Zum Inhalt der Seite

Track or Treat.

Auf deiner Spur?
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Besser

‚I'll stop time for you

The second you say you'd like me to

I just wanna give you the loving that you're missing

Baby, just to wake up with you

Would be everything I need and this could be so different

Tell me what you want to do
 

'Cause I know I can treat you better’ ~ Shawn Mendes, „Treat You Better“ 2016
 

Kim holte tief Luft, biss sich auf die volle Unterlippe und sah starr geradeaus.

Ihre blauen Augen füllten sich wahrscheinlich zum zehnten Mal diese Woche mit Tränen, doch sie war richtig gut darin geworden, nicht mehr gleich los zu weinen.
 

Vins, ihr Freund, stand vor ihr, die Hände tief in den Taschen seiner schwarzen, zerrissenen Jeans vergraben und sah an ihr vorbei. Er schüttelte augenverdrehend den Kopf. Sie flüsterte etwas und er kochte sofort hoch - mal wieder. Unwirsch schoss sie zurück. Zum zehnten Mal diese Woche…
 

Und auch zum zehnten Mal sah ich das Ganze, sowie der Rest der Schule es sah.
 

Ich stand am Ende des Flurs, ungefähr 15 Meter von ihnen entfernt, bei meinem Schließfach und sah zu, wie die beiden sich die Köpfe einschlugen. Energisch warf Kim ihre langen, dunkelblonden Haare über die Schulter und funkelte den Größeren wütend an. Vins grüne Augen brannten nicht minder finster zurück. Seine Haare waren von einem dunklen Braun, das meist schwarz wirkte und immer so abstand, als wäre er frisch aus dem Bett gefallen.
 

Seufzend drehte ich mich zu meinem Spind, richtete meine Beats Kopfhörer und kramte das Mathebuch hervor. Ich hörte die Stimmen der beiden nur gedämpft durch das laute Treiben von hunderten Schülern und meiner Musik.
 

„Könntest du wenigstens einmal so tun, als wäre ich dir nicht scheißegal…“ „Das Ganze hat doch überhaupt nichts mit dir zu tun! Du machst schon wieder übel den Affentanz, fahr dich zum Fick runter nochmal…“
 

„…I just wanna give you the loving that you're missing…“, sang mir eine hohe Männerstimme ins Ohr. Am liebsten hätte ich mir die Alutür meines Schließfaches gegen den Kopf gehauen, sehr fest und nachhaltig. Ich wollte ihre Unterhaltung nicht hören. Ich wollte nicht sehen, wie sie sich stritten und … sowieso wieder versöhnten. Energisch nahm ich die Kopfhörer ab und schaltete meine Musik App auf dem Handy aus.
 

Tag ein, Tag aus - die Beziehung der beiden schienen nur aus Streit und Versöhnung und Versöhnung und Streit zu bestehen. Wenn man Vins und seinen sehr männlichen Freunden in der Umkleide Glauben schenken konnte, dann auch aus wütendem und versöhnendem Sex, sobald sie die Schule verließen…
 

Kurz fragte ich mich, mit welcher Geschwindigkeit und im welchem Winkel die schlecht lackierte Alutür meines Schließfachs mein Genick treffen müsste um das,- mein!-, Elend zu beenden.
 

Theatralisch und nerdig. Meine Persönlichkeit in a nutshell, traurig aber - naja, einfach nur traurig…
 

Leise seufzend zog ich den Reißverschluss meines Rucksacks zu und schielte wieder zu Kim und Vins, während ich mir die blonden Haare aus der Stirn wischte. Genervt stellte ich fest, dass sich mal wieder kleine Teile der hellblauen Farbe von meinem Schließfach gelöst hatten.
 

Kims blasses Gesicht hatte rote Flecken bekommen. Ihre Wutflecken, wie ihre Mutter sie immer genannt hatte, als wir noch Kinder gewesen waren und ich sie beim Mensch-Ärger-Dich-Nicht rausgeworfen hatte.
 

Kims und meine Mutter arbeiteten gemeinsam im städtischen Krankenhaus. Sie waren beide OP-Schwestern. Unweigerlich hatten die beiden Frauen, die fast zeitgleich schwanger gewesen waren, eine Freundschaft gestartet. Gegenseitiges Kinderhütten, wenn die Schichten mal wieder mordsmäßig mies gelegt waren, mit inbegriffen.
 

Ich kannte sie also genauso lange, wie ich schon laufen konnte. Wir hatten viele Abende, Wochenenden und Sommer gemeinsam verbracht und ich kannte sie wahrscheinlich besser, als sie sich selbst - auf jeden Fall besser als Vins sie kannte. Was, den Gerüchten nach, nicht schwer war, denn Vins interessierte sich ja nur für sich selbst. Ich verzog unwillkürlich den Mund.
 

Kims Stimme wurde immer lauter: „Ich bin immer noch deine Freundin, also…“ Sie verhaspelte sich leicht beim Sprechen, als wir eingeschult wurden, hatte sie leicht gestottert. In Momenten wie diesen, wenn sie aufgeregt war, kam das manchmal noch durch.
 

Diese kleinen Sachen und die großen Macken: Ihr manchmal grunzendes Lachen, ihr Tick nicht auf Ritzen zu treten, ihr schreckliches Klarinettenspiel, das noch fürchterlichere Gesinge und jeder peinliche Popstar-Chrush, den sie mal hatte und manche, deren Bild noch immer unter ihrem Kopfkissen lagen. All das wusste ich, kannte ich. Es war das, was unsere Freundschaft ausmachte.
 

Eine Freundschaft die ich brauchte…
 

Umgedreht war es nicht anders. Kim wusste Dinge über mich, die sonst niemand wusste... Wenn auch nicht alles, zumindest seit kurzem. Leider, oder vielleicht doch besser momentan!
 

Obwohl es genug Peinlichkeiten waren, so dass ich sie, wenn wir uns jemals zerstreiten sollten, wohl mit ‘nem Kissen ersticken müsste. Wenn ich mich an das Badehosendebakel von vor fünf Jahren erinnerte, wurde mir heiß und kalt zu gleich…
 

Sie vertraute mir, ich vertraute ihr und doch…
 

Vins packte Kim hart am Arm, als sie davon rauschen wollte. „Lass mich los, du egoistisches, selbstgefälliges Arschloch!“
 

Ich seufzte, ballte unbewusst meine Hände zu Fäusten und lächelte gequält. Das alles brachte mich allerdings nicht weiter… Weil, naja…
 

Vins redete jetzt leise und bestimmte auf sie ein, senkte die Augenlieder. Der ernste Blick ließ seine Brauen und sein Kinn noch stolzer wirken. Sie drehte sich jetzt zu ihm. Ihre Gesichter trennten kaum ein Zentimeter mehr.
 

Krieg und Frieden, Meisterwerk von Tolstoi und neuinterpretiert von zwei Seniors an der South-Western High-School.

Kim hatte mal wieder von irgendwem gehört, dass Vins angeblich irgendwas mal wieder gemacht hat oder machen wollte. Anstatt ihn einfach danach zu fragen, warf sie es ihm vor und er kochte mal wieder hoch, weil… naja, meistens hatte er es tatsächlich verzapft. Aber sie gab ihm auch nie die Chance, es zu erklären.
 

Sie strich über den Kragen seiner Lederjacke, er strich ihr ein paar der langen Haarsträhnen nach hinten. Jetzt flüsterte sie, er lächelte ein schmales Lächeln.
 

Plötzlich hob er den Blick, sah zu mir. Vins grünen Augen brannten sich in meine Braunen. Besitzergreifend lag seine Hand auf Kims Schulter.
 

Schnell sah ich nach unten, das Blut schoss mir unvorteilhaft in die Wangen. Hektisch setzte ich mir meinen Rucksack auf und richtete die Träger.
 

So viel ich über Kim auch wusste, so wenig wusste ich über Vins und ihre nun wirklich nicht nachvollziehbare Beziehung.
 

Ohne Mist, es konnte nur der Sex sein, weshalb die beiden Beziehung spielten. Ein Spiel mehr war dieses ständige Hin und Her mit diesen übertrieben Streitereien nichts. Mir würden spontan acht Typen einfallen, die was von Kim wollten und sie nicht alle fünf Minuten vor der versammelten Schule dumm machen würden… und bei Vins. Ich spürte wie meine Wangen noch heißer wurde. Vins… Ich wüsste jemanden, der ihn verstehen würde, der… der ihm zuhören würde, seine Meinung hören wollte!
 

Ich seufzte und sah wieder zu den beiden, sie küssten sich. Vins Hände in ihren langen Haaren vergraben, eng an einander gepresst.
 

Etwas zu heftig schlug ich meine Schließfachtür zu, blendete das Getuschel der anderen Schüler um mich herum aus und ihre halbgaren Vermutungen.
 

Ich kannte den ganzen Tratsch und Scheiß, den sie sich erzählten. Alle wussten, dass das hier seine dritte Schule war, er soff, rauchte kiffte und was sonst noch nehmen sollte. Das er sie noch nie oder schon 10 Mal betrogen hatte. Ganz neu war, dass sie ihn betrogen hatte, mit… tja, mit mir… was natürlich totaler Bullshit war.
 

Da waren sogar die kriminellen Gerüchte über Vins glaubwürdiger - von Autodiebstahl bis Dealen war alles dabei und, angeblich, hatte er auch was mit Miguel zu tun, bevor… bevor es Miguel nicht mehr gab.
 

Ein unangenehmes Gefühl machte sich breit in meiner Brust. Es war jetzt schon vier Wochen her, dass Miguel an einer Überdosis von was auch immer gestorben war.
 

Ich schüttelte den Gedanken ab, das war nicht das, was wichtig war… für mich. Davon abgesehen, dass ich das für völligen Schwachsinn hielt.
 

Vins stellte einfach nur ‘nen super Sündenbock da. Und weil er nun mal aussah wie… naja wie James Dean auf Crack… heiß und ziemlich durch… Und, jaaa… - unbeholfen kratzte ich mir die Nase. Meine Gedanken schweiften ab, was prinzipiell das Problem war…
 

Alle schienen ja so gut über ihn bescheid zu wissen, nur… es gab Sachen, von denen ich ziemlich sicher war, dass nur ich sie wusste… auch keine Kim…
 

Ich wusste, dass Vins immer auf der Seite der Schwächeren war, auch wenn er es nicht zugab. Ich wusste auch, dass er sich manchmal dümmer stellte als er war, besonders in Mathe. Ich wusste, dass er einen Leberfleck im Nacken hatte und dass er immer zu spät zum Sportunterricht kam und wenn man dann nach der Stunde in die Umkleide kam roch es nach ihm… im Allgemeinen roch er viel zu gut. Eine gefährliche und gefällige Mischung aus Tabak, Deo und sich selbst.
 

Ich wusste wie hell seine Haut war. In welchem Raum seine dunkelbraunen Haare schwarz und wo sie braun wirkten. Ich wusste wie lang und dicht seine Wimpern waren und ich wusste, dass er den Gerüchten über mich, sehr wahrscheinlich glaubte… und ich konnte es ihm nicht mal verübeln. Die Gerüchte, dass ich mit Kim geschlafen hatte, kamen ja auch nicht von irgendwo her.
 

„Erde an Oscar!“, tauchte plötzlich eine Hand vor meinem Gesicht auf und erschrocken drehte ich mich zur Seite. Bob, mein bester Freund, sah mich mit einer Mischung aus Belustigung und so etwas ähnlichem wie Mitleid an. „Oh… hey…“, brachte ich kläglich heraus und räusperte mich verhalten.
 

„Mal wieder Mord und Totschlag, Dicker?“, fragte er muffelig und sehr betont Junge, wie eh und je, band seine schweren, langen Dreadlocks in einem Zopf zusammen und ruckte ungeniert mit dem Kopf in Richtung Kim und Vins. „So ähnlich…“, nuschelte ich, „Keine Ahnung…“ „Als ob…“, schnaubte er ungalant, „Als hättest du nicht mitgeschrieben, was die beiden da belabert haben um gleich eine starke Schulter für die liebe Kimmy zu sein…“
 

„Ich…“, natürlich musste ich rot werden und boxte gegen Bobs Schulter, mehr kläglich als verärgert, er wusste es ja nicht besser, „Also…Kannst du nicht wenn anders nerven?“ „Nee, gerade nicht Bro…“, er grinste und ich verdrehte die Augen und schielte dann nochmal zu Kim und Vins. Sie küssten sich noch immer, innig…
 

Mir war selbst klar, wie mein Verhalten, meine Blicke aussahen. Es stimmte, Kim würde sich hundertprozentig hier nach bei mir ausheulen und ich würde ihr zu hören. Ihr Trost spenden und Rat geben. Wir waren schließlich Freunde, beste Freunde.
 

Und alle, wahrscheinlich irgendwie sogar Kim, dachten ich stand auf sie.
 

Vielleicht wäre es auch so gekommen nach den vielen Jahren, aber… Ich war schwul. Was, wenn man meine Gedanken bedachte, nicht unerwartet schien. Definitiv. Und meine besagten Gedanken, liefen Amok, taten was sie wollten und setzten mich an die Stelle von Kim…
 

Es ist ‘ne räudige Nummer, das wusste ich selbst.
 

Ich schmachtete nicht Kim, sondern Vins an. Was sehr eindeutig und hormongebeutelt aus jeder meiner Poren tropfte…
 

Ich stellte mir vor, wie er mir durch die Haare fuhr. Ich würde mich an dem Kragen seiner Lederjacke festhalten, seinen Geruch einziehen und den Tabak schmecken.
 

Ich stellte mir vor, wie mir Gerüchte erzählt würden, wie ich sie theatralisch umdichten würde, weil ich längst wusste, was eigentlich passiert war. Wie ich ein schmales Lächeln von ihm dafür bekommen würde plus belustigtem Augenverdrehen.
 

Ich würde seine Lederjacke tragen und er meine High School Jacke vom Leichtathletik- Team, die ihm an den Ärmeln ein bisschen zu kurz wäre.
 

Ich würde seine Zigaretten verstecken und er müsste mich küssen, bevor er eine bekam, vielleicht… Wir würde uns nicht streiten. Naja, selten und wenn, würde es keiner lange aushalten wütend auf den Anderen sein. Ich würde ihn, jedes Mal wenn ihn irgendwer zu lange in Beschlag nahm, ein bisschen eifersüchtig küssen in einem dunklen Flur und er würde das alles mit Absicht machen und…
 

Ich liebte Kim, wie ich meine Schwester liebte… und es war Kacke auf ihren Freund zu stehen, aber sie war toll… und Vins verdammt noch mal auch. Außerdem taten sie sich nicht gut: Ich könnte, ich würde mich besser verhalten. Ich wäre, besser für ihn, ich…
 

Ich stand 15 Meter, einen Flur, eine Welt entfernt von ihm.
 

Noch immer hatte ich zu den beiden gestarrt und plötzlich sah mich Vins wieder an. Er küsste noch immer Kim. Wenn ich ihn küssen könnte, würde ich ihm keinen Grund geben, jemand anderes wütend anzusehen…
 

Ich drehte mich erwischt um. Bob zog die Brauen hoch. „Lass uns in die Mensa… Das da wird wohl noch dauern…“, ich ruckte betont abfällig in die Richtung des Pärchens und ging los ohne die Antwort meines besten Freundes abzuwarten. Der folgte mir schlicht mit einem Geräusch, was wohl Mitgefühl und Zustimmung auf einmal ausdrücken sollte.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Wuhu, das erste Kapitel... ich bin gespannt, wie es ankommt und freue mich auf Meinung, Kritik und Lob! :3 Komplett anzeigen

Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Maginisha
2018-07-04T10:56:27+00:00 04.07.2018 12:56
Keine Ahnung, wie es weitergeht, aber ich liebe diese Geschichte jetzt schon. Nein wirklich. Das wirkt alles so echt irgendwie. Ich finde deinen Stil toll! Keine Ahnung, ob es noch Klischee wird oder was, aber bisher kann ich mich wirklich nicht beschweren.
Antwort von:  Usagi_Jigokumimi
04.07.2018 23:29
Ich will schon wieder Danke sagen. So viele Komplimente! Ich werde ganz rot und uschig! ^^" XD

Und ja, ein bisschen Klischee glaube ich, kann ich nicht verhindern, irgendwie... ^^" XD hust... Sorry jetzt schon... :D


Zurück