Zum Inhalt der Seite

Fremde Welten: Das Buch von Incanta (#3 1/4)

Mutterliebe hat viele Gesichter
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Derzeit brauche ich ein bisschen lange für jedes neue Kapitel, weil ich ein kleines Kind habe, das sehr viel beschäftigt werden will, und einen Homejob. Hoffe ihr habt Geduld mit mir. ^^° Komplett anzeigen

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Böse Träume

Mein kleines Bauernhäuschen verfügte über ein Bad mit einer Wanne, in die man Wasser pumpen konnte. Praktischerweise hatte ich kein Problem mit dem Aufwärmen des Wassers, aber theoretisch konnte von außen unten drunter Feuer gemacht werden, um das Bad anzuheizen. Ob das Erwärmen von Wasser der Feuermagie zuzuordnen ist oder der Wassermagie, darüber streiten sich die Geister, aber mir reichte völlig, dass ich das gewünschte Ergebnis erzielte. Außerdem sparte ich Feuerholz. Mein Hirn rechnete ohne mein Zutun immer wieder durch, wie es mir möglich sein würde, meine Schulden abzuarbeiten, wenn die Ernte wie erwartet ausfiel, keine Drachen mehr mein Grundstück verwüsteten und auch sonst keine großen Anschaffungen nötig wurden. Nun gut, es handelte sich nur um eine Rate, und danach folge die nächste. Aber ich hatte im Gefühl, dass es bergauf ging, wenn wir das erst einmal schafften.

Es klopfte an der Tür, und herein kam unsere Haushälterin, Sana. Sie hatte keine Scheu, das Bad zu betreten, wenn ich in der Wanne war. Immerhin war ich in der Wanne und damit nicht vollständig sichtbar.

„Thaumator, Ihr habt ja gar keine Handtücher. Hier sind ein paar frische,“ sagte sie und legte einen Stapel seitlich auf ein Schränkchen. „Und legt mir Eure getragenen Kleider zum Waschen raus, es ist nicht gut, wenn ihr sie zu den frischen in den Schrank zurück zaubert. Aber was red ich, das sage ich Euch ja nicht zum ersten Mal. Ihr solltet Euch mal angewöhnen, Euch normal auszuziehen!“

„Mach ich doch... jedes zweite Mal oder so,“ verteidigte ich mich. Heute jedoch fühlte ich mich ziemlich erledigt und ersparte mir deswegen unnötige Bewegung, wie sie zum Wechseln der Kleidung erforderlich gewesen wäre.

Sana marschierte hinaus und schloss die Tür energisch hinter sich, was ich mit einem Lächeln quittierte. Sie arbeitete für uns, seit wir diese Stellung ausgeschrieben hatten, kurz nach der Geburt unseres zweiten Kindes. Wir konnten sie zur Zeit nicht bezahlen, aber sie blieb trotzdem, angeblich weil sie nicht wusste, wo sie hin sollte und weil sie uns schon als eigene Familie betrachtete. Dabei konnte sie mit einem Alter von Mitte vierzig – genau wusste ich es gar nicht, fiel mir auf – noch gut eine andere Position finden. Aber wenn man so lange irgendwo wohnte... nun, das konnte ich schon nachvollziehen, und wir rechneten es ihr hoch an, dass sie blieb und uns unterstützte.

Ich schnappte mir die Seife und beschäftigte mich eine Weile damit, mich zu waschen, als hätte ich auf dem Feld gearbeitet. Mir kam es vor, als klebte überall Schweiß an mir, was auch gut sein konnte. Die Tätigkeit lenkte mich davon ab, über die Ausbrennung nachzudenken, und ich ermunterte meine Gedanken erneut, sich mit unseren Finanzen zu befassen. Da klappte ganz gut. Allerdings verließ ich gleich im Anschluss das angenehme Wasser, um nicht darin einzunicken. Wirklich entspannt war ich zwar nicht, aber erschöpft.

Mein Schrank bot neben mehreren vornehmen Gewändern eines Zirkelmitglieds auch normale Arbeitskleidung und tatsächlich sogar bequeme Freizeitkombinationen. Eine davon zauberte ich mir herbei, ein ärmelloses, eigentlich zu großes Shirt und eine weite Hose. Beides zeigte die Farbe Staubbraun. Genau richtig, um diesen Tag ausklingen zu lassen, auch wenn ich mich so nicht vor anderen Zirkelmitgliedern sehen lassen würde. Allerdings waren meine Hausschuhe nicht Teil des Zaubers, daher musste ich sie suchen gehen.

Ich kam zunächst mal an der Küche vorbei, wo Rose mich bemerkte und herein winkte. „Thau! Komm essen, ich habe heute früh gerade Brot frisch gebacken. Und es ist auch noch Eintopf da. Du bist doch bestimmt sehr hungrig.“

Ausbrennen macht hungrig, da hatte sie Recht. Und vielleicht war es auch das, was sie sagen wollte, nur halt nicht aussprach. „Naja, ich hab vorhin Kuchen gegessen,“ murmelte ich.

„Den Süßkram hast du bestimmt schon verdaut,“ wandte meine Frau ein. Ihr Blick wanderte an mir auf und ab, wobei ein Lächeln auf ihrem Gesicht erschien. „So gefällst du mir irgendwie besser als in den förmlichen Sachen.“

Darauf hätte ich jetzt mit einer anzüglichen Bemerkung antworten können, aber nicht heute. Ich war nicht in der Stimmung, mich mit meiner Frau zu vergnügen, währen woanders jemand die Folgen meiner heutigen Tat verarbeitete. Dazu kam noch, dass auch Rose... nein, lieber nicht darüber nachdenken. Ich setzte mich einfach an den Tisch, nahm eine Schale Eintopf entgegen und dazu zwei Scheiben Brot. Das Essen tat mir wirklich gut und ich erwischte mich dabei, dass ich es geradezu verschlang.

Rose stellte mir noch einen Becher mit Wasser hin, setzte sich auf den Platz mir gegenüber und lächelte, während sie mir zusah. „Siehst du, wusste ich es doch. Du musst mehr auf dich achten.“

„Wenn ich nicht gerade unterwegs bin, esse ich doch regelmäßig!“ verteidigte ich mich, indem ich kurz pausierte und mir dann wieder Brot in den Mund stopfte.

„Du meinst, wenn du nicht gerade Leute ausbrennst,“ entgegnete Rose.

Ich atmete daraufhin versehentlich eine Brotkrume ein und erstickte fast, während ich heftig hustete, bis ich Tränen in den Augen hatte.

„Mir ist klar, dass du das Thema vermeiden willst, aber so ist es nun einmal. Du solltest es ruhig auch aussprechen, mich musst du jedenfalls nicht schonen,“ setzte meine Frau fest.

Ich seufzte, trank den Becher halb leer und aß etwas vorsichtiger weiter. Als der Teller kurz darauf leer war, gab Rose mir Nachschlag, den ich auch gerne annahm. „Ich verdiene dich gar nicht,“ murmelte ich.

Sie zuckte mit den Schultern. „Natürlich nicht, aber ich bin halt das, was du gekriegt hast.“

„Hey, so war das nicht gemeint! Sowas Gutes wie dich verdiene ich nicht!“ stellte ich klar.

Rose lachte, sie hatte mich natürlich nur geneckt. Seit Phalaes Besuch hatte auch sie ihre Kleidung zu etwas Bequemerem gewechselt und ihr rotes, etwas ergrautes Haar für die Küchenarbeit hochgebunden, allerdings sah die Frisur nicht so aus, als hätte sie sich damit viel Mühe gemacht, wodurch seitlich mehrere Strähnen heraushingen. Ich fand das süß. Ihr Lachen fand ich ebenfalls süß, und es war unbezahlbar, dass sie überhaupt noch lachen konnte. Ich selbst hatte dieses Lachen vor vielen Jahren beinahe ausgelöscht.

„Ich kann mir schon denken, was in deinem Kopf vorgeht,“ fuhr sie fort. „Cosmea hätte dich wirklich nicht darum bitten sollen. Jetzt wirst du tagelang grübeln und dir Sorgen machen. Sieh lieber zu, dass wir das Geld zusammenkratzen, um die nächste Rate zu bezahlen.“

„Du bist pragmatisch wie immer,“ kommentierte ich in einem vielleicht etwas zu trockenen Tonfall.

„Iss auf,“ befahl sie mir mit einem strengen Blick.

Ich aß meinen Eintopf auf.

Rose nahm das mit einem wohlwollenden Nicken zur Kenntnis. Da sie es ja nur gut mir mir meinte, sah ich auch keine Notwendigkeit, ihr zu widersprechen.

Eine weitere Frau, die es nur gut mit mir meinte, kam nun gerade in die Küche. Sana brachte mir meine Hausschuhe. „Thaumator, Ihr solltet nach dem Baden nicht barfuß herumlaufen, sonst erkältet Ihr Euch noch!“

„Ach was, dafür ist meine reguläre Körpertemperatur zu hoch,“ winkte ich ab.

Sie ließ die Latschen neben meinen Stuhl fallen. „Dann zieht sie an, damit ihr Euch nichts eintretet!“ befahl sie. „Ich erinnere nur an das letzte Mal, als Ihr in eine Scherbe getreten seid, einen Tag vor dem monatlichen Trainingsturnier des Zirkels!“

„Hey, ich hab doch gar nicht vorgehabt, sie nicht anzuziehen, Sana! Davon abgesehen hab ich bei besagtem Turnier immer noch den dritten Platz geschafft!“

Sie schnaubte indigniert, schnappte sich meinen leeren Teller und trug ihn zum Spülbecken, wo sie anfing, das Geschirr zu reinigen. So wie sie sich benahm, mochte man eine energische, mollige Matrone erwarten, doch Sana war geradezu dürr und dabei auch noch relativ klein, außerdem trug sie stets ungefärbte Stoffe, die keinerlei Aufmerksamkeit auf sich zogen, und versteckte ihr ehemals blondes Haar unter einer Haube. Sie konnte sich durch einen Raum bewegen und dabei kaum auffallen. Manchmal sprach sie mich an und ich zuckte zusammen, weil ich sie bis dahin nicht bemerkt hatte. Einzig ihre Augen zeigten eine auffällig intensive Farbe, nämlich das rötliche Braun von Lavanussholz. Also eine ganz ähnliche Farbe wie unsere Küchenmöbel. Seltsam, was einem manchmal so auffällt.

Ich schlüpfte in die Hausschuhe und bemerkte mal wieder, dass ich sie gelegentlich austauschen oder reparieren lassen musste. Aber sie waren so bequem, nachdem ich sie mehrere Jahre lang eingelatscht hatte, dass ich keine neuen wollte. Vielleicht konnte ja Basalt etwas ausrichten.

„Denkt bitte daran, Eure gebrauchten Sachen rauszulegen,“ erinnerte Sana mich, als ich aufstand.

„Am besten machst du das, bevor du irgendwas anderes anfängst,“ fügte Rose hinzu.

Ihrem Tonfall nach meinte sie es ein bisschen im Scherz, aber wir beide wussten, dass Sana sehr hartnäckig sein konnte, also begab ich mich nach oben ins Schlafzimmer. Selbiges war das geräumigste Zimmer im ganzen Obergeschoss, und Rose und ich besaßen jeweils einen eigenen, breiten Schrank.

Mein Schrank war mit einem Zauber versehen, der aus ihm ein Beschwörungslager machte. Alles, was sich darin befand, konnte ich herbeizaubern und wieder verschwinden lassen, und ich hatte viel Übung darin, so dass ich nie in die Verlegenheit kam, in beschädigter Kleidung herumlaufen zu müssen. Innerhalb des Zirkels hatte ich deswegen den Ruf, ziemlich eitel zu sein. Dabei traf eine gewisse Eitelkeit eigentlich auf uns alle zu, denn vieles drehte sich einzig und allein um die eigene Präsentation vor anderen. Schließlich würde mich niemand ernst nehmen, der mich so sah wie jetzt gerade.

Der Schrank hatte vier Türen, von denen die beiden mittleren sich nach verschiedenen Seiten öffnen ließen, um die Kleiderstangen mit meinen Sachen freizugeben. Ich hatte sogar Hosen auf Kleiderbügeln hängen, dann natürlich Hemden und Jacken sowie Magierroben. Die Kleiderbügel waren alle nummeriert, und auf jedem hingen stets dieselben Sachen und mussten nach dem Waschen wieder dorthin gehängt werden. Über der Kleiderstange befand sich noch ein Brett für Hüte. Davon hatte ich nur drei, daher blieb die Sache übersichtlich.

Hinter der rechten Tür verbargen sich ordentlich sortiert verschiedene Paar Schuhe und hinter der linken einige Kisten mit Kleinzeug, das ich ab und zu brauchte. Ach ja... mein Zauberstab lag immer auf dem Schrank. Einmal in der Woche musste ich ihn von da beschwören und ihn entstauben.

Das alles kann man vermutlich auch machen, indem man einfach alles aus einer unordentlichen Besenkammer beschwört, aber ich brauchte Ordnung für mein System. Generell zog ich es vor, wenn jedes Ding immer an seinem Platz lag, so fand man es leichter wieder.

Ich suchte die Kleidung heraus, die ich zur Ausbrennung getragen hatte, und fragte mich, ob ich diese Zusammenstellung wohl jemals wieder anziehen konnte, ohne daran erinnert zu werden. Wäre ich ein bisschen finanziell flüssiger gewesen, hätte ich das einfach alles eingeäschert und mich neu eingekleidet, aber wie die Dinge lagen, musste wenigstens die protzige Jacke noch eine Weile halten. Ich hängte diese Sachen und ein paar andere gebrauchte Teile samt Bügel an einen Haken an der Wand, damit Sana sie dort abholen und wieder hinhängen konnte. Sie hängte niemals etwas gleich in den Schrank, da waren Rose und ich nämlich sehr eigen. Meine Frau konnte zwar ihre Kleidung nicht beschwören, aber auch sie hatte eine strenge Sortierung, bei der ich mich aber nicht auskannte. Ich wusste nur, dass sie sehr wenige elegante Kleider besaß. Eigentlich hatte sie nur welche für den Fall, dass wir mal zu einer vornehmen Veranstaltung mussten, ansonsten bevorzugte sie Hosen. Selbige zog auch ich den Magierroben vor.

Während ich im Schlafzimmer beschäftigt war, erschien mir mein Bett sehr verlockend, aber dafür war es noch zu früh. Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wovon meine Träume handeln würden, wenn ich jetzt die Augen schloss. Andererseits gab es daran heute wahrscheinlich eh nichts zu rütteln.

Letzten Endes verließ ich den Raum noch einmal, um Sana Gelegenheit zu geben, meine Sachen abzuholen, und um Basalt zu finden und zu fragen, ob er meine Schuhe reparieren konnte.
 

Ich traf ihn um diese Tageszeit wie erwartet in seiner Bastelwerkstatt an, wo er an irgendeinem Projekt arbeitete. Für mich war immer schwer zu erkennen, was es einmal werden sollte, aber da wir die Ergebnisse manchmal sehr gut verkaufen konnten, unterstützte ich sein Hobby.

„Hey, Paps. Nichts anfassen und nicht zündeln,“ begrüßte mein Junge mich, ohne von seiner Werkbank aufzublicken, wo er gerade etwas in einen Schraubstock einspannte.

Ich lugte in ein Aquarium, in dem etwas, das wie Pergament aussah, in eine ominöse Flüssigkeit eingelegt war. Ein Deckel lag darauf, aber dennoch nahm ich einen beißenden Geruch wahr.

„Ich probiere, das Material mit Ammoniak zu bleichen,“ erläuterte Basalt, der gerade seine andere Tätigkeit beendete und sich schwarze Flecken von den Händen wischte.

„Mit Ammoniak?“ wiederholte ich. „Woher hast du den denn?“

Mein Sohn grinste. „Alles natürlichen Ursprungs.“

Ich warf noch eine Blick auf das Aquarium. „Oh...!“ Diese Information hatte ich jetzt nicht gebraucht. Naja.

„Wolltest du etwas Bestimmtes, Paps?“ hakte Basalt nach.

Ich zog einen Schuh aus und reichte ihn ihm. „Kannst du meine Hausschuhe flicken? Sie brauchen nur eine neue Naht, denke ich.“

„Ich bin doch kein Schuster!“ Doch er nahm den Schuh an sich und begutachtete ihn mit leuchtenden Augen. „Wow, das ist authentisch abgenutztes Leder! Bist du sicher, dass ich sie flicken soll? Neue sind nicht sooo teuer.“

„Sie sind bequem,“ argumentierte ich. „Jeder hat quasi schon meinen Fußabdruck in sich drin.“

„Und einen Haufen festgetretenen Dreck!“ meinte Basalt und deutete auf die glänzende Innensohle, die deutlich dunkler war als der Rest. Das galt freilich auch für die Unterseite.

„Ich kann sie auch wieder mitnehmen, und dann schmeiße ich sie weg, wenn sie auseinanderfallen!“ drohte ich. Der Gedanke, meine geliebten Latschen könnten in dem Aquarium mit der Ammoniaklösung landen, gefiel mir nicht so wirklich. Allerdings, fiel mir ein, war das wohl doch eher unwahrscheinlich, denn vielleicht wurde dadurch die authentische Abnutzung ruiniert.

„Leg sie da drüben hin,“ gab Basalt nach.

Ich folgte seinem Fingerzeig zu einem Tisch, wo schon andere Teile herumlagen, die er irgendwie noch gebrauchen konnte, darunter ein alter, mottenzerfressener Samtvorhang, ein beschädigter Seidenschal und verschiedene größere Lederstücke, von denen schon etwas abgeschnitten war. Hoffentlich waren meine Schuhe da gut aufgehoben.

Basalt indessen wandte sich wieder seiner Werkbank zu, wo er nun Papier nach einem System sortierte, das sich mir nicht erschloss. Vielleicht nach Abnutzung oder Vergilbung.

Ganz wie sein Name vermuten ließ, hatte mein Sohn das schwarze Haar von mir geerbt, jedoch nicht meine blassblaue Hautfarbe. Manche Leute meinen, dass das Blau darauf hindeutet, dass man etwas von einem Unterweltler oder einer Fee in sich hat und deshalb nicht so begabt als Magier ist. Ich erinnerte mich noch an einige unpassende Kommentare zu Basalts Geburt, mit denen ich dazu beglückwünscht wurde, dass wir nun einen fähigeren Magier in der Familie haben würden als Toyara, nur weil sie blauhäutig war und damals nicht einmal drei Jahre alt, so dass ich davon ausging, dass der Kommentar eigentlich mich treffen sollte. Nach einer darauf folgenden hitzigen Debatte hatte ein großer Teil von Roses Familie den Kontakt zu uns abgebrochen. Nicht dass es einen großen Unterschied machte. Mich mochten sie nicht und Rose hatte sich ihren Zorn zugezogen, weil sie sich mit mir abgab. Es war also nicht schade. Gelegentlich fragte ich mich allerdings, ob die Haare ihrer Cousine nach dieser Sache wohl wieder ordentlich nachgewachsen waren und ob mein Bundvater von unsrem Streit irgendwelche Narben behalten hatte.

Es ließ sich jedenfalls nicht leugnen, dass Basalt als Magier etwas taugte, und wir wunderten uns zwar, wie aus ihm ein Erdmagier werden konnte, aber diese Tatsache hatte sich schon mehrmals als Segen erwiesen. Ich hoffte ja, dass er später mal den Hof übernahm, aber ein leidenschaftlicher Giftpflanzenbauer war er eigentlich nicht. Die Arbeit stärkte seine Muskeln, doch abgesehen davon war er von eher durchschnittlicher Statur, was ich aber für gewöhnlich auch von mir behaupte. Ich sorgte mich ein bisschen, weil er mit fast zwanzig Jahren noch gar keine Frau in Aussicht hatte – und auch keinen Mann, soweit ich wusste. Andererseits... in dem Alter war bei mir auch noch nichts dergleichen gewesen. Im Moment versuchte er wohl noch, seine Bestimmung im Leben zu finden.

Ich dachte schon, er wäre ganz auf seine momentane Arbeit konzentriert, als er plötzlich fragte: „Sollen wir das Buch, das ich gemacht habe, eigentlich wirklich verkaufen?“

Ich hob erstaunt die Augenbrauen. „Wieso? Wolltest du es aus sentimentalen Gründen behalten, weil es dein erstes ist oder so?“

„Naja... es ist irgendwie das erste, für das ich mir solche Mühe gemacht habe.“

„Sonst mach noch eins und wir verkaufen dann das,“ schlug ich vor.

„Aber liegt das erste dann nicht unnütz rum? Außerdem war das Material teuer.“

Da hatte er natürlich Recht, aber es würde sich dennoch lohnen, wenn wir Material neu kauften. Ich sah das heute ein bisschen entspannter als gestern. „Hm... da findet sich bestimmt was. Zeigst du es mir mal?“

„Momentchen.“

Basalt sortierte sein Papier noch schnell fertig, dann ging er zu einem Regal, das mit allerhand Zeug gefüllt war, aber die obersten drei Fächer beinhalteten Bücher, welche sorgfältig in Tücher eingewickelt waren. Er nahm eins davon herunter, packte es aus und reichte es mir. Dann machte er eilig Platz auf einem Arbeitstisch am Fenster, schob einen Stuhl hin und breitete das Tuch dort aus. „Leg es hier hin, da kann nicht damit passieren.

Es handelte sich um ein mittelgroßes Format, etwa 20 cm breit und knapp 30 hoch sowie 2-3 cm dick. Der Ledereinband wirkte abgenutzt und zeigte Gebrauchsspuren, darunter Kratzer, Flecken von unbekannten Flüssigkeiten und angesengte Stellen. Auf der Rückseite schien mal eine Tasse mit irgendeinem Getränk gestanden zu haben, die einen halbmondförmigen Abdruck hinterlassen hatte. Mit anderen Worten, alles Hinweise, dass der oder die Vorbesitzer es nicht unbedingt besonders pfleglich behandelt hatten.

„Wirkt sehr authentisch,“ nickte ich amüsiert und schlug den Deckel auf. Die Handschrift erschien mir so, als hätte ich schon einmal ein Buch vom selben Autor gelesen oder zumindest die Schrift schon irgendwo mal gesehen, allerdings konnte ich sie nicht zuordnen.

„Könntest du es mal durchlesen und auf Fehler überprüfen? Du kennst es ja sehr gut, nicht wahr?“ bat Basalt mich.

Ich nickte. „Dabei könnte ich noch ein paar authentischen Gebrauchsspuren hinterlassen.“

„Untersteh dich,“ grinste mein Sohn. „Ich habe die vorhandenen alle sehr sorgfältig erschaffen.“

„Ich nehme es mit ins Schlafzimmer, wo ich keinen Tee trinken werde,“ versprach ich.

Damit war er einverstanden. „Behalt es aber nicht zu lange, in diesem Haus neigen Bücher und Werkzeuge ja gerne dazu, nicht wieder aufzutauchen, nachdem sie sich jemand ausgeliehen hat. Das wäre bei dem da etwas ungünstig. Und zieh dir was auf die Füße, sonst kriegst du Ärger mit Sana.“

„Ja mein Sohn,“ sagte ich im Tonfall eines braven Schülers.

Das Buch kam mir gerade recht. Etwas zu lesen vor dem Einschlafen, das nichts mit Ausbrennungen zu tun hatte – wenn auch mit Feuer. Etwas Bekanntes.

Doch noch war es nicht spät genug dafür, obwohl ich mich müde genug fühlte. Ich spazierte noch ein wenig durch meine Felder (nachdem ich ein Paar Sandalen herausgesucht hatte) und inspizierte den Bestand, rechnete den wahrscheinlichen Verdienst durch die Ernte aus.

Meine Vulkanischen Ratten, die ich als Hobby züchtete, bekamen auch einen Besuch von mir. Derzeit besaß ich vierzehn Exemplare, von denen ich acht als Paare hielt und ausprobierte, wie sich verschiedene Futtersteine auf die Bildung des Gesteins auf ihrem Körper auswirkten. Sie befanden sich derzeit im Lagerschuppen, weil es dort wesentlich wärmer war als im Haus zu dieser Jahreszeit. Diese Tiere hielten Temperaturen in Vulkanen aus, daher ja auch der Name, aber sie ließen sich auch als Haustiere halten, vor allem dann, wenn sie schon in Gefangenschaft geboren worden waren. Man musste jedoch darauf achten, dass ihre Umgebung nicht zu sehr auskühlte, deshalb waren ihre Käfige auch im Hochsommer mit reichlich Polstermaterial ausgestattet, in das sie sich in der Nacht verkrochen.

Vulkanische Ratten fressen üblicherweise keine landwirtschaftlichen Erzeugnisse, sondern diverse Gesteinsarten und bestenfalls hartes Brot, weswegen ich mir um meine Lagerbestände auch nie Sorgen machen musste. Falls mir mal eine weglief, fand ich sie leicht wieder, wenn ich ein bisschen mit Feuer spielte, bis sie von selbst zu mir kam.

Eine Weile beschäftigte ich mich damit, sie alle zu füttern, zu streicheln und auf meine Schulter klettern zu lassen. Sie mochten meine für einen Menschen relativ hohe Körpertemperatur. Ich begutachtete den Wuchs der Steinpanzerung und fand ein paar Teile, die abgefallen waren. Das kommt bei dieser Art regelmäßig vor. In dem Fall muss man zur Stelle sein, bevor sie das Material wieder auffressen können. In der Natur tun sie das nicht, aber in Gefangenschaft manchmal aus Langeweile oder wenn das Futter nicht schnell genug kommt. Wenn sie zu lange nicht gefüttert werden, kann es sogar vorkommen, dass sie die Steine am Körper eines Artgenossen anknabbern. Das zeugt dann aber schon von Vernachlässigung.

Bei uns war zum Glück meine Familie in der Lage, sich um die Ratten zu kümmern, wenn ich nicht anwesend war. In den letzten Tagen war ich ja immer Abends zu Hause gewesen, um das zu erledigen, aber die Tiere gaben sich heute sehr streichelbedürftig, weil ich mir dafür nicht viel Zeit genommen hatte.

Außer den Ratten besaßen wir noch ein paar Nutztiere, zum Beispiel Zwerg-Niwatoris für Eier, aber sie befanden sich auf dem Grundstück unseres Nachbarn Klepos, der auf meiner Gehaltsliste stand, weil er als Imker für uns arbeitete. Seine Bienen sammelten Honig an Pflanzen von uns, aber andere Tiere ließ ich lieber nicht in meine Felder, weil sie nicht nur die Ernte ruinieren, sondern sich auch selbst vergiften konnten. Ein Gartentürchen verband die beiden Grundstücke und wir konnten uns jederzeit Eier holen.

Leider gab es bei Klepos nicht die Option, ihn gar nicht zu bezahlen, obwohl er meine Situation vielleicht verstanden hätte. Aber er war ein geschwätziger Bursche und ich wollte nicht, dass in einer Woche das ganze Schattenreich davon wusste. Sana hingegen war eher verschwiegen und würde nie vor anderen über uns reden, jedenfalls nur Gutes, da vertraute ich ihr vollkommen.

Meine Hand kribbelte immer noch ein wenig von der Ausbrennung, allerdings konnte ich das Gefühl ausblenden, wenn ich anderweitig beschäftigt war. Insofern dachte ich darüber nach, ein bisschen mit dem Feuer zu üben, weil mich das immer entspannte, aber das kam mir dann doch unangemessen vor. Ich konnte doch nicht hier mit Magie um mich werfen, während ein anderer unter ihrem Verlusst litt.

Ich verbrachte statt dessen den frühen Abend auf der Bank unter einem Baum der Ewigkeit, der als einziger Baum auf meinem Gelände keinen alchemistischen Nutzen hatte. Jedenfalls kannte ich keinen. Bäume der Ewigkeit heißen so, weil sie ewig blühen, wenn das Klima es erlaubt, aber erst in hohem Alter Früchte tragen und Samen bilden. Sie werden gepflanzt, weil sie schön aussehen, und meistens in Gedenken an ein besonderes Ereignis oder eine geliebte Person. Ihre Blütenfarbe kann variieren, je nachdem, wie der Boden beschaffen ist.

Dieser blühte derzeit in einem kräftigen Orangerot. Die Blüten bildeten kleine Trauben, und ab und zu, wenn der Wind durch die Zweige blies, fielen ein paar herunter und tanzten davon. Heute half mir dieser Ort leider nicht, zur Ruhe zu kommen. Seufzend ging ich schließlich ins Haus zurück und beschloss, mir das Buch zu schnappen und im Bett etwas zu lesen, bevor ich einschlief. Ich hoffte, dass ich überhaupt schlafen konnte – einerseits wollte ich es nicht, aber ich wollte auch nicht total übernächtigt morgen bei Cosmea und Sage erscheinen. Das Problem waren die Träume.
 

Da mein Nachtgewand für gewöhnlich unter der Bettdecke lag, musste ich mir zumindest dieses normal anziehen, was Sana sicherlich befürwortete. Ich kroch mit dem Buch von Basalt auf meiner Seite des Bettes, der rechten, unter die Decke und las im Sitzen im Schein einer schwebenden Flamme. Vorteilhafterweise ging sie einfach aus, wenn ich einschlief.

Ich konzentrierte mich auf den Text des Buches. All die Formeln kannte ich besser als den Inhalt so mancher Jackentasche. Basalt hatte gut gearbeitet. Jedoch kam ich ziemlich langsam voran, denn meine Gedanken drifteten ab. Sie wollten die Geschehnisse des Tages verarbeiten, und während ich ihnen gestattet hatte, Phalaes Besuch noch einmal durchzugehen, wollte ich nicht, dass sie eine andere Richtung einschlugen und sich mit früheren Ereignissen des Tages beschäftigten.

Ich las den Zauberspruch auf der neuesten Seite bereits zum vierten Mal und hatte ihn noch immer nicht wirklich registriert. Vor meinem inneren Auge sah ich den Chaoshexer, der mit gefasster Mine die Vollstreckungskammer betrat und einen Moment zögerte, als müsse er den Anblick erst in sich aufnehmen. Kurz zuvor hatten einzelne Zirkelmitglieder noch gescherzt, dass er sich ganz schön Zeit ließ, mit der Wahrheit herauszurücken. Ich für meinen Teil fühlte mich wie vor einem Abgrund. Wenn ich es nun wirklich tun musste?

Es gelang mir nicht, meine Aufmerksamkeit wieder auf das Buch zu lenken. Die Erinnerungen drängten sich mit Macht in den Vordergrund, wie ich es schon seit Stunden befürchtet hatte. Ausbrennungen wirkten leider so auf mich, wobei ich mich fragte, ob es wohl jemanden gab, der sie einfach wegsteckte. Selbst bei Zuschauern musste das einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Ich dachte an Yubel mit seinem Klemmbrett, der sehr abgebrüht gewirkt hatte, aber vielleicht schauspielerte er einfach nur gut. Als er Sorc fragte, ob er noch etwas sagen wollte, rechneten wir eigentlich alle damit, dass der Chaosmagier spätestens dann seine Aussage noch einmal revidierte, um seinem Schicksal doch noch zu entgehen. Denn soweit wir wussten, hing er an seiner Magie.

Doch er schwieg, und somit waren Cosmea und ich an der Reihe. Sorc sah uns nicht an, als wir vor ihn traten, sondern richtete den Blick auf etwas hinter uns. Ich konnte sehen, dass er schnell atmete. Die Stirn lag in angestrengten Falten und der Kiefer war angespannt. Wir wechselten zum Aurenblick, um die Aura unseres Opfers abschätzen zu können, aber nur kurz. Das genügte auch. Er hatte eine sehr aggressive Aura, die zu überwinden nicht einfach erschien. Falls er keinen Widerstand leisten wollte, wäre ihm das wahrscheinlich nicht wirklich möglich gewesen.

Ich wollte anfangen, damit Cosmea es gut zu Ende bringen konnte. Als ich meine Hand auf Sorcs Brust legte, spürte ich Schweiß und ein heftig pochendes Herz – ähnlich wie meins. Vielleicht schwächte das meine Entschlossenheit, denn es gelang mir nicht, durch seine geistigen Schranken zu stoßen. Jedenfalls nicht beim ersten Versuch.

Ich warf einen Blick zur Tür hinter Sorc. Sie war vorhanden, alles wie im Original. Es gelang mir, die Sache abzubrechen und zur Tür zu gehen. Manchmal dauert es eine Weile, aber ich merke, wenn ich träume. Und ich weiß, wie ich davonkomme, ohne zu gruselige Erinnerungen zu sehen. Meistens.

„Das wagst du nicht, Junge!“ zischte Itrikaria mich an. Meine Mutter war an einen Baum gefesselt, weil ich mich beeilt hatte, etwas Passendes zu finden und den Bannkreis zu ziehen, bevor sie aufwachte.

„Du solltest froh sein, dass du es mir inzwischen richtig beigebracht hast, so überlebst du es vielleicht!“ entgegnete mein jüngeres Selbst gehässig. Schließlich hatte sie mir eine Zukunft mit der Frau, die ich liebte, verdorben. Außerdem war ich ein Mörder und Geächteter, alles dank ihr.

Ich verbrannte ihre Robe gerade so weit, dass ich Platz hatte, sie mit der Hand auf der Brust zu berühren, wie man es traditionell macht. Es war schwierig, in ihre Astralwelt vorzudringen, zumal ich unbewusst noch sehr viel Respekt vor ihr hatte.

Das Gesicht vor mir veränderte sich, als ich versuchte, der Szene zu entgehen. Eine Junge Frau mit Tränen in den Augen sah zu mir auf. „Aber ich habe euch nichts getan!“ jammerte sie.

„Das ist nichts Persönliches,“ versicherte meine Mutter ihr. „Doch deine Schwester soll aufhören, uns zu verfolgen. Das wird ihr eine Lehre sein. Thaumator, mach den Anfang!“

Im Nachhinein wusste ich, warum sie das gefordert hatte. Um das Ende unsauber zu belassen und zu bewirken, dass Orchidee an den Folgen starb.

„Wenn du das machst, wird Rose dir nie vergeben!“ kreischte Orchidee voller Angst. „Sie hat dich geliebt, aber sie wird dich garantiert nie wieder lieben, wenn du das machst! Hast du ihr nicht genug angetan?“

Sie hatte dunkelblondes Haar und ähnelte auch sonst ihrer Schwester nicht auffällig, obwohl sie Vollgeschwister waren. Ich ignorierte ihr Weinen und erhob meine Hand gegen sie, spürte die wachsamen Blicke meiner Mutter im Rücken, während ich ein paar Schritte rückwärts ging und den silbernen Blitz heraufbeschwor. Ich machte mich bereit, ihn zu benutzen, hielt dann inne und konzentrierte mich darauf zu erwachen, denn ich wollte nicht zur nächsten Szene wechseln. Denn wenn es chronologisch rückwärts weiterging, kam als nächstes...

„Thau, wach auf.“

Ich blinzelte. Ein Glück, meine Frau hatte mich geweckt.

Sie lächelte. „Schön. Ich möchte doch, dass du bei Bewusstsein bist, um die Schmerzen deines Todes zu genießen.“

„Äh... wie bitte?“ Ich konnte mich nicht bewegen, fiel mir auf, und Rose hielt seltsamerweise eine Fackel in der Hand, um mein Gesicht zu beleuchten.

Sie steckte die Fackel in eine Wandhalterung und machte sich an einem großen Behälter zu schaffen, der aus meinem Blickwinkel ein Fass sein konnte. Es roch nach Lampenöl, und der Grund wurde gleich offensichtlich: Rose holte breite Stoffstreifen hervor, die damit getränkt waren, und wickelte sie um mein rechtes Bein. Das Fußgelenk schien irgendwo festgekettet zu sein, denn der Rand eines metallenen Scharniers drückte in meine Haut, während sie arbeitete.

Oh nein... dies war nicht die umgekehrte chronologische Reihenfolge. Gut, es war in gewisser Hinsicht besser als die rückwärts chronologische Reihenfolge. Doch es fiel mir immer schwer, mich aus diesem speziellen Traum zu befreien, was vielleicht an den Fesseln lag, welche mein Unterbewusstsein als Schuldgefühle wahrnahm, verbunden mit dem Wunsch zu büßen.

„Rose, komm schon... ich dachte, wir hätten ausreichend darüber geredet...“

Sie arbeitete konzentriert weiter und sah mich nicht an. „Ein bisschen Gerede kann deine Taten nicht aus der Welt schaffen, Thau. Ich bin es meiner Schwester schuldig und auch mir selbst.“

Sie war rechts bis zum Knie gekommen und wiederholte den Vorgang beim linken Bein. Meine Hände waren seitlich neben mir angekettet und eine weitere Kette verlief über meine Brust. Es schien so etwas wie eine Opferstätte in einem Tempel zu sein, und ich lag auf dem Altar.

„Rose, bitte... ich habe nicht gelogen... ich wollte damals den Bund mit dir schließen... aber ich war so dumm, meiner Mutter mehr zu glauben als dir...“ Das alles hatten wir zuvor schon besprochen. Ich wusste zu jenem Zeitpunkt nicht, ob seither Stunden vergangen waren oder vielleicht ein Tag. Die Schmerzen der Verletzungen, die sie mir zuvor zugefügt hatte, und Hunger oder Durst wichen gänzlich der Panik im Angesicht eines jämmerlichen Flammentodes, der mich erwartete. Ich zerrte an meinen Fesseln, doch letztendlich gab ich es auf und ließ meinen Körper erschlaffen. Mein Schluchzen hallte von den weitläufigen Wänden wider. Dies war so ungefähr der armseligste Moment meines Lebens. „Ich will immer noch den Bund mit dir schließen, ehrlich.“

„Jaja, du sagtest das bereits,“ erinnerte sie mich. „Warum sollte ein Darklord wie du Interesse an einem Wrack wie mir haben?“ Offenbar glaubte sie mir nicht. Allerdings hörte sie vorerst auf, ölgetränkte Tücher auf meinem unbekleideten Körper zu verteilen.

Ohne ein finsteres Reich ist eigentlich auch der Sohn der Dunklen Feuerhexe Itrikaria kein Darklord, auch wenn ich rein vom Erbe her auf den Titel Anspruch erheben konnte. Nicht dass ich das wollte. Doch ich verzichtete darauf, das richtig zu stellen.

„Wenn du mir nicht glaubst, dann schließ jetzt mit mir den Bund,“ forderte ich sie heraus. „Es ist kein Risiko für dich, denn du kannst mich im Anschluss direkt töten.“ So konnte ich dann wenigstens als ihr Mann sterben.

„Man tötet den eigenen Bundpartner nicht.“ Sie wischte sich die Hände an einem sauberen Lappen ab und holte die Fackel zurück. „Doch ich kann etwas anderes tun. Ich schwöre, dass ich deine Frau werde, wenn du jetzt deinen Schwur aufsagst und es überlebst.“

Ich war so perplex, dass ich wertvolle Sekunden verstreichen ließ, in denen ich bereits einen halben Bundschwur hätte aufsagen können. Normalerweise denkt man lange darüber nach und arbeitet möglichst romantische Formulierungen aus, die man dann zu einer vorbestimmten Zeit an einem Ort der Glücksseligkeit vorträgt, am besten vor einigen Zeugen.

Ich hatte im Laufe meines Lebens zahlreiche Ideen für uns ausgearbeitet, doch in dieser Situation wollten mir nur Teile davon einfallen.

Rose näherte sich mit der Fackel. „Nun?“

Als mir endlich aufging, was sie plante, beeilte ich mich, irgendetwas hervorzubringen. „Ich, Thaumator, nehme dich, Rose, zu meiner Frau. Ich schwöre, dir treu zu sein und nie andere Frauen neben dir zu haben...“

Sie senkte die Fackel auf die ölgetränkten Tücher zu meinen Füßen, die zuerst etwas zögerlich Feuer fingen, doch bald kamen die Flammen auf den Geschmack. Mir blieben ein paar Sekunden, ehe sie zu meiner Haut durchdrangen.

„Ich will nur dir gehören und dich beschützen, ich werde einen Weg finden, um meine Magie mit dir zu teilen!“ Meine Stimme klang panisch, und ich schrie die Worte so schnell wie möglich heraus. „Jetzt und für immer gehört mein Leben dir; ich werde niemals wieder auch nur eine Unwahrheit zu dir sagen, niemals die Hand gegen dich erheben, niemals wird etwas wichtiger für mich sein als du...!“ Ich konnte das brennende Öl riechen und den Lichtschein sehen, noch ehe ich die Flammen spürte, und nutzte die Zeit verzweifelt aus. „Ich will mit dir alt werden, gute und schlechte Zeiten zusammen überstehen... gemeinsame Kinder großziehen... ein ehrliches Gewerbe finden und dir ein angenehmes Leben bieten...!“

Mir fiel weiter nichts ein, und darauf kam es auch nicht an, denn die Tücher standen jetzt in hellen Flammen, die auch meine Beine von den Knien abwärts verbrannten. Selbstredend konnte ich in dieser Situation keine Worte mehr formulieren.

Ich wollte aufwachen, aber ich konnte mich kaum konzentrieren. Dieser Traum kam immer wieder, und stets sehr realistisch. Auch dieses Mal. Schließlich wurde es schwarz um mich, und im nächsten Moment – oder Tage später – riss ich die Augen auf und sah Roses besorgtes Gesicht über mir. Sie hatte sich damals um mich gekümmert, abwechselnd mit Cosmea und Sage, denen sie mich im Anschluss an ihre Rache ausgeliefert hatte. Das hatte ich zuerst für eine Halluzination gehalten, ausgelöst durch den Einfluss von schmerzlindernden Drogen.

„Rose... wirst du meine Frau?“ hakte ich nach.

Sie lächelte. „Thau, du hast wieder von unserem Bundschluss geträumt, ja? Ich hab dich ja kaum wach gekriegt, du hast gewimmert und dich herumgewälzt.“

Stirnrunzelnd sah ich mich um. Auf dem Nachttisch brannte eine Kerze. Ich roch meinen eigenen Schweiß und fühlte mich völlig erledigt. Aber ich lag in meinem Bett zu Hause, Basalts Buch neben mir auf Roses noch unberührter Seite des Lakens. Wahrscheinlich hatte sie gerade erst schlafen gehen wollen.

Stöhnend wischte ich mir durchs Gesicht. „Allerdings... hätte wohl lieber bei Sorcs Ausbrennung bleiben sollen... oder bei der von meiner Mutter...“

Ich wollte ihrem Blick ausweichen, doch sie griff an mein Kinn und drehte meinen Kopf zurück zu sich. „Du musst dir selbst vergeben, Thau, sonst wirst du das immer wieder durchmachen.“ Zorn blitzte in ihren Augen auf. „Ich bin wirklich sauer auf Cosmea, wie konnte sie von dir verlangen, jemanden auszubrennen, wo sie doch weiß, wie sehr dich das belastet?“

„Vielleicht... weiß sie es nicht,“ nahm ich die ältere Magierin in Schutz. „Es ist ja nicht so, dass ich mit ihr regelmäßig über meine Alpträume rede. Und ich hätte ja auch ablehnen können...“

„Und dann hättest du dir Vorwürfe gemacht, wenn der andere es verpfuscht hätte,“ meinte Rose.

„Wahrscheinlich,“ seufzte ich. „Aber was, wenn ich es nun auch verpfuscht habe?“

„Cosmea war doch dabei, oder? Und ihr geht ja hin, um sicherzustellen, dass alles gut läuft. Jetzt solltest du schlafen, du musst morgen früh los.“ Meine Frau schlug meine Bettdecke zurück und fing an, meine Füße zu massieren.

Ich schloss die Augen und versuchte, mich zu entspannen. Meine Zehen hatten keine Nägel mehr, und die vernarbte Haut verfügte nicht mehr über alle Nervenenden, so dass sie leider die Berührung sanfter Hände nicht mehr so gut spürte. Die Heiler hatten mich damals ausreichend wieder hingekriegt, so dass mir daraus keine echte Behinderung entstanden war. Wenigstens machte Rose sich keine Vorwürfe, mich so entstellt zu haben. Darüber war ich froh, zumal ich ganz sicher weit davon entfernt war, mich zu beschweren. Wir ließen die Vergangenheit üblicherweise ruhen und erfreuten uns an der Gegenwart.

Die unter der Haut befindlichen Muskeln der Füße nahmen die Massage selbstredend gerne zur Kenntnis, und Rose nutzte ihr Wissen über Reflexzonen, um mich ein bisschen zu verwöhnen. Ich ließ meine Augen schwer werden und versuchte, an nichts zu denken, damit ich auch nichts träumte. Nach ein paar Minuten nahm ich vage einen süßlichen Duft wahr und erkannte, dass er von der Kerze kam. Während ich ihn einatmete, wurden meine Gedanken still, ich wollte für immer liegen bleiben und die Ruhe genießen. Hätte ich nicht gewusst, dass meine Frau dieses Mittel beruflich nutzte, hätte ich mir wohl Sorgen gemacht. So aber ließ ich es einfach geschehen und wartete auf den Morgen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (2)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  jyorie
2017-08-14T05:13:20+00:00 14.08.2017 07:13
Hey (❀◦‿◦)♫・*:.。. .。.:*・

ich mag die Vertrautheit von Tau und seiner Frau, das sie auch ohne Worte ziemlich genau abschätzen kann, wie es ihrem Gatten geht. ... Allerding bin ich mir nicht sicher, ob Cosmea davon weiß, wie es Tau nach den ausbrennungen geht, sicher hat sie ihre Gründe gehabt ihn zu bitten das bei Soarch zu tun. Vielleicht nicht zuletzt weil er gut und gewissenhaft ist und immerhin Crimson mit ihrem Opfer befreundet ist.

Der Tagesablauf von Tau und dessen Farm und Tiere und Sorgen hast du gut und interessant beschrieben. Den einen Satz, das Tau zur Entspannung Zaubern könnte aber es dann wegen seinem schlechten Gewissen nicht tut, weil er es könnte und ein anderer nicht mehr, fand ich auch toll. Das nimmt dem Charakter sehr viel härte, wenn er über so etwas nachdenkt und macht ihn sympathisch.

Der Traum, wie Tau und seine Frau „geheiratet“ haben war echt schrecklich aber auch irgendwie schön. Ich denke das da echt was dran sein kann, was sie meinte, das er sich solange weiter quält bis er sich endlich selbst verzeihen kann, klingt sehr logisch. (Ob es Sorach besser gehen würde, wenn er von all dem weiß? Ich denke das wird er leider nie erfahren)

CuCu Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
17.08.2017 18:17
Hallo!

Tut mir Leid ich antworte etwas spät. Die Zeit rennt mal wieder.

Also zunächst mal scheine ich ja das Verhältnis von Thaumator und Rose so rübergebracht zu haben, wie ich wollte.^^ Du kannst auch davon ausgehen, dass Rose diejenige ist, die ihn von allen Menschen am besten kennt, schließlich haben sie eine bewegte gemeinsame Vergangenheit.
Cosmea hingegen kennt Thau gut, und wir wissen ja aus der letzten Episode, dass er in ihr eine Mutterfigur sieht, aber sie stehen sich nicht wirklich so nahe, wie sie könnten, da diese Ansicht nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Wenn man Cosmea fragen würde, würde sie sagen, dass sie in ihm eher einen guten Freund sieht, seit sie und Sage ihm damals geholfen haben, als er verletzt war und später vom Zirkel vor Gericht gestellt wurde. Sie weiß allerdings, dass er ihr heute noch dankbar für ihren Beistand ist.

Ich hab schon befürchtet, dass Thaus Farm und das alles vielleicht irgendwann lanbgweilig sein könnte, aber ich beschreibe solche Sachen gerne, weil es eine Figur ja auch charakterisiert. Auch sollte man durchaus sehen, dass er nach der Ausbrennung nicht einfach zur Tagesordnung übergeht. Also Ziel erreicht, wenn er ein bisschen sympatisch wird, ohne dabei zu luschig zu wirken. Inzwischen freue ich mich schon darauf, zu beschreiben, was er denkt, während er sich zum ersten Mal auf Schloss Lotusblüte aufhält, wo ihn ja alle für einen harten und durchaus abgebrühten Kerl halten. XD

Thau macht sich immer noch Vorwürfe für jede einzelne Person, die er ausgebrannt hat, aber vor allem natürlich, weil Rose und ihre Schwester völlig unschuldig seine Opfer wurden. Solange sich das nicht ändert, träumt er auch noch von Roses Rache, da er diese gewissermaßen als gerechte Strafe betrachtet. Wenn Soach davon wüsste, würde ihm das nicht weiterhelfen, aber er würde den Mann vielleicht sympatischer finden. Es ist auch wahrscheinlich, dass er es tatsächlich nie erfährt, aber das wird sich zeigen. ;) Jedenfalls plane ich schon ein, dass die beiden sich etwas näher anfreunden, als man vielleicht erwarten könnte bei den gegebenen Umständen. Hehe.

Naja jetzt ist meine Antwort bald länger als dein Kommentar. XD Danke schön dafür und ich beeile mich mit der Fortsetzung...

LG

Antwort von:  jyorie
18.08.2017 06:27
" Inzwischen freue ich mich schon darauf, zu beschreiben, was er denkt, während er sich zum ersten Mal auf Schloss Lotusblüte aufhält, wo ihn ja alle für einen harten und durchaus abgebrühten Kerl halten. XD"

XD ... darauf bin ich auch schon sehr gespannt, wie er damit umgeht, weil er ja doch viel feinfühliger ist, als man vom äußeren Anschein dachte. Ich denke auch die Stelle mit dem kleinen Kampf mit Fire wird sehr spannend. Ich freu mich ebenfalls.

Wünsch dir ein angenehmes Wochenende.
LG Jyorie


Zurück