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Kalendertage

Der Tag, an ...
von

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34 – Der Tag, an dem ich den Zug erwischen musste

Die wenigen Dinge an unserem Lagerplatz waren schnell im Rucksack verstaut. Dann starrte ich unschlüssig in die Runde und acht Augenpaare starrten zurück. Nein, es waren nur sieben, weil Bisuke das Wetter nicht leiden mochte, über Kopfschmerzen klagte und daher seine Augenlider angespannt zusammenpresste hatte. Da saß er nun mit gesenktem Kopf und eingezogener Rute und harrte der Dinge, die da noch kommen mochten. Bis dato lag es außerhalb meines Wissens, dass Hunde überhaupt Kopfschmerzen haben konnten. Aber es war eh schon sehr gewöhnungsbedürftig für mich, sie wie Menschen sprechen zu hören. Unvergesslich würde für mich wohl auf ewig die Szene am Fluss bleiben, wie Pakkun zum ersten Mal in meiner Anwesenheit sein Maul öffnete und mit seinem Herrchen sprach. Es war in dem Moment so abstrakt, dass ich mir selbst Halluzinationen unterstellte. Nach alledem war es kaum noch verwunderlich, wenn Hunde menschenähnliche Krankheitsbilder aufwiesen.

Pakkun, Ûhei, Buru, Shiba, Bisuke, Urushi, Akino und Guruko. So hieß das Rudel. Die acht Hunde hätten unterschiedlicher nicht sein können. Nicht nur ihrer Rassen wegen, sondern auch von ihrem Charakter. Tiefenentspannt oder aufgeweckt, behäbig oder flink, kräftig oder zart, kreativ oder rational, angriffslustig oder zurückhaltend, superinterlligent oder durchschnittlich. Man müsste die Liste unendlich erweitern, um jedem Tier halbwegs gerecht zu werden. Es waren acht eigenständige Persönlichkeiten, die aber gelernt hatten, ein Rudel zu bilden und zusammenzuarbeiten. Jeder einzelne wäre es wert, ihm mit einem Extrakapitel zu ehren. Vielleicht würde ich es irgendwann auch einmal tun. Da war ich fast schon ein Fremdkörper. Hoffentlich wurde ich von deren Seiten akzeptiert und nicht nur deswegen ausgehalten, weil es ihre befohlene Bestimmung für den heutigen Tag war.

Aus dem Morgengrauen wurde langsam eine Dämmerung, welche die Farben mitbrachte. Die oberen Baumwipfel bekamen schon einen zarten Lichtstreif in Grün vom ersten Sonnenstrahl, der über den Horizont kroch. Auch der Himmel änderte sein Farbkleid zu feinen Pastellfarben. Bald wäre er azurblau. Der Tag würde wieder sonnig, wohl aber weniger heiß werden. Wie schön! Als ich letztens durch die Felder hierher streifte, hatte ich mir einen kräftigen Sonnenbrand eingehandelt. Und Kakashis Einschätzung, in diesem Wald gäbe es garantiert keine bluthungrigen Mücken, hatte er wohl auch nur auf sein eigenes Blut bezogen. Der hatte keinen einzigen Stich. Ich dafür umso mehr. Um genau zu sein, waren es fünf Stiche an den Füßen, zwei an den Unterschenkeln und noch sieben an den Armen. Da brauchte ich nicht lange zu überlegen, dass ich Tenzôs Umhang als Sonnen- und Insektenschutz missbrauchte. Der trug sich erstaunlich leicht und kühlend auf der Haut. Wenn man mich in Begleitung mit den Ninja-Hunde sah, könnte man meinen, ich wäre eine Gesandte Konohas. Ich schickte Stoßgebete zum Himmel mit der Bitte, unterwegs nicht auf andere Mitmenschen zu treffen. Wer wusste schon, wer da draußen herumrannte und einen Groll gegen Konoha hegte? Da wäre ich ein dummes Opfer zum Frustablassen, weil ich zwar aussah wie ein Shinobi, aber nicht so agierte wie einer.

Nun musste es auf meiner Reise endlich weitergehen und ich freute mich sehr, diesmal wenigstens tierische Gesellschaft zu haben. In Gemeinschaft ging es leichter voran. Mal sehen, wie die Meute auf mein Tempo reagieren würde. Ûhei war meinen gleichmäßigen und zügigen Gang gewohnt, doch weil ich nicht von Baum zu Baum sprang, könnte es dem Rest vielleicht zu langsam vorangehen. Auch mit Pakkun war ich schon enger bekannt, weil es Kakashis Liebling war, auch wenn er immer sagte, ihm wären alle acht Tiere gleich lieb. Wenn man beide beobachtete, so sah man sofort, dass die beiden einfach am besten mit einander harmonierten. Sie hatten auch beide die längste Beziehung. Die anderen sieben Hunde folgten erst Jahre später.

Mit dem Rest des Rudels hatte ich bisher nur sehr wenig Kontakt gehabt. Wenn ich es genau überlegte, so hatten wir uns allesamt nur einmal an meiner Wohnungstür gesehen, und da waren sie auch schon alle auf dem Sprung gewesen. Etwas unschlüssig überlegte ich kurz. Dann entschied ich mich, einfach die Hunde den Weg suchen zu lassen. Kakashi hatte sie beauftragt, mich zu begleiten, also würden sie dies wohl auch tun.

„Guten Morgen!“, begann ich zur Meute zu sprechen.

Auch wenn sie schon eine Weile hier saßen, so hatten wir uns noch nicht gegenseitig begrüßt. Es war mir sofort aufgefallen, dass sie es freudig quittierten, wenn man höflich zu ihnen war und Befehle und Aufforderungen lieber als Bitte formulierte. Das kam bei denen gut an.

„Ich habe erst heute morgen erfahren, dass ich in Richtung Nordosten zu einem Güterbahnhof oder so etwas Ähnlichem gehen soll. Dort sollen wir auf Kakashi und Tenzô warten. Ich möchte euch bitten, mir den Weg zu zeigen. Ich weiß den nämlich nicht.“

Natürlich bellte das Alphatier zuerst eine Antwort.

„Stimmt es, dass du immer noch nicht auf Bäume klettern kannst? Dann müssen wir Straßen und Wege nutzen“, fragte Pakkun nach.

Möpse guckten durch ihr Knautschgesicht immer emotionslos. Mittlerweile bin ich sogar davon überzeugt, sie könnten durch die Falten nur zwei Gesichtsausdrücke formen: Schlafen oder Gucken.

„Natürlich kann sie das, aber sie hat doch kein Chakra. Wir müssen also normale Pfade am Boden nutzen“, fiel ihm Ûhei ins Wort.

„Kein Chakra? Ich dachte, das wäre nur ein Gerücht, dass sie keine Kunoichi wäre?“

Shiba guckte da doch echt ein wenig verdutzt und Buru setzte noch einen oben drauf:

„Was hat sich denn Kakashi dabei gedacht, als er dich aussuchte? Hat er überhaupt etwas dabei gedacht?“

Buru meinte sowas nicht böse. Er trug nur stets das Herz auf der Zunge und sprach grundsätzlich frei heraus. Mit dem letzten Satz war die Frage direkt an mich gegangen. Dazu kam Buru noch auf mich zu getrottet und schnüffelte an mir, wie an einem Stück verwestes Fleisch. Buru war riesig und trug seinen Namen zurecht. So groß wie ein Bulle. Da hatte ich schon Muffesausen, wie er so vor mir stand und schnupperte, obwohl er der Schläfrigste von allen war.

„Ich hab keine Ahnung, was er sich dabei gedacht hat“, gab ich verdattert zurück.

Eine schlagfertige Antwort war mir nicht eingefallen. Eher überlegte ich, ob die Hunde nachvollziehen könnten, dass Menschen ihre Partner aufgrund vieler unterschiedlicher Faktoren aussuchten und bei der Wahl besondere Fähigkeiten für erfolgreichen Nachwuchs eher zweitrangig waren. Buru hatte seine Schnuppereinheit an mir beendet und war ohne Worte davongetrottet. Schwer zu sagen, ob er nun von mir überzeugt war oder nicht. Ein Gejammer von der Seite holte mich aus meinen Gedanken.

„Dann brauchen wir ja ewig bis zum Gleisabzweig“, jaulte nun Bisuke dazwischen und kam auf das erste Thema wieder zurück.

Einige nickten Ohje, da hatte ich ja eine Diskussion entfacht und zugleich die Stimmung gekippt. Zumindest wussten die Tiere aber, wohin die Reise gehen sollte. Das war schon einmal ein großer Pluspunkt. Noch bevor ich mir ein paar überzeugende Worte zurechtlegen konnte, setzte sich die Meute plötzlich in Bewegung. Wir marschierten erst auf einem Pfad durch den Mosaikhain bis wir den Waldrand sahen. Dort mündete der Pfad in einen breiten, geschotterten Fahrweg. Es war interessant zu beobachten, wie die Hunde alle um mich herumliefen. Meist in einem Schritttempo, manchmal trabend. Mal hielt einer an und hob an einem Baum sein Bein. Mal wurde am Wegrand geschnuppert oder im Erdreich gescharrt. Wie ein normales Rudel. Ich kam mir vor wie eine Hundetrainerin, die gerade mit ihren Tieren Ausgang hatte. Gassigehen für Fortgeschrittene.

Ich genoss den Spaziergang. Bald schon hatten wir einige Gemüsefelder hinter uns gebracht und näherten uns wieder bewaldeten Gebieten mit morastigen Wiesen. Der Weg war mittlerweile gepflastert und würde auch bis zum Gleis so blieben. Tenzôs Umhang war eine Wohltat, den der Wald war ebenfalls sumpfig. Die verhassten Mücken schwirrten nun in großen Schwärmen umher. Unzählige Brücken und Stege führten über kleine Bäche. Dort, wo es sich im Sumpf zu Tümpeln staute, tanzten Libellen im Sonnenlicht. Noch nie hatte ich so viele verschiedene Libellen gesehen. Auch an den vielen Lilienarten und ihre verschwenderische Blühsucht konnte ich mich kaum sattsehen. Bald kamen wir an eine Schlucht. Tosend stürmte das Flusswasser durch die Felsen. Es rauschte und gurgelte durch die Schlucht. Mitten auf einer Steinbrücke hielt ich inne und verlor mich in dem Anblick des wilden Wassers, wie es dort unten strudelte und spritze. Ein Ohren betäubener Krach. Im Gischt schillerte ein Regenbogen und erinnerte mich an die überdimensionalen Wasserfälle von Tanigakure. Pakkun zupfte an meinem Hosenbein. Ûhei stupste meine Hand an. Es ging weiter.

Nach den letzten überstandenen Etappen war nun diese hier ein Klacks. Schon nach einer gemütlichen Stunde tauchte nach einer Biegung parallel zum Weg das Gleisbett auf. Ich verließ mich auf die Meute und folgte ihr. Schon bald sah man in einer großen Waldschneise einige Lagerhallen, Rangiergleise und ein Stellwerk. Das müsste es wohl sein. Ich war mir nicht sicher, ob ich da einfach darauf zu spazieren oder lieber im Schutz der Bäume bleiben sollte. Wieder gaben die Hunde den Ton an. Sie streunten um die Anlage herum und suchten sich ein ruhiges Plätzen, von wo man zwar gut sichtgeschützt war, aber dennoch alles im Auge hatte. Hier verweilten wir. An einen Baum gelehnt döste ich vor mir her. Mit Kakashi und Tenzô hatten wir keine Uhrzeit vereinbart. Da blieb nichts anderes übrig als warten.

„Hey Nina, was ist Bisuke unter einem Baum?“, bellte mich Shiba an.

„Öhm, keine Ahnung?“, schreckte ich aus dem Halbschlaf hoch.

„Ein schattiges Plätzchen!“

Gegröltes Gekläffe vom Rest und ein beleidigter Bisuke. Der war heute augenscheinlich das auserkorenen Opfer für Witze aller Art. Armer Kerl! Anscheinend war auch dem Rudel ebenso langweilig wie mir. Es dauerte einen Moment, bis ich das Wortspiel verstand. Bisuke konnte man mit „Keks“ übersetzten und ein Plätzchen war ja auch so eine Art Keks. Das Wortspiel war gar nicht mal so blöde. Ein Keks unter einem Baum war ein schattiges Plätzchen. Ich kicherte und kraulte zum Trost Bisukes Nacken. Der schaute nach wie vor schmerzempfindlich und nahm die kleine Massage dankbar an.

Kurz darauf raschelte es im Geäst. Die Hunde rissen die Köpfe hoch, blickten starr alle in dieselbe Richtung und spitzen die Ohren. Ich war angespannt. Was hatten sie denn entdeckt? Plötzlich setzte das große Wedeln ein.

„Kakashi und Tenzô sind nicht mehr weit!“, witterte Akino.

„Ja, aber sie sind nicht allein“, stellte Guruko fest.

Nicht allein? Was war denn da los? Ich fragte nach, wie weit sie denn entfernt wären. Nicht mehr weit, hieß es da. Und schlagartig wurde es Nacht. Ein Donnergrollen brach über uns herein. Blitze zuckten. Die Erde bebte. Reflexartig klammerte ich mich an den Baum, an welchem ich gerade noch gedöst hatte. Ein Shuriken durchbohrte knapp über mir das Holz. Nur ein Wimpernschlag später hockte Kakashi neben mir, schlug die Hände auf den Boden und ließ eine Erdwand mit plastischen Hundeköpfen vor uns beiden aus dem Boden wachsen. Die nächsten feindlichen Wurfgeschoss blieben darin stecken.

„Na, das sind ja Anfänger“, kommentierte er seinen Feind.

„Ist etwas schiefgelaufen?“ fragte ich ängstlich.

„Nö. Die eben haben wir unterwegs aufgegabelt. Komm mit rüber zu den Gleisen!“

Wir rannten los, und es war wohl die Angst, die mich mit ihnen halbwegs Schritt halten ließ. Es waren nur wenige Meter von dem Baum bis zu den Gleisen. Trotzdem keuchte ich mir die Lungenflügel aus dem Leibe. Vornüber gebeugt stützte ich mich auf den Oberschenkeln ab und kämpfte gegen den Kreislaufkollaps. Beinahe hätte ich den Kampf verloren, denn Tenzô stand wie aus dem Nichts schlagartig neben mir. Der Schreck ging mir durch Mark und Bein.

„Zwei sind wir los“, machte er nur trockene Meldung.

Wie, los? Tot? Oder bewusstlos geschlagen? Hm, ich war mir sicher, dass ich die Antwort gar nicht hören wollte. Auf jeden Fall standen wir nun mitten zwischen den Gleisen und für jedermann weithin sichtbar. War das nicht eine ungünstige Position, wenn man angegriffen wurde? So wäre man doch eine hervorragende Zielscheibe. Das musste wohl nur meine Sichtweise sein, denn Tenzô und Kakashi standen so locker in der Gegend herum, als wären sie auf einem Sonntagsspaziergang unterwegs. Die Stimmung des Ortes war merkwürdig gespannt. Noch immer hingen die pechschwarzen Gewitterwolken über unseren Köpfen. Es blitzte und donnerte, doch es fiel kein Tropfen Regen. Wohl auch ein Justu, schlussfolgerte ich mir selbst im Stillen.

„Was wollen die?“, erkundigte sich Pakkun, der sich gelangweilt mit dem Hinterbein am Ohr kratzte.

Kakashi zuckte mit den Schultern. Die Vermutung lag nahe, dass es sich im Abtrünnige handeln müsste und diese nun lieber als Diebesbande durch Lande zog. Das Fluss-Reich schien mir ein gefährliches Pflaster zu sein. Und Tenzô schlug vor, man könnte sie ja mal fragen.

„Welchen denn? Den da hinter der Lagerhalle? Oder den da im Baum?“

„Is' mir egal... Wann kommt eigentlich der Postzug?“

Wusste der Geier, was hier lief. Ich verstand nichts mehr. Wenigstens wussten meine beiden Ninjas wohl, worum es ging und so blieb mir nur die Rolle des erstaunten und stummen Beobachters. Und so sah ich, wie mein Freund Fingerzeichen formte oder besser: Ich sah es eigentlich nicht. Das ging so schnell, dass man meinen könnte, er hätte nur mal eben seine Hände ausgeschüttelt. Dann erstrahlte seine rechte Hand in einem violetten Blitzlicht. Es knisterte als wenn unzählige Knallerbsen gleichzeitig auf den Boden geworfen würden. „Raiton Shiden“ hörte ich ihn noch sagen, dann zuckten violette Blitze so schnell über den Boden, dass man es mit bloßem Auge kaum verfolgen konnte. Zeitgleich hörte und sah man es Plumpsen. Ein Feind rauschte aus der Baumkrone, ein zweiter rollte vom Lagerdach herab. Ich konnte nicht anders, als nur zu gaffen, denn es war faszinierend und unheimlich zugleich. Die Vorstellung wurde komplettiert, als Tenzôs Rankenäste die beiden umschlossen und zu uns vor die Füße wucherten. Den einen hatte der Blitz wohl zu heftig erwischt, denn er hing bewusstlos in den Zweigen und würde erst einmal kein Wort mehr von sich geben. Der andere funkelte uns wütend an, konnte aber seine vor Furcht zitternden Körperteile kaum im Zaum halten. Höflich, aber bestimmt wurde nun unser Gefangener nach seiner Mission ausgefragt. Und immer, wenn die Antwort nicht so klang, wie man es hören wollte, zocken sich die Schlingen kurz fester zusammen. Böse Falle!

„Ich hab' dich sofort erkannt. Wir sind uns früher schon einmal begegnet, Hatake Kakashi! Und irgendwann krieg' ich dich!“, spuckte der Typ nun Gift und Galle ohne auch nur auf eine einzige Frage zu antworten.

Kakashi aber legte nachdenklich den Kopf schief, kratze sich an jenem und seufzte dann:

„Na schön, ich war auf weit über tausend Missionen unterwegs und das ist über zehn Jahre her. Hilf' mir auf die Sprünge! Wann sind WIR beide uns da mal über den Weg gelaufen?“

„Du hast einfach zu viele Fans, Sempai!“, warf Tenzô unkend ein.

Da musste selbst ich ein Lachen unterdrücken, weil mir der schwarze Humor gefiel. Ich verstand nun langsam die Zusammenhänge. Diese Aktion hier hatte nichts mit der Sache zu tun, die meine Beiden untersucht hatten. Es war ein dummer Zufall, dass sie sich auf dem Rückweg über den Weg gelaufen waren, und einer der Angreifer hegte wohl immense Rachegedanken gegenüber den Konoha-Shinobis. Das Spiel hätte man wohl noch eine ganze Weile wie Kaugummi in die Länge ziehen können. Doch ganz andere Ereignisse näherten sich unaufhaltsam. Das Erste sah sogar ich als Laie: Tutend und ratternd näherte sich der Postzug, welcher die Post aus dem Fluss-Reich aufnehmen und dafür Pakete und Briefe aus aller Herren Länder hierher abgeben sollte. Schon hielt er an einer der Laderampen und würde in Kürze weiterfahren. Das Zweite spürte ich fast gar nicht. Ich hatte das Gefühl, der Boden wäre weich geworden und würde nachgeben. Als dann plötzlich gleichzeitig meine beiden Shinobis schnelle Blicke austauschen, wurde mir der Ernst der Lage klar.

„Was machen wir mit dem hier?“, überlegte Tenzô laut und sofort wusste ich, dass es nur eine einzige Lösung gab.

Ich war geschockt. Sie wollten den doch nicht hier vor meine Augen kalt machen? Meine Gedanken mussten sich auf mein Gesicht projizieren, als ich beide kreidebleich ansah. Als hätte Kakashi dieses nun wiederum ablesen können, seufzte er ein zweites Mal und forderte Tenzô auf, beide Gefangenen einfach ziemlich weit und ziemlich lange irgendwo im Wald zu verpflanzen bis unser Vorsprung groß genug wäre. Immerhin hätte unsere Gruppe gleich ein ganz anderes Problem. Ein feindlicher Erd-Jutsu-Nutzer verwandelte den Boden gerade zu Moosgummi. Vermutlich gehörte er auch zu der Bande, die Dank Kakashi und Tenzô schon empfindlich dezimiert worden war.

„Wenn der Zug vorbeifährt, springt du rein!“, wurde mir aufgetragen.

„Ich soll WAS?!“

Dann wurde der Boden unter unseren Füßen wie Pudding. Da gab es nichts mehr zu kapieren, was es nun zu tun galt. Ich machte auf dem Absatz kehrt und rannte mit der Meute zusammen los. Der Zug fuhr zwar im Schritttempo an, aber bis zu ihm hin waren es noch einige hundert Meter. Und ich kam kaum voran. Meine Füße sackten in das Erdreich ein wie in Treibsand. Jeder Schritt wurde schwerer und schwerer. Selbst die Hunde hatten ihre liebe Not. Zu allem Übel hatte der Zug gerade die letzte Weiche passiert und kam nun auf die offene Strecke. Gleich würde er das Tempo anziehen. Hey, warte auf uns! In meinem Kopf kreiste es allein darum, wie ich den Zug rechtzeitig erreichen würde. Soweit, dass ich den auch erklimmen müsste, war ich mit meinen gedanklichen Bemühungen noch nicht, denn der Zug hatte keine offenstehenden Türen. Davon mal ab, klappten solche Stunts, wie auf fahrende Züge aufspringen, eh nur im Film. Ich sah dem Ganzen hoffnungslos entgegen. Als der Zug dann tatsächlich Fahrt aufnahm und just in der Sekunde meine beiden Ninjas an mir vorbeischossen, gab ich entmutigt auf. Die Ninken hatten sich längst in Luft aufgelöst. Zum einen wurden sie hier nicht mehr gebraucht und zum anderen war selbst denen das Hinterhergerenne echt so was von zu blöde. Da wollte ich nun schon stehen bleiben, ein schmollendes Gesicht auflegen und und noch mit dem weißen Taschentuch hinterherwinken. Das Leben war echt unfair und Chakraverteilung unter Mitmenschen so wie so.

Eiserne Rädern blockierten, Bremsen quietschten. Ein Koloss aus Stahl legte eine Notbremsung hin. Ein Haltesignal war durch Fremdeinwirkung auf Rot gesprungen. Perplex glotzte ich auf eine aufspringende Tür am letzten Wagen und die fröhliche Aufforderung, endlich den Waggon zu besteigen. Da kam wieder Leben in meinen Körper. Auf keinen Fall wollte ich hier ausgesetzt werden. Rasch kletterte ich die wenigen Stufen hinauf und war schon im Inneren eines Wagens, der über und über mit Briefsäcken bis an das Dach voll gestapelt war. Nur ein schmaler Gang trennte den Wagen in Längsrichtung in zwei Hälften ein. Die Ladung war nicht gesichert. Na, wenn das man gut ging. Noch so eine Vollbremsung und die Sackberge würden einstürzen. Das wäre doch mal ein ruhmreicher Untergang. Mission erfüllt, aber auf dem Rückweg vom Postsack erschlagen.

Es war dunkel in dem Waggon. Durch die zugestellten Fenster drang nur spärlich Licht hinein. Das gleichmäßige Rattern des Zuges begleitete uns. Bis zum Güterbahnhof von Konoha würde es noch gut zwei Stunden Fahrtzeit dauern. Ich war an Kakashis Schulter eingeschlafen und wurde jäh geweckt, wie Tenzô sich plötzlich mit einem „Bis bald!“ verabschiedete. Dann riss er die Tür auf und ward nicht mehr gesehen. Mission war halt Mission, und seine Dauermission, Orochimaru zu beschatten, noch lange nicht erfüllt. Doch ich hatte, als die Tür auf und zu flog, trotz des blendenden Lichts etwas anderes gesehen. Etwas, was mir vorhin beim Angriff gar nicht aufgefallen war, weil so viel Stress und Unruhe herrschte. Nun aber sah ich es deutlicher. Die Baumwollbinden, mit denen Kakashi seine Beintasche am Bein fixierte, war rot getränkt. Blutrot.

„Wie konnte das denn passieren?“ schrie ich erschrocken auf.

„Ich bin halt nicht mehr so im Training wie früher...“, war die nüchterne Erklärung.

Es war die falsche Erklärung. Das was wollte ich nicht hören. Ich wollte auch nichts davon hören, dass es lediglich eine Fleischwunde wäre. Ein glatter Stich, der schon bald verheilt wäre. Er hatte mir etwas versprochen. Er hatte versprochen, dass er zurückkommt. Ohne Wenn und Aber. Und nun so was. Es mochte unter Shinobis nur ein Kratzer sein, für mich reichte es aus, ihm eine Szene zu machen. Eine Szene mit allem drum und dran. Erst als meine Wut verrauchte, die auf Kummer und Sorge gebaut war, hatte ich die Ruhe zuzuhören. Und es erstaunte mich sehr.

Er hatte lange über meinen Standpunkt nachgedacht, wie man sich wohl als Außenstehende, die nicht in die Shinobi-Welt hineingeboren und mit ihren Ritualen aufgewachsen war, fühlen könnte. Wie es wäre, wenn ein geliebter Mensch ständig weggehen würde und man niemals um dessen Unversehrtheit wisse. Wie es mir, aber auch Yuuki, bei der Trauerbewältigung geholfen hatte, als wir mit Kentas Akte einen Abschluss für unsere Ungewissheit fanden. Auch Asa würde nun irgendwann so eine Wahrheit verkraften müssen. Ihre Mutter würde sie nie wiedersehen. Hikki war von ihrer letzten Mission, ihren Daimyô zu schützen, nicht nach Hause zurückgekehrt.

Für Kakashi oder Tenzô war es etwas völlig Normales, obgleich der Ausdruck „normal“ eher bizarr anmutete: Man lebte fürs Dorf, man starb fürs Dorf. Es ging um das Wohl der Gemeinschaft. Nie um das Wohl des Einzelnen. Der Einzelne hatte selbst zuzusehen, wie er mit seiner Trauer und seinen Gefühlen umging. Bloß nicht den Anderen damit zur Last fallen. Das gehörte sich in dieser Gesellschaft nicht! Sein Familienglück in Kindheitstagen war nur von sehr kurzer Dauer. Tenzô hatte so etwas nie kennen lernen dürfen. Was mochte wohl demnach in jemanden vorgehen, für den das nicht normal war? Kakashi gestand unsicher, dass meine aufgeführte Szene ein ganz neue Erfahrung für ihn wäre. Wenn er früher nach Hause gekommen war, dann war die Wohnung leer. Da gab es niemanden, der wartete, hoffte, sich Sorgen machte und sich über eine Rückkehr freute.

„Weißt du“, gab er zu. „Das ist heute seit Jahren das erste Mal, dass sich jemand interessiert, wenn ich von irgendwoher nach Hause komme.“

Da war ich sprachlos, denn von der Seite hatte ich wiederum das Ganze noch nie gesehen.



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