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Fremde Welten: Das Buch von Incanta (#3 1/4)

Mutterliebe hat viele Gesichter
von

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Stufe vier

Das Licht erlosch in dem Raum, und für kurze Zeit blieb alles dunkel, doch ich fand das für den Moment in Ordnung. So konnte ich kurz die Augen schließen und mich sammeln.

Der keuchende Atem eines Mannes drang an meine Ohren.

Er ist noch ein Kind in seiner Astralwelt.

Die Gestalt, die jemand in seiner Astralwelt innehat, sagt viel über den Charakter aus. Viele sind sich dessen nicht bewusst und denken, dass sie sich in dieser Gestalt wohlfühlen und sie deshalb gewählt haben. Die meisten hören irgendwann einfach auf zu altern, wenn sie Mitte zwanzig oder Anfang dreißig sind, ein Alter, in dem Jugend und Erfahrung ein passables Gleichgewicht bilden.

Kinder sind selten. Erst recht eines, das zu allem entschlossen ist. Es ist für mich ohnehin nicht leicht, einem Kind alles wegzunehmen und zu zerstören, was es besitzt.

Mehrere magische Lichter flammten jetzt auf. Crimson, der Herr des Lotusschlosses, verließ seinen Platz und organisierte, dass Sorc in einen Nebenraum gebracht wurde.

Ich rieb meine rechte Hand mit der linken, denn sie kribbelte, als hätte ich darauf geschlafen. Der Ausbrennzauber hat diesen Effekt auf den Anwender. Es ist nichts, was man genießt, egal, an welchem Ende von ihm man sich befindet. Der Tag danach bringt meistens einen üblen Muskelkater mit sich, da ich angespannt dastehe, während ich mich auf das Ritual konzentriere. Vielleicht ist es auch eine Art der Magie, es denjenigen heimzuzahlen, die sie gegen sich selbst richten.

Daran dachte ich allerdings nicht, während ich zusah, wie einer nach dem anderen den Raum verließ. Sage blieb noch kurz, um mit Cosmea zu sprechen, die das Ritual mit mir zusammen durchgeführt hatte. Dann ging auch er hinaus.

Yubel, der Schriftführer des Zirkels, näherte sich uns mit einem Klemmbrett. „Gute Arbeit, möchte ich meinen, oder? Kann ich ins Protokoll schreiben, dass alles nach Plan und ohne Probleme verlaufen ist?“

Ich verschränkte die Arme und stellte sicher, dass Crimson und Sorc außer Hörweite waren. „Abgesehen davon, dass es gar nicht zum Plan gehörte, dass wir es überhaupt tun müssen?“

Yubel zuckte die Achseln. „Wir waren auf die Möglichkeit vorbereitet, nicht wahr?“

Für dieses gleichgültige Getue wollte ich den Unterweltler gerne eine Runde würgen. War es zuviel verlangt, ein bisschen erschüttert zu wirken? Zwar konnte ich mich kaum beschweren, ich tat ja selber so, als hätte ich nur meine Arbeit gemacht, aber ich fragte mich, ob ein Unterweltler überhaupt nachvollziehen konnte, was eben passiert war.

Zu meiner Erleichterung ergriff Cosmea das Wort: „Schreib, dass wir das Ritual erfolgreich abschließen konnten, obwohl der Verurteilte energisch Widerstand leistete. Wir werden in den nächsten Tagen den Kontrollbesuch vornehmen, rechnen aber mit keinerlei Komplikationen.“

Yubel schrieb mit, nickte sichtlich erfreut und entfernte sich dann.

Cosmea und ich blieben an unseren Plätzen stehen und ließen die anderen voraus gehen.

Im Prinzip hätten wir den Ort einfach verlassen können wie alle anderen auch, statt zu warten, bis wir als Letzte zurückblieben. Aber meine Beine fühlten sich schwach an. Im Zirkel des Bösen ging es um ein gutes Auftreten. Mich auf dem Flur langzulegen zählte ich nicht dazu.

Freundlicherweise sprach uns nach Yubel niemand mehr an.

Cosmea lehnte sich mit einem lauten Seufzen gegen die Wand, kaum dass sich die Tür hinter den hinaus strömenden Mitgliedern geschlossen hatte. „Ich werde zu alt für sowas,“ murmelte sie.

„Warum hast du mich nicht den Anfang machen lassen?“ stellte ich die Frage, die mir auf der Zunge brannte. „Du hättest das Ende sicherlich besser hingekriegt als ich...“

„Oh.“ Sie blickte ehrlich betrübt zu mir herüber. „War das nicht eine Bitte, dass ich übernehmen soll, als du sagtest, er leiste Widerstand?“

„Ah... in dem Moment hab ich nicht darüber nachgedacht. Aber vielleicht war es ganz gut so. Ich war wohl zu ängstlich, um seinen Widerstand einzureißen.“

„Du hattest ja noch genug Arbeit mit ihm.“

„Ja... er hat sich gesträubt bis zum Schluss...“ Ich schloss erbebend die Augen bei der Erinnerung. „Er ist noch ein Kind in seiner Astralwelt, Cosmea...“

Meine ältere Kollegin nickte, sie hatte es ja auch gesehen. „Ja. Bei Chaosmagiern ist das wohl so. Eine Weile glaubte ich, er würde es darauf anlegen, in seinem Haus umzukommen. Er wollte unbedingt irgendetwas retten.“

„Wenigstens verließ das Haus, aber er nahm etwas mit, einen kleinen Zettel oder so... er muss ihm wichtig gewesen sein, denn er ließ ihn nicht los, obwohl er in seiner Hand verbrannte. Wir sollten mit dem Kontrollbesuch nicht zu lange warten; ich bin fast sicher, dass wir nachbessern müssen.“

„Ich fürchte, du hast Recht,“ stimmte sie mir zu.

„Hast du sein Kapall gesehen?“ fragte ich Cosmea.

Sie rieb sich nachdenklich das Kinn. „Nein, jedenfalls fiel es mir nicht deutlich auf... Aber er muss welches haben. Jeder hat welches. Es könnte bei ihm einfach ziemlich wenig sein, oder wir haben nicht genug darauf geachtet, weil wir uns auf das Kind konzentriert haben.“

Das vermutete ich auch. Außerdem befürchtete ich, dass mich die Gestalt des Kindes vielleicht etwas vorsichtig hatte werden lassen, so dass ich nicht mit der Brutalität vorgegangen war, die nötig gewesen wäre, um die Sache zu einem sauberen Ende zu führen.

Wir verließen den Raum, als wir ziemlich sicher waren, dass unsere Knie das Vorhaben unterstützten. Noch viel länger zu warten hätte vielleicht dazu geführt, dass jemand nachsehen kam. Als ich die Tür hinter uns schloss, sah ich Sage vor der nächsten Tür stehen. Er unterhielt sich leise mit Lord Belial, daher gingen wir in die andere Richtung davon, ohne ihn anzusprechen. Crimson hielt sich wahrscheinlich mit Sorc in jenem Nebenraum auf.

Dieses Gebäude besaß Folterkeller und Ritualräume, die an Krankenzimmer grenzten, um die Wunden anschließend zu versorgen. Wir vom Zirkel des Bösen kümmern uns gut um unsere Gefangenen. Es gab sogar einen Friedhof für Personen, die zum Tode verurteilt worden waren und sonst keinen Ort hatten, an dem sie ihre letzte Ruhe finden konnten. Er wurde aber hauptsächlich als Zeltplatz benutzt, weil ihn noch niemand in Anspruch genommen hatte.

Ein paar Kollegen waren mit Gefolge da und ließen gerade das Lager zusammen packen, als wir dazu kamen. Aber nicht alle reisten sofort nach getaner Arbeit ab, sondern fanden sich in kleinen Gesprächsgruppen zusammen und gingen möglicherweise noch einen trinken. Dafür hatte ich gewiss keinen Nerv. Wir mussten uns aber in das Getümmel begeben, weil wir in einem der Zelte unser Gepäck gelassen hatten.
 

Vanis, der momentane Zirkelvorsitzende, erwartete uns dort schon. „Da seid ihr ja, ihr beide. Hier, trinkt was. Yubel berichtete, dass alles gut gelaufen ist.“

Er warf uns Trinkschläuche mit Wasser zu und schob uns zu einer grob gezimmerten Sitzgruppe, wo wir uns dankbar auf eine Bank ohne Lehne sinken ließen. Es tat gut, die Beine zu entlasten.

„Wir rechnen mit kleineren Komplikationen,“ sagte Cosmea. „Sorc war recht störrisch für jemanden, der das Urteil einfach hingenommen hat. Und ich habe es noch nie erlebt, dass jemand bis zum Ende bei Bewusstsein war. Du, Thau?“

Ich schüttelte bloß den Kopf, ließ die anderen reden und leerte recht unzeremoniell mit schnellen Schlucken meinen Wasserschlauch.

„Das war, weil er keine Seele hat,“ bemerkte Vanis. „Er kann außerhalb seines Schlosses nicht das Bewusstsein verlieren, sonst läuft er Gefahr, dass sein Geist vom Körper getrennt wird und verloren geht. Ich bin überrascht, dass er sich so weit von dort entfernen kann, aber Belial meinte, das hätte er lange trainiert.“

„Das kriegt auch nur ein Chaosmagier hin,“ meinte Cosmea. „Schon allein die Idee, die eigene Seele an ein Schloss zu binden...“

Einige Sekunden unangenehmen Schweigens breiteten sich aus, immerhin hatten wir besagten Chaosmagier eben vernichtet. Für die Welt der Magier war das ein herber Verlust, denn uns ging ein großes Potential ungeahnter Möglichkeiten verloren. Ich hatte Belials Berichte über diesen Rehabilitanden immer interessiert verfolgt, schon deswegen, weil Cosmeas Enkelsohn Dark mit Sorcs ältestem Sohn liiert war, wodurch ich ihn zur entfernteren Verwandtschaft zählte. Natürlich hatte ich meiner Kollegin nie gesagt, dass ich sie als so etwas wie eine Ersatzmutter betrachtete – sie hätte mich dann vermutlich mit leichtem Spott darüber aufgeklärt, dass sie mich mit dreizehn bekommen haben müsste. Allerdings ging ich zuversichtlich davon aus, dass sie mich zumindest als guten Freund sah.

Wenn man es so betrachtete, war wohl auch Vanis in diesem Fall persönlich betroffen, denn einer von Sorcs Söhnen war sein Neffe. Er hatte der Vollstreckung nicht beigewohnt, angeblich, damit in dem Raum mehr Magier Platz hatten, aber ich vermutete, dass er sich diese Erinnerung einfach nicht hatte aufbürden wollen. Immer, wenn ich ihn privat über Sorc reden hörte, wirkte es für mich so, als würde er ihn achten und respektieren, zumal der stolze Chaoshexer einer angesehenen Unterweltlerfamilie entstammte, was bei anderen Unterweltlern immer Pluspunkte mit sich brachte.

Wer jemanden achtete und respektierte, wollte eigentlich nicht sehen, wie derjenige auf einen Schatten seiner Selbst reduziert wurde. Umso mehr hatte es mich überrascht, dass Crimson, der Herr des Lotusschlosses und zufällig Cosmeas anderer Enkelsohn, sich das angetan hatte. Ich wusste, dass er für Sorc als Rehabilitand verantwortlich war, aber anscheinend standen die beiden sich auch sehr nahe.

Ich schreckte aus meinen Gedanken hoch, als Belial das Zelt betrat und dabei mit den Flügeln an der Plane hängen blieb, da diese nicht fixiert war und hinter ihm wieder zuklappte. „Verdammter Mist!“ fluchte er und streckte den rechten Flügel flach nach außen aus, schob sich seitwärts nach drinnen und zog ihn dann nach.

Ich musste trotz meiner miesen Verfassung grinsen, während ich zusah, wie er sein Gewand glatt zupfte, sich räusperte und dann an unseren Tisch trat.

„Crimson hat sich dafür beworben, Sorc zu behalten,“ eröffnete er uns. „Er besteht außerdem darauf, ihn vorerst wieder mitzunehmen, und ich habe nicht den Eindruck, dass er ihn aus seinen Fängen lassen wird, auch wenn wir anders entscheiden.“

„Oha, das wird Edeh aber gar nicht gut aufnehmen,“ kommentierte Vanis mit einem schiefen Lächeln. „Er hat sich nämlich auch beworben, schon voriges Mal.“

„Edeh steigert sich ganz schön in die Sache hinein, findet ihr nicht?“ bemerkte auch Cosmea.

„Ach, das ist einfach eine alte Familiensache,“ winkte Belial ab. „Die Jagerilias und Araes gedeihen nicht auf demselben Boden.“

„Sorc steht aber nicht als Mitglied der Jagerilia-Familie vor Gericht,“ erinnerte Vanis uns. „Nun kann ich es dieses Mal ja verstehen, weil Edeh persönlich betroffen ist, aber irgendwas stimmt an der Sache nicht.“

Da sagte er uns nichts Neues, und diese Vermutung, dass Sorc etwas verschwieg oder aus irgendeinem Grund log, hatte uns ja auch davon ausgehen lassen, dass er mit der Wahrheit herausrücken würde, ehe er sich ausbrennen ließ. Das Urteil war so ausgefallen, wie es unseren Statuten entsprach, und er musste das auch vorher gewusst haben. Aber es nützte nichts mehr, darüber nachzudenken und nach den Gründen zu fragen. Der Schaden war angerichtet und nun musste er damit klarkommen, während wir den Fall zu den Akten legten und unter der Kategorie bedauernswerte Fehleinschätzungen vermerkten.

Für Cosmea und mich war es jedoch noch nicht ganz vorbei.

„Wenn Sorc also zum Lotusschloss gebracht wird, werden wir auch dorthin müssen,“ sinnierte ich. „Allerdings weiß ich gar nicht, wo das ist...“

„Willst du vielleicht mit zu uns kommen?“ schlug Cosmea vor. „Dann ist der Weg kürzer für dich. Du kannst wieder in dem kleinen Gästezimmer schlafen, das in den Garten blickt. Wir haben die Fensterläden repariert und das Bett ersetzt. Die Treppen machen dir doch nichts aus, oder?“

„Nein, nein,“ versicherte ich schnell. Mir kam es so vor, als entginge mir etwas, aber das bildete ich mir wohl nur ein. Momentan konnte ich kaum in eine bestimmte Richtung denken. Überhaupt hatte ich die ganze Verhandlung als eher belastend empfunden, seit ich zu Anfang zugestimmt hatte, die Ausbrennung durchzuführen, falls es dazu kommen sollte. Als alle noch gedacht hatten, dass es eh nicht dazu kommen würde.

„Ich wollte dann aber noch einen Abstecher zum Kristallschloss machen und meine Söhne dort besuchen, wenn dich das nicht stört,“ sagte Cosmea. „Es liegt beinahe auf dem Weg.“

„Meinetwegen,“ nickte ich.

Belial setzte sich etwas umständlich neben Vanis auf die Bank, wobei er seine Flügel eng anlegte. „Ähm, warum jetzt nochmal?“

„Weil bei Ausbrennungen manchmal was schiefgeht. Stell es dir vor wie eine Wunde, die nicht richtig sterilisiert wurde,“ antwortete ich ihm. „Falls wir etwas unsauber gearbeitet haben, kann Sorc daran sterben.“

„Ich dachte, ihr seid Profis,“ meinte Belial. „Kommt sowas oft vor?“

„Oh ja, schließlich üben wir das nicht jeden Tag.“ Ich ließ einen warnenden Unterton in meiner Stimme mitschwingen, denn ich hatte keine Lust auf weitere Sticheleien.

„Bei Ausbrennungen leistet das Opfer normalerweise Widerstand,“ nahm Cosmea den Faden auf. „Außerdem ist es irgendwann sehr geschwächt, so dass wir lieber nicht weitermachen. Deswegen ist es üblich, ein paar Tage später nochmal einen Kontrollbesuch zu machen, um noch den Rest zu erledigen, sobald der Ausgebrannte sich etwas erholt hat. Zum Glück ist Vindictus im Schloss meines Enkelsohnes, er kann helfen, falls es zu Komplikationen kommt, ehe wir da sind.“

Es beruhigte mich, das zu hören. Vindictus, ein Urgestein auf dem Gebiet der Heilkunst und Nekromantie, war so etwas wie eine lebende Legende. Dabei erzählte man sich, dass er gesundheitlich ziemlich angeschlagen gewesen war, bis vor knapp einem Jahr, als Crimson ihn in sein Schloss aufgenommen hatte. Das geregelte Leben dort tat dem alten Zausel offenbar gut.

„Schreibt dann einen Bericht, wie es gelaufen ist, ja?“ sagte Vanis. „Ihr könnt ihn abgeben, wenn wir uns zur nächsten Besprechung treffen, um zu entscheiden, wo Sorc hingeschickt wird.“

Oh, das hatte ich ganz vergessen. Diese Entscheidung stand ja auch noch an. Am liebsten wollte ich mich da raushalten, aber es machte keinen guten Eindruck, zu wichtigen Treffen nicht zu erscheinen. Davon abgesehen kam das ja so oft nicht vor, insofern musste ich da eben durch. Hm... war da nicht noch etwas, woran ich hätte denken sollen? Aber wir hatten jetzt wohl alles besprochen.

Die Zeltplane wurde erneut aufgeschlagen, und dieses Mal war es Sage, der zu uns stieß. „Ich bin fertig, Cosi, wir können los, wenn du willst.“

Cosmea nahm noch einen Schluck aus ihrem Wasserschlauch und schien dann darüber nachzudenken, ob sie die Reise verkraften würde. „Ja, ich glaube, es wird gehen.“ Sie stand auf, um bei den Gepäckstücken nach ihrer Tasche zu suchen. „Kommst du, Thau?“

„Ja, kein Problem.“ Auch ich erhob mich und suchte mein Reisegepäck zusammen, bei dem es sich nur um eine kleine Umhängetasche handelte.

Wir verabschiedeten uns von Belial und Vanis, verließen das Zelt und entfernten uns vom Lager, das in den letzten Minuten auffällig geschrumpft war. Edeh lief zwischen seinen Leuten herum und schien sich ziemlich aufzuregen, aber ich wollte ihm nicht begegnen, als drehte ich mich schnell um und folgte den anderen beiden.
 

In den Bäumen, die dem Gelände Schatten spendeten, saßen meistens die Drachen der Mitglieder und warteten in ihrer kleinen Gestalt darauf, dass ihre Reiter zurückkehrten. Nicht so meiner. Burner hielt es für angemessen, auf dem Rücken zu liegen und sich im Schritt zu kratzen. Zum Glück gab es da nicht das gleiche zu sehen wie bei einem Menschen, und man verzieh es ihm, denn selbst seine große Gestalt fiel eher klein aus und er wirkte wie ein Baby. Wenn es sein musste, trug er zwei Reiter, lieber aber beließ er es bei mir. Mit seinen 83 Zyklen war er auch gerade mal ein Teenager nach Drachenmaßstäben.

Als er mich bemerkte, rollte er sich herum und ließ seine beiden linken Pranken auf den Boden prallen, wobei tiefe Löcher auf dem Gras entstanden. Er rülpste laut, obgleich ich mir nicht vorstellen konnte, was er gefressen haben mochte. Aus seiner Schnauze kam eine kleine Flamme. Ich tätschelte seine Nase und kratzte über die an dieser Stelle dick gepanzerte Haut, was er als kraulen empfand, daran zu erkennen, dass er die Augen genüsslich zu Schlitzen verengte.

Einer der geschrumpften Drachen flog von einem Baum in der Nähe herunter und landete auf Cosmeas Schulter. „Es kann gleich losgehen,“ sagte sie zu ihm und kitzelte ihn am Bauch. „Wir gehen dort drüben hin, wo Platz ist...“

Sage blieb noch in meiner Nähe, während seine Partnerin eine Stelle suchte, die groß genug für einen Drachen war. Er wickelte eine Strähne seines Bartes um seinen rechten Zeigefinger. „Weißt du, Thau, in letzter Zeit überlege ich, mich einfach irgendwo zur Ruhe zu setzen, vielleicht in einem kleinen Häuschen, wie du es hast. Ich hänge an dem Turm. Aber keiner unserer Söhne oder Enkel wird sich dafür interessieren, sie haben eigene Schlösser. Und so ein Turm verursacht ganz schöne Kosten. Gerade erst die Reparaturarbeiten. Dann die Reinigung und so... Thaumator?“

Die Stichwörter Kosten und Reparaturarbeiten ließen ein kaltes Gefühl in meine Magengegend fahren wie eine stählerne Klinge. „Ah – mir fällt da gerade was ein! Ich kann nicht mit euch reisen, ich muss los! Wir treffen uns morgen früh bei euch, ja?“ Ich war schon dabei, auf Burners Rücken zu klettern, wobei der Gute dann auch zu merken schien, dass etwas nicht stimmte, und mit seinen Faxen aufhörte.

„Klar, kein Problem,“ rief Sage mir nach, als neben mir die Flügel anfingen zu schlagen.

Burner war weder besonders graziös in der Luft noch allzu schnell. Im Prinzip sah er überhaupt nicht so aus, als könnte er fliegen, denn all seine Gliedmaßen schienen aus glühender Lava zu bestehen. Ganz so schlimm verhielt es sich nicht, aber er hatte im Flug eine etwa siebzig Grad heiße Oberfläche, die ihn für jeden, der nicht dem Element Feuer angehörte, schwierig zu reiten machte.

Wir Feuermagier sind entgegen weitläufiger Annahmen nicht automatisch gegen Feuer immun. Aber wir vertragen generell mehr Hitze, weshalb viele Berufsgruppen, die mit Feuer zu tun haben, gerne einen Grundkurs bei uns machen. Von allen Elementen der Magie gilt Feuer als das, was am einfachsten erlernt werden kann, und das ist wohl auch so – wenn man keine allzu hohen Ansprüche hat. Selbst Schwertkämpfer mit einem Mindestmaß an Talent eignen sich gerne die Fähigkeit an, ihr Schwert in eine Feuerklinge zu verwandeln und vielleicht mit Feuerbällen um sich zu werfen, was ja immer recht imposant aussieht. Aber im Ernst – das konnte ich schon mit vier. Eine Fackel zu basteln ist komplizierter.

Wie dem auch sei, durch Burner hatte ich schon in manchem Winter eine Menge Feuerholz gespart, denn er beheizte einen Raum durch seine bloße Anwesenheit. Leider füllte das aber nicht meine Haushaltskasse auf. Die Geschäfte liefen nicht so gut wie früher, seit ein Großteil meiner Plantage einem plötzlichen Wetterumschwung zum Opfer gefallen war, verursacht durch einen tief fliegenden Eisdrachen. Dieses Unglück schien irgendwie weitere anzuziehen. Das Pech ist eben ein Rudeltier.

Wie Cosmea schon sagte, wäre es von ihrem Turm aus näher zum Kristallschloss gewesen, denn meine Farm lag genau in der entgegengesetzten Richtung. Allerdings hatte ich es nicht weit vom Zirkelhauptquartier aus, sonst hätte ich Roses Drachen genommen. Die Reise dauerte mit Burner eine knappe Stunde. Wenn ich es nicht so eilig hatte, ließ ich ihn gemächlicher fliegen und war dann ungefähr anderthalb Stunden unterwegs. So aber war er schon ziemlich erschöpft, als das Ziel in Sicht kam, und seine Temperatur betrug mindestens achtzig Grad.

Die Farm war ein Glücksgriff, ein Stück Land, das Rose und ich zusammen aufgebaut hatten – mit dem Erlös vom Verkauf einiger Schätze meiner Mutter. Nur waren davon leider keine mehr übrig, da wir alles großzügig investiert hatten. Eigentlich kein Problem – wer rechnet schon in dieser Gegend mit Frost mitten im Sommer?

Schon aus einiger Entfernung fiel mir ein kleiner Reisewagen auf, der vor unserem Wohnhaus stand. Die Tiere, die ihn zogen, waren dunkle Zebras. Meine Besucherin war meines Wissens keine Magierin und auch keine Kriegerin, daher reiste sie auch nicht auf einem Drachen. Sie war Geschäftsfrau, und sie handelte vor allem mit Geld. Und zwar machte sie mit jedem Geschäfte, auch mit Leuten mit krimineller Vergangenheit wie mir, denen seriöse Geldverleiher nicht über den Weg trauten. Das Problem waren ihre eigenwilligen Konditionen, denn sie ließ sich gut für ihre Dienste bezahlen.

Um die Zugtiere nicht zu erschrecken, ließ ich Burner weiter unten auf dem Weg landen und ging den Rest zu Fuß. Das gab mir Gelegenheit, meine etwas verkrampften Gliedmaßen zu lockern und meine Kleidung zu überprüfen. Ich wäre gerne gerannt, wusste aber, dass man mich vom Wohnhaus aus sehen konnte. Also schritt ich einfach zügig voran.

Beim Wagen lümmelte ein junger Bursche am Zaun und behielt das Gefährt im Auge, oder zumindest war das wohl seine eigentliche Aufgabe. „Hey! Hör sofort auf, an den Gräsern rumzuzupfen, sonst ersetzt du sie mir!“ wies ich ihn im Vorbeigehen zurecht. „Und dass die Viecher nichts fressen, das könnte ihnen schlecht bekommen!“ Ob er auf mich hörte, überprüfte ich nicht mehr, denn es war wichtiger, schnell im Haus zu erscheinen.
 

Phalae Nopsis blickte von ihrem Teebecher auf, als ich das Wohnzimmer betrat. Sie war ungefähr in Roses Alter und eine umwerfende, reife Frau mit einer etwas fülligeren Figur. Ihr schwarzes Haar trug sie kurz und gelockt, aber es war vermutlich mit Moorerde gefärbt, denn sie hätte zumindest vereinzelte graue Strähnen haben müssen. Ihre Gesichtsbemalung fand ich immer etwas übertrieben, aber das passte durchaus zu ihrem opulenten Stil, zu dem auch ein langes, rotes Reisekleid gehörte. Sie wollte auffallen, und das tat sie. Weniger auffällig waren hingegen ihre beiden Leibwächter, die sich ganz in Schwarz gekleidet im Hintergrund hielten und im Prinzip gar nicht existierten.

„Phalae, ein Glück, dass ich dich noch antreffe!“ rief ich mit gespielter Wiedersehensfreude.

Sie erhob sich galant und kam mir mit ausgebreiteten Armen entgegen. „Thaumator, mein Lieber! Ich dachte schon, du hättest dich abgesetzt! Ah nein, nur ein Scherz, ich weiß doch, dass auf dich Verlass ist, zumal ja deine Familie noch hier ist.“

Wir umarmten uns kurz zur Begrüßung, als wären wir die besten Freunde. Ihr blumiges Parfüm vertrieb den Geruch nach Reptilienhaut, den ich noch in der Nase hatte. Ich schaute über ihre Schulter zu Rose, die am Tisch saß und mir ein aufmunterndes Lächeln zuwarf, dabei allerdings die Augen verdrehte. Sie unterhielt Phalae wahrscheinlich schon seit einer Weile.

„Setzen wir uns doch,“ schlug ich dann vor. „Ich war gerade über eine Stunde auf einem Drachen unterwegs und davor, ähm... naja, es war anstrengend.“

Unser Gast setzte sich wieder auf ihren Platz, und Rose holte mir einen Teebecher und einen Teller. Sie hatte Kuchen gebacken, allerdings wusste ich nicht, ob das Zufall war oder ob sie gewusst hatte, dass Phalae heute kam und länger bleiben würde.

„Es tut mir wirklich Leid, falls ich einen falschen Eindruck erweckt habe, Phalae,“ sagte ich liebenswürdig. „Ich habe das Datum völlig vergessen, weil ich seit fast einer Woche jeden Tag zum Zirkelhauptquartier fliege. Ich wohne ja nahe genug, dass ich nicht dort übernachten muss. Es gab eine Gerichtsverhandlung mit einem unserer Rehabilitanden, aber die Einzelheiten sind vertraulich.“

„Ach, ist schon gut,“ winkte Phalae ab. „Aber reden wir nicht weiter drum herum... hast du mein Geld?“

Ich schloss kurz die Augen und sammelte mich. „Nein. Die Ernte fiel nicht so gut aus wie erhofft. Ich habe überlegt, etwas von meinem Privatbesitz zu verkaufen, ein, uhm, Erbstück... allerdings ist es etwas riskant, deshalb habe ich damit noch gewartet. Doch dann kam diese Zirkelangelegenheit dazwischen.“

Ich bot ihr nicht an, sie in Wertgegenständen zu bezahlen, denn sie hatte schon einmal klargestellt, dass sie sich nicht die Mühe zu machen gedachte, diese zu verkaufen. Es war nicht das erste Mal, dass wir ein solches Gespräch führten. Aber das erste Mal, dass es zum dritten Mal hintereinander geschah.

Phalae seufzte, blieb aber ansonsten ruhig. „Thau, du weißt, dass ich Verständnis für dich habe und für die Art, wie du deinen Lebensunterhalt verdienst. Deshalb habe ich dir auch eine zweite Anleihe gegeben, als deine neuen Pflanzen von diesem Wurzelpilz dahingerafft wurden, der auch noch einen großen Teil deines verbliebenen Altbestandes befallen hat. Und das, obwohl du deine Schulden zu dem Zeitpunkt lange noch nicht abbezahlt hattest.“

Daran musste sie mich nun wirklich nicht erinnern. Sie hatte einfach den Betrag, den ich ihr schuldete, wieder erhöht, ohne die grundlegenden Konditionen zu ändern, statt mir eine zweite Schuldenlast aufzudrücken. Das rechnete ich ihr hoch an.

„Bisher hast du hin und wieder mal eine Rate nicht zahlen können, aber das habe ich dir dann einfach gestundet, weil ich ja weiß, wie unvorhersehbar das ist mit der Landwirtschaft ist,“ fuhr sie fort. „Du bist im Großen und Ganzen ein zuverlässiger Klient, der dann eben beim nächsten fälligen Termin wieder zahlt. Aber jetzt ist es das dritte Mal in Folge, und du musst verstehen, dass ich nun keine Rücksicht mehr auf unsere langjährige Freundschaft nehmen kann.“

„Ich... könnte das besagte Objekt verkaufen... in den nächsten Tagen,“ warf ich hastig ein. Es klang etwas zu hektisch, wie mir sogleich bewusst wurde. Außerdem konnte ich nicht genau sagen, wieviel es einbrachte oder ob es überhaupt jemand kaufen würde. Aber Phalae sollte nicht denken, dass mir überhaupt keine Optionen mehr blieben.

„Warum leihst du dir denn nichts von einem deiner Zirkelfreunde?“ fragte sie mich. „Du warst doch gerade eine Woche lang täglich mit ihnen zusammen. Ah... es ist dir wahrscheinlich unangenehm, diese Leute zu fragen, aber gewiss hast du den ein oder anderen Vertrauten unter ihnen, oder nicht?“

Ich starrte auf meinen leeren Kuchenteller. Gebrannter Ton, beige lackiert mit einem Blümchenmuster. Wen konnte ich fragen? Cosmea vielleicht. Aber sie hatte selber nichts zu verschenken. Selbst wenn ich beabsichtigte, ihr das Geld zurückzugeben, riss so eine Leihgabe erst einmal ein Loch in ihre Kasse, das sie zur Zeit wahrscheinlich nicht gebrauchen konnte. Und die anderen... nein.

„Ich möchte eigentlich vermeiden, dass der Zirkel von dieser Situation erfährt,“ gab ich zu. „Ich habe ihnen gar nichts von der zweiten Panne mit dem Wurzelpilz erzählt, und sie denken, dass ich die erste mit eigenen Ersparnissen bewältigt habe.“

„Verstehe. Was war das nochmal... ein Sturmschaden?“

„So ähnlich... ein legendärer Eisdrache flog tief über uns hinweg.“ Das war wirklich großes Pech gewesen, weil die Wahrscheinlichkeit dafür etwa so groß war wie die, dass man zweimal an Schattenfieber erkrankt. Mit sowas rechnet doch niemand!

„Hmmm...“ Phalae schlürfte mit geschlossenen Augen den Tee und dachte anscheinend darüber nach, was jetzt für Maßnahmen angemessen wären. „Und dass du den Zirkel als Organisation nicht um Hilfe bittest, hat das immer noch damit zu tun, dass du als Rehabilitand geführt wirst?“

„Nun... ja. Ich wurde damals zu 35 Jahren Bewährung verurteilt, und die sind noch nicht ganz um. Nach den Auflagen des Rehabilitationsprogramms muss ich einen festen Wohnsitz haben und für mich sorgen können. Normalerweise schicken sie Rehabilitanden der Stufe drei an einen ausgewählten Arbeitsplatz, aber sie machten für mich eine Ausnahme, weil ich verlobt war,“ fasste ich zusammen.

Phalae wusste das, denn sie informierte sich über die Hintergründe eines Klienten, bevor sie Geld springen ließ. Damals, vor sechs Jahren, hatte sie mich streng darauf hingewiesen, dass sie meine Angaben überprüfen würde und dann besser nichts fände, was ich verschwiegen hatte. Mein Status als Rehabilitand hinderte mich nicht daran, selber Mitglied im Zirkel des Bösen zu sein. Acht Jahre nach meiner Verurteilung war ein Platz frei geworden. Vielleicht hatten sie ihn mir angeboten, um mich besser im Auge behalten zu können, aber vermutlich sahen sie in einem ehemaligen Darklord auch hilfreiches Potential. Wobei ich eigentlich nicht direkt ein Darklord gewesen war, nur der Sohn der amtierenden Darklady. Aber in Ermangelung eines anderen Mannes an ihrer Seite war das fast das gleiche. Mutter hatte mich nur nie zu ihrem ebenbürtigen Partner ernannt, deshalb betrachtete ich mich eigentlich eher als ihren Erben, der sein Erbe nie angetreten hatte. Wie dem auch sei... ich wollte nicht, dass der Zirkel erfuhr, dass ich hohe Schulden hatte. Sie wussten lediglich, dass ich etwas knapp bei Kasse war.

„Du solltest dir besser darüber klar werden, wo deine Prioritäten liegen,“ sagte Phalae in belehrendem Tonfall. „Unserem Vertrag folgend verlange ich Verzugszinsen von zwanzig Prozent auf den Ratenbetrag. Außerdem werde ich deine Arbeitskraft einfordern, wenn du auch bei unserem nächsten Termin in zwei Monaten nicht zahlen kannst. Alternativ kannst du sie mir jetzt anbieten, dann erlasse ich dir fünf Prozent des Restbetrages.“

Ich schüttelte wortlos den Kopf. Rose überbrückte die peinliche Stille, indem sie meinen Becher mit Tee füllte und sich und Phalae nachschenkte. Dabei klimperte sie etwas mit dem Tongeschirr.

So weit waren wir jetzt also. Laut Vertrag konnte sie von mir verlangen, meine Schulden abzuarbeiten. Dazu musste ich mich für einen bestimmten Zeitraum verpflichten, der anhand meiner Restschulden und des Wertes meiner Arbeitskraft ausgerechnet wurde. Diesen Zeitraum verkaufte sie dann an einen Kunden, der Bedarf an einem Feuermagier mit botanischen Kenntnissen hatte. Im Prinzip unterschied sich das nicht besonders vom Rehabilitationsprogramm Stufe drei.

Ich verdrängte den Gedanken an all die möglichen daraus entstehenden Probleme vorerst, denn erst einmal musste ich Phalaes Besuch überstehen. Meine Nerven machten heute nicht mehr lange mit, wie mir schien.

Einer ihrer schwarzgekleideten Begleiter trat unaufgefordert hinter sie und flüsterte ihr etwas zu. Es war der mit der olivbraunen Haut und der Glatze. Nein, Moment... der andere hatte auch eine Glatze, somit schied die Frisur als Unterscheidungsmerkmal aus. Hm... dann der kleinere.

„Oh,“ machte Phalae. Dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder mir zu und lächelte gönnerhaft. „Du hast großes Glück, Thau.“

Ich hasste es, wenn sie mich so nannte, denn das erlaubte ich eigentlich nur meinen Freunden. Allerdings gehörte sie zu den Leuten, denen ich es lieber nicht verbot.

Sie nahm einen Schluck Tee, wie um die Spannung zu erhöhen. „In zwei Monaten, wenn eigentlich unser Termin wäre, ist die Geburt meiner Enkelkinder eingeplant. Meine Schwiegertochter erwartet nämlich Zwillinge! Deshalb werde ich in dem Zeitraum nicht abkömmlich sein, weil ich und Epipactis unseren Sohn und seine Familie besuchen werden. Ach, der Gedanke versetzt mich in gute Laune! So sehr, dass ich dir einfach vier Monate Zeit gebe und dann also zu unserem übernächsten regulären Termin wieder hier sein werde. Eine Rate plus zwanzig Prozent, das sollte bis dahin zu schaffen sein. Oder?“

„Äh...“ Ich war vor positiver Überraschung beinahe sprachlos. „Ja, sicher!“ gelang es mir zu sagen. „Vielen Dank, Phalae, ich weiß das zu schätzen.“

„Gut! Weißt du, Thamator, ich würde es wirklich bedauern, dich als Klienten zu verlieren. Andererseits wäre es auch keine Schande, wenn du für mich arbeiten müsstest. Zermartere dir also nicht deinen störrischen Kopf. Und jetzt muss ich los...“ Phalae stand auf und zog einen schwarzen Umhang über, den sie von dem Stuhl neben ihrem nahm. Das Kleidungsstück war eher für die Optik, denn so kalt, dass sie ihn deswegen gebraucht hätte, war es draußen nicht.

„Ich bringe dich zur Tür, Phalae,“ sagte Rose und drückte mich zurück auf meinen Stuhl, da ich mich auch gerade erheben wollte. „Du ruh dich aus, Thau.“

Regel Nummer eins bei uns: Ich widersprach meiner Frau nicht, wenn es sich vermeiden ließ. So ging ich in Gedanken schon einmal durch, was wir in den nächsten Monaten ernten und verkaufen konnten. Da wir nun nicht unter Druck standen, die Rate (plus zwanzig Prozent) in zwei Monaten zu zahlen, konnte ich die Sache gelassener sehen. Ich lehnte mich auf dem Stuhl zurück, schloss die Augen und atmete auf.

Das erwies sich jedoch als keine gute Idee, denn schon schob sich die nur wenige Stunden alte Erinnerung an das flackernde Licht in einem kerkerähnlichen Raum in den Vordergrund, und damit die Schreie, das brennende Haus und ein Kind, das irgendetwas retten wollte...
 

Ich schrak zusammen, als Rose mich an der Schulter berührte.

„Thau, alles in Ordnung?“ Sie setzte sich auf ihren Stuhl und schnitt mir ein großes Stück von dem kranzförmigen Kuchen ab. „Du siehst gar nicht gut aus. Das letzte Mal hast du so niedergeschlagen gewirkt... ich glaube, das war, als wir Granit verloren haben.“

„Oh... wirklich?“ Wir nannten unseren zweiten Sohn Granit, obgleich er nie einen eigenständigen Atemzug getan hatte. In unseren Augen hatte er trotzdem gelebt.

„Was ist heute beim Zirkel passiert?“ erkundigte meine Frau sich.

Sie kannte mich gut. Ich hatte sie nur in groben Zügen eingeweiht. Sie wusste, dass wir über jemanden Gericht gehalten hatten, aber keine Einzelheiten. Solche Informationen waren generell vertraulich, aber niemand beschwerte sich, wenn die Lebenspartner etwas mitbekamen. Ich redete auch meistens über die aktuellen Zirkelangelegenheiten mit Rose, weil ich oft genug ihre Meinung hören wollte, gerade wenn ich mich über etwas aufregte. In diesem Fall jedoch... nein, das ging nicht.

„Ist jemand zum Tode verurteilt worden?“ hakte Rose nach.

„Nein, nein... mhm...“ Ich biss mich zur Ablenkung an meinem Stück Kuchen fest, obwohl ich mich derzeit nicht besonders hungrig fühlte. Mein Magen jedoch reagierte schon bei dem fruchtigen Geruch und forderte sein Recht ein.

„Dann muss es eine Ausbrennung gewesen sein.“

Ich verschluckte mich an einem Krümel, den ich vor Schreck eingeatmet hatte. Rose klopfte mir auf den Rücken und drückte mir den Teebecher in die Hand. Ich trank einen Schluck und hustete trotzdem einige Minuten herum, bis es endlich aufhörte.

„Ich habe wohl ganz gut geraten,“ stellte Rose fest. „Aber es war eigentlich auch nicht schwierig... vorgestern war ich bei Fuma zu Besuch. Ich habe deine Salbe von Fawarius abgeholt und dann haben wir Frauen uns noch eine Weile unterhalten... Im Gegensatz zu mir war Fuma gut informiert, anscheinend war Edeh recht erfreut darüber, dass Sorc, der Chaoshexer, erneut vor Gericht gestellt wurde. Er hoffte auf ein Todesurteil. Wenn es das nicht war und da Sorc ja schon auf Stufe drei war, bleibt nur noch Stufe vier. Und sie haben dich anscheinend dazu bringen können, es zu machen.“

Ich seufzte und gab meinen Widerstand auf. „Cosmea hat mich darum gebeten... sie hat sich freiwillig gemeldet, weil ihr Enkelsohn Crimson mit dem Angeklagten befreundet ist und sie wollte, dass es anständig gemacht wird. Sorc war ein schwieriger Fall, und das wussten wir vorher. Allerdings gingen die meisten davon aus, dass er seine seltsame Geschichte revidieren würde, so dass es gar nicht zur Vollstreckung käme...“

„Hm... dann glaubst du, dass er unschuldig war?“

„Seine Aussagen waren merkwürdig... sie passten teilweise nicht zusammen oder wirkten wie Ausreden. Ganz anders als bei seiner ersten Verhandlung.“

„Nun ja, es ist nicht deine Sache, diesen Fall aufzuklären, und es ist jetzt ohnehin zu spät.“ Rose tätschelte mir aufmunternd den Arm.

„Morgen muss ich noch einmal weg,“ eröffnete ich ihr. „Ich treffe mich mit Cosmea beim Obsidianturm, und wir fliegen dann zusammen zum Kristallschloss und dann zum Lotusschloss, da Sorc wahrscheinlich vorerst dort bleibt. Wir werden nachprüfen, ob wir alles korrekt ausgeführt haben.“

Meine Frau nickte verstehend – ihr musste ich das nicht erklären. Sie schwieg und sah mich an, als ob sie darauf wartete, dass ich noch mehr sagte.

„Willst du gruselige Einzelheiten hören?“ fragte ich mit einem winzigen Anflug von Trotz, mit dem der eigene Geist sich weigert, eine unangenehme Erfahrung noch einmal aufleben zu lassen.

Rose hob beschwichtigend die Hände. „Ich dachte nur, dass du vielleicht darüber reden möchtest... weißt schon, um es dir leichter zu machen.“

Sie war so ziemlich die Letzte, die ich damit belästigen wollte, und doch redete ich einen Moment später munter drauflos: „Cosmea meinte, ich hätte die nötige Erfahrung und die Kraft für diesen Fall... Sorc hat keine Seele, weißt du, deshalb wurde er nicht bewusstlos. Es ist gewissermaßen leichter, wenn das Opfer bewusstlos wird... es zerrt dann nicht so an den Nerven... Dieser Mann, er... er blieb die ganze Zeit sehr gefasst, so dass man denken konnte, er würde willig sein Schicksal annehmen. Aber ich habe noch nie solch einen Kampf erlebt. Er ist ein Kind in seiner Astralwelt, und er versuchte verzweifelt... er wollte unbedingt...“

Ich merkte, dass ich auf meine linke Hand starrte, die ich fest geschlossen hatte, als würde ich wie das Kind Sorc etwas darin festhalten wollen. Ja, der kleine Junge hatte etwas festgehalten, doch ich hatte es verbrannt, weil alles brennen musste, was aus dem Haus stammte.

„Er hat etwas mitgenommen und wollte es nicht loslassen, obwohl seine ganze Hand dadurch verletzt wurde. Ich mache mir Sorgen deswegen. Aber auch, weil bestimmt noch irgendwelche Reste da sind, die zu vernichten wir aber nicht mehr riskieren konnten.“

„So wie ich das verstehe, war es seine Entscheidung, Thau. Alles, was du jetzt noch für ihn tun kannst, ist diese Überprüfung, und dann solltest du nicht weiter darüber nachdenken, hm?“

Sie wusste so gut wie ich, dass ich es nicht einfach vergessen konnte. Vielleicht gab es Magier, die so abgebrüht waren, aber ich erinnerte mich an jedes meiner Opfer. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass ich sie alle huckepack trug. Und das waren jetzt schon neun an der Zahl...



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  jyorie
2017-03-08T14:49:12+00:00 08.03.2017 15:49
ⓗⓐⓛⓛⓞ ☻

das ist cool, das du so weit zurück gehst und das mit Soarchs Ausbrennung noch mal aufrollst. Ich fand es total spannend, wie du die Gegenseite beschrieben hast. Ist sehr angenehm zu lesen, das es Lady Cosmea und Thaumator nicht leicht gefallen ist, sowohl Körperlich erschöpfend als auch das es ihnen vom Kopf her noch nachhängt. Zudem fand ich es mies, dass Lord Belial sich so gefreut hat darüber und das eigentlich alle wussten, dass es ein Fehlurteil ist.

Ich bin gespannt was es mit dem Zettel auf sich hat, den Soach beschützt hat, der hier wieder in Erinnerung gerufen wird. Hoffe das da noch was ganz großes damit kommt ^^°

oh man, Taumator sitzt finanziell ja ganzschön in der Patsche. Wie hat er es dann noch mit Fire machen können und ihn als Lehrling nehmen, wenn er ihm noch Taschengeld zahlen muss? - ... Mir ist auch noch eine Idee gekommen, (falls die Ausbrennung durch Fire echt sein wird,) das Taumator seine Arbeitskraft verkaufen muss und es vielleicht ein Schutz ist vor seinem Auftraggeber? Wenn der etwas verlangt was er nicht möchte, wobei das seinen Stundenlohn sicher sehr senken würde, falls der Gedanke hin kommt.

Ich freu mich schon, wenn Taumator auf Schloss Lotusblüte kommt und man dann noch mehr aus seiner Sicht erlebt.

ⓒⓘⓐⓞ, ⓙⓨⓞⓡⓘⓔ

Antwort von:  Purple_Moon
08.03.2017 20:36
Hallo! ^^
Ach ich lese deine Kommis immer gerne. :)

Ich hab zuerst was anderes geplant gehabt, fand das dann aber doch ganz cool, bei der Ausbrennung anzufangen, zumal man dann den Bogen ganz gut schafft. Ich weiß schon, wie die letzte Folge ungefähr sein wird. Das ist ja mal was ganz Neues. Sprich, es steht schon fest, ob es ne Ausbrennung gibt und wieso oder warum nicht.

Du verwechselst aber wahrscheinlich gerade Belial mit Lord Arae (Edeh), denn der ist es, der sich freut, wohingegen Belial das eher neutral sieht. Aus der Sicht des Zirkels ist es auch nicht direkt ein Fehlurteil, sie haben ja so geurteilt, wie es anhand der Sachlage sein musste. Aber alle wissen, dass etwas nicht stimmt, soviel steht fest.

Der Zettel hat noch seinen Sinn. Aber es dauert noch, bis ich das offenlegen kann...

Tjaaa, Thau kann sich eigentlich keinen Lehrling leisten, was wohl auch mit ein Grund ist, warum er keinen wollte. Andererseits muss er ihm nicht allzu viel zahlen, das liegt in seinem Ermessen. Speziell Fire kann er auch in Kräutern zum Rauchen bezahlen. XD Das wirst du ja dann irgendwann lesen können. Tatsache ist aber, dass er sich Soach irgendwie verpflichtet fühlt und sich daher um dessen Sohn kümmert, zudem würde er sich eher die Zunge abbeißen, als zuzugeben, dass er kein Geld übrig hat.

Die letzte Frage hab ich jetzt nicht verstanden mit dem Auftraggeber und so, aber ich schreib einfach mal ne Antwort - meistens ist ja das, was du wissen wolltest, dann auch dabei.^^ Angenommen, Thau wird ausgebrannt und kann nicht zahlen, dann hätte er das Problem, dass der Wert seiner Arbeitskraft viel geringer ausfällt, weil er ein Mann mit botanischen Kenntnissen ist, aber kein Magier mehr. Damit hat Phalae nicht mehr so viele Möglichkeiten, ihn zu vermitteln, er müsste dann länger dafür arbeiten. Also ja, er kann dann quasi nicht für denselben Stundenlohn arbeiten. Er ist dann allerdings nicht auf dem Stand eines Sklaven, sondern wie jemand, der für eine Zeitarbeitsfirma arbeitet. Also muss er nicht alles mit sich machen lassen.

Bevor Thau nach Lotusblüte kommt, reist er erstmal noch zu Cosmea, dann zum Kristallschloss... mal sehen, was der so erlebt in der Zeit. Ich werde mich wahrscheinlich auf diese Geschichte konzentrieren, bis beide etwa auf dem gleichen Stand sind, aber erstmal ist die eine Wettbewerbsstory noch dran. ^^

Leider dauert es derzeit etwas, naja.

Bis dann mal! Dankeschön!

LG
Anja
Antwort von:  jyorie
09.03.2017 07:28
Guten morgen,

danke für deine Antwort :D

ja, das hast du so in etwa richtig verstanden, stimmt die Frage ist unglücklich formuliert. Ich hatte überlegt, ob die Ereignisse sich so zugespitzt haben, das Taumator dieses Angebot mit der Leiharbeit annehmen muss und erfahren haben könnte, wer sein Auftraggeber ist. Aber bevor er das tut, was sein neuer Chef will, das er da lieber Fire so eine Abschlussprüfung machen läßt und dann leider nicht das ausführen kann, was sein künftiger Auftraggeber von ihm möchte ... irgendwie so was, weil es mir einfach immer noch nicht in den Kopf will, warum jemand so etwas macht, ggf noch aus Buse, oder als Entschädigung für Sorch.

Wobei, jetzt wenn ich eine Nacht drüber geschlafen habe, er ja auch bei dem Gespräch mit seiner Frau daran gedacht hat, das er noch alle seine 9 Opfer im Kopf hat. Vielleicht will er einfach keine neuen hinzu haben...

Viele Grüße
Jyorie
Antwort von:  Purple_Moon
09.03.2017 10:25
Sorry ich muss gerade lachen, denn der Grund steht in der Beschreibung der Geschichte XD Thau wird verflucht (kam bisher nicht im Plot vor) und sieht das als einzige Lösung, dem Fluch zu entgehen. Ich werde dann genau erklären, warum, weshalb, wieso.

Ah jetzt kapiere ich es. Das mit der Ausbrennung wird er Phalae beizeiten sagen müssen, weil es die Konditionen des Vertrages ändert. Sie muss ja dann ggf. alles neu berechnen. Aber keine Sorge... alles kommt ganz anders als gedacht, was das angeht. XD

Antwort von:  jyorie
09.03.2017 13:56
*blush* stand das schon von Anfang an als Klappentext da?!
*versteckt*

okay, das hatte ich nicht gelesen, sonst hätte ich mich wohl auch nicht beim ersten Kapitel so erschreckt, und die Mutmaßungen angestellt, ob es echt ist. Okay, dann ist es logisch, wenn er sein Kind schützen will. Hoffentlich lässt sich so der Fluch abwenden, solche Weissagungen kann man ja auf vielerlei anwenden oder auslegen. Danke für den Hinweis, dann ist zumindest das schon mal keine Frage mehr, ob die Ausbrennung echt ist.

Grüße; Jyorie
Antwort von:  Purple_Moon
09.03.2017 14:07
Nun, der Prolog spielt quasi in der Zukunft und man erfährt jetzt, wie es dazu kam. Im Prolog ist Fires Kind schon geboren. Fire hat von Thau ausbrennen gelernt und Thau hat die Absicht, seine eigene Magie vernichten zu lassen, damit Fire nichts passiert. Also echt ist das, ja. Es wird noch ein paar Kapis dauern, wie ich mich kenne, aber das Problem wird bald in der Story auftauchen.
Am Ende erfährt man dann, ob sie die Ausbrennung durchziehen müssen. Tipp: Sag dem Chaosmagier, was du brauchst, und er findet einen Weg ;)


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