saßen beide auf und Tancred griff die Zügel fester. "Auf zur Apotheke", erklärte er leise, "und dann nichts wie weg."

Der Weg war nicht sehr weit, aber weit genug, um zumindest ein weiteres Stadtviertel durchqueren zu müssen. Als sie die Gegend der Apotheke erreichten, war der dichter Rauch zu sehen und die Gasse wurde enger, weil Menschen eine Eimerkette gebildet hatten, um ein offenbar brennendes Gebäude zu löschen. Tancred in seinem Tran dachte nicht wirklich daran, dass dieses brennende Gebäude etwas mit der Apotheke zu tun haben könnte und bog einfach in die Straße ein, durchbrach die Eimerkette und ritt dann über das Kopfsteinpflaster. Der Qualm stieg hoch über die Häuserdächer und Tancred rümpfte etwas die Nase, ehe Schreie seine halbherzige Aufmerksamkeit auf sich zogen - und dann war er auf einen Schlag hellwach.

Dort stand, keine 100m von ihm entfernt, Mr. Forbes Senior am Straßenrand. Vor ihm auf der dreckigen, nassen Straße hockte eine Frau, gebeugt über eine beinahe bis zur Unkenntlichkeit verbrannte Leiche. Es roch nach verbranntem Fleisch, je näher Tancred zu dieser Szene getragen wurde und die Schreie kamen von eben dieser Frau. Sie weinte, sie flehte und klammerte sich an den verbrannten Körper, während Forbes Senior versuchte sie davon weg zu ziehen. "JOHN! NEIN JOHN! GOTT DU DARFST IHN MIR NICHT WEGNEHMEN!!", jammerte sie aus Leibeskräften, ihre Stimme überschlug sich. Rauchschwaden zogen aus dem offenen Hoftor neben ihr und nahmen Tancred kurzzeitig den direkten Blick auf die Szene. Ihm wurde schlecht. In seinen Ohren dröhnte es, sein Blut rauschte laut durch seine Adern.

Er sah sie vor sich. Hoch aufgerichtet, die Hände an dem Pfahl festgebunden an dem sie Stand. Sie war nur in ein weißes langes einfaches Hemd gehüllt, das sich über ihre Brüste und über ihre schönen Hüften legte. Ihr Haar hatte sie selbst abgeschnitten, doch man hatte sie trotzdem erkannt. Ihr Gesicht war blass gewesen, so dass man die Spuren von Schlägen deutlich auf ihrer hellen Haut hatte sehen können. Dann hatte dieser Spanier die Fackel an den Scheiterhaufen gehalten. Tancred war sich sicher, dass es nur der Qualm gewesen war, der ihr Tränen in die Augen getrieben hatte. Maria hätte niemals von sich aus geweint. Und sie hatte erst angefangen zu schreien, als die Flammen bereits weit über ihre Beine züngelten. Er hatte sich abwenden wollen, doch man hatte ihn nicht gelassen. Er hatte seine Augen nicht schließen können und vor seinem inneren Auge wand sie sich in den Fesseln in den Flammen bis sie zusammensackte.

Und er sah John der sich wand, der fliehen wollte und nicht konnte und den er nicht hatte retten können. Johns Gesicht verschmolz mit Marias und beides verschwand in lodernden Flammen.

Tancred riss das Pferd herum. Sein Blick zeigte eine Mischung aus blankem Hass, Wut und einem Schmerz, der so tief ging, dass er das Gefühl hatte, nicht mehr Atmen zu können. "Apportez-les au port", hatte er zu Kadmin gesagt, und dem Pferd die Sporen gegeben. Erneut pflügte er durch die Eimerreihe, Wasser ergoss sich auf das Kopfsteinpflaster.

So schnell es die Stadt erlaubte ritt er zum Hafen, hinüber zum Schiff und drückte das Pferd einem Lakaien in die Hand, rauschte über die Gangway und stürmte in seine Kabine. Die Tür schlug so laut hinter ihm zu, dass es über den Fluss hinweg hallte und drinnen, den Kopf in ein Kissen gepresst, schrie er Wut und Schmerz gleichermaßen hinaus. Keiner seiner Männer, die das Schiff zum Auslaufen vorbereitet hatten, wagten es, an seiner Tür zu klopfen.

Verdammter verdammter Idiot der du bist! Wieso hast du nicht mit ihm gesprochen? WIESO?

Denn ihm war klar, dass John dieses Schicksal vielleicht sogar selbst gewählt hatte, jetzt wo Kieran ging und er ging. Auf seinem Nachttisch lag ein Brief, der Brief. Tancred hatte ihn dort hingelegt und doch nie gelesen.

Obwohl er wusste, dass er es bereuen würde, öffnete er den Umschlag und entfaltete das Pergament.

Ein Zeichen hatte John von ihm gewollt, nur ein kleines Zeichen.

Tancred war aufgestanden und im Zimmer auf und ab gegangen. Ein verdammtes Zeichen hatte er gewollt und Tancred hatte ihm keines gegeben. Stattdessen hatte er heute ein Zeichen bekommen. Eines, das deutlicher nicht hatte sein können, eines, das für ihn bestimmt gewesen war. Wütend schlug er gegen den massiven Schreibtisch, gegen die Wand. Er fegte die Karten vom Tisch, trat seine Stiefel über den Boden und warf das Backgammonspiel durch den Raum, das John ihm geschenkt hatte. Er hatte ihn verloren und er wütete, so lange bis ihm die Kraft ausging und er verzweifelt auf dem Bett zusammensank.
 

Jetzt war er es, der nur noch funktionierte. Kadmin kam offenbar zwei Stunden später mit Kieran und dessen Begleitung im Schlepptau auf das Schiff. Miguel, einer seiner Decksmänner, war vorgeschickt worden und klopfte sachte an die Tür, um dem Kapitän mitzuteilen, dass sie bereit waren, auszulaufen. Tancred richtete sich auf, hinterließ das Chaos in seiner Kajüte wie es war und stand auf. Ein Blick in den Spiegel zeigte ihm, dass er schrecklich aussah, doch das war jetzt wohl kaum von Belang. Er wusch sich das Gesicht mit Wasser, rückte die Augenklappe zurecht, setzte seinen Hut auf und trat schließlich mit eingefrorener Miene an Deck, mit der er versuchte zu verschleiern wie es wirklich in ihm aussah.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Tut mir leid, dass es so stückchenweise kommt, aber wir mussten an der Stelle einiges umschreiben, damit es in den Fortgang der Geschichte passt....
Das nächste Kapitel sollte zügiger kommen =)
Viel Spaß weiterhin beim Lesen!
Amber Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, ich hoffe, euch gefallen die neuen Kapitel. Langsam kommt die Story in Schwung.
Würde mich sehr über einen Kommentar/ein Feedback freuen!

Liebe Grüße
Amber Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Endlich das Kapitel fertig =)

Hoffe, euch gefällt es nach wie vor ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ich hoffe, es geht jetzt wieder ein wenig zügiger weiter... =) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Cambridge ist durch und so bald werden sie nicht zurückkehren.
Ich hoffe, es hat euch bisher gefallen.

Aber London wird spannend... lasst euch überraschen :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Tut mir leid, dass ich es nochmal zurücknehmen musste.. Aber mir war aufgefallen, dass ich noch etwas umstellen musste, damit es richtig weitergehen kann...

Die nächsten Kapitel werden vermutlich noch einige Zeit dauern. Dafür wird es umso schöner =)
Und John bekommt auch endlich mehr Platz, so dass ihr ihn kennenlernen könnt =) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ihr Lieben!
Endlich geht es weiter!!
Entschuldigt, die lange Zeit des Wartens...
Bald kommt auch schon das nächste Kapitel! :) Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heute zwei Kapitel, weil es so spannend ist >.< Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Heute gibt es ein paar mehr Kapitel :)
Macht gerade so Spaß, sie vorzubereiten.
Jetzt fängt eine wirklich schöne Geschichte an :3
Hoffe, es macht euch auch Spaß zu lesen ^^ Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, was im Wasser passiert kommt spätestens übermorgen... ^^
Ein wenig Spannung muss sein ;P

Achtung!!!
Habe ein Kapitel noch dazwischen geschoben... "Morgentliches Erwachen"
Irgendwie war das untergegangen... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Gar keine Kommentare zum aktuellen Geschehen?
Schade :(
Hoffe dennoch, dass es euch gefällt... Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
So, endlich ein Neues Kapitel <3

Wie fandet ihr Kierans und Nicos "Vermählung" auf dem Dach?

Und was sagt ihr zu John und Tancrèd?

Würde mich über Feedback freuen <3 Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Jetzt geht es endlich weiter. Das Turnier steht bevor :)
Es wird spannend und schön und für manche dramatisch in seinem Folgen...

Bis zum Wochenende werde ich noch ein Kapitel hochladen können...
LG (aus dem Urlaub)
Amber Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Hab gestern aus Versehen ein falsches Kapitel hochgeladen ^^•
Tut mir leid... >.< Komplett anzeigen
Nachwort zu diesem Kapitel:
Ein wenig Werbung in eigener Sache:
Es gibt eine neue FF von mir, Amber :)
Würde mich freuen, wenn ihr mal reinlest ^^
Danke! Amber

Link: https://www.animexx.de/fanfiction/385728/ Komplett anzeigen
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Würde mich freuen, wenn ihr mal reinlest ^^
Danke! Amber

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Kommentare zu dieser Fanfic (97)
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Von:  Laila82
2019-07-06T17:15:41+00:00 06.07.2019 19:15
Jetzt lese ich das Kapitel schon zum x-ten Mal und frage mich immer noch ob Nico es geschafft hat. Ich hoffe es soo sehr.
Von:  Laila82
2019-06-20T15:32:29+00:00 20.06.2019 17:32
Auf der einen Seite will ich einen Freudentanz aufführen, weil die Geschichte weiter geht und andereseits möchte ich heulen weil da zwei Menschen vor lauter Prinzipien und Sturheit ihre Liebe aufs Spiel setzen. Ich muss wissen wie es weitergeht...
Von:  Laila82
2018-04-30T20:36:47+00:00 30.04.2018 22:36
Böser Schnitt. Mädels ihr lasst mich heulend zurück, ihr seit so gemein. Schluchz heul flenn.
Von:  Laila82
2018-04-05T22:27:28+00:00 06.04.2018 00:27
Nein nein nein. Bitte Tancred verstehe die ganze Situation nicht falsch. Du weißt das John dich liebt.
Von:  Laila82
2018-03-11T08:56:39+00:00 11.03.2018 09:56
Ich hätte ja mit vielen gerechnet, aber nicht mit dem Kapitelende. Jetzt bin ich gespannt wie es weitergeht. Zuerst tat mir Kadmin fast leid, so vollendens aufgeflogen zu sein und jetzt ist er ja fast zu beneiden. Zwei heiße Kerle wollen ihn in ihrer Mitte. Das Tancred John treu ist, finde ich sehr löblich.
Von:  Laila82
2018-02-11T16:31:54+00:00 11.02.2018 17:31
Die Zwei.... Kadmin tut einem fast leid, aber nur fast.
Von:  Laila82
2018-02-10T09:50:06+00:00 10.02.2018 10:50
Jetzt muss das Schiff nur noch gut Italien erreichen. Rod lebt und ist mit Alessio vereint. Kann das Glück garnicht in Worte fassen...
Antwort von:  -Amber-
10.02.2018 12:33
:)
Das freut nicht nur dich ;) *smile*
Von:  Laila82
2018-02-09T21:19:19+00:00 09.02.2018 22:19
So was gemeines an der Stelle aufzuhören. Rod, wenn die Schreiberlinge dich tatsächlich ertränken, also nein, das kann und will ich mir nicht vorstellen, NEIn NEIN NEin. Unterwegs hat ja das Kutschpersonal gewechselt, wenn ich also glück habe, hält die kutsche vor tancreds Schiff. Hoffnung schöpf und gutes denk. Hmmm.

Von:  Laila82
2018-01-28T16:41:59+00:00 28.01.2018 17:41
Und immer noch kein Wort über Rod. Mädels ihr strapaziert meine Geduld aber ganz schön arg. ..
Von:  Laila82
2017-12-14T22:05:24+00:00 14.12.2017 23:05
Ich hoffe es geht Rod den Umständen entsprechend gut. Bitte rettet ihn. *heul*


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