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Fremde Welten: Das Buch von Incanta (#3 1/4)

Mutterliebe hat viele Gesichter
von

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Neu im Zirkel

Basalt freute sich über die Behemoth-Ausbeute. Als Artefaktmagier konnte er damit natürlich allerhand anfangen, aber er begeisterte sich fast noch mehr für die Decke, in der ich ihm die Sachen lieferte, und versuchte zu ergründen, ob er so etwas auch selber herstellen konnte.

„Wo hat dein Bekannter sie gekauft?“ fragte er mich.

„Das hat er mir nicht erzählt,“ entgegnete ich. „Vielleicht in einem Laden für Heldenzubehör.“

„Hmmm...“ Basalt bekam einen abwesenden Gesichtsausdruck, als würde er darüber nachdenken, Dinge für Helden herzustellen. Mir war durchaus bewusst, dass die Arbeit auf der Farm nicht die Erfüllung seiner Träume darstellte.

„Ich muss morgen mit ein paar anderen zum Lotusschloss, deshalb kann ich nicht bleiben... ich werde noch einmal auf dem Arae-Anwesen übernachten, damit ich morgen vor Ort bin, wenn meine Gruppe von dort aufbricht,“ erklärte ich meinem Sohn.

„Kann ich verstehen, das ist sicherlich bequemer, als hier so früh loszufliegen. Wie lange bleibt Mutter denn noch dort?“

„Sie wird morgen im Laufe des Tages zurückkommen. Die Arbeit hier macht sich ja auch nicht von selbst. Ich hoffe, dass sich die Sache beim Lotusschloss nicht zu lange hinzieht. Aber ein paar Tage haben wir schon eingeplant.“

„Diese Angelegenheit nimmt dich ganz schön in Anspruch,“ stellte Basalt fest. „Wenn du schon in einem Schloss bist, versuch es zu genießen. Liegt es nicht sogar am Meer? Geh mal schwimmen, die Gelegenheit hast du nicht oft.“

„Das sollte ich mir wirklich überlegen,“ nickte ich mit einem Lächeln, doch Basalt wusste eigentlich, wie ungern ich mich irgendwo unbekleidet herumtrieb, wo man mich sehen konnte.

Aber das war nicht meine Hauptsorge, was ich meinem Sohn jedoch verschwieg. Genießen würde ich den Aufenthalt jedenfalls kaum, und vermutlich würden die Schlossbewohner sich auch nicht über meinen Besuch freuen. Dennoch... ich musste einfach mit.

Ich erledigte noch ein paar Arbeiten auf meiner Farm und reiste bei Einbruch der Dunkelheit wieder ab. Als ich beim ehemaligen Arae-Anwesen ankam, war die Nacht hereingebrochen. Ich begab mich sogleich in das Schlafzimmer, das Rose und ich inzwischen für uns hatten, denn einige Kollegen waren bereits abgereist und daher hatten Sage und Cosmea sich ein anderes gesucht. Das wussten wir sehr zu schätzen, zumal ich die nächsten Tage ja wieder nicht zu Hause sein würde und wir deshalb diese Gelegenheit noch einmal nutzten, um... Stillezauber zu üben.
 

Früh am nächsten Morgen brachen wir zum Schloss unseres neuesten Mitgliedes auf, so dass Angelus, der natürlich unbedingt zur Gruppe gehörte, wenn es um Crimson ging, nicht so große Probleme mit der Helligkeit bekam. Auch Cosmea und Sage waren wieder mit von der Partie, insgesamt waren wir acht Personen. Wer fliegen konnte, flog selbst. Das hatte für mich den Vorteil, dass Burner nicht so sehr zurück blieb, denn ein Drache flog für gewöhnlich schneller als ein Unterweltler oder eine Fee, und in seinem Fall reisten wir ungefähr mit einer Geschwindigkeit, die für ihn noch gut zu halten war. Dennoch landeten wir als Letzte in der Umgebung des Schlosses, als wir unser Ziel erreichten. Er setzte seine Vorderpranken mit einem Ruck auf, verursachte Abdrücke im Boden und warf mich fast runter. Die anderen beiden Drachen blieben mit ihm zurück.

Zur Feier des Tages hatten wir uns ordentlich in Schale geworfen, wobei ich eine meiner weinroten Kombinationen trug. In dieser Farbe fühlte ich mich am wohlsten.

Crimson musste unsere Ankunft wohl schon von weitem bemerkt haben, denn er erwartete uns vor dem Haupttor. Eventuell traf ihn unsere Ankunft überraschend, denn er schien sich nicht extra deswegen umgezogen zu haben.

Vanis verstand sich darauf, so zu gehen, dass seine langen Haare herrschaftlich wehten. Er präsentierte sich in einem edlen schwarzen Umhang mit Silberapplikationen am Kragen, unter dem sein ganzer Körper verschwand, während er uns voran auf das Schloss zu schritt.

„Seid gegrüßt, Lord Crimson vom Lotusschloss. Ich bin Vanis, amtierender Vorsitzender des Zirkels des Bösen,“ begrüßte er den Schlossherrn. Anschließend wandte er sich zu uns um und deutete auf jeden, dessen Namen er nannte. „Ihr kennt Lord Genesis, Marquis Belial, Thaumator, Meister Sage und Lady Cosmea. Diese beiden geflügelten Herren sind Finsterlord Asmodeus und Finsterlord Desire.“

Crimson nickte jeweils höflich. Offenbar kannte er meine Gruppe, bis auf die Feen Asmodeus und Desire, die auf dunkelblauen beziehungsweise roten gefiederten Flügeln angereist waren. Beide trugen ästhetische Rüstungen, die eher der Optik dienten, als einen praktischen Nutzen zu haben. Das war eine Marotte von ihnen, da sie schlicht und einfach nicht für nette Vertreter des Lichts gehalten werden wollten. Mit der weißen Haut sahen sie nun einmal fast so aus.

„Wir sind gekommen, um über Eure Aufnahme in den Zirkel zu sprechen,“ verkündete Vanis feierlich. So wie er das vortrug, konnte man meinen, es handle sich um eine Krönung zum Großkönig oder etwas in der Art. Unter anderen Umständen hätte mich das amüsiert, schließlich hatten wir doch alle irgendwie eine dramaturgische Ader.

„Natürlich. Gehen wir in mein Büro.“ Crimson machte eine einladende Geste Richtung Haupttor, welches hinter ihm offen stand.

Wir traten ein und ich musste mich wieder einmal damit arrangieren, dass mir Energie abgezogen wurde, während hinter uns das Tor scheinbar von selbst zu fiel wie eine Falle, inklusive bedrohlichem, dunklem Geräusch. Ich kam einige Schritte weit, dann flammte plötzlich unter mir ein Bannkreis aus bunt schillerndem Licht auf. Erschrocken atmete ich tief ein und bemühte mich um Ruhe. Ich konnte mich nicht mehr vom Fleck bewegen und hatte den Eindruck, dass die Schwerkraft sich verdoppelte und die Luft dünner wurde.

„Was hat das zu bedeuten?“ verlangte neben mir Cosmea zu erfahren. Erst dachte ich, sie regte sich meinetwegen auf, dann sah ich jedoch, dass auch sie in einem solchen Bannkreis stand. Die anderen Kollegen blieben hingegen unbehelligt.

Das Schlossherz materialisierte sich neben seinem Herrn. „Diese beiden sind hier nicht willkommen!“ motzte es.

Ich glaubte mich zu erinnern, dass der Geist männlich war, obwohl er auf den ersten Blick sehr feminin wirkte. Eine hübsche Gestalt eigentlich, wenn er nicht gerade schimpfte und sich aufregte.

„Cathy, das ist vielleicht nicht der richtige Augenblick,“ merkte Crimson an.

Doch der Geist ging nicht auf ihn ein. „Es gibt gar keinen Grund, warum sie unbedingt dabei sein müssen!“

„Also wirklich! Ich kam mit, weil ich Crimsons Großmutter bin!“ sagte Cosmea.

„Und was ist mit dem da?“ Die leicht transparente Gestalt zeigte auf mich.

Zeit für meine böse Zirkelmaske. Ich hatte mich zwar zunächst erschrocken, setzte nun jedoch ein feines, aristokratisches Lächeln auf. „Ich bin Mitglied im Zirkel und wollte dabei sein, wenn ein neuer Kollege beitritt. Das ist wohl kaum verwerflich, oder?“

Ich war recht stolz darauf, dass ich ruhig blieb und mir nichts anmerken ließ. Prinzipiell konnte ich damit leben, wenn mich jemand offen ablehnte. Allerdings bestand die Gefahr, dass mir all meine Energie abgezogen wurde, was ein mulmiges Gefühl in meiner Magengegend verursachte.

Vanis ergriff das Wort und versuchte es diplomatisch: „Für solche Gelegenheiten wird immer bevorzugt eine Gruppe von Personen geschickt, die der Betreffende kennt. Jedoch mindestens sieben. Das ist Tradition.“

Der Bannkreis zu meinen Füßen schillerte bedrohlich. Oder spielten mir meine Augen einen Streich?

„Das sind acht, schmeiß den Kerl raus!“ zeterte der Schlossgeist.

Offenbar wusste er nicht, dass Sage nur durch Cosmea im Zirkel war und nicht für die Anzahl zählte. Wir waren tatsächlich sieben Mitglieder und ein Gast, nicht etwa acht Mitglieder.

Crimson ballte für einen Moment die Hände zu Fäusten und glättete seine gerunzelte Stirn. Schwer zu sagen, was in ihm vorging. Ich hielt es für schwierig, Schlossherr eines Schlosses zu sein, dessen Seele unter einer frischen Ausbrennung litt. Soweit ich wusste, teilte er eine tiefe Verbundenheit mit dem Gemäuer, und auch mit Sorc. Das konnte ich mir kaum vorstellen, da ich nicht einmal Telepathie in einfachen Ausmaßen zuließ, geschweige denn eine Bindung wie die eines Magiers zu seinem Schlossherz und einer weiteren Seele.

Doch obwohl er sich vermutlich dazu überwinden musste, ermahnte Crimson sein Schlossherz: „Cathy, mir ist klar, dass du so reagierst, weil Soach... nun, ich will nicht sagen, sie fürchtet... er möchte sie eben verständlicherweise nicht wiedersehen. Jedoch ist es nichts Persönliches, hörst du? Sie verurteilten ihn zur Ausbrennung der Magie, und jemand musste es machen.“

Der Geist schnaufte noch einmal wütend und verschwand. Ebenso die Bannkreise.

„Ich bitte um Verzeihung,“ murmelte Crimson. „Es ist für uns alle momentan nicht leicht.“

„Ja, Belial erzählte, dass die Seele des Rehabilitanden Sorc an dieses Schloss gebunden ist. Ich möchte mir kein Urteil darüber erlauben,“ meinte Vanis. „Wenn das dann geklärt ist, können wir mit dem eigentlichen Grund unseres Kommens fortfahren.“

„Ja, bitte.“ Crimson führte uns ohne weitere Zwischenfälle zu seinem Büro. Die Stühle reichten nicht aus, aber Belial, Desire, Asmodeus und Angelus mit ihren Flügeln blieben freiwillig stehen. Ich landete auf demselben Sessel wie bei meinem letzten Besuch.

Vanis verteilte einen Haufen Unterlagen auf dem kleinen Tischchen, wobei ich innerlich lächeln musste, weil ich den Eindruck hatte, dass Crimson die Haare an seinen Armen anstarrte. Nicht selten wurde der Unterweltler für einen Werwolf gehalten, aber ich hatte ihn noch nie ohne Fell gesehen und nahm deshalb an, dass es sich um sein normales Erscheinungsbild handelte.

„Der Zirkel des Bösen hat Euren Antrag auf Aufnahme mit einer Mehrheit von 58% gebilligt. Herzlichen Glückwunsch. Außerdem seid Ihr nun der Besitzer der Ländereien von Edeh Arae, da sein Clan keine Einwände erhoben hat,“ teilte Vanis unserem Neuzugang mit.

Soweit ich wusste, hatten wir den Arae Clan gar nicht um seine Zustimmung gebeten, sondern ihnen lediglich eine Information zukommen lassen. Aber dennoch handelte es sich um einen Tatsache: Es gab keine Einwände seitens Edehs Angehörigen. Bisher jedenfalls nicht.

„Ähm... der Anteil der Zustimmungen erscheint mir fast ein wenig gering, sollte ich mir da Sorgen machen?“ hakte Crimson nach.

„Ach was,“ winkte Vanis ab. „Niemand konnte behaupten, Euch nicht zu kennen, wo Ihr doch erst kürzlich Gast bei uns gewesen seid, aber manche stimmen dagegen, einfach damit es kein einstimmiges Ergebnis wird. Einige sind auch Araes Sympathisanten, doch das muss Euch nicht beunruhigen.“

Im Gesicht des Weißhaarigen arbeitete es kurz. „Danke,“ sagte er schließlich in einem betont festen Tonfall. „Ich hätte es auch bedauert, mich mit den Araes streiten zu müssen.“

Ich hob die Augenbrauen und war nicht alleine damit. Da wollte wohl jemand Respekt einflößend wirken. Aber das zeigte eigentlich nur, dass er bereits begriff, wie das bei uns lief: Bei offiziellen Anlässen benahmen wir uns förmlich und zeigten selbst untereinander keine Schwäche. Im Prinzip musste jeder von uns gut schauspielern können.

„Besitzt Ihr schon ein eigenes Wappen, das Ihr dort auf einer Flagge hissen könnt?“ erkundigte Vanis sich.

„Ich habe eine Schulfahne, geht die?“ fragte Crimson. „Ich meine... ja, wir haben noch einige Exemplare in Reserve. Ich werde noch heute einen Boten hinschicken.“

Es gelang mir, nicht zu grinsen, während ich beobachtete, wie er sein Verhalten korrigierte, um zu uns zu passen. Da freute ich mich ja schon auf das Ende des offiziellen Teils, wenn wir mit der Scharade aufhören konnten.

„Sehr gut,“ nickte der Zirkelvorsitzende. „Wir haben Euch auch eine Flagge mitgebracht. Die Flagge des Zirkels, die Ihr von nun an von Euren Türmen wehen lassen könnt.“

Auf das Stichwort holte Sage die Flagge unter seinem Umhang hervor und überreichte sie seinem Enkel mit einem Augenzwinkern und einem Lächeln, das wie stolze Anerkennung wirkte.

Crimson nahm einen schwarzen Stoffbeutel entgegen, in dem die Flagge zusammengefaltet war. Ehe er dazu kam, sie auszupacken, sprach Vanis weitere Punkte an: „Hier sind einige Informationsblätter für Euch, und hier... das Buch über unsere Geheimschrift, in der Ihr Briefe an andere Mitglieder verfassen könnt. Lernt sie so schnell wie möglich. Hier das Buch über unsere Traditionen und Regeln, Kleiderverordnungen und allgemeine...“

An dieser Stelle unterbrach Crimson ihn. „Moment. Heißt das, ich muss mir so einen rüschenbehafteten Kleidungsstil anschaffen?“

Oh ja, dass ihn das verstörte, konnte ich nachvollziehen.

„Rüschen? Oh, weil einige unserer Mitglieder das mögen!“ Vanis lachte amüsiert. „Nicht doch, aber wir haben zu bestimmten Anlässen beispielsweise eine Pflicht für schwarze Roben. Außerdem solltet Ihr Euch überlegen, stilistische Merkmale in Eure Alltagskleidung zu integrieren, an denen Ihr leicht zu erkennen seid. Nur für den Wiedererkennungswert, es kann praktisch alles sein. Und es gibt den Brauch, Gästezimmer mit vornehmer Kleidung auszustatten. Solche Dinge stehen da drin.“

„Oh... dann fahrt doch bitte fort.“

Das tat unser Vorsitzender. Crimson bekam weitere Bücher, Merkzettel und Infobroschüren. Wir hatten wirklich viele davon im Angebot, beispielsweise auch zum Rehabilitandenprogramm. Yubel machte es Spaß, die Dinger zu entwerfen, und damit ersparten wir uns einiges an Erklärungen. Zuletzt händige Vanis dem Schlossherrn eine Einladung zum nächsten Zirkeltreffen aus.

„Es ist üblich, dass jedes Mitglied einen Begleiter mitbringt, der helfende Tätigkeiten ausführt, etwa Akten tragen oder so. Das macht auch generell einen einflussreichen Eindruck,“ erklärte Vanis. „Habt Ihr schon jemanden für dieses Amt im Hinterkopf?“

„Soach,“ entgegnete Crimson ohne zu zögern.

Darauf breitetet sich erst einmal Stille aus. Ich für meinen Teil war beeindruckt von der schnellen Antwort. Die beiden Männer mussten wirklich gut befreundet sein, und ich fragte mich, welcher Art eigentlich ihre Beziehung war.

„Nun... vielleicht sollten wir dieses Thema jetzt besprechen,“ meldete sich Marquis Belial zu Wort. „Ihr wart doch so gut wie fertig, oder, Vanis?“

„Ich glaube, das Wichtigste ist gesagt. Bitte, Marquis.“ Der Vorsitzende lehnte sich zurück und ließ Belial reden.

Der Sachbearbeiter für den Rehabilitanden Sorc trat an den Tisch heran und reichte Crimson eine Liste. „Dies ist eine Aufzählung der Personen und Gruppen, die sich als Rehabilitationsstelle beworben haben. Wir haben entschieden, Euch zu begünstigen, jedoch werden wir all diesen Bewerbern mitteilen, dass sie persönlich Angebote oder Forderungen unterbreiten dürfen, die Sorc annehmen oder ablehnen kann.“

„Forderungen?“ wiederholte Crimson. „Was wäre das zum Beispiel?“

„Nichts Schlimmes,“ versicherte der Marquis. „Nur wird es den ein oder anderen geben, der sein Angebot nicht so freundlich formuliert wie die übrigen, das ist alles. Viele werden vermutlich gar nicht reagieren, etwa das Kristallschloss.“

Das hoffte ich inzwischen sehr, denn wie sich die Lage darstellte, wäre es wirklich bedauerlich gewesen, den ausgebrannten Magier auch noch von hier wegzuholen.

„Wo steckt Soach eigentlich?“ fragte Sage.

„Oh... er ist...“ Crimson schloss die Augen für wenige Sekunden, in denen er möglicherweise telepathisch nach dem Rehabilitanden suchte. „Er war auf einem Botengang, wird aber bald hier sein.“

„Ich dachte schon, er traut sich nicht,“ bemerkte Cosmea. Es klang nicht einmal spöttisch, sondern völlig ernst.

„Warum sollte er sich nicht trauen?“ entgegnete Crimson. „Soach hat sich schon immer jeder Situation gestellt, egal wie unangenehm.“

„Das haben wir gesehen,“ murmelte ich und fühlte mich einmal mehr in den verließartigen Raum versetzt, in dem wir das Urteil des Zirkels vollstreckt hatten. Nachdem ich die inoffizielle Version von Sorcs Aussage kannte, fühlte ich mich umso schlechter dabei.

Inzwischen war der Name Soach wieder des Öfteren gefallen, und mein Gehirn bemühte sich, ihn mit Sorc gleichzusetzen. Bei unserem letzten Besuch hier hatte man uns ja gesagt, dass der Rehabilitand sich nun anders nannte und den Namen Sorc abgelegt hatte. Auch Ray hatte immer von ihm als Soach gesprochen. Offenbar war das sein Geburtsname.

In mir machte sich Nervosität breit, während wir seine Ankunft erwarteten. Wie sollte ich ihm begegnen? In dem Zusammenhang kam es mir gelegen, dass ich genug Begleiter hatte, um nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.

„Wird er zurechtkommen?“ fragte Cosmea ihren Enkelsohn plötzlich ganz offen. Ich vermutete, dass sie sich ebenfalls sorgte, allerdings vor allem um Crimson.

Der Schlossherr spannte die Kiefernmuskeln an, als müsse er erst darüber nachdenken. Er atmete ein, zweimal tief durch und sagte dann: „Selbstverständlich. Er hat hier auch genug Aufgaben und kann es sich nicht erlauben, sich gehen zu lassen.“

Das hielt ich stark für eine Lüge, und vermutlich wusste Crimson auch, dass wir uns das denken konnten. Aber die Antwort war natürlich gut gewählt für ein Mitglied des Zirkels des Bösen. Niemand von uns würde offen eingestehen, einen traumatisierten Mitarbeiter zu haben. Das blieb ein Thema für den Privatbereich.

Cosmea räusperte sich. „Man sagt ja, die Zeit heilt alle Wunden, doch die Erfahrung hat auch gezeigt, dass ausgebrannte Magier oft mit seelischen Problemen zu kämpfen haben, gerade zu Beginn. Bist du sicher, dass es gut ist, wenn Soach hier bleibt, wo er ständig von Magie und Magiern umgeben ist?“

„Er ist hier unter Freunden,“ versicherte Crimson. „Und er möchte nicht ohne Magie leben, selbst wenn er sie nicht selber nutzen kann. Vermutlich wird er versuchen, einen Weg für sich zu finden, wie er doch noch Gebrauch von Magie machen kann.“

„Hm... mit Artefakten oder so, nehme ich an,“ warf Sage ein.

Crimson nickte. „Zum Beispiel. Jedenfalls weiß ich ganz sicher, dass Soach nicht von hier weg will. Schon allein, weil seine Seele hier gebunden ist, aber auch, weil er sich einfach zu Hause fühlt in diesem Schloss.“

„Ich bin gespannt, ob der Rehabilitand das bestätigt,“ meinte Belial.
 

Als Soach schließlich eintrat, trug er ein rundes Tablett mit einem Teegedeck bei sich. Es war ziemlich voll, da wir ja insgesamt neun Leute waren. Die Tassen und Untertassen standen übereinander darauf, dazu eine große Kanne. Aus irgendeinem Grund war seine rechte Hand bandagiert, und ich fragte mich, ob ihm sein neues Tätigkeitsfeld wohl nicht so lag. Zwar hatte ich Soach als Chaoshexer nie in Aktion gesehen, aber es tat mir weh, dass er nun die Arbeit eines Bediensteten machen musste. Das musste ganz schön an seinem Stolz nagen.

Falls Genesis das auch so sah, überspielte er es gekonnt. Er ging ihm entgegen und klopfte ihm kumpelhaft auf die Schulter. „Soach! Bist du wieder wohlauf? Das freut mich.“

„Ja... Danke der Nachfrage.“ Soach stellte das Tablett auf den Tisch und verteilte Tassen, in die er dann Tee eingoss. „Hallo, Vanis,“ sagte er, als er dem Vorsitzenden eine reichte.

Crimson sah von dem Formular zum Thema empfohlene Mitstreiter und Angestellte für Zirkelmitglieder auf. „Ihr kennt euch?“

„Er wäre fast mein Schwager geworden,“ verriet Vanis. „Oh... Kriegerbeerentee. Lecker.“

Soach stellte mir und dann Cosmea eine gefüllte Tasse hin, ohne uns anzusehen, statt dessen konzentrierte er sich scheinbar ganz auf das Geschirr. Er gab auch den stehenden Gästen jeweils eine. Die Kanne ließ er auf dem Tisch stehen. Anschließend klemmte er sich das Tablett unter einen Arm und nahm einen Platz neben Crimsons Stuhl ein. Offenbar hatte er für sich selbst keine Tasse mitgebracht. Er machte einen gefassten Eindruck, doch ich hielt mich selber für ganz gut darin, eine Fassade zur Schau zu tragen, da wollte ich es bei einem Prinzen mal nicht ausschließen.

„Konntest du unser bisheriges Gespräch verfolgen?“ fragte Vanis ihn geradeheraus.

„Ich war so frei,“ gab Soach zu.

„Dann hast du ja mitbekommen, was wir besprochen haben, und dass du hier bleiben kannst, sofern dir kein anderes Angebot gefällt,“ fuhr Vanis fort. „Dein Schlossherr wollte dich als den Vertrauten an seiner Seite.“

„Von mir aus gibt es da kein Problem,“ versicherte Soach genauso schnell, wie Crimson verkündet hatte, dass er Soach für diese Aufgabe wollte. Eine bewundernswerte Freundschaft.

Belial holte sein Klemmbrett unter dem Umhang hervor. „Ich werde das erst einmal notieren, und wenn sich nichts anderes ergibt...“

„Es wird sich nichts anderes ergeben,“ unterbrach Soach ihn. „Mein Platz ist genau hier. Auf Schloss Lotusblüte, an der Seite des Schlossherrn.“ Er baute sich – vermutlich unbewusst – gerader auf, als er das sagte.

Crimson grinste wie jemand, der sich bestätigt sah. „Ihr glaubt nicht wirklich, dass mein Schlossherz und ich diesen Mann aus unseren Fängen lassen würden?“

„Lord Crimson, letztendlich müsst Ihr akzeptieren, wie wir entscheiden,“ wandte Belial ein.

„Sagt wer?“ entgegnete der weißhaarige Magier, wobei das Grinsen einer trotzigen Mine wich. „Ich möchte zu Protokoll geben, das ich mich an die Regeln gehalten und mich ordnungsgemäß für diesen Rehabilitanden beworben habe, aber ich kann auch anders. Und sagtet Ihr nicht sowieso, dass er hierbleiben kann?“

„Wenn die Bewerber ihn nicht überzeugen,“ erinnerte der Marquis ihn.

„Dann ist das ja geklärt,“ setzte Crimson fest.

Lord Genesis lachte. „Habe ich euch nicht gesagt, dass wir einen interessanten Neuling kriegen werden?“ Er leerte seine Teetasse. „Wenn es keine Umstände macht, würde ich mich gerne in ein Gästezimmer zurückziehen, ich schlage mir jetzt schon zum wiederholten Mal den Tag um die Ohren. Vielleicht bringt unser Gastgeber mir ja später das Frühstück...“

Die Gruppe johlte, denn wir wussten ja alle, wie er das meinte. Auch ich machte halbherzig mit, beobachtete jedoch weiterhin den ausgebrannten Magier. Soach hatte ein feines Lächeln auf den Lippen und sah voller Zuneigung auf seinen Schlossherrn herab. Die Vertrautheit der beiden erinnerte mich inzwischen an mein Verhältnis zu Rose. Nur dass ich den romantischen Teil da mal ausklammerte. Sie waren vermutlich einfach Freunde der besonderen Art. Eben wie Rose und ich... nur dass wir außerdem noch das Bett miteinander teilten. Es beruhigte mich zu sehen, dass Soach hier wirklich gut aufgehoben war.

Vanis erhob sich. „Dann können wir ja nun zum entspannten Teil übergehen. Angelus, du kennst ja das Schloss schon, aber wir anderen würden uns gerne etwas umsehen. Führst du uns herum, Crimson? Ich darf doch du sagen?“

„Ja, also, wenn ich das auch darf?“ entgegnete Crimson mit einem etwas verdutzten Gesichtsausdruck.

„Wir benehmen uns nur bei offiziellen Anlässen so förmlich,“ erklärte Sage. „Du hast hoffentlich genug Platz, Crimson, wir wollen gerne ein oder zwei Tage bleiben.“

„Was?“ riefen Soach und Crimson wie aus einem Munde. Sie wirkten geradezu geschockt von der Bitte. Nun ja... vielleicht wäre es anders gewesen, wenn Cosmea und ich schonmal abgereist wären.

Crimson schloss kurz die Augen und rieb sich die Schläfen. „Entschuldigung, mein Schlossherz hat angemerkt, dass wir auf so viel Besuch gar nicht vorbereitet sind, aber das kriegen wir hin.“ Er stand von seinem Platz auf und machte eine Geste zur Tür. „Fangen wir doch in den Gärten an.“

Ich beeilte mich, meine Teetasse zu leeren, und reichte sie Soach, der inzwischen angefangen hatte, das Geschirr wieder auf das Tablett zu stapeln, wobei er nach Tassen und Untertassen sortierte. Ich hatte ein bisschen den Eindruck, dass er in Gedanken, war.

Die Mitglieder meiner Gruppe standen ebenfalls auf oder verließen ihre Stehplätze, um Crimson zu folgen.

„Ich komme lieber nicht mit nach draußen,“ sagte Genesis. „Wie gesagt, ich brauche Schlaf.“ Und das Licht bekam ihm draußen auch nicht so gut, aber das führte er für gewöhnlich nicht vorrangig als Grund an, um sich keine Blöße zu geben.

„Soach wird dir ein Zimmer suchen, wenn es dich nicht stört, dass es eventuell nicht optimal ausgestattet ist,“ schlug Crimson vor.

„Das ist schon gut, wir haben dich ja auch ziemlich überrumpelt,“ winkte der Vampir ab. „Ich wünsche euch allen noch viel Spaß...“
 

Wir ließen Angelus bei Soach zurück und folgten dem Schlossherrn zu einem seitlichen Ausgang, wobei er uns unterwegs auf eine Abzweigung zur Küche hinwies. Diese befand sich in der Nähe des Gartens, um Zugang zu den Kräuterbeeten zu gewährleisten.

Ich besichtigte immer gerne die Gärten anderer Leute, vor allem die umfangreichen eines Schlosses. Als wir die Mauern hinter uns ließen und einen Weg aus hellen, unregelmäßig großen Steinplatten betraten, wehte uns vom Meer eine kühle Brise um die Nase und die Luft roch nach blühenden Pflanzen. Schon ganz schön für den Anfang. Allerdings ließ mich der erste optische Ersteindruck dann doch die Stirn missbilligend runzeln.

Crimsons Gartenanlagen sahen teilweise noch sehr verwildert aus. Gerade direkt am Schloss wucherte einiges an Gestrüpp, das ein bisschen zurechtgeschnitten werden musste. Nützliche Bäume gingen daher fast unter oder wurden vielleicht nicht bewusst genutzt. Generell gab es viel ungenutzten Platz. Allerdings wuselten überall kleine weiße Kaninchen herum – mit langem oder kurzem Fell. Insofern hielt Crimson vielleicht absichtlich große Flächen für Wildwuchs frei, so dass die Tiere zu fressen hatten.

Wie beim Kristallschloss gab es auch hier einen Bereich, wo ein Zaun einen Abgrund absicherte, wobei es sich hier aber um eine Klippe am Meer handelte, bei der es ungefähr fünf Meter nach unten ging. Ich beugte mich vorsichtig über die Bretter und sah eine seichte Bucht, in der lauter Wasserpflanzen wuchsen. Strandlotus, wenn ich mich nicht irrte, das musste dann wohl die Quelle für den Tee sein, den wir bei unserem ersten Besuch hier bekommen hatten. Ich kannte diese Pflanzen eigentlich nur vom Sehen oder in getrockneter Form, da ich sie logischerweise nicht selber anbauen konnte. Zumindest lohnte es den Aufwand nicht.

Vermutlich als Schutz vor den Nagetieren waren die Kräuterbeete ebenfalls mit einem Zaun gesichert, dieser jedoch bestand aus viel dichteren Latten, welche teilweise angenagt waren. Auch zeigten die Latten unterschiedliche Farben durch Abnutzung, weshalb ich annahm, dass sie regelmäßig ausgetauscht werden mussten.

Eine Gruppe von sechs jungen Leuten arbeitete bei den Beeten. Als wir näher herankamen, konnte ich erkennen, dass sie sich nicht unbedingt mit alchemistische Zutaten beschäftigten. Zumindest wäre es mir neu gewesen, dass man Sumpfkraut noch zu anderen Zwecken als zum Rauchen oder Verräuchern verwenden konnte. Die Jungs bauten es im Schatten eines großen Laubbaumes an und wässerten es gerade eifrig, weil es sonst relativ schlecht in trockenen Gebieten wuchs. Vielleicht wirkte die Nähe des Meeres sich da positiv aus.

Die sonstigen angebauten Pflanzen sahen überwiegend nach Standardware für den Hausgebrauch aus, und für einen Alchemisten wie Crimson wäre es schon peinlich gewesen, diese kaufen zu müssen.

Leider kam ich nicht dazu, alles im Einzelnen zu analysieren, da die Besichtigungstour weiterging. Es gab eine kleine Laube, die halb als Werkzeuglager und halb als gemütlicher Pausenraum diente. Sie beinhaltete sogar ein Bett für den Fall, dass jemand sich bei der Arbeit verletzte. Sehr umsichtig. Der Turm, der von hier aus am besten zu sehen war, beherbergte das Alchemielabor, wie wir erfuhren.

Crimson führte uns vom Garten aus um das Schloss herum und am Haupteingang vorbei. Dort gelangte man auf einem abwärts führenden Weg zu einem hübschen Badestrand. Vielleicht sollte ich tatsächlich Basalts Rat befolgen und die Gelegenheit zum Schwimmen nutzen. Diese Art von Ertüchtigungsübung schien eine gewisse Freiheit zu versprechen, und bestimmt würde ich das Gefühl verminderter Schwerkraft genießen können. Der Anblick des Meeres direkt vor der Haustür wirkte in der Tat sehr verlockend.

„Und da oben ist unsere Drachenlandeplattform,“ zeigte der Schlossherr uns und lenkte mich damit von meinen Betrachtungen ab. „Sie ist auch schön, um die Aussicht aufs Meer zu genießen. Der Turm da drüben ist ein Wohnturm, dessen oberstes Stockwerk ich bewohne. Die Etagen darunter sind auch bewohnbar, aber die Zimmer sind eher klein. Sie haben allerdings Balkone.“

„Du könntest eins davon zu deinem Ankleidezimmer ausbauen,“ schlug Vanis vor.

Crimson runzelte wenig begeistert die Stirn. „Im Ernst? Na ich weiß nicht...“

„Deine Garderobe dürfte sich demnächst etwas erweitern, es wird somit in dem Zimmer da oben etwas eng werden. Oder du suchst dir ein größeres aus...“ riet ihm Asmodeus.

Der Schlossherr warf einen zweifelnden Blick nach oben, als würde er das zögerlich in Erwägung ziehen. Ich konnte mir vorstellen, dass es einen gewissen Reiz hatte, dort zu wohnen, etwas, das man ungern aufgab, selbst wenn einiges dafür sprach, lieber im Erdgeschoss zu wohnen. Immerhin vermied er dann weite Laufwege. In seiner Position musste er eigentlich schnell überall hinkommen können.

Wenn ich ein anderes Verhältnis zu Crimson gehabt hätte als das, seinen Vertrauten ausgebrannt zu haben, hätte ich gefragt, ob ich ein Turmzimmer kriegen konnte, denn die Idee gefiel mir. Doch wie die Dinge lagen, wollte ich lieber keine Sonderwünsche anmelden. Immerhin gab es ja noch die Aussichtsplattform.

„Jetzt macht dem Jungen mal keine Angst, diese Veränderungen müssen ja nicht von heute auf morgen kommen,“ sagte Cosmea.

„Es ist schon durchaus eine gute Idee, was Asmodeus sagt, Großmutter. Ich werde mir das überlegen...“ räumte Crimson ein. „Den Eingang kennt ihr ja schon... gehen wir rein, ich zeige euch jetzt, wie man von hier aus auf unsere Krankenstation kommt. Man sollte immer wissen, wo es in einem Notfall Hilfe gibt. Also wenn euch was passiert, geht dorthin.“

Der Schlossherr führte uns ein kurzes Stück weiter zu besagter Krankenstation und stellte uns den Heiler Vindictus vor. Cosmea, Sage und ich kannten ihn ja schon, und er bedachte uns mit einem leicht grummeligen Nicken zur Begrüßung. „Meine Kolleginnen Dsasheera und Lily werden euch ebenfalls helfen, aber versucht einfach, euch nicht zu verletzen, während Ihr hier seid.“

Das sollte vermutlich ein Spaß sein, jedenfalls lachten Vanis, Asmodeus und Belial, während der Rest von uns zumindest freundlich lächelte. Die erwähnten Kolleginnen konnten wir nirgends entdecken.

„Sind drei Betten nicht etwas wenig?“ hakte Desire nach.

„Wir haben noch ein Zimmer, in dem vier Betten stehen,“ informierte der Heiler uns. „Dies stammt aus einer Zeit, als wir hier eine Epedemie von Schattenfieber hatten, wir habe es dann einfach so gelassen. Bei der bisherigen Belegschaft kamen wir so ganz gut aus. Derzeit suchen wir einen Spezialisten für Gifte, also falls Ihr zufällig so jemanden kennt, der einen neuen Job sucht...“

Belial zückte sein Klemmbrett und notierte sich das. „Ich gebe die Information mal weiter.“

Eines unserer vielen Formulare berichtete auch über das Jobvermittlungsprogramm, aber das würde Crimson schon noch feststellen. Es funktionierte im Prinzip ähnlich wie das Vermittlungsprogramm für Rehabilitanden und wurde von den gleichen Leuten organisiert – was gut war, schließlich gab es nur alle paar Monate oder gar Jahre mal einen Rehabilitanden zu vermitteln, demnach wäre der Job sonst recht öde gewesen.

„Von hier aus kommen wir leicht in die Kellergewölbe, wenn ihr möchtet, zeige ich euch gleich das große Bad,“ schlug Crimson vor.

Wir hatten nichts einzuwenden, aber Vanis fragte: „Warum befindet es sich im Keller?“

Der Schlossherr zuckte mit den Schultern. „Das hat praktische Gründe, weiter nichts. Durch den Lavastrom kann es auf natürliche Weise beheizt werden, und natürlich lässt es sich dort gut mit Wasser versorgen. Wir haben auch in den anderen Etagen Bäder, die sind aber wesentlich kleiner und unbeheizt. Das ist aber nicht so schlimm, weil wir ja ein Magierschloss sind, da lässt sich Wasser recht leicht durch Magie erwärmen. Ruft einfach nach dem Schlossherz und sagt ihm Bescheid.“

Wir folgten Crimson eine Treppe nach unten und einen Gang entlang, bis wir vor einer Tür aus Metall standen, die mich irgendwie an einen Kerker erinnerte. Davon gab es, nebenbei bemerkt, einige hier unten.

„Das hier war mal ein rein zweckmäßiges Bad, aber nachdem ich hier Schlossherr geworden bin, habe ich es renovieren lassen,“ erzählte er uns. „Das Design stammt von Yami aus der Welt des Blauen Lichts, ihr habt bestimmt von ihm gehört. Für die, die es nicht wissen, er ist der Geist des Pharaos mit dem Millenniumspuzzle, inzwischen wieder in einem eigenen Körper.“

Ein Geist in einem eigenen Körper? Ich tauschte Blicke mit meinen Kollegen aus, aber sie zuckten nur mit den Schultern, bis auf unser Magierpärchen.

„Ich hab euch doch von Yami erzählt, wisst ihr noch?“ sagte Sage. „Nach dem, was Dark mir erklärt hat, erhielt eigentlich nicht Yami einen eigenen Körper, sondern Yugi, sein Wirt. Yugis Geist wurde bei einem Schattenspiel ins Reich der Schatten verbannt und Yami blieb im Wirtskörper zurück, während Yugi hier einen eigenen bekam – das kennt ihr ja.“

Wir nickten kollektiv. Es kam hin und wieder vor, dass Leute hierher verbannt wurden, oft jedoch nur ihr Geist bzw. die Seele, während der Körper in der anderen Welt ins Koma fiel. Hier bekam die Person aber dann trotzdem einen Körper, während wir, wenn wir nach drüben beschworen wurden, üblicherweise keinen hatten.

„Also kehrte Yugi zurück und behielt seinen Schattenreichkörper?“

„Genau, Thau. Das kam einerseits überraschend, andererseits wäre es seltsam gewesen, wenn sich der Körper als Einziger aufgelöst hätte, als Dark, Blacky und Appi mit ihm zusammen durch Angelus' Tor reisten. Angelus war natürlich selbst auch dabei. Vermutlich lag es einfach an der Art zu reisen.“

Crimson ließ uns ins Bad und wir traten staunend ein. Es sollte vielleicht nicht überraschen, dass wir einen ägyptisch dekorierten Raum vorfanden, in dem ein helles Sandbraun vorherrschte, während magische, rußfreie Feuerschalen für Licht sorgten. Das im Boden eingelassene Badebecken bot Platz für uns alle. Schöne Sache, nur eins störte mich.

„Wie ist das denn hier mit der Privatsphäre? Kannst du uns immer beim Baden zusehen, Crimson?“ fragte ich.

Erneut konnte ich beobachten, dass der Schlossherr kurz die Augen schloss und sich sogar die Schläfen rieb, ehe er antwortete: „Tut mir Leid, Catherine wies mich nur gerade darauf hin, dass alle Bereiche des Schlosses aus Sicherheitsgründen bis zu einem gewissen Maße überwacht werden, da dies die Aufgabe eines Schlossherzes ist. Das hat jedoch mit einer Verletzung der Privatsphäre nichts zu tun.“ Er räusperte sich. „Heißt natürlich, dass ich es theoretisch könnte, da müsst ihr mir dann schon vertrauen.“

Er betonte das wie einen Scherz, und ich entschied, es auch so aufzufassen. Allerdings beschloss ich zugleich, kein Bad zu benutzen, in dem ich ertrinken konnte, in einem Schloss, das mich verabscheute. Crimson äußerte sich da immer sehr vorsichtig, aber nach dem Auftreten des Schlossgeistes am Anfang vermutete ich, dass er ziemlich laut zeterte im Kopf seines Herrn.

„Ich find's gemütlich,“ bemerkte Vanis. „Ich könnte direkt hierbleiben.“

„Brrr, du haarst nur alles voll,“ grummelte Belial gespielt angeekelt.

„Und du nimmst unnötig viel Platz ein mit deinen Federn,“ gab unser Vorsitzender zurück.

„Merken wir uns das doch einfach für die Abendstunden vor,“ beschwichtigte Sage die beiden.

„Äh... ich würde vorschlagen, dass ich euch jetzt den Speisesaal zeige, wo wir uns später wieder treffen können, und euch dann die Zimmer zuteile, damit ihr euch ein bisschen ausruhen könnt...“ versuchte Crimson, die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu lenken.

Wir folgten ihm brav nach oben zurück. Der Speisesaal war für ein Schloss eher klein, aber in Ordnung. Ich stellte es mir nur etwas eng vor, wenn hier mehr Leute wohnten als zur Zeit. Zunächst einmal nahmen wir lediglich zur Kenntnis, wo wir später hin mussten, denn es ging nunmehr an die Zuteilung der Zimmer.

„Die Räume sind leider noch nicht ganz einsatzbereit, wir schieben die Renovierung jetzt schon eine ganze Weile vor uns her, weil es einfach, nun ja... wichtigere Sachen gab, deshalb sind die Möbel teilweise auch nicht zusammen passend,“ entschuldigte Crimson sich verlegen. „Ich hab versucht, schnell einige Zimmer so herrichten zu lassen, dass sie erstmal die nötigste Einrichtung haben und frisch bezogene Betten bieten. Cathy hat es den Schülern gesagt, während wir noch beschäftigt waren, also wenn es irgendetwas zu bemängeln gibt, sagt einfach Bescheid.“

Mein Zimmer befand sich im ersten Obergeschoss und blickte auf den Garten, weil Crimson nach eigenen Angaben bemerkt hatte, dass mir dieser gut gefiel. Zwar hätte ich einen Meerblick bevorzugt, da ich Garten ja jederzeit zu Hause haben konnte, aber ich nickte höflich und bedankte mich für die Mühe, die er sich mit der Auswahl gegeben hatte.

Im Anschluss blieb ich erst einmal alleine in dem Raum, während noch die restlichen meiner Begleiter untergebracht wurden. Es gab ein normal breites Bett, eine Kleidertruhe und eine Sitzgruppe mit zwei verschiedenen Sesseln und einem Stuhl. Der runde Tisch passte von der Holzfarbe her zu einem der Sessel und beides auch zum Bett. Die Truhe hingegen schien aus dem gleichen Holz zu bestehen wie der Stuhl, doch sie war ganz anders verarbeitet. Offenbar hatten Crimsons Schüler in keinster Weise darauf geachtet. Nun ja. Wenigstens hingen Vorhänge vor den Fenstern und ein Teppich lag auf dem Boden. Das Bettzeug war einfach, aber in Ordnung. Meine Ansprüche hielten sich da auch in Grenzen, solange ich gut darin schlafen konnte.

Da dieses unfertige Zimmer im Moment nichts an Unterhaltung bot, weil nicht einmal ein Buch vorhanden war, legte ich mein geringes Gepäck auf einen Sessel, hängte meine Jacke über die Lehne des Stuhls und begab mich wieder nach unten, wo ich hoffte, die anderen zu treffen. Wir hatten nichts vereinbart, daher musste ich es auf gut Glück versuchen. Richtung Speisesaal erschien mir sinnvoll, zumal man dort auch einfach sitzen und sich unterhalten konnte, falls das Essen noch nicht fertig war.

Belial kam auch gerade aus seinem Zimmer, und da er seine Flügel nicht wegzaubern konnte, streckte er sie auf der Treppe nach beiden Seiten aus, bewegte sie auf und ab und faltete sie dann wieder auf dem Rücken zusammen, ähnlich wie Vögel es manchmal machen. Einmal bei einer Versammlung hatte ich mitbekommen, dass die Federn regelmäßig Pflege brauchten und ihr Träger dafür Hilfe benötigte, weil er selbst nicht an alle drankam. Insofern ging ich davon aus, dass Unterweltler und Feen mit gefiederten Flügeln einen recht sozialen Charakter haben mussten. Entweder das oder genug fachkundige Diener. Belial hatte seine Übergewandung und Rüstungsteile abgelegt und trug nurmehr eine violette Robe ohne Ärmel. Auch hatte er seine Haare zusammengebunden. Insgesamt ließ ihn das viel umgänglicher aussehen.

Während ich den Unterweltler von hinten beobachtete, kam mein Fuß anscheinend ungünstig auf einer Stufe auf und ich rutschte von der Kante ab. Ich konnte mich noch ans Geländer klammern und vermeiden, dass ich gegen den Kollegen stolperte und wir womöglich noch beide in die Eingangshalle fielen.

Belial wurde reaktionsschnell auf die Geräusche aufmerksam und sah mich am Geländer hängen. „Hooh, Thau, langsam! Alles in Ordnung?“

„Ja, ich glaube...“ Die Stufen schienen unbeschädigt zu ein, aber ich wusste auch nicht mehr so genau, wo ich abgerutscht war.

„Du wirkst ein bisschen nervös, seit wir hier sind,“ kommentierte Belial. „Entspann dich mal.“

Ich verdrehte sichtbar die Augen, schließlich kannte er ja meine Gründe. Von nun an hielt ich mich jedenfalls gut am Geländer fest.



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