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Hiraeth

von

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Kapitel 5 - Marise

Kapitel 5 – Marise

 

Kalt.

 

Es ist kalt.

 

Von einiger Entfernung hörte Marise leises Tropfen.

 

Wo war sie?

 

Sie versuchte ihre Augen zu öffnen, doch ihre Lider waren schwer wie Blei. Angestrengt lauschte sie ihrer Umgebung. Es war verräterisch ruhig, von dem monotonen Tropfen abgesehen. Über ihr konnte sie das leise Summen einer Lampe vernehmen, recht neben ihr hörte sie das unmissverständliche Tippen auf einem Infopad.

Sie war also nicht alleine hier.

Noch einmal wagte sie sie den Versuch, ihre Augen zu öffnen. Sofort – vom Licht der Deckenlampe geblendet – schloss sie diese wieder und stöhnte leise vor Schmerzen. Warum schmerzten ihre Augen nur so schrecklich?

Ihr Stöhnen ließ die Person, die offensichtlich im gleichen Raum mit ihr war, scheinbar aufhorchen. Sie stoppte die Arbeit auf ihrem Infopad und kam scheinbar langsam auf Marise zu.

 

„Marise?“, fragte eine junge Frau. Marise konnte ihren Tonfall nicht einordnen. Überraschung? Angst? Vorsicht?

„Wo bin ich?“, fragte Marise mit noch immer geschlossenen Augen. Bei dem Klang ihrer eigenen Stimme erschrak sie unwillkürlich. Ihre Stimme war kaum mehr als ihre eigene zu erkennen. Heiser und … metallisch? Panisch versuchte sie sich aufzusetzen, doch Hände drückten sie scheinbar mühelos herunter.

 

„Marise! Bleib bitte liegen. Wir … wir wissen nicht … was, was du …“, begann die junge Frau, doch brach mitten im Satz ab.

„Ich …“, begann sie erneut, atmete tief durch und setzte fort, „ich bin Evie. Du kennst mich vermutlich nicht einmal. Aber ich bin deine … Ärztin. Bist du bereit, mir einige Fragen zu beantworten?“

Marise horchte in sich hinein. Sie wollte es nicht noch einmal wagen, ihre Augen zu öffnen. Ihr Kopf schmerzte und ihre Glieder fühlten sich schwer an. Und sie fror.

„Kalt …“, brachte sie mühsam hervor.

Sie hörte, wie Evie fortging und in etwas zu kramen zu schien. Dann kam sie zurück zu Marise und breitete eine Decke über ihr aus. Sie war seltsam feucht, doch besser, als zu frieren. Marise atmete langsam aus, als sie schon wieder von Schlaf übermannt wurde. Noch bevor sie hörte, wie Evie sie noch einmal ansprach, war sie schon in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen.

 

 

„Lass‘ mich dich ablösen, Evie …“

Marise begann langsam, aufzuwachen und versuchte, ihre gereizten Augen erneut ein wenig zu öffnen. Wieder fühlten sie ich an, als würden kleine Nadeln in ihrer Netzhaut stecken, doch sie versuchte, sie offen zu halten.

 

Marise drehte langsam ihren Kopf in die Richtung, aus der die Stimmen kamen. Sie konnte nur Umrisse erkennen, doch sie erkannte die Silhouetten eines Mannes und einer Frau. Mit half geöffneten Augen beobachtete sie, wie die Frau aufstand und sich vor dem Mann aufbaute.

 

„Raphael, dein Bein ist kaum verheilt. Du solltest dich ausruhen. Ich kann nicht auf dich und … und Marise aufpassen.“ Dabei sprach sie Marises Namen mit einer solchen Angst aus, dass diese selbst innerlich zusammenzuckte.

 

Was war geschehen?

 

Da wurde plötzlich die Tür aufgestoßen und eine dritte Person stürmte in den Raum.

 

„Raphael! Was machst du hier? Du sollst Wache am Südeingang halten! Raus hier!“

Der Angesprochene setzte zu einer spöttischen Verbeugung an, dann verließ er leicht humpelnd den Raum. Der zweite Mann ließ sich auf einem Stuhl nieder und vergrub seinen Kopf in den Händen und raufte sich die Haare.

„Fínn … du hast in den letzten drei Tagen kaum geschlafen. Gib‘ die Verantwortung für ein paar Stunden an Naomi oder sonst wen, aber Gottverdammt, leg‘ dich hin!“

Fínn ließ einen kaum merklichen Seufzer aus.

„Naomi ist bereits überfordert. Das will ich ihr nicht weiter aufbürden. Und sonst … wem sollte ich sonst die Verantwortung übergeben? Raphael? Dir?“

Er schnaubte verächtlich.

Mit leichter Verletzung in der Stimme erwiderte Evie: „Ich habe mich auch nicht gemeldet. Ich habe mehr als genug mit ihr zu tun.“

„Wie oft?“

„Drei Mal, seit wir angekommen sind. Obwohl sie heute für ein paar Minuten bei Bewusstsein gewesen –“

 

Abrupt stand Fínn auf und stieß den Stuhl um. Dann ging er bedrohlich einige Schritte auf Evie zu.

„Marise ist aufgewacht? Warum hast du mir nicht Bescheid gegeben?“

„Es war für höchstens zwei Minuten, danach ist sie wieder in ein Delirium gefallen.“

„Ich habe verlangt, dass du sofort Bescheid gibst, wenn -“

 

„Finn …“

 

Obwohl Marise mit kaum merklicher und schwacher Stimme sprach, verstummte Fínn sofort und ließ von der jungen Ärztin ab. Er eilte zu Marise und schaute sie an – jedoch nicht, ohne einen ausreichenden Sicherheitsabstand zu wahren.

„Marise … du … du bist wach?“, stellte Fínn gezwungen ruhig fest, doch Marise konnte das Zittern in seiner Stimme deutlich hören. Evie drückte sich an Fínn vorbei und stellte sich vor Marise.

„Ich glaube, dich kann sie gerade am wenigsten gebrauchten, Fínn. Es ist mir vollkommen gleich, wen du abstellst, um die Verantwortung über dieses Camp zu nehmen, aber du legst dich jetzt hin. Geh‘!“, presste Evie hervor.

 

Marise konnte kaum ausmachen, was sich vor ihr abspielte, doch nach einigen Augenblicken schienen sich Fínns Schultern zu entspannen und er ging aus dem Raum. Evie ließ einen erleichterten Seufzer aus, dann kam sie auf Marise zu.

 

„Ist es ok, wenn ich dich untersuche?“, fragte sie zaghaft. Marise war noch immer verwundert, warum sie jeder mit der größten Zurückhaltung betrachtete. Doch sie nickte. Evie setzte sich auf die Kante des Bettes, in welchem sie lag und begann, Marises Puls zu fühlen.

 

„So eine Schande, dass CAI zerstört wurde …“, murmelte Evie, während sie sämtliche Standarduntersuchungen selbst an Marise durchführen musste. Sie trug ihre Werte auf ihrem Infopad ein, dann holte sie ein kleines Gerät, dass aussah, wie eine Lupe, in welchem gläserneren Rand Lichter eingesetzt waren.

 

„Marise, ich … glaube, dass deine Augen noch sehr empfindlich sind“, bemerkte Evie, als sie mit einem Tuch, die Tränen abwischte, die aus Marises Augen austraten. Sie konnte ihre Augen nur mit größter Anstrengung aufhalten.

„Dann … mach … schneller …“, presste Marise heraus. Wieder hörte sie das feine, metallische Klingen in ihrer Stimme.

Evie lächelte, scheinbar froh über Marises Aussage, und richtete das Gerät über ihr linkes Auge.

 

„Du wirst mich jetzt vermutlich hassen, aber …“, sagte die junge Ärztin, dann stellte sie das Licht an. Sofort bäumte sich Marise unter Schmerzen auf und versuchte, ihre Augen zu schließen, doch Evie drückte sie, mit einer Kraft, die Marise nicht erwartet hätte, herunter und hielt gleichzeitig Marises linkes Auge offen. Dann machte sie das Gerät aus und legte es langsam beiseite. Nachdenklich nahm sie erneut ihr Infopad, doch ihr Finger schwebte für eine Weile über der Oberfläche. Dann schüttelte sie ihren Kopf und legte das Pad beiseite.

 

„Entschuldigung, Marise“, murmelte Evie.

 

Marise starrte mit tränenden Augen an die Decke. Sie wusste nicht, ob dies nur Tränen der Überanstrengung ihrer Augen waren oder auch Tränen der Hilflosigkeit und Ratlosigkeit. Sie wusste nicht, was mit ihr passiert war, sie wusste nicht, warum ihre Augen so schmerzten. Sie konnte sich nur daran erinnern, dass sie … dass sie … gestorben war …

Plötzlich kam die Erinnerung an die Monster zurück, die die Akademie angegriffen hatten und an den Schmerz, als eines dieser Kreaturen ihren Oberkörper mit der Kristallspitze an seinem Schwanz durchbohrte. Panisch begann Marise, an den Schmerz zurückerinnert, nach Luft zu schnappen und zu schreien. Evie drückte sie erneut auf ihr Bett und versuchte sie zu beruhigen, doch dieses Mal stieß sie die junge Ärztin mit einer schnellen Bewegung vom Bett, sodass sie auf den Boden stürzte. Panisch versuchte Marise, aufzustehen, doch ihre Beine waren schwach. Sie taumelte einige Schritte zur Seite, dann stieß sie gegen einen Schrank. Evie lag noch immer benommen am Boden, also nahm Marise all ihre Kraft zusammen und schleppte sich, an dem Schrank festhaltend, einen Schritt nach dem anderen nach vorne, wo sie durch ihre verschwommene Sicht eine Tür ausmachen konnte. Ihre Beine konnten sie kaum tragen, doch Panik und Angst ließen sie immer weitergehen. Adrenalin durchströmte ihren Körper und als sie schließlich die Türklinke umfasste, stieß sie die Tür auf, fiel in den nächsten Raum und verriegelte die Tür, bevor Evie sich erreichen konnte.

 

Schwer atmend hob sie ihren Oberkörper an und schaute sich um. Scheinbar war sie in ein Badezimmer gelangt. Schnell evaluierte Marise ihre Optionen. Außer einer Dusche, einer Toilette und Waschbecken mit Spiegel befand sich nichts in diesem Raum. Kein Fenster. Nur die Tür, durch die sie gekommen war. Marise stieß einen lauten Schrei aus, als sie ihre Ausweglosigkeit erkannte und richtete sich langsam auf. Sie spürte das Flirren ihrer Augen, sie hatte Kopfschmerzen.

Als ihre Augen unter ihrem Gewicht nachgeben wollten, stolperte sie gegen das Waschbecken und hielt sich an diesem fest. Der Spiegel gab in diesem Moment ein leises Piepsen von sich, er hatte die Person vor sich erkannt.

 

Marise konzentrierte ihre Sicht auf den kleinen Monitor.

 

 

Identität: Marise Lovess

Medizinischer Status: Verstorben

 

 

Erschrocken riss Marise ihren Kopf hoch und betrachtete sich nun vollends im Spiegel. Zwar war ihre Sicht noch immer nicht vollkommen klar, doch sie erkannte sich gut genug, als dass sie auch den Grund ihrer schmerzenden Augen sah. Anstelle ihrer grauen Iris befanden sich dort violett-rosafarbene Kristalle. Sie waren nicht annähernd rund, sondern besaßen an manchen Stellen kleine Kanten. Entsetzt konnte Marise sich nicht von dem Anblick im Spiegel lösen, als sie ein lautes Knacken hörte. Als sie nach unten blickte, sah sie, dass sie das Waschbecken so stark umklammert gehalten hatte, dass es ihrer ihrem Griff einfach eingerissen und an manchen Stellen abgebrochen war. Die Porzellanscherben schnitten in Marises Hände. Da sah sie, dass sie blutete. Doch das Blut, dass aus ihren Händen auf den Boden tropfte, war nicht das satte Rot, welches ihr so bekannt war. Es wies einen leicht pastellfarbenen Violettton auf.

 

Panisch ließ Marise die Scherben fallen und betrachtete ihre Hände von Nahen. Doch noch immer war die Farbe ihres Blutes violett. Sie starrte wieder in den Spiegel und schieß erneut einen lauten Schrei aus. Dann begann sie, panisch im Bad auf und ab zu laufen. Doch noch immer waren ihre Beine nicht annähernd stark genug, um sie zu tragen, sodass sie immer wieder zu Boden stürzte. Plötzlich hörte sie jemanden gegen die Tür trommeln.

 

„Marise, mach sofort die Tür auf!“

 

Sie konnte Fínns Stimme erkennen.

 

„Hau ab!“, brüllte Marise panisch, als sie versuchte, sich in die hinterste Ecke des Raumes zu schleppen. Dann hörte sie schon, wie sich jemand gegen die Tür warf, um diese aufzubrechen. Ängstlich kauerte Marise sich in die Dusche und beobachtete die Tür, während sie immer wieder auf ihre Hände blickte, aus denen noch immer das pastellfarbene Blut tropfte.

 

„Fínn, hau ab!“, brüllte Marise noch einmal, gerade, als dieser durch die Tür brach. Er blickte sich schnell im Raum um und erblickte das zerbrochene Waschbecken und das Blut. Dann ließ er seinen Blick schnell durch den Raum schweifen und als er Marise sah, atmete er aus. Langsam kam er auf sie zu.

 

„Marise … ich will dir doch nur helfen“, sagte er, seine Stimme von Traurigkeit und Angst gezeichnet.

 

„Ich will … eure Hilfe nicht! Lass‘ mich allein, Fínn!“, keuchte Marise. Sie fühlte sich plötzlich müde. Doch als sie die junge Ärztin im Türrahmen sah, die ein Tuch an ihre blutende Stirn hielt, drückte sich Marise an der Duschwand auf die Beine. Sie blickte auf Evies Wunde, dann durchzuckte sie die Erkenntnis, dass es ihre Schuld war. Von plötzlicher Angst vor Fínn und ihrer eigenen Kraft getrieben versuchte sie an ihm vorbei aus dem Raum zu gelangen. Doch noch bevor sie an dem überrumpelten Fínn vorbeistürzen konnte, brachte dieser sie mit einer schnellen Fußbewegung zu Fall. Sofort stürzte er sich auf sie und drückte Marise mit dem Gesicht voran zu Boden.

 

Diese trat wild um sich und versuchte, Fínn von sich zu stoßen. Dieser drückte sie mit all seiner Kraft auf den Boden.

 

„Marise, hör verdammt nochmal auf! Du wirst noch einen von uns verletzen!“

 

Marise aber schlug immer weiter um sich und schrie vor Panik. Sie sah Evie, wie diese eine Hand vor den Mund geschlagen hatte und mit bleichem Gesicht das Szenario vor sich beobachtete. Plötzlich griff Fínn Marise unter ihren Oberkörper und richtete sie so auf, dass sie kniete. Fínn schlug sofort seine Beine von hinten um ihre Körpermitte und drückte sie fest an sich, während er einen Arm um ihren Hals schlang und zudrückte.

 

„Es tut mir leid, Marise. Ich sehe gerade keinen anderen Weg“, flüsterte er von hinten in ihr Ohr, als sie schon spürte, wie sie langsam das Bewusstsein verlor. Mit letzter Kraft konnte sie Fínn einen Schlag in seinen Magen und sein Gesicht verpassen, bevor ihre Arme schwach neben ihren Oberkörper fielen. Bevor ihr endgültig schwarz vor Augen wurde, konnte sie spüren, wie Fínn hinter ihr zu zittern begann.

 

 

Einige Tage später saß Marise alleine in ihrem Krankenbett. Sie hatte ihre Beine an ihren Körper gezogen und ihren Kopf auf diese gelegt. Sie war kurz nach ihrer Panikattacke wieder aufgewacht, doch konnte sich an kaum etwas erinnern. Auch Evie wollte ihr auch nicht jede Frage beantworten. Das einzige, an das sie sich erinnern konnte, waren ihre Augen und ihr Blut. Selbst, wenn sie ihre Augen schloss, hatte sie noch immer ein Bild der kristallenen Iris und ihrer blutenden Hände vor Augen. Jetzt waren diese verbunden und jemand hatte den Spiegel im kleinen Badezimmer abgehangen. Seit ihrer versuchten Flucht hatte sie Fínn nicht mehr gesehen.

 

„Evie?“, fragte sie schwach. Sie wusste, dass sie Ärztin irgendwo war. Trotz der Attacke auf sie war sie in den letzten Tagen nicht von Marises Seite gewichen. Sie hatte ihr erzählt, was seit ihrem … Tod auf Yadir geschehen war und wie sie Marise aus dem Kraftwerk gerettet hatten.

 

„Hast du nach mir gerufen?“, fragte Evie, die aus einem Nebenraum zu Marise kam. Sie hatte noch immer ihren Kopf verbunden, die Platzwunde heilte nur langsam. Marise fühlte sich schuldig. Vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben.

 

Ihre Sicht wurde mit jedem Tag stabiler. Sie sah kleine Fältchen neben Evies Augen – sie schien nur wenig Schlaf zu bekommen.

 

„Wie … wie geht es Fínn?“, fragte Marise leise, obwohl sie mit Evie in einem Raum war. In all den Tagen hatte sie sich nicht getraut, nach ihrem früheren Trainingspartner und –kameraden zu fragen. Evie schüttelte den Kopf und setzte sich zu Marise auf das Bett.

 

„Du hast ihn ganz schön zugerichtet, Marise. Er …“, Evie setzte an, doch brach mitten im Satz ab. Dann schüttelte sie den Kopf, „du fühlst dich gut genug, richtig?“

 

Als Marise nickte und Evie anschaute, stand diese auf und reichte ihr eine Hand.

 

„Vielleicht solltest du lieber selbst mit ihm sprechen.“

 

Marise schaute verwirrt zu der jungen Ärztin. Diese lächelte schwach.

 

„Er ist im Nebenzimmer.“

 

Zögerlich richtete sich Marise auf und stütze sich auf Evie. Gemeinsam gingen sie in einen kleinen Nebenraum, in dem Fínn auf dem Boden saß, in seinem Schoß sein Infopad, in dem er etwas las und neben ihm seine Plasmawaffe. Unwillkürlich wich Marise zurück, ihre Augen auf die Waffe gerichtet. Doch als Fínn sie und Evie bemerkte, stand er auf, nahm er die Waffe in seine Hände und steckte das Infopad in eine Jackentasche. Er nickte hinter sich und öffnete die Tür zu einem weiteren kleinen Raum, der vollkommen intakt schien. In diesem stand ein Tisch und einige Stühle.

 

„Evie, magst du uns allein lassen?“, fragte Fínn ernst.

 

Evie nickte und übergab Marise an ihn. Diese fühlte sich sehr unwohl, zumal Fínn sie kaum beachtete und die Waffe in seiner Hand umklammert hielt. Im Raum ging er zu einem Stuhl und ließ Marise Platz nehmen, dann ging er zur Tür und schloss diese ab. Noch immer der Tür zugewandt atmete er tief aus, dann drehte er sich um.

 

Marise zuckte leicht zusammen, als sie Fínns mit kleinen genähten Wunden und blauen Flecken übersätes Gesicht getrachtete.

 

„Fínn, es tut mir so leid“, brachte Marise hervor, während sie zitternd ihre Hände betrachtete. Nicht nur hatte sie scheinbar eine unschuldige, junge Ärztin verletzt, sondern auch Fínns Gesicht stark gezeichnet. Und sie konnte sich an nichts erinnern. Plötzlich hörte sie das leise Klicken einer Waffe. Erschrocken blickte sie auf und schaute direkt in den Lauf von Fínns Plasmawaffe, die er auf eines ihrer Augen gerichtet hatte. Seine Hand zitterte stark.

 

Was bist du?“, fragte er mit gebrochener Stimme.

 

Marise schaute am Lauf vorbei in seine Augen. Sie waren weit aufgerissen und rot unterlaufen.

 

„Schau mich nicht an! Was bist du?“, brüllte Fínn nun fast.

 

Schuldbewusst ließ Marise den Blick senken und schaute auf ihre bandagierten Hände. Sie dachte an ihre Kristallaugen und das pastellfarbene Blut.

 

„Ich bin …“, begann sie, doch brach ab. Was war sie? Ein Mensch? Wohl kaum …

 

Fínn hielt seine Waffe noch näher an Marise heran. Langsam hob sie ihre Hände, als würde sie sich ergeben und richtete sich noch langsamer auf. Die Waffe wich niemals von ihrem Auge. Als sie stand, standen Fínn und sie nur durch die Pistole getrennt gegenüber.

 

„Fínn. Ich bin bereits tot. Ich bin schon gestorben! Etwas hält mich am Leben. Lass‘ mich herausfinden, was es ist. Bitte. Bitte halt mich nicht davon ab. Ich … will dir nicht noch mehr wehtun.“

 

Marise atmete aus. Es fühlte sich seltsam befreiend an. Selbst, wenn sie hier atmend vor ihm stand, war sie sich sicher. Sie war kein lebender Mensch mehr. Ihr Blut war pastellfarben, ihre Augen waren Kristalle und ihre Stimme hatte noch immer einen leichten, metallischen Unterton.

 

Plötzlich zitterte Fínns Hand, in der er die Waffe trug, so stark, dass er Mühe hatte, die Waffe unter Kontrolle zu halten. Doch bevor er einen Schuss abgeben konnte, ließ er die Waffe zu Boden fallen und ging selbst auf seine Knie. Seine Schultern begannen zu zittern.

Marise kniete sich vor ihn. Er hatte seinen Kopf zu Boden gerichtet, einige Strähnen seiner braunen Haare hatten sich aus seinem Knoten am Hinterkopf gelöst.

 

„Ich habe dich sterben sehen“, flüsterte Fínn mit tränenerstickter Stimme, „du bist vor meinen Augen gestorben.“

 

Er hob seinen Kopf und blickte Marise direkt an. Seine Augen waren rot und von Tränen verschwommen, die nacheinander auf den Boden tropften. Er ballte eine Hand und schlug sie auf den Boden.

 

Marise legte eine Hand auf seine Schulter, doch er schlug sie beiseite und stand auf. Er schaute auf sie herab, dann drehte er sich um und schloss die Tür auf. Ohne sich noch einmal umzudrehen ging er aus dem Raum.

 

„Fínn, was zur Hölle ist in dich gefahren!“

 

Marise konnte Evie rufen hören, doch ob Fínn ihr etwas sagte oder einfach ging, konnte sie nicht hören. Sie blieb in dem kleinen Raum auf dem Boden sitzen und, als Evie den Raum betrat, um nach Marise gesehen, spürte sie, wie auch ihr Tränen über die Wangen liefen und auf den Boden tropften. Als sie nach unten sah, bemerkte sie, dass auch ihre Tränen glitzerten – wie Kristall.       



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