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Ein zweites Leben

von

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Verzwickte Lage

Andre stand am Fenster seines Quartiers und blickte gedankenverloren hinaus. Die Männer spielten Karten. Nur einer der Söldner glänzte mit Abwesenheit. Jedoch nahm keiner davon Notiz. Er sollte nur rechtzeitig zurückkehren, bevor der Befehlshaber sein Fehlen entdecken würde. Aber dieser war auch noch nicht da. Und deshalb saßen alle Söldner heute den ganzen Tag tatenlos herum.
 

Wo verblieb nur Oscar? Andre seufzte tief. Es waren schon Stunden vergangen seit seine Großmutter weg war. Er hatte das Gebäck unter seinen Kameraden verteilt und musste deren Fragen abwehren, woher er denn die süße Diane kannte. Er hatte darauf gemeint, er sei ihr in der Stadt mal rein zufällig begegnet. Darauf hin ließen die Männer wieder von ihm ab. Andre war alles recht, solange sie ihn nicht über den Jungen auslöcherten.
 

„Du hast schon wieder gewonnen!“, johlte einer der Männer aus dem versammelten Grüppchen um einen kleinen Tisch. Der Stimme nach zu urteilen, war das Jean. Aber andererseits, wollte Andre es ja auch gar nicht so genau wissen.
 

„Tja, ich bin halt unschlagbar!“, lachte Alain derb und stand von seinem Platz auf. „Jetzt spielt mal ohne mich weiter!“ Er schob sich zwischen seinen Kameraden hindurch und stolzierte zu Andre. „Und, irgendwelche Neuigkeiten aus dem Fenster?“, neckte er ihn.
 

„Die Sonne geht runter.“ Andre verzog eine schiefe Grimasse. Alain nahm das Leben einfach zu leicht auf die Schulter, egal wie grau und düster es einem manchmal vorkam.
 

„Das ist schon mal was, Kumpel!“, hörte er ihn dicht bei sich sagen: „Heute geht die Sonne unter, morgen geht sie wieder auf und das Rad der Geschichte hört sich nicht auf zu drehen!“
 

„Du hast gut reden...“ Andre entriss seinen Blick von dem Fenster und drehte sich halbwegs zu seinem Freund um. „Du hast keine Frau und kein Kind, die du von ganzem Herzen liebst und für die du dein Leben opfern würdest.“ Den letzten Satz hatte er leise ausgesprochen, aber durch das lautes Lachen und die johlenden Stimmen der Männer im Quartier, hätte ihn so oder so keiner verstanden.
 

„Ich habe aber eine Schwester und eine Mutter, die mir nicht gleichgültig sind!“ Alain verstand ihn dennoch sehr wohl und versuchte ihn mit allen Mitteln aufzumuntern. „Ich will damit sagen, du bist nicht der Einzige, der Sorgen hat.“
 

„Das weiß ich gut zu schätzen, Alain.“
 

„Hör zu, Andre: Wie wäre es mit einem Gläschen Bier?“ Alain zwinkerte ihm verschwörerisch zu. Er wollte nicht, dass sein Kumpel den ganzen Tag Trübsal blies. „Wir haben heute wieder die Nachtwache und ich kenne da eine Gaststube in der Nähe. Was hältst du davon?“
 

„Klingt verlockend...“ Andre schmunzelte und in dem Moment flog die Tür auf.
 

Einer von der Torwache stürmte unaufgefordert und völlig aus der Puste herein. „Alain! Deine Schwester ist wieder hier!“
 

Diesmal war das nicht Lassalle, der die Nachricht brachte. „Was?! Die kleine, süße Diane?!“ Die Männer vergaßen das Kartenspiel und ein begehrliches Leuchten trat in ihre Augen.
 

„Das ist nichts Erheiterndes, ihr Idioten!“, erläuterte der Wachmann zu ihnen grimmig und schaute wieder zu Alain, der mit Andre schon vor ihm stand. Aufgebracht berichtete er ihm, was er gesehen hatte: „Das arme Mädchen! Sie ist völlig aufgelöst! Unser Oberst hat sie mitgebracht und verhört sie in ihrem Offiziersbüro!“
 

„Oscar?“ Andre spitzte hellhörig seine Ohren und gleichzeitig wurde ihm flau im Magen. Etwas schien passiert zu sein, das spürte er. Aber was genau?
 

„Was will denn bitteschön unser Oberst von Diane?!“, rief einer der Männer empört.
 

„Wenn sie ihr etwas antut, dann bekommt sie es mit uns zu tun!“, grollte ein anderer und ein Dritter fügte aufgeschlossen hinzu: „Lass dir nichts gefallen, Alain! Wir sind alle auf deiner Seite!“
 

„Ruhe!“, schnauzte Alain sie alle an und sofort breitete sich eine unfassbare Stille im Raum aus.
 

Andre nutzte diese Stille und fragte den Wachmann mit versuchter Gelassenheit: „War der kleine Junge von vorhin auch dabei?“
 

„Der Junge war nicht dabei. Aber Diane hatte sein Holzschwert mitgehabt...“, erinnerte sich der Angesprochene und wunderte sich insgeheim, warum Andre das wissen wollte.
 

Andre packte eine schlimme Vorahnung, die er nicht beschreiben konnte. So, als würde sich gleich ein gewaltiger Sturm aufziehen. Er sah Alain mit einer Schreckensmiene an. Sein Freund verstand ihn und legte ihm tröstend eine Hand auf die Schulter. „Das muss nicht gleich etwas Schlimmes bedeuten, Kumpel...“ Kaum dass er das ausgesprochen hatte, flog erneut die Tür auf und der Befehlshaber höchstpersönlich trat über die Schwelle.
 

„Oscar...“ Andre erbleichte.
 

Seine Frau nahm ihn kaum wahr. Sie sah nicht wie sie selbst aus, obwohl sie eine aufrechte Erscheinung bot. Er kannte sie schon gut genug, um aus ihrem Mienenspiel die wahre Empfindungen abzulesen. Er hatte die verborgene Wut und die Verzweiflung in ihrem Blicken sofort bemerkt. Und als wäre das noch nicht genug, trug sie in ihrer linken Hand das kleine Holzschwert.
 

„Alle Mann auf den Exerzierplatz!“, befahl Oscar wutentbrannt und beinahe aus voller Kehle: „Und nehmt eure Waffen! Wir reiten auf eine Suchtour!“ Ihr eisiger Blick schweifte über alle Männer und ließ bei manchen von ihnen das Blut in den Adern gefrieren. Nur Andre und Alain vermied sie aus unerklärlichen Gründen anzusehen.
 

„Wieso sollten wir das tun?!“, warf einer der Männer grimmig ein. „Sagt uns lieber, was Ihr mit Diane gemacht habt?!“
 

„Das werdet ihr erfahren, wenn ihr alle auf dem Exerzierplatz angetreten seid!“ Oscar bemühte sich um Beherrschung. Innerlich war sie jedoch am platzen! Ihr Blick irrte unbestimmt über alle Gesichter. „Wo ist eigentlich euer Kamerad mit der Narbe im Gesicht?!“
 

„Ihr denkt doch wohl nicht im Ernst, dass wir unseren Kameraden verraten?!“, grollte empört wieder einer von ihnen.
 

Das war Zündstoff für Oscar! Ihr platzte der Kragen! Wie eine Furie steuerte sie auf den Sprecher zu und kaum dass sich dieser versah, spürte er auch schon die Spitze des kleinen Spielzeugschwertes an seiner Kehle. „Wenn du deine Kameraden verteidigst und deckst, ist das deine Sache!“, knurrte Oscar betonend und sachlich: „Aber weißt du, was er getan hat? Er hat Diane auf dem Heimweg aufgelauert, sie mit einer Pistole bedroht und sie mit einem Hieb bewusstlos geschlagen!“
 

„Was hat er?!“, hörte Oscar Alain hinter sich aufbrausen wie ein Donnergrollen. In ihm breitete sich ein unermesslicher Zorn aus und er krempelte bereits die Ärmel seiner Uniform hoch. „Wo ist Diane jetzt, Oberst?! Was ist mit ihr?! Ich reiße diesem Mistkerl die Eingeweide raus!“
 

„Dann sind wir schon zwei...“, murmelte Oscar missmutig und entfernte das Holzschwert von der Kehle des Söldners.
 

„Was für ein Verräter...“, meinte Jean baff, der sich neben dem Söldner aufhielt, den Oscar mit dem Holzschwert bedroht hatte.
 

Lassalle, der ihm gegenüber am Tisch saß, nickte und gleich darauf entstand ein zischendes Raunen und fassungsloses Gemurmel im Raum. Diesmal gegen den fehlenden Kameraden mit der Narbe im Gesicht.
 

Oscar kribbelte der Nacken und sie drehte sich herum. Andre stand direkt vor ihr und in seinem Blick las sie Verwirrung und Angst. „Oder auch mehr...“, sagte sie gedämpft, beinahe kläglich gescheitert: „Er hat auch den Jungen bei sich...“
 

Andre hatte das schon befürchtet und trotzdem traf es ihn hart. Er schluckte bittere Galle und wollte etwas sagen, aber da bellte schon Alains tiefe Stimme im Hintergrund: „Was steht ihr noch hier rum, Männer?! Habt ihr nicht ihren Befehl gehört?! Zu den Waffen und auf den Exerzierplatz! Auf der Stelle!“
 

Erst zögerlich, doch dann schneller, hasteten alle Soldaten mitsamt ihrer Gewehre aus dem Quartier. „Ich frage mich, warum sie sich wegen dem Jungen so aufregt...“, wunderte sich Lassalle auf dem Weg durch den langen Gang der Baracke: „Und hast du bemerkt, wie Andre sie angesehen hat?“, fragte er Jean noch zusätzlich.
 

„Hmm“, bestätigte dieser im schnellen Schritt nach draußen und dann beschlich ihn eine gewaltige Vermutung: „...wenn es stimmt und der Junge tatsächlich Andres Sohn ist, dann fehlt nur noch seine Mutter...“
 

„Was willst du uns damit sagen?“, hakte der Wachmann von der anderen Seite nach. Er hatte das Gespräch seiner Kameraden mitbekommen und spitzte aufmerksam seine Ohren.
 

Jean warf ihm einen flüchtigen Blick von der Seite zu. „Das könnte ja bedeuten, dass die Mutter des Jungen unser Oberst ist...“
 

„Das würde erklären, warum Andre mich nach dem Jungen fragte und unser Oberst wie eine Löwin hinein gestürmt kam...“, leuchtete es dem Wachmann ein.
 

„...und wie eine Löwin würde sie jeden zerfleischen, der ihren Jungen bedroht...“, bekundete Lassalle mit einem gewissen Verdacht: „...ich will nicht wissen, was sie mit dem Kerl anstellt, wenn wir ihn finden...“
 

„Ja, in seiner Haut will ich auch nicht stecken...“, fügte Jean kopfschüttelnd hinzu und alle drei beeilten sich, ihren Kameraden nachzukommen.
 


 


 

„Wo ist meine Schwester, Oberst?“, fragte Alain etwas ruhiger, aber auch mit einer gewissen Sorge und hilflosen Wut, als alle Söldner aus dem Quartier gegangen waren. Er legte Oscar sogleich seine Hand auf die Schulter. „Ich schwöre Euch, wir werden den Kleinen unversehrt zurückholen!“
 

„Danke, Alain.“ Oscar schaute geplagt zu ihm. „Diane wartet auf dem Exerzierplatz. Es geht ihr soweit gut. Sie hat keinen Schaden genommen.“ Dann machte sie auf ihrem Absatz kehrt und stürmte hinaus.
 

Andre und Alain schnappten wortlos ihre Gewehre und folgten ihr unverzüglich. Im Gang rannte ihnen die zweite Torwache entgegen. „Andre!“, rief er aufgebracht beim Laufen: „Du musst mitkommen! Er verlangt nach dir!“
 

„Wer?“, empörten sich Andre und Oscar im Chor. Es gab keine Zeit für irgendwelchen Wortwechsel, trotzdem blieben sie allesamt stehen.
 

Stockend und schnell atmend brachte der Wachmann seinen Wortschwall ausführlicher heraus: „Er sagte, du arbeitest für die Adligen, Andre... Egal was unser Oberst uns versichert hat... Und er hat sich den Jungen geschnappt, weil er dir sehr ähnlich sieht...“
 

„Wo ist er?!“, knurrten Oscar und Andre mit geballten Fäusten.
 

„Auf dem Exerzierplatz, am Haupttor...“ Der Wachmann sprach das nicht einmal zu Ende aus, da stürmten alle beide an ihm vorbei. Alain war schon vor ihnen weg. So kam es, dass sie sich beinahe zum gleichen Zeitpunkt mit der ganzen Söldnertruppe auf besagtem Platz einfanden.
 


 

- - -
 


 

Die rotglühende Sonne verschwand beinahe hinter dem Horizont. Nicht weit vom Haupttor der Kaserne stand der Bärenmann mit der grässlichen Narbe im Gesicht. Mit der Achsel seines linken Armes umklammerte er den kleinen Jungen. Mit der rechten Hand hielt er eine Pistole auf dessen blondgelockten Kopf gerichtet. Der Junge gab keine Regung und kein Ton von sich. Er war wie erstarrt, aber er lebte.
 

Alain stand etwa dreißig Schritte von ihm entfernt. Hinter ihm stand seine Schwester - Angst und Schrecken wichen nicht von ihr ab. Dennoch lief sie nicht davon, sondern harrte mucksmäuschenstill aus. Ihr Bruder zielte mit seinem Gewehr auf den narbigen Mann und gab ihm Anordnungen, als wäre er der Befehlshaber: „Lass sofort den Jungen gehen, du verräterischer Hund!“
 

„Was soll das, Alain?! Wir sind doch Kameraden!“, rief der Narbige ungerührt und hämisch: „Der Verräter ist unser Neuer! Er ist ein verdammter Spion und arbeitet für die Adligen! Der Bengel ist ihm wie aus dem Gesicht geschnitten und wenn es stimmt, was ich denke, dann kann ich die Wahrheit aus ihm herauspressen!“
 

„Ich bin kein Spion!“ Andre stellte sich neben Alain und legte auch sein Gewehr schussbereit an. Ihm war unwohl und elend zumute. Auf den Weg hierher hatte er etwas mit Oscar abgesprochen. Er zählte auf sie und hoffte inständig, dass ihr Plan mit gutem Ausgang gelingen würde. „Lass den Jungen auf der Stelle frei und regele das mit mir!“
 

Bei seiner Stimme horchte der Junge auf und seine Augen suchten ihn auf der Stelle in der ganzen Menge blauer Uniformen. Er entdeckte seinen Vater sofort, wie auch Alain und Diane. Wie beängstigend und schrecklich die Situation für ihn auch sein mochte: Er musste beim Anblick des ganzen Szenariums vor ihm ungewollt lächeln. Diane war nichts geschehen. Sie war wieder da, bei ihrem Bruder und seinem Vater. Er wollte am liebsten auch bei ihnen sein, aber der Mann hielt ihn zu stark fest und hatte noch dazu gedroht, er würde ihm sehr weh tun und ihn anschließend umbringen, wenn er nicht still sein würde. Das würde auch seine Eltern sehr traurig machen und das wollte der kleine Oscar nicht. Der Mann hatte ihm bereits Ohrfeigen verpasst, die er tapfer ertrug und sich zwang, nicht zu weinen. Er war ein Junge und der ganze Stolz seiner Eltern - und Jungs weinen nicht...
 

„Das kannst du vergessen, Freundchen!“, hörte er den Narbigen höhnisch lachen und dessen grässliche Stimme riss ihn wieder in die Wirklichkeit zurück: „Wenn dir das Leben dieses Knaben etwas wert ist, dann wirst du uns erzählen, was und welche Berichte du der Adligen über uns gegeben hast!“
 

„Hör mit dem Unsinn auf!“, bat jemand aus dem Knäuel der Söldner hinter Alain und Andre: „Der Kleine kann doch nichts dafür! Warum hältst du ihn fest?!“
 

„Weil er ein gutes Druckmittel ist!“, erklärte der Narbige hämisch.
 


 

Währenddessen, und so lange er abgelenkt war, schlich Oscar aus einer Baracke heraus. Sie näherte sich dem Bärenmann unbemerkt von der Seite. In einem günstigsten Moment hielt sie ihm den Lauf ihrer Pistole an die Schläfe. „Lass die Waffe sofort fallen, sonst werde ich dich erschießen!“
 

„Ihr seid also schon hier, Oberst?!“ Der Narbige blieb unbeeindruckt. Er zuckte nicht einmal mit der Wimper. „Damit Ihr es wisst: Mein Leben ist mir egal! Aber wenn Ihr abdrückt, drücke ich auch ab...“ Provisorisch verstärkte er den Griff um den Jungen, dass dieser überrascht nach Luft schnappen musste und quietschte.
 

„Hör auf!“, befahl Oscar dem Bärenmann erstickt, als hätte man ihr auch den Atem genommen. Ihr Herz zerriss und ihre Hand erzitterte.
 

Das verspürte auch der Narbige und er grinste noch hämischer. „Ich bin überrascht, Oberst. Ich dachte euch Aristokraten ist das Leben der einfachen Kinder gleichgültig. Da habe ich mich wohl geirrt. Oder wollt Ihr mich nur täuschen? Ich werde nicht aufhören, bis Ihr Eure Pistole fallen lasst!“
 

Der Junge wimmerte schon japsend in seinem Griff und begann zu zappeln. Das hielt Oscar nicht aus. „Nun gut.“ Sie entfernte widerwillig die Pistole und trat ein Stück zur Seite.
 

„So ist es brav, Oberst!“ Der Narbige lockerte etwas seinen Griff, ließ aber sein Opfer nicht los. Der Junge atmete befreiter und hörte mit dem Zappeln auf. Sein Entführer forderte schon das Nächste von seinem Retter: „Jetzt kommt heraus, damit ich Euch sehe!“
 

Oscar setzte langsam ihre Füße in Bewegung. Mit dieser Aufforderung hatte sie nicht gerechnet. Es lief nun nicht mehr nach ihrem Plan ab. So hatte sie es mit Andre nicht abgesprochen. Aber was hätte sie denn tun sollen? Das Leben ihres Sohnes stand auf dem Spiel und sie war gezwungen, mitzuspielen. Sie stellte sich auf Armeslänge vor den Narbigen und verhinderte damit auch, dass Alain und Andre ihre Gewehre auf ihn abfeuern konnten.
 

„Und jetzt werft Eure Pistole weg!“, befahl der Narbige und Oscar tat es, mit dem Blick auf ihren Sohn. Sie musterte ihn kurz, aber ausgiebig. Außer den leicht angeschwollenen und roten Wangen trug er soweit keine Verletzungen.
 

Der Junge schaute zu ihr und ein freudiger Glanz tauchte in seinen grünen Kinderaugen auf. Er hatte die Stimme seiner Mutter schon gehört, aber konnte es nicht glauben. Nun sah er sie wirklich: Seine Mutter war da, in ihrer blauen Uniform, und wollte ihn retten! Bei ihrer stolzen Erscheinung fühlte er sich gleich viel besser und ermutigt. Er vergaß die bedrohliche Lage um ihn herum und auch die Spielregeln seiner Eltern. „Mama!“, sagte er halblaut und verblüffte damit seinen Entführer für kurzen Augenblick. Der Narbige erstarrte und sein Opfer rutschte ihm aus dem Griff, weg von dem Lauf seiner Pistole.
 

Oscar war nicht umsonst wie ein Soldat erzogen worden. Sie verdrängte ihre mütterlichen Empfindungen auf der Stelle. Instinktiv und blitzschnell nutzte sie dessen Verblüffung aus und handelte. Auch ihr Sohn blieb nicht tatenlos. Wenn seine Mutter schon so unerschrocken und mutig war, dann war er das auch! Er zappelte heftig - eher aus dem Impuls angetrieben, bei ihr sein zu wollen, als aus der Erfahrung heraus. Dadurch rutschte er noch mehr aus dem Griff des Bärenmannes und wurde frei.
 

Der Narbige erwachte aus seiner Starre und wollte erneut nach ihm greifen, aber da war schon Oscar bei ihm. Sie fasste an den Lauf seiner Pistole und richtete sie in eine andere Richtung, weg von ihrem Sohn. Zeitgleich zerrte sie die Waffe aus der Hand des Bärenmannes. Dieser musste den Jungen ganz aus seinem Griff entkommen lassen, um genau das zu verhindern. Mit beiden Pranken umklammerte er die Schusswaffe und versuchte zugleich den Oberst von sich zu stoßen. So leicht aber gab Oscar nicht auf und es entbrannte ein erbitterter Kampf zwischen ihnen.
 

Nur wenige Schritte von ihnen rappelte sich der kleine Junge auf die Beine und beobachtete wie versteinert den Zweikampf.
 

„Oscar, komm zu mir!“, rief Andre ihm lauthals zu, aber dieser rührte sich nicht vom Fleck. Er bangte um seine Mutter, er wollte sie nicht alleine lassen.
 

Der Bärenmann schaffte es gerade, Oscar einen Fausthieb in die Magengrube zu verpassen. Sie schnappte heftig nach Luft, verlor für einen Moment die Kraft und er stieß sie grob von sich. Oscar taumelte zurück, atmete stockend und hielt sich ihren Arm um die Mitte.
 

„Mama!“, schrie der Junge entsetzt und rannte zu ihr.
 

„Hexe!“, brummte der Narbige in ihre Richtung und zielte mit seiner Pistole auf ihren Sohn.
 

Der Kleine erreichte schon seine Mutter.
 

„Nein!!!“ Oscar warf sich auf ihren Sohn und da zerrissen schon drei Schüsse die Luft: Eine von Pistole und zwei von Gewehren. Und alle drei Kugeln trafen ihr Ziel. Scharf und gnadenlos zerrissen sie Stoffe von Kleidung, durchdrangen mühelos die Haut und bohrten sich erbarmungslos in das Fleisch ihrer Opfer...



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Madame_Malou
2015-03-11T01:07:51+00:00 11.03.2015 02:07
*Tränen in den Augenwinkeln hat* Du schaffst es einfach immer wieder die Spannung zu halten und wenn man denkt Spannender kann es gar nicht mehr werden setzt du noch einen oben drauf und zeigst das es eben doch geht! Das ist wirklich toll!
Ich hoffe sehr das der Hieb den Oscar abbekommen hat keine Auswirkungen auf ihre Schwangerschaft hat...und das es dem kleinen Oscar gut geht und ihm nichts passiert ist. Eigentlich müsste ich schlafen, aber m wieder halte ich es kaum vor Spannung wie es weiter geht aus! *weiter lesen geht* ^^
Antwort von:  Saph_ira
12.03.2015 18:00
Tut mir leid, dass du wegen meiner Geschichte nicht schlaffen kannst. Aber dankeschön für deine lieben Worte, hab mich sehr gefreut. :-)
Von: abgemeldet
2014-10-06T20:35:55+00:00 06.10.2014 22:35
Oooohhh nein! Wie kannst du nur?!

Was für eine Dramatik, was für eine Spannung! Ich konnte nicht aufhören mit lesen, habe jeden Satz verschlungen. Sehr mitreißend geschrieben und doch gibst du so viele Einblicke in die einzelnen Gedanken und Wahrnehmungen. Das liegt dir wirklich sehr und ich hoffe, du hörst nicht auf mit Schreiben!
Antwort von:  Saph_ira
06.10.2014 22:50
Nein, ich höre nicht auf mit Schreiben, versprochen. Es freut mich, dass es dir sehr gefällt und bedanke mich für deine Worte herzlich. ;-)
Von:  FeelLikeParadise
2014-09-03T11:57:48+00:00 03.09.2014 13:57
Oje ich hoffe das es gut ausgeht! Die Spannung hast du echt gut aufgebaut und auch die Gedanken des kleinen Oscars hast du sehr gut getroffen. Gut finde ich auch, dass er "Mama" gerufen hat, da man an der Stelle dann doch merkt, dass er immer noch ein Kind ist :) *-*
Mach weiter so!
LG:)
Antwort von:  Saph_ira
03.09.2014 20:03
Ein herzliches Dankeschön für dein Kommentar. ;-)
Ich bin erfreut und beruhigt, dass mir die Gedankenwelt eines Fünfjährigen gut gelungen ist. Ich hatte schon Bedenken, dass der kleine Oscar mir etwas zu "erwachsen" für sein Alter gekommen ist. ^^
Ob die Sache gut ausgeht, verrate ich lieber nicht... Aber es wird noch etwas geschehen, was den Lauf der Story bis zum Schluss beeinträchtigen wird...
Also noch einmal dankeschön und liebe Grüße :-)
Von:  alandatorb
2014-09-02T13:41:35+00:00 02.09.2014 15:41
oh nein Fausthieb in den Magen und eine Schussverletzung - das hört sich nicht gut an für Oscar und ihr Kleines. Hoffentlich ist ihr nicht viel passiert und auch ihrem Sohn geht es gut.


Ich finde es aber dazu sehr schön, das jetzt alle ihre Kameraden wissen, wer der kleine Oskar wirklich ist.

Schreib schnell weiter - ich fiebere dem nächsten Kapi mit Spannung entgegen.

LG
Alanda
Antwort von:  Saph_ira
02.09.2014 19:32
Vielen lieben Dank für deine Worte. Ich werde es versuchen, mit dem nächsten Kapitel nicht so lange auf sich warten zu lassen. :-)

Liebe Grüße


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