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Fremde Welten: Das Buch von Incanta (#3 1/4)

Mutterliebe hat viele Gesichter
von

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Der Preis der Lüge

Nach meinem Ausflug in die Gärten begab ich mich wieder in die Bibliothek. Dort traf ich zunächst Kuro an, der an einem Tisch in der Nähe des Eingangs saß. Er hatte einen weiteren Tisch herangezogen und auf beiden Bücher gestapelt, von denen die Hälfte aufgeschlagen herumlag, teilweise übereinander, auf Stühlen oder auf dem Boden. Er selbst benutzte ein eher großformatiges, aber dünnes Buch als Unterlage für seine Schreibarbeit. Für mich sah es so aus, als hätte er sich etwas zu viel aufgebürdet.

Obgleich ich ihn nicht stören wollte, näherte ich mich dem Schlossherrn und sprach ihn an: „Verzeihung. Ein junges Mädchen, das sich mir als Turmalinda vorgestellt hat, schenkte mir einen Samen von dem Baum auf dem Innenhof. Ist das in Ordnung?“

Kuro sah kurz auf, wobei sein Finger an einer Stelle in dem Buch verharrte, dass er gerade las. „Ja, sicher, wenn sie das sagt.“

Ich fragte mich, ob er mir richtig zugehört hatte, beließ es aber dabei. „Gibt es hier Bücher, in denen ich Informationen zu Bäumen der Ewigkeit finden kann?“

„Shiro hat eins in seinem privaten Besitz,“ antwortete Kuro, diesmal ohne aufzublicken. „Ich kann es Euch nicht geben, da er nicht da ist, aber Ihr könnt ihn fragen, wenn Ihr morgen weiterreist. Auf Schloss Lotusblüte werdet Ihr ihn ja treffen.“

„Hm... wisst Ihr vielleicht...“

„Tut mir Leid, ich bin beschäftigt.“

„Schon gut.“ Ich verzog mich lieber, schließlich sollte ich hier ja noch übernachten, so dass ich mir lieber nicht den Zorn eines Schlossherrn zuzog. Rasch ließ ich meinen Blick über seine gesammelten Bücher schweifen, und soweit ich die Buchrücken sehen konnte, schienen es Werke über fremde Länder zu sein. Einige der aufgeschlagenen Exemplare zeigten Landkarten oder Darstellungen von etwas, das ich für regionale Kleidung oder Speisen hielt.

Da ich von Cosmea und Sage wusste, dass ihr dunkler Sohn manchmal gerne auf Reisen ging, dachte ich mir nichts dabei, sondern machte mich auf die Suche nach den beiden. Das war gar nicht so einfach, denn die Bibliothek erstreckte sich über mehrere Etagen und Räume, was ziemlich beeindruckend war. Auch dieser Ort verfügte über eine schöne Fensterfront an einer Seite, doch von da aus blickte man auf die Gärten, nicht auf den großen Baum. Ich persönlich bewunderte die Arbeit des Glasers, der für jedes einzelne Fenster so klare Scheiben hinbekommen hatte. Sie waren in recht große Teilstücke aufgeteilt, auch das sah man selten. Komplizierte Bilddarstellungen aus verschiedenfarbigem Glas gab es häufiger und sie sahen viel schwieriger aus, aber soweit ich wusste, bestand eine wesentlich größere Herausforderung in der Herstellung von großen, ungebrochenen Flächen mit großer Klarheit.

Meine beiden Freunde fand ich schließlich zusammen an einem Tisch vor einem dieser Fenster. Im Gegensatz zu ihrem Sohn hatten sie nur wenige Bücher seitlich gestapelt und jeweils eines vor sich aufgeschlagen.

„Ah, Thau, bist du mit deiner Erkundung fertig?“ begrüßte mich Sage, als er mich bemerkte.

„Ich fand die Gärten sehr interessant und entdeckte einen wunderschönen Baum,“ nickte ich.

„Ah ja... der ist wirklich hübsch,“ stimmte der ältere Magier mir zu. „Vielleicht sollten wir für heute Schluss machen und uns mal unsere Zimmer zeigen lassen. Es gibt hier übrigens auch einen Badesee.“

„Danke, nicht für mich,“ murmelte ich. Sie wussten natürlich, dass ich Gruppenbäder üblicherweise mied.

Als sie ihre Bücher wegräumten, sah ich, dass sich meine Freunde mit Seelenmagie und diversen psychologischen Themen befasst hatten. Ich hob eine Augenbraue, zeigte, dass es mir aufgefallen war, fragte aber nicht nach. Wenn sie wollten, konnten sie mir ihre Gründe von selbst erklären, an einem Ort und zu einer Zeit, die ihnen sinnvoll erschien. Hier hatten vielleicht die Wände Ohren in Form von zwei Schlossgeistern, von denen sich noch keiner hatte blicken lassen, was mir aber auch ganz recht war.

Als wir Kuro baten, uns die Zimmer zu zeigen, sagte er nur, es sei das übliche und das gegenüber liegende. Diese Information schien seinen Eltern zu reichen, sicherlich übernachteten sie nicht zum ersten Mal hier.

Sie zeigten mir das besagte Zimmer, wofür wir durch einige Gänge spazierten, die mich ziemlich verwirrten. Mein einziges Gepäck war der Beutel mit meiner nicht mehr existenten Reiseverpflegung, während meine Begleiter Rucksack und Tasche abluden.

Ich sah mich in dem Zimmer um und stellte fest, dass es im Vergleich zu meinem Schlafzimmer zu Hause, das ich bereits groß fand, noch einmal viel beeindruckender war. Alle Möbel waren ein bisschen protzig mit Schnitzereien versehen und teilweise mit Intarsien verziert. Das überdachte Bett alleine hätte für meine ganze Familie gereicht. Ein großer Schrank und eine Sitzgruppe durften nicht fehlen, dann natürlich ein Arbeitstisch und eine kleine Kommode mit Papier und anderen Schreibutensilien, alles vom Feinsten. An einer Wand hing ein Spiegel in einem breiten Holzrahmen. Selbstredend versanken meine Füße in flauschigen, teuer aussehenden Teppichen, und an den insgesamt drei Fenstern hingen schwere, verdunkelnde Vorhänge und versprachen eine ungestörte Nachtruhe. Es gab auch an den Wänden mehrere Kerzenhalter, um später den Raum zu erhellen. Ein Leuchter mit fünf Kerzen konnte auf nächtliche Ausflüge mitgenommen werden.

Ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies alles zur Grundausstattung jedes Zimmers gehörte. Vielleicht war ich hier untergebracht, weil die Schlossherren mich als den Begleiter ihrer Eltern, denen zweifellos ein anständiges Zimmer gebührte, nicht schlechter behandeln wollten. Oder sie wollten einfach ein bisschen angeben.

Ich probierte die Sitzgelegenheiten aus und gönnte mir einige Minuten Ruhe. Tatsächlich war ich wohl etwas eingenickt, als Cosmea an der Tür klopfte, diese ein Stückchen öffnete und sich erkundigte, ob wir zum Abendessen gehen wollten. Da sagte ich gewiss nicht nein. Ein kleines Stimmchen meldete sich in meinem Hinterkopf und merkte an, dass ich nicht so den weltlichen Genüssen frönen sollte, während wir doch eigentlich unterwegs waren, um eine Ausbrennung zu überprüfen. Andererseits tat ich das ja auch nicht zum Vergnügen, insofern sprach wohl nichts dagegen, das beste daraus zu machen.

Das Abendessen bestand aus Brot, dass teilweise noch warm war, und verschiedenen Wurst- und Käsesorten. Außerdem gab es eine Suppe, von der ich erfuhr, dass es sich dabei um Reste des Mittagessens handelte. Insgesamt also eher einfach, aber dennoch üppig im Vergleich.

Zum Essen gab es eine helle Biersorte und alternativ Wasser oder Kräutertee. Ich hielt mich an das Bier. Allerdings verzichtete ich auf einen zweiten Humpen, da ich merkte, wie es mir in den Kopf stieg. Da stieg ich lieber auf Wasser um.

Recht zufrieden und leicht berauscht kam ich später wieder in meinem Zimmer an und stand vor einem unerwarteten Problem. Das Schloss bot keine Nachtgewänder für Gäste an, wie ich es von Zirkelmitgliedern gewohnt war. Dummerweise hatte ich auch keines im Gepäck. Ich überlegte, Cosmea und Sage danach zu fragen, beschloss dann aber, mir keine Blöße zu geben, falls eines der Schlossherzen seine Augen bei mir hatte. Ich wechselte meine Kleidung gegen eine meiner Freizeitzusammenstellungen, die auch zum Schlafen taugte, und beließ es einfach dabei.

Eins musste ich allerdings zugeben, während ich die edle Überdecke zurückschlug und unter die umfangreiche Bettdecke krabbelte. Ich hatte tatsächlich nach einer Weile nicht mehr bewusst bemerkt, dass mir kontinuierlich Energie abgezapft wurde.
 

Am nächsten Morgen wachte ich, wie es meiner Gewohnheit entsprach, sehr früh auf, als es gerade draußen hell zu werden begann. Das wertete ich als Zeichen, dass mein Körper sich gut erholt hatte. Die Beschwerden, die mich gestern noch geplagt hatten, waren nun auch deutlich geringer.

Statt dessen musste ich sofort daran denken, dass wir möglicherweise zu spät zu Sorc kamen, wenn wir zu lange trödelten, daher sah ich nach, ob meine Reisebegleiter noch schliefen. Zumindest Sage traf ich schon wach und angekleidet an, während Cosmea noch mit sich rang, ob sie die warmen Kissen verlassen sollte. Beide stimmten jedoch zu, schnellstmöglich aufzubrechen.

Zehn Minuten später waren wir reisefertig und auf dem Weg, wobei wir in der großen Halle mit den Tischen vorbei kamen, wo bereits das Frühstück vorbereitet wurde, da Magier ja generell früh aufstanden. Wir konnten jeder etwas Brot und Obst für die Reise ergattern und unsere Wasserschläuche nachfüllen lassen.

Plötzlich tauchte Kuro auf. Er sah aus, als hätte er sich in aller Eile etwas übergezogen und sich nur grob gekämmt.

„Hey, Mutter, Vater, wollt ihr schon abreisen? Ich dachte, ihr bleibt noch zum Frühstück!“

„Das geht schon, bei Crimson gibt es sicherlich auch etwas,“ meinte Cosmea.

„Aber er ist doch auf Besuch gar nicht vorbereitet,“ argumentierte der Schlossherr. „Und ihr müsst euch stärken, schließlich dauert die Reise fast zwei Stunden!“

„Vermutlich fast drei mit Burner, aber das geht schon,“ lachte Sage. „Gerade deshalb müssen wir aber auch los, Thaumators Drache ist nicht der Schnellste.“

„Ich kann Euch später einen leihen,“ bot Kuro an, wobei er sich mir zuwandte.

„Danke, aber Burner wäre sicherlich gekränkt.“ lehnte ich höflich ab. „Wir sollten nicht länger warten, denn wir müssen unsere Aufgabe wahrnehmen. Es ist wichtig.“

Kuro gab es auf, und wir konnten endlich aufbrechen.

Zu meiner Überraschung war Burner bereits startklar, genau wie der größere Drache meiner Freunde. Vielleicht hatte er sich an ihm ein Beispiel genommen, schließlich konnten Sage und Cosmea ja telepathisch ankündigen, wenn sie aufbrechen wollten.

„Wenn es auf Lotusblüte einen Notfall gäbe, hätten wir es sicherlich durch die Schlossherzen erfahren, denn Shiro ist ja dort. Dennoch sollten wir uns beeilen,“ sagte Sage. „Bist du sicher, dass du nicht mit uns fliegen willst?“

Ich kletterte bereits mit geübten Bewegungen auf meinen eigenen Drachen. „Ja, das ist schon in Ordnung. Lasst uns vielleicht eine kurze Pause einlegen, wenn euch die Zeit zu lang wird.“

„Mal sehen,“ nickte mein Zirkelkollege.

Wir brachen in ungefährer Richtung des heller werdenden Streifens am Horizont auf, und Burner schien sich richtig ins Zeug zu legen. Hin und wieder holte er den schwarzen Drachen vor uns fast ein, worauf dieser ein wenig schneller wurde. Burners Temperatur näherte sich den neunzig Grad. Ich konnte das ertragen, fand es aber doch schon recht warm.

„Überanstrenge dich nicht,“ riet ich meinem Kumpel, wobei ich mich über seinem Hals weit nach vorne beugte, um dicht an seinem Ohr sprechen zu können.

Burner stieß einen seltsamen Laut aus, worauf der Drache vor uns in den Sinkflug ging und landete, kurz darauf auch wir. Ich war etwas verwirrt. Doch Burner keuchte, wie mir kurz darauf auffiel, und er fiel auf den Bauch, um mich absteigen zu lassen. Das tat ich und ging zu seinem Kopf, um den Nasenrücken zu reiben.

„Ich hab dir doch gesagt, du sollst dich nicht überanstrengen. Wozu hast du dich so beeilt?“

Burner schubste mich in Richtung meiner Freunde und legte demonstrativ den Kopf auf seine Vorderfüße, als müsse er schlafen.

„Ich glaube, der hat schon ganz gut begriffen, wie es im Zirkel läuft,“ rief Cosmea mir zu. „Er hat beim Schloss einen würdevollen Abgang hingelegt, weiß aber, dass die Strecke zu weit für ihn ist, um sie in angemessener Zeit zu schaffen.“

Burner gab einen bestätigenden Laut von sich, den ich eigentlich aus anderen Zusammenhängen kannte – etwa, wenn ich ihm etwas zu fressen anbot. Ich seufzte gerührt.

„Du kommst aber nach, ja?“ beharrte ich und streichelte noch einmal über seinen glatten, gepanzerten Kopf. Auf jeden Fall würde er mich wohl irgendwie wiederfinden, schätzte ich.

Zögernd ging ich zu dem größeren Drachen und ließ mir von Sage hoch helfen, der hinter Cosmea saß. Nur sehr selten in meinem Leben hatte ich andere Drachen geritten als meinen. Meistens war Burners Tempo auch ganz in Ordnung. Wenn es jemand sehr eilig hatte, etwa in einem medizinischen Notfall, gab es noch Roses Drachen.

Wir waren bisher kaum zehn Minuten unterwegs gewesen. Der Rest der Reise verlief sehr viel schneller als der Anfang, und ich schloss heimlich die Augen, während ich mich an Sage festhielt und mich bemühte, nicht zu verkrampft zu wirken. Luftkrank würde ich mich nicht nennen, aber ich war es halt nicht gewohnt, in dieser Geschwindigkeit zu reisen.

Wir landeten etwas außerhalb des Gebietes von Schloss Lotusblüte, so dass wir uns noch etwas die Beine vertreten konnten. Ich für meinen Teil hoffte auf einen kleinen Imbiss, da ich es nicht gewagt hatte, unterwegs meinen Proviant anzurühren. Allerdings wusste ich auch, dass wir vermutlich nicht gerade willkommen sein würden. Ich wechselte magisch meine Jacke und fügte noch einen passenden Hut hinzu. Es war die weinrote Kombi mit den Goldrändern.

„Na, das wäre aber nicht nötig gewesen, Thau,“ lächelte Cosmea. „Du immer mit deiner Eitelkeit.“

„Du kannst darauf verzichten, du bist seine Großmutter, ich aber bin nur der böse Magier vom Zirkel,“ erwiderte ich, nahm eine gerade Haltung an und setzte ein strenges, sachliches Gesicht auf.

„Das Schloss hat ebenfalls ein Schlossherz, also sei darauf gefasst, dass dir wieder Energie abgezogen wird,“ bemerkte Sage. „Darüber hinaus ist es ein beseeltes Schloss, seit Sorc seine Seele damit verbunden hat.“

„Ja, ich kenne die Berichte,“ nickte ich. „Aber wird die Ausbrennung dann Folgen für das Schloss haben?“

Sage strich sich nachdenklich den Bart glatt. „Davon gehe ich mal aus.“

Keine allzu schönen Aussichten, wenn das Schloss selbst uns nicht willkommen hieß.

„Habt ihr deswegen Bücher über Seelenmagie gewälzt?“ erkundigte ich mich.

„Tja, es hätte ja irgendwo Informationen geben können,“ entgegnete Cosmea. „Aber so einen Fall gab es natürlich noch nie, also auch keine Aufzeichnungen dazu. Leider konnten wir auch nichts finden, das annähernd so ähnlich beschrieben wurde. Schade, ich hätte Crimson gerne damit geholfen.“

Möglicherweise machte meine alte Freundin sich auch ihre Gedanken und kompensierte das auf diese Art.

Wir waren noch recht früh dran, auch wenn wir bereits den einen oder anderen Magier sahen, der in der Umgebung Lauftraining absolvierte. Da wir uns von der Landseite näherten, ergab sich vorerst kein Blick aufs Meer.

Als wir bereits das Haupttor sehen konnten, schienen wir eine Grenze zu überschreiten, denn plötzlich fühlte ich mich von feindlichen Augen beobachtet, und ich bemerkte auch den Energieverlust. Es wurde schlimmer, als wir weiter gingen, so als ob die Reichweite des Gegners dann besser wurde. Ich versuchte, mich dem Schlossherz zu öffnen wie beim Kristallschloss, was offenbar auch ganz gut klappte... nach einer Weile blieb der Pegel gleich. Jedoch fand ich, dass ich hier mehr Energie einbüßte. Ob das daran lag, dass hier nicht so viele Leute wohnten und daher jedem Einzelnen mehr abverlangt wurde, oder ob es vielleicht reine Bosheit war oder vielleicht auch nur Einbildung meinerseits, konnte ich nicht beurteilen.

Nun ja, ein Gutes hatte die Sache – es fiel mir umso leichter, den strengen Zirkelmagier rauszukehren.

Das Haupttor war geschlossen, als wir uns dem Gebäude selbst näherten, dafür ging daneben eine Tür in normaler Größe auf, wo uns der Schlossherr Crimson empfing. Er trat einen knappen Meter nach draußen, und mehr war auch kaum nötig, denn wir waren nahe genug.

„Großmutter, Großvater! Wie nett, dass ihr mich besucht. Und Ihr seid... Thaumator, nehme ich an.“

Ich neigte zum Gruß den Kopf, als er sich mir zuwandte. „Freut mich, Euch kennen zu lernen, Direktor Crimson. Wir wurden uns ja leider noch nicht vorgestellt.“

Jedenfalls nicht persönlich, obwohl wir uns natürlich vom Sehen kannten, konnte man sagen. Crimson musterte mich kurz und schien nach Worten zu suchen, während er sich ein Bild von mir machte, das vermutlich nicht gut ausfiel.

Zuletzt wandte er sich an seine Großeltern. „Habt ihr schon gefrühstückt?“

„Nein, wir sind vor dem Frühstück abgereist, obwohl Kuro uns angeboten hat zu bleiben,“ entgegnete Sage. „Aber wir würden uns gerne mit dir unterhalten, und was eignet sich besser dafür als ein Essen?“

„Ja... gehen wir doch in mein Büro,“ schlug Crimson vor.

Einige Sekunden verstrichen, ohne dass er sich vom Fleck bewegte.

„Willst du nicht vor gehen?“ forderte Cosmea ihn schließlich auf.

Crimson schien jetzt auch zu merken, dass er den Eingang blockierte. „Ja... sicher.“ Er drehte sich um und ermöglichte es uns damit, die Schwelle zu überschreiten.

Als wir drei eintraten, fühlte ich mich noch mehr wie auf Feindesland – wie auf einem Gelände, wo ich nur geduldet wurde, aber keineswegs willkommen war. Ein Schimmern huschte über den Boden, wo für einen kurzen Moment mir unbekannte Symbole in verschiedenen Farben aufleuchteten, möglicherweise eine geheime Schrift. Ich sah mich instinktiv um und entdeckte den Effekt vereinzelt auch weiter oben an den Wänden. Fast erwartete ich, dass sich eine Falle aktivierte, doch vermutlich war es nichts dergleichen. Es mochte an dem nachträglich beseelten Zustand liegen. Schließlich musste Sorc seine Seele ja irgendwie an das Schloss gebunden haben, da lag ein Bann der Seelenmagie nahe. Ich hielt mich ja für nicht allzu sensibel im Bezug auf solche Dinge, aber selbst ich wurde von einer gewissen Unruhe ergriffen.

„Dies ist wirklich ein interessantes Schloss,“ befand ich in einem möglichst neutralen Tonfall. „Eines, das anscheinend seine Gefühle nicht unter Kontrolle hat. Stimmt es, dass es nachträglich beseelt wurde... mit der Seele des Rehabilitanden?“ Eigentlich wusste ich das ja, aber nur aus Erzählungen und Berichten meiner Kollegen, daher wollte ich es gerne aus erster Hand hören.

„Ja, das ist korrekt,“ gab Crimson Auskunft, erörterte das Thema aber nicht weiter. Er führte uns zu seinem Büro, wo Shiro zu uns stieß.

„Hallo, Eltern. Seid gegrüßt, Thaumator,“ sagte er. „Ich dachte, ihr kommt später.“

„Man könnte glatt an eine Verschwörung glauben,“ merkte Sage an.

„Da hast du Recht,“ gab Shiro unumwunden zu.

Ich hob eine Augenbraue in seine Richtung, fragte aber ansonsten nicht nach. Offenbar hatte man bewusst versucht, uns hinzuhalten. Das passte ja zu Kuros Verhalten von heute früh. Nur verstand ich nicht, was das sollte. Wusste denn hier niemand, wie wichtig es war, dass wir kamen? Shiro schien ja eine gewisse Ahnung zu haben, als wir gestern mit ihm sprachen, aber auf jeden Fall gab es ja noch Vindictus. Der musste zumindest merken, wenn sich Sorcs Zustand verschlechterte.

Der Schlossherr öffnete die Tür seines Büros. Sie klemmte offenbar, denn er musste sich mit Kraft dagegen stemmen und ließ sie dann offen. Ich konnte aber beim Eintreten keine Langzeitspuren auf dem Boden oder am Holz entdecken, daher musste das wohl eine jüngere Entwicklung sein – zumal ja auch niemand so etwas unrepariert lassen würde.

Crimson überließ uns höflich die Polstermöbel in der Sitzecke und holte für seinen Vater und sich selbst einen Stuhl vom Schreibtisch. Die Zusammenstellung seiner Möbel und deren Farbgebung fand ich... nun... interessant. Wie vorläufig zusammengewürfelt und dann nie durch etwas Passenderes ersetzt.

Eine Bedienstete kam kurz darauf mit einem großen Tablett, auf dem sich außer Geschirr und Besteck aber nur eine Schüssel mit warmem Getreidebrei und eine Kanne Tee befanden. „Es tut mir Leid, wir haben nicht mit Besuch gerechnet,“ sagte sie mit einem verlegenen Lächeln.

„Das macht doch nichts, ich esse morgens eh nicht viel,“ meinte Shiro und nahm ihr freundlich das Tablett ab. „Wenn der Brei gut ist, gibt es doch nichts einzuwenden.“

„Was ist das für ein Tee?“ erkundigte Cosmea sich naserümpfend.

„Strandlotus,“ klärte Crimson sie auf. „Eine Spezialität des Lotusschlosses.“ Crimson nahm eine Schluck. „Etwas heiß ist er noch.“

Er verzog keine Mine, dabei wusste ich, dass das Zeug widerlich schmeckte, seit Basalt es als Medizin gegen Schattenfieber erhalten hatte. Das wuchs hier also? Ich hätte gerne danach gefragt, aber das gehörte jetzt nicht zum Thema. Schade.

„Der Honig zum Süßen ist leider alle,“ lächelte das Dienstmädchen, scheinbar peinlich berührt. „Wir haben vergessen, welchen anzufordern.“

Das erschien mir wenig glaubwürdig, allerdings konnte ich mich nach wenigen Minuten kaum noch daran erinnern, wie das Mädchen ausgesehen hatte. Seltsam. Ich ließ den Gedanken dann aber sogleich fallen und aß meinen Getreidebrei. Zweifellos wäre das Frühstück im Kristallschloss üppiger und leckerer ausgefallen, aber ich hatte Hunger. Außerdem aß ich oft Getreidebrei zum Frühstück und hatte im Grundsatz kein Problem damit.

„Gibt es eigentlich einen bestimmten Grund für euren Besuch?“ erkundigte Crimson sich bei seinen Großeltern. „Und dafür, dass ihr einen Zirkelmagier mitbringt?“

„Stell dich nicht dumm, Junge“ mahnte Cosmea. „Du weißt, dass Thaumator nicht irgendein Magier ist. Wir wollen sicherstellen, dass es mit dem Rehabilitanden Sorc keine Komplikationen gibt. Manchmal können gesundheitliche Schäden auftreten, und das wollen wir ja nicht.“

„Ich werde meinen Heiler herbitten. Er wird euch über Sorcs beziehungsweise Soachs Gesundheitszustand Auskunft geben können,“ wiegelte Crimson ihre Worte ab. Vielleicht war ihm der Ernst der Lage nicht klar.

„Wir werden uns lieber persönlich davon überzeugen,“ teilte ich ihm daher mit.

„Das werdet Ihr nicht,“ widersprach Crimson. „Vindictus ist wahrscheinlich schon unterwegs, da ihn mein Schlossherz inzwischen wohl verständigt hat.“

Na fein, dann warteten wir eben auf Vindictus. Ich wollte an dieser Stelle auch unnötigen Streit vermeiden, und es schien Cosmea und Sage ebenso zu gehen, denn keiner von uns sagte etwas. Doch ich fragte mich ernsthaft, ob der Schlossherr vielleicht unterschätzte, in welcher Lage sich Sorc befand. Er goss sich Tee nach und gab sich völlig unbekümmert. An dieser Stelle überlegte ich, dass er uns womöglich nur etwas vorspielte, obgleich ich mir nicht denken konnte, wieso. Wollte er uns absichtlich davon abhalten, unsere Pflicht zu tun?

„Direktor Crimson... sicher wollt Ihr mit uns zusammenarbeiten, schließlich hat bis jetzt alles gut geklappt,“ versuchte ich es noch einmal.

Cosmea war etwas energischer. „Stell dich nicht so an, wir wollen ihn doch nur kurz besuchen und überprüfen, ob alles in Ordnung ist!“

„Dafür wird das Wort meines Heilers wohl reichen,“ beharrte Crimson hartnäckig.

„Crimson, also wirklich!“ Cosmea sprang von ihrem Sessel auf.

Irgendwie beschlich mich der Verdacht, dass meine alte Freundin es nicht gewohnt war, von Ihrem Enkel so die Stirn geboten zu bekommen. Er ließ sich jedenfalls durch ihr Verhalten in keiner Weise einschüchtern, sondern stand ebenfalls auf und machte erneut seinen Standpunkt klar: „Setz dich, Großmutter. Rede mit meinem Heiler.“

Sage und ich tauschten einen kurzen Blick aus und kamen darin überein, uns einfach mal nicht einzumischen. Ich nahm mir noch etwas Getreidebrei nach.

Nach scheinbar endlosen Minuten lenkte Cosmea ein. „Na schön. Ich rede mit dem Mann, aber wenn mir seine Aussage nicht ausreicht, werde ich persönlich den Gesundheitszustand des Rehabilitanden überprüfen.“

„Einverstanden,“ kam Crimson ihr entgegen.

Die beiden setzten sich wieder, und damit ließ die Spannung im Raum spürbar nach. Ehe wir in die Verlegenheit kamen, ein Gesprächsthema suchen zu müssen, um die Stille zu überbrücken, kam dann auch tatsächlich Vindictus dazu. Er quetschte sich durch den Türspalt der noch immer festklemmenden Tür. Dann zupfte er kurz seine Kleidung glatt und baute sich zwischen Crimson und Shiro auf.

„Seid gegrüßt, ich bin Vindictus, Heiler in diesem Schloss. Das Schlossherz teilte mir mit, dass meine fachkundige Meinung hier benötigt wird.“

„Hallo, Vindictus,“ lächelte Sage in seine Richtung. „Das sind meine Frau Cosmea und mein Kollege vom Zirkel, Thaumator.“

„Huch, woher kennt ihr euch denn?“ entfuhr es Crimson, der sichtlich von dieser Entwicklung überrascht war.

„Vindictus war ein junger Referendar an der Akademie, als ich dort die vierte Klasse besuchte,“ gab Sage Auskunft.

„Jaja, der junge Sage,“ grinste Vindictus verschmitzt. „Damals hast du noch eine anderen Namen verwendet.“

„Reden wir nicht davon,“ winkte Sage ab und lachte kurz nervös. „Wir sind ja eigentlich wegen Sorc hier. Cosmea und Thaumator wollten überprüfen, ob die Ausbrennung vollständig war.“

„Der Mann nennt sich jetzt Soach, da er seinen früheren Namen abgelegt hat – zumal das auch sein Hexername war.“

Wir nahmen die Information mit einem Nicken zur Kenntnis, während der Heiler fortfuhr.

„Es ging Soach in der Tat sehr schlecht, jedoch bereits gestern. Sein Körper schien die Lebenskraft aufzubrauchen in dem Versuch, neues Meras herzustellen. Das hat mich bei ihm eigentlich auch nicht gewundert, er... war mit Leib und Seele Magier.“

Ich war entsetzt über diese Information, denn sie bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen. Doch es war ungewöhnlich, dass diese Probleme so früh auftraten. Deshalb waren wir ja auch heute erst hier und fanden das noch eher früh. Eigentlich hätten wir einen ausgebrannten Magier erst am dritten Tag besucht, doch bei Soach hatten wir ja gleich den Verdacht, dass es eilig war.

Vindictus atmete einmal tief durch. „Ich hatte eigentlich gehofft, dass er sich auf wundersame Weise erholt, weil ich es von allen mir bekannten Personen ihm zugetraut hätte, solch ein Wunder zustande zu bringen. Es wäre eine interessante wissenschaftliche Thematik gewesen. Doch das geschah selbstredend nicht. Dennoch ist jetzt alles wieder in Ordnung mit ihm. Ich kann ebenfalls Magie ausbrennen und habe in meiner Eigenschaft als Schlossheiler bereits sichergestellt, dass Soach keinen gesundheitlichen Schaden zurückbehalten wird. Jedoch habe ich zur Vorsicht verfügt, dass er sich ausruht und mindestens drei Tage zur Beobachtung auf der Krankenstation bleibt.“

Dass Vindictus auch ausbrennen konnte, hatte ich nicht gewusst, doch es beruhigte mich insofern, als dass er dann wohl gewusst hatte, was zu tun war. Im Prinzip gab es an seinen Ausführungen nichts auszusetzen, doch ich hätte mich dennoch gerne selber davon überzeugt.

„Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir aus irgendeinem Grund von dem Rehabilitanden ferngehalten werden sollen,“ sagte ich ganz offen.

Vindictus lächelte erhaben. „Natürlich. Unser Direktor hier möchte seinem Freund die Begegnung mit Euch ersparen, schließlich... war das letzte Mal nicht gerade angenehm.“

Cosmea schüttelte seufzend den Kopf. „Warum sagst du das denn nicht gleich, Junge?“

„Ich dachte, dass meine persönlichen Beweggründe für den Zirkel des Bösen nicht relevant sind,“ murmelte Crimson schulterzuckend. „Deshalb wollte ich mich lieber anders durchsetzen.“

„Nun... das ist lobenswert. Ich darf dir verraten, dass ich mich freiwillig für die Ausbrennung gemeldet habe, weil ich wusste, dass es um einen Freund von dir geht. Natürlich konnte ich ihm nicht ersparen, was geschehen musste, aber ich wollte irgendetwas für dich tun...“

„Sentimentaler Quatsch, wenn du mich fragst,“ wandte ich ein. Das war nicht wirklich meine Meinung, aber ich wollte meine Freundin gerne in einem besseren Licht dastehen lassen, weil sie vorhin so mit ihrem Enkel aneinander geraten war. „Cosmea, wir müssen irgendetwas in unseren Bericht schreiben, damit die Akten in Ordnung sind. Sollen wir sagen, dass wir unsere Pflicht nicht getan haben, weil ein Heiler uns gesagt hat, dass er sich schon darum gekümmert hat?“

„Warum nicht?“ erwiderte sie. „Vindictus ist vielen Magiern bekannt. Seine Meinung wird anerkannt werden.“

Ich überlegte, noch einen drauf zu setzen, doch es reichte dann wohl auch. „Wie du meinst, Cosmea.“

„Ich freue mich, dass wir uns einigen konnten,“ lächelte Crimson in die Runde. „Noch Tee?“

Das lehnten wir alle höflich ab, und meine beiden Begleiter und ich verabschiedeten uns dann auch. „Wir müssen dem Zirkel schnellstmöglich Bericht erstatten,“ sagte Cosmea. „Heute oder morgen wird wohl auch darüber beraten werden, wo wir den Rehabilitanden hinschicken. Ich hörte, dass du ihn behalten willst.“

„Ja doch,“ bestätigte Crimson. „Kannst du dich ein wenig für mich einsetzen?“

„Ich werde sehen, was ich tun kann,“ versprach seine Großmutter.

Crimson begleitete uns zur Tür, als wolle er sichergehen, dass wir gingen. Auch Shiro kam mit, um seine Eltern zu verabschieden. Er umarmte beide und lud sie ein, ihn bald wieder zu besuchen. Mir fiel noch ein, dass ich ihn nach dem Buch fragen konnte, das Kuro erwähnt hatte, doch das erschien mir im Moment unpassend.

Wir traten den Rückweg an und schwiegen, bis wir die Grenze des Bereiches, auf den das Schlossherz Einfluss nehmen konnte, erreicht hatten. Das war deutlich zu bemerken, ein Gefühl, als wenn Druck in der Luft nachlässt und eine innere Unruhe weicht. Ich atmete erleichtert auf.

Cosmea lachte plötzlich. „Also Thau, du wolltest wirklich, dass sie dich nicht leiden können, was?“

„Najaaa... ich wollte von dir ablenken,“ grinste ich. „Hoffentlich ist wirklich alles in Ordnung. Aber wenn sie das alle so fest behaupten, ist es nicht mehr unsere Verantwortung.“

„Da hast du Recht. Denk einfach nicht weiter drüber nach.“

„Was haltet ihr davon, wenn wir im nächsten Dorf ein Gasthaus aufsuchen, ehe wir abreisen,“ schlug Sage plötzlich vor. „Dieser Getreidebrei war ja wohl nicht ernst gemeint.“

„Ich habe bei unserer Ankunft eins recht nahe beim Schloss gesehen, aber wir müssten umkehren, um es zu erreichen. Dort drüben müsste noch eines sein, das jetzt eher auf dem Weg liegt.“ Cosmea zeigte in die Richtung.

Wir spazierten in gemächlichen Schritten dorthin und fanden bald einen Trampelpfad, dem wir folgen konnten. Hier gab es auch mehr Bäume als in unmittelbarer Nähe zum Schloss. In der Ferne war ein Wald sichtbar.

„Gehört das hier noch zum Hoheitsgebiet von Schloss Lotusblüte?“ erkundigte ich mich.

„Denke schon,“ meinte Sage.

Wir erreichten das besagte Dorf nach einem guten Fußmarsch, den ich entspannend fand, und betraten es auch ohne zu zögern. Es war ein ganz normaler Ort mit Bauern, die Vieh hielten oder etwas anbauten. Mir fiel eine Obstplantage auf und einige Felder und Weiden in der Umgebung.

Was mir noch auffiel, waren die feindseligen Blicke der Leute. Niemand griff uns direkt an, aber manchmal wurden Fensterläden oder Türen zugeknallt, kurz nachdem ich dort ein grimmiges Gesicht erspäht hatte. Obwohl wir Personen grüßten, an denen wir vorbei kamen, starrten sie uns alle einfach nur an, ohne die Höflichkeit zu erwidern. Ich hätte mich vielleicht zu einer abfälligen Bemerkung über Bauern hinreißen lassen, wenn ich mich nicht selber zu ihnen gezählt hätte. Gastfreundlichkeit sah jedenfalls anders aus, und ich fragte mich ernsthaft, ob ich hier Geld für Essen lassen wollte.

„Ich habe noch von dem Proviant aus dem Kristallschloss,“ murmelte ich und fühlte mich direkt mal belauscht. „Wir... könnten nur schnell ein Brot kaufen.“

„Dafür bin ich auch. Diese Leute scheinen nicht auf Gäste vorbereitet zu sein, daher nehme ich an, dass sie im Gasthaus auch kein Essen für Besucher anbieten,“ stimmte Cosmea zu, und im Vergleich zu mir sprach sie laut genug, dass sie vermutlich in dem ganzen Kaff verstanden wurde.

Dies hatte dann allerdings zur Folge, dass alle Geschäfte plötzlich geschlossen hatten oder die Waren ausverkauft waren. In solchen Momenten musste ich gegen das Verlangen ankämpfen, irgendetwas nur zum Spaß in Brand zu stecken.

Als wir das Dorf ein paar hundert Meter hinter uns gelassen hatten, riefen Cosmea und Sage ihren Drachen herbei, und wir brachen unzeremoniell doch noch auf. Bloß gut, dass wir nicht noch Geld dagelassen hatten, überlegte ich im Nachhinein, aber eine vernünftige Mahlzeit hätte mir auch gefallen.
 

Wir machten nach einer halben Stunde Pause und verspeisten unsere Proviantrationen, dann ging es direkt weiter zum Schwarzen Turm. Zu meiner Überraschung wartete Burner dort. Ich hatte damit gerechnet, ihn erst bei mir zu Hause zu treffen oder dass er vielleicht zum Kristallschloss zurückgeflogen war, was ungünstig gewesen wäre.

„Guter Junge,“ flüsterte ich ihm zu und kraulte ihn hinter seinem Nackenschild.

„Wie wär's, wenn du zum Essen bleibst, Thau, Rose erwartet dich bestimmt nicht früher zurück,“ lud Cosmea mich ein. „Wir gehen in ein Gasthaus in unserem Dorf, da gibt es noch anständige Gastfreundschaft.“

„Gerne,“ nickte ich.

Wie sich herausstellte, konnten die Dörfler tatsächlich gut kochen, und sie lächelten, als sie uns die Teller servierten. So wünschte man es sich. Nach dem Essen tranken wir noch ein Bier und besprachen dabei den Bericht an den Zirkel. Cosmea und ich notierten Stichpunkte, und Sage erklärte sich bereit, die Endfassung zu schreiben und abzugeben. So gern ich im Anschluss noch bleiben wollte, machte ich mich doch nach etwa einer Stunde Aufenthalt im Gasthaus auf den Heimweg, denn ich wollte endlich wieder die normalen Probleme eines Bauern für alchemistische Zutaten bearbeiten, auch wenn mich die Ausbrennung vielleicht noch eine Weile in meinen Träumen und Grübeleien beschäftigen würde. Meine Finanzen würden sicher bald wieder in den Vordergrund treten.

Dieses Mal konnte ich Burner sein Tempo selber bestimmen lassen und genoss einfach den ruhigen Flug. Ich freute mich auf eine Tasse Tee, der nicht nach Medizin schmeckte, und danach vielleicht etwas Feldarbeit oder Organisation. Seit gut einer Woche hatte ich kaum noch mit meiner Familie die Lage besprechen können. Das fehlte mir und beunruhigte mich, obwohl ich eigentlich niemand war, der immer und ständig alles kontrollieren musste. Ich wusste dennoch gerne Bescheid. Rose verzeichnete bei uns die Einnahmen und Ausgaben und informierte mich, wenn es etwas Wichtiges gab, etwa, wenn die Ausgaben viel höher ausfielen als erwartet oder schlicht und einfach die Einnahmen nicht reichten. Leider war das in den letzten Jahren öfter geschehen, aber ich hoffte, dass sich nun langsam Besserung einstellte. Immerhin blieb uns nun lange Zeit für die nächste Rate, nachdem Phalae mir so freundlich Aufschub gewährt hatte.

Basalt wusste nichts von meinem Kredit, noch nicht einmal, dass wir Sana im Moment nicht bezahlten. Er war gelernter Artefaktmagier, hatte sich aber noch keinen eigenen Ruf erarbeiten können. Eigentlich bot es sich für junge Leute dieser Zunft an, für einen bekannteren, älteren Artefaktmagier zu arbeiten, doch Basalt hatte nach dem Schulabschluss mit Spezialisierung auf Artefaktmagie noch zwei Jahre lang bei einem gelernt und sich stets beschwert, dass er gar keinen Spielraum für eigene Projekte hatte, sondern immer nur die Verkaufsartikel seines Meisters produzierte. Somit wohnte er jetzt seit etwa einem Jahr wieder zu Hause und half uns aus, indem er ein paar Dinge bastelte, die sich ganz gut verkaufen ließen. Amulette und Talismane und solche Sachen. Ein Großteil der Einnahmen floss aber wiederum in seine Hobbys. Er hatte Freude daran, Bücher zu kopieren. Und zwar nicht einfach als Abschrift für den Gebrauch, sondern originalgetreu, inklusive altem Ledereinband und vergilbten Seiten. Ich ließ ihn gewähren.

Außerdem machte sich Basalts Erdmagie oft bei den Ernten bezahlt. Er ging regelmäßig zwischen den Beeten und Bäumen spazieren und überprüfte die Bodenbeschaffenheit. Er konnte sogar feststellen, wenn unterirdisch Schädlinge an den Wurzeln fraßen oder ob Mineralstoffe in der Erde fehlten. Durch seine Magie konnte er recht zuverlässig beurteilen, ob Knollen und Wurzeln schon die gewünschte Größe erreichten. Auch ging die Ernte selbst manchmal viel schneller, denn er konnte den Boden vorher auflockern. Insofern drängte ich ihn natürlich nicht, sich einem älteren Artefaktmagier anzuschließen.

Um meine Älteste brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Toyara kam ab und zu vorbei und brachte meistens etwas Beute von ihren Reisen mit, manchmal auch die Gruppe, mit der sie gerade unterwegs war, wenn unser Haus auf dem Weg lag und die Helden etwas Erholung brauchten. Das gab dann manchmal ganz nette Nebeneinkünfte für Artikel aus unserem kleinen Lagerbestand.

Lediglich Vesuvia ging noch zur Akademie und zeigte zur Zeit noch keine Anstalten, sich für irgendeinen Beruf entscheiden zu wollen. Sie interessierte sich für meinen Geschmack etwas zu sehr für typische Mädchensachen wie Kleider und Jungs. Aber gut... mit sechzehn war das wohl so.

Am frühen Nachmittag erreichte ich mein Zuhause. Im Anflug fiel mir ein kleinerer Drache auf, der in unserem Garten ruhte. Naja, etwa so groß wie Burner war er schon. Vielleicht einer von der Akademie, was hieße, dass Vesuvia hier war. Das war ja eine schöne Überraschung!

Ich landete vor dem Haus und streichelte meinen geschuppten Freund ausgiebig zum Dank für seine Transportdienste. Er gähnte und spazierte in die Scheune. Wahrscheinlich würde er sich etwas ausruhen und dann jagen gehen.

Später gedachte ich, mir all meine Felder genau anzusehen, das Wachstum meiner Pflanzen zu kontrollieren und generell normale Dinge zu tun. Ja, darauf freute ich mich jetzt. Aber erstmal waschen und umziehen. Ich fühlte eine große Erleichterung darüber, dass die Ausbrennung nun endgültig abgeschlossen war und ich nichts mehr deswegen unternehmen musste. Eventuell würde ich die Zusammenkünfte besuchen, bei denen über Sorcs weiteren Verbleib entschieden werden sollte.
 

Sobald ich das Haus betrat, hörte ich ein vertrautes Geräusch von schnellen Füßen auf der Treppe und musste lächeln. Vermutlich hatte Vesuvia meine Ankunft vom Fenster aus bemerkt. Meistens, wenn sie zu Besuch kam, hatte sie mir irgendetwas extrem Wichtiges zu erzählen.

Schon kam sie mir entgegen gerannt und fiel mir um den Hals. Dann sah sie mich schmollend an. „Vati! Endlich erwische ich dich mal! Ich war ja vor ein paar Tagen schonmal da, aber Mami meinte, du hättest keine Zeit... also kam ich gestern wieder, aber du warst wieder nicht da, und inzwischen werde ich schon schief angeguckt, wenn ich einen Drachen ausleihen will...“

„Ich hatte etwas beim Zirkel zu tun,“ sagte ich. „Keine schöne Sache. Aber jetzt ist das beendet.“

„Na ein Glück, es ist jetzt nämlich schon richtig dringend...“

„Vesuvia, Liebes,“ unterbrach Rose sie. „Lass deinen Vater erstmal zur Ruhe kommen, bevor du ihn damit konfrontierst. Er war ziemlich viel unterwegs.“

„Hm na gut.“ Meine Tochter ließ etwas widerstrebend von mir ab.

„Ich versuche, mich zu beeilen,“ versprach ich und strich ihr übers Haar. Sie sah Rose sehr ähnlich, inklusive rotem Haar. Mehr und mehr erinnerte sie mich an früher, als meine Frau noch eine junge Dienerin im Hause meiner Mutter gewesen war.

Irgendwie machte Rose ein skeptisches Gesicht. Ihre Lippen pressten sich stark aufeinander und bildeten einen schmalen Strich. So sah sie aus, wenn sie sich sorgte. Aber vielleicht fragte sie sich nur, ob bei mir alles in Ordnung war.

Ich wusch mich schnell im Bad uns zog mir andere Sachen über, die für die Feldarbeit taugten. Also etwas Einfaches und Stabiles samt Schuhen. Da ich das mal wieder magisch tat, würde ich später mal meinen Schrank durchsehen müssen, ob etwas davon zu waschen war. Eventuell reichte es, die Jacken zu lüften und die Hemden zu waschen, die ich zuletzt angehabt hatte.

Als ich ins Wohnzimmer zurückkehrte, hatte Vesuvia sich umgezogen und trug jetzt ein nachtblaues Kleid. Eines, das ich noch nie an ihr gesehen hatte. Mein erster Gedanke war, dass ich es ziemlich gewagt fand für ihr Alter. Es ließ völlig die Schultern frei und zeigte oben herum generell viel Haut. Auf Brusthöhe war es V-Förmig ausgeschnitten und wurde von zwei schmalen Bändern gehalten, die im Nacken zusammengebunden wurden. Das V hätte meiner Meinung nach nicht ganz so tief gehen müssen. Der aus mehreren Schichten von Rüschen bestehende Rock reichte nur gerade so bis zu den Knien. Vesuvia drehte sich stolz und gewährte mir einen Blick auf den fast gänzlich unbedeckten Rücken. Eine große Zierschleife war oberhalb ihres Hinterns angebracht, und von ihr hingen die zwei Bänder verschwenderisch lang nach unten und wurden immer breiter, wie eine Schärpe. Die Unterseite dieser Bänder, welche man von vorne sah, hatte eine andere Farbe, nämlich ein dunkles Rot. Das ganze Kleid war mit glitzernden Steinchen besetzt, so dass es funkelte wie ein silbriges Feuerwerk.

„Du musst dir vorstellen, dass ich dazu die Haare hochgesteckt habe,“ hörte ich die Stimme meines jüngsten Kindes wie aus weiter Ferne. „Und andere Schuhe natürlich, aber die habe ich in meinem Zimmer an der Akademie gelassen. Wie gefällt es dir?“

„Es... sieht teuer aus,“ bemerkte ich. Was natürlich ihre Frage nicht wirklich beantwortete.

Vesuvia verschränkte die Arme vor der Brust, wodurch ihre jugendliche Oberweite nach oben gedrückt wurde. Das Kleid schien so verarbeitet zu sein, dass es ohnehin etwas mehr Fülle hinzufügte. „Ist das alles, was dir dazu einfällt? Es ist für den Sommerball der Akademie, an dem ich dieses Jahr zum ersten Mal teilnehmen kann! Da kann ich doch nicht in nem billigen Fetzen aus dem Sortiment hingehen, in dem dann vielleicht noch drei andere rumlaufen!“

Ich fühlte meine Knie weich werden und taumelte Richtung Esstisch, wo ich auf einen Stuhl sank, den Rose mir reaktionsschnell hinschob. „Der Sommerball... ja... wir wollten nächste Woche mit dir darüber reden... und vielleicht mal bei Elfstride & Covenflower vorbeischauen...“

Meine Tochter verzog das Gesicht. „Vati, das ist ein Laden für alte Vetteln und keusche Jungfern! Stell dir vor: Die berühmte Gewandmeisterin Efrinora hat ein Seminar in der Stadt gehalten und dann einige wenige Aufträge angenommen! Ich konnte einen ergattern!“

Sie hüpfte jetzt aufgeregt vor mir auf der Stelle, die Hände unter ihrem Kinn zu Fäusten geschlossen und breit grinsend. Eine niedliche Geste, die ich noch aus ihrer frühesten Kindheit kannte, doch leider konnte ich ihre Begeisterung überhaupt nicht teilen.

„Elfirona,“ wiederholte ich. Der Name klang teuer.

„Nein, Efrinora heißt sie,“ korrigierte sie mich. „Lebst du in einer anderen Zeitepoche oder warum hast du noch nie von ihr gehört? Sie ist die Koryphäe in der Modewelt der Magier! Würde dir vielleicht auch nicht schaden, sie mal zu besuchen, du hast all deine Klamotten seit Jahren!“

Ich merkte, dass es hinter meiner Stirn zu pochen begann. Elfstride & Covenflower waren schon teuer genug, boten aber eine anständige Auswahl an festlichen Kleidern für junge Mädchen. Sie machten auch Auftragsarbeiten, wenn es unbedingt ein persönliches Unikat sein sollte. Die Worte Gewandmeisterin, wenige Aufträge und Koryphäe ließen mich gleich mal vierzig bis sechzig Prozent auf den Preis aufschlagen. Nochmal zehn Prozent für den Stoff, der verdammt edel und teuer aussah. Zumindest damit kannte ich mich ein bisschen aus. Ahnungsvoll schloss ich die Augen und rieb mir die Schläfen.

„Sag ihm den Preis,“ vernahm ich Roses Stimme.

Ich öffnete notgedrungen die Augen wieder und hielt mich an der Tischkante fest, nur damit ich nicht hinten rüber kippte. Vesuvia schien der angespannte Tonfall ihrer Mutter nicht aufgefallen zu sein. Rose war leicht verärgert bis ernsthaft besorgt, aber noch beherrscht, wenn sie so sprach.

Unsere Tochter stemmte die Hände in die Hüften und hob stolz das Kinn. „Nur 280 Goldstücke, und da sind die Schuhe mit drin! Das ist ein super Preis, wenn man bedenkt, dass sie erst 320 haben wollte, aber dieses Angebot gilt nur noch für vier Tage. Efrinora hat unter der Bedingung zugestimmt, dass ich eine Vertragsstrafe von 20% des Ausgangspreises zahle, wenn ich das Geld nicht rechtzeitig aufbringe. Deshalb brauche ich das Geld jetzt schnell.“

320 plus 20%... 384 Goldstücke. Mir wurde gerade ganz schwindelig. 280 konnte ich schon nicht aufbringen, aber erst recht nicht 384. Wir hatten es auch nicht geschafft, mehr als 67 für diesen Anlass zu sparen – ich hatte gehofft, eine Zahlungsfrist zu bekommen und in der Zeit noch eine Ernte zu verkaufen. Bis zum Ball waren es ja noch ein paar Wochen.

Mit einem Mal fiel meine Finanzplanung wie ein morscher Schuppen in sich zusammen. Ich sah mich schon auf Phalaes Rechnung eine miese Arbeit annehmen. Mein Frust wurde zu Ärger und verlangte nach einem Ventil. „Vesuvia... warum hast du nicht gewartet, bis wir mit dir zusammen ein Kleid kaufen gehen?“ verlangte ich zu erfahren. „Frag, ob du dieses da zurückgeben kannst!“

„Nein, das geht nicht!“ rief sie aus, und ihr entsetzter Blick ließ mich beinahe Mitleid haben. „Es ist eine maßgeschneiderte Sonderanfertigung. Selbst wenn ich es zurückgebe, müsste ich einen Anteil bezahlen, weil sie es vielleicht nicht zum Vollpreis los kriegt. Davon abgesehen gibt man an Efrinora kein Kleid zurück, dass sie individuell entworfen hat! Wie sieht das denn aus?“

„Hättest du nicht auch eins von den Kleidern anziehen können, die du in deinem Schrank hortest?“ erwiderte ich aufgebracht. „Da sind doch welche dabei, die du noch nicht bei Akademieveranstaltungen anhattest, sondern nur zu Einladungen bei Zirkelmitgliedern!“

„Aber der Modestil ist doch total von gestern und viel zu... spießig! Du kannst doch ne Zirkelveranstaltung nicht mit dem Sommerball vergleichen, wenn ich da in einem dieser Kleider auftauche, lachen mich alle aus!“

Nun wurde ich wirklich wütend, da sie jeden meiner Versuche abblockte. „Sehen wir doch mal nach!“ Ich sprang von meinem Platz auf und marschierte nach oben zu ihrem Zimmer.

Dort angekommen, riss ich den Kleiderschrank auf und zerrte die Kleider heraus, die ich meinte. Das war nicht einfach, weil alles ziemlich eng gestopft war. Einige andere Stücke rutschten von ihren Bügeln, doch ich ignorierte diesen Umstand.

„Hier, dieses...“ Ich deutete auf ein moosgrünes Exemplar aus glänzendem Brokat, welches ich auf das Bett geworfen hatte. „Sieht doch elegant aus! Man könnte es kürzen und aus dem abgetrennten Material einige dieser Rüschen herstellen, die du so toll findest.“

Vesuvia war mir natürlich gefolgt und starrte mich entgeistert an. „Aber... das hat lange Ärmel! Ich hab es im Winter getragen!“

„Was ist mit dem hier?“ Ein dunkelrotes Teil mit Trägern und passendem Jäckchen. „Einfach ein paar Steinchen drannähen und vielleicht so ein Schleifchen. Es ist ja auch schon eher kurz. Daran wäre doch nichts auszusetzen, oder?“

„Euphenia hat das gleiche zum Jahresabschlussball getragen, alle werden denken, ich hätte es ihr abgekauft!“

„Und das schwarze? Schwarz ist zeitlos! Soweit ich weiß, haben wir das extra anfertigen lassen! Kann also kaum noch jemand das gleiche haben!“ Ich warf das dritte Kleid ebenfalls aufs Bett. „Passt noch am ehesten zu dem, das du da anhast, hat auch mehrere Schichten an Röcken und eine Menge Spitze dazwischen! Wir könnten es noch etwas aufpeppen lassen und gut!“

„Was ist eigentlich dein Problem, Vater? Hast du Angst, dass ich den Jungs gefallen könnte?“ Vesuvia klang plötzlich weinerlich, und als ich hinsah, glitzerten ihre Augen tatsächlich.

Ich deutete gnadenlos auf das Sortiment auf dem Bett. „Diese drei Kleider zusammen waren nicht so teuer wie das da!“

„Na und? Die waren ja auch nicht für so eine einmalige Gelegenheit! Der Sommerball ist voll wichtig für alle, die was auf sich halten! Das musst gerade du doch verstehen mit deinem Zirkel des Bösen, wo alle immer so edel tun! Meine Freundinnen erwarten, dass ich in einem teuren Kleid komme, und die blöde Zaria würde sich kaputt lachen, wenn ich für den Sommerball bei Elfstride & Covenflower einkaufen würde! Sie hat schon überall rumerzählt, dass ihre Eltern mit ihr zu Dallan Darkmore gehen, dem berühmten Schneider aus der Feenstadt Güldenberg!“ Eine Träne fand ihren Weg über Vesuvias Wange und tropfte auf das neue Kleid. Hoffentlich minderte das nicht die Qualität.

Doch ich ließ mich nicht erweichen, denn Prestige war hier nicht mein einziges Problem. „Na und? Was geht es dich an, wo deine Feindin ihre Klamotten kauft?“ regte ich mich auf. „Wenn das überhaupt mal stimmt, was sie sagt! Du hättest wenigstens mit uns sprechen sollen, Vesuvia! Ich hätte vielleicht meine Beziehungen spielen lassen können. Aber nein, gehst hin und kaufst bei einer Gewandmeisterin ein, weil deren Name berühmt ist!“

„Ich verstehe nicht, was daran so schlimm ist! Es ist vielleicht etwas teurer, aber...“

„Ich kann es nicht bezahlen, Vesuvia!“ fuhr ich sie an. „Seit Jahren drehe ich jeden Kupferling dreimal um! Wir sind pleite, Kind!“

Sie schloss den Mund und schluckte jeden Kommentar, der möglicherweise auf ihrer Zunge gelegen hatte. Ihre Augen waren ganz groß.

„Gerade vorgestern war meine Gläubigerin da, an die ich den Kredit zurückzahlen muss, der uns nach dem Eisschaden über die Runden geholfen hat!“ fuhr ich fort, da ich nun nicht mehr an mich halten konnte. „Doch wir hatten noch einiges an Pech seitdem und ich konnte nicht zahlen. Sie gab mir Aufschub, und ich hatte gerade Hoffnung, dass es klappen wird... Ich habe schlicht und einfach kein Geld für ein Kleid von einer berühmten Gewandmeisterin übrig! Wenn ich nächstes Mal nicht zahlen kann, wird sie meine Arbeitskraft verlangen, und dann sieht es mit neuen Kleidern mal ganz düster aus!“

Vesuvia hielt sich nun eine Hand vor den Mund und starrte mich einfach nur geschockt an.

Ich fühlte mich auf einmal ganz leer und ließ die Schultern sinken.

„Warum... warum hast du mir das nie gesagt?“ stammelte meine Tochter.

Ich seufzte und starrte auf den Boden. „Warum wohl, was denkst du? Weil ich nicht wollte, dass du dir Sorgen machst. Du solltest eine sorglose Kindheit haben. Wenn ich wusste, dass du bald ein neues Kleid brauchst, weil ein Ball an der Akademie oder etwas in der Art anstand, habe ich monatelang dafür gespart. Ab und zu fanden deine Mutter und ich... weniger legale Wege, um etwas Geld zu organisieren. Oder auch geheime Magierduelle mit Wetteinsatz. Aber das wurde zu gefährlich... einmal wären wir fast aufgeflogen. Ich bin immer noch Rehabilitand Stufe Drei. Wenn jemand erfährt, dass wir kein Geld haben, um unsere Schulden zu bezahlen, verletze ich meine Auflagen.“ Von besagten weniger legalen Wegen mal ganz zu schweigen.

„Aber... das hättest du mir doch sagen müssen!“ schniefte Vesuvia. „Das konnte ich doch nicht ahnen! Ich dachte, wir wären wohlhabend!“

„Ja... das gaukle ich auch allen vor,“ murmelte ich. Mir wurde bewusst, dass sie tatsächlich keine Schuld traf, sondern mich. Sie hatte nicht wissen können, dass sie mich mit ihrem anspruchsvollen Kleid in Schwierigkeiten brachte. „Es tut mir Leid, ich... hab überreagiert.“ Das änderte natürlich nichts daran, dass dieses verdammte Kleid bezahlt werden musste. Ich schaute es mir noch einmal genauer an. „Es ist ja schon ganz hübsch...“

„Hübsch? Es ist ein Meisterwerk!“ stellte Vesuvia klar, wirkte aber sehr unglücklich dabei.

„Zieh es aus, damit nicht noch was damit passiert vor dem Sommerball,“ schlug ich vor. „Ich lasse mir was einfallen... geheime Magierduelle oder so.“

„Das ist nicht witzig, Vati.“

„Allerdings nicht,“ stimmte ich zu. „Aber ich habe jetzt gerade keine bessere Idee...“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jyorie
2017-10-25T06:12:44+00:00 25.10.2017 08:12
ツ Hallo,

die Szene mit Burner war niedlich, wie er sich für Thau bemüht hat gut auszusehen und dann als es niemand mehr vom Schloss mitbekommen hat, macht er erst schlapp, so das es für Thau nicht peinlich ist, wenn er die Landung nicht packt oder so was^^ irgendwie mag ich auch die Laute die du beschrieben hast, die er von sich gibt. :)

Nicht nur das Schloss scheint Thau nicht zu mögen, so zickig wie Chathy war, auch das mit der peinlich berühren „Bedinung“ die zufällig nicht alles da haben zum Essen / Trinken. ... Nein, die Reisenden waren echt nicht willkommen bei Chrimson. ... Aber wenn es doch so viele Komplikationen gibt und sie sich so beeilt haben, vielleicht wäre es Sorc dann wirklich besser gegangen, wenn sie die Besucher zu ihm gelassen hätten, jetzt wei0 man ja, das sie es nur gut gemeint hatten.

Bei dem Dorf fand ich es auf ne gewisse weiße niedlich wie Solidarisch sie waren, das sie alle so hinter Crimson stehen, auch wenn es den Gästen schon unhöflich gegenüber war.

Oh weh, das war ziemlich heftig, was Thau zuhause erlebt hat mit seiner Tochter. Sehr positiv fand ich allerdings seine enorm schnelle Einsicht, wie er meinte, das er Mitschuld an der Misere hat, weil er nichts gesagt hat und auf Heile Welt gemacht hat, hat sich seine Tochter zu so einem Kleid verleiten lassen. (Ob sie vielleicht selbst gesparrt hätte oder einen Mini Job gemacht hätte und für ein Kleid gesparrt) ... oh man, das ist ziemlich aussichtslos, wie Thau jetzt dar steht - ich bin gespannt, was er tun wird.

Er hat echt an allen Ecken und Enden sorgen. Du beutelst deinen neuen Liebling echt ganz schön.

Viele Grüße
Jyorie

Antwort von:  Purple_Moon
27.10.2017 13:50
Hallo,
endlich komme ich hier mal zu.^^

Burner ist doch schon ein ganz lieber, oder? XD Er hat noch einen coolen Karteneffekt, den ich hoffentlich irgendwann einbauen kann.

Die Szene bei Crimson kannst du praktisch parallel lesen in Fremde Welten 3, Kap. 7. Als ich selbiges geschrieben habe, war Thaumator noch als eher unwichtiger, ruhig unsympatischer Nebenchara geplant, daher musste ich sein doch eher kühles Verhalten irgendwie begründen... Die Besucher werden schlicht und einfach nicht zu Soach gelassen, weil der Schiss vor ihnen hat und man ihm den Stress ersparen will. Natürlich würde er das nie zugeben. Aber seine Gefühle färben sowohl auf das Schloss als auch ein bisschen auf die Bewohner ab, weshalb die dafür Verantwortlichen etwas abweisend behandelt werden... auch wenn sie nichts dafür können, jemand musste halt die Ausbrennung machen. Zumindest haben Thaumator und Cosmea ja schon Verständnis dafür, dass sie keinen freudigen Empfang zu erwarten haben.

Ich erwähne manchmal ein Dorf in FW, wo die Leute zum Einkaufen hingehen und von wo Sachen geliefert werden. Das ist allerdings noch ein anderes als das, wo die Gruppe hier hingeht, allerdings gehören beide zu Crimsons Hoheitsgebiet. Cosmea hat beide Dörfer bei der Ankunft aus der Luft gesehen, aber sie entscheiden sich für das für sie näher gelegene. Gelegentlich muss ich die mal benennen... Behalt das mit dem Dorf mal im Hinterkopf, das will ich in FW nochmal aufgreifen, deshalb hab ich es jetzt schonmal erwähnt. Deine Interpretation des Verhaltens der Bewohner hat mich überrascht, mir war gar nicht klar, dass man es so deuten könnte. Dazu sag ich jetzt mal nichts weiter. ;)

Die Szene mit Vesuvia war schon lange geplant und ich hab mich sehr drauf gefreut.^^ Sie ist dann geringfügig länger geworden als geplant... oder generell das Kapitel. Tatsächlich ist das Mädchen sehr flexibel und hätte Mittel und Wege gefunden, ihren Willen zu kriegen bzw. an das nötige Geld zu kommen. Aber wozu, sie dachte ja, Papa hat's. Aber warte mal ab, was sie noch macht.

Naja, meine Gewohnheit, dass ich Leute erstmal platt trete, bevor sie glänzen dürfen, müsste ja inzischen bekannt sein. XD Sie müssen quasi an ihrem Leid wachsen, manchmal durchaus auch über sich hinaus. Und Thau hat's ja bekanntlich noch nicht überstanden... Soach übrigens auch nicht, muahahaha!

OK das soll erstmal genügen für heute. Das nächste Kapi kommt hoffentlich bald.

LG
Anja



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