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Fremde Welten: Das Buch von Incanta (#3 1/4)

Mutterliebe hat viele Gesichter
von

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Die Wahrheit ist inoffiziell

Edehs Eingangshalle quoll über vor Betriebsamkeit, als wir uns dort versammelten. Gut, sie war groß und reichte locker, um seine Bediensteten strammstehen zu lassen, aber alle restlichen 32 Mitglieder des Zirkels des Bösen, zum Teil samt Begleitung, passten nur schwer hier hinein – zum Teil deshalb, weil seitlich Tische mit Erfrischungen standen. Und es gab nur zwanzig Stühle, die den älteren vorbehalten blieben. Ich zählte mich noch nicht dazu und suchte mir mit Rose einen Stehplatz, wobei ich mitbekam, dass Sage und Cosmea in der ersten Reihe saßen.

Etwas davor stand ein Tisch, auf dem ein paar Akten lagerten, und an ihm saßen Vanis, Angelus Genesis und Marquis Belial. Die drei steckten die Köpfe zusammen und unterhielten sich miteinander, bis sie einander noch einmal zunickten und dann aufstanden. Nach und nach kehrte daraufhin Ruhe ein.

Als Vorsitzender ergriff Vanis das Wort: „Liebe Freunde! Ihr werden euch gewundert haben, wie es sein kann, dass ein Mitglied wie Edeh Arae, ein hartgesottener Unterweltler, einfach von uns gehen konnte. Aber um euch das zu berichten und um über weitere Konsequenzen zu beraten, habe ich euch herkommen lassen. Angelus und Belial waren heute in den frühesten Morgenstunden hier vor Ort, um die Situation zu begutachten. Sie werden euch berichten, was sie vorgefunden haben.“

„Danke, Vorsitzender,“ sagte Genesis feierlich, worauf Vanis die Augen verdrehte, denn diese Förmlichkeiten ärgerten ihn immer ein bisschen. Der Vampir blickte in die Runde. „Gestern erhielt ich ein Kontaktformular, in dem Edeh mir mitteilte, dass Sorc hier aufgetaucht sei und ihn bedrohe, so dass er entsprechende Maßnahmen ergreifen werde,“ sagte er. „Ich benachrichtigte Belial, der für diesen Rehabilitanden zuständig ist, und gemeinsam reisten wir hierher. Bei unserer Ankunft befand sich das Haus unter Belagerung von Lady Charoselle von den Eisigen Inseln sowie Lord Crimson vom Lotusschloss. Crimson erklärte uns, dass er gekommen sei, um Sorc zu befreien, somit stellte sich uns ein etwas anderes Bild dar als durch Edehs Nachricht. Belial wird jetzt den offiziellen Bericht verlesen.“

Der Vampir überließ dem Unterweltler das Feld.

„Diesen Bericht fertigte ich heute früh an, nachdem wir unter anderem Crimson, Rahzihf und den Praktikanten Malice befragt hatten,“ eröffnete Belial seinen Vortrag.

„Thau... offizieller Bericht heißt doch, dass es nicht zwangsläufig die Wahrheit ist, oder?“ flüsterte Rose mir zu.

Ich nickte. „Wahrscheinlich kommt anschließend der inoffizielle...“ Davor hatte ich richtig Angst, stellte ich fest.

Belial las nun von seinem Klemmbrett ab: „Der Rehabilitand Sorc wollte sichergehen, dass der Junge Kinahf unbeschadet an seinem Heimatort ankommt, daher bat er Lord Crimson vom Lotusschloss, der besagten Jungen in Gewahrsam hatte und auch der Anbieter der bisherigen Rehabilitandenstelle Stufe 3 ist, ihn dorthin begleiten zu dürfen. Crimson stellte ihm eine schriftliche Erlaubnis aus für den Fall, dass es zu Problemen mit dem Zirkel käme. Das Schreiben liegt allerdings nicht mehr vor.“

Das hätte Sorc eigentlich nicht tun sollen. Aber vermutlich hatten weder er noch Crimson das genau gewusst, oder aber gedacht, dass es schon nicht auffallen würde, konnte ich mir vorstellen...

„Dem Rehabilitanden war zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt, dass Kinahf in den Diensten Lord Araes stand und auch in dessen Haus wohnte. Arae missverstand Sorcs Ankunft als Angriff auf seine Person; offenbar rechnete er mit einem Racheakt. Er nahm ihn gefangen und drohte an, ihn zu töten. Durch seinen bereits lange schwelenden Wunsch, Sorc möge zum Tode verurteilt werden, steigerte er sich wohl in den Wahn hinein, dass dies eine vom Schicksal dargebotene Chance sei.

Indessen reiste Lord Crimson mit einigen Gefolgsleuten an, da er die telepathische Verbindung zu Sorc verloren hatte, als dieser die Schutzschilde Lord Araes durchschritt. Crimson ging davon aus, den Rehabilitanden vor Schaden bewahren zu müssen, was tatsächlich eine zutreffende Beurteilung der Situation darstellte.

Durch seine Ankunft kam es zu Kampfhandlungen, in deren Verlauf Lord Arae sein Leben verlor: Der Praktikant Malice stellte ihn zum Duell, um sein Können zu beweisen. Doch der Lord war ihm überlegen und konnte ihn entwaffnen, daraufhin holte er mit seiner Waffe aus. Sorc, der Zeuge des Duells war, interpretierte dies als klare Tötungsabsicht und erschlug Arae mit dem Zauberstab seines Sohnes Kayos, welchen er zu seiner Verteidigung bei sich hatte. Ob Lord Arae tatsächlich vorhatte, Malice zu töten, oder ob es nur so aussah, ist nicht bekannt.

Lady Charoselle, die von den Umständen durch einen Boten Araes Kenntnis erhalten hatte, reiste ebenfalls an, jedoch erst, als die Situation bereits geklärt war. Lord Crimson beansprucht Araes Besitz für sich und hat bis auf weiteres Prinz Lichal von den Eisigen Inseln als Verwalter eingesetzt.“

Belial ließ sein Klemmbrett sinken und die Zuhörer seine Worte verdauen. Auch mir lagen diese Informationen im Magen. Also hatte Sorc Arae getötet? Soviel Wahrheit dürfte der offizielle Bericht schon enthalten, ich ging nur davon aus, dass die Details sich etwas anders darstellten. Es wurde mit zunehmender Lautstärke gemurmelt, bis Vanis eine Hand hob und so wieder Stille einkehren ließ.

„Dies ist die Version, welche wir in unsere Akten aufnehmen werden,“ verkündete er. „Wenn ich es richtig verstanden habe, gibt es jedoch noch die inoffizielle, wahre Version. Angelus?“

„Das ist richtig, Vanis.“ Genesis nahm einige Blätter Pergament vom Tisch an sich. „Wir haben zugleich eine andere Version von Sorcs Aussage vor Gericht erhalten. Genau wie wir annahmen, entsprach seine Aussage nicht völlig der Wahrheit.“

Ich schloss die Augen, ballte die Hände zu Fäusten und atmete heftig durch. Das hatte ich ja befürchtet... Rose legte eine Hand tröstend auf meinen Arm, doch die Geste beruhigte mich nicht.

„Ich habe das nur als Notizen aufgeschrieben,“ bemerkte der Vampir. „Ich muss etwas weiter ausholen und bitte um etwas Geduld.

Vor neunzehn Jahren ereignete sich ein Goblinangriff auf den Flammenbrunnen-Hexenzirkel. Zu jenem Zeitpunkt war eine der Hexen, Fuega, hochschwanger mit dem Kind des Rehabilitanden Sorc. Der Krieger Rahzihf war in der Gegend und verteidigte die Frauen, wobei er unter anderem Fuegas Leben und das ihres Kindes rettete, jedoch durch seine Verletzungen den rechten Arm verlor. Sorc kam erst wenige Tage später hinzu und erfuhr davon. Aus Dankbarkeit gab er Rahzihf sein Wort als Prinz der Eisigen Inseln, ihm ebenfalls einen Dienst zu erweisen, wenn er einen solchen brauchte, und überließ ihm als Pfand des Versprechens einen magischen Armreif, der seinen Träger zu ihm führen konnte.“

Der Flammenbrunnen-Hexenzirkel. Eben jener, aus dem meine Mutter mit dem Buch von Incanta floh, schwanger mit mir. Offenbar gab es tatsächlich eine weitere Verbindung zwischen Sorc und mir... wir hatten beide durch Blutsverwandtschaft mit diesem Hexenzirkel zu tun.

„Inzwischen arbeitet Rahzihf als Söldner für Lord Arae, wie viele von euch wissen. Der Lord erhielt Kenntnis von der Sache und nutzte die absolute Treue seines Untergebenen und dessen Verbindung zu Sorc aus, um dem Rehabilitanden eine Falle zu stellen. Rahzihf stimmte auch deshalb zu, weil sein Sohn und der Sohn von Fawarius kürzlich in Ungnade gefallen waren.

Kinahf wurde also zu Sorc geschickt, um ihm eine Geschichte zu erzählen von einer Gefahr, in der er schwebte, weil er Arae bestohlen hatte. Der Lord erhoffte sich, dass Sorc sich für den Jungen opfern würde, jedoch gehörte es nicht zu seinem Plan, dass er sich der Gerichtsbarkeit des Zirkels stellte. Dennoch kam ihm der Umstand gelegen und er hoffte auf eine Hinrichtung. Dass es dazu noch immer nicht kam, muss ihn sehr verärgert haben. Wie ihr alle wisst, wurde Sorc entgegen Araes Hoffnung nicht hingerichtet, sondern ausgebrannt. Er nahm die Schuld für den angeblichen Diebstahl auf sich und verschwieg die Wahrheit bis zuletzt, um zu verhindern, dass dem Jungen doch noch etwas zustieße. Insofern spielte Arae quasi das Schicksal in die Hände, als Sorc darauf bestand, Kinahf hierher zu begleiten. Laut Kinahfs Aussage hatte er zwar die Aufgabe, genau dafür zu sorgen, falls es nicht zu einer Hinrichtung kommen sollte, doch der Junge hat sich bemüht, Sorc durch unhöfliches Benehmen von der Idee abzubringen. Dies tat er auf Bitten seines Vaters, der nicht wirklich wollte, dass Sorc zu Schaden kam.“

Es stimmte also... wir hatten einen Unschuldigen ausgebrannt. Mehr noch... einen, der sich opferte, um einen anderen zu beschützen. Ich rieb mir die Schläfen und bemühte mich um Haltung. Seltsamerweise musste ich dabei wiederum an Sorc denken, um mir an ihm ein Beispiel zu nehmen. Zumindest ich hatte ihm die Angst angesehen, aber er hatte dennoch Haltung bewahrt, so gut es ihm eben möglich war. Die Erinnerung stürzte wieder mit Macht auf mich ein und ich musste mich zusammenreißen, um mich auf die Fortsetzung von Angelus' Ausführungen zu konzentrieren.

„Als Sorc als Kinahfs Begleiter hier eintraf, nahmen Rahzihf und Fawarius ihn gefangen und lieferten ihn dem Lord aus. Da Araes ursprünglicher Plan vorgesehen hatte, Sorc ohne den Einfluss des Zirkels in seine Gewalt zu bekommen, war er darauf vorbereitet. Er vergiftete Sorc mit einem langsam wirkenden Gift und ließ Lady Charoselle eine klare Botschaft zukommen, indem er ihr von ihrem Sohn die abgeschnittenen Haare und ein Stück Haut mit einem markanten Mal zukommen ließ. Er wollte erreichen, dass die Lady Sorc sterben sieht und dadurch verwundbar ist, denn sein ultimatives Ziel war die Eroberung der Eisigen Inseln. Wie sich herausstellte, war Arae der Erbe des früheren Herrschers, der von Lady Charoselle entmachtet wurde. Arae ging außerdem fälschlich davon aus, dass Sorc sein Halbbruder sei, Sohn eben jenes Herrschers und der Lady Charoselle.

Lord Crimson kam zu Sorcs Rettung, da er die telepathische Verbindung verloren hatte und sich um den Freund sorgte. Sobald der Schutzschild fiel, erfuhr er telepathisch von Sorcs Situation und drang mit seinem Gefolge gewaltsam in das Haus ein.

Ich muss dazu sagen, dass Arae ein Gift benutzte, das ein Gegenmittel hatte, jedoch war kein Heilmittel verfügbar. Arae demütigte Sorc, indem er ihn um das Gegenmittel und damit eine stundenweise Verlängerung seines Lebens betteln ließ. Auch folterte er ihn als Strafmaßnahme, denn Sorc hat mehrfach versucht, Arae zu töten, jedoch ausschließlich, um zu verhindern, dass seiner eigenen Familie Schaden zugefügt wird. Praktisch dem Tode geweiht, hatte er nichts mehr zu verlieren. Insofern stellt sich die Szene, in der Arae schließlich starb, in Wahrheit etwas anders dar.

Die Gefolgsleute Rahzihf und Fawarius konnten von Kayos beziehungsweise Crimson ausgeschaltet werden, und schließlich drang Sorc in Begleitung des Heldenpraktikanten Malice, welcher mit Crimson und einzelnen Vertretern des Drachenhauchordens angereist war, zu Arae vor. Dieser erwartete sie im Saal im Obergeschoss. Malice lenkte Araes Aufmerksamkeit auf sich, so dass Sorc Gelegenheit bekam, ihn von hinten zu erschlagen. Hierfür benutzte er den Zauberstab, den sein Sohn Kayos ihm als Stützstock überlassen hatte, denn zu diesem Zeitpunkt konnte er kaum noch aufrecht gehen. Er nutzte ein Elixier der Verdammten, um seine selbst auferlegte letzte Aufgabe zu erfüllen. Im Anschluss nahm Crimson das Haus in Besitz und versuchte, durch einen selbst gebrauten Trank Sorcs Leben zu erhalten, da das Gegenmittel inzwischen verloren war. Doch Sorc wäre trotz allem gestorben, wäre nicht Ujat mit Schleimborke erschienen, die dafür bekannt ist, das sie jedes Gift unwirksam machen kann. Ujat, der an der Lotusschule als Lehrer arbeitet, ist wohlgemerkt Hellseher und sah den Bedarf voraus.“

Noch ein Hellseher... in dem Fall war es wohl gut so, aber generell mochte ich solche Leute nicht. Das lag wohl daran, dass ich einige Geheimnisse hatte, die ich gerne verbarg. Doch mein Hauptgedanke drehte sich um Edeh... hatte ich den Mann so falsch eingeschätzt? Wir waren nicht unbedingt die besten Freunde gewesen, hatten jedoch ein ausreichend kollegiales Verhältnis gehabt, dass ich ihm solche Taten nicht zugetraut hätte. Seine Pläne stellten im Grunde genommen einen Bruch der Zirkelstatuten dar. Denn auch wenn wir uns Zirkel des Bösen nannten, eroberten wir doch keine Reiche, indem wir deren Prinzen umbrachten und versuchten, die Herrscherin zu erledigen. Aber dies war die inoffizielle Version. Vermutlich hatte man sich mit Crimson und Sorc darauf geeinigt, sonst hätte es zu einer nachträglichen Entehrung Edehs und seinem Ausschluss aus dem Zirkel kommen können.

Doch der Bericht ging noch weiter...

„Als Belial und ich früh am heutigen Morgen eintrafen, war dies alles schon geschehen. Inzwischen befand sich auch Lady Charoselle hier, doch für sie gab es nichts mehr zu tun.

Belial und ich sprachen mit Crimson und weiteren Zeugen, und nach eingehender Beratung boten wir ihm an, Araes Platz im Zirkel einzunehmen.“ Genesis ließ seine Notizen sinken. „Crimson ist einverstanden und hat nach unsere Statuten ein Anrecht als Eroberer. Dennoch muss die Mehrheit der Mitglieder zustimmen. Bitte lasst euch alles durch den Kopf gehen, morgen nach dem Frühstück werden wir abstimmen. Die Akten können bei mir jederzeit erneut eingesehen werden, falls ihr noch an eurer Entscheidung zweifeln solltet.“

Wieder wurde Gemurmel laut, das Vanis zum Versiegen brachte.

„Ach ja, eins müsste ich noch erwähnen,“ nahm Genesis das Thema noch einmal auf. „Prinz Lichal von den Eisigen Inseln traf zusammen mit Crimson ein und agiert derzeit wie schon gesagt als sein Verwalter. Er hat den Bund mit Edehs Witwe Fuma geschlossen, um sie und ihren Sohn vor Rache Seitens seiner Mutter zu schützen. Denn damals, als Charoselle den Tyrannen der Eisigen Inseln besiegte, ließ sie Gnade walten und die Frau und das Kind des Mannes entkommen. Dieses Kind war Edeh, so dass zu befürchten stand, dass sie diesen Fehler nicht zu wiederholen gedachte, hätte er sie doch fast den Sohn gekostet. Dies nur zu eurer Information. Das war dann alles.“

Die Kollegen entfernten sich und es wurde nun wirklich laut, weil alle das Gehörte diskutierten. Ich ließ mich auf einen frei gewordenen Stuhl sinken und lehnte mich erschüttert zurück. Dass ein Kollege aus dem Zirkel, dessen Frau gut mit meiner befreundet war und dessen Alchemist immer meine Salben herstellte, zu solchen Taten fähig war, hätten wir wohl alle nicht erwartet. Und Sorc war durch seine Machenschaften unschuldig ausgebrannt und fast umgebracht worden...

Gut, man konnte argumentieren, dass er nicht völlig unschuldig war, denn sein letztes Urteil war relativ milde ausgefallen. Aber was das anging, konnte ich mich nicht beklagen, denn auch ich war damals nicht so hart bestraft worden, wie es dem Zirkel möglich gewesen wäre. Wir hatten Sorc bei seiner ersten Verhandlung mit dem Stufe Drei Programm davonkommen lassen, weil sein Sohn Kayos sich sehr für ihn eingesetzt hatte, obwohl er zu den Geschädigten gehörte, und weil Sorc sich sehr einsichtig und kooperativ gezeigt hatte. Außerdem hatten viele von uns sein Potential als Magier gesehen und es besser gefunden, dieses nicht zu zerstören – etwa so, wie man eine Antiquität nicht auf den Müll werfen würde. Sein Urteil hatte jedoch bedeutet, dass ein weiterer Fehltritt den nächsten Schritt zur Folge haben musste – und das hatte er gewusst.

Ich konnte mir nicht vorstellen, wie es wohl war, sich freiwillig einer Situation auszusetzen, die mit einem solchen Opfer verbunden war, wenn die Wahrheit ausgereicht hätte, um ihn davor zu retten. Doch es geschah, um ein Versprechen zu ehren, erinnerte ich mich an den Anfang des inoffiziellen Berichts. Ein Mann, der seine Magie opferte, um ein Versprechen einzulösen, hatte meiner Meinung nach nicht verdient, dass er es wirklich tun musste, und ich grämte mich noch mehr wegen meiner Rolle in dieser Sache.

„Thau, ist alles in Ordnung mit dir?“

Ich fuhr hoch, als Cosmea mich an der Schulter berührte. Auch sie sah nicht glücklich aus.

„Nein... es ist nicht in Ordnung,“ gab ich zu. „Aber es lässt sich auch nicht mehr ändern.“

Niemand sonst sprach mich an. Rose stand in meiner Nähe und redete mit einer Dame, die ich erst auf den zweiten Blick als die Bundpartnerin von Finsterlord Asmodeus erkannte, eine schöne Fee mit Flügeln, die sie im Moment nicht trug. Manche Feen und Unterweltler, darunter die meisten aus dem Arae-Clan, hatten diese Gabe, nicht jedoch der Kollege Belial, der sich weiter hinten bemühte, seine so eng anzulegen, dass er nichts vom Tisch mit den Erfrischungen umwarf. Während es mich meistens amüsierte, wie er damit in engen Räumen umging, konnte ich dieses Mal keine Aufheiterung dabei empfinden.

Sage kam zu uns. „Ich habe die Bediensteten gebeten, uns noch etwas zu essen und genug Wasser in unser Zimmer zu bringen. Das wird noch einen Moment dauern, aber wenn ihr wollt, können wir dann bald schlafen gehen.“

Ich stöhnte vernehmlich. „Schlafen ist jetzt nicht gerade das, wonach mir der Sinn steht. Habt ihr Fawarius gesehen? Vielleicht hat er irgendein Mittel...“ Ansonsten befürchtete ich, würde ich entweder nicht einschlafen können oder irgendwelche Alpträume haben. Und ich hatte mich schon so gefreut, das Thema Sorc abhaken zu können und wieder normal zu schlafen.

„Den haben wir heute noch nicht getroffen,“ sagte Cosmea. „Schauen wir doch mal nach ihm...“

Doch zu meinem Verdruss wussten die Kollegen nichts über seinen Verbleib. Erst, als wir Fuma fragten, erfuhren wir, dass der Alchemist mit Crimson abgereist war, da er ihm die Treue gelobt hatte. Fantastisch. Mir kam spontan der Gedanke, dass ich jetzt gar nicht mehr wusste, ob er mich auch in Zukunft mit meiner Salbe beliefern konnte, die ich für meine Beine zu nutzen pflegte. Aber vielleicht war sein Aufenthalt bei Crimson ja nur temporär... hoffte ich jedenfalls. Ansonsten musste ich mich wohl oder übel zum Lotusschloss begeben und darum bitten, was mich schon jetzt mit Vorfreude erfüllte... wo ich doch dort so ungemein willkommen war.

Rose betrieb freundliche Konversation mit anderen Gästen, wie um sie von mir abzulenken. Als ich mich in unser Zimmer verkroch, wo die Bediensteten inzwischen unser Essen abgestellt hatten, kam sie wieder zu mir.

„Na? Wirst du für Crimsons Aufnahme in den Zirkel stimmen?“ fragte meine Frau.

Darüber hatte ich noch gar nicht recht nachgedacht. „Es wird seltsam mit ihm als neuen Kollegen, glaube ich, aber was sonst könnte ich tun...“

„Du musst dich ihm gegenüber nicht schuldig fühlen... oder Sorc...“

„Ich weiß, ich weiß. Aber ich habe dennoch das Gefühl, dass irgendeine Form von Wiedergutmachung angemessen wäre... auch wenn es Sorcs Entscheidung war, die Wahrheit zu verschweigen.“

„Und es ist auch Crimson, der beitreten soll, nicht Sorc,“ erinnerte sie mich. „Wenn ich das richtig mitbekommen habe, ist ja noch nicht raus, ob er als Rehabilitand auf Schloss Lotusblüte bleibt.“

„Das kommt auch noch dazu,“ seufzte ich. „Wahrscheinlich werden wir im Anschluss an die Abstimmung über seinen Verbleib beraten. Ich erinnere mich gut daran, wie Crimson sich um Sorc gekümmert hat, nachdem... nachdem wir fertig waren. Die beiden stehen sich augenscheinlich sehr nahe, kein Wunder, dass Crimson herkam, um ihn zu retten.“

Rose hob eine Augenbraue. „Haben sie eine, äh... romantische Beziehung?“

„Soweit ich das von Cosmea und Sage weiß, habe sie sich einfach sehr miteinander angefreundet, und Sorc hat seine Seele an Crimsons Schloss gebunden. Somit ist fraglich, ob er dort überhaupt weg kann. Allerdings sagt man ja auch, dass man sich von einem Ort, an den die Seele gebunden ist, gar nicht entfernen kann, und doch kann er es. Nur, wie lange?“

„Nun ja, Thau... das ist nicht dein Problem, ganz ehrlich. Du solltest dich nicht so hineinsteigern.“

Ich nickte, denn natürlich hatte sie Recht. Aber ich konnte nicht ändern, dass meine Gedanken um das Thema kreisten. Und auch darum, wie sehr ich mich in Edeh getäuscht hatte.
 

Zumindest hatte ich in der Nacht kein Problem mit Alpträumen, denn ich schlief nicht, sondern lag wach und versuchte, niemanden meiner Zimmergenossen durch meine Unruhe zu stören und mich möglichst nicht viel herumzuwälzen. Am Ende ging ich jedoch in den Aufenthaltsraum mit den Brettspielen aus der Welt des Blauen Lichts, die ich ab und zu schon hier mit dem Hausherrn und seiner Familie gespielt hatte, und wartete grübelnd auf den Morgen, wobei ich mich in eine Sofadecke wickelte.

Jemand hatte auf dem Tisch ein handliches Buch liegen gelassen, das wahrscheinlich in die Bibliothek gehörte, doch es konnte auch sein, dass es aus einem der Einzelzimmer stammte. In Ermangelung anderer Beschäftigungen nahm ich es an mich. Flüche und Verwünschungen. Worauf es ankommt, damit sie wirken.

Interessant, wo doch die meisten Bücher über Flüche darauf abzielten, sich dagegen zu wehren oder sie zu brechen. Nun konnte man natürlich aus diesem Buch sicherlich auch Schlüsse ziehen, wenn erklärt wurde, was zu beachten war – und vielleicht, was passierte, wenn es falsch lief. Da ich ein bisschen über das Thema wusste, interessierte es mich, ob ich etwas Neues lernen konnte. Ich blätterte einfach etwas durch und suchte nach Themen, die mich interessierten.

Aha... ja, das Opfer musste den Fluch hören, damit er wirkte, jedenfalls bei dem Typ Fluch, der direkt gegen jemanden ausgesprochen wurde. In diesem Falle lohnte es sich, diese Person namentlich anzusprechen, und zwar nach Möglichkeit mit dem Geburtsnamen, aber theoretisch funktionierte auch jeder Name, mit dem diese Person sich identifizierte. Ironischerweise wirkten Flüche am besten, die eher einfach klangen, denn sie boten nicht viele Ausweichmöglichkeiten. Nun war es leider nicht damit getan, sich die Ohren zuzuhalten, um einem Fluch zu entgehen. Im Gegenteil. Falls es sich als unmöglich erwies, den Sprecher zu stoppen, so empfahl es sich, genau hinzuhören, um dann anhand der Formulierung ein Schlupfloch finden zu können, und dabei konnte es auf sehr kleine Details ankommen. Den Sprecher zu unterbrechen, konnte Leben retten, aber nicht zwangsläufig. Manchmal veränderte sich die Bedeutung, wenn ein Fluch nicht zu Ende gesprochen wurde, was gefährlicher sein konnte als beabsichtigt. Schon ein faszinierendes Thema. Das Buch widmete sich dann verschiedenen Dingen, die einen Fluch stärker oder schwächer machen konnten, etwa bestimmte Orte oder spezielle Bedingungen und Hilfsmittel. Der Autor analysierte Unterschiede in Formulierungen, die sehr ähnlich klangen. Beispielweise bestand ein feiner Unterschied zwischen nach drei Tagen und am dritten Tag. Je mehr Spielraum der Magie blieb, wenn sie für Flüche zum Einsatz kam, umso mehr Überraschungen konnten passieren. Mit anderen Worten, Verfluchen und Verwünschen setzte eine gute Kenntnis der benutzten Sprache voraus und sollte lieber nicht in Fremdsprachen versucht werden, derer der Anwender nicht ausreichend mächtig war. Nach Möglichkeit sollte der Verfluchende sich gut überlegen, was er erreichen wollte, da sonst vielleicht etwas ganz anderes passierte.

Es gab auch Flüche, mit denen Gegenstände belegt wurden und die dann auf denjenigen übersprangen, der diese berührte. Der Autor schnitt dieses Kapitel kurz an, nannte einige Beispiele für als verflucht geltende Artefakte und verwies auf Band zwei.

Ich hätte mich gerne noch weiter mit Flüchen in der Theorie beschäftigt, zumal mir vieles bekannt vorkam und ich mich daher schlau fühlte, aber schon nach drei Kapiteln konnte ich kaum noch etwas von der kleinen Schrift erkennen, da meine Augen zu müde waren. Einschlafen konnte ich dennoch nicht, denn ich grübelte und machte mir Vorwürfe, überlegte, ob es bei Sorcs Verhandlung eine andere Lösung gegeben hätte und dachte darüber nach, was ich bezüglich seiner Unterbringung im Rahmen des Rehabilitationsprogramms Stufe Vier vorschlagen könnte. Es würde sicherlich nicht reichen, einfach Crimson gewähren zu lassen, der seinen früheren Chaosmagier behalten wollte. Er hatte zwar einen formellen Antrag gestellt, aber andere Bewerber würden sich vielleicht übergangen fühlen. Andererseits war der Zirkel niemandem Rechenschaft schuldig und konnte theoretisch einfach zugunsten des weißhaarigen Magiers entscheiden. Das wiederum war eigentlich nicht unser Stil, auch wenn ich mich im Grunde schon für diese Möglichkeit erwärmte. Vielleicht konnte ich Cosmea überreden, sich für ihren Enkel einzusetzen, das würde nicht so merkwürdig aussehen, wie wenn ich es tat.
 

Die Abstimmung fand nach de Frühstück statt und ohne unsere Partner, was bedeutete, dass sowohl Rose als auch Sage zurückblieben, während Cosmea und ich mit den anderen Zirkelmitgliedern erneut zu einer Versammlung in der Eingangshalle gingen. Diesmal bekam dann auch jeder einen Stuhl, weil keine Stehplätze eingeplant werden mussten. Es wurde eine recht einfache Sache. Vanis fragte uns, ob wir einverstanden wären, per Handzeichen abzustimmen, und da niemand ein Problem damit hatte, wurde es so gemacht. Es gab das übliche Spielchen: Auf die Frage hin, wer dafür sei, dass Crimson vom Lotusschloss in den Zirkel aufgenommen werde, um Arae zu ersetzen, zuckten mehrere Finger direkt hoch, andere überlegten ein wenig und zuletzt meldeten sich 18 Mitglieder dafür. Da ich sah, dass dies ausreichte, um die Mehrheit zu bekommen, enthielt ich mich als Einziger, während der Rest von uns dagegen stimmte. Die meisten taten das vermutlich nur, um ein Gegengewicht zu zeigen. Crimsons Aufnahme hatte ja nun nicht gerade für Empörung oder große Diskussionen gesorgt, aber ich für meinen Teil freute mich, dass ich mich etwas zurückhalten konnte. Meine Rolle bei dieser Angelegenheit war für meinen Geschmack eh schon zu groß.

„Damit ist Crimson unser neues Mitglied!“ verkündete Vanis. „Gibt es noch Fragen?“

Anscheinend nicht, denn es blieb still.

„Dann werden wir jetzt darüber beraten, was aus dem Rehabilitanden Sorc werden soll, welcher derzeit noch im Lotusschloss eine Stelle innehat,“ fuhr Vanis fort.

„Ich würde ja dazu neigen, ihn einfach bei meinem Enkelsohn zu lassen, da Crimson vermutlich eh darauf bestehen wird,“ ergriff Cosmea rasch das Wort. Ich hatte mit ihr zuvor über das Thema gesprochen, doch fast unnötig – sie hatte ohnehin geplant, sich für Crimson einzusetzen.

„In Anbetracht der Umstände, durch die es zur Ausbrennung des Rehabilitanden kam, wäre ich auch dafür,“ warf ich ein. „Sorc wurde offenbar Opfer eines Komplotts, wir sollten wenigstens seine Wünsche berücksichtigen. Die scheinen sich mit Crimsons zu decken.“

„Im Grundsatz stimme ich dir zu, Thau,“ begann Angelus und wurde von einigen lachenden Stimmen unterbrochen, die ihn mit seiner Frühstücksbeziehung zu dem weißhaarigen Magier aufzogen, von der wir ja alle wussten. Er nahm es gelassen, wartete auf Ruhe und sagte: „Allerdings dürfen wir uns meiner Meinung nach nicht ganz so parteiisch zeigen, zumal wir immer noch der Zirkel des Bösen sind und nicht die Wohltäter des Lichts oder sowas.“

„Ich hab mich schon drauf gefreut, einen Assistenten zu kriegen!“ ließ sich unser Mitglied Kozaky vernehmen, der sich auch seit geraumer Zeit um einen Rehabilitanden beworben hatte.

„Yubel, erörtere uns doch bitte, welche Stellen noch zur Verfügung stehen,“ forderte Vanis unseren Schriftführer auf, der sich daraufhin mit seinem Klemmbrett erhob und räusperte.

„Abgesehen von Kozaky, der sich generell beworben hat, haben wir beispielsweise noch die Amazonen und einen Harpyienstamm, die sich speziell für den Rehabilitanden Sorc interessieren. Auch das Kristallschloss hat nach Sorc gefragt. Hingegen haben wir unbestimmte Bewerbungen von folgenden Personen oder Organisationen. Da wäre zum einen der Meereskönig, der einen neuen Wirtskörper für seine Landaktivitäten sucht...“

Ich gähnte und meine Aufmerksamkeit driftete ab. Die durchwachte Nacht rächte sich nun, und im Grunde konnte ich hier auch abschalten, denn ich hatte meine Meinung kundgetan und hatte nicht vor, sie allzu vehement zu verteidigen. Das überließ ich dann Cosmea, die gerade neben mir wieder etwas einwandte, aber ich hörte nicht hin. Es wurde lauter, während die Diskussion lebhaft, wenn auch einigermaßen geordnet in Gang kam. Meines Wissens wurden ab und zu Bewerber bevorzugt, die einen bestimmten Rehabilitanden wollten, weil sich das ja anbot, aber das traf nicht immer zu. Ungewöhnlich war hier ja auch die Situation, dass Sorc eine Stelle innehatte und dort weder weg wollte noch von dem Anbieter gehen gelassen wurde. Sowas hatten wir zum ersten Mal. Jedenfalls konnte ich mich nicht einmal daran erinnern, dass wir schon jemals einen Rehabilitanden der Stufe Drei zu Stufe Vier befördert hatten, wenn man es so nennen wollte.

Nach einer Weile der ergebnislosen Debatte seufzte ich genervt und vielleicht lauter als beabsichtigt. Plötzlich fühlte ich mich angestarrt. „Uhm... schickt doch einfach alle Bewerber hin, damit sie Sorc ihr Angebot unterbreiten können, und wer es schafft, ihn abzuwerben, kriegt ihn,“ grummelte ich. Der Vorschlag war nur halb ernst gemeint, doch Vanis stürzte sich regelrecht darauf.

„Super Idee, Thau. Die Leute sollten die Erlaubnis bekommen, sehr... überzeugend aufzutreten, wenn ihr versteht. Das ist genau das, was zum Zirkel des Bösen passt. Dürfte Sorc und Crimson schön ins Schwitzen bringen.“

„Äh... okay, freut mich, dass ich helfen konnte...“ sagte ich.

Rund um mich herum fand meine im Nachhinein ziemlich dämliche Idee breite Zustimmung, und ich hoffte nur, dass später nicht mein Name damit in Verbindung gebracht wurde, falls sich jemand beschwerte. Der Vorteil war, dass wir nun etwas entschieden hatten und ich die Sache bald hinter mir lassen konnte.

Dachte ich jedenfalls, bis Vanis einen neuen Punkt anschnitt. „Sehr gut, dann werden wir eine Gruppe aussenden, die hingeht und es Crimson sagt. Sowohl das mit seiner Aufnahme als auch den Beschluss bezüglich des Rehabilitanden. Ich selbst werde natürlich gehen, wer möchte noch? Thau vielleicht? Du scheinst ja ein gewisses Interesse an der Angelegenheit zu entwickeln.“

Sah ganz so aus. Vermutlich hätte ich mich freiwillig gemeldet, wenn der Vorsitzende das nicht praktisch schon erledigt hätte. „Wenn du meinst, dass ich der richtige Mann dafür bin...“ begann ich und beobachtete bereits, wie Yubel meinen Namen notierte. Na großartig. Aber im Prinzip war es mir ganz recht, denn ich spürte, dass ich mich um diese Sache kümmern musste... aus Gründen, die sich mir derzeit nicht erschlossen. Vielleicht einfach um meines lieben Seelenfriedens willen. Ich würde mich davon überzeugen, dass Sorc trotz Ausbrennung ein schönes Leben vor sich hatte, und dann konnte ich vielleicht mein eigenes auch wieder genießen, ohne mir seinetwegen Gedanken zu machen. Vielleicht war es in diesem Zusammenhang doch nicht optimal, wenn er bei Crimson blieb, so dass ich ihm zwangsläufig hin und wieder begegnen würde, jetzt wo Crimson Mitglied im Zirkel war. Aber gut... damit würde ich mich schon arrangieren.

„Wir werden in drei Tagen zum Lotusschloss aufbrechen und treffen uns zu dem Zweck wieder hier, würde ich vorschlagen,“ sagte Vanis. „Wer nicht mitkommen will, kann diese Sache als erledigt betrachten. Damit ist dann auch die Sitzung geschlossen.“

Das ging ja doch sehr viel schneller als erwartet. Allerdings reisten wir jetzt nicht gleich alle hektisch ab, sondern blieben noch, um zu reden, Bekannte zu treffen und Fuma beizustehen. Es wurden auch Aufgaben verteilt, etwa das Formulieren von Botschaften an die einzelnen Rehabilitandenstellen sowie die Überbringung derselben. Hierbei blieb ich für gewöhnlich außen vor, da Burners Langsamkeit dem Zirkel bekannt war. Es gab andere Mitglieder, die sich gerne um solche Aufgaben rissen oder Untergebene hatten, die sie damit betrauen konnten. Außerdem gehörte ich ja nun schon zu der Abordnung, die erneut zum Schloss Lotusblüte reisen würde.

Bei nächster Gelegenheit wollte ich dann auch abreisen, um Basalt die Beute von den Behemots zu bringen, denn mir war irgendwie nicht wohl dabei, die blutigen Sachen in meinem Schlafzimmer aufzubewahren, auch wenn sie in eine Decke der Unverwüstlichkeit eingewickelt waren. Die Vorstellung war doch irgendwie eklig, weshalb ich das Paket auch an einer Stelle möglichst weit weg von den Betten platzierte.

Allerdings wollte ich auch nicht unhöflich erscheinen, zumal Rose bestimmt noch bei Fuma bleiben wollte, also plante ich mal eine weitere Übernachtung ein. Einen Vorteil hatte es... kostenloses Essen. Aber natürlich blieb auf der Farm wieder Arbeit liegen, und ich musste auch noch ein paar Tage Aufenthalt bei Crimson einrechnen. Jedoch... ein Teil von mir war zufrieden damit, denn ich hatte das Gefühl, das tun zu müssen, so als wäre ich irgendwie verantwortlich für den ausgebrannten Magier. Da spielte es auch keine Rolle, wie oft ich mir vor Augen führte, dass ich nur der Henker gewesen war, nicht aber der Richter.
 

Im Laufe des Tages fanden meine Frau und ich Hilfsarbeiten, die uns gut von der Hand gingen. Wir räumten den Garten auf. Dort hatten sich Fuma und Ray mit Schwertern duelliert, ehe er ihr erklären konnte, dass sie mit ihm den Bund schließen musste. Seltsame Geschichte, aber für mich war daran hauptsächlich relevant, dass sie dabei den Garten mit den schönen Ziersträuchern und Blumen verwüstet hatten, etwas, das ich weitestgehend beheben konnte. Wir gingen zu viert nach draußen (ich zog mich magisch um für die Arbeit), aber letztendlich räumten Ray und ich auf, während Rose und Fuma auf einer Bank saßen und sich leise unterhielten. Wir Männer beschwerten uns nicht, sicherlich brauchte die ehemalige Herrin des Hauses jetzt Zuspruch.

Zum Glück wusste ich recht gut, wie der Garten mal ausgesehen hatte, aber einige Beete mussten komplett erneuert werden, da die Blumen platt getrampelt worden waren, und die Sträucher mussten erst einmal nachwachsen, wo ein Schwert sie unschön gekappt hatte. Ray hatte leider wenig Erfahrung mit solcher Arbeit, so dass ich ihn anleiten musste. Wir schnitten die beschädigten Sträucher ein bisschen zurecht und verbrannten die Zweige auf einem Haufen. Ich zeigte ihm, wie man mit einem Spaten den Boden umgrub und die unbrauchbaren Pflanzen aussortierte. Einen Großteil konnten wir wieder einpflanzen, nachdem wir die Erde glatt geharkt hatten. Einige Blümchen wirkten etwas müde und ließen Blätter und Blüten hängen, aber das würde sich geben.

Ich gab mir Mühe, Sorcs Bruder nicht zu nahe zu kommen oder ihn gar zu berühren, denn ich wollte nicht, dass er noch mehr über mich hellsah. Aber eine gewisse Nähe setzte diese Art der Zusammenarbeit schon voraus. Falls er etwas sah, verriet er es mir nicht.

Außer uns waren natürlich noch andere Kollegen am Werk. Auch wenn sich manch einer allerhand darauf einbildete, im Zirkel des Bösen zu sein, so war sich doch niemand zu schade, mit anzufassen, ebenso die Lebenspartner, soweit sie mitgekommen waren. Jeder nach seinen Fähigkeiten eben.

Nachdem Ray und ich erneut einen Haufen mit zu entsorgenden Pflanzenteilen geschaffen hatten und ich im Begriff war, diesen zu entzünden, tauchte Rosaria bei uns auf. Ich ließ das Zündeln erstmal sein, denn er mochte kein Feuer. Insofern warf er auch einen missbilligenden Blick auf den Haufen, äußerte sich aber nicht dazu.

„Sag mal, Thau, was hast du mit dem Rasen vor dem Haus angestellt?“ klagte er mich an und baute sich mit den Händen in den Hüften vor mir auf.

Hätte ich nicht gewusst, dass Rosaria zum Typ Pflanze gehörte, hätte ich ihn wohl für eine Fee gehalten, denn er sah aus wie ein schlanker, hochgewachsener Mensch mit Flügeln – die, bei genauerem Hinsehen, aus Blütenblättern von Rosen bestanden, auf einer Seite rot, auf der anderen eher violett, und die Haut zeigte einen Pastellviolettton. Er trug eine typische Feentunika aus edlen Stoffen, die ihm erstaunlich gut stand, und gab sich außerhalb des Zirkels stets ein bisschen heilig... vermutlich eine Masche von ihm. Doch zur Zeit waren wir unter uns, somit konnte er sich mehr wie er selbst benehmen. Ich fand es immer etwas befremdlich, mich mit einer Pflanze zu unterhalten, selbst wenn es sich lediglich um ein Geschöpf vom Typ Pflanze handelte. Rosaria war nicht gerade mit einer normalen Pflanze zu vergleichen.

„Ach das...“ antwortete ich ihm endlich. „Ähm...“ Ich trat etwas näher, so dass ich leiser sprechen konnte und Fuma nicht mit der Information verstören musste. „Ich hab doch die Behemothkadaver verbrannt... Es war ein starker Zauber, der nichts von ihnen übrig gelassen hat. Aber er beschädigt manchmal auch die unmittelbare Umgebung ein bisschen...“

„Na das erklärt's,“ grummelte Rosaria. „Die Flecken da sind vermutlich ne Weile unfruchtbar, wenn man nichts macht. Ich werde ein paar Leute zusammentrommeln, die helfen, alles in dem Gebiet umzugraben und die betroffene Erde weitläufig zu verteilen, damit sie sich regeneriert.“

„Ich kann später auch mithelfen, wenn wir hier im Garten fertig sind,“ bot ich versöhnlich an.

Rosaria sah sich um. „Fein... aber mach das erst hier anständig fertig.“ Damit wandte er sich um und ging zurück zu seiner eigenen Arbeit vor dem Haus. Dabei grummelte er etwas vor sich hin, das so klang, als ärgerte er sich über Leute, die Pflanzen aus Achtlosigkeit verstümmelten. Vermutlich standen weder Fuma noch Ray derzeit ganz oben auf seiner Beliebtheitsliste. Ich als Erde verderbender Feuermagier sicherlich ebenso wenig.

Im Großen und Ganzen verlief der Tag aber recht zufriedenstellend, zumal es zu den Essenszeiten gute Mahlzeiten gab. Das Personal musste sich ordentlich ins Zeug legen, aber wir blieben ja nicht ewig. Mir fiel irgendwann auf, dass Malice der Praktikant nirgends mehr zu sehen war, und als ich nachfragte, fand ich heraus, dass er eigentlich am Vortag mit Black Luster abgereist war und niemand überhaupt gewusst hatte, dass er zurückgekommen war. Ich dachte mir meinen Teil dazu.

Am Abend plünderten wir Edehs Weinkeller und tranken auf sein Wohl. Auch das hatte Tradition, wobei wir es in diesem Falle nur taten, weil die offizielle Version der Ereignisse das verstorbene Mitglied nicht anklagte. Später fiel ich müde ins Bett, und da ich in der Nacht davor schon keine Ruhe gefunden hatte, hoffte ich auf guten Schlaf. Dank des Alkohols bereitete das Einschlafen jedenfalls keine Probleme.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  jyorie
2018-04-17T14:08:33+00:00 17.04.2018 16:08
/(=∵=)\ Hi,

die Versammlung des Zirkels des Bösen war interessant mit dem Offiziellen Bericht, damit man das Andenken/Ansehen des Toten in guter Erinnerung behält, - das kommt in die Akten. Und für alle die Da sind, gibt es dann noch die Wahrheit.

Bei der Wahrheit fand ich es sehr interessant wie Thau reagiert als er erkennt, das Sorc unschuldig ist. Ich musste dabei immer wieder an das Denken was er später auf dem Schloss erlebt und das macht es noch um sooooo viel mehr spannender, wenn man diese Reise dann auf seiner Schulter erleben wird, warum er Ray ausbildet und wie das Treffen mit Sorc wird.

Gefallen hat mir auch, wie Thau im Garten sich von dem Wahrsager verhält, damit der nichts über ihn erfährt – ich glaub er weiß schon mehr als Thau lieb ist^^°

Der Zirkel des Bösen muss auch nach seinen Statuten handeln^^° Interessant, das aber nach der Versammlung so viele geholfen haben das Anwesen von Arae wieder herzustellen.

Bei der Begegnung mit dem Pflanzenwesen, musste ich an das andere Schloß denken, wo ich zuvor dachte das es da eine Begegnung mit einem der Schlossherzen war – war das auch ein Pflanzenwesen, das eine Geschichte hören wollte und dann den Samen verschenkt hat?

War ein tolles Kapitel und du hast damit noch viel mehr Appetit darauf geweckt welche Wege das Schicksal hat und warum es Sorc so übel mitspielt, was es wohl vorhat und warum will es ihn auf so einem harten Weg läutern?

Liebe Grüße, Jyorie



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