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Abgründig

von

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Es war kurz vor der Mittagspause, als Frau Meier in Davids Büro platzte. Sie klopfte zwar an, doch noch bevor David etwas erwidern konnte, trat sie bereits ein. Er legte seine Unterlagen beiseite.
 

„Herr Keller, wegen unseres Ausflugs am Freitag … Sie haben noch nicht Bescheid gegeben, ob Sie daran teilnehmen wollen.“ Darauf hatte David bereits gewartet, schon als die Mitteilung vergangene Woche herausgekommen war. Auch wenn er sich nicht mehr, als es seine Arbeit erforderte, auf seine Kollegen einließ, kannte er sie alle. Er wusste ihre Namen und zu welcher Abteilung sie gehörten. Es war nicht so, dass er sie absichtlich mied, oder dass er sie nicht leiden konnte, er hatte nur einfach nicht das Bedürfnis, sich mit ihnen abzugeben. Dabei war er grundsätzlich nicht ungern unter Menschen, solange er als unbeteiligter Beobachter für sich bleiben konnte.
 

„Bitte, Sie müssen mitkommen, die ganze Abteilung ist dabei“, drängte Frau Meier weiter. „Die Ausstellung soll wirklich gut sein.“
 

David öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, hielt jedoch noch einmal inne. Ihm war bewusst, dass er einen absonderlichen Eindruck auf seine Umwelt machte, das war ihm egal, doch ab und zu sollte er sich kooperativ zeigen und über seinen Schatten springen, um nicht komplett ausgeschlossen zu werden. Und ein Ausstellungsbesuch erforderte keine allzu tiefen Bindungen.
 

„Tut mir leid, Frau Meier, dass ich mich nicht früher gemeldet habe“, entschuldigte sich David, „aber ich bin gerne mit dabei.“
 

„Gut, das freut mich.“ Frau Meier meinte das sichtlich ehrlich. „Das wäre der erste Ausflug seit Langem, an dem die gesamte Abteilung teilnimmt. Wenn nicht noch einer krank wird. Gott bewahre!“
 

„Das wollen wir nicht hoffen“, pflichtete David ihr bei und ging davon aus, dass ihre Unterhaltung damit beendet war. Smalltalk war noch nie eine seiner Stärken gewesen.
 

„Und sonst, wie geht es Ihnen? Sie sind immer so still. Wollen Sie nicht vielleicht mit in die Kantine kommen? Heute gibt es diese leckeren Hackfleischbällchen. Wirklich, die kann ich nur empfehlen.“
 

„Nein, danke.“ David musste sie gleich abweisen. Zum einen hasste er die Kantine, zum anderen wollte er nicht, dass Frau Meier zu drängend wurde, denn sonst würde er sie in Zukunft mit Absicht meiden müssen. „Ich wollte etwas an die frische Luft.“
 

„Ach ja, da haben Sie recht. Heute ist schönes Wetter, das sollte man ausnutzen, nicht wahr? Na, dann.“ Sie machte sich zum Gehen bereit. „Man sieht sich.“ Nachdem sie sein Büro verlassen hatte, blickte er kurz auf die Uhr. Er durfte Pause machen.
 

Nicht unweit von seinem Arbeitsplatz befand sich ein kleiner Park, der den unermüdlichen Verkehr und den Lärm, den dieser verursachte, relativ gut abschirmte. Mit der Brotzeit, die David sich am Morgen zu Hause vorbereitet hatte, lief er zügig dahin und atmete innerlich auf, als er sah, dass seine Bank noch frei war.
 

Trotz der Sonnenstrahlen, die sich an diesem Frühlingstag durch die Wolkendecke gekämpft hatten, war es empfindlich kühl. David schlug den Kragen seiner Jacke hoch, um seinen Hals vor dem frischen Luftzug zu schützen. Die Sonne verfing sich in seinem blonden Haar, ließ es golden schimmern. Er platzierte die Brotzeitdose auf seinen Knien, aß gemächlich das belegte Vollkornbrot und die kleingeschnittene Paprika. Immerhin hatte er eine dreiviertel Stunde Zeit dafür.
 

Eine Gruppe Kinder zog an ihm vorüber, vermutlich Grundschüler, deren Unterricht zu Ende war. Sie würdigten ihn keines Blickes. Er schaute ihnen nach, bis sie hinter einer Biegung aus seiner Sicht verschwunden waren. Dann wurde ein Kinderwagen vorbeigeschoben. Die junge Frau grüßte ihn und während er zurück lächelte, konnte er einen Blick auf den im Wagen liegenden Säugling erhaschen. Irgendwo hinter ihm knackte ein Ast, auf den jemand getreten sein musste. Er wartete auf den Verursacher des Geräuschs, doch niemand kam in sein Blickfeld. Der Weg war verlassen und als er sich umschaute, sah er lediglich dunkles Gestrüpp, das die Sonne nicht zu durchdringen vermochte, hinter sich aufragen.



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